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Team | Peter Heilbronn | ||||||
Thema | Zu: Methodisches zur Organisationsfrage ( excerpt ) | ||||||
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"
Diese "Unbewußtheit" in den Organisationsfragen ist aber ganz bestimmt ein
Zeichen der Unreife der Bewegung. Denn Reife oder Unreife lassen sich eigentlich
nur daran ermessen, ob eine Einsicht oder Einstellung über das, was zu tun ist,
für das Bewußtsein der handelnden Klasse und ihrer führenden Partei in einer
abstrakt-unmittelbaren oder konkret-vermittelten Form vorhanden ist.
"
(S. 298f)
| [Reife der Bewegung] |
"
Was sie zu bloßen Utopisten macht, ist, daß sie ihn nur als Tatsache, oder
höchstens als zur Lösung aufgegebenes Problem zu sehen imstande sind, ohne zur
Einsicht gelangen zu können, daß gerade hier, gerade im Problem selbst, sowohl
die Lösung, wie der Weg zur Lösung mitgegeben sind. So "sehen sie im Elend nur
das Elend, ohne die revolutionäre umstürzende Seite darin zu erblicken, welche
die alte Gesellschaft über den Haufen werfen wird". [1]
"
(S. 299)
"
Denn es wäre eine utopistische Illusion, zu glauben, daß die Überwindung des
Utopismus durch die gedankliche Überwindung seiner ersten primitiven
Erscheinungsform, die Marx hier vollzogen hat, für die revolutionäre
Arbeiterbewegung bereits vollbracht worden ist. Diese Frage, die letzten Endes
die Frage der dialektischen Beziehung von "Endziel" und "Bewegung", die Frage
der Beziehung von Theorie und Praxis ist, wiederholt sich in immer
entwickelterer Form, allerdings mit stets wechselnden Inhalten, auf jeder
enscheidenden Stufe der revolutionären Entwicklung. Denn eine Aufgabe wird in
ihrer abstrakten Möglichkeit immer früher sichtbar, als die konkreten Formen
ihrer Verwirklichung. Und die Richtigkeit oder Falschheit der Fragestellungen
wird eigentlich erst wirklich diskutabel, wenn dieses zweite Stadium erreicht
ist, wenn jene konkrete Totalität erkennbar wird, die Umwelt und Weg zu ihrer
Verwirklichung zu sein bestimmt ist.
"
- verbunden mit einer konkreten historischen Situation
"
So ist der Generalstreik in den ersten Debatten der II. Internationale eine rein
abstrakte Utopie gewesen, die erst durch die erste russische Revolution, durch
den belgischen Generalstreik usw. die Umrisse einer konkreten Form erlangt hat.
So mußten jedes Jahr des akut revolutionären Kampfes vergehen, bevor der
Arbeiterrat seinen utopisch-mythologischen Charakter als Allheilmittel für alle
Fragen der Revolution verloren hat und als das, was er ist, für das
außerrussische Proletariat sichtbar wurde.
"
Diese erklärt den Utopismus.
| [Revolutionärer Utopismus] |
"
Gerade die Fragen der Organisation sind am längsten in einem solchen utopischen
Halbdunkel geblieben. Dies ist kein Zufall. Denn die Entwicklung der großen
Arbeiterparteien vollzog sich zumeist in Zeiten, in denen die Frage der
Revolution nur als eine sämtliche Handlungen des täglichen Lebens unmittelbar
bestimmende Frage galt.
"
"
Erst wenn die Revolution zur Tagesfrage geworden ist, wird die Frage der
revolutionären Organisation mit gebieterischer Notwendigkeit ins Bewußtsein der
Massen und ihrer theoretischen Wortführer gerückt.
"
(S. 300)
Aber es gibt keine mechanische Vermittlung als unbedingte Notwendigkeit aus
einer Situation, es geht um das bewusste und die Praxis in ihrer Einheit.
"
Aber auch dann bloß allmählich. Denn selbst die Tatsache der Revolution, selbst
die Notwendigkeit, zu ihr als aktueller Tagesfrage Stellung zu nehmen, wie dies
zur Zeit und nach der ersten russischen Revolution der Fall war, konnte hier
keine richtige Einsicht erzwingen.
"
| [Erst Revolution gebärt die konkrete Revolutionäre Theorie, wenn auch nicht unbedingt.] |
"
Denn die russische Revolution hat die Grenzen der westeuropäischen
Organisationsformen klar enthüllt. Das Problem der Massenaktionen, des
revolutionären Massenstreiks zeigt ihre Ohnmacht den spontanen Bewegungen der
Massen gegenüber; erschüttert die opportunistische Illusion, die in dem Gedanken
der "organisatorischen Vorbereitung" solcher Aktionen steckt; erweist, daß
solche Organisationen den realen Aktionen der Masse stets nur nachhinken, sie
hemmen und hindern, statt sie fördern oder gar führen zu können.
"
| [Spontane Massen vs. Leitung.] |
"
Denn die Organisation ist die Form der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis.
Und wie in jedem dialektischen Verhältnis erlangen auch hier die Glieder der
dialektischen Beziehung erst in und durch ihre Vermittlung Konkretion und
Wirklichkeit. Dieser Theorie und Praxis vermittelnde Charakter der Organisation
zeigt sich am deutlichsten darin, daß die Organisation für voneinander
abweichende Richtungen eine viel größere, feinere und sicherere Empfindlichkeit
zeigt, als jedes andere Gebiet des politischen Denkens und Handelns.
