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Team | Peter Heilbronn | ||||||
Thema | Exzerpt zu Abstrakte Zeit und Arbeit bei Moishe Postone ( excerpt ) | ||||||
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Chris Arthur; Wildcat-Zirkular Nr. 18 - August 1995 - S. 37-41 |
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Letzte Bearbeitung | 06/2004 | ||||||
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1 Überlegungen zur Marxschen KapitalismuskritikII Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Die Ware1.1 Einleitung2. Die Voraussetzungen des traditionellen Marxismus
1.2 Die Krise des traditionellen Marxismus
1.3 Zur Rekonstuktion einer kritischen Theorie der modernen Gesellschaft
1.4 Die Grundrisse: Überlegungen zum Marxschen Verständnis des Kapitalismus und seiner Aufhebung
1.5 Der Wesenskern des Kapitalismus
1.6 Kapitalismus, Arbeit und Herrschaft
1.7 Der Widerspruch des Kapitalismus
1.8 Soziale Bewegungen, Subjektivität und historische Analyse
1.9 Einige Implikationen für die Gegenwart
2.1 Wert und Arbeit
2.2 Ricardo und Marx
2.3 >Arbeit<, Reichtum und gesellschaftliche Konstitution
2.4 Gesellschaftskritik vom Standpunkt der Arbeit
2.5 Arbeit und Totalität: Hegel und Marx
4. Abstrakte ArbeitIII Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Das Kapital4.1 Erfordernisse einer kategorialen Interpretation5. Abstrakte Zeit
4.2 Der historisch bestimmte Charakter der Marxschen Kritik
4.3 Historische Besonderheit: Wert und Preis
4.4 Historische Besonderheit und immanente Kritik
4.5 Abstrakte Arbeit
4.6 Abstrakte Arbeit und gesellschaftliche Vermittlung
4.7 Abstrakte Arbeit und Entfremdung
4.8 Abstrakte Arbeit und Fetisch
4.9 Gesellschaftliche Verhältnisse, Arbeit und Natur
4.10 Arbeit und instrumentelles Handeln
4.11 Abstrakte und substantielle Totalität
5.1 Die Wertgröße
5.2 Abstrakte Zeit und gesellschaftliche Notwendigkeit
5.3 Wert und stofflicher Reichtum
5.4 Abstrakte Zeit
5.5 Formen gesellschaftlicher Vermittlung und des Bewußtseins
8. Die Dialektik von Arbeit und Zeit8.1 Die immanente Dynamik9. Der Entwicklungsverlauf der Produktion
8.2 Abstrakte Zeit und historische Zeit
8.3 Die Dialektik von Transformation und Rekonstitution
9.1 Mehrwert und >Wirtschaftswachstum<10. Abschließende Betrachtungen
9.2 Die Klassen und die Dynamik des Kapitalismus
9.3 Produktion und Verwertung9.3.1 Kooperation9.4 Substantielle Totalität
9.3.2 Manufaktur
9.3.2 Große Industrie
9.4.1 Kapital
9.4.2 Das Proletariat
9.2.3 Widerspruch und bestimmte Negation
9.2.4 Formen der Universalität
9.2.5 Die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Zeit
9.2.6 Das Reich der Notwendigkeit
I Kritik des traditionellen Marxismus(» K)
1 Überlegungen zur Marxschen Kapitalismuskritik(» K)
1.1 Einleitung(» K)
"
In der vorliegenden Studie interpretiere ich die von Marx in seinem Spätwerk
entwickelte kritische Theorie grundlegend neu, mit dem Ziel, das Wesen der
kapitalistischen Gesellschaft adäquat zu erfassen. Meine Interpretation der von
Marx analysierten gesellschaftlichen Verhältnisse und Herrschaftsformen des
Kapitalismus erfordert es, die zentralen Kategorien seiner Kritik der
politischen Ökonomie zu überdenken.
...
Zum einen sollen sie das Wesen und die geschichtliche Entwicklung der modernen
Gesellschaft bestimmen, zum anderen soll in ihnen die in den
Sozialwissenschaften gängige Dichotomie von Struktur und Handlung -
beziehungsweise objektiven Determinanten und subjektiver Interpretation -
überwunden werden.
"
(S. 21)
| [Reformulierung der Kategorien der Marxschen Theorie als kritischer Theorie] |
"
Beispielsweise analysiere ich den Kapitalismus in erster Linie
weder hinsichtlich der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel noch
im Hinblick auf den Markt. Der Kapitalismus ist vielmehr als eine historisch
spezifische Form gesellschaftlicher Interdependenz zu begreifen, die durch ihre
unpersönliche und augenfällige Objektivität gekennzeichnet ist. Diese
Interdependenz ergibt sich aus geschichtlich einzigartigen Formen
gesellschaftlicher Verhältnisse, die zwar durch bestimmte Formen
gesellschaftlicher Praxis konstituiert werden, sich aber gleichwohl von den
Subjekten dieser Praxis verselbständigen. Im Ergebnis zeigt sich eine neue,
zunehmend abstraktere Form gesellschaftlicher Herrschaft, die die Menschen
unpersönlichen strukturellen Imperativen und Zwängen unterwirft.
"
(S. 21f)
| [Das historisch Spezifische der Konstitution der Gesellschaft - abstrakte Herrschaft] |
"
Es soll gezeigt werden, daß die Analyse der als grundlegend anzusehenden
gesellschaftlichen Formen, die nach Marx den Kapitalismus strukturieren - Ware
und Kapital -, einen hervorragenden Ausgangspunkt darstellt, um die systemischen
Merkmale der Moderne gesellschaftlich begründen zu können: womit
gleichzeitig
gezeigt wäre, daß auch die moderne Gesellschaft fundamental transformiert werden
kann.
"
(S. 22)
| [Möglichkeit der Transformation] |
"
Meine Lesart der kritischen Theorie von Marx konzentriert sich auf seine
Auffassung von der Stellung der Arbeit im gesellschaftlichen Leben, die
gemeinhin als Kern seiner Theorie gilt. Ich behaupte, daß die Bedeutung der
Kategorie Arbeit in seinem Spätwerk anders zu fassen ist als dies traditionell
geschieht: in den späten Schriften ist Arbeit historisch spezifisch und
nicht
transhistorisch zu verstehen. Die Auffassung von Marx, daß Arbeit die
gesellschaftliche Welt konstituiert und Quelle allen Reichtums ist, bezieht sich
demnach in seiner späten Kritik nicht auf Gesellschaft im allgemeinen, sondern
allein auf die kapitalistische beziehungsweise moderne Gesellschaft. Hinzu
kommt - und dies ist entscheidend-, daß die Marxsche Analyse nicht die Arbeit im
allgemeinen, transhistorischen Verständnis zum Gegenstand hat - als
zielgerichtete gesellschaftliche Tätigkeit, die zwischen Mensch und Natur
vermittelt und dabei spezifische Güter zur Befriedigung bestimmter menschlicher
Bedürfnisse herstellt -, sondern die eigentümliche Rolle, die die Arbeit allein
in der kapitalistischen Gesellschaft spielt.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 22)
| [Arbeit als historisch spezifisch - nicht transhistorische] |
"
Im Kapitalismus konstituiert Arbeit also eine historisch spezifische,
quasi-objektive Form gesellschaftlicher Vermittlung, die der Marxschen Analyse
zufolge die gesellschaftliche Ausgangsbasis bildet, aus der sich die Grundmuster
der Moderne erschließen.
"
(S. 23)
| [Arbeit als Form gesellschaftlicher Vermittlung] |
"
Die vorliegende Interpretation der Marxschen Kapitalismusanalyse baut auf diesem
revidierten Verständnis des Arbeitsbegriffes auf. Sie stellt die historische
Bedingtheit und die Kritik der Produktionsweise in ihr Zentrum und bereitet so
die Grundlage für eine Untersuchung, die die moderne kapitalistische
Gesellschaft als mit einer inneren, richtungsgebundenen Dynamik versehene
Gesellschaft ausweisen kann, als eine, die ihre Struktur einer geschichtlich
einmaligen Form gesellschaftlicher Vermittlung verdankt. Diese Vermittlung,
obwohl gesellschaftlich konstituiert, ist von abstrakter, unpersönlicher und
quasi-objektiver Natur. Ihre Form wird durch eine geschichtlich bestimmte
gesellschaftliche Praxis (Arbeit im Kapitalismus) strukturiert und diese
bestimmt ihrerseits die Handlungen, Weltanschauungen und Verhaltensdispositionen
der Menschen. Diese Perspektive reformuliert die Frage nach der Beziehung
zwischen kulturellem und materiellem Leben in die nach der Beziehung zwischen
einer historisch spezifischen Form gesellschaftlicher Vermittlung und den Formen
gesellschaftlicher >Objektivität< und >Subjektivität<. Diese Theorie
gesellschaftlicher Vermittlung zielt auf die Aufhebung der klassischen
theoretischen Dichotomie von Subjekt und Objekt, indem sie sie als geschichtlich
entstandene ausweist.
"
(S. 24)
| [Aufhebung der historischen Dichotomie: Subjekt - Objekt] |
"
Die Marxsche Theorie ist also nicht als eine universell anwendbare, sondern als
eine für die kapitalistische Gesellschaft spezifische kritische Theorie zu
verstehen. Sie analysiert die historische Bedingtheit des Kapitalismus und die
Möglichkeit seiner Aufhebung mithilfe von Kategorien, die dessen besondere
Formen von Arbeit, Reichtum und Zeit erfassen.
"
(S. 24)
| [Marxsche Theorie ist selbst historisch bedingt (anwendbar)] |
"
...
einer Kritik des Kapitalismus vom Standpunkt der Arbeit auf der einen und
einer
Kritik der Arbeit im Kapitalismus auf der anderen Seite. Ersteres, das auf einem
transhistorischen Verständnis von Arbeit beruht, unterstellt, daß
zwischen den
Bestimmungen, die das gesellschaftliche Leben des Kapitalismus kennzeichnen (zum
Beispiel Markt und Privateigentum), und der gesellschaftlichen Sphäre, die durch
Arbeit konstituiert wird, eine strukturelle Spannung existiert. Arbeit bildet
hier die Grundlage der Kapitalismuskritik; sie stellt den Standpunkt dar, von
dem aus kritisiert wird.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 25)
"
Dem zweiten Analyseverfahren dagegen gilt Arbeit im Kapitalismus als
historisch spezifisch; sie konstituiere die wesentlichen
Strukturen dieser Gesellschaft.
Aus dieser Perspektive wird Arbeit daher zum Gegenstand der Kritik der
kapitalistischen Gesellschaft. Dieser Analyse zufolge teilen die vorfindlichen
Marxinterpretationen, ungeachtet ihrer Unterschiede im einzelnen, mehrere
gemeinsame Prämissen des ersten Analyseverfahrens: diese Interpretationen
bezeichne ich als >traditionell<.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 25)
| [Standpunkt der Arbeit - traditioneller Marxismus] |
"
Weit davon entfernt, die Arbeit für das Prinzip gesellschaftlicher Konstitution
und die Quelle des Reichtums in allen Gesellschaften zu halten,
sieht die
Marxsche Theorie die historische Einzigartigkeit des Kapitalismus gerade darin,
daß seine grundlegenden gesellschaftlichen Beziehungen durch Arbeit konstituiert
werden und sich daher letztlich von den Beziehungen in nicht-kapitalistischer
Gesellschaften fundamental unterscheiden. Selbstverständlich ist die Marxsche
Kapitalismusanalyse auch eine Kritik an Ausbeutung, gesellschaftlicher
Ungleichheit und Klassenherrschaft, doch geht sie darüber weit hinaus: sie klärt
das innere Gefüge der gesellschaftlichen Verhältnisse der modernen Gesellschaft
und die ihnen innewohnende, abstrakte Form gesellschaftlicher Herrschaft - und
zwar mittels einer Theorie, die die gesellschaftliche Konstitution dieser
Herrschaft auf bestimmte, strukturierte Praxisformen gründet.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 26)
| [Arbeit ist NICHT Quelle des Reichtum in allen Gesellschaften] |
1.2 Die Krise des traditionellen Marxismus(» K)
"
Die Bezeichnung >traditioneller Marxismus< bezieht sich dabei nicht auf
irgendeine besondere geschichtliche Tendenz innerhalb des Marxismus, sondern
allgemein auf sämtliche Theorien, die den Kapitalismus vom Standpunkt der
Arbeit
aus analysieren und davon ausgehen, daß diese Gesellschaft durch
Klassenbeziehungen, das Privateigentum an Produktionsmitteln und eine
durch den
Markt regulierte Wirtschaft ihrem Wesen nach bestimmt sei. Gemeint sind also
alle Theorien, die die Herrschaftsverhältnisse vor allem als Klassenherrschaft
und Ausbeutung verstehen.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 27)
| [Traditioneller Marxismus = Standpunkt der Arbeit mit Klassenbeziehnung, Privateigentum, Markt] |
"
Bekanntlich behauptete Marx, daß in der kapitalistischen Entwicklung ein
strukturell angelegtes Spannungsverhältnis beziehungsweise ein Widerspruch
besteht zwischen den
den Kapitalismus bestimmenden gesellschaftlichen Verhältnissen und den
>Produktivkräften<. Dieser Widerspruch wurde allgemein als Gegensatz
zwischen
Privateigentum und Markt auf der einen und industrieller Produktionsweise auf
der anderen Seite interpretiert, wobei Privateigentum und Markt als genuin
kapitalistisch, die industrielle Produktion dagegen als Basis einer zukünftigen
sozialistischen Gesellschaft erachtet wurde.
... Die historische Negation des Kapitalismus wird also vornehmlich in einer Gesellschaft als verwirklicht angesehen, in der die Beherrschung und Ausbeutung einer Klasse über eine andere überwunden sind. " [Herv. v. P.H.] (S. 27f) | [Widerspruch: gesell. Verhältnisse//Produktivkräfte] |
"
Reichtum immer und überall durch menschliche Arbeit geschaffen werde, und daß im
Kapitalismus die Arbeit der bewußtlosen, >automatischen<, durch den Markt
vermittelten Distributionsweise unterliege. (Sweezy 1970, 70f.; Dobb 1940, 70f.;
Meek 1956, 155) Seine Mehrwerttheorie suche zu zeigen, daß - allem Anschein zum
Trotz -das kapitalistische Mehrprodukt allein durch Arbeit erzeugt und von der
Kapitalistenklasse angeeignet werde. In diesem allgemeinen Interpretationsrahmen
kann dann die Kapitalismuskritik von Marx als eine Kritik der Ausbeutung vom
Standpunkt der Arbeit ausgegeben werden. Sie entmystifiziere die
kapitalistische
Gesellschaft erstens durch die Enthüllung, daß die Arbeit die wahre Quelle allen
gesellschaftlichen Reichtums darstelle, und zweitens durch den Beweis, daß diese
Gesellschaft auf einem System der Ausbeutung beruhe.
"
(S. 28)
"
Der Kapitalismus, als freier Markt strukturiert, ließ die Industrieproduktion
entstehen, die die Menge des gesellschaftlich erzeugten Reichtums ungeheuer
vermehrt. Unter kapitalistischen Bedingungen jedoch verdankt sich dieser
Reichtum nach wie vor einem Ausbeutungsprozeß und wird auf zutiefst ungleiche
Weise verteilt. Jedoch entfaltet sich zunehmend ein Widerspruch zwischen
industrieller Produktion und den bestehenden Produktionsverhältnissen.
"
(S. 29)
| [Traditionelle Auffassung = Arbeit schafft immer den gesell. Reichtum] |
"
Die historische Dynamik des Kapitalismus läßt jedoch nicht nur die älteren
gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse anachronistisch werden, sondern in
ihr entsteht auch die Möglichkeit einer neuen Gestaltung der gesellschaftlichen
Verhältnisse. Sie bringt die technischen, gesellschaftlichen und
organisatorischen Voraussetzungen für die Abschaffung des Privateigentums hervor
und schafft die Vorbedingungen für eine zentrale Planung - beispielsweise in der
Zentralisation und Konzentration der Produktionsmittel, in der Trennung von
Besitz und Management und in der Entstehung und Konzentration eines
industriellen Proletariats. Diese Entwicklungen schaffen die geschichtliche
Möglichkeit, Ausbeutung und Klassenherrschaft abschaffen und eine neue, gerechte
und rational geregelte Verteilung organisieren zu können. Dieser Interpretation
zufolge steht im Zentrum der Marxschen Kritik die Distributionsweise.
"
(S. 29f)
| [Zentrale Planung nach Abschaffung des Privateigentums - Kritik nur der Distribution] |
"
Sozialismus wird als neue Form verstanden, dieselbe, vom Kapitalismus
hervorgebrachte industrielle Produktionsweise politisch zu administrieren und
ökonomisch zu regulieren; er wird gedacht als eine gesellschaftliche Form der
Distribution, die nicht nur gerechter, sondern der Industrieproduktion auch
adäquater sei.
"
(S. 31)
| [Industrieproduktion ohne Kapital] |
"
...Rätekommunisten gegen Parteikommunisten; >wissenschaftliche<
Theorien
gegenüber denjenigen, die auf verschiedenen Wegen Marxismus und Psychoanalyse zu
vereinigen oder eine kritische Theorie der Kultur oder des Alltagslebens zu
entwickeln suchten. Dennoch blieben sie alle, so weit sie die oben ausgeführten
Grundannahmen teilten, in den traditionellen Marxismus eingebunden. Wie prägnant
auch immer die sozialen, politischen, historischen, kulturellen und ökonomischen
Analysen waren, die auf diesem theoretischen Gerüst aufbauten, so sind doch
dessen Grenzen angesichts der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zunehmend
deutlich geworden.
"
(S. 32)
| [Unterschiede der Marxismen sind nicht grundsätzlich genug] |
"
Wenn die Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie nur auf eine sich selbst
regulierende, über den Markt vermittelte Wirtschaft und auf die private
Aneignung des Mehrprodukts Anwendung finden können, dann bedeutet die zunehmende
Intervention des Staates, daß diese Kategorien immer weniger der
gesellschaftlichen Realität entsprechen. Daraus folgt, daß die traditionelle
Theorie immer weniger in der Lage ist, den postliberalen Kapitalismus
geschichtlich zu kritisieren.
"
(S. 33)
| [Staatsintervention - traditionelle Kritik greift nicht mehr] |
"
Die Schwächen des traditionellen Marxismus im Umgang mit der postliberalen
Gesellschaft werden besonders deutlich, wenn es darum geht, den >real
existierenden Sozialismus< systematisch zu analysieren. Nicht alle Varianten
des
traditionellen Marxismus sympathisierten mit den >real existierenden
sozialistischen< Gesellschaften sowjetischen Typs. Allerdings erlaubt seine
theoretische Perspektive von vornherein keine Kritik, die dieser
Gesellschaftsform adäquat wäre. In ihrer traditionellen Auslegung sind die
Marxschen Kategorien zur Formulierung einer Kritik staatlich regulierter und
beherrschter Gesellschaften kaum zu gebrauchen.
"
(S. 33)
| [Staatssozialismus - traditionelle Kritik greift nicht] |
"
Überdies wurde vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung, die die
Wissenschaften und die fortgeschrittenen Technologien für den Produktionsprozeß
erlangt haben, die theoretische Grundlage seiner Gesellschaftskritik - die
Behauptung also, menschliche Arbeit sei die gesellschaftliche Quelle allen
Reichtums - kritisiert. Gescheitert ist der traditionelle Marxismus aber nicht
nur daran, eine angemessene historische Analyse des >real existierenden
Sozialismus< (und seines Zusammenbruchs) zu entwickeln, sondern auch, weil
seine
Kapitalismuskritik und seine emanzipatorischen Ideale sich mehr und mehr von den
Inhalten und Ursachen der gegenwärtigen sozialen Unzufriedenheit in den
entwickelten Industrieländern entfernen.
"
(S. 34)
| [Arbeit hört auf Quelle allen Reichtums zu sein] |
"
Die gegenwärtige historische Situation kann als Transformation der
modernen
kapitalistischen Gesellschaft verstanden werden, die - sozial, politisch,
ökonomisch und kulturell - so tief geht wie die Umwandlung des liberalen in den
staatsinterventionistischen Kapitalismus. Wir scheinen zur Zeit in eine neue
geschichtliche Phase des entwickelten Kapitalismus einzutreten.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 35)
| [Tiefgreifende Transformation des Kapitalismus] |
"
Zwei scheinbar gegensätzliche geschichtliche Tendenzen haben zu dieser
Schwächung der zentralen Institutionen des staatsinterventionistischen
Kapitalismus beigetragen: zum einen eine teilweise Dezentralisierung in
Produktion und Politik sowie, damit einhergehend, das Auftauchen einer Vielzahl
neuer gesellschaftlicher Gruppierungen, Organisationen, Bewegungen, Parteien und
Subkulturen; zum anderen ein Globalisierungs- und Kapitalkonzentrationsprozeß,
der sich auf einem neuen, sehr abstrakten Niveau bewegt - weit entfernt von
unmittelbarer Erfahrung und, zumindest gegenwärtig, scheinbar jenseits einer
wirksamen staatlichen Kontrolle.
"
(S. 35f)
| [Globalisierung, Kapitalkonzentration,...] |
"
Sein zunehmend anachronistischer Charakter und seine gravierenden Schwächen als
emanzipatorische kritische Theorie sind dem traditionellen Marxismus
wesenseigen. Letztlich wurzeln sie in seinem Unvermögen, den Kapitalismus
adäquat erfassen zu können.
"
(S. 37)
| [Zunehmend anachronistischer Charakter dem traditionellen Marxismus wesenseigen] |
"
Die Krise des staatsinterventionistischen Kapitalismus läßt darauf schließen,
daß sich der Kapitalismus weiterhin dank einer quasi-autonomen Dynamik
entwickelt. Diese Entwicklung verlangt eine kritische Revision derjenigen
Theorien, die die Verdrängung des Marktes durch den Staat als das Verschwinden
ökonomischer Krisen interpretiert hatten. Allerdings bleibt das Wesen des
Kapitalismus, jenes dynamischen Prozesses, der sich, wieder einmal, offenkundig
geltend gemacht hat, unklar. Es kann jedenfalls nicht mehr überzeugend behauptet
werden, daß >Sozialismus< die Antwort auf die Probleme des Kapitalismus
darstellt, wenn damit schlicht die Einführung zentraler Planung und staatlicher
(oder auch öffentlicher) Verfügungsgewalt gemeint ist.
"
(S. 38)
| [Krise des staatsinterventionistischen Kapitalismus - Krise des Marxismus] |
1.3 Zur Rekonstuktion einer kritischen Theorie der modernen Gesellschaft(» K)
"
Das neue Verständnis des Wesens der Marxschen kritischen Theorie, das hier
entwickelt werden soll, stellt eine Antwort auf die geschichtliche Wandlung des
Kapitalismus und die Schwächen des traditionellen Marxismus dar.(7) Die
Neubewertung der in den späten Werken von Marx, vor allem des Kapitals,
dargelegten Theorie ergab sich mir bei der Lektüre der Grundrisse - einer
früheren Fassung seiner entwickelten Kritik der politischen Ökonomie. Diese
Marxsche Theorie unterscheidet sich nicht nur vom traditionellen Marxismus, sie
hat auch viel größere Aussagekraft und eine gewichtigere Bedeutung für die
Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse.
"
(S. 40)
| [Neue kritische Theorie gibt wesentliche Antworten] |
"
Obwohl die Marxsche Kapitalismusanalyse auch eine Kritik der Ausbeutung und der
bürgerlichen Distributionsweise (Markt, Privateigentum) enthält, geht sie nach
meiner Überzeugung nicht vom Standpunkt der Arbeit aus, sondern basiert vielmehr
auf einer Kritik der Arbeit im Kapitalismus. Sie will die einzigartige
geschichtliche Rolle aufzeigen, die diese Arbeit in der Vermittlung der
gesellschaftlichen Verhältnisse spielt, und über die Konsequenzen dieser Form
von Vermittlung aufklären.
"
(S. 42)
| [Marx auch Kritik der Ausbeutung - aber nicht vom Standpunkt der Arbeit aus] |
"
Die Marxsche Analyse der Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus zeigt vielmehr,
daß die kapitalistische Produktion nicht nur ein rein technischer Prozeß ist,
sondern daß diese Produktion auch mit den grundlegenden gesellschaftlichen
Verhältnissen dieser Gesellschaft untrennbar verbunden und durch diese
Verhältnisse geformt ist. Diese können nicht verstanden werden, wenn die
Produktion ausschließlich in ihrem Bezug auf Markt und Privateigentum betrachtet
wird.
"
(S. 42)
| [Produktion nicht nur rein technischer Prozess] |
"
Tatsächlich stellt die produktivistische Position aus der Sicht der hier
vorgestellten Interpretation keine fundamentale Kritik dar: Sie versagt nicht
nur, weil sie nicht über den Kapitalismus hinaus auf die Möglichkeit einer
anderen Gesellschaft zu verweisen vermag, sondern sie affirmiert auch zentrale
Aspekte des Kapitalismus. In dieser Hinsicht liefert die vorliegende
Rekonstruktion der Marxschen kritischen Theorie den Standpunkt für eine Kritik
des produktivistischen Paradigmas der marxistischen Tradition. Es wird sich
erweisen, daß eben das, was die marxistische Tradition generell affirmativ
behandelt hat, der Gegenstand der Kritik in den späten Werken von Marx ist. Es
geht im folgenden nicht nur darum, diesen Unterschied aufzuzeigen und
auszuführen, daß die Marxsche Theorie nicht produktivistisch war -und so
eine
theoretische Tradition zu kritisieren, die vorgibt, auf den Marxschen Texten
aufzubauen -, sondern auch darum zu zeigen, daß sie selbst eine umfassende
Kritik des produktivistischen Paradigmas liefert, eine Kritik, die dieses
Paradigma nicht nur als falsch zurück-weist, sondern auch versucht, es in
gesellschaftlichen und geschichtlichen Begriffen verständlich zu machen.
"
(S. 43)
| [Produktivistische Kritik ist keine fundamentale Kritik] |
"
Ähnlich wird die Geschichtstheorie von Marx interpretiert. In seinen Spätwerken
ist seine Auffassung von der immanenten Logik der geschichtlichen Entwicklung
gleichfalls nicht transhistorisch und affirmativ, sondern kritisch, und sie
bezieht sich ausdrücklich auf die kapitalistische Gesellschaft. Marx erkennt den
Grund dieser besonderen geschichtlichen Logik in den spezifischen Formen der
kapitalistischen Gesellschaft. Seine Position bejaht weder die Existenz einer
transhistorischen Logik der Geschichte, noch leugnet sie die Existenz jedweder
Art geschichtlicher Logik. Statt dessen behandelt sie eine
derartige Logik als Eigentümlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft, die auf
die ganze Menschheitsgeschichte projiziert werden kann und auch projiziert
wurde.
"
(S. 43f)
| [Es gibt nur besondere Geschichtslogik] |
"
Die Bandbreite und die Systematik der Marxschen kritischen Theorie können jedoch
nur voll erfaßt werden, wenn die Analyse ihrer Kategorien diese als Bestimmungen
des gesellschaftlichen Lebens im Kapitalismus begreift. Nur wenn die
Feststellungen von Marx ausdrücklich als Entfaltung seiner Kategorien verstanden
werden, kann die innere Logik seiner Kritik adäquat rekonstruiert werden.
Deshalb werde ich immer wieder auf die Bestimmungen und Implikationen der
fundamentalen Kategorien der Marxschen kritischen Theorie zu sprechen kommen.
