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Team Peter Heilbronn
Thema Zu: Methodisches zur Organisationsfrage (Konspekt)
Original
Autor Georg Lukács
Titel "Methodisches zur Organisationsfrage"
Quelle marxists.org; Seitenangaben nach Schwarze Reihe Nr.2, Verlag De Munter Amsterdam 1967
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Kurzbeschreibung
Behandlung der Thematik der Organisation des Proletariats. Dieses Arbeit ist das Bindeglied, schafft der Vermittlung von philosophischem Standpunkt hin zu praktischen Fragen der Organisierung und der Partei. Beides heute stark umkämpfte und wichtige politische Fragen. Es wird klar Stellung bezogen für eine materialistisch dialektische Methodik einerseits und eine Form von Partei, welche von der Masse der Menschen selbst bewusst getragen wird andererseits.
" Erst wenn die Revolution zur Tagesfrage geworden ist, wird die Frage der revolutionären Organisation mit gebieterischer Notwendigkeit ins Bewußtsein der Massen und ihrer theoretischen Wortführer gerückt. "
Die Geschichte einer Ablösung der Führungsschicht bis hin zu Bürokratisierung und religiöser Selbstdarstellung darf sich nicht wiederholen. Das Moment des Bewusstseins und des bewussten Handelns jedes Einzelnen, was Lukács unermüdlich betont, ist hier das einzig verlässliche Moment des Gegensteuerns gegen eine "Entartung"(Trotzki) der Partei.
Aber auch er selbst befindet sich im Spannungsfeld zwischen Philosophie und Realpolitik, Organisation und Taktik, Disziplin - Unterordnung unter den Gesamtwillen der Partei und der neuen gesellschaftlichen Freiheit. Ihm kommt der Verdienst zu, diese Frage von der Marxistischen Philosophie bis in die tagespolitische Aktivität vermittelt und beleuchtet zu haben, wenn man seine durch die ungarische Räterepublik und frühe Sowjetunion geprägten Einschätzungen doch kritisch untersuchen muß.

1. (» E)

Lukács spricht zu seiner Zeit quasi in die Bewegung hinein. Was muß eine Organisation des Proletariats leisten, was ist gefordert? Lukács behandelt hierzu zuerst die Frage
  1. der Stellung der Organisationsfrage in der Bewegung selbst und
  2. der Ursachen der "Unreife der Bewegung",
  3. entwickelt letztendlich die wesentlichen Vermittlungen von Theorie und Praxis in ihrer Einheit.
An dieser Stelle brechen sich denn auch die großen Linien von Stalinisten bis zu Anarchisten an der zentralen Frage der Vermittlung von
  1. Avantgarde und Masse,
  2. spontaner Aktion und Leitung,
  3. letztendlich also die Dialektik vom Menschen und seiner Geschichte.
 
[Die Fragen]

{ Zu diesen Fragen ist auch Hans Jürgen Krahl zu befragen. (d.V.)}

Lukács legt durchgängig hohe Betonung auf die Bewusstheit, der Individuen als gesellschaftliche, nicht individuelle, Wesen. An der Unbewusstheit Organisationsfrage zeigt sich für ihn die "Unreife der Bewegung". Für diese ist Bewusstheit Angelpunkt der Verbindung von
  1. Wissenschaft, Bewußtheit, Endziel, abstrakte Möglichkeit [Theorie] und
  2. praktischer Umformung der gesellschaftlichen Verhältnisse, konkrete Formen den Handelns [Praxis]
  3. in ihren gegenseitigen Vermittlungen.
Er beklagt, dass die Organisationsfrage in den Parteien einen so untergeordneten theoretischen Stellenwert gegenüber den taktischen Fragen besitzt. Aber gerade hier sieht Lukács auch die Lösung und den Weg zur Lösung.
Die Vermittlung beginnt, so sich Menschen die Frage stellen "Was nun zu tun sei?". Die gilt als Prämisse des organisatorischen Denkens und des Handelns. Stellt man diese Frage, so zeigt sich das Interesse an praktischer Umsetzung einer "Theorie". Bleibt es bei abstrakt-unmittelbarer Vorstellung und kommt nicht zu einer konkret-vermittelten Form des Bewusstseins, verbleiben die Akteure im Utopischen. Sie sehen die Notwendigkeit und das Ziel, sind aber unfähig konkrete Schritte zu bestimmen.
" Was sie zu bloßen Utopisten macht, ist, daß sie ihn nur als Tatsache, oder höchstens als zur Lösung aufgegebenes Problem zu sehen imstande sind, ohne zur Einsicht gelangen zu können, daß gerade hier, gerade im Problem selbst, sowohl die Lösung, wie der Weg zur Lösung mitgegeben sind. So "sehen sie im Elend nur das Elend, ohne die revolutionäre umstürzende Seite darin zu erblicken, welche die alte Gesellschaft über den Haufen werfen wird". " (S. 299)
 
