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Team Peter Heilbronn
Thema Zu: Methodisches zur Organisationsfrage ( excerpt )
Original
Autor Georg Lukács
Titel "Methodisches zur Organisationsfrage"
Quelle marxists.org; Seitenangaben nach Schwarze Reihe Nr.2, Verlag De Munter Amsterdam 1967
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Kurzbeschreibung
Behandlung der Thematik der Organisation des Proletariats. Dieses Arbeit ist das Bindeglied, schafft der Vermittlung von philosophischem Standpunkt hin zu praktischen Fragen der Organisierung und der Partei. Beides heute stark umkämpfte und wichtige politische Fragen. Es wird klar Stellung bezogen für eine materialistisch dialektische Methodik einerseits und eine Form von Partei, welche von der Masse der Menschen selbst bewusst getragen wird andererseits.
" Erst wenn die Revolution zur Tagesfrage geworden ist, wird die Frage der revolutionären Organisation mit gebieterischer Notwendigkeit ins Bewußtsein der Massen und ihrer theoretischen Wortführer gerückt. "
Die Geschichte einer Ablösung der Führungsschicht bis hin zu Bürokratisierung und religiöser Selbstdarstellung darf sich nicht wiederholen. Das Moment des Bewusstseins und des bewussten Handelns jedes Einzelnen, was Lukács unermüdlich betont, ist hier das einzig verlässliche Moment des Gegensteuerns gegen eine "Entartung"(Trotzki) der Partei.
Aber auch er selbst befindet sich im Spannungsfeld zwischen Philosophie und Realpolitik, Organisation und Taktik, Disziplin - Unterordnung unter den Gesamtwillen der Partei und der neuen gesellschaftlichen Freiheit. Ihm kommt der Verdienst zu, diese Frage von der Marxistischen Philosophie bis in die tagespolitische Aktivität vermittelt und beleuchtet zu haben, wenn man seine durch die ungarische Räterepublik und frühe Sowjetunion geprägten Einschätzungen doch kritisch untersuchen muß.

1.

" Aber es scheint, als ob das theoretische Interesse der kommunistischen Parteien (die russische immer ausgenommen) von den Problemen der wirtschaftlichen und politischen Weltlage, von den aus ihr zu ziehenden taktischen Folgerungen und ihrer theoretischen Begründung so sehr in Anspruch genommen wären, daß kein lebendiges und lebhaftes theoretisches Interesse für die Verankerung der Organisationsfrage in der kommunistischen Theorie übrig bliebe. " (S. 298)
" Diese "Unbewußtheit" in den Organisationsfragen ist aber ganz bestimmt ein Zeichen der Unreife der Bewegung. Denn Reife oder Unreife lassen sich eigentlich nur daran ermessen, ob eine Einsicht oder Einstellung über das, was zu tun ist, für das Bewußtsein der handelnden Klasse und ihrer führenden Partei in einer abstrakt-unmittelbaren oder konkret-vermittelten Form vorhanden ist. " (S. 298f)
 
[Reife der Bewegung]
" Was sie zu bloßen Utopisten macht, ist, daß sie ihn nur als Tatsache, oder höchstens als zur Lösung aufgegebenes Problem zu sehen imstande sind, ohne zur Einsicht gelangen zu können, daß gerade hier, gerade im Problem selbst, sowohl die Lösung, wie der Weg zur Lösung mitgegeben sind. So "sehen sie im Elend nur das Elend, ohne die revolutionäre umstürzende Seite darin zu erblicken, welche die alte Gesellschaft über den Haufen werfen wird". [1] " (S. 299)
" Denn es wäre eine utopistische Illusion, zu glauben, daß die Überwindung des Utopismus durch die gedankliche Überwindung seiner ersten primitiven Erscheinungsform, die Marx hier vollzogen hat, für die revolutionäre Arbeiterbewegung bereits vollbracht worden ist. Diese Frage, die letzten Endes die Frage der dialektischen Beziehung von "Endziel" und "Bewegung", die Frage der Beziehung von Theorie und Praxis ist, wiederholt sich in immer entwickelterer Form, allerdings mit stets wechselnden Inhalten, auf jeder enscheidenden Stufe der revolutionären Entwicklung. Denn eine Aufgabe wird in ihrer abstrakten Möglichkeit immer früher sichtbar, als die konkreten Formen ihrer Verwirklichung. Und die Richtigkeit oder Falschheit der Fragestellungen wird eigentlich erst wirklich diskutabel, wenn dieses zweite Stadium erreicht ist, wenn jene konkrete Totalität erkennbar wird, die Umwelt und Weg zu ihrer Verwirklichung zu sein bestimmt ist. "
- verbunden mit einer konkreten historischen Situation
" So ist der Generalstreik in den ersten Debatten der II. Internationale eine rein abstrakte Utopie gewesen, die erst durch die erste russische Revolution, durch den belgischen Generalstreik usw. die Umrisse einer konkreten Form erlangt hat. So mußten jedes Jahr des akut revolutionären Kampfes vergehen, bevor der Arbeiterrat seinen utopisch-mythologischen Charakter als Allheilmittel für alle Fragen der Revolution verloren hat und als das, was er ist, für das außerrussische Proletariat sichtbar wurde. "
Diese erklärt den Utopismus.
 
[Revolutionärer Utopismus]
" Gerade die Fragen der Organisation sind am längsten in einem solchen utopischen Halbdunkel geblieben. Dies ist kein Zufall. Denn die Entwicklung der großen Arbeiterparteien vollzog sich zumeist in Zeiten, in denen die Frage der Revolution nur als eine sämtliche Handlungen des täglichen Lebens unmittelbar bestimmende Frage galt. "
" Erst wenn die Revolution zur Tagesfrage geworden ist, wird die Frage der revolutionären Organisation mit gebieterischer Notwendigkeit ins Bewußtsein der Massen und ihrer theoretischen Wortführer gerückt. " (S. 300)
Aber es gibt keine mechanische Vermittlung als unbedingte Notwendigkeit aus einer Situation, es geht um das bewusste und die Praxis in ihrer Einheit.
" Aber auch dann bloß allmählich. Denn selbst die Tatsache der Revolution, selbst die Notwendigkeit, zu ihr als aktueller Tagesfrage Stellung zu nehmen, wie dies zur Zeit und nach der ersten russischen Revolution der Fall war, konnte hier keine richtige Einsicht erzwingen. "
 
[Erst Revolution gebärt die konkrete Revolutionäre Theorie, wenn auch nicht unbedingt.]
" Denn die russische Revolution hat die Grenzen der westeuropäischen Organisationsformen klar enthüllt. Das Problem der Massenaktionen, des revolutionären Massenstreiks zeigt ihre Ohnmacht den spontanen Bewegungen der Massen gegenüber; erschüttert die opportunistische Illusion, die in dem Gedanken der "organisatorischen Vorbereitung" solcher Aktionen steckt; erweist, daß solche Organisationen den realen Aktionen der Masse stets nur nachhinken, sie hemmen und hindern, statt sie fördern oder gar führen zu können. "
 
[Spontane Massen vs. Leitung.]
" Damit war ein großer Schritt in der Richtung auf klare Erkenntnis der Organisationsfrage getan: indem die Organisationsfrage aus ihrer abstrakten Isoliertheit herausgerissen wurde (Aufhören der "Überschätzung" der Organisation), ist der Weg beschritten worden, ihr die richtige Funktion im Revolutionsprozeß zuzuweisen. Dazu wäre es aber notwendig gewesen, daß Rosa Luxemburg die Frage der politischen Führung wieder organisatorisch wendet: daß sie jene organisatorischen Momente aufdeckt, die die Partei des Proletariats zur politischen Führung befähigen. Was sie daran verhindert hat, diesen Schritt zu tun, ist an anderer Stelle ausführlich behandelt worden. "
" Es ist nun keineswegs zufällig, daß die Punkte, die die Spaltung der russischen Sozialdemokratie hervorgebracht haben, einerseits die Auffassung des Charakters der kommenden Revolution und die daraus folgenden Aufgabe (Koalition mit der "progressiven Bourgeoisie oder Kampf an der Seite der Bauernrevolution ), andererseits die Organisationsfragen gewesen sind. Für die außerrussische Bewegung ist es aber verhängnisvoll geworden, daß die Einheit, die unzertrennliche, dialektische Zusammengehörigkeit beider Fragen damals von keinem (Rosa Luxemburg mitinbegriffen) verstanden wurde. "
" Denn die Organisation ist die Form der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis. Und wie in jedem dialektischen Verhältnis erlangen auch hier die Glieder der dialektischen Beziehung erst in und durch ihre Vermittlung Konkretion und Wirklichkeit. Dieser Theorie und Praxis vermittelnde Charakter der Organisation zeigt sich am deutlichsten darin, daß die Organisation für voneinander abweichende Richtungen eine viel größere, feinere und sicherere Empfindlichkeit zeigt, als jedes andere Gebiet des politischen Denkens und Handelns. " (S. 302)
Sowohl bloße Aktion als auch bloße Meinung sind ungenügend, da die Vermittlung fehlt.
" Eine Fragestellung aber, die die Erkenntnis einer Aktion, als die Erkenntnis ihrer Lehren für die Zukunft, als Antwort auf die Frage: "was nun zu tun sei?" auffaßt, stellt das Problem bereits organisatorisch. Sie versucht, in der Erwägung der Lage, in der Vorbereitung und Führung der Aktion jene Momente aufzufinden, die von der Theorie notwendig zu einem ihr möglichst angemessenen Handeln geführt haben; sie sucht also die wesentlichen Bestimmungen auf, die Theorie und Praxis verbinden. "
 