"
(S. 45)
| [Marxsche Kategorien als streng historisch konstituierte] |
"
Ich werde dagegen so vorgehen, als entspräche das, was in der Logik der
Marxschen Theorie des Kerngehalts der kapitalistischen Gesellschaftsformation
lediglich impliziert wird, auch dem Selbstverständnis von Marx. Da ich einen
Beitrag zur Rekonstituierung einer systematischen kritischen
Gesellschaftstheorie des Kapitalismus leisten will, ist die Frage, ob sein
tatsächliches Selbstverständnis dieser Logik adäquat war, hier von sekundärer
Bedeutung.
"
(S. 46)
| [Postones Vorgehen] |
1.4 Die Grundrisse: Überlegungen zum Marxschen Verständnis des Kapitalismus und seiner Aufhebung(» K)
"
Die hier untersuchten Abschnitte der Grundrisse verweisen darauf, daß die
Kategorien der Marxschen Theorie historisch spezifisch sind, daß sich die
Marxsche Kritik sowohl auf die Produktions- als auch die Distributionsweise des
Kapitalismus bezieht und daß der grundlegende Widerspruch des Kapitals nicht so
aufgefaßt werden kann, als handele es sich dabei einfach um einen Widerspruch
zwischen Markt und Privateigentum einerseits, industrieller Produktion
andererseits.
"
(S. 49)
| [Widerspruch nicht zw. Industrieproduktion//PE und Markt] |
"
Sobald hier Klarheit besteht, vermag man dem Problem nachzugehen, warum der
Marxschen Kritik zufolge die Basiskategorien des gesellschaftlichen Lebens im
Kapitalismus Kategorien der Arbeit sind. Dies ist alles andere als
selbstverständlich und kann mit dem allgemeinen Hinweis auf die offensichtliche
Relevanz der Arbeit für das gesellschaftliche Leben der Menschen nicht begründet
werden.
"
(S. 49)
| [Warum die Arbeit als Ausgangspunkt ?] |
"
Die Analyse des Widerspruchs zwischen den »Produktionsverhältnissen« und den
»Produktivkräften« in den Grundrissen unterscheidet sich grundlegend von
den Auffassungen der traditionellen marxistischen Theoretiker, die sich auf die
Distributionsweise konzentrieren und diesen Widerspruch als einen zwischen
Distributions- und Produktionssphäre verstehen. Marx kritisiert ausdrücklich die
Theoretiker, die zwar eine geschichtliche Transformation der Distributionsweise
für möglich halten, aber die Möglichkeit ausschließen, daß auch die
Produktionsweise umgestaltet werden könnte.
"
(S. 50)
| [Produktion und Distribution] |
"
Mit der Aufhebung des Kapitalismus ist bei Marx offensichtlich eine
Transformation nicht nur der bestehenden Distributions-, sondern auch der
Produktionsweise gemeint. In diesem Sinne verweist er zustimmend auf die
Bedeutung eines Gedankens von Charles Fourier: »Die Arbeit kann nicht Spiel
werden, wie Fourier will, dem das große Verdienst bleibt, die Aufhebung nicht
der Distribution, sondern der Produktionsweise selbst in höhre Form als ultimate
object [letztes Ziel] ausgesprochen zu haben.« (MEW 42, 607)
"
(S. 52)
| [Aufhebung von Distribution UND Produktionsweise] |
1.5 Der Wesenskern des Kapitalismus(» K)
"
Marx beginnt hier folgendermaßen: »Der Austausch von lebendiger Arbeit gegen
verdinglichte, d.h. das Setzen der gesellschaftlichen Arbeit in der Form des
Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit - ist die letzte Entwicklung des
Wertverhältnisses und der auf dem Wert beruhenden Produktion.« (MEW 42, 600)
Überschrift und Eingangssatz deuten darauf hin, daß für Marx in der Kategorie
des Werts die Basisbeziehungen der kapitalistischen Produktion zum Ausdruck
gebracht werden, diejenigen gesellschaftlichen Verhältnisse also, die dem
Kapitalismus als Form des gesellschaftlichen Lebens eigentümlich sind, ihn als
solche charakterisieren. Gleichzeitig ist damit gesagt, daß die Produktion im
Kapitalismus auf dem Wert basiert. Mit anderen Worten: der Wert konstituiert die
»Grundlage der bourgeoisen Produktion«.
"
(S. 195)
| [Wert konstituiert die Grundlage des Kapitalismus] |
"
Der Austausch, auf den er sich bezieht, ist nicht der der Zirkulation, sondern
der der Produktion: »der Austausch von lebendiger Arbeit gegen
vergegenständlichte«. Dies impliziert, daß Wert nicht nur als Kategorie der
Distribution von Waren verstanden werden sollte, das heißt als Kategorie, die
beispielsweise den Automatismus des sich selbst regulierenden Marktes begründen
soll, sondern vielmehr als Kategorie der kapitalistischen Produktion selbst. Die
Marxschen Ausführungen zum Widerspruch zwischen Produktivkräften und
Produktionsverhältnissen müssen offenbar neu interpretiert werden, und zwar so,
daß dieser Widerspruch sich auf unterscheidbare Momente des Produktionsprozesses
bezieht. »Auf Wert beruhende Produktion« und »auf Lohnarbeit gegründete
Produktionsweise« scheinen eng verwandt zu sein. Dies verlangt nach einer
weitergehenden Untersuchung.
"
(S. 54)
| [Wert als Kategorie der Produktion] |
"
Was den Wert als eine Form von Reichtum charakterisiert, ist, Marx zufolge, daß
er konstituiert wird durch die Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit im
Produktionsprozeß, daß er an diese Verausgabung als bestimmenden Faktor in der
Reichtumsproduktion gebunden bleibt und daß er eine zeitliche Dimension besitzt.
Wert ist eine gesellschaftliche Form, die die Verausgabung unmittelbarer
Arbeitszeit ausdrückt und auf ihr basiert. Diese Form bildet für Marx den
inneren Kern der kapitalistischen Gesellschaft. Als eine Kategorie der
gesellschaftlichen Grundbeziehungen, die den Kapitalismus konstituieren, drückt
der Wert das aus, was das Fundament kapitalistischer Produktion ist und bleibt.
Es entsteht jedoch eine wachsende Spannung zwischen dieser Grundlage der
kapitalistischen Produktionsweise und den Ergebnissen ihrer geschichtlichen
Entwicklung:...
"
(S. 54)
| [Wert als Reichtumsform] |
"
Der Gegensatz zwischen Wert und »wirklichem Reichtum« - also der Gegensatz
zwischen einer Form des Reichtums, die auf»Arbeitszeit und dem Quantum
angewandter Arbeit« beruht und einer Form, für die das nicht gilt - ist für
diese Passagen und das Verständnis der Marxschen Werttheorie sowie seiner
Vorstellung vom grundlegenden Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft
entscheidend. Dieser Gegensatz zeigt eindeutig, daß Wert sich nicht auf Reichtum
im allgemeinen bezieht, sondern eine historisch spezifische und somit
vergängliche Kategorie darstellt, die die Grundlage der kapitalistischen
Gesellschaft erfassen soll.
"
(S. 55)
| [Gegensatz: Wert//stofflicher Reichtum] |
"
Eine derart marktzentrierte Interpretation - die mit der Position Mills
übereinstimmt, die Distributionsweise sei geschichtlich veränderbar, nicht aber
die Produktionsweise - impliziert die Existenz einer transhistorischen Form des
Reichtums, der in verschiedenen Gesellschaften nur verschieden verteilt werde.
Dagegen ist Marx zufolge Wert eine historisch spezifische Form
gesellschaftlichen Reichtums und wesentlich an eine historisch spezifische
Produktionsweise gebunden. Daß Formen des Reichtums historisch spezifisch sein
können, heißt offenkundig, daß gesellschaftlicher Reichtum nicht in allen
Gesellschaften das gleiche bedeutet.
"
(S. 55)
| [Wert als spezifisch kapitalistische Reichtumsform] |
"
Der Wert stellt innerhalb der Marxschen Analyse eine kritische Kategorie dar,
die die geschichtliche Besonderheit der für den Kapitalismus charakteristischen
Form des Reichtums und der Produktion enthüllt. Das oben Zitierte zeigt, daß
sich Marx zufolge die auf dem Wert basierende Form der Produktion so entwickelt,
daß sie die Möglichkeit einer historischen Negation des Werts selbst aufscheinen
läßt. In seiner Analyse, die für die Gegenwart sehr wichtig sein dürfte,
argumentiert Marx, daß der Wert im Verlauf der Entwicklung der kapitalistischen
Industrieproduktion als Maßstab des produzierten »wirklichen Reichtums« immer
inadäquater wird.
"
(S. 56)
| [Der Wert wird anachronistisch] |
"
Der Wert wird, was das Potential des Produktionssystems betrifft, das er
hervorgebracht hat, immer anachronistischer: Die Realisierung dieses Potentials
wäre gleichbedeutend mit der Abschaffung des Werts.
"
(S. 57)
| [Abschaffung des Werts] |
"
Da die auf dem Wert beruhende Produktion, die auf Lohnarbeit gegründete
Produktionsweise und die auf proletarischer Arbeit basierende
Industrieproduktion ineinander verbunden sind, trifft die Marxsche Auffassung
vom zunehmend anachronistischen Charakter des Werts auch den unter dem
Kapitalismus entwickelten industriellen Produktionsprozeß: dieser muß dann
gleichermaßen als zunehmend anachronistisch aufgefaßt werden. Die Aufhebung des
Kapitalismus ist Marx zufolge gleichzusetzen mit einer grundlegenden
Transformation der materiellen Form der Produktion, also der Weise, wie Menschen
arbeiten.
"
(S. 58)
| [Grundlegende Transformation der materiellen Form d. Produktion] |
"
Vielmehr wird bei ihm die industrielle Produktion von diesen Verhältnissen
geprägt: Industrieproduktion ist die »Produktionsweise, die auf dem Wert
basiert«. In genau diesem Sinne bezieht sich Marx in seinen Spätschriften
ausdrücklich auf die industrielle Produktionsweise als eine »spezifisch
kapitalistische Produktionsform... (auch auf technologischem Niveau)« (Marx
1969, 50; s. a. 60f), und impliziert dabei, daß mit der Aufhebung des
Kapitalismus auch sie umgewandelt werden muß.
"
(S. 195)
| [Wert prägt die Industrieproduktion] |
"
Deshalb sollten sie nicht
einfach mit dem Marxschen Begriff der >Produktivkräfte<, die mit den
kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen in Widerspruch geraten,
identifiziert werden. Einen Widerspruch verkörpern sie jedoch in der Weise, daß
Marx unterscheidet zwischen der Aktualität der durch den Wert
konstituierten
Produktionsform und ihrem, die Möglichkeit einer neuen Produktionsform
begründenden Potential.
"
(S. 58f)
| [Widerspruch PK und PV nach Postone, was ist - was könnte] |
"
Marx faßt also ins Auge, daß das der fortgeschrittenen kapitalistischen
Produktion innewohnende Potential zum Mittel werden kann, auch den industriellen
Produktionsprozeß zu transformieren, so daß das System gesellschaftlicher
Produktion, in dem der Reichtum durch die Aneignung unmittelbarer Arbeitszeit
geschaffen wird und die Arbeiter nur als Zahnräder eines produktiven Apparates
fungieren, abgeschafft werden kann. Diese beiden Aspekte der industriellen
kapitalistischen Produktionsweise hängen für Marx zusammen. Darum verlangt die
Aufhebung des Kapitalismus, wie sie in den Grundrissen skizziert ist,
implizit
die Aufhebung sowohl der formalen als auch der materiellen Aspekte der auf
Lohnarbeit gegründeten Produktionsweise. Sie erfordert die Abschaffung eines
Verteilungssystems, das auf dem Tausch der Ware Arbeitskraft gegen Lohn basiert,
mit dem Konsumgüter erworben werden, ebenso wie die Abschaffung eines
Produktionssystems, das auf proletarischer Arbeit basiert, so auf der
einseitigen und fragmentierten Arbeit, wie sie für die kapitalistische
Industrieproduktion charakteristisch ist. Mit anderen Worten: Die Aufhebung des
Kapitalismus bedeutet auch die Aufhebung der durch das Proletariat verrichteten
konkreten Arbeit.
"
(S. 59)
| [Aufhebung der proletarischen Arbeit - Abschaffung der Lohnarbeit] |
"
Für Marx bedeutet das Ende der Vorgeschichte auch die Aufhebung der Trennung und
des Gegensatzes zwischen körperlicher und geistiger Arbeit. Dieser Gegensatz
kann jedoch nicht dadurch überwunden werden, daß die gegebenen körperlichen und
geistigen Tätigkeiten einfach verschmolzen werden (wie es zum Beispiel in der
Volksrepublik China in den 1960er Jahren verkündet wurde).
... Ihre Trennung kann nur durch die Transformationen der bestehenden Formen sowohl körperlicher wie auch geistiger Arbeit überwunden werden, also durch die historische Konstitution einer neuen Struktur und sozialen Organisation der Arbeit. Eine solche neue Struktur wird nach Marx möglich, wenn die Surplusproduktion nicht mehr notwendigerweise in erster Linie auf unmittelbarer menschlicher Arbeit basiert. " (S. 60) | [Aufhebung der Trennung von Kopf und Hand = Änderung der Organisation der Produktion] |
1.6 Kapitalismus, Arbeit und Herrschaft(» K)
"
Die Marxsche Konzeption von der geschichtlichen Besonderheit der Arbeit im
Kapitalismus verlangt deshalb eine grundlegend neue Interpretation seiner
Auffassung von den die Gesellschaft charakterisierenden Verkehrsformen. Diese
werden laut Marx durch Arbeit konstituiert, was zur Folge hat, daß sie eine
eigentümliche, quasi-objektive Natur aufweisen. Sie gehen jedenfalls nicht
vollständig in Klassenbeziehungen auf.
"
(S. 61)
| [Nicht vollständig in Klassenbeziehungen] |
"
Richtig ist, daß Marx die im Kapitalismus entwickelte industrielle
Produktionsweise und die dieser Gesellschaft eigentümliche historische Dynamik
als charakteristisch für die kapitalistische Gesellschaftsformation betrachtet
hat. Deren historische Negation würde dann sowohl die geschichtliche Abschaffung
des historisch-dynamischen Systems abstrakter Herrschaft als auch der
industriellen kapitalistischen Produktionsweise bedeuten. Desgleichen zeigt die
entwickelte Entfremdungstheorie, daß Marx die Negation des strukturellen Kerns
des Kapitalismus als Chance zur Aneignung desjenigen Herrschafts- und
Wissenspotentials durch die Menschen begriffen, das sich geschichtlich in
entfremdeter Form konstituiert hatte.
"
(S. 64)
| [Abschaffen von abstrakter Herrschaft UND kap. Industrieproduktion] |
"
m Begriff des gesellschaftlichen Individuums schlägt sich die Marxsche Idee
nieder, daß die Aufhebung des Kapitalismus auch die Aufhebung des Gegensatzes
zwischen Individuum und Gesellschaft beinhaltet.
... So wenig Marx den Kapitalismus vom Standpunkt der industriellen Produktion aus kritisiert, so wenig hält er eine Kollektivität, in der alle Menschen zu bloßen Elementen werden, für einen positiven Standpunkt, von dem aus das atomisierte Individuum zu kritisieren wäre. Er brachte nicht nur die historische Konstitution des monadischen Individuums mit der Sphäre der Warenzirkulation in Verbindung, sondern analysierte auch den Meta-Apparat (in dem die Personen bloße Zahnräder sind) als charakteristisch für die Sphäre der vom Kapital bestimmten Produktion. (MEW 23, 374; 446; 486) " (S. 65) | [Aufhebung Gegensatz Individuum//Gesellschaft] |
"
Bis hier wurde gezeigt, daß Marx die proletarische Arbeit als den
materialisierten Ausdruck entfremdeter Arbeit begreift. Dies läßt vermuten, daß
es solange die konkrete Arbeit eines jeden die gleiche bleibt wie im
Kapitalismus bestenfalls ideologisch wäre zu behaupten, die Emanzipation der
Arbeit sei verwirklicht, wenn das Privateigentum abgeschafft ist und die
Menschen eine kollektive, sozial verantwortliche Haltung gegenüber ihrer Arbeit
einnehmen. Im Gegenteil, die Emanzipation der Arbeit setzt eine neue Struktur
gesellschaftlicher Arbeit voraus.
"
(S. 66)
| [Proletarische = entfremdete Arbeit] |
"
Die Marxsche Auffassung, daß »die Arbeitermasse ihre Surplusarbeit sich aneignen
muß« (MEW 42, 604) impliziert somit einen Prozeß der Selbstabschaffung, der
sich als Prozeß materieller Selbstverwandlung vollzieht. Statt der
Verwirklichung des Proletariats verlangt die Aufhebung des Kapitalismus
die
materielle Abschaffung der proletarischen Arbeit. Die Emanzipation der
Arbeit
erfordert die Emanzipation von (entfremdeter) Arbeit.
... Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, daß Marx sich die Negation dieser Form der Produktion als eine Gesellschaftsformation vorstellte, in der gesellschaftliche Produktion zum Zweck der Konsumtion stattfindet und die Arbeit des Individuums dermaßen befriedigend ist, daß sie um ihrer selbst willen ausgeübt wird. " (S. 66) | [Selbstabschaffung des Proletariats - materielle Selbstverwaltung - befriedigende Arbeit um ihrer selbst willen] |
1.7 Der Widerspruch des Kapitalismus(» K)
"
(Fußnote 16)
...Die Freiheit von Herrschaft bedeutet jedoch nicht die Freiheit von allen
Zwängen, da jede menschliche Gesellschaft, um zu überleben, Arbeit in
irgendeiner Form erfordert. Daß Arbeit niemals eine Sphäre von Freiheit sein
kann, bedeutet jedoch nicht, daß nicht-entfremdete Arbeit auf die gleiche Weise
und in gleichem Ausmaß unfrei wäre wie die Arbeit, die durch abstrakte
gesellschaftliche Herrschaftsformen erzwungen wird. Mit anderen Worten: Marx
füllt dadurch, daß er die Existenz absoluter Freiheit im Bereich der Arbeit
verneint, nicht in den undifferenzierten Gegensatz zurück, wie er von Adam Smith
vertreten wurde, daß nämlich Freiheit und Glück mit Arbeit nicht vereinbar
seien. (MEW 42, 512)
... Es dürfte klar sein, daß mit der Überwindung des Kapitalismus nicht sofort jede einseitige und fragmentierte Arbeit abgeschafft werden kann. Und zugestanden sei, daß einige dieser Arbeiten nie vollständig abzuschaffen sind (doch die dazu erforderliche Zeit könnte drastisch reduziert werden und solche Aufgaben könnten innerhalb der gesamten Bevölkerung rotieren). Doch da es mir in dieser Studie um die Marxsche Analyse der kapitalistischen Arbeit und deren Bezug zur zukünftigen Gesellschaft geht, werde ich diese Probleme nicht näher behandeln. (Eine kurze Erörterung bietet Gorz (1983, 83 f.)) " (S. 67) | [Keine absolute Freiheit aber von entfremdeter Arbeit] |
{ Gerade an diesen wichtigen Stellen, wie auch noch z.B. beim Messen des Wertes in Zeit über den Durschnitt, weicht Postone einer Darlegung aus. (d.V.)}
"
Der Kapitalismus ist zwar in sich durch eine Entwicklungsdynamik gekennzeichnet,
aber diese bleibt vollständig an ihn gebunden: sie überwindet sich nicht selbst.
Was auf der einen Ebene >überflüssig< wird bleibt auf einer anderen
>notwendig<.
Anders gesagt: Der Kapitalismus läßt die Möglichkeit seiner eigenen
Negation
entstehen, aber er toleriert nicht automatisch in irgend etwas anderes.
Daß die Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit für den Kapitalismus
zentral und unverzichtbar bleibt, obwohl sie dank der Entwicklung des
Kapitalismus anachronistisch
geworden ist, läßt eine innere Spannung entstehen. Wie herauszuarbeiten sein
wird, analysiert Marx die Industrieproduktion und die sieh darin entfaltende
Entwicklungstendenz im Verhältnis zu dieser Spannung.
Diese bedeutsame Dimension des grundlegenden Widerspruchs im Kapitalismus verweist darauf, daß er nicht, etwa als Klassenkampf, unmittelbar mit den konkreten, antagonistischen oder konfliktuellen sozialen Verhältnissen gleichgesetzt werden sollte. " (S. 68f) | [Kapitalistische Dynamik in Widerspruch zum Maß des Reichtums in unmittelbarer Arbeitszeit] |
"
Mit Blick auf die Struktur der gesellschaftlichen Arbeit kann der
Grundwiderspruch im Kapitalismus verstanden werden als wachsender Widerspruch
zwischen der Art der Arbeit, die die Menschen unter dem Kapitalismus verrichten,
und der, die sie verrichten könnten, wenn der Wert abgeschafft ist und das in
der kapitalistischen Form entwickelte produktive Potential reflexiv genutzt
wird, um die Menschen von der durch ihre eigene Arbeit konstituierten Herrschaft
entfremdeter Strukturen zu befreien.
"
(S. 70)
| [Grundwiderspruch: zwischen dem Was ist und Was sein könnte] |
{ Kein Zweifel. (d.V.)}
"
Der Marxschen Analyse zufolge ist die gesellschaftliche Arbeit trotz des
Auftauchens der geschichtlichen Möglichkeit, daß die gesellschaftliche
Arbeitsweise für jeden bereichernd sein könnte, für die Vielen
tatsächlich
verarmend. Deshalb verweist das rapide Anwachsen wissenschaftlicher und
technischer Kenntnisse im Kapitalismus nicht auf einen linearen Fortschritt in
Richtung Emanzipation.
"
(S. 70)
| [Kein linearer Gang zur Emanzipation] |
"
Mit dem Hinweis, daß das Potential des im Kapitalismus entwickelten
Produktionssystems zur Aufhebung dieses Systems selbst genutzt werden
könnte,
überwindet die Marxsche Analyse den Gegensatz dieser Perspektiven und zeigt, daß
eine jede von ihnen einen Teilaspekt der komplexeren geschichtlichen Entwicklung
für das Ganze nimmt. Der Gegensatz zwischen dem Glauben an einen linearen
Fortschritt einerseits und seiner romantischen Zurückweisung andererseits ist
Marx zufolge als Ausdruck einer historischen Antinomie zu begreifen, die, nach
beiden ihrer Seiten hin, für die kapitalistische Epoche charakteristisch
ist. (MEW 23,451 f.; 668ff.) Seine kritische Theorie plädiert weder für die
einfache Erhaltung noch für die Abschaffung dessen, was geschichtlich im
Kapitalismus konstituiert wurde. Vielmehr verweist sie auf die
Möglichkeit, daß
das in entfremdeter Form Konstituierte angeeignet und dabei grundlegend
umgestaltet werden kann.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 71)
| [Kapitalistisches Produktionssystem kann zu eigenen Aufhebung genutzt werden] |
1.8 Soziale Bewegungen, Subjektivität und historische Analyse(» K)
"
Im Gegensatz zu Analysen, die ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen
industrieller Produktionsweise und Kapitalismus unterstellen, verwirft diese
Interpretation die Vorstellung, das Proletariat repräsentiere ein soziales
Gegenprinzip zum Kapitalismus. Marx zufolge sind die Manifestationen des
Klassenkampfs zwischen den Vertretern des Kapitals und den Arbeitern etwa zur
Frage der Arbeitszeit oder des Verhältnisses zwischen Löhnen und Profiten
strukturell im Kapitalismus verankert und somit zwar ein wichtiges, für die
Entwicklungsdynamik dieses Systems konstitutives Element. (MEW 23, 249)
Gleichwohl geht aus dieser Analyse des Werts notwendig hervor, daß die
proletarische Arbeit die Grundlage des Kapitals ist und bleibt sie kann somit
nicht zugleich die Basis der möglichen Negation der kapitalistischen
Gesellschaftsformation sein.
"
(S. 72)
| [Proletariat als dem Kapital immanentes Moment - kein Gegenprinzip] |
"
Der kapitalistische Grundwiderspruch, wie er in den Grundrissen
dargestellt
wird, ist nicht der zwischen proletarischer Arbeit und Kapitalismus, sondern der
zwischen proletarischer Arbeit - also der bestehenden Form der Arbeit - und der
Möglichkeit einer anderen Produktionsweise.
"
(S. 72)
| [Grundwiderspruch: zwischen jetziger Form und Möglichkeit] |
"
Die in dieser Studie präsentierte Kritik am Sozialismus - verstanden allein als
effizientere, menschlichere und gerechtere Verwaltung der unter dem Kapitalismus
entstandenen industriellen Produktionsweise - stellt somit gleichzeitig eine
Kritik der Auffassung dar, das Proletariat sei das >revolutionäre Subjekt<
in
dem Sinne, daß es als gesellschaftlicher Handlungsträger sowohl die Geschichte
konstituiere als auch im Sozialismus sich selbst verwirkliche.
Dies impliziert, daß es kein lineares Kontinuum gibt zwischen den Forderungen und Vorstellungen der Arbeiterklasse - so wie diese sich historisch konstituiert und sich in diesem Prozeß selbst behauptet -und den Bedürfnissen, Forderungen und Vorstellungen, die über den Kapitalismus hinaus weisen. " (S. 72) | [Sozialismus nicht als gerechtere Verwaltung] |
{ Mit seiner Kritik am Realsozialismus muß man ihm so erst einmal einfach recht geben. (d.V.)}
"
Eine kritische Theorie des Kapitalismus und der Möglichkeiten seiner Aufhebung
sollte daher auch eine Theorie der gesellschaftlichen Konstitution solcher
Bedürfnisse und Bewußtseinsformen sein - eine Theorie, die die qualitativen
historischen Veränderungen von Subjektivität anzugehen und die sozialen
Bewegungen der Gegenwart dementsprechend zu begreifen vermag. Dies könnte ein
neues Licht auf den Marxschen Begriff der Selbstabschaffung des Proletariats
werfen und bei der Analyse der sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte gute
Dienste leisten.
"
(S. 72)
| [Notwendig: Theorie der Bewußtseins- und Bedürfniskonstitution] |
"
Diese Interpretation des von Marx analysierten Widerspruchs als sowohl
>objektiv< wie >subjektiv< sollte jedoch nicht so verstanden werden,
als sei
damit impliziert, oppositionelles Bewußtsein entstünde notwendigerweise; und
noch weniger meint dies, die Emanzipation werde wie von selbst erreicht. Ich
bewege mich hier nicht auf der theoretischen Ebene einer Wahrscheinlichkeit, zum
Beispiel der Wahrscheinlichkeit der Entstehung solchen Bewußtseins,
sondern
betrachte die Ebene der Möglichkeit - wähle sozusagen die grundlegendere
Formulierung eines Zugangs zum Problem der gesellschaftlichen Konstitution von
Subjektivität einschließlich der Möglichkeit kritischen oder oppositionellen
Bewußtseins.
"
(S. 73)
| [Nicht Notwendigkeit sondern Möglichkeit oppositionellen Bewußtseins] |
1.9 Einige Implikationen für die Gegenwart(» K)
"
Wenn die Kritik der Produktion ins Zentrum rückt, ist es auch möglich, den
Marxschen Begriff des Sozialismus als einer postkapitalistischen Form des
gesellschaftlichen Lebens wieder aufzunehmen. Es ist schon dargelegt worden, daß
für Marx die geschichtliche Beziehung zwischen Kapitalismus und Sozialismus
nicht einfach eine Frage der geschichtlichen Vorbedingungen für die Abschaffung
der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Ersetzung des
Marktes durch Planung ist. Diese Beziehung sollte vielmehr auch unter dem Aspekt
betrachtet werden, daß in zunehmendem Maße die Möglichkeit besteht, die
historisch spezifische Rolle der Arbeit im Kapitalismus durch eine andere Form
gesellschaftlicher Vermittlung abzulösen.