[Der zu vermittelnde Widerspruch]
Im folgenden übt er Kritik an Luxemburg in Fragen der Parteikonzeption, wiewohl er ihre Kritik an ihren Gegnern teilt. Revolutionärer Utopismus hat seine Wurzeln in
  1. opportunistischen Anschauungen und Interessen und
  2. in fehlender revolutionärer Praxis, um die abstrakten Kenntnisse in eine konkrete erfahrene Gestalt zu bekommen. Erst Revolution gebärt die konkrete revolutionäre Theorie am Prüfstein der Praxis selbst.
" Erst wenn die Revolution zur Tagesfrage geworden ist, wird die Frage der revolutionären Organisation mit gebieterischer Notwendigkeit ins Bewußtsein der Massen und ihrer theoretischen Wortführer gerückt. " (S. 300)
Aber selbst dann gibt Lukács zu bedenken, ist dies ein allmählicher langwieriger nichtmechanischer Prozeß. Vielmehr muss hier Theorie und Praxis in ihrer Einheit im Prozeß gefasst werden.
 
[Utopismus und Reformismus]
Die Lösung dieses Dilemmas ist für Lukács in der Organisationsfrage gegeben, also der bewussten Zuwendung zur theoretischen Durchdringung und praktischen Umsetzung. Die Organisation selbst - die Partei - ist die Bewegungsform der Lösung des Theorie-Praxis Problems, die Frage "Was zu tun sei" ist schon organisatorisch gestellt, ist Ausdruck der beginnenden Umsetzung.
" Denn die Organisation ist die Form der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis. Und wie in jedem dialektischen Verhältnis erlangen auch hier die Glieder der dialektischen Beziehung erst in und durch ihre Vermittlung Konkretion und Wirklichkeit. Dieser Theorie und Praxis vermittelnde Charakter der Organisation zeigt sich am deutlichsten darin, daß die Organisation für voneinander abweichende Richtungen eine viel größere, feinere und sicherere Empfindlichkeit zeigt, als jedes andere Gebiet des politischen Denkens und Handelns. " (S. 302)
Erst von diesem organisatorischen Standpunkt aus erscheint die Theorie mit der Praxis verbunden und Endziel mit Taktik vermittelt. Erst so werden Fehler von der Praxis aus kritisierbar und vor allem produktiv nutzbar. Am Handeln lassen sich ebenso opportunistische Strömungen erst richtig erkennen.
 
[Bewegungsform der Theorie Praxis Vermittlung]

{

Die Probleme liegen natürlich in der Geschichte und besonders den real existierenden Parteien begründet. Diese Parteien haben m.E. uns dem Ziel der kommunistischen Bewegung und Umwälzung nicht unbedinge nähergebracht, sondern sie teilweise verunmöglicht, ideologisch, wie auch über gewaltige Apparate.
Von daher gebührt der Analyse und späteren praktischen Auseinandersetzung mit der Geschichte an diesem Punkt größte Aufmerksamkeit. Die Geschichte einer Ablösung der Führungsschicht bis hin zu Bürokratisierung und religiöser Selbstdarstellung darf sich nicht wiederholen. Das Moment des Bewußtseins und des bewussten Handelns jedes Einzelnen, was Lukács unermüdlich betont, ist hier das einzig verlässliche Moment des Gegensteuerns gegen eine "Entartung"(Trotzki) der Partei.
(d.V.)}


2. (» E)