[Vermittlung von Theorie und Praxis,'was nun zu tun sei?']
" Die Anschauung von der abstrakten "Notwendigkeit" des Geschehens führt Zum Fatalismus; die bloße Annahme, daß "Fehler" oder Geschicklichkeit Einzelner das Gelingen oder Versagen verursacht haben, kann wiederum für das kommende Handeln keine entscheidend fruchtbaren Lehren bieten. Es wird von diesem Standpunkt doch als mehr oder weniger "zufällig" erscheinen müssen, daß gerade dieser oder jener an diesem oder jenem Punkt gestanden ist, diesen oder jenen Fehler gemacht hat usw. "
" Wird aber diese Frage über das bloß Einzelne und Zufällige hinausgetrieben, wird in dem richtigen oder fehlerhaften Handeln einzelner Personen zwar eine mitbestimmende Ursache des ganzen Komplexes erblickt, aber darüber hinaus der Grund untersucht, welche die objektiven Möglichkeiten ihres Handelns und die objektiven Möglichkeiten der Tatsache waren, daß gerade diese Personen auf diesen Posten standen usw. - so ist die Frage bereits wieder organisatorisch gestellt. [5] "
" Freilich kann der "Fehler" in der Theorie, in der Zielsetzung oder in der Erkenntnis der Lage selbst liegen. Jedoch nur eine organisatorisch orientierte Fragestellung macht es möglich, die Theorie vom Gesichtspunkt der Praxis aus wirklich zu kritisieren. Wird die Theorie unvermittelt neben eine Aktion gestellt, ohne daß es klar würde, wie ihre Einwirkung auf jene gemeint ist, also ohne die organisatorische Verbindung zwischen ihnen klar zu machen, so kann die Theorie selbst nur in bezug auf ihre immanenten theoretischen Widersprüche usw. kritisiert werden. Diese Funktion der organisatorischen Fragen macht es verständlich, daß der Opportunismus seit jeher die größte Abneigung dagegen empfand, aus theoretischen Differenzen organisatorische Folgerungen zu ziehen. "
 
[Fehler und Selbstkritik]
" Die ganze Geschichte der zweiten Internationale ist voll von solchen Versuchen, die verschiedenartigsten, sachlich scharf auseinandergehenden, einander ausschließenden Anschauungen in der theoretischen "Einheit" eines Beschlusses, einer Resolution so zusammenzufassen, daß ihnen allen Rechnung getragen wird. Was dann zur selbstverständlichen Folge hat, daß solche Beschlüsse keine Richtung für das konkrete Handeln weisen, ja gerade in dieser Hinsicht stets mehrdeutig bleiben und die verschiedenartigsten Auslegungen gestatten. "

{ Auf die Fragen der innerparteiliche Disziplin und den Umgang mit anderen Meinungen wird später noch eingegangen, ist aber gerade bezüglich der real existierenden Arbeiterparteien, ihrer Dogamitisierung und Bürokratisiertung ein haariger Punkt, der größte Aufmerksamkeit verlangt. Denn diese Art von Parei hat uns dem Ziel der kommunistischen Bewegung nicht nur nicht näher gebracht, sondern viel eher ihr auf verschiedenste Weise entgegengewirkt. (d.V.)}

" Der Schwächepunkt von allen außerrussischen radikalen Richtungen der Internationale lag also darin, daß sie ihre vom Opportunismus der offenen Revisionisten und des Zentrums abweichenden, revolutionären Stellungnahmen nicht organisatorisch konkretisieren konnten oder wollten. Damit haben sie es aber für ihre Gegner, besonders fürs Zentrum, ermöglicht, diese Abweichungen vor dem revolutionären Proletariat zu vermischen; ihre Opposition verhinderte auch das Zentrum in keiner Weise daran, vor dem revolutionär empfindenden Teile des Proletariats als Hüter des wahren Marxismus zu figurieren. "
" Darum blieben für das Proletariat diese Meinungsverschiedenheit bloße Meinungsverschiedenheiten innerhalb der dennoch revolutionären Arbeiterbewegungen, und eine klare Scheidung der Richtungen ist unmöglich geworden. Aber diese Unklarheit hat auch auf die Anschauungen der Linken selbst zurückgewirkt. Indem die Wechselwirkung mit der Handlung für diese Auffassungen unmöglich gemacht wurde, konnten sie sich selbst auch nicht durch die produktive Selbstkritik der Umsetzung in die Tat weiterentwickeln, konkretisieren. Sie haben - selbst wo sie sachlich der Wahrheit nahe kamen - einen stark abstrakt-utopischen Charakter bewahrt. Man denke etwa an Pannekoeks Polemik gegen Kautsky in der Frage der Massenaktionen. "

2.

" Das für diesen Zusammenhang Wesentliche solcher Gedankengänge läßt sich am besten als die Illusion einer "organischen" rein proletarischen Revolution zusammenfassen. Im Kampfe gegen die opportunistische, "organische" Entwicklungslehre, daß das Proletariat allmählich, durch langsames Wachsen die Majorität der Bevölkerung erobern und so mit rein legalen Mitteln die Macht erringen wird [2], ist eine revolutionär "organische" Theorie der spontanen Massenkämpfe entstanden. " (S. 306)
" Diese Theorie hat aber damit den rein proletarischen Charakter der Revolution zur stillschweigenden Voraussetzung gemacht. Freilich ist etwa Rosa Luxemburgs Auffassung vom Umfang des Begriffes "Proletariat" eine ganz andere, als die der Opportunisten. " (S. 306)
" Trotzdem liegt aber auch dieser Konzeption der rein proletarische Charakter der Revolution zugrunde. Einerseits erscheint das Proletariat einheitlich auf dem Schlachtplan, andererseits sind jene Massen, deren Aktionen behandelt werden, rein proletarische Massen. Und so muß es auch sein. Denn nur im Klassenbewußtsein des Proletariats kann die richtige Einstellung auf das revolutionäre Handeln so tief verankert, so tief instinktiv verwurzelt sein, daß nur ein Bewußtmachen, eine klare Führung vonnöten ist, um das Handeln selbst auf dem richtigen Wege weiterzuführen. " (S. 306)
Es gilt, dass für andere Schichten in der Revolution
" ...keineswegs eine notwendige Richtung ihres Handelns auf die proletarische Revolution hin vorgezeichnet ist, noch sein kann. " (S. 307)
Eine so gedachte Partei muß scheitern.
" Sondern es handelt sich darum, daß das Klassenbewußtsein des Proletariats sich nicht parallel mit der objektiven ökonomischen Krise, gradlinig und im ganzen Proletariat in gleicher Weise entwickelt. Das große Teile des Proletariats geistig unter dem Einflusse der Bourgeoisie bleiben, daß die schärfste Entwicklung der ökonomischen Krise sie nicht aus dieser Haltung herausreißt, daß also das Verhalten des Proletariats, seine Reaktion auf die Krise an Heftigkeit und Intensität weit hinter der Krise selbst zurückbleibt. [3] " (S. 307)
 
[Scheitern einer idealistischen Parteikonzeption]
" Marx und Engels [4] haben schon sehr früh diese Entwicklung, die Verbürgerlichung jener Arbeiterschichten beobachtet, die aus den Monopolprofiten des damaligen Englands eine - ihren Klassengenossen gegenüber - bevorzugte Stellung erhalten haben. Diese Schicht hat sich mit dem Eintritt in die imperialistische Phase des Kapitalismus überall entwickelt und sie ist zweifellos eine wichtige Stütze der allgemein opportunistischen, revolutionsfeindlichen Entwicklung großer Teile der Arbeiterklasse geworden. " (S. 307f)
" Auch hier bleibt vielfach die subjektive Entwicklung des Proletariats hinter dem Tempo der objektiven Krise zurück, so daß man in diesem Motiv unmöglich die alleinige Ursache des Menschewismus suchen darf, wenn man ihm nicht die bequeme theoretische Position einräumen will: aus dem Fehlen eines durchgehenden und klaren Willens zur Revolution im Proletariate auf das Fehlen einer objektiv revolutionären Lage schließen zu dürfen.Zweitens haben aber die Erfahrungen der Revolutionskämpfe keineswegs eindeutig gezeigt, daß die revolutionäre Entschlossenheit und der Kampfwille des Proletariats sich einfach nach der ökonomischen Schichtung seiner Teile gliedern würde. Es zeigen sich hier große Abweichungen von einer einfachen, gradlinigen Parallelität und große Abweichungen der Reife des Klassenbewußtseins innerhalb ökonomisch gleichgestellten Arbeiterschichten. " (S. 308)
 
[Menschewismus - Verbürgerlichung von Arbeitern]
" Denn ein Zurückbleiben der proletarischen Ideologie hinter der ökonomischen Krise, eine ideologische Krise des Proletariats ist - für solche Anschauungen - etwas prinzipiell Unmögliches. Aber die Lage verändert sich auch dann nicht wesentlich, wenn die Auffassung über die Krise - bei Beibehaltung des ökonomistischen Fatalismus der Grundeinstellung - eine revolutionär optimistische wird. D.h. wenn die Unvermeidlichkeit der Krise, die Unvermeidlichkeit ihrer Auswegslosigkeit für den Kapitalismus festgestellt wird. " (S. 308)
" In diesem Falle kann das hier behandelte Problem auch nicht als Problem anerkannt werden; nur aus dem "Unmöglich" wird ein "Noch nicht". Nun hat aber Lenin mit großem Recht darauf hingewiesen, daß es keine Lage gibt, die an und für sich auswegslos wäre. In welcher Lage immer der Kapitalismus sich befinden mag, es werden sich stets "rein ökonomische" Lösungsmöglichkeiten zeigen; es fragt sich nur, ob diese Lösungen, wenn sie aus der theoretisch reinen Welt der Ökonomie in die Wirklichkeit der Klassenkämpfe heraustreten, dort auch durchführbar, durchsetzbar werden. " (S. 308f)
 
[Verhältnis Krise - proletarisches Bewußtsein]
" Freilich: daß dem Proletariate jetzt diese Macht in die Hände gegeben ist, ist die Folge der "naturgesetzlichen" Entwicklung der Wirtschaft. Diese "Naturgesetze" bestimmen aber nur einerseits die Krise selbst, geben ihr einen Umfang und eine Ausdehnung, die eine "ruhige" Weiterentwicklung des Kapitalismus unmöglich machen. Ihr ungehindertes Auswirken (im Sinne des Kapitalismus) würde jedoch nicht zu seinem einfachen Untergang, zum Übergang in den Sozialismus führen, sondern über eine lange Periode von Krisen, Bürgerkriegen und imperialistischen Weltkriegen auf immer höherer Stufe, "zu dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen", in einen neuem Zustand der Barbarei. " (S. 309)
" Andererseits haben diese Kräfte und ihre "naturgesetzliche" Entfaltung ein Proletariat geschaffen, dessen physische wie ökonomische Gewalt für den Kapitalismus sehr geringe Chancen gibt, nach dem Schema der früheren Krisen eine rein ökonomische Lösung, eine Lösung, in der das Proletariat nur als Objekt der ökonomischen Entwicklung figuriert, zu erzwingen. Diese Macht des Proletariats ist die Folge objektiv-ökonomischer "Gesetzmäßigkeiten". Die Frage jedoch, wie diese mögliche Macht zur Wirklichkeit wird, wie das Proletariat, das heute tatsächlich ein bloßes Objekt des Wirtschaftsprozesses ist und nur potentiell, nur latent auch sein mitbestimmendes Subjekt, in Wirklichkeit als sein Subjekt hervortritt, ist von diesen "Gesetzmäßigkeiten" mehr automatisch-fatalistisch bestimmt. " (S. 309)
" Sie brechen spontan aus (Die Spontaneität einer Bewegung ist nur der subjektiv-massenpsychologische Ausdruck für ihre rein ökonomisch-gesetzmäßige Determiniertheit), fast ausnahmslos als eine Abwehr gegen einen wirtschaftlichen - seltener: politischen - Vorstoß der Bourgeoisie, gegen ihren Versuch, für die Krise eine "rein ökonomische" Lösung zu finden. Sie hören aber ebenfalls spontan auf, flauen ab, wenn ihre unmittelbaren Ziele als erfüllt oder als aussichtslos erscheinen. Es scheint also, daß sie ihren "naturgesetzlichen" Ablauf bewahrt haben. " (S. 309)
 
