/Kolitik/Exzerpte/Trotzki 'Bolschewismus und Stalinismus'


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Team:

Heilbronn

Thema:

Trotzki 'Bolschewismus und Stalinismus'

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Letzte bearbeitung:

26.03.2002


Die Reaktion gegen den Marxismus und gegen den Bolschewismus


- aus historische Niederlagen folgen 2 Umwertungen:

Auf der einen Seite trachtet das Denken der wahren Avantgarde, bereichert um die Erfahrung der Niederlagen und mit Zähnen und Klauen das Erbe des revolutionären Gedankens verteidigend, auf seiner Grundlage neue Kader für die künftigen Massenkämpfe heranzuziehen.
Auf der anderen trachtet das über die Niederlage erschrockene Denken der Routiniers, Zentristen und Dilettanten, die Autorität der revolutionären Tradition zu zerstören, und kehrt unter dem Schein der Suche nach ?Neuem? weit zurück.


- Beispiel des ehemaligen östereichischen Kommunisten Schlamm

Der psychologische Mechanismus der gedanklichen Reaktion Schlamms und seinesgleichen ist sehr einfach. Eine gewisse Zeitlang nahmen diese Leute an einer politischen Bewegung teil, die auf den Klassenkampf schwor und in Worten an die materialistische Dialektik appellierte. In Österreich wie in Deutschland endete die Sache mit einer Katastrophe.
Schlamm zieht eine summarische Schlußfolgerung: Dahin haben uns Klassenkampf und Dialektik gebracht! Und da die Auswahl der Offenbarungen durch die geschichtlichen Erfahrungen und ... die persönlichen Kenntnisse beschränkt ist, stößt unser Reformator auf der Suche nach Neuem auf bereits längst beiseitegeworfenen Trödelkram, den er tapfer nicht nur dem Bolschewismus, sondern auch dem Marxismus entgegenstellt.

Zurück zum Marxismus?

Im Bolschewismus fand der Marxismus seinen grandiosesten geschichtlichen Ausdruck. Unter dem Banner des Bolschewismus wurde der erste Sieg des Proletariats errungen und der erste Arbeiterstaat errichtet. Diese Tatsachen wird keine Kraft der Welt mehr aus der Geschichte streichen. Aber da die Oktoberrevolution im gegenwärtigen Stadium zum Triumph der Bürokratie geführt hat, mit ihrem System der Unterdrückung, Raubherrschaft und Fälschung ? zur ?Diktatur der Lüge?, wie Schlamm treffend sagte ? so sind viele formale und oberflächliche Geister zu der summarischen Schlußfolgerung geneigt: Man kann nicht den Stalinismus bekämpfen, ohne auf den Bolschewismus zu verzichten.


- Schlamm will so selbst den Marxismus als Grundlage des Stalinismus aufgeben

Die Sache läuft somit auf einen einfachen Ratschlag hinaus, das Kapital zu studieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber das Kapital haben auch die Bolschewiki studiert und dabei gar nicht schlecht. Das hat jedoch die Entartung des Sowjetstaates und die Inszenierung der Moskauer Prozesse nicht verhindert.

Ist der Bolschewismus für den Stalinismus verantwortlich?

- der Vorwurf:

?Wir haben ja immer gesagt?, sprechen sie, ?seit dem Verbot der anderen sozialistischen Parteien, der Unterdrückung der Anarchisten, seit der Aufrichtung der Bolschewikidiktatur in den Sowjets konnte die Oktoberrevolution zu nichts anderem als zur Diktatur der Bürokratie führen. Der Stalinismus ist die Fortsetzung und zugleich der Bankrott des Leninismus.?

Der Fehler dieser Argumentation beginnt bei der stillschweigenden Gleichsetzung von Bolschewismus, Oktoberrevolution und Sowjetunion. Der historische Prozeß, der im Kampf feindlicher Kräfte besteht, wird hier durch eine Entwicklung des Bolschewismus im luftleeren Raum ersetzt.