In diesem Abschnitt betrachtet Lukács die verschiedenen Parteikonzepte und grenzt sich gegen sie ab. Lukács als historischer Dialektiker wendet sich
  1. gegen opportunistische Reformkonzepte, wie auch
  2. idealistische Parteikonzepte eines "rein proletarischen Charakters" von Partei und Revolution.
Gegen das opportunistische Hineinwachsen und legale Machtergreifung des Proletariats setzt zb Luxemburg die Revolution "rein proletarischen" Charakters.
Aber die
  1. Wirkungen der anderen Klassen und Schichten in der Revolution (zb Kleinbürgertum),
  2. Ungleichzeitigkeit und Verschiedenheit der proletarischen Bewusstseinsbildung (zb Arbeiteraristokratie) selbst und
  3. das Zurückbleiben des proletarische Bewusstsein hinter der Krise (gegen mechanische Verelendungstheorie)
verurteilt eine solche Parteikonzeption (wie bei Luxemburg) zum Scheitern. Krise ist eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für eine proletarische Revolution.
Lukács grenzt sich ebenfalls gegen "automatisch-fatalistische Bestimmung" der
  1. ökonomistisch, fatalistische Betrachtung der Unmöglichkeit der Revolution, wie auch
  2. ökonomistisch optimistische Stellung eines 'Nur noch nicht', ab.
Die Krisen führen nicht notwendig in den Sozialismus, sondern können ebenso mit dem Untergang beider Klassen in eine neue Barbarei münden.
Das Proletariat ist zwar objektiv, aber eben latent oder auch potentiell revolutionär.
Die (Natur)Gesetzmäßigkeiten bringen aber ein Proletariat hervor, "dessen physische wie ökonomische Gewalt für den Kapitalismus sehr geringe Chancen gibt, nach dem Schema der früheren Krisen eine rein ökonomische Lösung, eine Lösung, in der das Proletariat nur als Objekt der ökonomischen Entwicklung figuriert, zu erzwingen." Aber ob und wie dies Umgesetzt wird ist eine andere Frage. Spontane Massenaktionen zb bleiben in der kapitalistischen Struktur selbst stecken.
 
[Objektiv aber latent revolutionär]
Andererseits aber, darf die Bewegung nicht abstrakt, sondern muß konkret in der Totalität der Weltkrise besehen werden. Hier zeigt sich, dass gerade die Bourgeoisie
  1. kooperierende, anteilnehmende und Frieden haltende Schichten braucht, außerhalb ihrer {parlamentarische Demokratie} und
  2. die latent revolutionäre Klasse muß neutralisert oder in Teilen ebenfalls beteiligt sein.{siehe Gewerkschaftsapparat}
Es herrscht also gesellschaftsweit ein labiles Gleichgewicht der ungleichgewichtigen Klassen.
Die Zwischenschichten sind nur spontan und können nur partikulares Klassenbewußtsein entwickeln. Ihr Agieren ist nicht determiniert und hängt hauptsächlich vom Verhalten von Bougeoisie und Proletariat ab, wem sie zeitweise zuneigen. (zb Bauernfrage in SU)
 
[Rolle Zwischenschichten]
Aber die Entwicklung des Kapitalismus bringt objektiv für die Krise
  1. Konzentration der Arbeiter mit dem Kapital und
  2. hat immer weniger Möglichkeiten, ist gezwungen die Arbeiter immer stärker auszubeuten.
Das dies aber nur der Tendenz nach zum Klassenbewusstsein führt, ist die ideologische Krise des Proletariats. Dabei wirken direkt
  1. bürgerlichen Arbeiterparteien mit der ideologischen und organisatorischen Fixierung des verdinglichenden Bewußtseins und die
  2. Gewerkschaften beim Erhalten der Partikularität, Entpolitisierung der Interessen und Spontanität und Vereinzelung der Handlungen.
 
[Ideologische Krise, Gewerkschaft und bürgerlichen Arbeiterparteien]
" Eine ideologische Umwälzung, die zwar infolge der ökonomischen Krise und der durch sie gegebenen objektiven Möglichkeit der Machtergreifung entstanden ist, deren Ablauf jedoch keineswegs eine automatisch - "gesetzmäßige" Parallelität mit der objektiven Krise selbst aufnimmt, deren Lösung nur die freie Tat des Proletariats selbst sein kann. " (S. 313)
 
[Bedeutung der Bewußtheit]
Die Gemengelagen in einer Revolution sind ständig in Fluß und teils chaotischer Art, mitnichten mechanisch. Es machen sich die wechselseitigen Beziehungen als Prozess geltend.
"Unter diesen richtunggebenden Momenten ist aber die richtige Erkenntnis des Proletariats über seine eigene geschichtliche Lage ein Faktor allerersten Ranges." (S. 314)
" Diese Sachlage bedeutet keinesfalls, daß die objektiven ökonomischen "Gesetzmäßigkeiten" aufgehört hätten, zu funktionieren. Im Gegenteil, sie werden noch lange nach dem Sieg des Proletariats in Geltung bleiben und erst mit dem Entstehen der klassenlosen, vollständig unter menschlicher Kontrolle stehenden Gesellschaft - wie der Staat - absterben. " (S. 316)
Dieser "Sprung" des Übergangs muß aber bewußt geschehen, wobei klar ist, dass alle "in den Gedankenformen des Kapitalismus Befangenen" sich dagegen wehren und die Unmöglichkeit dessen postulieren. Sie schrecken vor der Konsequenz dieses Gedankens und erst recht seiner Praxis angstvoll zurück.