[Objektive Notwendigkeit vs. wirklicher Umsetzung]
Die Bewegung darf aber nicht abstrakt, sondern muß konkret in der Totalität der Weltkrise besehen werden.
" Darum gewinnt die Erkenntnis von der bedeutsamen Rolle nicht proletarischer Schichten in der Revolution, von ihrem nicht rein proletarischen Charakter eine so entscheidende Bedeutung. Jede Minoritätsherrschaft kann sich nur dann halten, wenn es ihr möglich ist, die nicht direkt und unmittelbar revolutionären Klassen ideologisch ins Schlepptau zu bekommen, von ihnen eine Unterstützung ihrer Macht oder wenigstens eine Neutralität in ihrem Machtkampfe zu erreichen. (Daß hierzu das Bestreben tritt, Teile der revolutionären Klasse ebenfalls zu neutralisieren usw., versteht sich von selbst.) Dies bezieht sich auf die Bourgeoisie in besonders gesteigertem Maße. Sie hat die tatsächliche Gewalt viel weniger unmittelbar in Händen, als es frühere herrschende Klassen (z.B. die Bürger der griechischen Stadtstaaten, der Adel zur Blütezeit des Feudalismus) gehabt haben. Sie ist viel stärker darauf angewiesen, einerseits mit den konkurrierenden, vor ihr herrschenden Klassen Frieden oder Kompromisse zu schließen, um den von diesen beherrschten Machtapparat für ihre eigenen Zwecke dienstbar machen zu können und andererseits ist sie gezwungen, die tatsächliche Ausübung der Gewalt (Armee, niedere Bureaukratie usw.) in die Hände von Kleinbürgern, Bauern, Angehörigen unterdrückter Nationen usw. zu legen. Verschiebt sich nun infolge der Krise die wirtschaftliche Lage dieser Schichten, wird ihr naiver und undurchdachter Zusammenhalt zu dem von der Bourgeoisie geleiteten Gesellschaftssystem erschüttert, so kann der ganze Herrschaftsapparat der Bourgeoisie sozusagen auf einen Schlag auseinanderfallen: das Proletariat kann als Sieger, als einzig organisierte Macht dastehen, ohne daß eine ernsthafte Schlacht überhaupt geschlagen worden wäre, geschweige denn, daß das Proletariat in ihr wirklich gesiegt hätte. " (S. 310)
" Die Bewegungen dieser Zwischenschichten sind wirklich spontan und nur spontan. Sie sind wirklich bloße Früchte von sich blind "naturgesetzlich" auswirkenden gesellschaftlichen Naturmächten; und als solche sind auch sie selbst im gesellschaftlichen Sinne - blind. Da diese Schichten kein auf die Umgestaltung der ganzen Gesellschaft beziehbares und bezogenes Klassenbewußtsein haben [5]; da sie deshalb stets ausschließlich partikulare Klasseninteressen vertreten, die nicht einmal scheinbar objektive Interessen der Gesamtgesellschaft sind; da ihre objektive Verknüpfung mit dem Ganzen nur kausal, d.h. nur von den Verschiebungen des Ganzen verursacht, nicht aber auf Veränderung des Ganzen gerichtet sein kann; da deshalb ihre Richtung auf das Ganze und die ideologische Form, die diese annimmt, einen zufälligen Charakter hat, wenn sie auch in ihrem Entstehen als kausal-notwendig begriffen werden kann: ist das Sichauswirken dieser Bewegungen von ihren äußerlichen Gründen bestimmt. Welche Richtung sie schließlich annehmen, ob sie auf weitere Zersetzung der bürgerlichen Gesellschaft ausgehen, ob sie wieder vom Bürgertum ausgenützt, ob sie nach Ergebnislosigkeit ihrer Anläufe in Passivität versinken usw., ist nicht im inneren Wesen dieser Bewegungen selbst vorgezeichnet, sondern hängt weitgehendst vom Verhalten der bewußtseinsfähigen Klassen, von Bourgeoisie und Proletariat ab. " (S. 310f)
 
[Rolle der Zwischenschichten]
" Die Geschichte aller Revolutionen von der großen französischen ab zeigt in steigendem Maße diese Struktur.
...
Die gesellschaftliche Macht liegt sozusagen herrenlos auf der Straße. Die Möglichkeit der Restauration ist nur dadurch gegeben, daß es keine revolutionäre Schicht gibt, die mit dieser herrenlosen Macht etwas anzufangen vermag.
...
Dagegen kommen die rein "demokratischen" Machtkomplexe im Laufe der Revolution sehr leicht in eine ähnliche Lage: während sie zur Zeit des Zusammenbruches gewissermaßen von selbst entstanden und alle Macht an sich gerissen haben, stehen sie - infolge der rücklaufenden Bewegung der sie tragenden unklaren Schichten - ebenso plötzlich von jeder Macht entblößt da. (Kerensky, Károlyi.) "
(S. 311f)
" Es entsteht demzufolge eine gesellschaftliche Umwelt für das Proletariat, die den spontanen Massenbewegungen, selbst in dem Fall, daß diese - für sich betrachtet - ihre alte Wesensart bewahrt hätten, eine ganz andere Funktion in der gesellschaftlichen Totalität zuweisen würde, wie sie sie in der stabilen kapitalistischen Ordnung gehabt haben. Hier treten aber sehr wesentliche quantitative Veränderungen in der Lage der kämpfenden Klassen ein. Erstens ist die Kapitalkonzentration noch weiter fortgeschritten, wodurch das Proletariat - wenn es organisatorisch und bewußtseinsmäßig dieser Entwicklung auch nicht völlig zu folgen vermochte - ebenfalls stark konzentriert wurde. Zweitens macht es der krisenhafte Zustand dem Kapitalismus immer unmöglicher, in der Form von kleinen Konzessionen dem Druck des Proletariats auszuweichen. Seine Rettung aus der Krise, die "ökonomische" Lösung der Krise kann nur durch eine verschärfte Ausbeutung des Proletariats erfolgen. Darum betonen die taktischen Thesen des III. Kongresses sehr richtig, daß "ein jeder Riesenstreik die Tendenz hat, sich in einen Bürgerkrieg und in einen unmittelbaren Kampf um die Macht umzuwandeln". " (S. 312)
" Aber doch nur: die Tendenz. Und daß diese Tendenz, trotzdem die ökonomischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen ihrer Verwirklichung in mehreren Fällen gegeben waren, sich doch nicht zur Wirklichkeit gesteigert hat: ist eben die ideologische Krise des Proletariats. Diese ideologische Krise zeigt sich einerseits darin, daß die objektiv äußerst prekäre Lage der bürgerlichen Gesellschaft sich im Kopfe der Proletarier doch in der Form ihrer alten Solidität spiegelt; daß das Proletariat vielfach noch immer sehr stark in den Gedanken- und Gefühlsformen des Kapitalismus befangen bleibt. Andererseits erhält diese Verbürgerlichung des Proletariats eine eigene organisatorische Form in den menschewistischen Arbeiterparteien und der von ihnen beherrschten Gewerkschaftsführung. Diese Organisationen arbeiten nun bewußt darauf, die bloße Spontaneität der Bewegungen des Proletariats (ihre Abhängigkeit von ihrem unmittelbaren Anlaß, ihre Zerstückelung nach Beruf, Land usw.) auf der Stufe der bloßen Spontaneität zu bewahren und ihr Umschlagen in der Richtung auf das Ganze, sowohl in der territorialen, beruflichen usw.Wobei den Gewerkschaften mehr die Funktion der Atomisierung, der Entpolitisierung der Bewegung, des Verdeckens der Beziehung zum Ganzen zukommt; während die menschewistischen Parteien mehr den Beruf erfüllen, die Verdinglichung im Bewußtsein des Proletariats ideologisch und organisatorisch zu fixieren, es auf der Stufe der relativen Verbürgerlichung festzuhalten. " (S. 312f)
 
[Rolle der Gewerkschaft und bürgerlichen Arbeiterparteien]
" Eine ideologische Umwälzung, die zwar infolge der ökonomischen Krise und der durch sie gegebenen objektiven Möglichkeit der Machtergreifung entstanden ist, deren Ablauf jedoch keineswegs eine automatisch - "gesetzmäßige" Parallelität mit der objektiven Krise selbst aufnimmt, deren Lösung nur die freie Tat des Proletariats selbst sein kann. " (S. 313)
 