- er verweist auf die histor. Situation und die versch Interessenlagen mit deren Repräsentanten in Rev und dem resultierenden Staat

Der von den Bolschewiki errichtete Staat spiegelt nicht nur das Denken und Wollen der Bolschewiki wider, sondern auch das Kulturniveau des Landes, die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung, den Druck der barbarischen Vergangenheit und des nicht weniger barbarischen Weltimperialismus.


- Bolschewiki als bewusster aber nicht entscheidender Faktor der Rev.
- entscheidend ist der internationale Klassenkampf

Als die Bolschewiki an die Besitzertendenzen der Bauern Zugeständnisse machten, strenge Regeln für die Aufnahme in die Partei aufstellten, diese Partei von fremden Elementen säuberten, andere Parteien verboten, die NEP (Neue Ökonomische Politik) einführten, zu Übergabe von Betrieben in Konzessionen Zuflucht nahmen oder diplomatische Abkommen mit imperialistischen Regierungen trafen, zogen sie ? die Bolschewiki ? Teilschlüsse aus der Grundtatsache, die ihnen von Anfang an klar war, nämlich daß die Machteroberung, so wichtig sie an sich auch ist, die Partei durchaus nicht zum allmächtigen Herrn des historischen Prozesses machte.

Im Grunde sagen diese Herren: Schlecht ist die revolutionäre Partei, die nicht in sich die Garantie gegen ihre eigene Entartung enthält.

Die Schlußfolgerung, zu der sie gelangten, lautete: Natürlich ist der Stalinismus aus dem Bolschewismus ?erwachsen?, aber nicht logisch erwachsen, sondern dialektisch: nicht als revolutionäre Bejahung, sondern als thermidorianische Verneinung. Das ist durchaus nicht ein und dasselbe.


- also Stalin als histor. Produkt einer konkreten Analyse zu unterziehen

Die Grundprognose des Bolschewismus


-nationale und internationale Situation (->'Geschichte der russischen Revolution'):

Doch eben diese Kräftegruppierung läßt auch im voraus erkennen, daß ohne einen mehr oder weniger baldigen Sieg des Proletariats in den fortgeschrittenen Ländern ein Arbeiterstaat in Rußland nicht standhalten wird. Das auf sich angewiesene Sowjetregime wird zerfallen oder entarten, genauer: zuerst entarten, und dann zerfallen.

Alle laufen auf eines hinaus: Ohne Revolution im Westen wird der Bolschewismus liquidiert werden, entweder von der inneren Konterrevolution oder durch Intervention von außen, oder durch beides zusammen.

Auf dem XI. Parteikongreß vom März 1922 sprach Lenin über die ?Unterstützung?, welche gewisse bürgerliche Politiker im besonderen der liberale Professor Ustraljew, seit der Zeit der NEP Sowjetrußland angedeihen zu lassen beschlossen. ?Ich bin für die Unterstützung der Sowjetmacht in Rußland?, sagt Ustraljew, ?weil sie den Weg betreten hat, der sie zu einer gewöhnlichen bürgerlichen Macht hinführen wird.?


- linke Opposition formierte sich bei Bemerken der entartung der Bolschewiki

Die ?gigantischen Massen?, die nach Lenin den Ausgang des Kampfes entscheiden, wurden der inneren Entbehrungen und des zu langen Wartens auf die Weltrevolution müde. Die Massen verloren den Mut. Die Bürokratie bekam die Oberhand. Sie schüchterte die proletarische Avantgarde ein, trat den Marxismus mit Füßen, prostituierte die bolschewistische Partei. Der Stalinismus siegte. In Gestalt der Linken Opposition brach der Bolschewismus mit der Sowjetbürokratie und ihrer Komintern. Das ist der wirkliche Gang der Entwicklung.

Stalinismus oder ?Staatssozialismus??

Die Anarchisten ihrerseits wollen im Stalinismus ein organisches Produkt nicht nur des Bolschewismus und des Marxismus, sondern des ?Staatssozialismus? überhaupt sehen. Sie sind einverstanden, die patriarchalische, bakuninsche ?Föderation der freien Gemeinden? durch eine zeitgemäßere ?Föderation der freien Räte? zu ersetzen. Aber sie sind nach wie vor gegen den zentralisierten Staat.