3. (» E)

Es stellen sich ferner die Frage. Wie ist die Beziehung der kommunistischen Partei zum Reich der Freiheit. Hierbei ist es sehr wichtig, dass Freiheit nicht die {formal, abstrakte} bürgerliche Freiheit des {bürgerlich vereinzelten} Individuums vorstellt, also nicht der Freiheitsbegriff der bürgerlichen Klasse benutzt wird.

{ Hier sieht man wieder den historischen Materialismus Lukács', der keine reine a priori Kategorie der 'Freiheit' gelten läßt, sondern sie nur

  1. als historische Kategorie im Sinne Marx' und
  2. nie unabhängig vom speziphischen, konkreten Interesse
denken kann. Freiheit ist immer eine
  1. von etwas,
  2. zu etwas und
  3. von jemandem.
(d.V.)}

 
[Bürgerliche Freiheit]
Mit den konkret historischen Beziehungen verschwinden die Menschen, welche sie produzieren und welche umgekehrt die Individuen überhaupt erst ausmachen. Hier zeigt sich auch der Materialismus von Lukács, den er auf Marx gründet. Diese beschränkte und verdinglichte Freiheit des vereinzelten Einzelnen macht durch ihre Existenz als vorherrschendes gesellschaftliches Verhältnis die Wirklichkeit anderer Freiheiten unmöglich.
 
[Subjekt als besonderes Ensemble Gesellschaftlicher Verhältnisse]
Hier nun folgt einer der bestimmt kontrovers zu diskutierenden Punkte. Der abzuschaffenden bürgerlichen individuellen exklusiven Freiheit stellt Lukács zuerst das inklusive Sich-Unterordnen unter einen Gesamtwillen entgegen, welcher in der Partei verkörpert ist. Diesen Zusammenhang aber betrachtet er als dialektischen Prozeß und dieser enthält nur die Keime der Zukünftigen Bestimmungen. Die verbindenden Momente sind Disziplin und Solidarität. Die Disziplin aber enthält den ersten primitiven Schritt zur Freiheit beim Überwinden der Gegenwart. Auch diese Bestimmung der Partei ist eine erste noch zu überwindende.
So wird das identische Moment des Widerspruches von Disziplin und der Freiheit im Übergang betont. Das nichtidentische also trennende Moment liegt in der Bewußtheit der Einzelpersonen, welche die Partei als die ihre, als ihre Parteinahme, bilden. Ihr praktisches Verhalten ist einzig der Garant, dass aus der verbindenden Disziplin keine trennende Disziplin von Führer und Gefolgschaft im Namen einer so nur noch abstrakten Sache wird.
 
[Freiheit und Disziplin]
Über die Praxis auch gerade in der Partei kann sich langsam das "objektiv-mögliche" Klassenbewußtsein bei jedem individuellem Arbeiter gegen sein verdinglichtes Bewußtsein entwickeln, erarbeitet werden. Es entspricht dem "aktiv-praktischen" Wesen dieser "höheren Organisationsform", welches eine proletarische Partei gegenüber ihrem bürgerlichen Pendant hat.
" Diese doppelte Bedeutung der Aktivität, ihre gleichzeitige Beziehung auf den einzelnen Träger des proletarischen Klassenbewußtseins und auf den Gang der Geschichte, also die konkrete Vermittlung zwischen Mensch und Geschichte, ist für den Typus der hier entstehenden Organisationsform entscheidend. Für den alten Typus der Parteiorganisation - einerlei, ob es sich dabei um bürgerliche Parteien oder opportunistische Arbeiterparteien handelt - kann der Einzelne nur als "Masse" nur als Gefolge, als Nummer vorkommen. " (S. 320f)
Demgegenüber ist in allen herkömmlichen Parteien der Einzelne in seiner Objektrolle und dem zugehörigen "falsche Bewußtsein" fixiert und bildet nur die Masse gegenüber der Leitung.
 