"
(S. 302)
Sowohl bloße Aktion als auch bloße Meinung sind ungenügend, da die Vermittlung
fehlt.
"
Eine Fragestellung aber, die die Erkenntnis einer Aktion, als die Erkenntnis
ihrer Lehren für die Zukunft, als Antwort auf die Frage: "was nun zu tun sei?"
auffaßt, stellt das Problem bereits organisatorisch. Sie versucht, in der
Erwägung der Lage, in der Vorbereitung und Führung der Aktion jene Momente
aufzufinden, die von der Theorie notwendig zu einem ihr möglichst
angemessenen
Handeln geführt haben; sie sucht also die wesentlichen Bestimmungen auf,
die
Theorie und Praxis verbinden.
"
| [Vermittlung von Theorie und Praxis,'was nun zu tun sei?'] |
"
Die Anschauung von der abstrakten "Notwendigkeit" des Geschehens führt Zum
Fatalismus; die bloße Annahme, daß "Fehler" oder Geschicklichkeit Einzelner das
Gelingen oder Versagen verursacht haben, kann wiederum für das kommende Handeln
keine entscheidend fruchtbaren Lehren bieten. Es wird von diesem Standpunkt doch
als mehr oder weniger "zufällig" erscheinen müssen, daß gerade dieser oder jener
an diesem oder jenem Punkt gestanden ist, diesen oder jenen Fehler gemacht hat
usw.
"
"
Wird aber diese Frage über das bloß Einzelne und Zufällige hinausgetrieben, wird
in dem richtigen oder fehlerhaften Handeln einzelner Personen zwar eine
mitbestimmende Ursache des ganzen Komplexes erblickt, aber darüber hinaus
der
Grund untersucht, welche die objektiven Möglichkeiten ihres Handelns und die
objektiven Möglichkeiten der Tatsache waren, daß gerade diese Personen auf
diesen Posten standen usw. - so ist die Frage bereits wieder organisatorisch
gestellt. [5]
"
"
Freilich kann der "Fehler" in der Theorie, in der Zielsetzung oder in der
Erkenntnis der Lage selbst liegen. Jedoch nur eine organisatorisch orientierte
Fragestellung macht es möglich, die Theorie vom Gesichtspunkt der Praxis aus
wirklich zu kritisieren. Wird die Theorie unvermittelt neben eine Aktion
gestellt, ohne daß es klar würde, wie ihre Einwirkung auf jene gemeint ist, also
ohne die organisatorische Verbindung zwischen ihnen klar zu machen, so kann die
Theorie selbst nur in bezug auf ihre immanenten theoretischen Widersprüche usw.
kritisiert werden. Diese Funktion der organisatorischen Fragen macht es
verständlich, daß der Opportunismus seit jeher die größte Abneigung dagegen
empfand, aus theoretischen Differenzen organisatorische Folgerungen zu
ziehen.
"
| [Fehler und Selbstkritik] |
{ Auf die Fragen der innerparteiliche Disziplin und den Umgang mit anderen Meinungen wird später noch eingegangen, ist aber gerade bezüglich der real existierenden Arbeiterparteien, ihrer Dogamitisierung und Bürokratisiertung ein haariger Punkt, der größte Aufmerksamkeit verlangt. Denn diese Art von Parei hat uns dem Ziel der kommunistischen Bewegung nicht nur nicht näher gebracht, sondern viel eher ihr auf verschiedenste Weise entgegengewirkt. (d.V.)}
"
Das für diesen Zusammenhang Wesentliche solcher Gedankengänge läßt sich am
besten als die Illusion einer "organischen" rein proletarischen
Revolution
zusammenfassen. Im Kampfe gegen die opportunistische, "organische"
Entwicklungslehre, daß das Proletariat allmählich, durch langsames Wachsen die
Majorität der Bevölkerung erobern und so mit rein legalen Mitteln die Macht
erringen wird [2], ist eine revolutionär "organische" Theorie der spontanen
Massenkämpfe entstanden.
"
(S. 306)
"
Diese Theorie hat aber damit den rein proletarischen Charakter der Revolution
zur
stillschweigenden Voraussetzung gemacht. Freilich ist etwa Rosa Luxemburgs
Auffassung vom Umfang des Begriffes "Proletariat" eine ganz andere, als die der
Opportunisten.
"
(S. 306)
"
Trotzdem liegt aber auch dieser Konzeption der rein proletarische Charakter der
Revolution zugrunde. Einerseits erscheint das Proletariat einheitlich auf dem
Schlachtplan, andererseits sind jene Massen, deren Aktionen behandelt werden,
rein proletarische Massen. Und so muß es auch sein. Denn nur im
Klassenbewußtsein des Proletariats kann die richtige Einstellung auf das
revolutionäre Handeln so tief verankert, so tief instinktiv verwurzelt sein, daß
nur ein Bewußtmachen, eine klare Führung vonnöten ist, um das Handeln selbst auf
dem richtigen Wege weiterzuführen.
"
(S. 306)
Es gilt, dass für andere Schichten in der Revolution
"
...keineswegs eine notwendige Richtung ihres Handelns auf die proletarische
Revolution hin vorgezeichnet ist, noch sein kann.
"
(S. 307)
Eine so gedachte Partei muß scheitern.