Nachdem wir uns mit den Anarchisten darüber geeinigt haben, daß der Staat, sogar der Arbeiterstaat, ein Erzeugnis der Klassenbarbarei ist, und daß die wahre menschliche Geschichte mit der Abschaffung des Staates beginnen wird, erhebt sich vor uns in all ihrer Macht die Frage: Welche Wege und Methoden sind imstande, letzten Endes zur Abschaffung .des Staates zu führen?

Die Erfahrung Spaniens bewies nochmals, daß man in unter ?normalen Umständen? herausgegebenen Büchern den Staat ?verneinen? kann, daß aber die Bedingungen der Revolution keinen Raum für die ?Verneinung? des Staates lassen, sondern im Gegenteil die Eroberung des Staates verlangen.

Die Erfahrung des Stalinismus widerlegt nicht die Lehre des Marxismus, sondern bestätigt sie auf umgekehrte Weise. Die revolutionäre Doktrin, die das Proletariat lehrt, sich in einer Lage richtig zu orientieren und sie aktiv auszunutzen, enthält selbstverständlich keine automatische Siegesgarantie. Doch dafür ist der Sieg nur mit Hilfe dieser Doktrin möglich. Diesen Sieg darf man sich außerdem nicht als einmaligen Akt vorstellen.

Um sich zu halten, ist der Stalinismus gezwungen, heute geradezu einen Bürgerkrieg gegen den Bolschewismus unter dem Namen des ?Trotzkismus? zu führen, nicht nur in der UdSSR, sondern auch in Spanien. Die alte Bolschewistische Partei ist tot, aber der Bolschewismus erhebt überall seinen Kopf.

Die politischen ?Sünden? des Bolschewismus als Quelle des Stalinismus

Die Argumentation der Rationalisten nimmt zuweilen, wenigstens äußerlich, konkreteren Charakter an. Den Stalinismus leiten sie nicht aus dem Bolschewismus in seiner Gesamtheit, sondern aus seinen politischen Sünden ab.

Das Proletariat kann nicht anders an die Macht gelangen, als in der Person seiner Avantgarde. Schon die Notwendigkeit einer Staatsmacht entspringt dem ungenügenden Kulturniveau der Massen und ihrer Verschiedenartigkeit. In der zur Partei organisierten revolutionären Avantgarde kristallisiert sich das Freiheitsstreben der Massen. Ohne Vertrauen der Klasse zur Avantgarde, ohne Unterstützung der Avantgarde durch die Klasse kann von Machteroberung keine Rede sein. In diesem Sinne sind die proletarische Revolution und die Diktatur Sache der gesamten Klasse, aber nicht anders als unter der Führung der Avantgarde. Die Sowjets sind nur die organisierte Form der Verbindung zwischen Avantgarde und Klasse. Dieser Form einen revolutionären Inhalt geben kann nur die Partei. Das ist durch die positive Erfahrung der Oktoberrevolution und durch die negative Erfahrung anderer Länder (Deutschland, Österreich, schließlich Spanien) bewiesen.

Was das Verbot der anderen Sowjetparteien betrifft, so entsprang es jedenfalls nicht der Theorie des Bolschewismus, sondern war eine Maßnahme zum Schutz der Diktatur in einem rückständigen und erschöpften, von allen Seiten von Feinden umgebenen Land. Den Bolschewiki war von Anfang an klar, daß diese Maßnahme, die später durch das Verbot von Fraktionen innerhalb der herrschenden Partei selbst ergänzt wurde, eine gewaltige Gefahr ankündigte. Jedoch die Quelle der Gefahr lag nicht in der Doktrin oder Taktik, sondern in der materiellen Schwäche der Diktatur, in der Schwierigkeit der inneren und der Weltlage. Hätte die Revolution auch nur in Deutschland gesiegt, das Erfordernis, die anderen Sowjetparteien zu verbieten, wäre sofort hinfällig geworden. Daß die Herrschaft einer einzigen Partei juristisch zum Ausgangspunkt für das stalinistische totalitäre System diente, ist ganz unbestreitbar. Aber die Ursache dieser Entwicklung liegt nicht im Verbot der anderen Parteien als einer zeitweiligen Kriegsmaßnahme, sondern in der Niederlagenreihe des Proletariats in Europa und Asien.

