Exzerpte
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Team |
Peter Heilbronn |
Thema |
Zur Frage der Im/Materialität digitaler Produkte
( excerpt )
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Original |
Autor |
Wolfgang Fritz Haug |
Titel |
"Zur Frage der Im/Materialität digitaler Produkte" |
Quelle |
trend 04/03 |
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Verweis |
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Konspekt ] [
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externes Original
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Status |
Bearbeitung des Konspekts |
Letzte Bearbeitung |
05/03 |
Home |
www.mxks.de
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1. Vorklärungen
1.1. Diskurse der 'Entmaterialisierung'
1.2. Zum Begriff des Materiellen
1.3. Zum Begriff der Information
1.4. Sind Dienstleistungen immateriell?
2. Zum Begriff der Informationsgüter
2.1. Zur Intention dieses Begriffs
2.2. Ideelle oder intelligente Produkte als begriffliche Alternativen?
2.3. Zur Frage der technischen Reproduzierbarkeit
2.4. Zur Besonderheit des Werks von Künstlern und ähnlichen Urhebern
2.5. Zur Seinsweise der Software
3. Anhang: Die immaterielle Ökonomie als Abfallgenerator
1. Vorklärungen(»
K)
1.1. Diskurse der 'Entmaterialisierung' (»
K)
"
Damals schien sich bei den tonangebenden Dolmetschern der Neuen
Ökonomie der Konsens herauszubilden, dass die uns bekannte Welt gänzlich
entmaterialisiert
wird, wie Ursula Huws (1998/2000, 646) registriert hat. In der sog. Neuen
Ökonomie, erklärte
Angela Merkel (2000), treten Informationen und ihre Verbreitung an die
Stelle von Rohstoffen,
Maschinen, Ausrüstungen und klassischer Erwerbsarbeit. Das knappe Gut der
Neuen Ökonomie
ist der Mensch mit seinem Wissen. Als sie das schrieb, demonstrierten
gerade Taxifahrer,
Fuhrunternehmer, Fischer und Bauern gegen die explodierenden Erdölkosten.
Selbst linke
Autoren verglichen angesichts der immer wichtiger werdenden Produktion von
Informationen den
Übergang zum High-Tech-Kapitalismus mit dem Übergang von der Agrar- zur
Industriegesellschaft, wo die agrarische Produktion heute auch nur noch
ein Anhängsel der
Industrieproduktion ist (Merten 2002, 1008). So würde künftig die
materielle Produktion nurmehr
ein Anhängsel der immateriellen sein. Informationsarbeit dominiert über
materielle Arbeit, klang
es vom BWL-Lehrstuhl (Reichwald 2000).
"
"
So würde künftig die materielle Produktion nurmehr
ein Anhängsel der immateriellen sein. Informationsarbeit dominiert über
materielle Arbeit, klang
es vom BWL-Lehrstuhl (Reichwald 2000). Doch das ist nur eine neue Form
jenes alten
Klasseninteresses, vom dem Marx gesagt hat, es komme ihm darauf an, sich an
den
entscheidenden Stellen blauen Dunst [...] vorzublasen (MEW 25, 53). In
jeder Klassenherrschaft
dominiert sog. geistige (dispositive, konzeptive) Arbeit über
körperliche (exekutive) Arbeit. Die
Herrschaft steckt in diesem handfesten Gegensatz von Disposition und
Exekution, nicht im
gespenstigen Gegensatz von materieller und immaterieller Arbeit.
"
"
Ideologische Legitimation und spekulative Illusion bestärkten einander in der
Ausmalung des
immateriellen Eldorados der Zukunft. Wer als Unternehmer im Maschinenbau,
in der
Chemieindustrie, im Handwerk oder Einzelhandel Arbeit, Kapital und
Rohstoffe zusammenführt
und normale Waren oder Dienstleistungen anbietet, der musste sich [...]