"
Sondern es handelt sich darum, daß das Klassenbewußtsein des Proletariats sich
nicht parallel mit der objektiven ökonomischen Krise, gradlinig und im ganzen
Proletariat in gleicher Weise entwickelt. Das große Teile des Proletariats
geistig unter dem Einflusse der Bourgeoisie bleiben, daß die schärfste
Entwicklung der ökonomischen Krise sie nicht aus dieser Haltung herausreißt, daß
also das Verhalten des Proletariats, seine Reaktion auf die Krise an Heftigkeit
und Intensität weit hinter der Krise selbst zurückbleibt. [3]
"
(S. 307)
| [Scheitern einer idealistischen Parteikonzeption] |
"
Marx und Engels [4] haben schon sehr früh diese Entwicklung, die
Verbürgerlichung jener Arbeiterschichten beobachtet, die aus den Monopolprofiten
des damaligen Englands eine - ihren Klassengenossen gegenüber - bevorzugte
Stellung erhalten haben. Diese Schicht hat sich mit dem Eintritt in die
imperialistische Phase des Kapitalismus überall entwickelt und sie ist
zweifellos eine wichtige Stütze der allgemein opportunistischen,
revolutionsfeindlichen Entwicklung großer Teile der Arbeiterklasse geworden.
"
(S. 307f)
"
Auch hier bleibt vielfach die subjektive Entwicklung des Proletariats hinter dem
Tempo der objektiven Krise zurück, so daß man in diesem Motiv unmöglich die
alleinige Ursache des Menschewismus suchen darf, wenn man ihm nicht die
bequeme
theoretische Position einräumen will: aus dem Fehlen eines durchgehenden und
klaren Willens zur Revolution im Proletariate auf das Fehlen einer objektiv
revolutionären Lage schließen zu dürfen.Zweitens haben aber die Erfahrungen der
Revolutionskämpfe keineswegs eindeutig gezeigt, daß die revolutionäre
Entschlossenheit und der Kampfwille des Proletariats sich einfach nach der
ökonomischen Schichtung seiner Teile gliedern würde. Es zeigen sich hier große
Abweichungen von einer einfachen, gradlinigen Parallelität und große
Abweichungen der Reife des Klassenbewußtseins innerhalb ökonomisch
gleichgestellten Arbeiterschichten.
"
(S. 308)
| [Menschewismus - Verbürgerlichung von Arbeitern] |
"
Denn ein Zurückbleiben der proletarischen Ideologie hinter der ökonomischen
Krise, eine ideologische Krise des Proletariats ist - für solche Anschauungen -
etwas prinzipiell Unmögliches. Aber die Lage verändert sich auch dann nicht
wesentlich, wenn die Auffassung über die Krise - bei Beibehaltung des
ökonomistischen Fatalismus der Grundeinstellung - eine revolutionär
optimistische wird. D.h. wenn die Unvermeidlichkeit der Krise, die
Unvermeidlichkeit ihrer Auswegslosigkeit für den Kapitalismus festgestellt wird.
"
(S. 308)
"
In diesem Falle kann das hier behandelte Problem auch nicht als Problem
anerkannt
werden; nur aus dem "Unmöglich" wird ein "Noch nicht". Nun hat aber Lenin mit
großem Recht darauf hingewiesen, daß es keine Lage gibt, die an und für sich
auswegslos wäre. In welcher Lage immer der Kapitalismus sich befinden mag, es
werden sich stets "rein ökonomische" Lösungsmöglichkeiten zeigen; es fragt sich
nur, ob diese Lösungen, wenn sie aus der theoretisch reinen Welt der Ökonomie in
die Wirklichkeit der Klassenkämpfe heraustreten, dort auch durchführbar,
durchsetzbar werden.
"
(S. 308f)
| [Verhältnis Krise - proletarisches Bewußtsein] |
"
Freilich: daß dem Proletariate jetzt diese Macht in die Hände gegeben ist, ist
die Folge der "naturgesetzlichen" Entwicklung der Wirtschaft. Diese
"Naturgesetze" bestimmen aber nur einerseits die Krise selbst, geben ihr einen
Umfang und eine Ausdehnung, die eine "ruhige" Weiterentwicklung des Kapitalismus
unmöglich machen. Ihr ungehindertes Auswirken (im Sinne des Kapitalismus) würde
jedoch nicht zu seinem einfachen Untergang, zum Übergang in den Sozialismus
führen, sondern über eine lange Periode von Krisen, Bürgerkriegen und
imperialistischen Weltkriegen auf immer höherer Stufe, "zu dem gemeinsamen
Untergang der kämpfenden Klassen", in einen neuem Zustand der Barbarei.
"
(S. 309)
"
Andererseits haben diese Kräfte und ihre "naturgesetzliche" Entfaltung ein
Proletariat geschaffen, dessen physische wie ökonomische Gewalt für den
Kapitalismus sehr geringe Chancen gibt, nach dem Schema der früheren Krisen eine
rein ökonomische Lösung, eine Lösung, in der das Proletariat nur als
Objekt der
ökonomischen Entwicklung figuriert, zu erzwingen. Diese Macht des Proletariats
ist die Folge objektiv-ökonomischer "Gesetzmäßigkeiten". Die Frage jedoch, wie
diese mögliche Macht zur Wirklichkeit wird, wie das Proletariat, das heute
tatsächlich ein bloßes Objekt des Wirtschaftsprozesses ist und nur potentiell,
nur latent auch sein mitbestimmendes Subjekt, in Wirklichkeit als sein Subjekt
hervortritt, ist von diesen "Gesetzmäßigkeiten" mehr automatisch-fatalistisch
bestimmt.