[Bedeutung der Bewußtheit]
" Die Fronten von Revolution und Konterrevolution entstehen vielmehr in einer sehr abwechslungsvollen und vielfach äußerst chaotischen Form. Da können Kräfte, die heute in der Richtung auf die Revolution wirken, morgen leicht in entgegengesetzter Richtung wirksam sein. Und - was besonders wichtig ist - folgen diese Richtungsänderungen keineswegs einfach und mechanisch aus der Klassenlage oder gar aus der Ideologie der betreffenden Schicht selbst, sondern werden von den stets wechselnden Beziehungen zur Totalität der geschichtlichen Lage und der gesellschaftlichen Kräfte entschieden beeinflußt. So daß es gar keine besondere Paradoxie ist, zu sagen, daß etwa Kemal Pascha (unter bestimmten Umständen) eine revolutionäre, während eine große "Arbeiterpartei" eine konterrevolutionäre Kräftegruppierung darstellt. Unter diesen richtunggebenden Momenten ist aber die richtige Erkenntnis des Proletariats über seine eigene geschichtliche Lage ein Faktor allerersten Ranges. " (S. 313f)
" Der Ablauf der russischen Revolution im Jahre 1917 zeigt dies in geradezu klassischer Weise: wie die Parolen des Friedens, des Selbstbestimmungsrechts, der radikalen Lösung der Agrarfrage aus an sich schwankenden Schichten ein (für den Augenblick) für die Revolution brauchbares Heer geschaffen und jeden Machtapparat der Konterrevolution vollends desorganisiert, aktionsunfähig gemacht haben. Es nützt wenig, wenn dagegen gesagt wird: die Agrarrevolution, die Friedensbewegung der Massen hätte sich auch ohne kommunistische Partei, ja auch gegen sie ausgewirkt. " (S. 314)
" Engels [8] bezeichnet den Übergang, den die Menschheit nach dem hier zu vollziehenden Umsturz vollbringt, als "den Sprung aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit" Daß aber dieser Sprung - trotzdem oder gerade weil er ein Sprung ist - seinem Wesen nach einen Prozeß vorstellt, versteht sich für den dialektischen Materialismus von selbst. Spricht doch auch Engels an der angeführten Stelle davon, daß die Veränderungen in dieser Richtung sich "in stets steigendem Maße" vollziehen werden. Es fragt sich nur, wohin der Anfangspunkt dieses Prozesses zu setzen ist?
...
Ob also eine schroffe, dialektische Übergänge ausschließende Trennung des "Reiches der Freiheit" von dem Prozeß, der es ins Leben zu rufen bestimmt ist, nicht eine ähnliche utopische Struktur des Bewußtseins aufzeigt, wie die schon behandelte Trennung von Endziel und Bewegung? "
(S. 315)
" Wenn aber das "Reich der Freiheit", im Zusammenhange mit dem Prozeß, der zu ihm führt, betrachtet wird, so ist es zweifellos, daß schon das erste geschichtliche Auftreten des Proletariats - freilich in jeder Beziehung unbewußt - hierauf intentioniert hat. Das Endziel der proletarischen Bewegung, so wenig es die einzelnen Etappen des Anfangsstadiums - selbst theoretisch - unmittelbar zu beeinflussen imstande sein kann, ist doch als Prinzip, als Gesichtspunkt der Einheit von keinem Moment des Prozesses ganz abzulösen.Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß die Periode der entscheidenden Kämpfe von den vorhergehenden sich nicht bloß an Umfang und Intensität der Kämpfe selbst unterscheidet, sondern daß diese quantitativen Steigerungen nur Symptome für die tiefgehenden qualitativen Unterschiede sind, die diese Kämpfe von den früheren abheben. " (S. 315)
 
[Engels' 'Übergang' und Geschichtsteleologie]
" Diese Sachlage bedeutet keinesfalls, daß die objektiven ökonomischen "Gesetzmäßigkeiten" aufgehört hätten, zu funktionieren. Im Gegenteil, sie werden noch lange nach dem Sieg des Proletariats in Geltung bleiben und erst mit dem Entstehen der klassenlosen, vollständig unter menschlicher Kontrolle stehenden Gesellschaft - wie der Staat - absterben. Das Neue an der gegenwärtigen Lage bedeutet bloß - bloß! - so viel, daß die blinden Mächte der kapitalistisch-ökonomischen Entwicklung die Gesellschaft dem Abgrund entgegentreiben; daß die Bourgeoisie nicht mehr die Macht besitzt, die Gesellschaft über den "toten Punkt" ihrer ökonomischen Gesetze nach kurzen Schwankungen hinauszuhelfen; daß aber das Proletariat die Möglichkeit besitzt, die vorhandenen Tendenzen der Entwicklung bewußt ausnützend, der Entwicklung selbst eine andere Richtung zu geben. Diese andere Richtung ist: die bewußte Regelung der Produktionskräfte der Gesellschaft. Und indem dies bewußt gewollt wird, wird das "Reich der Freiheit" gewollt; ist der erste bewußte Schritt in der Richtung auf seine Verwirklichung getan. " (S. 316)
 
[Der Übergang]
" Dieser Schritt folgt allerdings "notwendig" aus der Klassenlage des Proletariats. Jedoch diese Notwendigkeit hat selbst den Charakter eines Sprunges. " (S. 316)
" Auch in früheren Stadien der Entwicklung wurde die Aktion des Proletariats oft sprunghaft auf eine Höhe getrieben, deren Zusammenhang und Kontinuität mit der vorausgehenden Entwicklung erst nachträglich bewußt gemacht und als notwendiges Produkt der Entwicklung begriffen werden konnte. (Man denke an die Staatsform der Kommune von 1871.) Hier jedoch muß das Proletariat diesen Schritt bewußt vollziehen. Kein Wunder, daß alle in den Gedankenformen des Kapitalismus Befangenen vor diesem Sprung zurückschrecken, mit aller Energie ihres Denkens sich an die Notwendigkeit, als "Gesetz der Wiederholung" der Erscheinungen, als Naturgesetz anklammern und das Entstehen eines radikal Neuen, von dem wir noch keine "Erfahrung" haben können, als Unmögliches zurückzuweisen. " (S. 316f)
" Aber Kautsky und seinesgleichen sind nur als Symptome der Sachlage bedeutsam: als theoretischer Ausdruck für die ideologische Krise der Arbeiterklasse, als des Moments ihrer Entwicklung, wo sie "von neuem vor der unbestimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke" zurückschreckt, ihrer Aufgabe, die sie doch auf sich nehmen muß und nur in dieser bewußten Form auf sich nehmen kann, wenn sie nicht in der Krise des zusammenbrechenden Kapitalismus gemeinsam mit der Bourgeoisie schmach- und leidvoll zugrunde gehen will. " (S. 317)

3.

" Sind die menschewistischen Parteien der organisatorische Ausdruck für diese ideologische Krise des Proletariats, so ist die kommunistische Partei ihrerseits die organisatorische Form für den bewußten Ansatz zu diesem Sprung und auf diese Weise der erste bewußte Schritt dem Reiche der Freiheit entgegen. Aber ebenso wie früher der allgemeine Begriff des Reiches der Freiheit selbst klargelegt und gezeigt wurde, daß sein Nahen keineswegs ein plötzliches Aufhören der objektiven Notwendigkeiten des Wirtschaftsprozesses zu bedeuten hat, muß auch jetzt diese Beziehung der kommunistischen Partei auf das kommende Reich der Freiheit näher betrachtet werden. Vor allem ist festzustellen: Freiheit bedeutet hier nicht die Freiheit des Individuums. Nicht als ob die entwickelte kommunistische Gesellschaft keine Freiheit des Individuums kennen würde. Im Gegenteil. Sie wird die erste Gesellschaft in der Geschichte der Menschheit sein, die diese Forderung wirklich ernst nimmt und tatsächlich verwirklicht. Jedoch auch diese Freiheit wird keineswegs die heute von den Ideologen der bürgerlichen Klasse gemeinte Freiheit sein. " (S. 317)
" Um die gesellschaftlichen Voraussetzungen der wirklichen Freiheit zu erkämpfen, müssen Schlachten geschlagen werden, in denen nicht nur die gegenwärtige Gesellschaft, sondern auch der von ihr produzierte Menschenschlag untergehen wird. " (S. 317)
" Die Freiheit des gegenwärtig lebenden Menschen ist die Freiheit des durch den verdinglichten und verdinglichenden Besitz isolierten Individuums: eine Freiheit gegenüber den anderen (ebenfalls isolierten) Individuen. Eine Freiheit des Egoismus, des Sichabschließens; eine Freiheit, für die Solidarität und Zusammenhang höchstens als unwirksame, "regulative Ideen" in Betracht kommen. [2] Diese Freiheit heute unmittelbar ins Leben rufen zu wollen, bedeutet auf die tatsächliche Verwirklichung der wirklichen Freiheit praktisch zu verzichten. Diese "Freiheit", die einzelnen Individuen ihre gesellschaftliche Lage oder innere Beschaffenheit bieten mag, unbekümmert um die anderen Menschen auszukosten, heißt also: die unfreie Struktur der heutigen Gesellschaft, soweit es vom betreffenden Individuum abhängt, praktisch zu verewigen. " (S. 318)
 
[Bürgerliche Freiheit als Klassenfreiheit]
" Und in der Einsicht, daß individuelle Freiheit in der heutigen bürgerlichen Gesellschaft nur ein korruptes und korrumpierendes, weil auf die Unfreiheit der anderen unsolidarisch basiertes Privileg sein kann, bedeutet es gerade: den Verzicht auf individuelle Freiheit. Es bedeutet das bewußte Sich-unterordnen jenem Gesamtwillen, der die wirkliche Freiheit wirklich ins Leben zu rufen bestimmt ist, der heute die ersten, schweren, unsicheren und tastenden Schritte ihr gegenüber zu tun ernsthaft unternimmt. Dieser bewußte Gesamtwille ist die kommunistische Partei. Und wie jedes Moment eines dialektischen Prozesses enthält auch sie, freilich nur im Keime, in primitiver, abstrakter und unentfalteter Form jene Bestimmungen, die dem Ziele, das sie zu verwirklichen bestimmt ist, zukommen: die Freiheit in ihrer Einheit mit der Solidarität. Die Einheit dieser Momente ist die Disziplin. Nicht nur, weil bloß infolge einer Disziplin die Partei zu einem aktiven Gesamtwillen zu werden fähig ist, während jede Einführung des bürgerlichen Begriffes der Freiheit das Entstehen dieses Gesamtwillens verhindert und die Partei in ein loses, aktionsunfähiges Aggregat von Einzelpersonen verwandelt. Sondern weil gerade die Disziplin auch für den Einzelnen den ersten Schritt zu der heute möglichen - freilich dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung entsprechend auch noch recht primitiven - Freiheit bedeutet, die in der Richtung auf das überwinden der Gegenwart liegt. " (S. 318f)
 