seltsam altbacken
vorkommen -- übrigens auch, wenn er seine Waren und Dienste intelligent und
mit modernster
Technik produzierte. (Flassbeck/Müller 2002)
"
"
Die Schließung des Neuen Marktes zum 1. Januar 2003 -- um der Öffentlichkeit den
Anblick des
Ruins und den durch den Crash enteigneten Aktionären die Erinnerung an die
Vernichtung ihres
Geldkapitals zu ersparen -- bedeutet natürlich nicht, dass im
Hochtechnologiesektor und seiner
Leitproduktivkraft, dem Computer, nicht noch gewaltige Wachstumspotenziale
und
Produktivitätszuwächse (Heise) schlummerten. Allein im ersten Quartal des
Krisenjahres 2002
wuchs in den USA die Produktivität bezogen auf den Faktor Arbeit um 8,6%
(Schubert 2002),
was die alte Regel, dass sie mit dem wirtschaftlichen Abschwung sinkt
(Hickel 2001, 61f),
Lügen straft. Das Feld der mikroelektronischen Anwendungen dehnt sich
noch immer aus, ohne
dass bereits eine Grenze abzusehen wäre. Ihr epochal Neues ist die
elektronische
Mechanisierung des logisch-mathematischen Kalküls, seine Verwandlung in
einen
physikalischen Prozess auf Grundlage der Digitalisierung, das heißt der
Übersetzung von
Information aus einer dem menschlichen Verständnis adäquaten Form in
Sequenzen diskreter
0/1-Schaltungen.
"
"
Da sie und die mit ihnen befassten
Tätigkeiten als immateriell angesprochen zu werden pflegen, ist eine
Vorklärung erforderlich, was
unterm Begriff des Materiellen, als dessen Negation das Immaterielle
seinen Sinn erhält,
verstanden werden kann.
"
1.2. Zum Begriff des Materiellen(»
K)
"
Der Alltagsverstand glaubt, materiell sei nur, was man sehen und anfassen kann.
Der
Vulgärphilosoph meint entsprechend, dass sehr kleine Objekte oder
technische, die ihren
Wirkungszusammenhang nicht sinnlich wahrnehmbar zeigen, Gegenstände an der
Schwelle der
Immaterialität (Bolz 1994, 73) sind. Auf englisch heißt immaterielles
Kapital auch intangible
capital -- Kapital, das man nicht anfassen kann. Hier ist das Quidproquo
total.
"
"
Sortieren wir die
Dinge auseinander: Die allgemeinste vulgärökonomische Grundoperation
besteht darin, die
stoffliche oder physische Seite mit der gesellschaftlichen oder Formseite
zusammenzuwerfen.
Kapital kann man, da es ein gesellschaftliches Verhältnis darstellt,
niemals anfassen. Auch wo es
stofflich investiert auftritt, in Gestalt von Maschinen oder Gebäuden,
kann man das, was es über
diese nützlichen Dinge hinaus zum Kapital macht, weder sehen noch berühren.
Gleichwohl ist
das Kapitalverhältnis etwas höchst Materielles.
"
"
Oft steht aber materiell gerade nicht für stofflich, sondern für finanziell,
wie immateriell für
finanziell unerheblich steht. Dahinter steht ursprünglich die
bildungsbürgerliche Prätention des
Geistigen als Negation des Materiellen.
"
"
Auch der Begriff
des Stofflichen muss von der Bindung an das, was unseren Sinnen unmittelbar
zugänglich ist,
gelöst werden. Der Begriff des Materiellen geht also nicht nur insofern
über Stoffliches hinaus, als
er gesellschaftliche Verhältnisse umfasst, sondern erweitert sich auch im
Physikalischen über die
Stoffgrenze hinaus in subatomare Dimensionen. Einsteins
Masse-Energie-Gleichung beschreibt
eine dynamische Beziehung innerhalb des Materiellen.
"
"
Fanny Michaela Reisin sieht dies im Blick
auf die quantenmechanische Teilchenphysik. Nach der Unterscheidung des aus
atomaren
Bausteinen zusammengesetzten Stofflichen von den Elementarteilchen, aus
denen die Atome
bestehen, stellt sie fest, dass beide im philosophischen Sinn materiell
sind. Sie fasst dann aber
doch subatomare Objekte als sub- oder im-material und fordert, der
Materiebegriff müsse auf im
eigentlichen Sinne Im-Materiales erweitert werden (Reisin 2000a, 661; 685,
Fn. 1). Diese an
Schellings Kampf mit den begrifflichen Schranken des Idealismus erinnernde
Wendung ergäbe
den Selbstwiderspruch, das Immaterielle zur Teilmenge des Materiellen zu
machen.