"
(S. 76)
| [Kritik der Produktion] |
"
Das heißt: der Ansatz, mit dessen Entwicklung ich in dieser Studie beginne, geht
davon aus, daß eine postkapitalistische Demokratie mehr umfaßt als demokratische
politische Formen bei einer Abschaffung privater Verfügungsgewalt über
Produktionsmittel. Sie würde ebenfalls die Abschaffung der abstrakten
gesellschaftlichen Zwänge erfordern, die in den von den Marxschen Kategorien
erfaßten gesellschaftlichen Formen angelegt sind.
"
(S. 78)
| [Abschaffung der abstrakten Herrschaft] |
2. Die Voraussetzungen des traditionellen Marxismus(» K)
"
Der Wert stellt für Sweezy die äußere Form dieser verdeckten Interdependenz dar.
Er beschreibt einen indirekten Modus der gesellschaftlichen Verteilung der
Arbeit und ihrer Produkte. Sweezy interpretiert somit die Kategorie Wert allein
in Begriffen des Marktes.
... Dieser Interpretation zufolge ist das Wertgesetz »im wesentlichen eine Theorie des allgemeinen Gleichgewichts« (1970, 71). Eine seiner Hauptfunktionen bestehe darin, »klarzumachen, daß in einer warenproduzierenden Gesellschaft trotz des Fehlens zentralisierter und koordinierter Entscheidung Ordnung herrscht, und nicht bloßes Chaos« (1970, 71). " (S. 83) | [Wert und Gleichgewicht bei Sweezy] |
"
Daß für Marx die Aufhebung des Kapitalismus gleichbedeutend ist mit der
Aufhebung der >automatischen< Distributionsweise, ist nicht zu bestreiten.
Dennoch kann die Kategorie des Werts nicht adäquat erfaßt werden, wenn sie
allein auf die Distributionsweise bezogen wird. Marx analysiert nicht nur,
wie
die Distribution vonstatten geht, sondem auch, was hier verteilt wird.
"
(S. 84)
| [Aufhebung der >automatischen< Distributionsweise] |
"
Ernest Mandel legt eine ähnliche Interpretation vor. Wenngleich er von Wygodski
bezüglich der Priorität des Privateigentums für den Kapitalismus abweicht
(1968,93), liegt auch für ihn die Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus in
ihrem indirekt gesellschaftlichen Charakter:
Wenn die individuelle Arbeit unmittelbar gesellschaftlichen Charakter erhält - und dies ist wohl eines der Hauptcharakteristiken einer sozialistischen Gesellschaft! - so ist es offensichtlich absurd, erst einen Umweg über den Markt zu nehmen, um die gesellschaftliche Qualität dieser Arbeit >wiederzuentdecken<. (1968, 93)Nach Mandel will die Marxsche Werttheorie die indirekte Art und Weise offenlegen, in der sich die gesellschaftliche Qualität der Arbeit im Kapitalismus vermittelt (1968, 93). Derartige Interpretationen, die die Arbeit im Kapitalismus als nicht unmittelbar gesellschaftlich kennzeichnen, finden sich sehr häufig. Was sie als spezifisch gesellschaftlichen <Charakter> oder spezifisch gesellschaftliche <Qualität> der Arbeit im Kapitalismus präsentieren, ist jedoch genau genommen nur die Art und Weise ihrer Verteilung. Eine solche Bestimmung bleibt der Arbeit äußerlich. Um die Unterscheidung zwischen einer äußerlichen und einer inneren Bestimmung der Besonderheit dieser Arbeit klären zu können, soll hier die Marxsche Kennzeichnung der Arbeit im Kapitalismus als privat und gesellschaftlich zugleich herangezogen werden (MEW 13, 21). " (S. 85f) | [Nicht Unmittelbare Gesellschaftlichkeit des Wertes] |
"
Hier bedeutet <gesellschaftlich> nichts weiter als nicht-<privat>,
meint
das,
was sich scheinbar auf die Gesamtheit, nicht auf das Individuum bezieht. Weder
wird der besondere Charakter der betreffenden gesellschaftlichen Verhältnisse
zum Problem noch ist in einem derartig bestimmten Begriff des
<Gesellschaftlichen> der Gegensatz zwischen gesellschaftlich und privat
enthalten.
"
(S. 86)
| [Trad.: gesellschaftlich = nicht-privat] |
"
Mit anderen Worten: der Gegensatz zwischen privater und unmittelbar
gesellschaftlicher Arbeit ist der von zwei Seiten, die sich gegenseitig ergänzen
und bedingen.
Der Gedanke liegt nahe, daß es die Arbeit im Kapitalismus selbst ist, die eine
unmittelbar gesellschaftliche Dimension besitzt, und daß der unmittelbar
»gesellschaftliche Charakter der Arbeit« nur innerhalb gesellschaftlicher
Bedingungen existiert, die ebenso durch die Existenz »privater Arbeit«
gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zu den oben umrissenen Interpretationen macht
Marx ausdrücklich geltend, daß der unvermittelt gesellschaftliche Charakter der
Arbeit im Kapitalismus den Kern dieser Gesellschaft ausmacht.
"
(S. 87)
| [Identisches Moment gesell. und privat im Kapitalismus] |
"
Er erachtet diesen unmittelbar gesellschaftlichen Charakter der Arbeit
als
zentral für die den Kapitalismus kennzeichnenden geschichtlichen Prozesse, in
deren Verlauf sich allgemeine gesellschaftliche Potenzen und Reichtum
herausbilden - jedoch auf Kosten der Individuen:
"Es ist in der Tat nur durch die ungeheuerste Verschwendung von individueller Entwicklung, daß die Entwicklung der Menschheit überhaupt gesichert und durchgeführt wird in der Geschichtsepoche, die der bewußten Rekonstitution der menschlichen Gesellschaft unmittelbar vorausgeht. Da die ganze Ökonomisierung, von der hier die Rede, entspringt aus dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, so ist es in der Tat gerade dieser unmittelbare gesellschaftliche Charakter der Arbeit, der diese Verschwendung von Leben und Gesundheit der Arbeiter erzeugt."(MEW 25, 99; Hervorhebung M. P.) " [Herv. v. P.H.] (S. 88) | [Unmittelbar gesellschaftlich im Kapitalismus] |
{ Auch in anderen Gesellschaften ist die Arbeit immer vermittelt, sei es über tradierte Formen und ihre Durchsetzung. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass die Arbeit in jeder Gesellschaft als Teil der Gesamtarbeit auch immer unmittelbar gesellschaftlich ist, z.B. alleine in der Kooperation, oder es ist auch immer Arbeit für die anderen und mit den anderen. Wobei erst der Kapitalismus die Gesamtarbeit, bzw. den Gesamtarbeiter, als wirkliche Qualität erst vollständig entwickelt, als global verteilte Produktion und Distribution. Dies gibt Postone denn auch als Banalität zu. (d.V.)}
{ Dies ist eine glatte Unterstellung und kann erst getroffen werden, wenn man mittelbar und vermittelt so einseitig begreift, wie M.P.. Postone verwechselt 'unmittelbar' und 'vermittelt' im Kapitalismus mit der anderen Vermitteltheit in anderen Gesellschaftsordnungen und der abstrakt immer vorhandenen Gesellschaftlichkeit der menschlichen Arbeit. Letzteres ist in der Tat transhistorisch, wie auch die Kooperation von Menschen als Eigenschaft von Gesellschaft als solcher transhistorisch ist, so es Gesellschaft gibt. (d.V.)}
Postone löst das Dilemma, dass die Arbeit deshalb unmittelbar gesellschaftlich
ist, weil sie gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit ist und dies ist Arbeit
nur im Kapitalismus. So ist diese Unmittelbarkeit auch nur im
Kapitalismus
vorhanden, nur hier ist die Vermittlung durch Arbeit gegeben.
| [Unmittelbar, weil vermittelnd] |
"
In der späten kritischen Theorie von Marx ist die Arbeit im Kapitalismus
unmittelbar gesellschaftlich, weil sie als gesellschaftlich vermittelte
Tätigkeit agiert. Diese - historisch einzigartige - gesellschaftliche Qualität
unterscheidet die Arbeit im Kapitalismus von der Arbeit in anderen
Gesellschaften und bestimmt den Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse
als kapitalistische Formation. Weit davon entfernt, die Abwesenheit
gesellschaftlicher Vermittlung anzuzeigen (das heißt die Existenz unvermittelter
gesellschaftlicher Verhältnisse), konstituiert der unmittelbar gesellschaftliche
Charakter der Arbeit eine für den Kapitalismus spezifische Form
gesellschaftlicher Vermittlung.
"
(S. 88)
| [Unmittelbar, weil vermittelnd] |
"
Allgemeiner gefragt: Was ist der Unterschied zwischen klassischer politischer
Ökonomie und der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie?
"
(S. 91)
| [Was ist der Unterschied?] |
"
Beim Wertgesetz handele es sich um eine Theorie des Gleichgewichts, die als
solche mit der Entwicklungsdynamik des Kapitalismus nichts zu tun habe.
"
(S. 93)
| [Wertgesetz als Gleichgewichtstheorie] |
"
Entscheidend ist die Implikation, der Charakter der Marxschen Kapitalismuskritik
sei im Prinzip identisch mit der bürgerlichen Kritik an früheren
Gesellschaftsordnungen. In beiden Fällen werden gesellschaftliche Verhältnisse
vom Standpunkt der Arbeit kritisiert. Wenn aber Arbeit den Standpunkt der
Kritik bildet, dann ist und kann sie selbst nicht ihr Gegenstand sein.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 94)
| [Standpunkt der Arbeit = bürgerlich] |
"
Diese Differenz kennzeichnet den Unterschied zwischen einer Gesellschaftskritik,
die vom Standpunkt der >Arbeit< ausgeht - einem Standpunkt, der selbst
nicht Gegenstand der Untersuchung ist -, und einer Kritik, in der die Form der
Arbeit selbst den Gegenstand der kritischen Untersuchung darstellt. Erstere
bleibt in der kapitalistischen Gesellschaftsformation verfangen, letztere
hingegen weist darüber hinaus.
"
(S. 100)
| [Kritik der Form der Arbeit selbst] |
2.3 >Arbeit<, Reichtum und gesellschaftliche Konstitution(» K)
"
>Arbeit< wird hier zum ontologischen Grund der Gesellschaft, der das
gesellschaftliche Leben konstituiert, bestimmt und ursächlich steuert. Wenn die
Arbeit, wie die traditionellen Interpretationen behaupten, die einzige Quelle
gesellschaftlichen Reichtums darstellt und alle Gesellschaften dem Wesen nach
konstituiert, dann können die Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften
nur eine Funktion der verschiedenen Weisen sein, wie dieses regulierende Element
vorherrscht - ob in verschleierter und >mittelbarer< Form oder (was
natürlich vorzuziehen ist) in offener und >unmittelbarer< Form.
"
(S. 105)
| [Aporie der Planwirtschaft] |
"
Wie Hilferding behauptet Reichelt, daß der Inhalt des Werts im Sozialismus
»bewußt zum Prinzip der Ökonomie erhoben« werde. Wenn aber die >Form<
(Wert) strikt vom >Inhalt< (>Arbeit<) getrennt werden kann, hat dies
zur Folge, daß diese Bestimmung nicht eine Form der Arbeit, sondern der Weise
ihrer gesellschaftlichen Verteilung ist. Dieser Interpretation zufolge gibt es
keine innere Verknüpfung zwischen Form und Inhalt - es kann sie auch nicht
geben, wenn man den vorgeblich transhistorischen Charakter des Inhaltes als
gegeben nimmt.
Diese Interpretation des Verhältnisses von Form und Inhalt ist gleichzeitig eine bestimmte Interpretation des Verhältnisses von Erscheinung und Wesen. " [Herv. v. P.H.] (S. 106) | [Form und Inhalt bei Reichelt] |
"
Wenn >Arbeit< als das transhistorische Wesen des gesellschaftlichen Lebens
angesehen wird, wird unter Mystifizierung notwendigerweise die historisch
vergängliche Form verstanden, die mystifiziert und die es abzuschaffen gilt
(Wert) und die von dem transhistorischen Wesen (>Arbeit<), das sie
verschleiert, unabhängig ist. Entmystifizierung wird somit als ein Prozeß
verstanden, der das Wesen transparent und unmittelbar erscheinen läßt.
"
(S. 107)
| [Entmystifizierung der Arbeit] |
"
Zwar konstituiert und bestimmt Marx zufolge die Arbeit tatsächlich die
Gesellschaft - aber nur im Kapitalismus. Geschuldet ist dies allein
ihrer geschichtlichen Besonderheit und nicht einfach dem Umstand, daß sie eine
Tätigkeit ist, die die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur materiell
vermittelt. Was Theoretiker wie Hilferding der >Arbeit< zuschreiben,
stellt für Marx eine transhistorische Hypostasierung der Besonderheit der Arbeit
im Kapitalismus dar.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 107)
| [Konstitution durch Arbeit nur im Kapitalismus] |
{ Aber das machst du für deine Kritik erst recht nicht. (d.V.)}
"
Indern er eine Kritik der Arbeit im Kapitalismus auf der Basis ihrer
geschichtlichen Besonderheit formulierte, entwickelte Marx die auf der
Arbeitswerttheorie aufgebaute Gesellschaftskritik von einer >positiven< zu
einer >negativen< Kritik weiter. Die Kapitalismuskritik, die den
Ausgangspunkt der klassischen politischen Ökonomie - einen transhistorischen,
undifferenzierten Begriff von >Arbeit< - beibehält, um daraus die
strukturelle Existenz von Ausbeutung zu beweisen, ist, ihrer Form nach,
>positive< Kritik.
"
(S. 110)
| [Marx' negative Kritik] |
2.4 Gesellschaftskritik vom Standpunkt der Arbeit(» K)
"
Die Aufhebung des Mehrwerts wird als Abschaffung des Privateigentums und somit
der Ausbeutung des allgemeinen, allein durch die Arbeit geschaffenen
gesellschaftlichen Überschusses seitens einer unproduktiven Klasse konzipiert:
die produktive Arbeiterklasse könnte sich dann die Ergebnisse ihrer kollektiven
Arbeit wieder aneignen (vgl. u. a. Dobb 1940, 76ff). Im Sozialismus werde die
Arbeit offen als das regulierende Prinzip des gesellschaftlichen Lebens
erscheinen und so die Grundlage für die Verwirklichung einer rationalen und
gerechten, auf allgemein gültigen Prinzipien gegründeten Gesellschaft schaffen.
"
(S. 195)
| [Abschaffung des Privateigentums] |
"
Letztlich dient sie, weil aus diesem Blickwinkel die Arbeit die Beziehung
zwischen Mensch und Natur konstituiert, als Standpunkt, von dem aus die
gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen untereinander beurteilt werden
können: Verhältnisse, die mit der Arbeit in Einklang stehen und ihre
grundlegende Bedeutung ausdrucken, werden als gesellschaftlich >natürlich<
angesehen. Deshalb ist die Gesellschaftskritik vorn Standpunkt der
>Arbeit< eine Kritik von einer quasi-natürlichen Warte aus, der einer
Sozialontologie.
"
(S. 112)
| [Sozialonthologie - Standpunkt des Natürlichen] |
"
Dementsprechend ist die auf >Arbeit< basierende, normative und historische
Kritik ihrem Charakter nach positiv: ihr Standpunkt ist der einer bereits
bestehenden Struktur der Arbeit und der diese verrichtenden Klasse. Die
Emanzipation ist verwirklicht, wenn eine bereits bestehende Struktur der Arbeit
nicht mehr durch kapitalistische Verhältnisse im Zaum gehalten und dazu benutzt
wird, Partikularinteressen zu befriedigen, sondern bewußter Kontrolle im
Interesse aller unterworfen ist. Deshalb müsse die Kapitalistenklasse im
Sozialismus abgeschafft werden - nicht aber die Arbeiterklasse; müsse die
private Aneignung des Mehrwerts und die am Markt orientierte Distributionsweise
historisch negiert werden - nicht aber die Struktur der Produktion. (Dobb 1940,
75ff.)
"
(S. 113)
| [Nichtabschaffung der Arbeiter] |
"
...- das heißt die Kritik der Distributionsweise vom Standpunkt der
industriellen Produktion -, schwerwiegende Mängel und zu kritisierende
Konsequenzen auf. Statt über die kapitalistische Gesellschaftsformation
hinaus-zuweisen, hypostasiert und projiziert die vorn Standpunkt der
>Arbeit< geübte, traditionelle und positive Kritik die für den
Kapitalismus spezifischen geschichtlichen Formen des Reichtums und der Arbeit
auf alle Geschichtsepochen und Gesellschaften. Eine derartige Projektion
behindert das Begreifen der Besonderheit einer Gesellschaft, in der die Arbeit
eine einzigartig konstituierende Rolle spielt, und verfehlt das Abklären der
Möglichkeiten zur Aufhebung dieser Gesellschaft. Der Unterschied zwischen diesen
beiden Arten der Gesellschaftskritik ist der zwischen einer kritischen Analyse
des Kapitalismus als einer Form von Klassenausbeutung und -herrschaft
innerhalb der modernen Gesellschaft und einer kritischen Analyse der Form der
modernen Gesellschaft selbst.
"
(S. 114)
| [Kritik innerhalb und der Form selbst] |
"
Sozialismus ist somit konzipiert als Verwirklichung der allgemeinen
gesellschaftlichen Ideale und repräsentiert in diesem Sinne die umfassende
Verwirklichung der modernen Gesellschaft selbst. Im zweiten Teil dieser Arbeit
wird näher ausgeführt, daß Ideale wie Vernunft, Universalität und Gerechtigkeit,
wie sie sowohl von der traditionellen marxistischen als auch seitens der frühen
bürgerlichen Gesellschaftskritik verstanden wurden, keineswegs ein
nicht-kapitalistisches Moment der modernen Gesellschaft repräsentieren. Sie sind
vielmehr als eine Art gesellschaftlicher Konstitution zu begreifen, die im
Kapitalismus durch die Arbeit hervorgebracht wird.
"
(S. 115)
| [Ideale durch Kapitalismus konstituiert] |
"
Die Gesellschaftskritik vom Standpunkt der >Arbeit< interpretiert diese
Form der Herrschaft wesentlich als Klassenherrschaft, die in der privaten
Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ihren Grund hat. Die
Gesellschaftskritik der Arbeit im Kapitalismus dagegen charakterisiert die
fundamentale Herrschaftsform als abstrakte, unpersönliche, strukturelle Form,
die der historischen Dynamik des Kapitalismus zugrundeliegt. Sie begründet diese
abstrakte Herrschaftsform in den historisch spezifischen gesellschaftlichen
Formen des Werts und der Wert produzierenden Arbeit.
"
(S. 117)
| [Klassenherrschaft vs. abstrakter Herrschaft] |
"
In dieser Lesart der kritischen Kapitalismustheorie von Marx wird der Boden für
eine weitreichende Kritik abstrakter Herrschaft - als, Beherrschung der Menschen
durch ihre Arbeit - bereitet und, damit zusammenhängend, für eine Theorie der
gesellschaftlichen Konstitution einer Lebensform, die durch eine ihr
innewohnende spezifische Entwicklungsdynamik charakterisiert ist.
"
(S. 117)
| [Arbeit beherrscht den Menschen] |
"
Als erstes müßte sie versuchen, die Konstitutionsbedingungen dieser
traditionellen Kapitalismuskritik theoretisch zu begründen. So könnte
beispielsweise, Marxschem Procedere folgend, gezeigt werden, daß die
theoretischen Voraussetzungen dieser Theorie darauf gründen, wie sich die
gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus manifestieren. In dieser Studie
werde ich einen Schritt in diese Richtung unternehmen, indem ich zeige, wie der
historisch spezifische Charakter der Arbeit im Kapitalismus für Marx darin
besteht, daß sie als transhistorische >Arbeit< erscheint.
"
(S. 119)
| [Arbeit erscheint als transhistorisch] |
"
Das Resultat ist eine Kritik der ungleichen Verteilung des Reichtums und der
Macht sowie des Fehlens gesellschaftlicher Anerkennung für die einzigartige
Bedeutung der unmittelbaren menschlichen Arbeit als dem entscheidenden Element
der Produktion - statt einer Kritik dieser Arbeit und einer Analyse der
historischen Möglichkeit, sie abzuschaffen.
... Die auf einer Affirmation der >Arbeit< als Quelle gesellschaftlichen Reichtums basierende Vorstellung von der Selbstverwirklichung des Proletariats entsprach der Unmittelbarkeit dieses historischen Kontextes genauso wie die damit zusammenhängende Kritik des freien Marktes und der privaten Verfügungsgewalt. Indem jedoch diese Vorstellung als eine Bestimmung des Sozialismus in die Zukunft projiziert wird, impliziert sie eher die entwickelte Existenz des Kapitals als seine Abschaffung. " (S. 120f) | [Abschaffung der Arbeit] |
2.5 Arbeit und Totalität: Hegel und Marx(» K)
"
Hegel versucht, die klassisch-theoretische Dichotomie von Subjekt und Objekt zu
überwinden, indem er die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit: Natürliches wie
Gesellschaftliches, Subjektives wie Objektives, als durch Praxis konstituiert
begreift, genauer: als die vergegenständlichende Praxis des Geistes, des
weltbistorischen Subjekts. Der Geist konstituiert objektive Realität mittels
eines Prozesses der Entäußerung oder Selbstvergegenständlichung, und er
konstituiert sich in diesem Prozeß reflexiv selbst. Weil sowohl Objektivität als
auch Subjektivität durch den sich dialektisch entfaltenden Geist konstituiert
werden, sind sie von gleicher Substanz, statt notwendig getrennt zu sein: beide
sind Momente eines substantiell homogenen, allgemeinen Ganzen - einer Totalität.
"
(S. 122f)
| [Geist als historisches Subjekt, Hegel] |
"
Für Hegel ist demnach der Geist gleichzeitig subjektiv und objektiv - er ist das
identische Subjekt-Objekt, die >Substanz<, die zur gleichen Zeit
>Subjekt< ist ...
"
(S. 123)
| [Geist = identisches Subjekt-Objekt, Hegel] |
"
Dieser geschichtliche Prozeß der Selbstvergegenständlichung ist, Regel zufolge,
einer der Selbstentfremdung und führt letzten Endes dazu, daß der Geist
sich das, was sich ihm im Verlauf seiner Entfaltung entfremdet hat, wieder
aneignet. Die geschichtliche Entwicklung hat also einen Endpunkt: die
Verwirklichung des Geistes durch sich selbst als sich totalisierendes und
totalisiertes Subjekt.
"
(S. 123)
| [Geist = totalisierendes und totalisiertes Subjekt , Hegel] |
"
Trotz seiner Brillanz ist dieser Versuch von Lukács, den Kapitalismus gedanklich
zu rekonstruieren, zutiefst inkonsistent. Obwohl sein Vorgehen über den
traditionellen Marxismus hinausweist, bleibt er einigen seiner theoretischen
Voraussetzungen verhaftet. In seiner materialistischen Aneignung Hegels wird die
Gesellschaft als eine durch die (traditionell verstandene) Arbeit
konstituierte Totalität analysiert. Weil die Totalität somit den Standpunkt
seiner kritischen Analyse der kapitalistischen Gesellschaft bildet,
identifiziert er das Proletariat in >materialisierten< Hegelschen
Begriffen als das identische Subjekt-Objekt des geschichtlichen Prozesses, das
die gesellschaftliche Welt und sich selbst in seiner Arbeit konstituiert. Mit
dem Umsturz der kapitalistischen Ordnung verwirkliche dieses historische Subjekt
sich selbst. (Lukács 1968b, 279ff.; 326ff.; 393ff).
"
[Herv. v. P.H.] (S. 124f)
| [Totalität aus traditioneller ''Arbeit'' ,Lukács] |
"
Für ihn besitzt der Wert eine »Substanz« und diese identifiziert er als abstrakt
menschliche Arbeit (MEW 23, 53). Marx sieht somit in der >Substanz< nicht
mehr einfach eine theoretische Hypostasierung, sondern begreift sie nun
als Attribut durch Arbeit vermittelter gesellschaftlicher Verhältnisse,
als Ausdruck eines bestimmten Typus gesellschaftlicher Realität. Das Wesen
dieser gesellschaftlichen Realität untersucht er im Kapital, indem er die
Waren- und Geldformen aus den Kategorien des Gebrauchswerts, des Werts und
dessen »Substanz« logisch entfaltet. Von hier aus beginnt Marx die Analyse der
komplexen Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse, die in seiner Kategorie
des Kapitals zum Ausdruck kommt.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 127)
| [Veränderte Substanz, später Marx] |
"
Von hier aus beginnt Marx die Analyse der komplexen Struktur der
gesellschaftlichen Verhältnisse, die in seiner Kategorie des Kapitals zum
Ausdruck kommt. Eingangs bestimmt er das Kapital in bezug auf den Wert er
beschreibt es kategorial als den sich selbst verwertenden Werts. An diesem Punkt
seiner Darstellung Kapitals verwendet Marx Ausdrücke, die sich eindeutig auf
Hegels Begriff des Geistes beziehen:
"(Der Wert) geht beständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt... In der Tat aber wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert... sich selbst verwertet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertang also Selbsverwertung ... (Wert) stellt ... sich hier plötzlich dar als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen." (MEW 23, 168f)" (S. 127) | [Sich selbst bewegende Substanz] |
"
Marx kennzeichnet das Kapital ausdrücklich als sich selbst bewegende Substanz,
die Subjekt ist. Damit unterstellt er, daß im Kapitalismus tatsächlich ein
historisches Subjekt im Hegelschen Sinne existiert. Jedoch identifiziert er es
nicht mit einer gesellschaftlichen Schicht wie dem Proletariat oder mit der
Menschheit schlechthin. Vielmehr analysiert Marx es in bezug auf die Struktur
der gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch Formen vergegenständlichender
Praxis konstituiert und in der Kategorie Kapital (und somit des Werts) erfaßt
werden. Seine Analyse weist daraufhin, daß die den Kapitalismus kennzeichnenden
gesellschaftlichen Verhältnisse von einer sehr besonderen Art sind. Sie besitzen
genau diejenigen Attribute, die Hegel dem Geist zuschrieb. In diesem Sinne
existiert im Kapitalismus ein historisches Subjekt, wie Hegel es sich
vorgestellt hat.
"
(S. 127f)
| [Historisches Subjekt = Kapital] |
"
Dieser Unterschied hängt mit dem zwischen den beiden hier untersuchten Formen
der Gesellschaftskritik zusammen, also mit der
Differenz zwischen einem Verständnis des Kapitalismus als einem System von
Klassenausbeutung und -herrschaft innerhalb der modernen Gesellschaft einerseits
und andererseits des Kapitalismus als Struktur der modernen Gesellschaft selbst.
Dabei ist das >Subjekt< für Marx eine begriffliche Bestimmung dieser
Struktur.
"
(S. 128f)
| [Klassenherrschaft vs. Struktur der Moderne] |
"
Im Kapital analysiert Marx den Kapitalismus als eine Dialektik der Entwicklung,
die in der Tat unabhängig vom individuellen Willen ist und sich deshalb als
Logik präsentiert. Er untersucht die Entfaltung dieser dialektischen Logik als
realen Ausdruck entfremdeter gesellschaftlicher Verhältnisse, die durch Praxis
konstituiert werden und doch quasi-autonom existieren. Diese Logik wird von ihm
nicht als eine Illusion oder einfach als eine Konsequenz ungenügenden Wissens
behandelt.