[Freiheit - Disziplin - Partei]
" Daß jede kommunistische Partei ihrem Wesen nach einen höheren Typus der Organisation vorstellt, als jede bürgerliche Partei oder opportunistische Arbeiterpartei, zeigt sich gleich in den höheren Ansprüchen, die sie an ihre einzelnen Mitglieder stellt. Dies trat bereits zur Zeit der ersten Spaltung der russischen Sozialdemokratie klar zutage. Während die Menschewiki (wie jede im Wesen bürgerliche Partei) die einfache Annahme des Parteiprogramms für hinreichend zur Mitgliedschaft gefunden haben, war für die Bolschewiki Parteimitglied zu sein gleichbedeutend mit aktiver, persönlicher Teilnahme an der revolutionären Arbeit. Dieses Prinzip der Parteistruktur hat sich im Laufe der Revolution nicht geändert. " (S. 319)
" Denn wie das Reich der Freiheit uns nicht auf einmal, gewissermaßen als gratia irresistibilis, geschenkt werden kann, wie das "Endziel" nicht außerhalb des Prozesses auf uns irgendwo wartet, sondern jedem einzelnen Moment des Prozesses prozeßhaft innewohnt, so ist die kommunistische Partei, als revolutionäre Bewußtseinsform des Proletariats, ebenfalls etwas Prozeßartiges. Rosa Luxemburg hat sehr richtig erkannt, daß "die Organisation als Produkt des Kampfes entstehen" muß. Sie hat bloß den organischen Charakter dieses Prozesses überschätzt und die Bedeutung des bewußten, bewußt-organisatorischen Elementes in ihm unterschätzt. Aber die Einsicht dieses Irrtums darf nicht dahin übersteigert werden, daß man nun das Prozeßartige der Organisationsformen ganz übersieht. " (S. 319)
" Die kommunistische Organisation kann aber doch nur im Kampfe erarbeitet, nur dadurch verwirklicht werden, daß die Richtigkeit und die Notwendigkeit gerade dieser Form des Zusammenhaltes für jedes einzelne Mitglied durch eigene Erfahrung bewußt wird. " (S. 319f)
 
[Typ der kommunistischen Partei als Produkt des Prozesses]
" Das Neue in dem Bildungsprozeß der kommunistischen Parteien besteht bloß in der veränderten Beziehung von spontanem Handeln und bewußter, theoretischer Voraussicht, in dem allmählichen Verschwinden, in dem andauernden Bekämpfen der reinen post festum Struktur des bürgerlichen, verdinglichten bloß "anschauendenden" Bewußtseins. Diese veränderte Beziehung beruht darauf, daß auf dieser Stufe der Entwicklung für das Klassenbewußtsein des Proletariats die objektive Möglichkeit einer nicht mehr post festum Einsicht in die eigene Klassenlage und in das ihr entsprechende richtige Handeln bereits vorhanden ist. Obwohl für jeden einzelnen Arbeiter, infolge der Verdinglichung seines Bewußtseins, der Weg zur Erlangung des - objektiv möglichen - Klassenbewußtseins, zur inneren Einstellung, in der er dieses Klassenbewußtsein für sich erarbeitet, ebenfalls bloß durch das nachträgliche Klarwerden über seine unmittelbaren Erfahrungen führen kann; obwohl also das psychologische Bewußtsein für jeden Einzelnen seinen post festum Charakter bewahrt. Dieser Widerstreit von individuellem Bewußtsein und Klassenbewußtsein in jedem einzelnen Proletarier ist durchaus nicht zufällig. " (S. 320)
 
[Individuelles in Beziehung zum Klassenbewußtsein]
" Diese doppelte Bedeutung der Aktivität, ihre gleichzeitige Beziehung auf den einzelnen Träger des proletarischen Klassenbewußtseins und auf den Gang der Geschichte, also die konkrete Vermittlung zwischen Mensch und Geschichte, ist für den Typus der hier entstehenden Organisationsform entscheidend. " (S. 320f)
" Diese Objektrolle wird durch die formale Demokratie, durch die "Freiheit", die in diesen Organisationen herrschen mag, nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil fixiert und verewigt. Das "falsche Bewußtsein", die objektive Unmöglichkeit, durch bewußtes Handeln in den Gang der Geschichte einzugreifen, spiegelt sich organisatorisch in der Unmöglichkeit, aktive politische Einheiten (Parteien) zu bilden, die zwischen dem Handeln jedes einzelnen Mitgliedes und der Aktivität der ganzen Klasse zu vermitteln berufen wären. Da diese Klassen und Parteien im objektiven geschichtlichen Sinne nicht aktiv sind, da ihre scheinbare Aktivität nur ein Reflex ihres fatalistischen Getragenseins von unbegriffenen geschichtlichen Mächten sein kann, müssen in ihnen sämtliche Erscheinungen, die aus der Getrenntheit von Bewußtsein und Sein, von Theorie und Praxis, aus der Struktur des verdinglichten Bewußtseins folgen, zutage treten. " (S. 321)
" Dementsprechend treten in ihnen, die beiden zusammengehörenden, stets zugleich auftretenden, gleich falschen Auffassungen über den Gang der Geschichte notwendig auf: die voluntaristische Überschätzung der aktiven Bedeutung des Individuums (des Führers) und die fatalistische Unterschätzung der Bedeutung der Klasse (der Masse). Die Partei gliedert sich in einen aktiven und einen passiven Teil, wobei der letztere nur gelegentlich und stets nur auf Kommando des ersteren in Bewegung gebracht werden soll. Die "Freiheit" die in solchen Parteien für die Mitglieder vorhanden sein mag, ist demzufolge nichts mehr, als die Freiheit der Beurteilung von fatalistisch abrollenden Ereignissen oder Verfehlungen von Einzelnen seitens mehr oder weniger, aber niemals mit dem Zentrum ihres Daseins, mit ihrer ganzen Persönlichkeit beteiligter Zuschauer. " (S. 321)
 
[Trennung in bürgerlicher Partei in aktive Führer und passive Masse]
" Wie alle gesellschaftlichen Formen der "Zivilisation" beruhen auch diese Organisationen auf genauester, mechanisierter Arbeitsteilung, auf Bureaukratisierung, auf genauer Abwägung und Trennung von Rechten und Pflichten. Die Mitglieder hängen nur durch abstrakt erfaßte Teile ihrer Existenz mit der Organisation zusammen, und diese abstrakten Zusammenhänge objektivieren sich als getrennte Rechte und Pflichten. " (S. 322)
" Die wirklich aktive Teilnahme an allen Ereignissen, das wirklich praktische Verhalten aller Mitglieder einer Organisation ist nur durch Einsatz der Gesamtpersönlichkeit zu leisten. Erst wenn das Handeln in einer Gemeinschaft zur zentralen persönlichen Angelegenheit eines jeden einzelnen Beteiligten wird, kann die Trennung von Recht und Pflicht, die organitsatorische Erscheinungsform der Abtrennung des Menschen von seiner eigenen Vergesellschaftung, seiner Zerstückelung durch die gesellschaftlichen Mächte, die ihn beherrschen, aufgehoben werden. " (S. 322)
 
[Anteilnahme des Einzelnen an der Kommunistischen Partei]
" Jede menschliche Beziehung also, die mit dieser Struktur, mit der Abstraktion von der Gesamtpersönlichkeit des Menschen, mit seiner Subsumierung unter einem abstrakten Gesichtspunkt bricht, ist ein Schritt in der Richtung des Durchbrechens dieser Verdinglichung des menschlichen Bewußtseins. So ein Schritt jedoch setzt den tätigen Einsatz der Gesamtpersönlichkeit voraus. Damit ist es klar geworden, daß die Formen der Freiheit in den bürgerlichen Organisationen nichts mehr sind, als ein "falsches Bewußtsein", von der tatsächlichen Unfreiheit; d.h. eine Struktur des Bewußtseins, wo der Mensch formal frei sein Eingefügtsein in ein System wesensfremder Notwendigkeiten betrachtet und die formale "Freiheit" dieser Kontemplation mit einer wirklichen Freiheit verwechselt. Erst mit dieser Einsicht hebt sich die scheinbare Paradoxie unserer früheren Behauptung auf: daß die Disziplin der kommunistischen Partei, das bedingungslose Aufgehen der Gesamtpersönlichkeit eines jeden Mitgliedes in der Praxis der Bewegung der einzig mögliche Weg zur Verwirklichung der echten Freiheit ist. " (S. 322)
" Die Frage der Disziplin ist also einerseits eine elementar praktische Frage für die Partei, eine unerläßliche Vorbedingung ihres wirklichen Funktionierens, sie ist aber andererseits keine bloß technisch-praktische Frage, sondern eine der höchsten und wichtigsten geistigen Fragen der revolutionären Entwicklung. Diese Disziplin, die nur als bewußte und freie Tat des bewußten Teiles, der Vorhut der revolutionären Klasse, entstehen kann, ist ohne ihre geistigen Voraussetzungen nicht zu verwirklichen. Ohne - wenigstens instinktive - Erkenntnis von diesem Zusammenhang zwischen Gesamtpersönlichkeit und Parteidisziplin für jedes einzelne Parteimitglied muß diese Disziplin zu einem verdinglichten und abstrakten System von Rechten und Pflichten erstarren, die Partei Rückfälle in den Organisationstypus des bürgerlichen Parteiwesens erleiden. So wird es verständlich, daß die Organisation einerseits - objektiv die größte Empfindlichkeit für den revolutionären Wert oder Unwert theoretischer Anschauungen und Richtungen zeigt; und daß andererseits - subjektiv - die revolutionäre Organisation einen sehr hohen Grad von Klassenbewußtsein voraussetzt. " (S. 323)
 
[Freiheit und Disziplin in der Partei]

4.