[(Klassen)bewußtsein und Parteipraxis]
Dementsprechend herrscht im bürgerlichen Bewußtsein
  1. "die voluntaristische Überschätzung der aktiven Bedeutung des Individuums (des Führers)"
  2. "und die fatalistische Unterschätzung der Bedeutung der Klasse (der Masse)".
Es kommt zur Trennung von aktiv und passiv, Führer und Gefolgschaft auf Grund des "falschen Bewußtseins" und der bürgerlichen formalen "Freiheit", die selbst ihren Grund in den bürgerlichen Verhältnissen besitzt.
" Erst mit dieser Einsicht hebt sich die scheinbare Paradoxie unserer früheren Behauptung auf: daß die Disziplin der kommunistischen Partei, das bedingungslose Aufgehen der Gesamtpersönlichkeit eines jeden Mitgliedes in der Praxis der Bewegung der einzig mögliche Weg zur Verwirklichung der echten Freiheit ist. " (S. 322)
 
[Bürgerliches Bewußtsein und bürgerliche Partei]
Die Disziplin ist
  1. eine praktische Frage des Funktionierens der Partei und
  2. eine geistige Frage der Entwicklung der Individuen.
Die Disziplin "als bewußte und freie Tat des bewußten Teiles, der Vorhut der revolutionären Klasse, [...], ist ohne ihre geistigen Voraussetzungen nicht zu verwirklichen".
Die Dialektik spannt sich auf:
Nur wenn alle Mitglieder der Partei als bewußte und aktive Mitglieder ihre Partei gestalten, wird nicht nur die Trennung von Leitung und Masse aufgehoben, sondern das mit der Schaffung der Freiheit aller, die jedes Einzelnen gewährleistet wird, wird als Endziel der Partei sichtbar. Nur dies garantiert die Weiterentwicklung des Klassenbewußtseins und die Verunmöglichung der "Degeneration"(Trotzki) der Partei zu einem bürokratischen Machtapparat weniger über die Masse. Es liegt nicht zuletzt an den Menschen selbst, welche Partei sie sich machen einerseits und andererseits, welche zu machen objektiv möglich ist.
 
[Klassenbewußtsein und kommunistische Partei]

{ Dies ist die Antwort auf das historische Dilemma der bis heute existierenden "degenerierten" Arbeiterparteien. Zu einem König gehört nicht nur der, der ihn darstellt, sondern alle die anderen von dieser gesellschaftlichen Funktion ausgeschlossenen, mit deren Verhalten er als solcher anerkannt wird. 'König' ist ferner sowieso nur ein gesellschaftliches Verhältnis dieses Namens, was alle zu dem Einen eingehen und welches sie wiederum wechselseitig als 'Untertanen' kennzeichnet. (d.V.)}


4. (» E)

Eine Seite des Zusammenhanges, also die Unterordnung des Einzelnen unter den Gesamtwillen für sich formal-ethisch vereinseitigt, ist so nun auch wieder unwahr (im Sinne Hegels). Es kommt zu einer utopischen Sektenbildung, insbesondere wenn das Verhältnis zur unorganisierten Masse nicht beachtet wird. Dabei sind diese zwei grundsätzlichen Verhältnisse in der Gesellschaft zur Partei darzulegen. Lukács ist sich als Dialektiker sehr wohl auch der konkret praktischen Problemhaftigkeit dieser Betrachtung bewußt.
" Darum wurde bei dem Herausarbeiten der Beziehung zwischen Einzelnen und Organisation auf das Wesen der Partei als auf das konkrete Vermittlungsprinzip zwischen Mensch und Geschichte ein entscheidendes Gewicht gelegt. Denn nur indem der in der Partei zusammengefaßte Gesamtwille ein aktiver und bewußter Faktor der geschichtlichen Entwicklung ist, der sich dementsprechend in stetiger, lebendiger Wechselwirkung zu dem gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß befindet, wodurch seine einzelnen Glieder ebenfalls in eine lebendige Wechselwirkung zu diesem Prozeß und zu seinem Träger, der revolutionären Klasse, geraten, können die Forderungen, die von hier aus an den Einzelnen gestellt werden, ihren formal-ethischen Charakter verlieren. " (S. 324)
 
[Das Sektenproblem]
Der Einzelne soll eben nicht willenloses Werkzeug werden (Kader, Sekte) oder eine kontemplativ passive Masse, sondern ein bewußter Träger der Partei, also sich selbst mit anderen zum Subjekt der Geschichte machen.
 