"
(S. 309)
"
Sie brechen spontan aus (Die Spontaneität einer Bewegung ist nur der
subjektiv-massenpsychologische Ausdruck für ihre rein ökonomisch-gesetzmäßige
Determiniertheit), fast ausnahmslos als eine Abwehr gegen einen wirtschaftlichen
- seltener: politischen - Vorstoß der Bourgeoisie, gegen ihren Versuch, für die
Krise eine "rein ökonomische" Lösung zu finden. Sie hören aber ebenfalls spontan
auf, flauen ab, wenn ihre unmittelbaren Ziele als erfüllt oder als aussichtslos
erscheinen. Es scheint also, daß sie ihren "naturgesetzlichen" Ablauf bewahrt
haben.
"
(S. 309)
| [Objektive Notwendigkeit vs. wirklicher Umsetzung] |
"
Darum gewinnt die Erkenntnis von der bedeutsamen Rolle nicht proletarischer
Schichten in der Revolution, von ihrem nicht rein proletarischen Charakter eine
so entscheidende Bedeutung. Jede Minoritätsherrschaft kann sich nur dann halten,
wenn es ihr möglich ist, die nicht direkt und unmittelbar revolutionären Klassen
ideologisch ins Schlepptau zu bekommen, von ihnen eine Unterstützung ihrer Macht
oder wenigstens eine Neutralität in ihrem Machtkampfe zu erreichen. (Daß hierzu
das Bestreben tritt, Teile der revolutionären Klasse ebenfalls zu neutralisieren
usw., versteht sich von selbst.) Dies bezieht sich auf die Bourgeoisie in
besonders gesteigertem Maße. Sie hat die tatsächliche Gewalt viel weniger
unmittelbar in Händen, als es frühere herrschende Klassen (z.B. die Bürger der
griechischen Stadtstaaten, der Adel zur Blütezeit des Feudalismus) gehabt haben.
Sie ist viel stärker darauf angewiesen, einerseits mit den konkurrierenden, vor
ihr herrschenden Klassen Frieden oder Kompromisse zu schließen, um den von
diesen beherrschten Machtapparat für ihre eigenen Zwecke dienstbar machen zu
können und andererseits ist sie gezwungen, die tatsächliche Ausübung der Gewalt
(Armee, niedere Bureaukratie usw.) in die Hände von Kleinbürgern, Bauern,
Angehörigen unterdrückter Nationen usw. zu legen. Verschiebt sich nun infolge
der Krise die wirtschaftliche Lage dieser Schichten, wird ihr naiver und
undurchdachter Zusammenhalt zu dem von der Bourgeoisie geleiteten
Gesellschaftssystem erschüttert, so kann der ganze Herrschaftsapparat der
Bourgeoisie sozusagen auf einen Schlag auseinanderfallen: das Proletariat kann
als Sieger, als einzig organisierte Macht dastehen, ohne daß eine ernsthafte
Schlacht überhaupt geschlagen worden wäre, geschweige denn, daß das Proletariat
in ihr wirklich gesiegt hätte.
"
(S. 310)
"
Die Bewegungen dieser Zwischenschichten sind wirklich spontan und nur spontan.
Sie sind wirklich bloße Früchte von sich blind "naturgesetzlich" auswirkenden
gesellschaftlichen Naturmächten; und als solche sind auch sie selbst im
gesellschaftlichen Sinne - blind. Da diese Schichten kein auf die Umgestaltung
der ganzen Gesellschaft beziehbares und bezogenes Klassenbewußtsein haben [5];
da sie deshalb stets ausschließlich partikulare Klasseninteressen vertreten, die
nicht einmal scheinbar objektive Interessen der Gesamtgesellschaft sind; da ihre
objektive Verknüpfung mit dem Ganzen nur kausal, d.h. nur von den Verschiebungen
des Ganzen verursacht, nicht aber auf Veränderung des Ganzen gerichtet sein
kann; da deshalb ihre Richtung auf das Ganze und die ideologische Form, die
diese annimmt, einen zufälligen Charakter hat, wenn sie auch in ihrem Entstehen
als kausal-notwendig begriffen werden kann: ist das Sichauswirken dieser
Bewegungen von ihren äußerlichen Gründen bestimmt. Welche Richtung sie
schließlich annehmen, ob sie auf weitere Zersetzung der bürgerlichen
Gesellschaft ausgehen, ob sie wieder vom Bürgertum ausgenützt, ob sie nach
Ergebnislosigkeit ihrer Anläufe in Passivität versinken usw., ist nicht im
inneren Wesen dieser Bewegungen selbst vorgezeichnet, sondern hängt weitgehendst
vom Verhalten der bewußtseinsfähigen Klassen, von Bourgeoisie und Proletariat
ab.