" So wichtig es nun ist, diese Beziehung der kommunistischen Parteiorganisation zu ihren einzelnen Mitgliedern theoretisch klar zu sehen, so verhängnisvoll wäre es, hier stehenzubleiben: die Organisationsfrage von einer formal-ethischen Seite zu nehmen. Denn die hier geschilderte Beziehung des Einzelnen zu dem Gesamtwillen, dem er sich mit seiner ganzen Persönlichkeit unterordnet, kommt - isoliert betrachtet - keineswegs bloß der kommunistischen Partei allein zu, sondern ist vielmehr ein Wesenszeichen vieler utopistischer Sektenbildungen gewesen.
...
In seiner formal-ethischen Einseitigkeit hebt sich aber dieses Organisationsprinzip selbst auf: seine Richtigkeit, die kein bereits erreichtes und erfülltes Sein, sondern bloß die richtige Richtung auf das zu verwirklichende Ziel bedeutet, hört mit dem Auflösen der richtigen Beziehung auf das Ganze des Geschichtsprozesses auf, etwas Richtiges zu sein. "
(S. 323f)
" Darum wurde bei dem Herausarbeiten der Beziehung zwischen Einzelnen und Organisation auf das Wesen der Partei als auf das konkrete Vermittlungsprinzip zwischen Mensch und Geschichte ein entscheidendes Gewicht gelegt. Denn nur indem der in der Partei zusammengefaßte Gesamtwille ein aktiver und bewußter Faktor der geschichtlichen Entwicklung ist, der sich dementsprechend in stetiger, lebendiger Wechselwirkung zu dem gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß befindet, wodurch seine einzelnen Glieder ebenfalls in eine lebendige Wechselwirkung zu diesem Prozeß und zu seinem Träger, der revolutionären Klasse, geraten, können die Forderungen, die von hier aus an den Einzelnen gestellt werden, ihren formal-ethischen Charakter verlieren. " (S. 324)
 
[Das Sektenproblem]
" Es ist von diesem Standpunkt aus gleich, ob diese objektiv vorhandene dialektische Einheit in ihrer falschen, sektenhaften Spiegelung als starres Sein oder als gleich starres Nichtsein gefaßt wird; ob den Massen - mythologisierend - die richtige Einsicht für das revolutionäre Handeln bedingungslos zugesprochen oder die Auffassung vertreten wird, daß die "bewußte" Minderheit für die "unbewußte" Masse zu handeln hat. " (S. 324)
" Sie ist dem bürgerlichen Dilemma von Voluntarismus und Fatalismus anheimgefallen. Sie stellt sich auf einen Standpunkt, von wo aus es unmöglich wird, entweder die objektiven oder die subjektiven Etappen der geschichtlichen Entwicklung zu beurteilen. Sie ist gezwungen, die Organisation entweder maßlos zu überschätzen oder ebenso maßlos zu unterschätzen. Sie muß die Frage der Organisation von den allgemeinen, praktisch-geschichtlichen, von den strategisch-taktischen Fragen getrennt, isoliert behandeln. " (S. 325)
 
[Verhältnis: Unorganisierte Masse - Partei]
" Denn der Maßstab und der Wegweiser für die richtige Beziehung von Partei und Klasse kann nur im Klassenbewußtsein des Proletariats aufgefunden werden. Einerseits bildet die reale, objektive Einheit des Klassenbewußtseins die Grundlage der dialektischen Verbundenheit in der organisatorischen Trennung von Klasse und Partei. Andererseits bedingt das nichteinheitliche Vorhandensein, die verschiedenen Grade der Klarheit und Tiefe dieses Klassenbewußtseins in den verschiedenen Individuen, Gruppen und Schichten des Proletariats die Notwendigkeit der organisatorischen Abtrennung der Partei von der Klasse. " (S. 325)
" Bucharin [2] hebt deshalb richtig hervor, daß bei einer innerlich einheitlichen Klasse die Parteibildung etwas Überflüssiges wäre. Die Frage ist nur: ob der organisatorischen Selbständigkeit der Partei, der Herauslösung dieses Teiles aus dem Ganzen der Klasse objektive Unterschiede der Schichtung in der Klasse selbst entsprechen, oder ob die Partei von der Klasse nur infolge ihrer Bewußtseinsentwicklung, infolge ihres Bedingtseins durch und ihrer Rückwirkung auf die Bewußtseinsentwicklung der Mitglieder getrennt ist? Es wäre natürlich töricht, die objektiv-ökonomischen Schichtungen innerhalb des Proletariats ganz zu übersehen. " (S. 325)
" Hier handelt es sich also darum, ob das objektive, das zugerechnete [3] Klassenbewußtsein selbst als differenziert, geschichtet gedacht werden muß, dort bloß darum, welche - eventuell typische - Lebensschicksale auf das Sich-durchsetzen dieses objektiven Klassenbewußtseins hemmend einwirken. " (S. 326)
" Es ist klar,daß theoretisch bloß der zweite Fall wirklich von Bedeutung ist. Denn der Opportunismus ging, von Bernstein an, stets darauf aus: einerseits die objektiv-ökonomischen Schichtungen innerhalb des Proletariats als derart tiefgehend darzustellen, andererseits die Ähnlichkeit in der "Lebenslage" zwischen einzelnen proletarischen, halproletarischen, kleinbürgerlichen usw. Schichten so stark zu betonen, daß in dieser "Differenzierung" die Einheit und die Selbständigkeit der Klasse verlorengehe. (Das Görlitzer Programm der SPD ist der letzte, bereits klare, organisatorisch gewordene Ausdruck dieser Tendenz.) " (S. 326)
" Es fragt sich nur: welche Art des Seins, welche Funktion in der Totalität des gesellschaftlich-geschichtlichen Prozesses ihnen zukommt? Inwiefern die Erkenntnis dieser Differenzierungen zu (vorwiegend) taktischen, inwiefern sie zu (vorwiegend) organisatorischen Fragestellungen und Maßnahmen führt? Diese Fragestellung scheint im ersten Augenblick auf bloß begriffliche Haarspaltereien hinauszulaufen. Es muß jedoch bedacht werden, daß eine organisatorische Zusammenfassung - im Sinne der kommunistischen Partei - eben die Einheit des Bewußtseins, also die Einheit des ihm zugrunde liegenden gesellschaftlichen Seins voraussetzt, während ein taktisches Zusammengehen durchaus möglich ist, ja notwendig werden kann, wenn die geschichtlichen Umstände in verschiedenen Klassen, deren gesellschaftliches Sein objektiv verschieden ist, Bewegungen hervorrufen, die, obwohl von verschiedenartigen Ursachen bestimmt, doch vom Standpunkt der Revolution zeitweilig in der gleichen Richtung laufen. Wenn aber das objektive gesellschaftliche Sein wirklich verschieden ist, so können diese gleichen Richtungen nicht in dem gleichen Sinne "notwendig" sein , wie bei gleicher klassenmäßiger Grundlage. " (S. 326f)
" Freilich ist auch die Möglichkeit eines solchen Zusammengehens von Proletariat und halbproletarischen usw. Schichten keineswegs zufällig. Aber es ist in der Klassenlage des Proletariats allein notwendig begründet: da das Proletariat sich nur durch die Vernichtung der Klassengesellschaft befreien kann, ist es gezwungen, seinen Befreiungskampf auch für alle unterdrückten, ausgebeuteten Schichten zu führen. Ob diese aber in den Einzelkämpfen an seiner Seite oder im Lager seiner Gegner stehen werden, ist vom Standpunkt dieser Schichten mit unklarem Klassenbewußtsein mehr oder weniger "zufällig" Es hängt - wie früher gezeigt wurde - sehr stark von der richtigen Taktik der revolutionären Partei des Proletariats ab. Hier also, wo das gesellschaftliche Sein der handelnden Klassen verschieden ist, wo ihre Verbindung nur durch die weltgeschichtliche Sendung des Proletariats vermittelt wird, kann nur das begrifflich stets gelegentliche, wenn auch in der Praxis oft andauernde - taktische Zusammengehen bei strenger organisatorischer Trennung im Interesse der revolutionären Entwicklung liegen. " (S. 327)
" Ob also die - zweifellos vorhandenen - objektiven Abstufungen in der Lebenslage des Proletariats nur die Perspektive bestimmen, aus der die - zweifellos als verschieden erscheinenden - Interessen des Augenblicks betrachtet werden, die Interessen selbst aber, nicht nur weltgeschichtlich, sondern aktuell und unmittelbar, wenn auch nicht für jeden Arbeiter im Augenblick erkennbar, objektiv zusammenfallen? Oder ob - wegen eines objektiven Unterschieds im gesellschaftlichen Sein - diese Interessen selbst auseinandergehen können? " (S. 328)