[Verhältnis: Einzelner - Partei]
Wird dieses Verhältnis nicht als Identisches und Nichtidentisches dialektisch betrachtet, so fällt man in die 2 Extreme der Sektenbildung, letztendlich dem bürgerlichen Bewußtsein anheim:
  1. "ob den Massen - mythologisierend - die richtige Einsicht für das revolutionäre Handeln bedingungslos zugesprochen oder"
  2. "die Auffassung vertreten wird, daß die "bewußte" Minderheit für die "unbewußte" Masse zu handeln hat."
Beides ist in seiner Einseitigkeit unwahr und nur in seiner Vermittlung bekommt es seine Stimmigkeit und Dynamik der Analyse.
" Denn der Maßstab und der Wegweiser für die richtige Beziehung von Partei und Klasse kann nur im Klassenbewußtsein des Proletariats aufgefunden werden. [Herv v. mir]" (S. 325)

{

Hiermit sind auch die beiden Pole der kommunistischen Selbstkritik umrissen:
  1. Spontaneismus, Aktionismus und andererseits
  2. Zentralismus und elitehafte Kaderbildung,
oder wie Lukács es sagt, das Dilemma von Voluntarismus und Fatalismus. An dieser Stelle treffen und trennen sich auch der historische Anarchismus und Kommunismus in den reichhaltigsten Spielarten und Mischungen. Es ist dies das zentrale Problem einer praktischen Revolutionstheorie.
(d.V.)}

 
[Verhältnis: Unorganisierte Masse - Partei]
Lukács begründet die Notwendigkeit der organisatorischen Trennung von Klasse und Partei mit dem verschiedenen Grad von (Klassen)Bewußtheit. Andererseits "bildet die reale, objektive Einheit des Klassenbewußtseins die Grundlage der dialektischen Verbundenheit in der organisatorischen Trennung von Klasse und Partei." Wobei er sich mit Bucharin die Frage stellt, ob die Trennung von Partei und Klasse auch dem objektiven Unterschied in der Klasse entspricht. Also stellen sich die Fragen:
  1. differenziert sich das Klassenbewußtsein selbst auf und
  2. wie hemmen typische Schicksale das entwickeln des Klassenbewußtseins?
Zumindest wenn die Partei sich von der Klasse nur dadurch unterscheidet, dass sie das Gesamtinteresse im Wissen um dieses vertritt, auch gegen Teile der Klasse. Dann kann sich dies nur auf die "objektiv-ökonomische Einheit" der Klasse sinnvoll beziehen, womit die Innerklassentrennung diesbezüglich unerheblich wird. Er tut dies mit direktem Bezug zum 'Kommunistischen Manifest' und spiegelt die Eingebettetheit der Partei in die Klasse nach der Marxschen Vorstellung wider.
 
[Ist die Trennung Partei/Klasse die objektive Trennung?]
Es schließt sich ebenfalls die Frage an, inwieweit hier organisatorische oder taktische Maßnahmen in Erwägung zu ziehen sind. Insbesondere ergibt sich für Lukács diese Frage an der Wertung und Entscheidung, ob das Proletariat mit anderen Klassen zusammengehen kann, und wann nicht. Wo liegt hier die Notwendigkeit. Auf dieser hohen Stufe der Konkretion von Philosophie zur Politik des Augenblicks bleibt nur der Verweis
  1. auf den objektiven Charakter des Klassenbewußtseins und somit
  2. das konsequente Einnehmen des Standpunktes der Revolution.
Jenseits dessen in der Konkretion ist klar, dass sich die konkreten Maße und Urteile nur im Prozeß von den Subjekten selbst finden lassen, selbstverständlich mit der Möglichkeit des Scheiterns und Fehlens.

{ Er kann kein wirkliches Maß "philosophisch" (außer den genannten) angeben, nach dem sich zu richten ist. An dieser Stelle geht denn auch Lukács zur Kategorie des Taktischen über, um die konkrete Prozeßhaftigkeit mit den innewohnenden notwendigen Entscheidungen fassen zu können. Hier wird selbstverständlich die Luft für ein philosophisches Ableiten zu dünn. Aber es ist sein großer Verdienst, dass er sich bis auf diese Ebene konsistent vorgewagt hat, nicht zuletzt aus seinen Erfahrungen in der ungarischen Räterepublik. (d.V.)}

 
[Welches ist das Maß?]
" Der Kampf der kommunistischen Partei geht um das Klassenbewußtsein des Proletariats. " (S. 328)
Dies gilt insbesondere für die Teile der Klasse, die schon zu dieser Partei gehören. Die organisatorische Trennung ist auch deshalb notwendig,
" damit das Proletariat sein eigenes Klassenbewußtsein, als geschichtliche Gestalt, unmittelbar erblicken könne; damit in jedem Ereignis des alltäglichen Lebens jene Stellungnahme, die das Interesse der Gesamtklasse erfordert, klar und für jeden Arbeiter verständlich in Erscheinung trete; damit für die ganze Klasse das eigene Dasein als Klasse ins Bewußtsein gehoben werde. " (S. 329)
Wobei ständig "taktische Rücksichtnahme auf den Bewußtseinszustand der breitesten, der zurückgebliebensten Massen" notwendig ist, will die Partei nicht zur Sekte erstarren, zb völlig losgelöste und unvermittelte Forderungen stellen. Aber, die Partei handelt nach Lukács nicht für die Klasse, dies gestatten höchstens taktische kurze Momente in der Geschichte, sondern die Klasse selbst muß in und mit seiner Partei handeln.

