Beschreibung | |
Team: | Peter/Hendrik |
Thema: | Ernst Lohoff: 'Die Kategorie der abstrakten Arbeit und ihre historische Entfaltung' |
Quelle: | original in der KRISIS seiten / aus Marxistische Kritik Nr. 1, März 1986 / bei mir lokal~47kB |
Art : | kategoriale bestimmung in hinblick auf Kurz' 'Abstrakte Arbeit und Sozialismus' |
Version: | 1.lesung |
Letzte bearbeitung: | 12.12.99 |
Wenn wir in “orthodoxer” Manier, von einer abstrakten Marxschen Realkategorie aus, uns bis zu den neueren Umstrukturierungen der Arbeiterklasse vorzutasten suchen, wenn wir skizzieren, wie sich diese Kategorie in der Geschichte entfaltet,
Während die Dialektik, das Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten, die Entfaltung der Begriffslogik, die eigentliche Essenz des Marxschen Werkes ausmacht, gilt sie vielen der heutigen Marxjünger als dessen Privatmarotte, als Relikt seiner philosophischen Vorgeschichte.
Marx hingegen ging es immer und wesentlich um den Zusammenhang zwischen begrifflich-logischer und historischer Entfaltung des Kapitals. Die von ihm erarbeiteten Kategorien bestimmen das Kapital in seiner prozeßhaften Entwicklung.
Die Entfaltung des Kapitalverhältnisses und die Tendenz, Arbeit als immer abstrakter zu setzen, fallen zusammen: “Dies ökonomische Verhältnis - der Charakter, den Kapital und Arbeit als Extreme eines Produktionsverhältnisses tragen - wird daher desto reiner und adäquater entwickelt,je mehr die Arbeit allen Kunstcharakter verliert; ihre besondere Fertigkeit immer mehr etwas Abstraktes, Gleichgültiges wird, und sie mehr und mehr rein abstrakte Tätigkeit, rein mechanische, daher gleichgültige, gegen ihre besondere Form indifferente Tätigkeit wird; bloß formelle Tätigkeit oder, was dasselbe ist, bloß stoffliche Tätigkeit überhaupt, gleichgültig gegen die Form” (Grundrisse S.204).
Erst die Maschinerie macht die Arbeit auch stofflich abstrakt, denn “mit dem Arbeitswerkzeug geht auch die Virtuosität in seiner Führung vom Arbeiter auf die Maschine über” (MEW Band 23 S.442).
Die Wissenschaft, die die unbelebten Glieder der Maschinerie zwingt durch ihre Konstruktion zweckmäßig als Automaten zu wirken, existiert nicht im Bewußtsein des Arbeiters, sondern wirkt durch die Maschine als fremde Macht auf ihn, als Macht der Maschine selbst. Die Aneignung der lebendigen Arbeit durch die vergegenständlichte Arbeit - die verwertende Kraft oder Tätigkeit durch den für sich seienden Wert -, die im Begriff des Kapitals liegt, ist in der auf Maschinerie beruhenden Produktion als Charakter des Produktionsprozesses selbst, auch seinen stofflichen Elementen und seiner stofflichen Bewegung nach gesetzt.
Gerade diese handwerkelnden Facharbeiterformationen waren das Rückgrat der proletarischen Kampfkraft und sie prägten die klassische Arbeiterbewegung tiefgreifend. Arbeitsstolz und die starke Stellung im Produktionsprozeß bestimmten sowohl die politischen Ausdrucksformen und Zielvorstellungen als auch die Organisationsformen. Es ist vor diesem Hintergrund kein Wunder, daß sich die landläufige Sozialismusvorstellung damals auf die ersatzlose Streichung der “parasitären Kapitalisten” beschränkte, während die Kritik am Wert und am Lohnfetisch keine nennenswerte Rolle spielte, genauso wenig wie eine Umgestaltung des Produktionsprozesses selber ins Auge gefasst wurde.
.. die Haupttendenz in der Geschichte des Kapitals die Entmachtung des unmittelbaren Produzenten, seine direkte Subsumtion unter den Maschinenprozeß. Mit der Ausbreitung des Taylorismus erfaßt diese Tendenz auch die traditionellen Facharbeitertypen und begann deren alte Grundlage zu zerstören.
Erst mit einer weitgehenden Ersetzung der mechanisierten Arbeit durch die Maschinerie tritt die lebendige Arbeit endgültig “neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein” (Grundrisse, S. 593). Erst damit ist der Produktionsprozeß durch und durch von der Anwendung der Naturwissenschaft geprägt. Die abstrakte Arbeit ändert mit diesem Schritt ihre Erscheinungsform.Waren für sie bisher in ihrer ausgeprägtesten Form entleerte, ständig wiederholte Handgriffe typisch, so wird ihr neues Hauptcharakteristikum ihre Äußerlichkeit zum Produktionsprozeß selber.
“An die Stelle der künstlich erzeugten Unterschiede der Teilarbeiter treten vorwiegend die natürlichen Unterschiede des Alters und des Geschlechts” (MEW 23 S.442). Eine ebenso große Bedeutung hat ein quasi-natürliches Merkmal, das Marx an dieser Stelle nicht erwähnte: die Nationalität.