"
(S. 310f)
| [Rolle der Zwischenschichten] |
"
Aber doch nur: die Tendenz. Und daß diese Tendenz, trotzdem die ökonomischen und
gesellschaftlichen Voraussetzungen ihrer Verwirklichung in mehreren Fällen
gegeben waren, sich doch nicht zur Wirklichkeit gesteigert hat: ist eben die
ideologische Krise des Proletariats. Diese ideologische Krise zeigt sich
einerseits darin, daß die objektiv äußerst prekäre Lage der bürgerlichen
Gesellschaft sich im Kopfe der Proletarier doch in der Form ihrer alten
Solidität spiegelt; daß das Proletariat vielfach noch immer sehr stark in den
Gedanken- und Gefühlsformen des Kapitalismus befangen bleibt. Andererseits
erhält diese Verbürgerlichung des Proletariats eine eigene organisatorische Form
in den menschewistischen Arbeiterparteien und der von ihnen beherrschten
Gewerkschaftsführung. Diese Organisationen arbeiten nun bewußt darauf, die bloße
Spontaneität der Bewegungen des Proletariats (ihre Abhängigkeit von ihrem
unmittelbaren Anlaß, ihre Zerstückelung nach Beruf, Land usw.) auf der Stufe der
bloßen Spontaneität zu bewahren und ihr Umschlagen in der Richtung auf das
Ganze, sowohl in der territorialen, beruflichen usw.Wobei den Gewerkschaften
mehr die Funktion der Atomisierung, der Entpolitisierung der Bewegung, des
Verdeckens der Beziehung zum Ganzen zukommt; während die menschewistischen
Parteien mehr den Beruf erfüllen, die Verdinglichung im Bewußtsein des
Proletariats ideologisch und organisatorisch zu fixieren, es auf der Stufe der
relativen Verbürgerlichung festzuhalten.
"
(S. 312f)
| [Rolle der Gewerkschaft und bürgerlichen Arbeiterparteien] |
"
Eine ideologische Umwälzung, die zwar infolge der ökonomischen Krise und der
durch sie gegebenen objektiven Möglichkeit der Machtergreifung entstanden ist,
deren Ablauf jedoch keineswegs eine automatisch - "gesetzmäßige" Parallelität
mit der objektiven Krise selbst aufnimmt, deren Lösung nur die freie Tat des
Proletariats selbst sein kann.
"
(S. 313)
| [Bedeutung der Bewußtheit] |
"
Engels [8] bezeichnet den Übergang, den die Menschheit nach dem hier zu
vollziehenden Umsturz vollbringt, als "den Sprung aus dem Reiche der
Notwendigkeit in das Reich der Freiheit" Daß aber dieser Sprung - trotzdem oder
gerade weil er ein Sprung ist - seinem Wesen nach einen Prozeß vorstellt,
versteht sich für den dialektischen Materialismus von selbst. Spricht doch auch
Engels an der angeführten Stelle davon, daß die Veränderungen in dieser Richtung
sich "in stets steigendem Maße" vollziehen werden. Es fragt sich nur, wohin der
Anfangspunkt dieses Prozesses zu setzen ist?
... Ob also eine schroffe, dialektische Übergänge ausschließende Trennung des "Reiches der Freiheit" von dem Prozeß, der es ins Leben zu rufen bestimmt ist, nicht eine ähnliche utopische Struktur des Bewußtseins aufzeigt, wie die schon behandelte Trennung von Endziel und Bewegung? " (S. 315)
"
Wenn aber das "Reich der Freiheit", im Zusammenhange mit dem Prozeß, der zu ihm
führt, betrachtet wird, so ist es zweifellos, daß schon das erste geschichtliche
Auftreten des Proletariats - freilich in jeder Beziehung unbewußt - hierauf
intentioniert hat. Das Endziel der proletarischen Bewegung, so wenig es die
einzelnen Etappen des Anfangsstadiums - selbst theoretisch - unmittelbar zu
beeinflussen imstande sein kann, ist doch als Prinzip, als Gesichtspunkt der
Einheit von keinem Moment des Prozesses ganz abzulösen.Es darf jedoch nicht
vergessen werden, daß die Periode der entscheidenden Kämpfe von den
vorhergehenden sich nicht bloß an Umfang und Intensität der Kämpfe selbst
unterscheidet, sondern daß diese quantitativen Steigerungen nur Symptome für die
tiefgehenden qualitativen Unterschiede sind, die diese Kämpfe von den früheren
abheben.
"
(S. 315)
| [Engels' 'Übergang' und Geschichtsteleologie] |
"
Diese Sachlage bedeutet keinesfalls, daß die objektiven ökonomischen
"Gesetzmäßigkeiten" aufgehört hätten, zu funktionieren. Im Gegenteil, sie werden
noch lange nach dem Sieg des Proletariats in Geltung bleiben und erst mit
dem
Entstehen der klassenlosen, vollständig unter menschlicher Kontrolle stehenden
Gesellschaft - wie der Staat - absterben. Das Neue an der gegenwärtigen Lage
bedeutet bloß - bloß! - so viel, daß die blinden Mächte der
kapitalistisch-ökonomischen Entwicklung die Gesellschaft dem Abgrund
entgegentreiben; daß die Bourgeoisie nicht mehr die Macht besitzt, die
Gesellschaft über den "toten Punkt" ihrer ökonomischen Gesetze nach kurzen
Schwankungen hinauszuhelfen; daß aber das Proletariat die Möglichkeit
besitzt,
die vorhandenen Tendenzen der Entwicklung bewußt ausnützend, der Entwicklung
selbst eine andere Richtung zu geben. Diese andere Richtung ist: die
bewußte
Regelung der Produktionskräfte der Gesellschaft. Und indem dies bewußt
gewollt
wird, wird das "Reich der Freiheit" gewollt; ist der erste bewußte
Schritt
in
der Richtung auf seine Verwirklichung getan.