{ Hegelsch könnte man sagen, dass diese Art von Partei sich von einer Partei An-Sich ständig entfernen muß über eine Partei Für-Sich zu einer Partei Für-Uns, also dem Proletariat. (d.V.)}

 
[Bewußtseinsbildung und Partei]
Die Gesetzmäßigkeiten und Bestimmungen die Lukács hier für die Zusammenhänge entwickelt sind von derart, wie Marx sie im 'Kapital' entwickelt. Sie sind wesentlich Gesetze und Bestimmungen der Tendenz nach.
So ist der Zusammenhang von Klassenbewußtsein und Partei in der Tendenz (weltgeschichtlich) derselbe, aber im konkreten laufen sie teil parallel, teils wider einander. Ebenso gilt dies für den Zusammenhang der objektiv-ökonomischen Bedingungen und dem sie reflektierenden Bewußtsein. So ist die Parteibildung selbst auch nicht einfach auf eine Wirtschaftskrise rückführbar, sondern
 
[Gleichzeitigkeit - Ungleichzeitigkeit]
"bleibt doch die bewußte und freie Tat dieser bewußten Vorhut selbst.
...
Die kommunistische Partei ist eine - im Interesse der Revolution - selbständige Gestalt des proletarischen Klassenbewußtseins. Es gilt, sie in dieser doppelten, dialektischen Beziehung: zugleich als Gestalt dieses Bewußtseins, wie als Gestalt dieses Bewußtseins, also zugleich in ihrer Selbständigkeit und ihrem Zugeordnetsein theoretisch richtig zu begreifen. "
(S. 332f)
Der Standpunkt und das Maß, von welchem aus die Parteien beurteilt werden, ist gegeben im Ziel der Revolution.

{ Lukács hat hier die Partei Lenins und Trotzkis vor Augen vor dem Fraktionsverbot. Deshalb klingen seine Worte in unseren Ohren so anders als gemeint. (d.V.)}


5. (» E)

" Diese genaue, wenn auch stets wechselnde, den Umständen angepasste Trennung des taktischen von dem organisatorischen Zusammengehen in der Beziehung von Partei und Klasse nimmt als inneres Problem der Partei die Form der Einheit der taktischen und organisatorischen Fragen auf. " (S. 333)
Spätestens hier geht Lukács auf das von ihm als Taktik beschriebene Gebiet über. Zwar ist eine ständige Verschränkung der organisatorischen und taktischen Fragen klar, aber die Konkretion ist nur als Konkretion zu haben, wobei er nur die russische Partei als entwickeltes Beispiel zu haben glaubt. Das bedeutet aber auch, dass man nicht mehr "philosophisch ableiten" kann, sondern allenfalls ständig mahnende und auf das Ganze zielende Kritik anbringen muß. Dies ist in der Tat die Aufgabe eines jeden Mitgliedes einer so von Lukács vorgestellten Partei.
Er spricht von Disziplin und sogar Zentralisierung als notwendigem organisatorischen Moment, welches die Atmosphäre der Tatkraft und Fähigkeiten zur "Kampfpartei" hervorbringt. Aber gegen einen "Kadavergehorsam" hebt er hervor, wie wichtig Selbstkritik für die Dynamik der Partei ist.
 
[Einheit von Taktik und Organisation]
Werden beide Momente, Taktik und Organisation, getrennt, so kommt man
  1. zu einer sektenhaften abgehobenen "bewußten Minderheit" oder
  2. den Tageswünschen des Proletariats angepasstem Reformismus.
So bestimmt er den Handlungsrahmen der Parteimitglieder, in welchem Spannungsfeld sie sich bewegen. Sieht man dazu noch die Prozeßhaftigkeit und Komplexität der behandelten Fragen, so wird man gewahr, wie empfindlich das Gleichgewicht gehalten werden muss, zwischen Sozialdemokratie einerseits und zentralistischer Kaderpartei oder Erlösungssekte auf der anderen Seite. Die kann einzig die Klassenbewusstheit jedes Einzelnen und die Möglichkeit seines Eingreifens gewährleisten.
 