" Ist die Frage so gestellt, so kann die Antwort nicht mehr zweifelhaft sein. Die Worte des Kommunistischen Manifestes die beinahe Wort für Wort in die Thesen über "die Rolle der kommunistischen Partei in der proletarischen Revolution" des II. Kongresses übernommen wurden, daß die "kommunistische Partei keine von der gesamten Arbeiterklasse abweichenden Interessen hat, daß sie sich von der gesamten Arbeiterklasse dadurch unterscheidet, daß sie eine Übersicht über den ganzen historischen Weg der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit hat und bestrebt ist, auf allen Biegungen dieses Weges nicht die Interessen einzelner Gruppen oder einzelner Berufe zu verteidigen, sondern die Interessen der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit", sind nur dann verständlich und sinnvoll, wenn die Einheit des objektiv-ökonomischen Seins für das Proletariat bejaht wird. Dann aber sind jene Schichtungen im Proletariate, die zu den verschiedenen Arbeiterparteien, zu der Entstehung der kommunistischen Partei führen, keine objektiv-ökonomischen Schichtungen des Proletariats, sondern Abstufungen in dem Entwicklungsgang seines Klassenbewußtseins. Einzelne Arbeiterschichten sind durch ihr ökonomisches Dasein ebensowenig unmittelbar dazu vorherbestimmt, Kommunisten zu werden, wie der einzelne Arbeiter als Kommunist geboren wird. Für jeden in der kapitalistischen Gesellschaft geborenen und unter seinem Einfluß aufgewachsenen Arbeiter ist ein an Erfahrungen mehr oder weniger schwerer Weg zurückzulegen, um in sich das richtige Bewußtsein über die eigene Klassenlage verwirklichen zu können. " (S. 328)
" Der Kampf der kommunistischen Partei geht um das Klassenbewußtsein des Proletariats. " (S. 328)
" Denn der Prozeß der Revolution ist - im geschichtlichen Maßstabe - gleichbedeutend mit dem Entwicklungsprozeß des proletarischen Klassenbewußtseins. Die organisatorische Loslösung der kommunistischen Partei von der breiten Masse der Klasse selbst beruht auf der bewußtseinsmäßig verschiedenen Gliederung der Klasse, ist aber zugleich dazu da, um den Prozeß der Ausgleichung dieser Schichtungen - auf dem erreichbar höchsten Niveau - zu befördern. Die organisatorische Selbständigkeit der kommunistischen Partei ist notwendig, damit das Proletariat sein eigenes Klassenbewußtsein, als geschichtliche Gestalt, unmittelbar erblicken könne; damit in jedem Ereignis des alltäglichen Lebens jene Stellungnahme, die das Interesse der Gesamtklasse erfordert, klar und für jeden Arbeiter verständlich in Erscheinung trete; damit für die ganze Klasse das eigene Dasein als Klasse ins Bewußtsein gehoben werde. " (S. 329)
" Die organisatorische Selbständigkeit ist sinnlos und führt zur Sekte zurück, wenn sie nicht zugleich die ununterbrochene taktische Rücksichtnahme auf den Bewußtseinszustand der breitesten, der zurückgebliebensten Massen bedeutet. Hier wird die Funktion der richtigen Theorie für das Organisationsproblem der kommunistischen Partei sichtbar. Sie soll die höchste, objektive Möglichkeit des proletarischen Handelns repräsentieren. Dazu ist aber die richtige theoretische Einsicht die unerläßliche Vorbedingung. " (S. 329)
" Handlungsfähigkeit und Fähigkeit zur Selbstkritik, zur Selbstkorrektur, zur theoretischen Weiterentwicklung stehen also in unlösbarer Wechselwirkung. Auch theoretisch handelt die kommunistische Partei nicht stellvertretend für das Proletariat. Ist sein Klassenbewußtsein, in bezug auf Denken und Handeln der ganzen Klasse etwas Prozeßartiges und Fließendes, so muß sich dies in der organisatorischen Gestalt dieses Klassenbewußtseins, in der kommunistischen Partei widerspiegeln. Nur mit dem Unterschied, daß sich hier eine höhere Bewußtseinsstufe organisatorisch objektiviert hat: dem mehr oder weniger chaotischen Auf und Ab in der Entwicklung dieses Bewußtseins in der Klasse selbst, der Abwechslung von Ausbrüchen, in denen eine alle theoretische Voraussicht weit übertreffende Reife des Klassenbewußtseins sich offenbart, mit halb lethargischen Zuständen der Unbeweglichkeit, des alles Erduldens, der bloß unterirdischen Weiterentwicklung steht hier ein bewußtes Betonen der Beziehung des "Endzieles" zu dem gegenwärtig aktuellen und notwendigen Handeln [4] gegenüber. Das Prozeßartige, das Dialektische des Klassenbewußtseins wird also in der Theorie der Partei zur bewußt gehandhabten Dialektik. " (S. 330)
" Denn diese Anschmiegung der Taktik der kommunistischen Partei an jene Momente des Lebens der Klasse, in denen gerade das richtige Klassenbewußtsein sich - wenn auch vielleicht in falscher Form - emporzuringen scheint, bedeutet keineswegs, daß sie nun unbedingt bloß den augenblicklichen Willen der Massen zu erfüllen gewillt wäre. Im Gegenteil. Gerade weil sie den höchsten Punkt des objektiv-revolutionär Möglichen zu erreichen bestrebt ist - und das augenblickliche Wollen der Masse ist oft der wichtigste Teil, das wichtigste Symptom hierfür -, ist sie zuweilen gezwungen, gegen die Massen Stellung zu nehmen; ihnen den richtigen Weg durch Negation ihres gegenwärtigen Wollens zu zeigen. Sie ist gezwungen, darauf zu rechnen, daß das Richtige an ihrer Stellungnahme den Massen erst post festum, nach vielen bitteren Erfahrungen begreiflich wird. " (S. 331)
" Aber weder diese noch jene Möglichkeit der Zusammenarbeit mit den Massen darf zum allgemeinen taktischen Schema verallgemeinert werden. Die Entwicklung des proletarischen Klassenbewußtseins (also: die Entwicklung der proletarischen Revolution) und die der kommunistischen Partei sind zwar - weltgeschichtlich betrachtet - ein und derselbe Prozeß. Sie bedingen sich also in der Praxis des Alltags wechselseitig in der innigsten Weise, ihr konkretes Wachstum erscheint aber dennoch nicht als ein und derselbe Prozeß, ja er kann nicht einmal eine durchgehende Parallelität aufzeigen. Denn die Art, wie dieser Prozeß sich abspielt, in welcher Form gewisse objektiv-ökonomische Veränderungen im Bewußtsein des Proletariats verarbeitet werden und vor allem, wie sich innerhalb dieser Entwicklung die Wechselwirkung von Partei und Klasse gestaltet, läßt sich nicht auf schematisierte "Gesetzmäßigkeiten" zurückzuführen. " (S. 331f)
" Wie weit sich diese Typologie der Parteibildung auch verzweigen mag, wie sehr in gewissen extremen Fällen der Schein entstehen könnte, als würde die kommunistische Partei organisch-"gesetzmäßig" aus der Wirtschaftskrise herausgewachsen, der entscheidende Schritt, die bewußte, innerlich-organisatorische Zusamenfassung der revolutionären Vorhut, also das wirkliche Entstehen einer wirklichen kommunistischen Partei, bleibt doch die bewußte und freie Tat dieser bewußten Vorhut selbst. An diesem Tatbestand ändert nichts, um nur zwei extreme Fälle zu nehmen, ob eine relativ kleine, innerlich gefestigte Partei sich in Wechselwirkung mit den breiten Schichten des Proletariats zur großen Massenpartei entfaltet oder aus der spontan entstandenen Massenpartei - nach manchen inneren Krisen eine kommunistische Massenpartei wird. " (S. 332)
" ... wie es verhängnisvoll wäre, zu glauben, daß die beste Aktion der größten und bestorganisierten kommunistischen Partei mehr erreichen könnte, als das Proletariat, für ein Ziel, das es selbst - wenn auch nicht ganz bewußt - anstrebt, in der richtigen Weise in den Kampf zu führen. Es wäre freilich ebenfalls falsch, den Begriff des Proletariats auch hier bloß statisch-statistisch zu nehmen; "der Begriff der Masse ändert sich eben im Laufe des Kampfes" sagt Lenin. Die kommunistische Partei ist eine - im Interesse der Revolution - selbständige Gestalt des proletarischen Klassenbewußtseins. Es gilt, sie in dieser doppelten, dialektischen Beziehung: zugleich als Gestalt dieses Bewußtseins, wie als Gestalt dieses Bewußtseins, also zugleich in ihrer Selbständigkeit und ihrem Zugeordnetsein theoretisch richtig zu begreifen. " (S. 332f)