"
(S. 316)
| [Der Übergang] |
"
Um die gesellschaftlichen Voraussetzungen der wirklichen Freiheit zu erkämpfen,
müssen Schlachten geschlagen werden, in denen nicht nur die gegenwärtige
Gesellschaft, sondern auch der von ihr produzierte Menschenschlag untergehen
wird.
"
(S. 317)
"
Die Freiheit des gegenwärtig lebenden Menschen ist die Freiheit des durch den
verdinglichten
und verdinglichenden Besitz isolierten Individuums: eine Freiheit
gegenüber
den
anderen (ebenfalls isolierten) Individuen. Eine Freiheit des Egoismus, des
Sichabschließens; eine Freiheit, für die Solidarität und Zusammenhang höchstens
als unwirksame, "regulative Ideen" in Betracht kommen. [2] Diese Freiheit heute
unmittelbar ins Leben rufen zu wollen, bedeutet auf die tatsächliche
Verwirklichung der wirklichen Freiheit praktisch zu verzichten. Diese
"Freiheit", die einzelnen Individuen ihre gesellschaftliche Lage oder innere
Beschaffenheit bieten mag, unbekümmert um die anderen Menschen auszukosten,
heißt also: die unfreie Struktur der heutigen Gesellschaft, soweit es vom
betreffenden Individuum abhängt, praktisch zu verewigen.
"
(S. 318)
| [Bürgerliche Freiheit als Klassenfreiheit] |
"
Und in der Einsicht, daß individuelle Freiheit in der heutigen bürgerlichen
Gesellschaft nur ein korruptes und korrumpierendes, weil auf die Unfreiheit der
anderen unsolidarisch basiertes Privileg sein kann, bedeutet es gerade: den
Verzicht auf individuelle Freiheit. Es bedeutet das bewußte Sich-unterordnen
jenem Gesamtwillen, der die wirkliche Freiheit wirklich ins Leben zu rufen
bestimmt ist, der heute die ersten, schweren, unsicheren und tastenden Schritte
ihr gegenüber zu tun ernsthaft unternimmt. Dieser bewußte Gesamtwille ist die
kommunistische Partei. Und wie jedes Moment eines dialektischen Prozesses
enthält auch sie, freilich nur im Keime, in primitiver, abstrakter und
unentfalteter Form jene Bestimmungen, die dem Ziele, das sie zu verwirklichen
bestimmt ist, zukommen: die Freiheit in ihrer Einheit mit der Solidarität. Die
Einheit dieser Momente ist die Disziplin. Nicht nur, weil bloß infolge
einer
Disziplin die Partei zu einem aktiven Gesamtwillen zu werden fähig ist, während
jede Einführung des bürgerlichen Begriffes der Freiheit das Entstehen dieses
Gesamtwillens verhindert und die Partei in ein loses, aktionsunfähiges Aggregat
von Einzelpersonen verwandelt. Sondern weil gerade die Disziplin auch für den
Einzelnen den ersten Schritt zu der heute möglichen - freilich dem Stand der
gesellschaftlichen Entwicklung entsprechend auch noch recht primitiven -
Freiheit bedeutet, die in der Richtung auf das überwinden der Gegenwart liegt.
"
(S. 318f)
| [Freiheit - Disziplin - Partei] |
"
Daß jede kommunistische Partei ihrem Wesen nach einen höheren Typus der
Organisation vorstellt, als jede bürgerliche Partei oder opportunistische
Arbeiterpartei, zeigt sich gleich in den höheren Ansprüchen, die sie an ihre
einzelnen Mitglieder stellt. Dies trat bereits zur Zeit der ersten Spaltung
der
russischen Sozialdemokratie klar zutage. Während die Menschewiki (wie jede im
Wesen bürgerliche Partei) die einfache Annahme des Parteiprogramms für
hinreichend zur Mitgliedschaft gefunden haben, war für die Bolschewiki
Parteimitglied zu sein gleichbedeutend mit aktiver, persönlicher Teilnahme an
der revolutionären Arbeit. Dieses Prinzip der Parteistruktur hat sich im Laufe
der Revolution nicht geändert.
"
(S. 319)
"
Denn wie das Reich der Freiheit uns nicht auf einmal, gewissermaßen als gratia
irresistibilis, geschenkt werden kann, wie das "Endziel" nicht außerhalb des
Prozesses auf uns irgendwo wartet, sondern jedem einzelnen Moment des Prozesses
prozeßhaft innewohnt, so ist die kommunistische Partei, als revolutionäre
Bewußtseinsform des Proletariats, ebenfalls etwas Prozeßartiges. Rosa
Luxemburg
hat sehr richtig erkannt, daß "die Organisation als Produkt des Kampfes
entstehen" muß. Sie hat bloß den organischen Charakter dieses Prozesses
überschätzt und die Bedeutung des bewußten, bewußt-organisatorischen Elementes
in ihm unterschätzt. Aber die Einsicht dieses Irrtums darf nicht dahin
übersteigert werden, daß man nun das Prozeßartige der Organisationsformen ganz
übersieht.
"
(S. 319)
"
Die kommunistische Organisation kann aber doch nur im Kampfe erarbeitet, nur
dadurch verwirklicht werden, daß die Richtigkeit und die Notwendigkeit gerade
dieser Form des Zusammenhaltes für jedes einzelne Mitglied durch eigene
Erfahrung bewußt wird.