"
(S. 129)
| [Kapital als Logik] |
II Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Die Ware(» K)
4.1 Erfordernisse einer kategorialen Interpretation(» K)
"
Es wurden die von einer transhistorischen Vorstellung von >Arbeit<
ausgehenden
Vorgehensweisen untersucht, welche die den Kapitalismus kennzeichnenden
gesellschaftlichen Verhältnisse ausschließlich auf die Distributionsweise
beziehen und seinen Grundwiderspruch in dem zwischen Distributions- und
Produktionsweise situieren. Dabei war das Argument zentral, daß die Marxsche
Kategorie Wert nicht bloß als Ausdruck einer marktvermittelten Form der
Verteilung des Reichtums verstanden werden sollte und deshalb sich eine
kategoriale Interpretation auf die Marxsche Unterscheidung zwischen Wert und
stofflichem Reichtum konzentrieren müsse. Diese Interpretation muß zeigen, daß
Wert in der Analyse von Marx wesentlich nicht eine Kategorie des Marktes
darstellt und daß das >Wertgesetz< nicht bloß ein Gesetz des allgemeinen
ökonomischen Gleichgewichts ist.
"
(S. 195)
| [Das Problem des transhistorischen] |
"
Eine zureichende Interpretation des Werts muß die
Bedeutung seiner zeitlichen Bestimmung für die Marxsche Kritik und für die Frage
nach der historischen Dynamik des Kapitalismus aufzeigen.
"
(S. 195f)
| [Wichtigkeit der zeitlichen Bestimmung des Wertes] |
"
Kurz gesagt, beabsichtige ich, die Marxschen Kategorien in einer Weise neu zu
bestimmen, daß sie die gesellschaftliche Totalität tatsächlich in
ihrem Kern als
widersprüchlich begreifen und sich nicht nur auf eine ihrer Dimensionen
beziehen, die dann der >Arbeit< entgegenstünden oder als von ihr
subsumiert begriffen werden.
"
(S. 197)
| [Neubestimmen der Kategorien] |
"
Der Begriff wäre damit seinem Gegenstand adäquat und bliebe dennoch kritisch,
müßte also nicht affirmativ werden. Und somit müßte sich kritische
Gesellschaftstheorie nicht im Auseinanderfallen von Begriff und Sache gründen,
wie Horkheimer dachte, sondern im Begriff selbst, das heißt in den kategorialen
Formen. Dies wiederum könnte die selbstreflexive erkenntnistheoretische
Konsistenz der Kritik wiederherstellen.
"
(S. 197)
Der Verweis auf die Aufzeigung der Möglichkeit des Kommunismus unterscheidet
M.P. vielleicht von vielen kritischen Philosophen. Aber, die Affirmation will
auch er vermeiden, wobei dunkel bleibt, welche er meint.
"
Die historische Abschaffung der kategorial erfaßten gesellschaftlichen
Formen
muß sich als bestimmte Möglichkeit darstellen lassen, welche die
gesellschaftliche Grundlegung von Freiheit in sich enthält.[Herv. v. P.H.]
"
(S. 197)
| [Probleme mit der Kritischen Theorie] |
"
Es ist ein Charakteristikum des Kapitalismus, daß seine wesentlichen
gesellschaftlichen Verhältnisse ihre Gesellschaftlichkeit auf eigentümliche
Weise erlangen. Sie existieren nicht als manifeste Verhältnisse zwischen
Individuen, sondern als quasi-unabhängiges Strukturgefüge, das den Individuen
gegenübertritt: als Sphäre unpersönlicher, »sachlicher« Notwendigkeit und
»sachlicher Abhängigkeit«. Folglich ist die dem Kapitalismus eigentümliche Form
gesellschaftlicher Herrschaft nicht offensichtlich gesellschaftlich und
persönlich...
Kapitalismus ist ein System abstrakter, unpersönlicher Herrschaft. " (S. 198)
"
Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als
ein Verhängnis außer ihnen existiert; aber die gesellschaftliche Produktion ist
nicht unter die Individuen subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen
handhaben. (MEW 42, 92)
... Wenn die Individuen der Produktion subsumiert sind, bedeutet dies, daß sie von gesellschaftlicher Arbeit beherrscht werden. " (S. 198)
Diese Hauptthese wird nun weiter verfolgt, dass die Arbeit letztendlich die
gesellschaftliche Totalität schafft und mit ihrem Charakter den der Totalität
bestimmt. Dies wird aber so dargestellt, dass nur im Kapitalismus die
Arbeit diese Art von Konstitution beherrbergt, was wieder mit der Ablehnung
transhistorischer Betrachtung zu tun hat.
"
Im Kapitalismus ist gesellschaftliche Arbeit nicht nur Gegenstand von
Herrschaft und Ausbeutung, sondern selbst deren wesentlicher Grund. Die
für den Kapitalismus charakteristische unpersönliche, abstrakte,
>sachliche<
Herrschaftsform scheint der Beherrschung der Individuen durch ihre
gesellschaftliche Arbeit inhärent zu sein.
"
(S. 199)
Die Arbeit konstituiert im Kapitalismus die abstrakte Herrschaft, also die
bestimmte gesellschaftliche Praxis. Ein Moment, was später noch ausführlich
beschrieben wird.
| [Die sachliche, abstrakte, unpersönliche Herrschaft] |
"
Eine derart marktzentrierte Interpretation geht davon aus, daß die
Klassenherrschaft der unveränderliche Grund der gesellschaftlichen Herrschaft
ist und daß sich lediglich die Form ändere, in der sie vorherrscht (unmittelbar
oder über den Markt). Diese Interpretationen ähneln denen, die annehmen, die
>Arbeit< sei die Quelle des Reichtums und konstituiere transhistorisch die
Gesellschaft, zu kritisieren sei lediglich die Art und Weise, wie sich die
>Arbeit< verteilt.
"
(S. 199)
| [Kritik an transhistorischer Betrachtung] |
Zu Pollock
"
Dies zu kritisieren bedeutet zugleich, die Annahme zu bezweifeln, daß mit der
Ablösung des Marktes durch den Staat nicht nur in Teilbereichen nicht-bewußte
Strukturen durch bewußte Kontrolle ersetzt, sondern daß alle derartigen
Strukturen abstrakten Zwangs und somit die historische Dialektik überwunden
seien.
"
(S. 200)
"
Das Verständnis abstrakter Herrschaft ist eng an die Interpretation des Werts
gebunden. Ich werde zeigen, daß der Wert als eine Form des Reichtums - den Kern
von Strukturen abstrakter Herrschaft bildet, deren Bedeutung über den Markt und
die Zirkulationssphäre hinausgeht (zum Beispiel bis in die Produktionssphäre
hinein). Es wird davon ausgegangen, daß die Planung, solange der Wert die Form
des Reichtums bleibt, selbst den Erfordernissen abstrakter Herrschaft unter
worfen ist. Das heißt: öffentliche Planung reicht an und für sich nicht hin, das
System abstrakter Herrschaft - die den Kapitalismus kennzeichnende
unpersönliche, nicht-bewußte, unfreiwillige, vermittelte Form von Notwendigkeit
- zu überwinden. Öffentliche Planung, als das angeblich sozialistische Prinzip,
sollte deshalb nicht abstrakt dem Markt, als dem Prinzip des Kapitalismus,
gegenübergestellt werden.
"
(S. 200f)
| [Kritik an der staatlichen/öffentlichen Planung der Produktion] |
4.2 Der historisch bestimmte Charakter der Marxschen Kritik(» K)
"
Vor der weiteren Untersuchung dieser Kategorien - speziell des Doppelcharakters
der warenproduzierenden Arbeit, den Marx als »den Springpunkt, um den sich das
Verständnis der politischen Ökonomie dreht« (MEW 23, 56), ansieht - ist es
wichtig, ihre historische Besonderheit zu betonen.
"
(S. 201f)
"
Untersucht wird nicht die aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang gerissene
Ware, wie sie beliebig in vielen Gesellschaften existieren mag. Analysiert wird
»die Form der Ware als die allgemein notwendige gesellschaftliche Form des
Produkts selbst« (Marx 1969, 91) und als die »allgemeine elementarische Form des
Reichtums« (Marx 1969, 92). Allgemeine Form ist die Ware Marx zufolge aber
nur im Kapitalismus (Marx 1969, 92).
"
(S. 202)
| [Betonung der historischen Besonderheit] |
"
In anderen Worten: eine Ware, wie Marx sie im Kapital untersucht, setzt
Lohnarbeit und damit Kapital voraus. Somit ist »die kapitalistische Produktion
die Warenproduktion als allgemeine Form der Produktion« (MEW 24, 119).
"
(S. 202)
| [Die Ware setzt das Kapital voraus] |
"
Darum bedeutet die bloße Existenz von Tauschbeziehungen zum Beispiel nicht
bereits, daß die Ware als eine strukturierende gesellschaftliche Kategorie
existiert und daß gesellschaftliche Arbeit Doppelcharakter hat. Nur im
Kapitalismus hat gesellschaftliche Arbeit doppelten Charakter (MEW 23, 87), nur
hier existiert der Wert als spezifisch gesellschaftliche Form menschlicher
Tätigkeit (MEW 26.1, 20).
"
(S. 202)
| [Doppelcharakter der Arbeit nur im Kapitalismus] |
{ Hier, wie noch an vielen anderen Stellen, schränkt Postone die Erkenntnisse von Marx auf den Kapitalismus in einer Weise ein, die jede transhistorische Aussage ausschließen soll. Dies ist im Modus der Kritik wichtig, in der Ausschließlichkeit hingegen undialektisch. Dies ist ein Hauptmotiv seiner kritischen Kritik. Im 'einfach' des nächsten Zitats verschwimmt dies. Es ist klar, dass es kein einfaches Anwenden der Marxschen Kategorien auf Nichtkapitalismus gibt, unbesehen. Aber trotz dessen gibt es diese Anwendung, wenn sie die notwendige Transformation in Rechnung stellt. Sonst kann man auch nicht zu einer bestimmten Negation des Kapitalismus gehen, welches ja definitiv ein Darüberhinausgehen darstellt. (d.V.)}
"
Sofern tatsächlich eine zum Kapitalismus hinführende logisch angelegte
historische Entwicklung dargestellt ist - wie in der Analyse des Werts im 1.
Kapitel des Kapitals (MEW 23, 62 ff.)3 - muß diese Logik eher als
retrospektiv
evident, denn als immanent notwendig verstanden werden. Marx zufolge existiert
zwar eine immanent notwendige Form historischer Logik, diese ist aber ein
Attribut allein der kapitalistischen Gesellschaftsformation.
Die kategorial gefaßten gesellschaftlichen Formen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie sind somit historisch bestimmt und können nicht einfach auf andere Gesellschaften angewandt werden. Gleichermaßen sind sie historisch bestimmend. Am Anfang seiner kategorialen Analyse stellt Marx explizit fest, daß sie als Untersuchung der Besonderheit des Kapitalismus zu verstehen ist:... " (S. 203) | [Immanente historische Logik nur im Kapitalismus] |
"
Wenn die Ware, als allgemeine und totalisierende Form, tatsächlich die
»Elementarform« (MEW 23, 49) der kapitalistischen Formation ist, dann sollte
ihre Untersuchung die wesentlichen Bestimmungen der Marxschen
Kapitalismusanalyse und insbesondere die spezifischen Charakteristika der
Arbeit, die der Warenform zugrundeliegt und die zugleich von ihr bestimmt wird,
enthüllen.
"
(S. 204)
{
Die beiden Momente der Ware
| [Ware als totalisierende Form] |
4.3 Historische Besonderheit: Wert und Preis(» K)
"
Marx analysiert die Ware als verallgemeinerte gesellschaftliche Form im Kern der
kapitalistischen Gesellschaft. Diesem Selbstverständnis gegenüber hat die
Behauptung, das Wertgesetz, und somit die Verallgemeinerung der Warenform, seien
einer vorkapitalistischen Situation zugehörig, keine Berechtigung.
[Herv. v. P.H.]
"
(S. 204)
{ Nach meinem Dafürhalten ist aber das Wertgesetz eine Form etwas transhistorischem. Außerdem, wie erklärt M.P. die Phönizier? Selbstverständlich hat es eine Warenproduktion gegeben, die schon uralt ist, wo Produkte für einen Markt, für den Handel hergestellt worden sind und getauscht wurden. Produkt waren Geldformen bis zu einem Goldstandart bei den alten Ägyptern. (d.V.)} | [Wertgesetz gilt nur im Kapitalismus - keine einfache Warenzirkulation] |
"
Was Böhm-Bawerks Argumentation betrifft, seien zwei Punkte angesprochen. Erstens
hat Marx, entgegen Böhm-Bawerks Annahme, nicht zuerst den ersten Band des
Kapitals beendet, um erst später, bei der Niederschrift des dritten
Bandes, zu
bemerken, daß die Preise von den Werten abwichen und somit seinen Ausgangspunkt
untergrüben. Marx verfaßte vielmehr die Manuskripte für den dritten Band
zwischen 1863 und 1867, das heißt bevor der erste Band veröffentlicht wurde.6
"
(S. 208)
"
Die Schwierigkeit der Diskussion des Transformationsproblems liegt darin, daß
gemeinhin angenommen wird, Marx habe das Wertgesetz operationalisierbar machen
wollen, um die Marktmechanismen zu erklären. Es dürfte aber klar sein, daß Marx
eine andere Absicht verfolgte.7
"
(S. 208)
| [1=>3.Band] |
"
Die durch Preise ausgedrückte Ebene gesellschaftlicher Realität stellt in der
Analyse von Marx eine Erscheinungsform des Werts dar, die das zugrundeliegende
Wesen verschleiert. Die Wertkategorie ist weder eine grobe, erste Annäherung an
die kapitalistische Realität noch eine Kategorie, die für vorkapitalistische
Gesellschaften gültig ist. Statt dessen drückt sie den »inneren Zusammenhang«
der kapitalistischen Gesellschaftsformation aus.
"
(S. 209)
| [Wesen als der Wert (Band 1) und seine Erscheinung Tauschwert an der Oberfläche der Gesellschaft (Band 3) ist die integrale Konzeption Marx' und der damit notwendigen Inkongruenz] |
"
Marx beginnt mit der Feststellung, daß der einem individuellen Kapital
zuwachsende Profit de facto nicht identisch ist mit dem Mehrwert, der von der
Arbeit gebildet wird, über die dieses Einzelkapital verfügt. Dies erklärt er mit
dem Argument, daß Mehrwert eine Kategorie des gesellschaftlichen Ganzen
ist, der
unter die individuellen Kapitalien gemäß ihres relativen Anteils am
gesamtgesellschaftlich eingesetzten Kapital verteilt wird. Das bedeutet, daß auf
der Ebene der unmittelbaren Erfahrung der Profit einer individuellen
Kapitaleinheit tatsächlich nicht eine Funktion der in dieser
Kapitaleinheit
verausgabten Arbeit allein ist (des >variablen Kapitals<), sondern eine
des
vorgeschossenen Gesamtkapitals. (MEW 25, 147f)
"
(S. 210)
| [Wert als Kategorie des gesellschaftlichen Ganzen] |
"
Marx führt aus, daß diese Ebene gesellschaftlicher Realität vermittels
ökonomischer >Oberflächenkategorien< wie Preis und Profit nicht erklärt
werden
kann. Auch entfaltet er seine Kategorien der kapitalistischen Tiefenstruktur auf
eine Art und Weise, die zeigt, inwiefern Phänomene, die diesen strukturellen
Kategorien widersprechen, in Wirklichkeit deren Erscheinungsformen sind. Auf
diese Weise versucht Marx, die Gültigkeit seiner Analyse der Tiefenstruktur zu
demonstrieren und gleichzeitig zu zeigen, wie die >Bewegungsgesetze< der
Gesellschaftsformation auf der Ebene der unmittelbaren empirischen Realität
verschleiert in Erscheinung treten.
"
(S. 211)
| [Die Oberflächenkategorie verschleiern notwendig die Tiefenstruktur und lassen diese als transhistorische(!) erscheinen.] |
"
Die Marxsche Kritik endet mit der Ableitung von Ricardos Ausgangspunkt. Seiner
immanenten Methode entsprechend hat die Marxsche Strategie der Kritik solcher
Theorien wie der Ricardos nicht mehr die
Form einer Widerlegung. Vielmehr bettet er sie in seine eigene ein, indem er sie
in seinen analytischen Kategorien plausibilisiert. Indem er diesen Weg
einschlägt, kann er die grundlegenden Voraussetzungen, die Smiths und Ricardos
Sichtweise von Arbeit, Gesellschaft und Natur bestimmten, auf eine Weise
begründen, die ihren transhistorischen Charakter erklärt.
"
(S. 213f)
"
Und er zeigt darüber hinaus, daß die einzelnen Argumente dieser Theorien auf
>Daten< basieren, die irreführende Manifestationen einer tieferen,
historisch spezifischen Struktur sind. Indem er sich vom >Wesen< zur
>Oberfläche< der kapitalistischen Gesellschaft vorarbeitet, will Marx
zeigen, daß seine eigene
kategoriale Analyse sowohl das Problem als auch seine Formulierung durch Ricardo
erklären kann. Er weist dabei nach, daß diese Formulierung unzureichend ist, da
sie das Wesen der gesellschaftlichen Totalität nicht begreift. Indem er das, was
Ricardos Theorie als Grundlage diente, als Erscheinungsform erklärt, kritisiert
Marx die politische Ökonomie Ricardos.
"
(S. 214)
| [Die Marxsche immanente Kritik zeigen die politische Ökonomie als notwendigen Ausdruck der Oberflächenkategorien, deren Erscheinungen nun auf Grund des Wesentlichen erklärbar sind, weil sie die gesellschaftliche Totalität nicht begreifen.] |
"
Der historisch spezifische Charakter der Marxschen als einer immanent
argumentierenden Gesellschaftskritik zeigt, daß das >Falsche< eine
zeitlich
beschränkt gültige Denkform ist, die, weil es ihr an Selbstreflexion mangelt,
ihren eigenen historisch spezifischen Grund nicht wahrzunehmen vermag und sich
deshalb für >wahr<, das heißt für transhistorisch gültig hält.
"
(S. 215)
| [Das 'Falsche' als zeitlich beschränkte Denkform - Fetisch.] |
4.4 Historische Besonderheit und immanente Kritik(» K)
{ Hier wäre zu bemerken, dass Marx am Anfang der Grundrisse mit der allgemein menschlichen und somit transhistorischen Entwicklung der Kategorien beginnt, und M.P. diesem seine Wahrheit nicht absprechen kann. Das dies für das 'Kapital' nicht ausreicht ist klar, aber nichts desto trotz werden hier die wichtigen Grundsteine der materialistischen Dialektik bezüglich menschlicher Produktion im Allgemeinen sichtbar, die im 'Kapital' auf ihre speziphische Weise konkretisiert wird für den Kapitalismus. Diesen Standpunkt lehnt M.P. ab. (d.V.)}
"
Von einem transhistorischen Anfang geht Marx zu einem historisch bestimmten
über. Denn die Kategorie Ware bezieht sich für ihn nicht einfach auf einen
Gegenstand, sondern auf eine historisch spezifische, >objektive< Form
gesellschaftlicher Verhältnisse eine strukturierende und strukturierte Form
gesellschaftlicher Praxis, die eine radikal neue Form wechselseitiger
gesellschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse konstituiert.
"
(S. 217)
"
Ausgehend von der Kategorie Ware in dieser verdoppelten Form, dieser
nicht-identischen Einheit, entfaltet Marx die die kapitalistische Gesellschaft
als Totalität übergreifende Struktur ebenso wie die innere Logik ihrer
historischen Entwicklung und die Elemente der unmittelbaren gesellschaftlichen
Erfahrung, die die Grundstruktur dieser Gesellschaft verschleiern. Für die
Marxsche Kritik der politischen Ökonomie ist die Ware die wesentliche Kategorie
im Innersten des Kapitals. In der Entfaltung dieser Kategorie klärt er das Wesen
des Kapitals und die ihm innewohnende Dynamik.
Mit dieser Wendung zum geschichtlich Spezifischen historisiert Marx seine frühere, transhistorische Konzeption des gesellschaftlichen Widerspruchs und der Existenz einer der Geschichte immanenten Logik. " (S. 195) | [Transhistorischer Anfang ('Grundrisse') zum historisch Speziphischen der Warenform im Kapitalismus ('Grundrisse'->'Kapital') zum grundlegenden treibenden Widerspruch des Doppelcharakters zu Erklärung der Dynamik im Kapitalismus.] |
"
In meiner Analyse des Kapitals werde ich zeigen, wie sich Marx zufolge diese
Verdopplung externalisiert und so eine Geschichtsdialektik sui generis
entfaltet. Mit der Darstellung seines Untersuchungsgegenstandes als historisch
spezifischem Widerspruch und dadurch, daß er die Dialektik der kapitalistischen
Gesellschaftsformation im Doppelcharakter der ihr zugrundeliegenden,
eigentümlichen gesellschaftlichen Formen (Arbeit, Ware, Produktionsprozeß usw.)
begründet, weist Marx von nun an - und ohne
dies noch ausdrücklich aussprechen zu müssen - die Vorstellung zurück, es gäbe
eine der menschlichen Geschichte immanente Logik oder eine Form
transhistorischer Dialektik ob sie die Natur nun einschließt oder sich auf
die
Geschichte beschränkt. Im Marxschen Spätwerk resultiert die Dialektik nicht
mehr
aus dem Wechselspiel von Subjekt, Arbeit und Natur, noch ist sie Resultat der
reflexiven Wirkungen der materiellen Vergegenständlichungen der >Arbeit<
des
Subjekts auf sich selbst, sondern sie hat ihre Wurzeln im widersprüchlichen
Charakter der kapitalistischen gesellschaftlichen Formen.
"
(S. 217f)
{
| [Es gibt keine transhistorische Dialektik, sondern sie hat ihre Wurzeln in der Widersprüchlichkeit der historisch speziphischen Formen im Kapitalismus. Jede solche müsse sich ontologisch fundieren und ist somit Metaphysik.] |
"
Der Unmöglichkeit eines äußerlichen oder privilegierten theoretischen
Standpunkts darf allerdings auch die Form der
Theorie selbst nicht entgegenstehen. Deshalb sieht Marx sich gezwungen, seine
Kritik der kapitalistischen Gesellschaft strikt immanent aufzubauen, und darum
kritisiert er diese Gesellschaft gleichsam in ihren eigenen Kategorien: in denen
also, die er vorfand.
"
(S. 218f)
{
| [Äußerlicher Standpunkt=Überhistorischer Standpunkt] |
"
Beginnend mit einem einzelnen Strukturelement, der Ware, rekonstruiert Marx die
gesellschaftliche Totalität der kapitalistischen Zivilisation und entfaltet
daraus dialektisch die Kategorien Geld und Kapital. Es ist diese
Darstellungsweise selbst, die, betrachtet aus der Perspektive des neuen
Selbstverständnisses von Marx, die Besonderheiten der untersuchten
gesellschaftlichen Formen zum Ausdruck bringt. In dieser Methode selbst wird
beispielsweise ausgedrückt, daß es zu den besonderen Merkmalen des Kapitalismus
gehört, als homogene Totalität zu existieren, die von einem einzelnen
strukturierenden Prinzip her entfaltet werden kann. Im dialektischen Charakter
der Darstellung kommt ebenso unmittelbar zum Ausdruck, daß die
gesellschaftlichen Formen in einzigartiger Weise so konstituiert werden, daß sie
eine Dialektik begründen.
"
(S. 219)
| [Die Dialektik selbst kommt aus den Strukturmerkmalen hervor.] |
"
Es ist das Prinzip der Marxschen Argumentation, nicht logisch zu deduzieren: Sie
beginnt nicht mit unbezweifelbaren Grundprinzipien, aus denen dann alles weitere
abgeleitet werden könnte; schon die bloße Form eines solchen Vorgehens
unterstellt einen transhistorischen Standpunkt. Die Marxsche Argumentation
besitzt dagegen eine sehr spezifische reflexive Form. Ihr Ausgangspunkt, die
Ware, die als der die Gesellschaftsformation in ihrem Fundament strukturierende
Kern gesetzt wird, erhält seine Gültigkeit rückwirkend, das heißt: erst in der
Entfaltung der Argumentation. Indem es die Analyse der Ware vermag, die
Entwicklungstendenzen des Kapitalismus zu erklären, und indem es ihr zudem
gelingt, auch die Phänomene zu erklären, die der Gültigkeit der
Ausgangsbestimmungen zu widersprechen scheinen, erweist sie sich als adäquater
Anfang. Das wiederum heißt: die Kategorie Ware setzt die des Kapitals voraus,
und sie erhält ihre Gültigkeit durch die Aussagekraft und Stringenz der Analyse
des Kapitalismus, der sie als Ausgangspunkt dient.
"
(S. 220)
| [Prinzip der rückwirkenden reflexive Begründung verbindet Band 1 und 3.] |
{
"
Die immanente Darstellung dieses Doppelcharakters der warenproduzierenden Arbeit
macht es schwierig, die Bedeutung, die Marx dieser Unterscheidung beimißt, zu
verstehen. Darüber hinaus sind die Bestimmungen der abstrakt menschlichen
Arbeit, wie er sie im 1. Kapitel des Kapitals ausführt, äußerst
problematisch.
Es scheint hier, als stelle in diesem Kontext Arbeit so etwas wie ein
biologisches Residuum dar, so daß sie als bloße Verausgabung menschlicher
physiologischer Energie interpretiert werden müsse.
"
(S. 224)
| [Warum erscheint die Marxsche Darstellung der abstrakten Arbeit das physiologische hervorzuheben? Weil der Erscheinungsformen selbst dies so hervorbringen ist M.P.'s Antwort.] |
"
Gleichzeitig macht Marx aber auch unmißverständlich deutlich, daß wir es hier
mit einer gesellschaftlichen Kategorie zu tun haben. Er bezieht sich
dabei auf
die abstrakt menschliche Arbeit, insofern sie die Warenwerte konstituiert als
deren »gemeinschaftliche gesellschaftliche Substanz« (MEW 23, 52;
Hervorhebung M. P.). Folglich sind die Waren - im Widerspruch zu ihrer
stofflichen Natur als Gebrauchswerte - als Wert rein gesellschaftliche Objekte:
"
(S. 225)
{
| [Abstrakte Arbeit ist keine physiologische, sondern eine (rein) gesellschaftliche Kategorie.] |
"
Wenn indes die Kategorie der abstrakt menschlichen Arbeit eine gesellschaftliche
Bestimmung ist, dann kann sie keine physiologische Kategorie sein. Darüber
hinaus bestätigt dieses Zitat das Ergebnis meiner Interpretation der Grundrisse
(im 1. Kapitel dieser Studie), daß es für die Marxsche Analyse von zentraler
Bedeutung ist, den Wert als eine historisch spezifische Form gesellschaftlichen
Reichtums zu verstehen. Dies als gegeben unterstellt, kann dessen
>gesellschaftliche Substanz< nicht transhistorisch sein, kein von
Natur aus vorhandenes Residuum, das der menschlichen Arbeit in allen
Gesellschaftsformationen gemeinsam wäre.
[Herv. v. P.H.]
"
(S. 225)
{
| [Entweder-Oder, gesellschaftlich oder transhistorisch] |
"
Colletti führt zunächst aus, daß diese Interpretation auch heute noch
vorherrsche; sie reduziere die Marxsche Werttheorie auf die von Ricardo und
ermögliche infolgedessen nur ein eingeschränktes Verständnis der Ökonomie.