"
"
Es ist an der Zeit, sich an die Doppelkritik der idealistischen
Bewusstseinsphilosophie wie des
philosophischen Materialismus zu erinnern, die in den marxschen
Feuerbach-Thesen auf den
Punkt gebracht ist: Wer das vom Handeln-in-der-Welt abstrahierte
Bewusstsein zum
archimedischen Punkt macht, um diese Welt aus den Angeln zu heben,
schneidet es von der
einzigen Beziehung ab, kraft deren es etwas in der Welt (nicht über sie)
vermöchte.
"
"
Vom spontan bewusstseinsphilosophischen Standpunkt erscheint jedes Werkzeug als
Bewusstseinsanalogon: Werkzeuge materialisieren Dinge, die im
menschlichen Geist vorhanden
waren (Sloterdijk 2002). So projiziert der Medienintellektuelle seine
Produktionsweise aufs
toolmaking animal (Franklin). Vom Standpunkt der Praxis aus ist nicht nur
alles materiell, was
die Bedingungen ausmacht, in (und unter) denen ich handle, was als
Widerständiges erfahren
oder als Wirkendes eingesetzt wird, sondern auch die sinnlich menschliche
Tätigkeit, Praxis
selbst (Marx, 1. Feuerbach-These). Nicht der Zusammenhang, sondern die
Trennung ist in dieser
Perspektive rechenschaftsbedürftig. An sich gibt es keinen strukturlosen
Stoff. Die Trennung und
Entgegensetzung von Struktur oder Form und Stoff, wie sie seit Aristoteles
der Metaphysik
zugrundeliegt, ergibt allenfalls vom Standpunkt mechanischer Produktion
einen Sinn, macht doch
nicht das Holz ein Bett oder das Erz eine Bildsäule (Aristoteles,
Metaphysik, 984a 25f). Wenn
es aber, wie es bei Marx heißt, den schlechtesten Baumeister vor der
besten Biene auszeichnet
[...], dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs
baut (MEW 23, 193), so
kann selbst hier der Mensch [...] nur verfahren, wie die Natur selbst,
d.h. nur die Formen der
Stoffe ändern.
"
1.3. Zum Begriff der Information(»
K)
"
Im Aufstieg des Informationsbegriffs zum regierenden Fundamentalbegriff, wie
man einmal den
Geist bezeichnen konnte (Marquard 1974, 186), findet der Siegeszug der
Leitproduktivkraft der
hochtechnologischen Produktionsweise, der Rechenmaschine, seinen Ausdruck.
Das
Informationskapitel in Neil Postmans Buch Die zweite Aufklärung beginnt mit
der Feststellung, in
den Stichwortverzeichnissen von hundert Büchern über die Aufklärung fehle
der Begriff
Information (2001, 105).
"
"
Die Isolation einzelner Sachverhalte oder Ereignisse aus dem Zusammenhang eines
Berichts oder einer Analyse stellt den ersten Schritt der Reduktion einer
Nachricht auf die
Mitteilung eines Faktums oder einer Information dar.
"
Besonders die Telegraphie gab der Idee der kontextlosen Information ihre
Legitimation [...]
einfach als Mittel zur Befriedigung der Neugierde. Durch den Telegraphen
wurde die Information zu
einer Ware, zu einem an sich ersehnenswerten Ding, unabhängig von seinen
möglichen
Zwecken oder Bedeutungen. (112)
"
Eine weitere Reduktion, die nun den Informationsbegriff selbst erfasste,
entsprang der Entwicklung
der Verschlüsselungs- und Spionagetechniken im Zweiten Weltkrieg. Von hier
ausgehend, hat der
Informationsbegriff schließlich unterm Einfluss der Ausbreitung der
elektronischen
Datenverarbeitung, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts solche
Ausmaße an[nahm],
dass man beinahe mit kosmischen Maßstäben zu rechnen begann (Kondakow
1978, 226f), eine
hegemoniale Stellung erlangt.
"
"
Ausdruck des Aufstiegs der Kybernetik wie auch des
Begriffsbedarfs grenzüberschreitender Disziplinen und ihres Verlangens nach
übergreifenden [...]
Instrumenten und Methoden (Friedrich u.a. 1975, 9), ist der
Informationsbegriff zugleich zu einer
ideologisch tragenden Kategorie geworden. In dieser Form saugt er, wo
überallgemein von
Informationen im weitesten Sinn (Hickel 2001, 20) die Rede ist, andere
Begrifflichkeiten auf,
kolonisiert über Differenzen hinweg die Auffassung der in Komplexion und
Seinsart
unterschiedlichsten Phänomene und wird in diversen Zusammensetzungen zur
Bezeichnung der
gegenwärtig herrschenden Gesellschaftsform herangezogen.