Der Kronstädter Aufstand? Aber die revolutionäre Regierung konnte selbstverständlich nicht den aufständischen Matrosen eine die Hauptstadt beschirmende Festung ?schenken?, nur weil der reaktionären Bauern- und Soldatenmeuterei sich einige fragwürdige Anarchisten angeschlossen hatten. Die konkrete historische Analyse der Ereignisse läßt keinen heilen Fleck an den Legenden, die Unwissenheit und Sentimentalität um Kronstadt, Machno und andere Episoden der Revolution geflochten haben.

Fragen der Theorie


- Stalin revidierte Marx stärker als Berstein, empirische Theorie als Rechtfertigung, Parteisubjektivismus und praktisch nackte Gewalt

Fragen der Moral

Die Moral einer jeden Partei entspringt letzten Endes aus den historischen Interessen, die sie vertritt. Die Moral des Bolschewismus, die Selbstverleugnung, Uneigennutz, Mut, Verachtung für allen Flitter und Trug ? die besten Eigenschaften der menschlichen Natur! ? enthält, entspringt aus der revolutionären Unversöhnlichkeit im Dienste der Unterdrückten. Die Stalinbürokratie imitiert auch auf diesem Gebiet die Worte und Gesten des Bolschewismus.

Und auch heute noch zieht es, trotz der dramatischen Tatsachen der letzten Periode, der Durchschnittsspießer vor zu meinen, im Kampfe zwischen dem Bolschewismus (?Trotzkismus?) und dem Stalinismus handle es sich um Zusammenstöße persönlicher Ambitionen oder bestenfalls um den Kampf zweier ?Schattierungen? des Bolschewismus.

Thomas begreift nicht, daß es sich nicht um ein Match zwischen Stalin und Trotzki, sondern um den Antagonismus zwischen Bürokratie und Proletariat handelt.

Die Tradition des Bolschewismus und die Vierte Internationale

Für die ?Linken?, die den Versuch machten, zum Marxismus unter Umgehung des Bolschewismus ?zurückzukehren?, lief die Sache gewöhnlich auf einzelne Allheilmittel hinaus: Boykott der alten Gewerkschaften, Boykott des Parlaments, Schaffung ?echter? Sowjets. All das konnte im Fieber der ersten Tage nach dem Krieg außerordentlich tief erscheinen. Aber heute, im Lichte der gemachten Erfahrung, haben diese Kinderkrankheiten sogar als Kuriose ihr Interesse verloren.

Die bolschewistische Partei bewies in der Tat eine Paarung höchster revolutionärer Kühnheit mit politischem Realismus. Sie stellte zum erstenmal das Verhältnis zwischen Avantgarde und Klasse her, das allein den Sieg zu sichern vermag. Sie zeigte in der Erfahrung, daß das Bündnis des Proletariats mit den unterdrückten Massen des ländlichen und städtischen Kleinbürgertums nur möglich ist durch den politischen Sturz der traditionellen Parteien des Kleinbürgertums. Die bolschewistische Partei zeigte der gesamten Welt, wie man einen bewaffneten Aufstand durchführt und die Macht ergreift.

Der Bolschewismus lieferte einen wertvollen Beitrag zum Marxismus durch seine Analyse der imperialistischen Epoche als einer Epoche von Kriegen und Revolutionen; der bürgerlichen Demokratie in der Epoche des faulenden Kapitalismus; des Verhältnisses zwischen Generalstreik und Aufstand; der Rolle der Partei, der Sowjets und der Gewerkschaften in der Epoche der proletarischen Revolution; durch seine Theorie des Sowjetstaates, der Übergangswirtschaft, des Faschismus und Bonapartismus in der Epoche des kapitalistischen Verfalls; schließlich durch die Analyse der Bedingungen für die Entartung der bolschewistischen Partei und des Sowjetstaates selber.


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last update 26.03.2002