"
(S. 319f)
| [Typ der kommunistischen Partei als Produkt des Prozesses] |
"
Das Neue in dem Bildungsprozeß der kommunistischen Parteien besteht bloß in der
veränderten Beziehung von spontanem Handeln und bewußter, theoretischer
Voraussicht, in dem allmählichen Verschwinden, in dem andauernden Bekämpfen der
reinen post festum Struktur des bürgerlichen, verdinglichten bloß
"anschauendenden" Bewußtseins. Diese veränderte Beziehung beruht darauf, daß auf
dieser Stufe der Entwicklung für das Klassenbewußtsein des Proletariats die
objektive Möglichkeit einer nicht mehr post festum Einsicht in die eigene
Klassenlage und in das ihr entsprechende richtige Handeln bereits vorhanden ist.
Obwohl für jeden einzelnen Arbeiter, infolge der Verdinglichung seines
Bewußtseins, der Weg zur Erlangung des - objektiv möglichen -
Klassenbewußtseins, zur inneren Einstellung, in der er dieses Klassenbewußtsein
für sich erarbeitet, ebenfalls bloß durch das nachträgliche Klarwerden über
seine unmittelbaren Erfahrungen führen kann; obwohl also das psychologische
Bewußtsein für jeden Einzelnen seinen post festum Charakter bewahrt. Dieser
Widerstreit von individuellem Bewußtsein und Klassenbewußtsein in jedem
einzelnen Proletarier ist durchaus nicht zufällig.
"
(S. 320)
| [Individuelles in Beziehung zum Klassenbewußtsein] |
"
Diese Objektrolle wird durch die formale Demokratie, durch die "Freiheit", die
in
diesen Organisationen herrschen mag, nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil
fixiert und verewigt. Das "falsche Bewußtsein", die objektive Unmöglichkeit,
durch bewußtes Handeln in den Gang der Geschichte einzugreifen, spiegelt sich
organisatorisch in der Unmöglichkeit, aktive politische Einheiten (Parteien) zu
bilden, die zwischen dem Handeln jedes einzelnen Mitgliedes und der Aktivität
der ganzen Klasse zu vermitteln berufen wären. Da diese Klassen und Parteien im
objektiven geschichtlichen Sinne nicht aktiv sind, da ihre scheinbare Aktivität
nur ein Reflex ihres fatalistischen Getragenseins von unbegriffenen
geschichtlichen Mächten sein kann, müssen in ihnen sämtliche Erscheinungen, die
aus der Getrenntheit von Bewußtsein und Sein, von Theorie und Praxis, aus der
Struktur des verdinglichten Bewußtseins folgen, zutage treten.
"
(S. 321)
"
Dementsprechend treten in ihnen, die beiden zusammengehörenden, stets zugleich
auftretenden, gleich falschen Auffassungen über den Gang der Geschichte
notwendig auf: die voluntaristische Überschätzung der aktiven Bedeutung des
Individuums (des Führers) und die fatalistische Unterschätzung der Bedeutung der
Klasse (der Masse). Die Partei gliedert sich in einen aktiven und einen passiven
Teil, wobei der letztere nur gelegentlich und stets nur auf Kommando des
ersteren in Bewegung gebracht werden soll. Die "Freiheit" die in solchen
Parteien für die Mitglieder vorhanden sein mag, ist demzufolge nichts mehr, als
die Freiheit der Beurteilung von fatalistisch abrollenden Ereignissen oder
Verfehlungen von Einzelnen seitens mehr oder weniger, aber niemals mit dem
Zentrum ihres Daseins, mit ihrer ganzen Persönlichkeit beteiligter
Zuschauer.
"
(S. 321)
| [Trennung in bürgerlicher Partei in aktive Führer und passive Masse] |
"
Die wirklich aktive Teilnahme an allen Ereignissen, das wirklich praktische
Verhalten aller Mitglieder einer Organisation ist nur durch Einsatz der
Gesamtpersönlichkeit zu leisten. Erst wenn das Handeln in einer Gemeinschaft zur
zentralen persönlichen Angelegenheit eines jeden einzelnen Beteiligten wird,
kann die Trennung von Recht und Pflicht, die organitsatorische Erscheinungsform
der Abtrennung des Menschen von seiner eigenen Vergesellschaftung, seiner
Zerstückelung durch die gesellschaftlichen Mächte, die ihn beherrschen,
aufgehoben werden.
"
(S. 322)
| [Anteilnahme des Einzelnen an der Kommunistischen Partei] |
"
Jede menschliche Beziehung also, die mit dieser Struktur, mit der Abstraktion
von der Gesamtpersönlichkeit des Menschen, mit seiner Subsumierung unter einem
abstrakten Gesichtspunkt bricht, ist ein Schritt in der Richtung des
Durchbrechens dieser Verdinglichung des menschlichen Bewußtseins. So ein Schritt
jedoch setzt den tätigen Einsatz der Gesamtpersönlichkeit voraus. Damit
ist es
klar geworden, daß die Formen der Freiheit in den bürgerlichen Organisationen
nichts mehr sind, als ein "falsches Bewußtsein", von der tatsächlichen
Unfreiheit; d.h. eine Struktur des Bewußtseins, wo der Mensch formal frei sein
Eingefügtsein in ein System wesensfremder Notwendigkeiten betrachtet und die
formale "Freiheit" dieser Kontemplation mit einer wirklichen Freiheit
verwechselt. Erst mit dieser Einsicht hebt sich die scheinbare Paradoxie unserer
früheren Behauptung auf: daß die Disziplin der kommunistischen Partei, das
bedingungslose Aufgehen der Gesamtpersönlichkeit eines jeden Mitgliedes in der
Praxis der Bewegung der einzig mögliche Weg zur Verwirklichung der echten
Freiheit ist.