"
"
Um mittels der reinen bit-verarbeitenden Maschine, die der Computer ist,
automatisch
bearbeitbar zu werden, bedarf Information der computer-pragmatischen
Technisierung
(Fuchs-Kittowski/Rosenthal 1998). Hierzu müssen Informationen im
lebensweltlichen, von
zwischenmenschlicher Kommunikation bestimmtem Sinn auf Daten reduziert
werden.
"
"
Aber jedenfalls
sind Signale dabei raumzeitliche Objekte, Zustand oder Prozess eines
materiellen Systems, der
von kybernetischen Systemen dazu benutzt wird, informationelle Koppelungen
zu realisieren
(569). Weiterhin ist zu präzisieren, dass die Signale in Maschinensprache
rückübersetzt werden
müssen, um sich in rechenbare Daten zu verwandeln. Oft wird schon diese
Umsetzung --
wiederum anthropomorph -- als Interpretation bezeichnet, wenn dieser
metonymische Begriff
nicht für die Rückverwandlung von Daten in Informationen reserviert wird.
"
"
n der spontanen
Philosophie der wissenschaftlich-technischen Spezialisten und erst recht
im populären Umfeld
wird nun aber beides ausgeblendet, der technisch-abstraktive Status und die
Metonymie.
Information scheint dann auf allen Seiten vorzukommen, wie einmal der
Geist Subjekt und
Substanz in einem sein sollte. Das Kalkül gilt dann nicht mehr als
Modellierungsinstrument zur
Berechnung von Realprozessen, sondern als diese selbst. Unter der
Bezeichnung Schema ist
diese Grenzüberschreitung bereits bei Norbert Wiener angebahnt:
Ausgehend von der
Beobachtung, dass der Körper trotz seines Stoffwechsels (im Doppelsinn:
nicht nur mit der
Umwelt, sondern auch in seiner eignen Zusammensetzung) seine Individualität
erhält, kommt er
zu dem Schluss, dass es keine fundamentale absolute Grenze zwischen der
Übermittlung von
Nachrichten und der einer menschlichen Persönlichkeit, dem Schema eines
Menschen (89f) gibt.
Denn, nächster Anthropomorphismus: Vom Standpunkt der Rechenmaschine aus
besteht
geistige Individualität in der Speicherung ihrer früheren Programmierungen
[...] und in der
Fortsetzung ihrer Entwicklung in bereits angelegten Richtungen. (Wiener
1958, 88)
"
| [Auflösende Bestimmungen, Erdung] |
"
Es bekümmert diese Magier der Hochtechnologie nicht, dass das so
Bearbeitete in
Wahrheit informationelle Abstraktionen oder Modellierungen sind, nicht das
Modellierte selbst.
Letzteres existiert nur als digitale Kodierung im entsprechenden
Gerätemedium. Zu
Repräsentationen konkreter Objekte der Welt werden digitale Gebilde nur
im Rahmen der
De/Kodierung an der Schnittstelle zu menschlicher Wahrnehmung und
Interpretation. Und zwar
mit doppeltem Recht für eine Betrachtung, die von der dreigliedrigen
Totalität
Subjekt-Handlung-Objekt ausgeht, innerhalb derer sich logisch-mathematische
Strukturen
überhaupt erst konstituieren (Leiser 1978, 37).
"
"
Doch hier kommt eine weitere falsche Evidenz (Althusser) dazwischen. Weil
nicht einmal die
Beförderung auch nur eines einzigen Stoffteilchens von einem Ende der
Leitung zum anderen
nötig ist (Wiener 1958, 85), scheint der Sprung übers Materielle hinaus
gerechtfertigt, den schon
der falsche Gegensatz in der Unterscheidung zwischen materieller
Übermittlung und
Nachrichtenübermittlung (ebd.) anbahnt.
"
{
Was übrigens falsch ist, elektromagnetische Strahlung ist selbst im
physikalischen
Sinne als Materie Photon, Welle-Teilchen-dual gefasst.