Nun erst wird Marxens Prognose endgültig wahr. Die Verwissenschaftlichung der Produktion setzt die lebendige Arbeit in eine Stufe von Abstraktheit und Hilflosigkeit gegenüber der im Kapital komprimierten gesellschaftlichen Macht, die Anfang der 7oer Jahre noch undenkbar gewesen ist. Die auf die Spitze getriebene Vergesellschaftung der stofflichen Produktion erscheint auf Seiten der lebendigen Arbeit als deren restloses Abstraktwerden.
Die Naturwissenschaft als gesellschaftliches Ganzes wird zur allgemeinen stofflichen Basis der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums. Es sind in immer größeren Bereichen die selben wissenschaftlichen Erkenntnisse und deren analoge technische Übersetzung, “die als der große Grundpfeiler der Produktion des Reichtums” (Grundrisse S. 593) erscheinen. Für die konkreten Arbeitsprozesse hat dies zur Folge, daß sie einander in einem bisher unbekannten Maße angeglichen werden.
Damit wird die Dichotomie zwischen abstrakt menschlicher Arbeit und konkret nützlicher, die Marx im 1. Kapitel des Kapitals einführt, ausgehöhlt. Wenn dort in der Marxschen Analyse der gesellschaftliche Charakter der Produkte sich nur darin äußert, daß sie Gebrauchswerte nicht für ihren Produzenten, sondern für andere sind, er also für den Markt produziert und seine Arbeit als gesellschaftliche Arbeit nur in der Zirkulation, also auf der Seite des Tauschwerts erscheint, während sie gleichzeitig als konkret nützliche Arbeit Privatarbeit bleibt, so wird dieses Verhältnis nun gründlich zerschlagen. Die Arbeit ist nunmehr gesellschaftliche Arbeit nicht nur im Hinblick auf den Tauschwert, sie ist vergesellschaftet auch auf der stofflichen Seite in der Produktion der Gebrauchswerte.
Das treibende Moment des Produktionsprozesses ist nicht länger die konkret in ein Produkt verausgabte Arbeit, sondern die Anwendung einer von vornherein gesellschaftlichen Potenz,der Naturwissenschaft. Wenn die Produkte stofflich gesellschaftlich werden, also Produkte einer gesellschaftlichen Gesamtproduktivkraft, so verlieren auch die Arbeitsabläufe ihre Verbindung zum gerade produzierten besonderen Gebrauchswert, können selber nicht länger in Besonderung verharren und werden austauschbar. Die konkreten Arbeiten sind restlos unter die vergesellschaftete Produktivkraft subsumiert. Marx entfaltet begrifflich schon in den Grundrissen diesen Zusammenhang, der historisch erst heute Konturen gewinnt und das Wertgesetz in die Luft sprengen muß: “Es ist nicht mehr der Arbeiter, der modifizierten Naturgegenstand als Mittelglied zwischen das Objekt und sich einschiebt; sondern der Naturprozeß, den er in einen industriellen verwandelt, schiebt er als Mittel zwischen sich und die unorganische Natur, deren er sich bemeistert.Er tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eigenen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper - in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffene. Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert (das Maß) des Gebrauchswerts. Die Surplusarbeit der Masse hat aufgehört, Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes. Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen” (Grundrisse S. 592/593).
Das Kapital zerstört selber den Wert, seine logische Grundlage. Die sich anbahnende langatmige Krise des Kapitals fußt letztlich in nichts anderem als dem historischen Ende seiner grundlegenden Kategorie.
Mir kommt es hier auf zweierlei an. Erstens will ich nachweisen, daß die Marxschen Kategorien gerade für die Analyse der modernen Umstrukturierungsprozesse des zeitgenössischen Kapitalismus ein geeignetes analytisches Instrumentarium abgeben und zweitens - und das hängt damit engstens zusammen - aufzeigen, daß die so gerne beklagten und hier angedeuteten Phänomene, weit entfernt davon, die Logik des Kapitals und den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit außer Kraft zu setzen, im Gegenteil nichts anderes darstellen, als die auf die Spitze getriebene kapitalistische Logik, die dabei ist, den Sprengstoff zusammenzutragen und zu schichten, der sie selber in die Luft jagen wird.
Die produktive Kooperation sprengt den Rahmen des Einzelkapitals, erst recht des Einzelbetriebs und jagt dabei die geschlossenen überlieferten Arbeiterzusammenhänge gleich mit in die Luft. Deren Zersetzung ist nur die andere Seite der stofflichen Vergesellschaftung der Produktion durch deren Verwissenschaftlichung.
Eins ist klar: Die vom Kapital weitergetriebene Vergesellschaftung zwingt die zukünftigen proletarischen Kämpfe, wollen sie mehr sein als bloße Karikatur, auf einem Niveau von Allgemeinheit zu beginnen, das der traditionellen Arbeiterbewegung auch in ihren entwickelteren Formen fremd geblieben ist. So ist z.B. der internationalistische Charakter einer neuen Arbeiterbewegung von vornherein als unumgängliche Notwendigkeit gesetzt und nicht wie einst bloß moralischer Anspruch. Ähnliches gilt aber genauso innerhalb der einzelnen Nationen und ihren Märkten; und auch die politische Seite (Staatseingriffe usw.) ist enger an die ökonomischen Kämpfe angeschlossen denn je. Der traditionellen Trennung von politischen und ökonomischen Kämpfen bietet sich objektiv wenig Raum. Vor diesem Hintergrund verschiebt sich die Dialektik von Spontaneität und Organisation, und die theoretische Seite des Kampfes wird zur conditio sine qua non.