(1971, 41) Wie Ruhm stellt er fest, daß nur selten verstanden wurde, daß die
Wetttheorie von Marx mit seiner Fetischtheorie identisch ist. Was erklärt werden
müsse, sei, warum das Arbeitsprodukt die Form der Ware annimmt und warum deshalb
menschliche Arbeit als Wert von Dingen erscheint. (1971, 42) Für eine solche
Erklärung sei der Begriff der abstrakten Arbeit zentral, doch hätten die meisten
Marxisten darunter Karl Kautsky, Rosa Luxemburg, Rudolf Hilferding und Paul
Sweezy - diese Kategorie niemals wirklich erklärt.
"
(S. 227)
| [Colletti: Werttheorie = Fetischtheorie, also zentrale Stellung der abstrakten Arbeit] |
"
Dazu hätte der traditionsmarxistische Arbeitsbegriff überdacht und es hätte
gezeigt werden müssen, daß Marx die Arbeit im Kapitalismus als historisch
spezifische Form gesellschaftlicher Vermittlung analysiert. Nur eine Kritik, die
die historisch einzigartige Rolle der Arbeit im Kapitalismus in ihr Zentrum
stellt, hätte Colletti - und andere Theoretiker, die aus der Perspektive der
historischen Besonderheit von Wert und abstrakter Arbeit argumentiert haben - zu
einem grundsätzlichen theoretischen Bruch mit dem traditionellen Marxismus
befähigen können.
"
(S. 228)
| [Arbeit im Kapitalismus ist eine spezielle Form der Vermittlung] |
4.6 Abstrakte Arbeit und gesellschaftliche Vermittlung(» K)
"
Mit der Untersuchung dieser einzigartigen Form von Interdependenz und der
spezifischen Rolle, die die Arbeit in ihrer Konstitution spielt, werden die von
Marx dargestellten abstraktesten Bestimmungen der kapitalistischen Gesellschaft
erhellt. Auf der Grundlage der Marxschen Ausgangsbestimmungen der Formen von
Reichtum und Arbeit sowie der Form der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den
Kapitalismus charakterisieren, werde ich dann seine Ausführungen zur abstrakten
gesellschaftlichen Herrschaft klären, indem analysiert wird, wie diese Formen
den Individuen in einer quasi-objektiven Art und Weise gegenübertreten, wie sie
eine besondere Produktionsweise entstehen lassen und wie sie aus sich heraus
eine historische Dynamik entialten.
"
(S. 230)
| [Konstitution durch die Arbeit] |
"
Dies unterscheidet sich erheblich von Gesellschaftsformationen, in denen
Warenproduktion und Austausch nicht vorherrschen und die gesellschaftliche
Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte auf der Basis einer großen Vielfalt von
Gebräuchen, traditionellen Bindungen, transparenten Machtverhältnissen oder,
auch das ist vorstellbar, bewußten Entscheidungen erfolgt.
"
(S. 231)
| [Transparente Machtverhältnisse in nicht-warenförmigen Gesellschaften] |
"
Es ist die entweder unmittelbare oder die in Produkten ausgedrückte Arbeit
selbst, die diese Verhältnisse ablöst, indem sie als >objektives< Mittel
dazu
dient, die Produkte Anderer zu erwerben. Arbeit selbst konstituiert eine
gesellschaftliche Vermittlung anstelle transparenter gesellschaftlicher
Verhältnisse. Eine neue Form von Interdependenz entsteht: Niemand konsumiert,
was er produziert, und dennoch füngiert die Arbeit des Einen - oder deren
Produkte - als das notwendige Mittel, um Produkte von Anderen zu erhalten.
... Statt durch transparente oder >erkennbare< gesellschaftliche Verhältnisse vermittelt zu sein, wird die warenförmige Arbeit durch eine Reihe von Strukturen vermittelt, die sie, wie wir noch sehen werden, selbst konstituiert. " (S. 195) | [Arbeit konstituiert eine gesellschaftliche Vermittlung von von ihr hervorgebrachten Strukturen] |
"
Indem sie Gebrauchswente produziert, kann die Arbeit im Kapitalismus als
zweckbestimmte Tätigkeit aufgefaßt werden, die Stoff auf eine bestimmte Weise
umwandelt; was Marx »konkrete Arbeit« nennt. Die Funktion der Arbeit als
gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit bezeichnet er als >abstrakte
Arbeit<.
In
allen Gesellschaften gibt es unterschiedliche Ausprägungen dessen, was wir
üblicherweise Arbeit nennen (wenn auch nicht in der mit der Kategorie der
konkreten Arbeit implizierten allgemeinen, >säkularisierten< Form).
Abstrakte
Arbeit aber ist spezifisch für den Kapitalismus und erfordert schon deswegen
eine genauere Untersuchung.
"
(S. 233)
{ Die Kategorie konkrete Arbeit ist dem Inhalt nach transhistorisch, aber als Kategorie entgegen der abstrakten Arbeit gesetzt historisch speziphisch für den Kapitalismus, da nur in ihm zwischen dem konkreten und dem abstrakten Moment so unterschieden wird. (d.V.)} | [Arbeit im Kapitalismus ist auch zweckbestimmte Tätigkeit als konkrete Arbeit.] |
"
Im Kapitalismus ist es die Arbeit selbst, welche die gesellschaftliche
Vermittlung konstituiert, und nicht eine derartige Matrix von Beziehungen. Das
bedeutet, daß der Arbeit kein gesellschaftlicher Charakter aufgrund
transparenter gesellschaftlicher Verhältnisse zu vermittelnden Charakters der
Arbeit, wie auch die der von dieser gesellschaftlichen Vermittlung
strukturierten gesellschaftlichen Verhältnisse.
"
(S. 233f)
| [Nur im Kapitalismus hat die Arbeit diese konstitutive Eigenschaft, das sich selbst begründende.] |
"
In der Konstitution einer sich selbst begründenden gesellschaftlichen
Vermittlung konstituiert die Arbeit auch ein bestimmtes gesellschaftliches
Ganzes - eine Totalität. Die Kategorie der Totalität und die mit ihr verbundene
Form von Universalität kann erhellt werden, wenn man die Art von Allgemeinheit
betrachtet, die mit der Warenform verknüpft ist.
"
(S. 234)
| [Diese Arbeit begründete eine bestimmte Totalität ein gesellschaftliches Ganzes.] |
"
Folglich ist warenproduzierende Arbeit sowohl besondere (als konkrete Arbeit,
also als eine bestimmte Tätigkeit, die besondere Gebrauchswerte schafft) als
auch gesellschaftlich-allgemein (als abstrakte Arbeit, also als ein Mittel, um
Güter von Anderen zu erwerben).
"
(S. 235)
| [Arbeit als produzierende ist besonders (konkret), als Mittel Güter zu erwerben hingegen gesellschaftlich allgemein (abstrakt).] |
"
Vielmehr ist es die gesellschaftliche Funktion der Arbeit, die sie allgemein
macht. Als eine gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit abstrahiert die
Arbeit
von der Besonderheit ihres Produkts, und somit von der Besonderheit ihrer
eigenen konkreten Form.
"
(S. 235)
| [...die gesellschaftliche Funktion der Arbeit, die sie allgemein macht] |
"
In der Marxschen Analyse bringt die Kategorie der abstrakten Arbeit diesen
realen gesellschaftlichen Abstraktionsprozeß zum Ausdruck. Sie basiert nicht auf
einem bloß begrifflichen Abstraktionsprozeß. Als Praxis ist die Arbeit, die eine
gesellschaftliche Vermittlung konstituiert, Arbeit im allgemeinen. Außerdem
setzen wir uns hier mit einer Gesellschaft auseinander, in der die Warenform
verallgemeinert und deshalb gesellschaftlich bestimmend ist: Die Arbeit aller
Produzenten dient als Mittel, mit dem die Produkte Anderer beschafft werden
können.
"
(S. 235)
| [Arbeit als Praxis macht die Abstraktion zu einer real gesellschaftlichen und nicht zu einer bloß begrifflichen] |
"
Insgesamt ist die Arbeit aller Warenproduzenten eine Ansammlung verschiedener
konkteter Arbeiten. Jede ist besonderer Teil eines Ganzen.
... Weil aber jede einzelne Arbeit auf die gleiche gesellschaftlich vermittelnden Weise wie alle anderen fungiert, konstituieren die abstrakten Arbeiten insgesamt keine ungeheure Sammlung verschiedener abstrakter Arbeiten, sondern eine allgemeine gesellschaftliche Vermittlung oder, anders gesagt: gesellschaftlich totale abstrakte Arbeit. Somit konstituieren ihre Produkte eine gesellschaftlich totale Vermittlung: Wert. " (S. 236)
Die konkreten Arbeiten sind Teil eines inhomogenen Ganzen (Gesamtarbeit)
und die abstrakten Arbeiten sind teil einer sind einzelne Momente eines
homogenen Ganzen - allgemein gesellschaftlichen Vermittlung.
| [Gesellschaftliche Gesamtarbeit und die gesellschaftlich totale Vermittlung wird konstituiert - der Wert.] |
"
Weil jede besondere Art der Arbeit als abstrakte Arbeit fungieren und jedes
Arbeitsprodukt als Ware dienen kann, werden Tätigkeiten und Produkte, die
in
anderen Gesellschaften nicht als ähnlich klassifizieren wurden, im Kapitalismus
als gleiche, als Vielfalt (konkreter) Arbeiten oder als besondere Gebrauchswerte
klassifiziert. In anderen Worten: die durch abstrakte Arbeit historisch
konstituierte abstrakte Allgemeinheit etabliert auch die >konkrete Arbeit<
und den >Gebrauchswert< als allgemeine Kategorien.
"
(S. 237)
| [Abstrakte Arbeit konstituiert die Kategorie der konkreten Arbeit] |
"
Den in der Ware vergegenständlichten zwei Formen der Arbeit entsprechen zwei
Formen gesellschaftlichen Reichtums: Wert und stofflicher Reichtum. Letzterer
ist eine Funktion der produzierten Produkte, ihrer Quantität und ihrer Qualität.
Als eine Form des Reichtums drückt er die Vergegenständlichung verschiedener
Arten der Arbeit aus, das aktive Verhältnis der Menschheit zur Natur.Für sich
genommen aber konstituiert er weder die Verhältnisse zwischen Menschen noch
determiniert er seine eigene Verteilung.
"
(S. 239)
{ Dies halte ich für eine stark hervorzuhebende Aussage. M.P. bezieht sich auf wichtige Begriffe, Totalität, Praxisform und Natur. Auf Grund der notwendigen Vergegenständlichung ergibt sich die Existenz der Vermittlung Wert in Raum und Zeit. (d.V.)} | [2 Arten des gesellschaftlichen Reichtums, also auch Wert als Ausdruck der Vergegenständlichung, aktives Verh. Mensch Natur.] |
"
Der Wert dagegen ist Vergegenständlichung abstrakter Arbeit.
... Wert ist also eine Kategorie der Vermittlung: er ist gleichzeitig eine historisch bestimmte, sich selbst verteilende Form des Reichtums und eine objektivierte, sich selbst vermittelnde Form gesellschaftlicher Beziehungen. " (S. 239) | [Wert ist eine materielle Vergegenständlichung !] |
"
Im Kapital präsentiert Marx die grundlegenden Formen der
Warengesellschaft als den gesellschaftlichen Kontext von Ausführungen über den
Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung, den philosophischen Begriff der
Substanz, die Dichotomie von Subjekt und Objekt, die Totalität, und, auf der
logischen Ebene der Kategorie Kapital, die sich entfaltende Dialektik des
identischen Subjekt-Objekts.22
... Weil diese Arbeit sich selbst vermittelt, begründet sie sich (gesellschaftlich) selbst und hat deshalb die Eigenschaften einer >Substanz< im philosophischen Sinne. Wir haben gesehen, daß sich Marx auf die Kategorie der abstrakt menschlichen Arbeit ausdrücklich mit dem philosophischen Begriff der >Substanz< bezieht und daß diese auf die Konstitution gesellschaftlicher Totalität durch die Arbeit verweist. " (S. 241f) | [Substanz - als sich selbst begründend] |
"
So offensichtlich wahr es ist, daß der durch die Arbeit bewirkte
>Stoffwechsel<
mit der Natur eine Existenzbedingung jeder Gesellschaft darstellt, so wird eine
Gesellschaft aber auch durch den Charakter ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse
bestimmt. Marx zufolge ist der Kapitalismus durch den Umstand charakterisiert,
daß seine fundamentalen gesellschaftlichen Verhältnisse von der Arbeit
konstituiert werden. Arbeit im Kapitalismus vergegenständlicht sich aber nicht
nur in materiellen Produkten - das gilt in allen Gesellschaftsformationen -,
sondern ebenso in objektivierten gesellschaftlichen Verhältnissen. Kraft ihres
Doppelcharakters konstituiert die Arbeit als Totalität eine objektive,
quasi-natürliche gesellschaftliche Sphäre, die nicht auf die Summe unmittelbarer
gesellschaftlicher Verhältnisse reduziert werden kann, sondern die, wie wir
sehen werden, der Gesamtheit der Individuen und Gruppen als ein abstraktes
Anderes entgegensteht.
... Nicht Arbeit als solche konstituiert Gesellschaft, wohl aber Arbeit im Kapitalismus. " (S. 244) | [Transhistorischer Stoffwechsel - historische Konstitution] |
4.7 Abstrakte Arbeit und Entfremdung(» K)
"
Es ist wichtig festzuhalten, daß Marx die Existenz dieses gesellschaftlichen
>Systems< nicht auf begrifflich verdinglichte Weise ontologisch
voraussetzt.
Statt dessen gründet er die systemhafte Qualität der fundamentalen Strukturen
des modernen Lebens in bestimmten Formen gesellschaftlicher Praxis. Die
gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Kapitalismus in seinen Grundzügen
definieren, haben >objektiven< Charakter und konstituieren ein
>System<, weil
sie durch die Arbeit als einer historisch besonderen, gesellschaftlich
vermittelnden Tätigkeit konstituiert werden, das heißt durch eine abstrakte,
homogene und objektivierende Form von Praxis.
"
(S. 245f)
| [Eine Form der Praxis -Arbeit- begründet das gesellschaftliche System] |
"
Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Entfremdung und Vergegenständlichung
hängt jedoch davon ab, was man unter Arbeit versteht. Geht man von einer
transhistorischen Auffassung der >Arbeit< aus, muß diese Unterscheidung
notwendigerweise in Faktoren begründet werden, die der vergegenständlichenden
Tätigkeit äußerlich sind - zum Beispiel in den Eigentumsverhältnissen, das heißt
in der Beantwortung der Frage, ob die unmittelbaren Produzenten über ihre eigene
Arbeit und deren Produkte verfügen können oder ob die Kapitalistenklasse sich
diese aneignet.
"
(S. 247)
| [Überinterpretation der Arbeit gegenüber den Klassen] |
{ Hier überzieht M.P. ganz klar und sieht nicht, das die Lohnarbeit zwar tagtäglich die gesellschaftlichen Verhältnisse reproduziert, welche allerdings ihre Voraussetzung stellen. Ohne die Klasse der Lohnarbeiter keine Lohnarbeit. Die historisch speziellen Klassenverhältnisses sind die Grundlage der historisch speziellen Arbeit, so sie auf ihrer eigenen Grundlage stattfindet. So unterscheidet Marx die Lohnarbeit allgemein auch von der im Kapitalismus in der Existenz des doppelt freien Lohnarbeiters als vorherrschende Form der Arbeitskraft, jenseits des ständischen Handwerksgesellen, welcher auch lohnarbeitet. Arbeit wird hier teil mystifiziert als DAS Agens, welches gesellschaftliche Verhältnisse schafft, dabei ist in der ursprünglichen Akkumulation zu lesen, wie die Verhältnisse hitorisch real geschaffen wurden. (d.V.)}
"
Er zeigt vielmehr, daß Vergegenständlichung tatsächlich Entfremdung ist, wenn
das, was Arbeit vergegenständlicht, gesellschaftliche Verhältnisse sind.
"
(S. 247)
| [Entfremdung = Arbeit vergegenständlicht gesell. Verhältnisse] |
"
Die Form, in der Notwendigkeit durchgesetzt wird - und die ich hier nur in ihrer
ersten Bestimmung erörtert habe-, existiert ohne jegliche direkte persönliche
Herrschaft. Weil der ausgeübte Zwang unpersönlich und >objektiv< ist,
scheint
er
gar nicht gesellschaftlich zu sein, sondern von >Natur<, und auf diese
Weise
konditioniert er, wie noch zu zeigen sein wird, naturhafte Begriffe
gesellschaftlicher Wirklichkeit.
"
(S. 249)
| [Naturhafter Schein der Notwendigkeit durch die Abstraktheit] |
"
In gewissem Sinne ist Arbeit eine notwendige Vorbedingung, das heißt eine
transhistorische oder >naturgegebene< gesellschaftliche
Notwendigkeit
menschlicher gesellschaftlicher Existenz als solcher. Diese Notwendigkeit kann
aber die Besonderheit warenproduzierender Arbeit verschleiern nämlich die
Tatsache, daß, auch wenn man das von einem Produzierte nicht konsumiert, diese
Arbeit dennoch weiterhin das gesellschaftlich notwendige Mittel bleibt, um
Produkte für den Konsum zu erlangen. Letzteres ist, im Gegensatz zur
naturgegebenen, eine historisch bestimmte gesellschaftliche
Notwendigkeit.
"
(S. 250)
| [Transhistorische Notwendigkeit verdeckt die historisch spezielle] |
{ Man sollte auch zwischen Inhalt, der transhistorisch notwendigen Konsumtion, und ihrer historischen Form über Lohn/Profit/Grundrente unterscheiden. (d.V.)}
"
Dieser Prozeß der Universalisierung konstituiert Marx zufolge die
soziohistorische Vorbedingung für die Entstehung einer populären Vorstellung
menschlicher Gleichheit, auf der wiederum moderne Theorien der politischen
Ökonomie basieren (MEW 23, 73 f). Die moderne Idee der Gleichheit verdankt sich
also einer gesellschaftlichen Form von Gleichheit, die historisch mit der
Entwicklung der Warenform entstanden ist, das heißt mit dem Prozeß der
Entfremdung.
"
(S. 252)
| [Moderne Idee der Gleichheit als Resultat dieses Prozesses] |
"
Es entsteht ein Gegensatz zwischen Allgemeinem zum Besonderem, der im
historischen Entfremdungsprozeß gründet. Die so konstituierte Universalität und
Gleichheit zeitigte positive politische und gesellschaftliche Konsequenzen, aber
auch negative, insofern sie die Besonderheit negierten.
"
(S. 252)
| [Negativer Gegensatz Universalität//Besonderes - abstrakte Herrschaft] |
"
Bei ihnen handelt es sich nicht nur um sich selbst bestimmende >Subjekte<,
die
vermöge eines freien Willens handeln, sondern sie sind zugleich einem System
objektiver Zwänge und Beschränkungen unterworfen, das unabhängig von ihrem
Willen operiert - und in diesem Sinne sind sie auch >Objekte<. Das in der
kapitalistischen Gesellschaft konstituierte Individuum hat, wie die Ware, einen
Doppelcharakter.
"
(S. 254)
| [Doppelcharakter des Subjekts] |
"
Vielmehr klärt sie darüber auf, daß der Gegensatz zwischen abstraktem
Universalismus und konkretem Partikularismus in bestimmten Formen
gesellschaftlicher Verhältnisse seinen Grund hat - und wie wir sehen werden,
verweist die Entwicklung dieser Verhältnisse auf die Möglichkeit einer anderen
Form des Universalismus, der nicht auf Abstraktion von aller konkreten
Besonderheit basiert. Mit der Aufhebung des Kapitalismus könnte die im
Kapitalismus bereits in entfremdeter Form konstituierte Einheit der Gesellschaft
anders hergestellt werden, nämlich durch Formen politischer Praxis, die
qualitative Besonderheit nicht negieren müssen.
"
(S. 254f)
| [Aufhebung dieses Universalismus in einen anderen] |
"
Der Entfremdungsprozeß ist im Marxschen Spätwerk also Bestandteil eines
Prozesses, in dem strukturierte Praxisformen geschichtlich die basalen
Verkehrsformen, Denkformen und kulturellen Werte der kapitalistischen
Gesellschaft konstituieren.
"
(S. 255)
| [Denkformen sind durch Praxisformen konstituiert] |
"
Im Kapitalismus konstituieren die Menschen ihre gesellschaftlichen Verhältnisse
und ihre Geschichte mittels Arbeit. Obwohl sie von dem, was durch sie selbst
konstituiert worden ist, kontrolliert werden, >machen< sie diese
Verhältnisse
und diese Geschichte in einem anderen und emphatischeren Sinne, als die Menschen
ihre vorkapitalistischen Verhältnisse >machten< (die Marx als spontan
entstanden
und naturwüchsig charakterisierte).
"
(S. 256)
| [Der Konstitutionsunterschied in der Arbeit] |
4.8 Abstrakte Arbeit und Fetisch(» K)
"
Wir haben gesehen, daß Arbeit in ihrer historisch bestimmten Funktion als
gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit die >Substanz des Werts<, also das
die
Gesellschaftsformation bestimmende Wesen ist. Es versteht sich keinesfalls von
selbst, einer Gesellschaftsfonnation ein Wesen zuzusprechen. Die Kategorie des
Wesens setzt die Kategorie der Erscheinungsform voraus. Es macht keinen Sinn, da
von einem Wesen zu sprechen, wo zwischen dem, was ist, und seiner
Erscheinungsweise kein Unterschied besteht. Das Wesen ist also dadurch
charakterisiert, daß es nicht unmittelbar erscheint, und dies auch nicht kann,
sondern in einer von ihm gesonderten Erscheinungsform seinen Ausdruck finden
muß. Dies unterstellt eine notwendige Beziehung zwischen Wesen und Erscheinung.
Das Wesen muß eine Qualität haben, aus der es notwendigerweise in genau der
manifesten Form erscheint, in der es zutage tritt. Das Verhältnis von Wert und
Preis zum Beispiel wird von Marx in der Weise analysiert, daß der Wert vom Preis
sowohl dargestellt als auch verschleiert wird. Ich beschäftige mich hier jedoch
mit einer grundsätzlicheren logischen Ebene: der von Arbeit und Wert.
"
(S. 257)
| [Wesen und notwendig verschleiernde Erscheinung, Wert und Preis] |
"
Deshalb muß die spezifische gesellschaftliche Rolle der Arbeit im Kapitalismus
sich notwendig in Erscheinungsformen ausdrücken, die Vergegenständlichungen der
Arbeit als produktive Tätigkeit sind. Die historisch spezifische
gesellschaftliche Dimension der Arbeit nun wird durch die scheinbar
transhistorische, >materielle< Dimension der Arbeit sowohl ausgedrückt als
auch
verschleiert. Derart manifeste Formen sind notwendige Erscheinungsformen der
einzigartigen Funktion der Arbeit im Kapitalismus. In anderen Gesellschaften
sind produktive Tätigkeiten in eine transparente gesellschaftliche Matrix
eingebettet und deshalb weder >Wesen< noch >Erscheinungsform<.
"
(S. 258)
| [Wesen und Erscheinung gibt es so nur im Kapitalismus] |
{ Hier verplettet die richtige Kritik die transhistorische wichtige Funktion der Arbeit als erster Praxisform. Die Arbeit konstituiert den Menschen zum Menschen, aber nicht die Lohnarbeit. Wie immer fehlt zur richtigen Kritik an der Naturalisierung die Darstellung derer objektivem Kern, dass Arbeit immer geleistet werden muss, aber natürlich nicht in der Form der Lohnarbeit. Aber derer Inhalt bleibt selbstverständlich die nicht zuletzt auch stoffliche Reproduktion der Gesamtgesellschaft, siehe 'Kugelmannbrief' oder 'Grundrisse' Einleitung, da gibts kein Mogeln. Und so ist die von M.P. sogenannte abstrakter Herrschaft die Form der objektiven Zwänge, der die Gesellschaft ausgesetzt ist. Nicht diesen Inhalt gilt es als überhistorisch zu kritisieren, sondern deren Form im Kapitalismus. (d.V.)} | [Form und Inhalt] |
"
Im 2. Kapitel habe ich dargelegt, daß gesellschaftliche Verhältnisse nie
unmittelbar, beziehungsweise unvermittelt sein können. An dieser Stelle kann ich
diese Kritik damit ergänzen, daß durch Arbeit konstituierte gesellschaftliche
Verhältnisse nie manifest gesellschaftlich sein können, sondern
notwendigerweise
in versachlichter Form existieren müssen. Wegen ihrer Hypostasierung des Wesens
des Kapitalismus zum Wesen der menschlichen Gesellschaft können diese
traditionellen Theorien die innere Beziehung des Wesens zu seinen
Erscheinungsformen nicht erklären und deshalb nicht in Erwägung ziehen, daß es
ein Kennzeichen des Kapitalismus sein könnte, ein Wesen zu haben.
"
(S. 259)
| [Es gibt keine unvermittelten gesell. Verh.] |
"
Dies impliziert, daß die Allgemeinheit einer jeden Ware als gesellschaftliche
Vermittlung eine Ausdrucksform annehmen muß, die von der Besonderheit jeder
einzelnen Ware getrennt ist. Dies ist der Ausgangspunkt der Marxschen
Wertformanalyse, von dem aus er zur Analyse des Geldes fortschreitet. (MEW 23,
62ff.) Die Existenz jeder Ware als allgemeine Vermittlung nimmt eine von ihr
unabhängige, matenalisierte Form an - als Äquivalent zwischen Waren. Die
Dimension des Werts aller Waren wird in die Form einer einzelnen Ware: dem Geld,
externalisiert, das als allgemeines Äquivalent zwischen allen anderen Waren
fungiert: das Geld erscheint als allgemeine Vermittlung. Somit wird der
Doppelcharakter der Ware als Gebrauchswert und Wert externalisiert und erscheint
in der Form der Ware einerseits und in der Form des Geldes andererseits. Im
Resultat dieser Externalisierung erscheint die Ware nicht selbst als
gesellschaftliche Vermittlung.
"
(S. 261)
| [Geld als Materialisierung der allgemeinen Vermittlung] |
"
So wird der gegenständlich vermittelte Charakter gesellschaftlicher Beziehungen
im Kapitalismus durch seine manifeste Formen als äußerliche Vermittlung (Geld)
zwischen Gegenständen ausgedrückt und verschleiert zugleich. Die Existenz dieser
Vermittlung kann dann für das Resultat einer Übereinkunft gehalten werden. (MEW
23, 109ff.)
"
(S. 261)
| [Verschleierung durch das Geld als dinglich] |
"
Anders gesagt: wenn, bedingt durch ihre manifesten Formen, - der bestimmte
Charakter der grundlegenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus nicht
erkannt wird, dann mag zwar der Wert als Eigenschaft der Waren gelten, wird
jedoch nicht der Ware als einer gesellschaftlichen Vermittlung, sondern als eine
des Produkts zugeschrieben. Folglich scheint Wert durch Arbeit als produktiver
Tätigkeit geschaffen zu werden - durch Arbeit, die Güter und stofflichen
Reichtum schafft - statt durch Arbeit als gesellschaftlich vermittelnder
Tätigkeit. Da Arbeit, so gesehen, offensichtlich unabhängig von ihrer konkreten
Besonderheit Wert schafft, scheint sie diesen einfach aufgrund ihrer Fähigkeit
zu erzeugen, auch allgemeine produktive Tätigkeit zu sein. Wert scheint daher
durch die Verausgabung von Arbeit schlechthin konstituiert zu werden.