[Zwischen Skylla und Charybdis]
Das gleiche labile Spannungsverhältnis gilt für die praktisch werden müssende Theorie des Marxismus, welche so als Richtschnur für die alltägliche "Realpolitik" konkretisiert werden muss. D.h. ihre Richtigkeit bezieht sich gerade in ihrem Dialektischwerden, wie Lukács es bezeichnet. Diese Vermittlung von wissenschaftlicher Theorie und Erkenntnis zu einer politischen Praxis ist in der Konzeption Lukács' kommunistischer Partei angelegt. "Was heute richtig ist, kann morgen falsch sein".
Das "bewußte Korrektivprinzip" sieht Lukács darin, dass jeder taktische Schritt organisatorisch gewendet wird.
" "Man braucht aber nur", sagt Lenin [2] über gewisse Formen des kommunistischen Dogmatismus, "einen kleinen Schritt weiter zu tun - offenbar in derselben Richtung - und die Wahrheit verwandelt sich in einen Fehler." " (S. 336)
Genau derselbe Widerspruch drückt sich im Kampf gegen das verdinglichte Bewußtsein der Proletarier aus und besteht in der Entwicklung des Klassenbewußtseins selbst. Es besteht
  1. die ständige Gefahr des Zurückfallens hinter erreichte Entwicklungen und
  2. der "kommunistische Hochmut"(Lenin) der niedergeworfenen Bourgeoisie andererseits.
So darf man sich keine Illusionen und Utopien über die Menschen machen, die die Klassen bilden. So erkennt Lukács auch wie Lenin, dass Erstarrungen und Dogmatismus ständig passieren werden. Man müsse nach "organisatorische Vorkehrungen und Garantien" suchen und diese finden, um dem begegnen zu können. Es gibt kein Wunder der inneren Veränderung der Menschen in der Partei.

{ An dieser Stelle würde man heute so etwas wie innerparteiliche Vielfalt oder Formen von "Demokratie" setzen. Lukács setzt aber mit Lenin gerade ein starkes Gewicht auf die Kampffähigkeit der Partei im Zusammenhang mit Disziplin und Zentralisation. Dieser Punkt ist und bleibt nach den geschichtlichen Erfahrungen sehr heikel. (d.V.)}

So kann das
  1. Hinzuziehen der Gesamtpersönlichkeit, also Verknüpfung mit dem Alltag jedes Einzelnen und
  2. den ständigen Wechsel der Funktionen mit teilweisem Aufbrechen der gewohnten Teilung der Arbeit
  3. als Hilfsmittel und Korrektiv benutzt werden.
 
[Das Korrektivprinzip]
Lukács geht auch wie Lenin von der sachlichen Notwendigkeit einer Funktionärshierachie für die Kampffähigkeit der Partei aus und sieht hier gleichzeitig die Gefahr.
  1. Wenn ein taktischer Wechsel folgt, so ein organisatorischer mit dem Wechsel der Funktionäre.
  2. Da jedes Mitglied mit Gesamtperönlichkeit beteiligt ist und die Beschlüsse praktisch auch umsetzen muß, so zwingt dies geradezu zu tätiger und sofortiger Kritik, die gerade keine Kritik post festum auf Kongressen sein darf. Bleibt diese aus, beginnt die Erstarrung oder nach Trotzki Entartung der Partei.
In dieser ständigen praktischen Anteilnahme sieht Lukács "das einzige Mittel, das einerseits die Parteileitung dazu zwingt, ihre Entschlüsse den Mitgliedern wirklich verständlich zu machen, sie von ihrer Richtigkeit zu überzeugen, da sie sie sonst unmöglich richtig durchführen könnten."
 
[Die Crux der Funktionäre und der Kritik]
Die Trennung von Rechten und Pflichten ist nur eine andere Form von Führer und Masse. Es kommt auf die solidarische Tätigkeit der Glieder eines Gesamtwillens an.

{

Wenn sich Lukács nun in Folge positiv auf die "Säuberungen" der Partei in Russland bezieht(1922), so hat das heute einen faden Beigeschmack. Dieser heute wunde Punkt sollte aber vor einer Kritik, die konkret werden muß, dem konkreten Gegenstand angemessen, historisch untersucht werden. Vielleicht ist hier Lukács schon umgeschlagen und man müsste ihn mit seinen eigenen Aussagen korrigieren.Wenn er die eiserne Disziplin so einseitig lobt, ist er wahrscheinlich selbst der Taktik gegen die Organisation auf den Leim gegangen.
(d.V.)}


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last update : Fri Jun 18 19:05:03 CEST 2004 Heilbronn
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