(d.V.)}
"
Fuchs-Kittowskis Bestimmung: Information ist weder
Materie noch Geist allein, sondern die Verbindung von Materiellem und
Ideellem (1998, 13), wäre
nicht im Resultat zu widersprechen, sondern im Ausgangspunkt, dem
Auseinander zweier
Seinssphären.
"
"
Was diesen Stoff in Form bringt, ist Information. Sie gerät in dieser Sicht zum
Bildenden, das sich selbst als Urbild weiterbildend fortpflanzt, das
wahrhaft Seiende, das wirkende
Wesen. Bei der Fortpflanzung ist dann, im Unterschied zum vergänglichen
DNA-Molekül, die
Information als dessen gleichsam bauende Bauform unsterblich geworden
(15). Daraus, dass
die Eiweißsynthese nach einer Nukleinsäurevorschrift erfolgt
die Selbständigkeit dieser Strukturvorschrift geschlossen. Der Gegenstand verdoppelt sich dabei:
Das strukturiert sich selbst bewegende Molekül tritt in den bloßen Träger seiner selbst und die
getragene Information auseinander, weil aus dem Blick verschwunden ist, dass letztere der
Name einer operativen Abstraktion im Rahmen einer Handlungsstrategie oder einer
anthropo-technomorphen Projektion ist.
"
"
[Paul Boccara d.V.] Seine Weltformel lautet: Universum = Masse + Energie + Information. Er scheint
darüber hinwegzusehen, dass Information wie Masse unsere Abstraktionen sind, Seiten, die wir
vom konkreten Etwas abziehen, indem wir es uns auf spezifische Weise aneignen. Das Rationale
jener Formel reduziert sich dann darauf, dass wir die von uns auseinandergerissenen Aspekte in
ihr wieder zusammenfügen.
"
1.4. Sind Dienstleistungen immateriell? (»
K)
"
Eine der Kategorien, die besonders zur Bildung vulgärökonomischer Nonsensmengen einlädt, ist
die der Dienstleistung, gesteigert zur Phrase der Dienstleistungsgesellschaft. Als Kennzeichen
der Informationsgesellschaft nennt etwa Hickel die wissensbasierte Produktion (immaterieller)
Dienstleistungen (2001, 49). Problematisch ist dabei schon die Rubrik der Dienstleistung. Unter
ihr summiert etwa Daniel Bell so Heterogenes wie Handel, Finanzen, Versicherung und
Immobilien; persönliche, professionelle, geschäftliche und Reparaturdienste; und allgemeine
Verwaltung (1971, zit.n. Giddens 1979, 318). Es ist üblich, persönlich konsumierte Leistungen
(etwa die eines Friseurs) mit Medien, Multimedia, Werbung und der Produktion von
Produktionsmitteln (zum Beispiel der Herstellung von betrieblicher Software) zusammenzuwerfen
(so auch Heise 2002). Friseur und Werbegrafiker sind freilich vergessen, wenn Anthony Giddens
die Spezifik von Dienstleistungsberufen darin sieht, dass sie mehr die Ausübung symbolischer
als physischer Fähigkeiten erfordern, mehr die Verfügung über Wissen als über körperliche
Arbeitskraft, wobei eine neue Form des Wissens mehr und mehr in den Vordergrund tritt,
nämlich das theoretische Wissen ...
"
2. Zum Begriff der Informationsgüter (»
K)
2.1. Zur Intention dieses Begriffs (»
K)
"
Den Vorschlag, digitalisierte Güter als das -- im Zusammenspiel mit der digitalen Infrastruktur des
Internet -- technologisch Neue der gegenwärtigen Epoche gesondert zu analysieren (Haug 2000),
weist Ralf Krämer zugunsten des Begriffs der Informationsgüter zurück, obwohl er einräumt, dass
die in elektronisch kodierter Form technisch übermittelbaren und reproduzierbaren
Informationsprodukte [...] der Problematik erst ihre Bedeutung und Dynamik verleihen (2002, ##).
"
"
Als Informationsprodukte gelten ihm Erzeugnisse, die wesentlich
materielle Träger von Informationsgehalten sind und deren Gebrauchswert darin besteht, dass die
Konsumenten sich diese Informationsgehalte durch ihre Wahrnehmungstätigkeit aneignen oder
sie für die Regulierung von Prozessen einsetzen können. Diese Bestimmung ist so allgemein,
dass sie die Weltgeschichte von den durch Wahrnehmungstätigkeit angeeigneten
Höhlenzeichnungen bis zu den Steuerprogrammen automatisierter Produktion in eine Menge
zusammendrängt. Zu Abgrenzungsschwierigkeiten führt auch die Unterscheidung der
Informationsprodukte von den normalen Produkten.