"
(S. 262)
| [Vs. Verausgabung von Arbeit überhaupt] |
{ D'accord: Wert ist Verausgabung von Arbeit überhaupt, physiologisch, aber in der nicht zu trennenden Formbestimmtheit des Kapitalverhältnisses. Er ist beides zugleich. Zeit als operable Form (aufgespeicherte Arbeitszeit) und Anweisung auf lebendige Arbeitszeit, als Form des Reichtums im Geld, gibt es nur im Kapitalismus als bestimmende Form. (d.V.)}
"
Die von Marx präsentierte Kategorie der abstrakten Arbeit ist somit
Ausgangsbestimmung seiner Fetischismusanalyse: weil die dem Kapitalismus
zugrundeliegenden Verhältnisse durch Arbeit vermittelt werden und daher
objektiviert sind, erscheinen sie nicht als historisch spezifisch und
gesellschaftlich, sondern als transhistorisch gültige und ontologisch begründete
Formen. Daß der Vermittlungscharakter der Arbeit als Arbeit im physiologischen
Sinne erscheint, das macht den Wesenskern des kapitalistischen Fetischs aus.
"
(S. 263)
| [Der Wesenskern des Fetischs] |
"
Die Materie der >materialistischen< Marxschen Kritik ist somit
gesellschaftlicher Art - die Formen gesellschaftlicher Verhältnisse sind
materiell. Da sie durch Arbeit vermittelt sind, kann die den Kapitalismus
charakterisierende gesellschaftliche Dimension nur in objektivierter Form
erscheinen. Mit der Aufdeckung des geschichtlichen und gesellschaftlichen
Inhalts der verdinglichten Formen wird die Marxsche Kritik auch zu einer Kritik
der diversen Materialismen, die diese Formen der Arbeit und ihre
Objektivierungen hypostasieren. Seine Analyse kritisiert sowohl den Idealismus
als auch den Materialismus, indem sie beide als historisch spezifischen,
verdinglichten und entfremdeten Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnissen
begründet.
"
(S. 265)
| [Gesellschaftliche Verhältnisse sind materiell !] |
4.9 Gesellschaftliche Verhältnisse, Arbeit und Natur(» K)
"
Der Marxschen Kapitalismusanalyse zufolge konstituiert der Doppelcharakter der
warenförmigen Arbeit also eine gesellschaftliche Welt, die durch eine konkrete
und eine abstrakte Dimension gekennzeichnet ist. Erstere erscheint als
mannigfaltig gestaltete Oberfläche unmittelbarer sinnlicher Erfahrung, letztere
existiert allgemein, homogen und abstrahiert von jeder Besonderheit.
Beiden aber wird durch die Selbstvermittlung der Arbeit im Kapitalismus ein
objektiver Charakter verliehen. Die konkrete Dimension wird in dem Sinne als
objektive konstituiert, insofern sie objekthaft, >materiell< oder
>dinglich<
ist. Auch die abstrakte Dimension bat eine objektive Qualität, in dem Sinn, daß
sie eine qualitativ homogene, allgemeine Sphäre abstrakter Zwangsnotwendigkeit
ist, die gesetzmäßig, unabhängig vom Willen funktioniert.
"
(S. 270)
| [Die Materialität der konkreten (stofflich) UND abstrakten (gesell) Seite] |
"
Das Verhältnis zwischen diesen beiden Welten der Objektivität kann dann als das
zwischen Wesen und Erscheinung konstruiert werden oder als das eines Gegensatzes
(wie dies historisch zum Beispiel im Gegensatz zwischen romantischen und
positiv-rationalen Denkweisen zum Ausdruck kam).
"
(S. 270)
| [Das Verh. dieser beiden Objektivitäten ist Wesen und Erscheinung] |
"
(Fussnote 38)
Die Aufhebung nicht-bewußter gesellschaftlicher Zwänge in einer emanzipierten
Gesellschaft würde also bedeuten, die säkularisierte Arbeit von ihrer Rolle als
gesellschaftlicher Vermittlerin zu >befreien<. Die Menschen könnten dann
auf
eine Weise über die Arbeit und ihre Produkte verfügen, die sowohl von den
traditionellen gesellschaftlichen Beschränkungen als auch von den entfremdeten
objektiven gesellschaftlichen Zwängen frei wäre. Andererseits könnte die Arbeit,
auch wenn sie säkular ist, wieder mit Bedeutung aufgeladen werden nicht als
Resultat nicht-bewußter Tradition, sondern wegen ihrer erkannten
gesellschaftlichen Relevanz und weil die Individuen in ihr Sinn und
substantielle Befriedigung finden können.
"
(S. 270)
| [Möglichkeit der Aufhebung] |
"
Diese Form ist nicht die von qualitativ spezifischen Gegenständen, sondern
beruht auf Abstraktion und kann mathematisch erfaßt werden. Sie besitzt
>formale< Charakteristika. Waren sind sowohl besondere, sinnliche
Gegenstände
(und werden als solche vorn Käufer bewertet) als auch Werte: bei all dem handelt
es sich um Momente einer abstrakt homogenen Substanz, die mathematisch
teilbar
und meßbar ist (zum Beispiel in bezug auf Zeit und Geld).[Herv. v. P.H.]
"
(S. 271f)
| [Der Wert ist mathematisch teilbar und meßbar in der Zeit] |
"
In gleicher Weise existiert in der klassischen modernen Naturwissenschaft hinter
der konkreten Welt mannigfaltiger qualitativer Erscheinungen eine Welt, die aus
einer ihnen gemeinsamen, sich bewegenden Substanz besteht, die >formale<
Qualitäten besitzt und mathematisch erfaßt werden kann. Beide Ebenen sind
>säkularisiert<. Die Ebene des der Realität zugrundeliegenden Wesens ist
ein
>objektiver< Bereich in dem Sinne, als er von Subjektivität unabhängig ist
und
nach Gesetzen operiert, die von der Vernunft erfaßt werden können. Wie der Wert
der Ware eine Abstraktion von ihren Qualitäten als Gebrauchswert ist, so besteht
zum Beispiel für Descartes die wahre Natur aus ihren »primären Qualitäten«: das
sind die beweglichen materiellen Körper, die nur durch die Abstraktion von der
Erscheinungsebene qualitativer Besonderheiten (den »sekundären Qualitäten«)
erfaßt werden können. Diese Erscheinungsebene ist eine Funktion der
Sinnesorgane, des »Auges des Sehenden«. Objektivität und Subjektivität, Geist
und Körper, Form und Inhalt sind substantiell verschieden und einander
entgegengesetzt konstituiert. Von nun an ist die Frage offen, wie sie
aufeinander bezogen sind - sie müssen vermittelt werden.
"
(S. 272)
| [Wert ist Wesenhaft wie in der Naturwissenschaft das Objektive] |
"
Es geht hier nur um den Hinweis, daß sich die Naturauffassungen und die
Paradigmen der Naturwissenschaften gesellschaftlich und historisch begründet
lassen. Ich werde bei der Erörterung des Problems der abstrakten Zeit auf einige
erkenntnistheoretische Implikationen der Kategorien zu sprechen kommen, das
Verhältnis der Naturauffassungen zu ihrem gesellschaftlichen Kontext jedoch
nicht näher ausführen. Es sollte aber klar sein, daß meine Position sehr wenig
mit jenen Theorien zu tun hat, die den gesellschaftlichen Einfluß auf die
Wissenschaft in einem unmittelbaren Sinne - über Gruppen- oder
Klasseninteressen, beziehungsweise >-prioritäten< usw. - verstehen. Auch
wenn
diese unmittelbare Einflußnahme für die Untersuchung der Anwendung von
Wissenschaft durchaus relevant sein dürfte, kann der Bezug darauf den
Naturauffassungen oder wissenschaftlichen Paradigmen selbst nicht gerecht
werden.
"
(S. 273)
| [Abgrenzung vom Zusammenhang Klasseninteresse und zb Naturwissenschaft] |
"
Die nicht-funktionalistische soziohistorische Erkenntnistheorie, die der
Marxschen Kritik implizit zugrundeliegt, geht davon aus, daß die Art, wie die
Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft die Welt wahrnehmen und verstehen,
durch die Form ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse - verstanden als
strukturierte Form alltäglicher gesellschaftlicher Praxis - geprägt wird. Mit
>Widerspiegelungstheorie< hat dies wenig gemein.
"
(S. 273)
| [Keine Widerspiegelungstheorie] |
{ Dieser Einwurf ist mit Verlaub lächerlich. Mit welcher Fragwürdigkeit versuchen die Menschen ihre Produktion in adäquater Weise zu erfassen? Der verschränkte Prozess zwischen kategorialer Entwicklungsbewegung und der Realbewegung dürfte doch klar sein. (d.V.)}
"
Die gesellschaftliche Synthesis wird in der vorliegenden Studie nie als eine
Funktion der >Arbeit< betrachtet, sondern als Form der gesellschaftlichen
Verhältnisse, in denen Produktion stattfindet. Die Arbeit bewirkt diese Funktion
ausschließlich im Kapitalismus - als Ergebnis der historisch spezifischen
Qualität, die wir anläßlich der Untersuchung der Warenform enthüllt haben.
"
(S. 276)
| [Formaspekt der Arbeit im Kapitalismus] |
4.10 Arbeit und instrumentelles Handeln(» K)
"
Wie wir gesehen haben, ist warenförmige Arbeit als konkrete Arbeit ein Mittel
zur Herstellung eines besonderen Produkts. Darüber hinaus und wesentlicher ist
sie - als abstrakte Arbeit - selbst vermittelnd: sie ist ein
gesellschaftliches
Mittel, um Produkte von anderen zu erwerben. Somit wird von den Produzenten
in bezug auf ihr konkretes Produkt von der Arbeit abstrahiert: sie dient ihnen
als
reines Mittel, als Instrument, um Produkte zu erwerben, die keine innere
Beziehung zum substantiellen Charakter der produktiven Tätigkeit unterhalten,
mittels derer sie erworben werden.
"
(S. 279)
| [Doppelcharakter - Arbeit als Instrument zum Erwerb] |
"
Der Prozeß der Instrumentalisierung ergibt sich aus dem Doppelcharakter der
Arbeit im Kapitalismus logisch, infolge der Verwandlung der Menschen zu Mitteln
wird er auch noch außerordentlich intensiviert. Wie ich zeigen werde, ist die
erste Stufe dieser Verwandlung die, daß die Arbeit selbst - als Arbeitskraft -
zur Ware wird (von Marx die »formelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital«
genannt), was nicht zwangsläufig auch die materielle Form der Produkte
transformiert. Die zweite Stufe (die »reelle Subsumtion der Arbeit unter das
Kapital«) ist erreicht, wenn der Prozeß der Mehrwertproduktion den Arbeitsprozeß
nach seinem Bilde formt. (Marx 1969, 60 f.) Mit der reellen Subsumtion prägt das
Ziel kapitalistischer Produktion - das in Wirklichkeit ein Mittel ist - die
materiellen Mittel seiner Verwirklichung.
"
(S. 281)
| [Instrumentalisierung ergibt sich aus dem Doppelcharakter] |
{ Es muß unterschieden werden zwischen der Instrumentalisierung, die jeder Teleologie gemein ist, also auch ein transhistorisches Moment der Arbeit als solcher darstellt und andererseits, der speziellen "abstrakten" Mehrwertorientierung in der kapitalistischen Produktion. Das hier Produktion um der Produktion willen betrieben wird ist selbst ein realer Schein. Selbstverständlich muß die stoffliche Reproduktion der Gesamtgesellschaft als solcher gewährleistet sein, auch im Kapitalismus. Das dies hinter dem Rücken der Produzenten und der Theoretiker passiert und nicht als solches erscheint, könnte mit M.P.'s eigenen Argumenten von der notwendigen Verkehrtheit des notwendigen Scheines nachgewiesen werde. (d.V.)} | [Der Schein der Produktion um der Produktion willen] |
{ Und dies stimmt gerade nicht. Gerade über die Preise gibt sich auch eine bestimmte und begrenzte und natürlich vermittelte Notwendigkeit einer Ware bezüglich der stofflichen Reproduktion kund. Diese Seite drücken diese Kritiker gerne weg. (d.V.)}
4.11 Abstrakte und substantielle Totalität(» K)
"
In der Marxschen Analyse ist die Tatsache, daß der Kapitalismus durch eine ihm
immanente historische Dynamik gekennzeichnet ist, der Form abstrakter Herrschaft
geschuldet, die der Wertförmigkeit des Reichtums und der gesellschaftlichen
Vermittlung innewohnt. Das Wesen dieser Dynamik besteht in einem sich
fortwährend beschleunigenden Prozeß der Produktion um der Produktion willen. Was
den Kapitalismus auszeichnet, ist, daß - auf einer tiefen systemischen Ebene -
die Produktion nicht um der Konsumtion willen stattfindet. Diese Produktion wird
letztlich durch ein System abstrakter, vom Doppelcharakter der Arbeit im
Kapitalismus konstituierter Zwänge angetrieben, das sich die Produktion als ihr
eigenes Ziel setzt.
"
(S. 284)
| [Produktion nicht der Konsumtion wegen] |
{ Hier wird abstrakt Schein und Wirklichkeit verwechselt und konkreter die Formbestimmung der Produktion mit ihrer Inhaltsbestimmung. (d.V.)}
"
Dort wird gezeigt, daß die durch das Kapital zum Ausdruck gebrachte
gesellschaftliche Totalität ebenfalls einen >Doppelcharakter< - einen
abstrakten
und einen substantiellen - besitzt, der in den zwei Dimensionen der Warenform
verankert ist. Im Unterschied zu den beiden Seiten der Ware sind in der mit dem
Kapital entfalteten Totalität beide gesellschaftliche Dimensionen der
Arbeit
entfremdet und treten den Individuen gemeinsam als einheitliche Zwangsgewalt
gegenüber. Diese Dualität ist der Grund, warum diese Totalität nicht statisch,
sondern aus sich heraus widersprüchlich ist, weshalb sie einer immanenten,
historisch richtungsgebundenen Dynamik unterliegt.
"
(S. 195)
| [Doppelcharakter der Totalität als treibendes Moment] |
"
Da sie im Doppelcharakter der warenförmigen Arbeit verankert ist, ist die
entfremdete gesellschaftliche Totalität nicht, wie zum Beispiel Adorno es sieht,
die Identität, die in sich das gesellschaftlich Nicht-Identische inkorporiert
und so das Ganze zu einer widerspruchslosen Einheit werden ließe - wodurch sich
die Herrschaft universalisiere (1973). Um meine Behauptung zu stützen, daß die
Totalität in sich widersprüchlich ist, wird zu zeigen sein, daß sie ihrem Wesen
gemäß eine widersprüchliche Identität von Identität und Nicht-Identität bleibt
und nicht zu einer einheitlichen Identität geworden ist, die das
Nicht-Identische vollkommen assimiliert habe.
"
(S. 195)
| [Zu Adorno - Widersprüchlichkeit der Totalität selbst] |
"
Auf der Grundlage dieser Auseinandersetzung werde ich auf die Unterschiede
zwischen Wert und stofflichem Reichtum eingehen und beginnen können, die Frage
der Zeitlichkeit des Kapitalismus zu untersuchen - um so das Fundament für
meine, im letzten Teil dieser Studie erörterte Marxsche Vorstellung der
Verlaufsform der kapitalistischen Entwicklung zu legen. Auf dem Weg dorthin
werde ich zudem weitere Aspekte der oben bereits umrissenen soziohistorischen
Erkenntnis- und Subjektivitätstheorie entfalten, die eine kritische Untersuchung
der Marxkritik von Jürgen Habermas erlauben und die meine Diskussion der
Entwicklung der Kritischen Theorie - als einen Versuch, eine dem 20. Jahrhundert
adäquate Gesellschaftskritik zu formulieren -abschließen wird. Sodann werde ich
mit der Rekonstruktion der Marxschen Kategorie des Kapitals beginnen können.
"
(S. 287)
| [Weiteres Vorgehen] |
"
Die Analyse des Werts als einer historisch spezifischen gesellschaftlichen Form
hätte jedoch auch die Begriffe zu tangieren, in denen die Wertgröße erfaßt
wird.1 Marx schreibt nicht nur - wie häufig zitiert wurde-, daß die politische
Ökonomie »niemals auch nur die Frage gestellt hat, warum sich Arbeit im Wert
darstellt«, er fragt auch, warum sich »das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer
in der Wertgröße des Arbeitsprodukts darstellt« (MEW 23, 95). Mit der zweiten
Frage ist unterstellt, daß es nicht damit getan ist, die Wertform nur qualitativ
zu untersuchen, und dabei das Problem der Wertgröße auszublenden - auch
letzteres verlangt eine qualitative Gesellschaftsanalyse.
"
(S. 288)
| [Qualität der Wertquantität] |
"
Rubin gelangt zu einer ähnlichen Feststellung:
Der Hauptirrtum der Mehrheit der Marxkritiker besteht in: 1) ihrem völligen Unvermögen, die qualitativ soziologische Seite der Marxschen Werttheorie zu erfassen und 2) ihrer Beschränkung der quantitativen Seite auf die Untersuchung von Tauschraten... Sie verkennen die quantitativen Wechselbeziehungen zwischen den Mengen gesellschaftlicher Arbeit, die unter verschiedenen Produktionszweigen und Unternehmen aufgeteilt werden. Die Wertgröße ist ein Regulator der quantitativen Verteilung gesellschaftlicher Arbeit. (1972, 73ff.) [Herv v. P.H.] " (S. 289) | [Wertgröße als Regulator der Arbeitsmengen bei Rubin] |
"
Wenn aber die Kategorien Wert und Wertgröße lediglich im Hinblick auf die
fehlende bewußte gesellschaftliche Steuerung der Verteilung im Kapitalismus
interpretiert werden, dann bedeutet dies, die historische Negation des
Kapitalismus nur im Sinne öffentlicher Planung unter Abwesenheit des
Privateigentum zu begreifen. Dies aber liefert keine adäquate Grundlage für eine
kategoriale Kritik der kapitalförmigen Produktionsform. Die Marxsche Analyse der
Wertgröße ist jedoch integraler Bestandteil genau dieser Kritik: sie enthält
eine qualitative Bestimmung des Verhältnisses von Arbeit, Zeit und
gesellschaftlicher Notwendigkeit in der kapitalistischen Gesellschaftsformation.
Im Zuge der Untersuchung der zeitlichen Dimension der Marxschen Kategorien werde
ich meine Behauptung untermauern können, daß das Wertgesetz, weit davon
entfernt, eine Theorie des Gleichgewichts der auf den Märkten wirksamen
Mechanismen zu formulieren, sowohl eine historische Dynamik als auch eine
besondere materielle Form der Produktion unterstellt.
"
(S. 289)
| [Kritik am Wert als Regulator] |
{ Da hat er recht, aber hier wird wieder Regulatorfunktion und Marktgleichgewicht gleichgesetzt. Damit wäre natürlich der Kritikhorizont von Marx hinterschritten. Aber diese Regulatorfunktion wirft M.P. damit gleichzeitig weg und damit meiner Analyse nach den Inhalt des Wertes. Auch tritt bei ihm die objektive Seite, die Notwendigkeiten des Produktionsprozesses selbst völlig in den Hintergrund, hinter der historisch selbstverständlich wichtigen Formbestimmtheit. Das drückt sich darin aus, dass er auch "quasi-objektiv" anstatt objektiv sagt und damit zurecht auf das Trennende eines gesellschaftlich Objektiven und zb stofflich objektiven hindeutet, aber das Identische ''beider'' Objektivitäten wäre hier zu betonen. (d.V.)}
"
Stofflicher Reichtum vermittelt sich gesellschaftlich nicht selbst: wo er die
vorherrschende gesellschaftliche Form des Reichtums ist, wird er durch offene
gesellschaftliche Beziehungen >bewertet< und verteilt - aufgrund
traditioneller
gesellschaftlicher Bindungen, Machtverhältnissen, bewußter Entscheidungen,
Nützlichkeitserwägungen und anderem mehr. Die Dominanz stofflichen Reichtums als
der gesellschaftlichen Form des Reichtums ist mit einer manifesten
gesellschaftlichen Form der Vermittlung verbunden.
"
(S. 290)
| [Vorkapitalistische Verteilung des Reichtums] |
"
Wenn die Arbeit selbst als das allgemeine, quasi-objektive Mittel zur
Vermittlung der Produkte agiert, konstituiert sich ein allgemeines,
quasi-objektives Maß des Reichtums, das von der Besonderheit der Produkte
und
somit von manifesten gesellschaftlichen Bindungen und Zusammenhängen unabhängig
ist. Marx zufolge ist dieses Maß die gesellschaftlich notwendige Verausgabung
menschlicher Arbeitszeit. Wie wir sehen werden, handelt es sich dabei um eine
bestimmte, >abstrakte< Form der Zeit. Wegen des vermittelnden Charakters
der
Arbeit im Kapitalismus hat auch deren Maß einen gesellschaftlich vermittelnden
Charakter. Die Form des Reichtums (Wert) und sein Maß (abstrakte Zeit) werden
durch Arbeit im Kapitalismus als >objektive< gesellschaftliche
Vermittlungen konstituiert.[Herv v. P.H.]
"
(S. 291)
| [Allgemeines quasi-objektives Mass - abstrakte Zeit] |
"
In ähnlicher Weise bezieht sich die Kategorie der Wertgröße zugleich auf eine
Abstraktion von den physischen Quantitäten der ausgetauschten Produkte wie auf
die Reduktion auf einen nicht-manifesten gemeinsamen Nenner - die für ihre
Produktion aufgewandte Arbeitszeit. Im vierten Kapital wurden einige
erkenntnistheoretische Implikationen der Marxschen Warenformanalyse
angesprochen, die ich als Analyse strukturierter Formen von Alltagspraxis
verstehe und die einen fortwährenden Prozeß der Abstraktion von der konkreten
Besonderheit von Gegenständen, Tätigkeiten und Individuen sowie deren Reduktion
auf einen allgemeinen, >wesentlichen< gemeinsamen Nenner beinhalten.
"
(S. 292)
| [Abstraktionsprozeß als Alltagspraxis auf wesentlich gemeinsamen Nenner] |
{ Dem muß in dieser Abstraktheit vehement widersprochen werden, die Vermittlung ist als Durchschnittsbewegung angegeben. (d.V.)}
"
Wie im 4. Kapitel dieser Studie dargelegt, ist die Argumentation im Kapital der
Darstellungsweise, das heißt der vollen Entfaltung der Kategorien immanent.
Darin soll, was entfaltet wird, rückwirkend rechtfertigen, was ihm voranging und
aus dem es logisch entwickelt wurde. Wir werden sehen, daß Marx seine
Behauptung, die Wertgröße sei durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit
bestimmt, rückwirkend stützt, wenn er - auf der Grundlage seiner
Ausgangsbestimmungen des Werts und dessen Maß - den kapitalistischen
Produktionsprozeß und die Verlaufsform seiner Entwicklung analysiert. Seine
Argumentation zielt dabei darauf, die zeitliche Bestimmung der Wertgröße als
eine kategoriale Bestimmung sowohl der Produktion als auch der Dynamik des
Ganzen zu rechtfertigen, und nicht nur - wie es zunächst scheinen mag - als eine
Bestimmung allein der Steuerung des Tauschs.
"
(S. 292)
| [Rückwirkend stützende Entwicklung der Kategorien] |
5.2 Abstrakte Zeit und gesellschaftliche Notwendigkeit(» K)
"
Marx definiert gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit folgendermaßen:
Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um
irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen
Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad an Geschick
und Intensität der Arbeit darzustellen.
(MEW 23, 53)
"
(S. 293)
"
Die Bestimmung der Wertgröße einer Ware durch die gesellschaftlich notwendige
oder durchschnittliche Arbeitszeit zeigt an, daß der Bezugspunkt die
Gesellschaft als ganze ist. Das Problem, wie dieser Durchschnitt
konstituiert
wird - er wird durch »einen gesellschaftlichen Prozeß hinter dem Rücken der
Produzenten festgesetzt... und (scheint) ihnen daher durch das Herkommen
gegeben« (MEW 23, 59) - soll hier nicht erörtert werden, aber bemerkt werden
soll doch, daß dieser »gesellschaftliche Prozeß« eine
gesellschaftlich-allgemeine Vermittlung individueller Handlungen beinhaltet.
Infolge dieser individuellen Handlungen konstituiert sich eine allgemeine
äußerliche Norm, die reflexiv auf jedes Individuum einwirkt.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 293)
{ Gerade diese Konstitution des Durchschnitts ist der Kern und wird im dritten Band bis zur Oberfläche der Kategorien hin geleistet. Bemerkenswert, dass der Durchschnitt in Folge völlig aus dem Blickfeld gerät, wobei selbstverständlich die Hervorhebung des gesellschaftlich speziphischen der Form notwendig ist. (d.V.)} | [Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als Durchschnitt und überindividuelle Norm] |
"
Die für die Produktion einer bestimmten Ware verausgabte Zeit wird auf
gesellschaftlich-allgemeine Weise vermittelt und in einen Durchschnitt
umgewandelt, der die Wertgröße des Produkts bestimmt. Somit drückt die Kategorie
der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit eine allgemeine zeitliche
Norm aus,
die aus den Handlungen der Produzenten resultiert und nach der diese sich zu
richten haben. Wer überleben will, ist nicht nur gezwungen, Waren zu produzieren
und auszutauschen, sondern diese Zeit muß darüber hinaus auch - wenn man den
>vollen Wert< seiner Arbeitszeit erhalten will - mit der zeitlichen Norm
übereinstimmen, die als gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ausgedrückt
wird. Als Kategorie der Totalität bringt die gesellschaftlich notwendige
Arbeitszeit eine quasi-objektive gesellschaftliche Notwendigkeit zum Ausdruck,
die den Produzenten gegenübertritt. Es ist die der abstrakten Herrschaft
innewohnende Zeitdimension, welche die Strukturen entfremdeter
gesellschaftlicher Beziehungen im Kapitalismus kennzeichnet. Die von der Arbeit
als objektive allgemeine Vermittlung konstituierte gesellschaftliche Totalität
ist durch eine Zeitlichkeit charakterisiert, worin Zeit zur Notwendigkeit wird.
[Herv. v. P.H.]
"
(S. 195)
| [Durchschnitt als Normzwang, Ausdruck der Totalität und quasi-objektive gesellschaftliche Notwendigkeit] |
"
Obwohl der Wert durch die Produktion besonderer Waren konstituiert wird, leitet
sich, reflexiv gesehen, ihre Wertgröße aus einer vorausgesetzten, allgemein
gesellschaftlichen Norm ab. Mit anderen Worten, der Wert einer Ware stellt ein
individuiertes Moment einer allgemeinen gesellschaftlichen Vermittlung dar.
Seine Größe hängt nicht von der für die Produktion einer bestimmten Ware
tatsächlich benötigten Arbeitszeit ab, sondern von der allgemeinen
gesellschaftlichen Vermittlung, die in der Kategorie der gesellschaftlich
notwendigen Arbeitszeit ihren Ausdruck findet. Anders als das Maß des
stofflichen Reichtums, das von der Quantität und der Qualität besonderer Güter
abhängt, drückt das Maß des Werts ein bestimmtes Verhältnis aus - ein
Verhältnis
zwischen dem Besonderen und dem Abstrakt-Allgemeinen, das die Form eines
Verhältnisses zwischen einem Einzelmoment und der Totalität hat. Beide Seiten
dieses Verhältnisses werden durch Arbeit konstituiert, die als produktive und
als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit fungiert. Dieser Doppelcharakter der
Arbeit liegt dem quasi-objektiven, abstrakt zeitlichen Maß gesellschaftlichen
Reichtums im Kapitalismus zugrunde. In ihm entsteht der Gegensatz zwischen dem
Spektrum der besonderen Produkte (beziehungsweise Arbeiten) auf der einen Seite
und der abstrakt allgemeinen Dimension, die durch diese besonderen Arbeiten
konstituiert wird (und die wiederum diese konstituiert), auf der anderen.