"
(S. 322)
"
Die Frage der Disziplin ist also einerseits eine elementar praktische Frage für
die Partei, eine unerläßliche Vorbedingung ihres wirklichen Funktionierens, sie
ist aber andererseits keine bloß technisch-praktische Frage, sondern eine der
höchsten und wichtigsten geistigen Fragen der revolutionären Entwicklung. Diese
Disziplin, die nur als bewußte und freie Tat des bewußten Teiles, der Vorhut der
revolutionären Klasse, entstehen kann, ist ohne ihre geistigen Voraussetzungen
nicht zu verwirklichen. Ohne - wenigstens instinktive - Erkenntnis von diesem
Zusammenhang zwischen Gesamtpersönlichkeit und Parteidisziplin für jedes
einzelne Parteimitglied muß diese Disziplin zu einem verdinglichten und
abstrakten System von Rechten und Pflichten erstarren, die Partei Rückfälle in
den Organisationstypus des bürgerlichen Parteiwesens erleiden. So wird es
verständlich, daß die Organisation einerseits - objektiv die größte
Empfindlichkeit für den revolutionären Wert oder Unwert theoretischer
Anschauungen und Richtungen zeigt; und daß andererseits - subjektiv - die
revolutionäre Organisation einen sehr hohen Grad von Klassenbewußtsein
voraussetzt.
"
(S. 323)
| [Freiheit und Disziplin in der Partei] |
"
So wichtig es nun ist, diese Beziehung der kommunistischen Parteiorganisation zu
ihren einzelnen Mitgliedern theoretisch klar zu sehen, so verhängnisvoll wäre
es, hier stehenzubleiben: die Organisationsfrage von einer formal-ethischen
Seite zu nehmen. Denn die hier geschilderte Beziehung des Einzelnen zu dem
Gesamtwillen, dem er sich mit seiner ganzen Persönlichkeit unterordnet, kommt -
isoliert betrachtet - keineswegs bloß der kommunistischen Partei allein zu,
sondern ist vielmehr ein Wesenszeichen vieler utopistischer Sektenbildungen
gewesen.
... In seiner formal-ethischen Einseitigkeit hebt sich aber dieses Organisationsprinzip selbst auf: seine Richtigkeit, die kein bereits erreichtes und erfülltes Sein, sondern bloß die richtige Richtung auf das zu verwirklichende Ziel bedeutet, hört mit dem Auflösen der richtigen Beziehung auf das Ganze des Geschichtsprozesses auf, etwas Richtiges zu sein. " (S. 323f)
"
Darum wurde bei dem Herausarbeiten der Beziehung zwischen Einzelnen und
Organisation auf das Wesen der Partei als auf das konkrete Vermittlungsprinzip
zwischen Mensch und Geschichte ein entscheidendes Gewicht gelegt. Denn nur indem
der in der Partei zusammengefaßte Gesamtwille ein aktiver und bewußter Faktor
der geschichtlichen Entwicklung ist, der sich dementsprechend in stetiger,
lebendiger Wechselwirkung zu dem gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß befindet,
wodurch seine einzelnen Glieder ebenfalls in eine lebendige Wechselwirkung zu
diesem Prozeß und zu seinem Träger, der revolutionären Klasse, geraten, können
die Forderungen, die von hier aus an den Einzelnen gestellt werden, ihren
formal-ethischen Charakter verlieren.
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(S. 324)
| [Das Sektenproblem] |
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Es ist von diesem Standpunkt aus gleich, ob diese objektiv vorhandene
dialektische Einheit in ihrer falschen, sektenhaften Spiegelung als starres Sein
oder als gleich starres Nichtsein gefaßt wird; ob den Massen - mythologisierend
- die richtige Einsicht für das revolutionäre Handeln bedingungslos zugesprochen
oder die Auffassung vertreten wird, daß die "bewußte" Minderheit für die
"unbewußte" Masse zu handeln hat.
"
(S. 324)
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Sie ist dem bürgerlichen Dilemma von Voluntarismus und Fatalismus
anheimgefallen. Sie stellt sich auf einen Standpunkt, von wo aus es unmöglich
wird, entweder die objektiven oder die subjektiven Etappen der geschichtlichen
Entwicklung zu beurteilen. Sie ist gezwungen, die Organisation entweder maßlos
zu überschätzen oder ebenso maßlos zu unterschätzen. Sie muß die Frage der
Organisation von den allgemeinen, praktisch-geschichtlichen, von den
strategisch-taktischen Fragen getrennt, isoliert behandeln.
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(S. 325)
| [Verhältnis: Unorganisierte Masse - Partei] |
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Diese genaue, wenn auch stets wechselnde, den Umständen angepaßte Trennung des
taktischen von dem organisatorischen Zusammengehen in der Beziehung von Partei
und Klasse nimmt als inneres Problem der Partei die Form der Einheit der
taktischen und organisatorischen Fragen auf.
"
(S. 333)
| [Einheit von Taktik und Organisation] |