"
"
Jedes nützliche Ding [...] ist ein
Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach vielen Seiten nützlich sein, heißt es bei Marx,
und die Art der entsprechenden Bedürfnisse, ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie
entspringen, ändert nichts an der Sache (Kapital, I, MEW 23, 49). Mehr noch: Verlangen, lässt
Marx an derselben Stelle Nicholas Barbon (1696) sagen, ist der Appetit des Geistes und so
natürlich wie Hunger für den Körper (ebd., Fn. 2).
"
"
Alle
sensorisch wie sinnhaft relevanten Seiten der Waren unterliegen einer zusätzliche Bearbeitung,
die sie zu Trägern der Erscheinung des Gebrauchswerts, eines ästhetischen
Gebrauchswertversprechens macht (Haug 1971, 17). Und wie dieses im Schein der
Wunscherfüllung die Herrschaft des Kapitals übers Lebensnotwendige ausdrückt, so die Burka,
die weibliche Individualität am öffentlichen Erscheinen hindert, die patriarchale Herrschaft.
"
2.2. Ideelle oder intelligente Produkte als begriffliche Alternativen? (»
K)
"
Präelektronisch waren ideelle Produkte in materiellen Produkten vergegenständlicht
(ein Roman in einem Buch), in elektronischer Seinsweise löst sich nach dieser Vorstellung die
Idee von ihrer gegenständlichen Verkörperung ab. Im erkenntnistheoretischen Sinn scheint die
Kategorie ideelle Produkte gleichbedeutend mit immaterielle Produkte. Doch hieran wird auch
die Problematik deutlich: Wenn man eine Statue als in einem materiellen Produkt
vergegenständlichtes ideelles Produkt fasst, verdoppelt sie sich uns unter der Hand. Was wäre
denn das materielle Produkt selbst bei einem Roman ohne das vermeintlich ideelle? Wäre dies
das unbedruckte Papier oder ein Blindband, wie er auf Buchmessen benutzt wird? Doch selbst
dieser ist gebunden, betitelt und gestaltet. Ferner: da die Druckerschwärze nicht ideell ist,
sondern allenfalls der bewusstseinsmäßige Vollzug der Lektüre, wäre allenfalls diese das ideelle
Produkt, dessen Produzent freilich der Lesende wäre. Kurz, wir landen in völliger Verwirrung.
"
2.3. Zur Frage der technischen Reproduzierbarkeit(»
K)
"
Krämers letzte Abgrenzung der Informationsprodukte von normalen Waren besagt, letztere
seien im Unterschied zu jenen nicht einfach kopierbar. Sind Jeans, sobald es sich um
Marken-Jeans handelt, keine normalen Waren? Natürlich sind sie mehr oder weniger perfekt
kopierbar, wenn es auch für konkrete stofflich-gegenständliche Güter anders als für ihre
ästhetische Abstraktion keine Kopiermaschine gibt. Wohl benutzte man schon lange vor der
Digitalisierung Geräte (Kopierdrehbänke, Schleifautomaten usw.), die über einen
Abtastmechanismus die dreidimensionale Gestalt bestimmter Gegenstände (etwa einer
Holzschnitzerei) auf einen geeigneten Arbeitsgegenstand übertrugen. Neu bei den digitalen Gütern
ist, dass der Zugang zu den Nutzungsgeräten in der Regel mit dem Zugang zu Kopier- und sogar
oft auch Kommunikationsgeräten zusammenfällt. Der PC mit Modem ist all dies auf einmal.
Raubkopien lassen sich hier leichter machen als bei den herkömmlichen Raubdrucken der
Printmedien oder den Produkten der Markenpiraten. Doch sind die Kopien bei digitalisierten
Gütern nur scheinbar gratis, da der Akt des Kopierens wie derjenige der Nutzung genau dieses
Gerätearsenal voraussetzt, das dadurch desto teurer kommt, als das Innovations- und
Veraltungstempo in diesem Bereich atemberaubend und die Amortisierungszeit entsprechend
kurz ist.