"
(S. 294f)
| [Wert einer Ware als individuelles Moment einer allg. gesell. Vermittlung - Besonderes//abstr. Allg.] |
5.3 Wert und stofflicher Reichtum(» K)
"
Erhöhte Produktivität führt zu einer Abnahme des Werts jeder produzierten Ware,
da weniger gesellschaftlich notwendige Arbeit verausgabt wird. Daraus folgt, daß
der in einer bestimmten Zeitspanne (zum Beispiel in einer Stunde) erzielte
Gesamtwert konstant bleibt. Die umgekehrt proportionale Beziehung zwischen der
durchschnittlichen Produktivität und der Wertgröße einer einzelnen Ware ist eine
Funktion des Umstands, daß die Größe des produzierten Gesamtwerts allein von der
Menge der verausgabten abstrakt menschlichen Arbeitszeit abhängt. Veränderungen
der durchschnittlichen Produktivität lassen den in den gleichen Zeitperioden
geschaffenen Gesamtwert unverändert.
"
(S. 297)
| [Konstanz des Gesamtwertes bzgl. der Zeit(einheiten)] |
"
Doch dürfte klar geworden sein, daß die Marxsche Kategorie Wert nicht bloß den
stofflichen Reichtum darstellt, der im Kapitalismus über den Markt vermittelt
wird. Qualitativ und quantitativ sind Wert und stofflicher Reichtum vielmehr
zwei vollkommen verschiedene Formen des Reichtums, Formen, die sogar im
Gegensatz zueinander stehen können:
Ein größres Quantum Gebrauchswert bildet an und für sich größren stofflichen
Reichtum, zwei Röcke mehr als einer. Mit zwei Röcken kann man zwei Menschen
kleiden, mit einem Rock nur einen Menschen usw. Dennoch kann der steigenden
Masse des stofflichen Reichtums ein gleichzeitiger Fall seiner Wertgröße
entsprechen. (MFW 23, 60)
"
(S. 298)
| [Verhältnis stofflichem Reichtum und Wert] |
"
Anders gesagt hat die konkrete Dimension der Arbeit einen gesellschaftlichen
Charakter, der durch die gesellschaftliche Organisation und das
gesellschaftliche Wissen geprägt wird und Aspekte davon enthält - was ich den
>gesellschaftlichen Charakter der Arbeit als produktive Tätigkeit< genannt
habe
- und beschränkt sich nicht auf die Verausgabung unmittelbarer Arbeit.
Produktivität ist bei Marx Ausdruck dieses gesellschaftlichen Charakters,
Ausdruck der erworbenen produktiven Fähigkeiten der Menschheit. Sie hängt von
der konkreten gesellschaftlichen Dimension der Arbeit ab, und nicht von Arbeit,
insofern diese eine historisch spezifische Vermittlung konstituiert.
"
(S. 299)
| [Gesell. Charakter der konkreten Arbeit] |
"
Das Eigentümliche am Wert ist, daß er, obwohl eine Form des Reichtums, nicht
unmittelbar die Beziehung des Menschen zur Natur ausdrückt, sondern das
Verhältnis der Menschen unter einander, so wie es durch Arbeit vermittelt wird.
Marx zufolge hat die Natur an der Konstitution des Werts unmittelbar gar keinen
Anteil (MEW 23, 62). Als gesellschaftliche Vermittlung wird Wert allein durch
(abstrakte) Arbeit konstituiert: er ist eine Vergegenständlichung der historisch
spezifischen Gesellschaftlichkeit der Arbeit im Kapitalismus als
gesellschaftlich vermittelnder Tätigkeit, als >Substanz< entfremdeter
Verhältnisse. Seine Größe ist demnach kein unmittelbarer Ausdruck des erzeugten
Produktquantums oder der dabei genutzten Naturkräfte, sondern er ist allein eine
Funktion abstrakter Arbeitszeit. Mit anderen Worten: Obwohl steigende
Produktivität einen Zuwachs an stofflichem Reichtum zeitigt, erbringt sie keinen
Zuwachs an Wert pro Zeiteinheit.
"
(S. 299f)
| [Wert als gesellschaftliche Vermittlung] |
"
Der Unterschied zwischen Wert und stofflichem Reichtum, als Ausdrücke der zwei
Dimensionen der Arbeit, betrifft das Problem des Verhältnisses zwischen Wert
beziehungsweise Technologie und dem Grundwiderspruch des Kapitalismus.
Die Marxsche Auseinandersetzung mit der Maschinerie sollte im Kontext seiner
Analyse des Werts als einer historisch spezifischen, von stofflichem Reichtum
verschiedenen Form des Reichtums gesehen werden. Obwohl Marx zufolge Maschinen
den stofflichen Reichtum vermehren, schaffen sie keinen neuen Wert. Sie
übertragen nur die in ihre Produktion eingegangene Wertmenge (die unmittelbare
Arbeitszeit) auf die mit ihnen produzierten Waren oder vermindern indirekt den
Wert der Arbeitskraft (indem sie den Wert der Waren verringern, die die Arbeiter
konsumieren) und vermehren dadurch die Wertmasse, die sich die Kapitalisten als
Mehrwert aneignen können. (MEW 42, 597 f) Daß Maschinen keinen neuen Wert
schaffen, ist weder ein Paradox noch Indiz eines reduktionistischen Beharrens
von Marx auf dem Primat unmittelbarer menschlicher Arbeit als dem wesentlichen,
von technischen Fntwicklungen unabhängigen gesellschaftlichen Konstituens des
Reichtums. Dies basiert vielmehr auf dem Unterschied zwischen stofflichem
Reichtum und Wert, einem Unterschied, der dem zugrundeliegt, was Marx als
wachsenden Widerspruch zwischen den beiden, durch die Warenform ausgedrückten
gesellschaftlichen Dimensionen analysiert.
"
(S. 301)
| [Maschinen schaffen keinen Wert] |
"
(Fussnote 3)
Es wäre zu zeigen, wie Menschen, die auf der Grundlage von Erscheinungsformen
handeln, die die zugrundeliegenden wesentlichen Strukturen des Kapitalismus
verdecken, eben diese Strukturen rekonstituieren. Diese Darstellung würde
zeigen, wie diese Strukturen, als durch ihre Erscheinungsformen vermittelte,
nicht nur Praxisformen konstituieren, die gesellschaftlich konstitutiv sind,
sondern dies auch auf eine Weise, die der Gesellschaft als ganzer eine bestimmte
Dynamik und spezifische Zwänge auferlegt.
"
(S. 301)
| [Handeln auf Erscheinungseben reproduziert die Wesensebene] |
{ Dies angewandt auf die gesellschaftliche Reproduktion bedeutet, dass obwohl es scheinbar Produktion um der Produktion willen ist, trotzdem die Gesamtreproduktion gewährleistet werden muß. Dass dies real mit unglaublicher Verschwendung, Not und Elend einhergeht ist genauso wahr, wie es verdeckt, dass trotzdessen die Gesellschaft sich produktiv weiterentwickelt, bzw. noch schlimmer. Not und Elend sind unter dieser geschichtlich besonderen Form der Gesellschaft notwendige Voraussetzung der Weiterentwicklung. Dynamik im Kapitalimus heißt nämlich, die Reproduktion des Kapitals ist schon Akkumulation, dh Weiterentwicklung ('Kapital' Bd.I) (d.V.)}
"
Wie festgestellt bringt Produktivitätszuwachs nicht auch eine größere Wertmasse
pro Zeiteinheit hervor. Aus diesem Grund erhöhen alle Mittel, die die
Produktivität steigen lassen, etwa angewandte Wissenschaft und Technologie -
nicht die pro Zeiteinheit erzielte Wertmenge, wohl aber vermehren
sie erheblich
die Menge des produzierten stofflichen Reichtums.4 Der zentrale Widerspruch des
Kapita
"
(S. 302)
| [Absolute Zuspitzung des Widerspruchs der Reichtumsform Wert zur Produktivität der Gesellschaft - konstante Wertmasse//gigantischer Warenmasse] |
{ Dies ist ein wichtiger Punkt, der zum Beispiel den Wertwissenschaftlern total ab geht und zeigt, dass diese im Gegensatz zu M.P. an der Oberfläche kleben bleiben, bzw. Marx versuchen an diese zu zerren. (d.V.)}
"
Als >konkret< bezeichnen werde ich die verschiedenen Arten von Zeit, die
von
Ereignissen abhängen: sie beziehen sich auf naturgegebene Zyklen und
Periodizitäten des menschlichen Lebens sowie auf besondere Aufgaben oder
Prozesse (etwa die Zeit, die man zum Reiskochen benötigt, oder um ein
Vaterunser aufzusagen) und werden durch diese verstanden (Thompson 1980, 36)6.
"
(S. 195)
| [Konkrete Zeit, als von Ereignissen abhängig - eine anhängige Variable] |
{ Meine Zeitvorstellung ist dann nur konkret, wir können Zeiten nur in Referenz auf parallele Prozesse messen. Somit gibt es keine von Ereignissen unabhängige Zeit. Hier lauert wieder ein Logizismus, der Zeit nicht als Bewegungsform der Materie begreifen kann. Sie ist objektiv, also relativ unabhängig, aber eben nur in der Bewegung, als deren Form existent. M.P. begreift sie dagegen wohl eher als Erkenntnisform gleich Kant. Sonst könnte er nich fragen, wann die abstrakte Zeit entstanden wäre, vor allem wann eine Zeit entstanden ist. Zeit und die sich wandelnden Vorstellungen von ihr durchmischen sich einfach. (d.V.)}
"
>Abstrakte Zeit< dagegen, unter der ich gleichförmige, kontinuierliche,
homogene, >leere< Zeit verstehe, ist unabhängig von Ereignissen. Die
Vorstellung von abstrakter Zeit, die sich in Westeuropa zwischen dem 14. und 17.
Jahrhundert zunehmend durchsetzte, fand am eindringlichsten seinen Ausdruck in
der Newtonschen Formulierung von der »absoluten, wahren und mathematischen Zeit,
[die] ohne jede Beziehung zu irgendetwas Äußerem völlig gleich fließt« (Isaac
Newton>). Abstrakte Zeit ist eine unabhängige Variable. Sie konstituiert einen
unabhängigen Rahmen, in dem Bewegung, Ereignisse und Handlungen auftreten. Diese
Zeit ist in gleiche, konstante, nicht-qualitative Einheiten aufteilbar.
"
(S. 309f)
| [Abstrakte Zeit, als von Ereignissen abhängig - eine unanhängige Variable] |
"
Abstrakte Zeit ist also historisch einzigartig - aber unter welchen Bedingungen
ist sie entstanden?
... Die Ursprünge abstrakter Zeit sollten in der Vorgeschichte des Kapitalismus, im Spätmittelalter gesucht werden. ... Spezifischer ausgedrückt sollten die historischen Ursprünge der Vorstellung von abstrakter Zeit auf die Konstitution der gesellschaftlichen Wirklichkeit einer solchen Zeit im Verlauf der Ausbreitung der Warenförmigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse bezogen werden. " (S. 310)
"
Der historische Übergang von einer auf variablen zu einer auf konstanten Stunden
beruhenden Zeitmessung markiert die Entstehung abstrakter Zeit von Zeit als
einer unabhängigen Variablen.
"
(S. 311)
| [Abstrakte Zeit entsteht als Vorstellung, als Erfindung auf Grund der Organisation der Gesellschaft] |
"
Ich behaupte also, daß das Aufkommen einer solchen neuen Zeitform mit der
Entwicklung der Warenförmigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse zusammenhängt.
Dieses hat seinen Grund nicht nur in der Sphäre der Warenproduktion, sondern
ebenso in der der Warenzirkulation. Mit der Organisation von Handelsnetzen um
das Mittelmeer und auf dem Herrschaftsgebiet der Hanse wurde Zeit als Maßstab
zunehmend bedeutsamer. Dies, weil die Arbeitszeitdauer in der Produktion zur
entscheidenden Frage wurde und weil es zunehmend wichtiger wurde, Faktoren wie
die Dauer einer Handelsreise oder die Fluktuation der Preise im Verlauf einer
kommerziellen Transaktion zu messen. (Le Goff 1977, 402; Piesowicz 1980, 477)
"
(S. 323)
| [Gesellschaftliche Notwendigkeit bringt abstrakte(s) Zeit(verständnis) hervor] |
{ Wenn schon soviel Mühe auf die geschichtliche Darstellung verwendet wird, so wäre wichtig, dass die Bestimmung der Breitengrade, bei anschwellendem Handel und Kollonialisierung immer wichtiger wurde und bares Geld versprach. Für diese navigatorische Leistung, waren lange genau gehende Chronometer unabdingbar. Die britische Gesellschaft schrieb darauf hin einen wohl dotierten Wettbewerb aus, den insbesondere auch das Militär sehr interessierte. So gebahr die gesellschaftliche Notwendigkeit die technologische Lösung. (d.V.)}
"
Die Gleichheit und Teilbarkeit konstanter, von der sinnlich wahrnehmbaren
Wirklichkeit wie Licht, Dunkelheit oder den Jahreszeiten abstrahierenden
Zeiteinheiten wurden ebenso zu einem Merkmal des täglichen Lebens in den Städten
(auch wenn dies sich nicht auf alle Bewohner gleichermaßen aus wirkte) wie die
damit verbundene Gleichheit und Teilbarkeit des in der Geldform ausgedrückten
und von der sinnlichen Wirklichkeit verschiedenartiger Produkte abstrahierten
Werts.
"
(S. 324f)
| [Abstraktheit und gleichförmige Teilbarkeit der Zeit, des Wertes in Form des Geldes] |
"
Die neue Zeit, die die - häufig vis à vis den Glockentürmen der Kirchen
errichteten - Uhrtürme verkündeten, war die Zeit, die mit einer neuen
gesellschaftlichen Ordnung assoziiert war; beherrscht von der Bourgeoisie, einer
Klasse, die die Städte nicht nur politisch und gesellschaftlich kontrollierte,
sondern auch schon damit begonnen hatte, der Kirche die kulturelle Hegemonie zu
entwinden (Le Goff 1984, 36; Bilfinger 1892, 160ff.; Gurjevich 1976, 241).
Anders als die konkrete Zeit der Kirche, einer manifest von einer
gesellschaftlichen Institution kontrollierte Zeitform, kommt der abstrakten
Zeit, wie auch anderen Aspekten der Herrschaft in der kapitalistischen
Gesellschaft, ein >objektiver< Charakter zu.
"
(S. 326)
| [Objektiver Charakter der abstrakten Zeit als REALER gesellschaftliche Zwangsnormierung] |
"
Obwohl das Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit, wie wir sehen
werden, eine abhängige Variable der Gesellschaft als ganzer ist, stellt sie im
Hinblick auf die Tätigkeit des Individuums eine unabhängige Variable dar. Dieser
Prozeß, in dessen Verlauf eine konkrete, abhängige Variable menschlicher
Tätigkeit zu einer abstrakten, unabhängigen Variablen wird, die diese Tätigkeit
beherrscht, ist real - und nicht illusorisch. Er ist dem Prozeß der durch Arbeit
bewirkten entfremdeten gesellschaftlichen Konstitution immanent.
"
(S. 372)
| [Bzgl. Individuum unabhängig ABER bzgl Gesellschaft abhängige Variable] |
"
Wenn ich dagegen von konkreter und abstrakter Zeit spreche, dann um zu betonen,
daß wir es mit zwei verschiedenen Arten von Zeit zu tun haben und nicht bloß mit
zwei verschiedenen Arten, Zeit zu messen. Zudem ist die abstrakte Zeit, wie ich
im 8. Kapitel ausführen werde, nicht die einzige in der kapitalistischen
Gesellschaft konstituierte Zeitform, denn hier wird auch eine eigentümliche Form
konkreter Zeit konstituiert. Wir werden sehen, daß die Dialektik
kapitalistischer Entwicklung - auf einer logischen Ebene - eine Dialektik
zweier, in der kapitalistischen Gesellschaft konstituierter Zeitformen ist und
deshalb im Sinne der Ablösung aller Formen konkreter Zeit durch abstrakte Zeit
nicht adäquat verstanden werden kann.
"
(S. 329)
| [Nich zwei versch. Arten des Zeitmessens, sondern Zeitformen selbst] |
5.5 Formen gesellschaftlicher Vermittlung und des Bewußtseins(» K)
"
Die Marxsche Bestimmung der Wertgröße wird hier so interpretiert, daß die Zeit
in ihr als unabhängige Variable, als homogene, absolute mathematische Zeit, die
in unserer Gesellschaft viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens
organisiert, gesellschaftlich konstituiert wurde. Die abstrakte mathematische
Zeit und den Begriff von ihr mit der Warenförmigkeit gesellschaftlicher
Verhältnisse zusammen zu bringen, ist ein Beispiel für die in dieser Studie
vorgelegte sozio-historischen Erkenntnis- und Subjektivitätstheorie. Diese
analysiert sowohl Objektivität wie auch Subjektivität als durch
historisch
spezifisch strukturierte Praxisformen gesellschaftlich konstituiert. Eine solche
Theorie transformiert das klassische erkenntnistheoretische Problem des
Subjekt-Objekt-Verhältnisses und führt zu einer Neuformulierung und Kritik
dieses Problems selbst.
[Herv. v. P.H.]
"
(S. 330)
| [Obj. wie Subj. als durch Praxisform konstituiert] |
"
Kant versteht Konstitution im Sinne der konstituierenden Rolle des Subjekts. Er
argumentiert, daß die Wirklichkeit an sich, das Noumenon, sich der menschlichen
Erkenntnis entziehe, und behauptet, daß unsere Erkenntnis der Dinge eine
Funktion der transzendentalen Kategorien a priori sei, welche die Wahrnehmung
organisieren. Das heißt in dem Maß, in dem unsere Erkenntnis und Wahrnehmung
durch diese subjektiven Kategorien organisiert sind, tragen wir zu
Konstituierung der Phänomene bei, die wir wahrnehmen. Dieser Konstitutionsprozeß
sei jedoch keine Funktion von Handlungen und beziehe sich nicht auf das Objekt.
Er sei vielmehr eine Funktion der subjektiven Erkenntnisstrukturen. Zeit und
Raum sind Kant zufolge solche transzendentale Kategorien a priori.
"
(S. 195)
| [Kants subj. Konstitutionsprozess] |
"
Ich habe schon dargelegt, wie er die gesamte Wirklichkeit, einschließlich der
Natur, als durch Praxis konstituiert behandelt - als Entäußerung, als Produkt
und Ausdruck des weltgeschichtlichen Subjekts: des Geistes, der im Laufe seiner
Entfaltung objektive Wirklichkeit als eine bestimmte Vergegenständlichung des
Selbst konstituiert, was reflexiv bestimmte Entwicklungen im Selbstbewußtsein
erzeugt.
"
(S. 331)
| [Hegels Verschränktheit der Prozesse] |
"
Die Marxsche Theorie der Konstitution durch Praxis ist zwar gesellschaftlich,
aber nicht in dem Sinn, daß in ihr die Welt gesellschaftlicher Objektivität
durch ein menschliches historisches Subjekt konstituiert wäre. Sie ist vielmehr
eine Theorie des Verfahrens, in dem Menschen Strukturen gesellschaftlicher
Vermittlung konstituieren, die ihrerseits Formen gesellschaftlicher Praxis
konstituieren.
"
(S. 331)
| [Marx: Subj. und Obj. konstituieren sich in gesell. Praxis, sind innerlich verschränkt] |
"
Die Theorie gesellschaftlicher Praxis im Kapitalismus im Spätwerk von Marx ist
also eine Theorie durch Arbeit konstituierter gesellschaftlicher Formen, die die
Beziehungen der Menschen untereinander und mit der Natur vermitteln und
gleichzeitig Seins- und Bewußtseinsformen darstellen. Bei ihr handelt es sich
sowohl um eine Theorie der gesellschaftlichen und historischen Konstitution
bestimmter, strukturierter Formen gesellschaftlicher Praxis als auch eine
Theorie der die Handlungen prägenden gesellschaftlichen Erkenntnis, Normen und
Bedürfnisse.
"
(S. 335)
| [Arbeit konstituiert Formen als Seins- und Bewußtseinsformen im Kapitalismus] |
{ Was sind die Inhalte. Er insistiert zu Recht auf der Form und der historischen speziellen Konstitution, aber der Produktionsprozeß tut dies wegen der besonderen Rolle nur im Kapitalismus. (d.V.)}
"
Dies gilt auch für die erkenntnistheoretische Dimension der Arbeit als
gesellschaftlicher Praxis. So habe ich behauptet, daß zwei Momente der
menschlichen Beziehung zur Natur unterschieden werden müssen: die Transformation
von Natur, Materie und Umwelt als Ergebnis gesellschaftlicher Arbeit einerseits,
und die menschlichen Vorstellungen vom Charakter natürlicher Wirklichkeit
andererseits. Letzteres, so behauptete ich, könne nicht als eine unmittelbare
Konsequenz des ersteren, das heißt der durch Arbeit vermittelten Interaktion der
Menschen mit der Natur, allein erklärt werden, sondern sei auch mit Bezug auf
die Formen gesellschaftlicher Verhältnisse, innerhalb derer solche Interaktion
stattfinden, zu betrachten. Im Kapitalismus aber werden beide Momente der
menschlichen Beziehung zur Natur von der Arbeit bestimmt: die Umgestaltung der
Natur vermittels konkreter gesellschaftlicher Arbeit kann deshalb so erscheinen,
als konditioniere sie die Vorstellungen, die die Menschen von der Wirklichkeit
haben, erscheint so, als ob Sinn nur der durch Arbeit vermittelten Interaktion
mit der Natur entspringe.
"
(S. 338)
| [Vorstellungen werden von der gesellschaftlichen Form bestimmt] |
"
Das Marxsche Vorgehen, so wie ich es präsentiere, will aber diesen Gegensatz
nicht auflösen. Vielmehr transformiert es die Begriffe, in denen das Problem
sich ausdrückt, indem es das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität
gesellschaftlich in der Form analysiert, daß die Prämissen der klassischen
Problematik selbst - der Gegensatz zwischen einer äußeren, gesetzmäßigen Sphäre
von Objektivität und dem einzelnen, sich selbst bestimmenden Subjekts - in den
gesellschaftlichen Formen der modernen kapitalistischen Gesellschaft begründet
werden.
"
(S. 338f)
| [Subj//Obj-Problem wird in der gesell. Form Kapitalismus begründet] |
{ Die Frage ist, warum sich die alten Griechen dann dieses Problems so angenommen haben, als würden sie schon in selbigen Verhältnissen leben. Hier tritt die Verkürzung von M.P. auf die Formen im Kap. schlagend im Gegensatz zur geschichtlichen Wirklichkeit hervor. Da sagt dann Hilferding wohl etwas wahres über den transhistorischen Charakter und M.P. über die relative Formiertheit der Vorstellungen durch Praxis. (d.V.)}
{
| [Form übergreift auf den Inhalt] |
{ Das Problem ist hier, das objektiv und gesellschaftlich objektiv in eins geworfen werden, wie sie vorher als objektiv und quasi-objektiv getrennt sind. Gesellschaft konstituiert wohl ihre eigenen Verhältnisse, die sie bestimmen, also im gesellschaftlichen Sein eine Form der Objektivität. Aber zb Raum und Zeit als nicht dem gesellschaftlichen Sein zugehörig werden auch nicht gesellschaftlich konstituiert, sondern nur die entsprechenden Vorstellungen über diese. So gesehen gibt es eine Menge "präexistenter" Objektivität. (d.V.)} | [Nichtgesellschaftlichen Objektivität wird nicht gesellschaftlich konstituiert] |
"
Erstere liefert den allgemeinen, sich historisch verändernden Rahmen der
Bewußtseinsformen, in dem letztere untersucht werden können. Sie geht davon aus,
daß, wenn gesellschaftlicher Sinn und gesellschaftliche Struktur miteinander
verbunden sind, auch die Kategorien, die das begreifen wollen, im Inneren
aufeinander bezogen sein müssen. Mit anderen Worten: die weit verbreitete
theoretische Dichotomie materieller und kultureller Dimensionen des
gesellschaftlichen Lebens kann nicht von außen überwunden werden, nicht auf der
Grundlage von Begriffen, die in sich bereits diesen Gegensatz enthalten.
"
(S. 342)
| [Abgrenzung gegen Basis//Überbau] |
III Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Das Kapital(» K)
8. Die Dialektik von Arbeit und Zeit(» K)
{ Zur Originaldatei als Spiegelung von ca ira (d.V.)}
"
Dabei wird klar werden, inwiefern meine erneuerte Interpretation der Marxschen
Basiskategorien eine begriffliche Neubestimmung des Wesens des Kapitalismus,
insbesondere seiner widersprüchlichen Dynamik, begründet, und zwar in der Weise,
daß Erörterungen über den Markt und das Privateigentum an Produktionsmitteln
nicht im Vordergrund stehen.
"
(S. 195)
| [Eigentum an PM nicht im Vordergrund] |
8.1 Die immanente Dynamik(» K)
"
Bisher habe ich mich auf die Zentralität der Marxschen Konzeption des
Doppelcharakters der gesellschaftlichen Grundformen der kapitalistischen
Gesellschaft konzentriert und versucht, das Wesen der Wertdimension der Formen
(abstrakte Arbeit, Wert, abstrakte Zeit) und das ihrer Gebrauchswertdimension
(konkrete Arbeit, stofflicher Reichtum, konkrete Zeit) zu verdeutlichen und den
Unterschied zwischen beiden zu klären. An diesem Punkt angelangt kann ich ihre
Wechselbeziehungen untersuchen. Ihre Nicht-Identität ist kein bloß statischer
Gegensatz, sondern die beiden Momente der Arbeit im Kapitalismus - als
produktive Tätigkeit auf der einen und als gesellschaftlich vermittelnde auf der
anderen Seite - bestimmen sich wechselseitig in der Weise, daß eine immanente
dialektische Dynamik entsteht. Es sollte festgehalten werden, daß die folgende
Untersuchung des dynamischen Verhältnisses von Produktivität und Wert einen voll
entwickelten Kapitalismus voraussetzt.
"
(S. 432)
| [Untersuchung der Vermittlung abstr.//konkret] |
"
Sein Beispiel verweist darauf, daß die Handlungen der Individuen dort, wo die
Ware allgemeine Produktform ist, eine entfremdete Totalität konstituieren, die
sie Zwängen aussetzt und die sie sich subsumiert. Bezog sich die Marxsche
Darstellung des Werts im ersten Band auf eine allgemeinere Ebene, bezieht sich
dieses Beispiel auf die der gesellschaftlichen Totalität.