5.

" Diese genaue, wenn auch stets wechselnde, den Umständen angepaßte Trennung des taktischen von dem organisatorischen Zusammengehen in der Beziehung von Partei und Klasse nimmt als inneres Problem der Partei die Form der Einheit der taktischen und organisatorischen Fragen auf. " (S. 333)
 
[Einheit von Taktik und Organisation]
" Einerseits setzt die Möglichkeit, daß eine von der Partei angestrebte Taktik sich in den Massen auswirke, ihr Sichauswirken innerhalb der Partei voraus. Nicht nur in einem mechanischen Sinne der Disziplin, daß die einzelnen Teile der Partei sich fest in den Händen der Zentrale befinden, daß sie als wirkliche Glieder eines Gesamtwillens nach außen wirken. Sondern gerade darin, daß die Partei ein derart einheitliches Gebilde wird, in dem sich jede Umstellung der Kampfrichtung als Umgruppierung aller Kräfte, jede Veränderung der Einstellung sich bis auf das einzelne Parteimitglied auswirkt; in dem also die Empfindlichkeit der Organisation für Richtungsänderungen, für Erhöhung der Kampftätigkeit, für Rückzug usw. aufs äußerste gesteigert ist. Daß dies keinen "Kadavergehorsam" sie die Möglichkeit einer gesunden, die Aktionsfähigkeit steigernden Selbstkritik am meisten befördert. " (S. 333f)
" Denn wird die Taktik von der Organisation getrennt, wird in beiden nicht derselbe Entwicklungsprozeß des proletarischen Klassenbewußtseins erblickt, so ist es unvermeidlich, daß der Begriff der Taktik dem Dilemma von Opportunismus und Putschismus verfällt: daß die "Aktion" entweder eine isolierte Tat der "bewußten Minderheit" zur Ergreifung der Macht, oder etwas bloß den Tageswünschen der Massen angepaßtes, etwas "Reformistisches" bedeutet, während der Organisation bloß die technische Rolle der "Vorbereitung" der Aktion zukommt. (Die Auffassung von Serrati und seinen Anhängern sowie die von Paul Levi stehen auf dieser Stufe.) Die Permanenz der revolutionären Lage bedeutet aber keineswegs, daß die Machtergreifung seitens des Proletariats in jedem Augenblick möglich wäre. Sie bedeutet nur soviel, daß infolge der objektiven Gesamtlage der Ökonomie jeder Änderung dieser Lage, jeder von ihr verursachten Bewegung in den Massen eine revolutionär wendbare Tendenz innewohnt, die im Proletariat zur Weiterentwicklung seines Klassenbewußtseins ausgewertet werden kann. In diesem Zusammenhang ist aber die innere Weiterentwicklung der selbständigen Gestalt dieses Klassenbewußtseins, der kommunistischen Partei ein Faktor allerersten Ranges. " (S. 334f)
" Die Richtigkeit des revolutionären Marxismus ist dementsprechend in einer objektiv revolutionären Lage viel mehr, als die bloß "allgemeine" Richtigkeit einer Theorie. Eben weil sie ganz aktuell, ganz praktisch geworden ist, muß die Theorie zum Wegweiser für jeden einzelnen Schritt des Alltags werden. Dies ist jedoch nur möglich, wenn die Theorie ihren rein theoretischen Charakter völlig ablegt, wenn sie rein dialektisch wird, d.h. jeden Gegensatz des Allgemeinen und des Besonderen, des Gesetzes und des ihm "subsumierten" Einzelfalles, also des Gesetzes und seiner Anwendung und damit zugleich jeden Gegensatz von Theorie und Praxis praktisch aufhebt. Während die auf Verlassen der dialektischen Methode beruhende Taktik und Organisation der Opportunisten der "Realpolitik" den Forderungen des Tages darin genug tut, daß sie die Festigkeit der theoretischen Grundlegung aufgibt, andererseits aber gerade in ihrer Alltagspraxis der erstarrenden Schematik ihrer verdinglichten Organisationsformen und ihrer taktischen Routine anheimfällt, muß die kommunistische Partei gerade die dialektische Spannung des Festhaltens des "Endzieles" in der genausten Anschmiegung an die konkreten Gebote der Stunde in sich lebendig erhalten und bewahren. Für jeden einzelnen würde diese eine "Genialität" voraussetzen, auf die eine revolutionäre Realpolitik niemals rechnen kann. " (S. 335f)
" Denn diese Einheit von Taktik und Organisation, die Notwendigkeit, daß jede Anwendung der Theorie, jeder taktische Schritt sofort organisatorisch gewendet wird, ist das bewußt angewendete Korrektivprinzip gegen die dogmatische Erstarrung, der jede Theorie - von im Kapitalismus aufgewachsenen Menschen mit verdinglichtem Bewußtsein angewendet - unaufhörlich ausgesetzt ist. Dies Gefahr ist um so größer, als ja dieselbe kapitalistische Umwelt, die diese Schematisierung des Bewußtseins hervorbringt, in ihrem gegenwärtigen krisenhaften Zustand immer neue Formen aufnimmt und für ein schematisches Erfassen immer unerreichbarer wird. Was also heute richtig ist, kann morgen falsch sein. Was bis zu einer bestimmten Intensität heilbringend ist, kann etwas darüber oder darunter verhängnisvoll werden. " (S. 336)
" Denn der Kampf gegen die Einwirkungen des verdinglichten Bewußtseins ist selbst ein langwieriger und hartnäckige Kämpfe erfordernder Prozeß, in dem man sich weder auf eine bestimmte Form solcher Einwirkungen, noch auf die Inhalte bestimmter Erscheinungen festlegen darf. Aber die Herrschaft des verdinglichten Bewußtseins über die heute lebenden Menschen wirkt gerade in solchen Richtungen. Wird die Verdinglichung an einem Punkt überwunden, so entsteht augenblicklich die Gefahr, daß der Bewußtseinszustand dieser Überwindung zu einer neuen ebenfalls verdinglichten - Form erstarrt. Gilt es etwa für die Arbeiter, die im Kapitalismus leben, den Wahn zu überwinden, als bildeten die Wirtschafts- und Rechtsformen der bürgerlichen Gesellschaft die "ewige" die "vernunftgemäße" die "natürliche" Umwelt des Menschen, gilt es also, die übermäßige Achtung, die sie vor ihrer gewohnten gesellschaftlichen Umwelt empfinden, zu brechen, so kann nach Übernahme der Macht, nach dem Niederwerfen der Bourgeoisie im offenen Klassenkampf der so entstehende "kommunistische Hochmut", wie ihn Lenin genannt hat, ebenso gefährlich werden, wie früher der menschewistische Kleinmut der Bourgeoisie gegenüber gewesen ist. " (S. 336)
" Es müssen nur, da jede Erwartung einer inneren Umwandlung der Menschen, solange der Kapitalismus besteht, eine utopistische Illusion wäre, organisatorische Vorkehrungen und Garantien gesucht und gefunden werden, die geeignet sind, den verderbnisbringenden Folgen dieser Sachlage entgegenzuarbeiten, ihr unvermeidliches Auftreten sofort zu korrigieren, die dadurch entstandenen Auswüchse auszumerzen. Der theoretische Dogmatismus ist ja nur ein Spezialfall jener Erstarrungserscheinungen, denen jeder Mensch und jede Organisation in der kapitalistischen Umwelt ununterbrochen ausgesetzt ist. " (S. 337)
" Diese Tendenzen müssen auch in der kommunistischen Partei, die ja niemals mit dem Anspruch aufgetreten ist, die ihr angehörenden Menschen durch ein Wunder innerlich zu verwandeln, weiterwirken. Um so mehr, als die Notwendigkeiten des zweckmäßigen Handelns jeder kommunistischen Partei ebenfalls eine weitgehende sachliche Arbeitsteilung aufzwingen, die notwendig diese Gefahren der Erstarrung, des Bureaukratismus, der Korruption usw. in sich birgt. " (S. 338)
" Das innere Leben der Partei ist ein ständiges Ankämpfen gegen diese ihre kapitalistische Erbschaft. Das entscheidende organisatorische Kampfmittel kann nur die Heranziehung der Parteimitglieder in ihrer Gesamtpersönlichkeit zur Parteitätigkeit sein. Nur wenn die Funktion in der Partei kein Amt ist, das ja eventuell mit voller Hingebung und Gewissenhaftigkeit, aber doch nur als Amt ausgeübt wird, sondern die Aktivität aller Mitglieder sich auf alle nur möglichen Arten der Parteiarbeit bezieht; wenn diese Tätigkeit noch dazu je nach den sachlichen Möglichkeiten abgewechselt wird, kommen die Mitglieder der Partei mit ihrer Gesamtpersönlichkeit in eine lebendige Beziehung zu der Totalität des Parteilebens und der Revolution, hören sie auf, bloße Spezialisten zu sein, die notwendig der Gefahr der inneren Erstarrung unterworfen sind. " (S. )
" Es muß zugleich eine Umstellung der Funktionärshierarchie in der Partei erfolgen; die Personenauswahl muß der neuen Kampfweise genau angepaßt werden. [6] Dies läßt sich selbstredend weder ohne "Fehler" noch ohne Krisen verwirklichen. Die kommunistische Partei wäre eine phantastisch-utopische selige Insel im Meere des Kapitalismus, wenn ihre Entwicklung nicht ständig diesen Gefahren unterworfen wäre. Das entscheidend Neue an ihrer Organisation ist nur, daß sie in bewußter, in ständig bewußterer Form gegen diese innere Gefahr ankämpft. " (S. 339)
" Eben dadurch, daß jeder Entschluß der Partei sich in Handlungen sämtlicher Mitglieder der Partei auswirken muß, daß aus jeder Parole Taten der einzelnen Mitglieder zu folgen haben, in denen diese ihre ganze physische und moralische Existenz aufs Spiel setzen, sind sie nicht nur in der Lage, sondern geradezu gezwungen, mit ihrer Kritik sofort einzusetzen; ihre Erfahrungen, ihre Bedenken usw. augenblicklich zur Geltung zu bringen. Besteht die Partei aus einer bloßen, von den Massen der gewöhnlichen Mitglieder isolierten Funktionärshierarchie, deren Handlungen gegenüber jenen im Alltag nur eine Zuschauerrolle zukommt, ist das Handeln der Partei als Ganzes nur ein gelegentliches, so entsteht in den Mitgliedern eine gewisse, aus blindem Vertrauen und Apathie gemischte Gleichgültigkeit den Alltagshandlungen der Partei gegenüber. Ihre Kritik kann bestenfalls eine Kritik post festum (auf Kongressen usw.) sein, die selten einen bestimmenden Einfluß auf die wirkliche Richtung der Handlungen in der Zukunft ausübt. Dagegen ist die tätige Teilnahme aller Mitglieder an dem Alltagsleben der Partei, die Notwendigkeit, sich mit ihrer Gesamtpersönlichkeit für jede Aktion der Partei einzusetzen, das einzige Mittel, das einerseits die Parteileitung dazu zwingt, ihre Entschlüsse den Mitgliedern wirklich verständlich zu machen, sie von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, da sie sie sonst unmöglich richtig durchführen könnten. " (S. 339)
" Die Freiheit ist eben - wie das schon die klassische deutsche Philosophie erkannt hat etwas Praktisches, eine Tätigkeit. Und nur indem die kommunistische Partei zu einer Welt der Tätigkeit für jedes ihrer Mitglieder wird, kann sie die Zuschauerrolle des bürgerlichen Menschen der Notwendigkeit des unbegriffenen Geschehens gegenüber und ihre ideologische Form, die formelle Freiheit der bürgerlichen Demokratie wirklich überwinden. Die Trennung der Rechte von den Pflichten ist nur bei der Trennung der aktiven Führer von der passiven Masse, bei dem stellvertretenden Handeln der Führer für die Masse, also bei einer fatalistisch-kontemplativen Handlung der Masse möglich. Die wahre Demokratie, die Aufhebung der Trennung der Rechte von den Pflichten ist aber keine formelle Freiheit, sondern eine innigst verknüpfte, solidarische Tätigkeit der Glieder eines Gesamtwillens. " (S. 340)
" Die viel verlästerte und verleumdete Frage der "Säuberung" der Partei ist nur die negative Seite desselben Problems. Auch hier - wie in allen Fragen - mußte der Weg von der Utopie zur Wirklichkeit zurückgelegt werden. So hat sich z.B. die Forderung der 21 Bedingungen des II. Kongresses, daß jede legale Partei von Zeit zu Zeit solche Säuberungen vorzunehmen habe, als eine utopische Forderung, die mit der Entwicklungsphase der entstehenden Massenparteien des Westens unvereinbar ist, erwiesen. " (S. 340)
" Die Entwicklung der russischen Partei zeigt aber in großartiger Form die praktische Bedeutung dieser Frage; u.z. wie dies abermals aus der unzertrennbaren Einheit von Taktik und Organisation folgt, nicht nur für das innere Leben der Partei selbst, sondern auch für ihre Beziehung zu den breiten Massen aller Werktätigen. Die Reinigung der Partei ist in Rußland je nach den verschiedenen Etappen der Entwicklung in sehr verschiedenen Weisen erfolgt. Bei der letzten, die im Herbst vorigen Jahres durchgeführt wurde, wurde vielfach das äußerst interessante und bedeutsame Prinzip eingeführt, daß die Erfahrungen und Urteile der parteilosen Arbeiter und Bauern verwertet wurden, daß diese Massen zu der Arbeit der Reinigung der Partei herangezogen worden sind. Nicht als ob die Partei nunmehr jedes Urteil dieser Massen blindlings angenommen hätte, aber doch soweit, daß ihre Anregungen und Ablehnungen bei dem Ausscheiden der korrupten, der verbureaukratisierten, von den Massen entfremdeten und revolutionär unzuverlässigen Elementen weitgehende Berücksichtigung fanden. [7] " (S. 341)
" So wie die Partei als Ganzes die verdinglichten Trennungen nach Nationen, Berufen usw., nach Erscheinungsformen des Lebens (Wirtschaft und Politik) durch ihr auf revolutionäre Einheit und Zusammenfassung gerichtetes Handeln aufhebt, um die wahre Einheit der proletarischen Klasse herzustellen, so zerreißt sie für ihr einzelnes Mitglied, gerade durch ihre straff zusammenfassende Organisation, durch die aus ihr folgende eiserne Disziplin, durch die Forderung des Einsatzes der Gesamtpersönlichkeit die verdinglichten Hüllen, die in der kapitalistischen Gesellschaft das Bewußtsein des Einzelnen umnebeln. Daß dies ein langwieriger Prozeß ist, daß wir erst an seinem Anfang stehen, kann und darf uns nicht daran verhindern, bestrebt zu sein: das Prinzip, das hier in Erscheinung tritt, das nahende "Reich der Freiheit" als Forderung für den klassenbewußten Arbeiter in der heute möglichen Klarheit zu erkennen. Gerade weil das Entstehen der kommunistischen Partei nur das bewußt getane Werk der klassenbewußten Arbeiter sein kann, ist hier jeder Schritt in der Richtung auf richtige Erkenntnis zugleich ein Schritt der Verwirklichung entgegen. " (S. 341f)

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