"
"
Den Gestaltwandel der Vergegenständlichung
hält Meves für Entgegenständlichung. Er spricht sich für den Begriff Informationskapitalismus
aus, weil damit die Biotechnologie -- als zweite Informationstechnologie mit erfasst sei (251). In
Anlehnung an Rifkin glaubt er, dass der Besitz von Ländereien, Rohstoffen oder Arbeitsheeren
zugunsten des Zugangs zu problemlos reproduzierbaren Informationen zunehmend
bedeutungsloser wird (251). Das klammert die Frage nach den komplexen gegenständlichen und
ökonomischen Nutzungsbedingungen dieser Informationen, im übertragenen Sinn nach der
Hardware für die jeweilige Software (die ohne jene nichts ist) aus. (Herv. von mir)
"
"
Aber von Informationen kann man nicht leben. Letztlich führt alles immer wieder auf stofflichen
Reichtum zurück. Das Vordringen der IuK-Technologien verändert nur die Weise seiner Produktion
und Distribution. Sofern Informationen allgemein zugänglich sind, kann man auch nicht davon
leben im bürgerlichen Sinn, dass man sie verkauft. Wieder sind die Nutzungsbedingungen der
Informationen ausgeklammert.
"
2.4. Zur Besonderheit des Werks von Künstlern und ähnlichen Urhebern (»
K)
"
Eine verbreiteten Vorstellung zufolge produzieren Künstler, artists and the like,
nicht-physikalische Dinge (Robinson 1993, 297). Doch so ließen sich allenfalls ihre
Vorstellungen künftiger Werke bezeichnen, ihre noch nicht gegenständlich ans Licht der Welt
herausgesetzten Werkideen. Ihre Werke sind darum, dass sie überdurchschnittlich gekonnt sind,
nichts Über-Natürliches. Die ästhetischen Reize sind Wirkungen auf unsern Organismus. Musik
verändert unsern Körperzustand. Wenn es sich um gegenständliche Bildwerke handelt, deren
Reiz vom Abgebildeten zehrt, so sind sie deswegen, weil sie nur Simulakrum sind, nicht weniger
physische Dinge. Ihre Wirkung ist in dieser Hinsicht nicht prinzipiell anders als die lebender
Gestalten.
"
"
Abgesehen davon, dass ein Produkt von Denkarbeit in den seltensten
Fällen nur gedanklich existiert (dies und nichts anderes bedeutet ideell), unterscheidet sich das
mit dieser Arbeit erzielte Einkommen formell (d.h. der Wertform nach) je danach, ob der
Produzent abhängig oder freiberuflich tätig ist, ob er das Nutzungsrecht für eigene oder fremde
Rechnung geschaffen hat -- vorausgesetzt, dass sein Produkt marktgängig ist. Im qualitativen
Charakter des Produkts liegt diese Form nicht beschlossen.
"
2.5. Zur Seinsweise der Software (»
K)
"
Wie verhält es sich nun aber bei digitalen Objekten, wie wir sie seit der Erfindung des Computers
erstellen können? Dem gesunden Menschenverstand gelten Software und sog. Anwendungen im
Unterschied zur Hardware als immateriell. Entsprechend fasst auch das Duden-Wörterbuch der
New Economy immaterielle Güter (Software wie Betriebssysteme und
Anwendungsdienstleistungen) (2001).
"
"
Doch ein Computerprogramm ist etwas ganz
anderes als Wissen und Ideen.
"
"
Kurios ist die Vorstellung von auf Papier vorliegender Software:
Pollack, Professor für Informatik an der Brandeis Universität, sollte einmal versuchen, seinen
Computer damit zum Arbeiten zu bringen. Ebenso könnte er mit einem auf Papier, als
Konstruktionsanweisung, vorliegenden Schraubenzieher versuchen, die Kontakte an seinem
Computer festzuschrauben. Der Weg von einem auf Papier geschriebenen zu einem
funktionierfähigen Programm führt über die Eingabe an einer Maschine, die durch energetische
Einwirkung auf einen Träger algorithmische Schaltungsfolgen einrichtet.
"
"
Hier gilt es zweierlei zu untersuchen: 1. den
stofflichen Gerätekomplex, der erforderlich ist, um digitale Objekte zu generieren, zu
transportieren und zu nutzen, 2. die nichtstoffliche Materialität der digitalen Objekte.
"
"
Verschlüsselung verwandelt eine signifikante Zeichenfolge in eine scheinbar bedeutungslose,
unmotivierte oder zufällige. Doch was nützt der Schein des Zufälligen, wenn er nicht als Tarnung
eines Notwendigen fungiert. In diesem Fall wäre alles gleichgültig und also, vom
Informationsstandpunkt, ungültig, nichtssagend. Jede Kodierung setzt die entsprechende
Dekodierung voraus. Das Programm in seiner operablen Form wird auf einer Kodiermaschine
geschrieben und braucht eine entsprechende Dekodiermaschine, um tatsächlich zu wirken.
"
"
Auch die digitalisierten Steuerungsinstrumente haben ihre jahrhundertealten Vorformen, bei denen
die Kodierung ebenfalls ausschließlich über natürliche ganze Zahlen erfolgt (Serres/Farouki 2001,
175).
"
"
Die gespeicherten Besetzungen sind nach eingangs gegebener Bestimmung
zwar nicht stofflich, wohl aber materiell. Ihre Wirkungsweise ist physikalisch beschreibbar. Wenn
sie aus einer statischen in eine dynamische Signalform umgesetzt werden, müssen ihre
Verknüpfungen und logischen Konsequenzen dann energetisch bzw. stofflich realisiert werden
(Klaus 1967, 276).
"
"
Die auswendig gelernte Formel,
die in eine Rechnung eingesetzt werden kann, der Verfahrensschematismus, der zur Lösung einer
Aufgabe quasi mechanisch appliziert wird, kürzen einen Ableitungsweg ab und machen seine
Beherrschung von Seiten des rechnenden Individuums entbehrlich. Ihre mechanische
Applizierbarkeit macht solche Algorithmen geeignet zur Mechanisierung ihres Einsatzes. Doch
wie die alte Rechenformel das rechnend tätige Individuum voraussetzte, so das digitalisierte
Programm das Geräteensemble, außerhalb dessen es eine wirkungslose Folge von Symbolen
wäre.
"
"
Von der Software käme man nicht auf den Computer, vom
Computer kommt man zur Software, wenn auch nicht zu einer bestimmten.
"
"
Abstrahiert man von den materiellen Realisationsbedingungen digitaler Gebilde, mag man der
Illusion verfallen, ihre Materialität insgesamt zurückgelassen zu haben. Es kommt dann zu einer
Art Digitalplatonismus. Für Stephen Wolfram, A New Kind of Science, ist aufgrund des Prinzips
der computationalen (rechnerischen) Äquivalenz zwar nicht das Fallgesetz, wohl aber die
Fallberechnung identisch mit dem Fall (Dath 2002a). Dann heißt es in Fortführung der Formel des
Bischofs Berkeley: esse est computari.
"
"
Bei selbstlaufenden Prozessen kann der Regelsatz nicht separat existieren. Ihn für die
Natur behaupten, heißt, eine Abstraktion aus der Computerwelt zur Metapher für die
physikalische Welt als solche zu machen. Das ist nicht viel besser, als wenn jemand, der sich
gerade an etwas erinnern will, von sich sagt, er suche auf seiner Festplatte.
"
3. Anhang: Die immaterielle Ökonomie als Abfallgenerator (»
K)
"
Die immaterielle Ökonomie wirft die Materie dessen, was ihr den Namen des Immateriellen
eingetragen hat, in ungeheuerlichen Mengen auf das, was Marx die Springquellen alles
Reichtums nennt: die Erde und den Arbeiter (MEW 23, 530). Zwischen 1997 und 2007 werden
mutmaßlich 500 Mio Computer verschrottet (dies und das Folgende nach Ambrojo 2002). Bereits
1998 sind in den USA 20 Mio Computer mit einem Gesamtgewicht von sieben Mio Tonnen in den
Abfall gewandert. Man nimmt an, dass in drei Jahren auf jeden verkauften Computer ein
ausrangierter kommt.
"
"
Ohne Schutzmasken wird -- oft von Frauen und Kindern, für
zwei Euro pro Tag -- mit Druckerpatronen hantiert und der feine Kohlenstaub eingeatmet. Silikose,
Krebs und andere Krankheiten breiten sich aus.
"
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last update : Wed Jun 16 17:23:30 CEST 2004 Peter Heilbronn
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