Für unsere Zwecke ist entscheidend, daß diese Ausgangsbestimmung der Wertgröße Dynamik impliziert. " (S. 433) | [Gesellschaftliche Totalität und Dynamik des Gegensatzes Wert//stofflicher Reichtum] |
"
Obwohl eine Produktivitätssteigerung mehr stofflichen Reichtum zum
Ergebnis
hat,
wird auf dem neuen Produktivitätsniveau, einmal verallgemeinert, die gleiche
Menge Wert pro Zeiteinheit geschöpft wie vor der Steigerung. Bei der Erörterung
des Unterschieds zwischen Wert und stofflichem Reichtum habe ich festgestellt,
daß der in einer gesellschaftlichen Arbeitsstunde erzielte Gesamtwert Marx
zufolge konstant bleibt: »Dieselbe Arbeit ergibt daher in denselben Zeiträumen
stets dieselbe Wertgröße, wie immer die Produktivkraft wechsle.« (MEW 23, 61)
"
(S. 434)
| [Konstanz des Wertes pro Zeiteinheit und Durchsetzungsbewegung] |
"
Ist das abstrakte zeitliche Wertmaß gegeben, dann verändert diese Neubestimmung
gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit die Wertgröße der einzelnen
produzierten Waren, nicht jedoch den pro Zeiteinheit produzierten Gesamtwert.
Dieser bleibt konstant und teilt sich, wenn die Produktivität zunimmt, lediglich
unter einer größeren Menge von Produkten auf. Dies aber impliziert, daß im
Kontext eines durch eine abstrakte zeitliche Form des Reichtums
charakterisierten Systems die Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit
die normative gesellschaftliche Arbeitsstunde neu bestimmt.
"
(S. 434)
| [Abstrakte normative Zeit bleibt gleich, die konkrete normative Zeit verkleinert sich] |
"
Produktivität - die Gebrauchswertdimension der Arbeit ? verändert also nicht den
pro abstrakte Zeiteinheit erzielten Gesamtwert, bestimmt aber die Zeiteinheit
selbst. Wir stehen vor einem scheinbaren Paradox: die Wertgröße ist allein eine
Funktion der durch eine unabhängige Variable (abstrakte Zeit) gemessenen
Verausgabung von Arbeit, doch
die konstante Zeiteinheit selbst ist eine abhängige Variable, die durch
Veränderungen in der Produktivität neu bestimmt wird. Abstrakte Zeit wird also
nicht nur als eine qualitativ bestimmte Zeitform gesellschaftlich konstituiert,
sondern ebenso quantitativ: das, was eine gesellschaftliche Arbeitsstunde
konstituiert, wird durch das allgemeine Produktivitätsniveau, die
Gebrauchswertdimension, bestimmt. Doch obwohl die gesellschaftliche
Arbeitsstunde neu bestimmt wird, bleibt sie als Einheit abstrakter Zeit
konstant.[Herv. v. P.H.]
"
(S. 335)
| [Paradoxon abstrakte Zeit konstant//von GW-Seite verändert] |
"
Dieser Prozeß der wechselseitigen Bestimmung der zwei Dimensionen
gesellschaftlicher Arbeit im Kapitalismus findet auf gesamt-gesellschaftlicher
Ebene statt. Er spielt sich im Herzen einer dialektischen Dynamik ab, die der
durch warenförmige Arbeit konstituierten gesellschaftlichen Totalität innewohnt.
Die Eigentümlichkeit dieser Dynamik - und dies ist entscheidend - besteht in
ihrem Tretmühleneffekt. Zunehmende Produktivität vergrößert die pro
Zeiteinheit produzierte Wertmenge - bis diese Produktivität verallgemeinert
wird. An diesem Punkt fällt die in dieser Zeitperiode erzielte Wertgröße wegen
ihrer abstrakten und allgemeinen zeitlichen Bestimmung auf ihr vorheriges Niveau
zurück. Das Ergebnis ist eine neue Bestimmung der gesellschaftlichen
Arbeitsstunde sowie ein neues Basisniveau der Produktivität. Es entsteht so eine
Dialektik von Transformation und Rekonstitution: die allgemeinen
gesellschaftlichen Produktivitätsniveaus und die quantitativen Bestimmungen
gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit verändern sich,jedoch rekonstituieren
diese Veränderungen den Ausgangspunkt, das heißt die gesellschaftliche
Arbeitsstunde und das Basisniveau der Produktivität.
"
(S. 436)
| [Wechselwirkung ist gesamtgesellschaftlich - Tretmühleneffekt] |
"
Die Einführung immer neuerer Methoden der Produktivitätssteigerung bewirkt
weitere kurzfristige Wertzunahmen. Eine Konsequenz der Messung von Reichtum
durch Arbeitszeit besteht also darin, daß die Neubestimmung der zeitlichen
Konstante durch die Produktivitätszunahme ihrerseits noch größere Produktivität
induziert. Das Ergebnis ist eine richtungsgebundene Dynamik, in der sich die
beiden Dimensionen, konkrete Arbeit und abstrakte Arbeit, Produktivität und das
abstrakte zeitliche Wertmaß fortwährend gegenseitig neu bestimmen.
"
(S. 437)
| [Richtungsgebundene Dynamik] |
"
Der reziproken Neubestimmung von Produktivitätssteigerung und gesellschaftlicher
Arbeitsstunde eignet eine objektive, gesetzmäßige Qualität, die keineswegs bloße
Illusion oder Mystifizierung ist. Obwohl gesellschaftlich, ist sie unabhängig
von menschlichem Willen.
"
(S. 437)
| [Objektive gesetzmäßige Qualität dieser Dynamik] |
"
Es ist festzuhalten, daß die über den Markt vermittelte Zirkulationsweise kein
wesentliches Moment dieser Dynamik darstellt. Wesentlich für die Dynamik des
vollständig konstituierten Kapitalismus ist der Tretmühleneffekt, der allein in
der zeitlichen Dimension der Wertform des Reichtums begründet liegt. Wenn die
über den Markt vermittelte Zirkulationsweise eine Rolle bei dieser Dynamik
spielt, dann als untergeordnetes Moment einer komplexen Entwicklung - zum
Beispiel als die Art und Weise, wie das Produktivitätsniveau verallgemeinert
wird.
... Sich ausschließlich auf die Zirkulationsweise zu konzentrieren bedeutet, von bedeutsamen Implikationen der Warenform für die Verlaufsform der kapitalistischen Entwicklung in der Marxschen kritischen Theorie abzulenken. " (S. 438) | [Tretmühleneffekt als wesentliches Moment entgegen der Zirkulation] |
8.2 Abstrakte Zeit und historische Zeit(» K)
"
Trotz der Konstanz dieses abstrakten zeitlichen Wertmaßes hat dieses Maß einen
sich wandelnden gesellschaftlichen Inhalt, der jedoch verborgen bleibt:
nicht
jede Stunde ist hier eine Stunde - in anderen Worten: nicht jede Stunde
Arbeitszeit zählt als eine die Gesamtwertgröße bestimmende gesellschaftliche
Arbeitstunde. Die abstrakt-zeitliche Konstante ist also zugleich konstant und
nicht konstant. Abstrakt zeitlich gesehen konstant bleibt die gesellschaftliche
Arbeitsstunde als Maß des produzierten Gesamtwerts. Konkret ausgedrückt jedoch
verändert sie sich entsprechend den Veränderungen der Produktivität. Weil
dennoch die abstrakte Zeiteinheit das Wertmaß bleibt, drückt sich deren konkrete
Neubestimmung nicht in der Zeiteinheit als solcher aus. Produktivitätszuwachs,
um das klarzustellen, drückt sich in der proportionalen Wertabnahme jeder
produzierten Einzelware aus - nicht aber im pro Stunde produzierten Gesamtwert.
[Herv. v. P.H.]"
(S. 439f)
| [Konstant und doch veränderter gesellschaftlicher Inhalt] |
{ Endlich kommt er mal auf den gesellschaftlichen Inhalt. Er löst das Paradoxon zwischen konstanten abstrakten Zeiteinheiten und ihrem veränderten Inhalt damit, dass diese Zeit sich selbst in der Zeit verschiebt. Also muß M.P. die Zeit, dh die abstrakte Zeit als konstanten Rahmen, da Wert pro Zeiteinheit gleich bleibt, sich selbst bewegen lassen, um dass Dilemma der fehlenden Durchschnittsvermittlung zu lösen. So vermittelt nicht der Durchschnitt zwischen abstrakter und konkreter Zeit, sondern die historische Zeit. Diese ist wieder eine konkrete Zeit, dh nach M.P., sie hängt von Ereignissen ab und steht diesen nicht unabhängig gegenüber. Diese Ereignisse sind im Kern die Veränderung der Produktivität. (d.V.)}
"
Veränderungen in der Produktivität bewegen die Bestimmung gesellschaftlich
notwendiger Arbeitszeit in gewissem Sinne entlang einer Achse abstrakter Zeit:
gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit nimmt mit erhöhter Produktivität ab.
Doch obgleich die gesellschaftliche Arbeitsstunde dadurch neu bestimmt wird,
bewegt sie sich nicht entlang dieser Achse - denn sie ist diese Koordinatenachse
selbst, der Bezugsrahmen, an dem die Veränderung gemessen wird. Die Stunde ist
eine konstante Einheit abstrakter Zeit; abstrakt zeitlich gesehen muß sie
feststehen. Daher wird jedes neue Produktivitätsniveau >rückwirkend< neu
als niveau bestimmt und erzielt die gleiche Wertrate. Dennoch ist tatsächlich
ein neues Produktivitätsniveau erreicht worden, selbst wenn es als dasselbe
Basisniveau neu bestimmt worden ist. Vermag diese substantielle Entwicklung die
abstrakte Zeiteinheit in bezug auf die abstrakte Zeit selbst nicht zu ändern, so
verändert sie doch die >Position< dieser Einheit. Die gesamte abstrakte
zeitliche Achse, oder der Bezugsrahmen, wird mit jedem
gesellschaftlich-allgemeinen Produktivitätszuwachs bewegt sowohl die
gesellschaftliche Arbeitsstunde als auch das Basisniveau der Produktion werden
>zeitlich vorwärts< bewegt.
Basis
"
(S. 440f)
| [Neues Basisniveau wird zeitlich nach vorne verschoben] |
{ Hier könnte er auf den Durchschnitt eingehen, dass die abstrakte Zeit als Durchschnitt konkreter Arbeitszeiten mit einem Zeitversatz vermittelt ist. Das tut er aber nicht. (d.V.)}
"
Produktivität gründet Marx zufolge im gesellschaftlichen Charakter der
Gebrauchswertdimension der Arbeit (MFW 23, 60f.). Somit ist diese Bewegung der
Zeit eine Funktion der Gebrauchswertdimension der Arbeit in ihrer Wechselwirkung
mit dem Wertrahmen und kann als eine Art konkreter Zeit verstanden werden. Bei
der Untersuchung der Interaktion von konkreter und abstrakter Arbeit, die den
Kern der Marxschen Analyse des Kapitals ausmacht, haben wir gezeigt, daß ein
Wesenszug des Kapitalismus in einem (konkreten) Zeitmodus liegt, der die
(abstrakte) Zeitbewegung ausdrückt.
"
(S. 441)
| [Konkrete Zeit drückt abstrakte Zeitbewegung aus] |
"
Die Dialektik der beiden Dimensionen der Arbeit im Kapitalismus kann also auch
zeitlich verstanden werden, als Dialektik von zwei Zeitformen Wie wir gesehen
haben, bringt die Dialektik konkreter und abstrakter Arbeit eine innere Dynamik
hervor, die durch ein eigentümliches Tretmühlenmuster charakterisiert ist. Da
jedes neue Produktivitätsniveau als neues Basisniveau bestimmt wird, tendiert
diese Dynamik zur Dauerhaftigkeit und ist durch ständig gesteigerte
Produktivitätsniveaus gekennzeichnet. Zeitlich gesehen eignet dieser inneren
Dynamik des Kapitals mit ihrem Tretmühlenmuster eine fortwährende
richtungsbebundene Bewegung der Zeit, ein >Fließen der Geschichte<.
"
(S. 441)
| [Dialektik zweier Zeitformen] |
"
Mit anderen Worten, der von uns behandelte konkrete Zeitmodus kann als
historische Zeit, so wie sie in der kapitalistischen Gesellschaft
konstituiert wird, angesehen werden.
"
(S. 442)
| [Diese konkrete Zeit ist die historische Zeit] |
"
Ich habe dargelegt, daß abstrakte Zeit, definiert als ein abstrakter
unabhängiger Rahmen, innerhalb dessen Ereignisse und Handlungen stattfinden,
dadurch entsteht, daß die Ergebnisse individueller Tätigkeit über eine
gesamtgesellschaftlichen Vermittlung in eine abstrakte Zeitnorm für diese
Tätigkeit verwandelt werden. Obwohl die Zeit das Wertmaß darstellt, ist die
durch »gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit« ausgedrückte totalisierende
Vermittlung keine Bewegung von Zeit, sondern eine Metamorphose
substantieller
Zeit in abstrakte Zeit im Raum, sozusagen, vom Besonderen zum Allgemeinen
und
wieder zurück (Lukács (1968b, 264f.). Diese Vermittlung im Raum konstituiert
einen abstrakten, homogenen Zeitrahmen, der unveränderlich ist und als Maß für
Bewegung dient. Individuelle Tätigkeit findet also in abstrakter Zeit statt und
wird in Beziehung auf sie gemessen, kann diese Zeit aber nicht verändern.
"
(S. 442)
| [Abstrakte Zeit ist der abstrakt unabh. Rahmen] |
"
Historische Zeit ist gemäß dieser Interpretation kein abstraktes Kontinuum, in
dem Ereignisse stattfinden und dessen Fluß unabhängig von menschlicher Tätigkeit
wäre, sondern ist die Bewegung der Zeit, im Gegensatz zur Bewegung in
der Zeit.
"
(S. 442)
| [Historische Zeit ist Bewegung DER Zeit.] |
"
Ein Charakteristikum des Kapitalismus ist also die gesellschaftliche
Konstitution zweier Zeitformen - abstrakter Zeit und historischer Zeit -, die in
sich verschränkt sind. Die auf Wert, auf abstrakter Zeit beruhende
Gesellschaft
ist, wenn voll entwickelt, durch eine fortwährende historische Dynamik (und,
damit zusammenhängend, durch die Ausbreitung historischen Bewußtseins)
gekennzeichnet. Anders gesagt erhellt und begründet die Marxsche Analyse den
historisch dynamischen Charakter der kapitalistischen Gesellschaft
gesellschaftlich aus einer Dialektik der beiden Dimensionen der Warenform, die
sich als eine Dialektik von abstrakter und historischer Zeit begreifen läßt.
"
(S. 444)
| [Charakteristik des Kap. die Konstitution und Verschränkung zweier Zeitformen: abstrakt//historisch] |
"
Historische Zeit ist also nicht einfach der Fluß von Zeit, in dem Ereignisse
stattfinden, sondern wird als Form konkreter Zeit konstituiert. Sie wird nicht
durch die wertbestimmte Zeitform als eine abstrakte Konstante, wird nicht als
>mathematische< Zeit ausgedrückt. Wir haben gesehen, daß die
gesellschaftliche
Arbeitsstunde innerhalb einer Dimension historischer Zeit, die konkret ist und
nicht gleichförmig fließt, bewegt wird doch die abstrakte Zeiteinheit läßt ihre
historische Neubestimmung nicht manifest zutage treten: sie behält ihre
konstante Form als Gegenwartszeit. Somit existiert der historische Fluß
hinter
dem Rahmen abstrakter Zeit, erscheint aber nicht in ihm. Der historische
>Inhalt< der abstrakten Zeiteinheit bleibt genauso verborgen wie der
gesellschaftliche >Inhalt< der Ware.[Herv. v. P.H.]
"
(S. 444)
| [Historischer Inhalt der abstrakten Zeit] |
"
Wie wir gesehen haben, bleibt der innerlich mit der Wertdimension verschränkte
abstrakte Zeitrahmen bei steigender Produktivität konstant. Die
gesellschaftliche Arbeitsstunde, in der die Produktion von 20 Yards Gewebe einen
Gesamtwert von x ergibt, ist das abstrakte zeitliche Äquivalent der
gesellschaftlichen Arbeitsstunde, in der die Produktion von 40 Yards Gewebe
denselben Gesamtwert von x ergibt: es sind gleiche Einheiten abstrakter Zeit und
sie bestimmen, da sie normativ sind, eine konstante Wertgröße. Sicherlich gibt
es einen konkreten Unterschied zwischen den beiden, der aus der historischen
Entwicklung der Produktivität resultiert. Eine solche historische Entwicklung
führt jedoch zu einer Neubestimmung der Kriterien dessen, was eine
gesellschaftliche Arbeitsstunde konstituiert und reflektiert sich nicht in der
Stunde selbst. In diesem Sinne also ist der Wert ein Ausdruck von Zeit als
der
Gegenwart. Er ist Maß und eine zwingende Norm für die Verausgabung
unmittelbarer
Arbeitszeit, ungeachtet de
"
(S. 445)
| [Wert als Norm der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit] |
{
| [Vermittlung: Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft] |
8.3 Die Dialektik von Transformation und Rekonstitution(» K)
"
Die Interaktion dieser beiden Dimensionen vollzieht sich in der Weise, daß nicht
einfach der Wert durch die Akkumulation historischer Zeit ersetzt wird, sondern
indem er als wesentliche Determinante der Gesellschaftsformation kontinuierlich
rekonstituiert wird. Dieser Prozeß der Rekonstitution, der die Bewahrung des
Werts und der mit ihm verbundenen Formen abstrakter Herrschaft beinhaltet, ist
trotz der Entwicklung der Gebrauchswertdimension den grundlegenden
gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus strukturell inhärent.
"
(S. 195)
| [Rekonstitution des Werts, damit der abstrakten Herrschaft, der Struktur] |
"
Durch Produktivitätszuwachs bewirkte Veränderungen in der konkreten Zeit werden
durch die gesellschaftliche Totalität in der Weise vermittelt, daß sie in neue
Normen abstrakter Zeit (gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit) verwandelt
werden, welche ihrerseits die gesellschaftlich konstante Arbeitsstunde neu
bestimmen. Es sei darauf verwiesen, daß in dem Maße wie die
Produktivitätsentwicklung die gesellschaftliche Arbeitsstunde neu bestimmt,
diese Entwicklung die mit der abstrakten Zeiteinheit verbundene Form von
Notwendigkeit nicht ersetzt, sondern rekonstituiert. Jedes neue
Produktivitätsniveau wird strukturell in die konkrete Voraussetzung der
gesellschaftlichen Arbeitsstunde verwandelt - wobei die pro Zeiteinheit
produzierte Wertmenge konstant bleibt. In diesem Sinne wird die Bewegung der
Zeit kontinuierlich in Gegenwartszeit umgewandelt.
"
(S. 450)
| [Bewegung der Zeit in Gegenwartszeit verwandelt] |
"
Sie beinhaltet ständig steigende Produktivitätsniveaus, doch der Wertrahmen wird
fortwährend aufs Neue rekonstituiert. Eine Konsequenz dieser eigentümlichen
Dialektik besteht darin, daß die soziohistorische Wirklichkeit zunehmend auf
zwei sehr verschiedenen Ebenen konstituiert wird. Einerseits ist der
Kapitalismus, wie ausgeführt, mit einer fortdauernden Transformation des
gesellschaftlichen Lebens verbunden -
... Zum anderen schließt die Entfaltung des Kapitals die fortdauernde Rekonstitution seiner eigenen Grundbedingung als einem unveränderlichen Merkmal des gesellschaftlichen Lebens ein - nämlich, daß die gesellschaftliche Vermittlung letztlich durch Arbeit bewirkt wird. Beide Momente - die fortwährende Transformation der Welt und die Rekonstitution des wertförmigen Rahmens - bedingen einander gegenseitig und sind in sich verschränkt: beide wurzeln in den für den Kapitalismus konstitutiven entfremdeten Verhältnissen, und zusammen definieren sie diese Gesellschaft. " (S. 451) | [Ständige Rekonstitution der eigenen Grundbedingungen] |
"
Auf dieser sehr grundsätzlichen Ebene stellt der Marxsche Kapitalbegriff den
Versuch dar, Wesen und Entwicklung der modernen kapitalistischen Gesellschaft
hinsichtlich beider zeitlicher Momente zu erfassen, das heißt den Kapitalismus
als eine dynamische Gesellschaft zu analysieren, die sich in konstantem Fluß
befindet und doch die ihr zugrundeliegende Identität beibehält. Vor diesem
Hintergrund ist es
ein Paradox des Kapitalismus, daß er im Gegensatz zu anderen
Gesellschaftsformationen eine immanente historische Dynamik besitzt. Diese
Dynamik ist durch die konstante Übersetzung historischer Zeit in Gegebenheiten
der Gegenwart charakterisiert, wodurch diese Gegenwart verstärkt wird.
"
(S. 451f)
| [Kapital als Flußbegriff, Dynamik] |
"
Die moderne kapitalistische Gesellschaft als die Herrschaft des Werts (und somit
die Herrschaft des Kapitals) zu analysieren, bedeutet, sie hinsichtlich zweier
scheinbar entgegengesetzter Formen abstrakter gesellschaftlicher Herrschaft zu
analysieren: die Herrschaft abstrakter Zeit als der Gegenwart und als einen
notwendigen Prozeß fortwährender Transformation. Beide Formen abstrakter
Herrschaft wie auch ihr innerer Zusammenhang werden durch das Marxsche
>Wertgesetz< erfaßt.
... Es enthüllt den Kapitalismus als eine Gesellschaft, die durch eine zeitliche Dualität gekennzeichnet ist - einem fortwährenden, sich beschleunigenden Fließen der Geschichte einerseits und einer fortdauernden Umwandlung dieser Bewegung der Zeit in eine konstante Gegenwart auf der anderen. Obwohl gesellschaftlich konstituiert, entziehen sich beide zeitlichen Dimensionen der Kontrolle der sie konstituierenden Akteure und beherrschen diese. " (S. 452) | [Abstrakte Zeit als Gegenwart UND ständige Transformation] |
"
Die dialektische Dynamik läßt jedoch die historische Möglichkeit entstehen, daß
auf historischer Zeit beruhende Produktion getrennt von der auf abstrakter
Gegenwartszeit beruhenden konstituiert werden kann - und daß somit die für den
Kapitalismus charakteristische entfremdete Interaktion von Vergangenheit und
Gegenwart aufgehoben werden kann. Es ist diese mögliche zukünftige Trennung, die
es gestattet, zwischen den beiden Momenten der Produktionssphäre schon in der
Gegenwart, das heißt in der kapitalistischen Gesellschaft, zu unterscheiden.
"
(S. 453)
| [Trennung von historisch und abstrakter Zeit als Mögl. d. Aufhebung] |
"
Wenn der Wert die Form gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus ist, sollte
gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in einem zusätzlichen Sinne als
gesellschaftlich notwendig verstanden werden: sie bezieht sich implizit auf
Arbeitszeit, die für das Kapital und somit für die Gesellschaft, so lange sie
kapitalistisch ist, notwendig ist, das heißt solange sie durch den Wert als
einer Form des Reichtums und den Mehrwert als Produktionsziel strukturiert wird.
Diese Arbeitszeit ist demgemäß der Ausdruck einer übergeordneten Form von
Notwendigkeit für die kapitalistische Gesellschaft als Ganze ebenso wie für die
Individuen, und sollte nicht mit der Form von Notwendigkeit verwechselt werden,
auf die sich Marx mit seiner Unterscheidung zwischen »notwendiger« und
»Mehr«-Arbeitszeit bezieht.
... In diesem Sinne sind sowohl >notwendige< als auch >Mehr<-Arbeitszeit der »gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit« in all ihren Verzweigungen subsumiert. " (S. 454f) | [Mehrarbeitszeit ist auch notwendige Arbeitszeit] |
"
Marx zufolge sind diese historisch spezifischen Imperative der entscheidende
Grund dafür, daß die Arbeit, in ihrem Doppelcharakter als produktive Tätigkeit
und historisch spezifische, gesellschaftliche >Substanz<, die Identität
des
Kapitalismus konstituiert.
"
(S. 455)
| [Arbeit im Doppelcharakter konstituiert die Identität des Kapitalismus] |
{ Das ist wohl wieder auf Adorno gemünzt. (d.V.)}
"
Es dürfte nun klar sein, daß die von mir untersuchte komplexe Dynamik den Kern
der Marxschen Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im
Kapitalismus bildet. Meine Lesart verweist erstens darauf, daß diese Dialektik
im Doppelcharakter der die kapitalistische Gesellschaft konstituierenden
gesellschaftlichen Formen begründet liegt - in den Wert- und
Gebrauchswertdimensionen von Arbeit und gesellschaftlich konstituierter Zeit.
Und
zweitens, daß sie den abstrakten Zwang zeitlicher Notwendigkeit sowohl in ihren
statischen als auch in ihren dynamischen Dimensionen verewigt. Indem ich die
grundlegenden Merkmale dieser Dialektik auf einer derartig abstrakten logischen
Ebene begründet habe, konnte ich zeigen, daß sie in der Marxschen Analyse weder
in einem vermeintlich grundsätzlichen Widerspruch zwischen Produktion und
Verteilung angelegt sind, noch im Privateigentum an den Produktionsmitteln - das
heißt im Klassenkonflikt. Sie resultiert vielmehr aus den durch die Arbeit im
Kapitalismus konstituierten typischen gesellschaftlichen Formen, die diesen
Konflikt konstituieren.
"
(S. 455)
| [Widerspruch PK//PV nich auf PE an PM beruhend] |
{
"
Meine Untersuchung der Implikationen der zeitlichen Dimension des Werts hat also
gezeigt, daß die Marxsche Analyse die Grundlage einer dialektischen
Entwicklungslogik in historisch spezifischen gesellschaftlichen Formen enthüllt.
Seine Analyse zeigt, daß es tatsächlich eine Form von Logik in der Geschichte
gibt, von historischer Notwendigkeit, aber daß diese nur der kapitalistischen
Gesellschaftsformation immanent ist und nicht der menschlichen Geschichte als
ganzer. Dies impliziert, daß Marxens späte kritische Gesellschaftstheorie
Geschichte nicht als eine Art von Kraft hypostasiert, die alle menschlichen
Gesellschaften bewegt. Sie setzt nicht voraus, daß es eine richtungsgebundene
Dynamik der Geschichte im allgemeinen gibt.
"
(S. 459)
| [Logik der Geschichte gibt es, aber NUR im Kap.] |
"
Diese Analyse impliziert, daß jede Theorie, die eine immanente Logik der
Geschichte als solcher behauptet - ob nun dialektisch oder evolutionär -, ohne
diese Logik in einem bestimmten Prozeß gesellschaftlicher Konstitution zu
begründen (was einen kaum einlösbaren Anspruch darstellt), die dem Kapitalismus
spezifischen Eigenschaften in die Menschheitsgeschichte projiziert. Diese
Projektion verdunkelt zwangsläufig die wirkliche gesellschaftliche Grundlage
einer richtungsgebundenen Dynamik der Geschichte. Der historische Prozeß wird
dadurch vom Gegenstand der Gesellschaftsanalyse zu deren quasi-metaphysischer
Voraussetzung.
"
(S. 459f)
| [Logik in der Gesch. als solche ist Metaphysik] |
9. Der Entwicklungsverlauf der Produktion(» K)
9.1 Mehrwert und >Wirtschaftswachstum<(» K)
"
Die Kategorie selbst bezieht sich, wie wir gesehen haben, auf den durch
Mehrarbeitszeit
erzielten Wert, das heißt die Arbeitszeit, die von den Arbeitern über die zur
Erzeugung der für ihre eigene Reproduktion notwendigen Wertmenge benötigten Zeit
(notwendige Arbeitszeit) hinaus aufgewendet wird. Die Kategorie des Mehrwerts
wurde gewöhnlich so verstanden, daß das gesellschaftliche Mehrprodukt im
Kapitalismus nicht aus mehreren >Produktionsfaktoren< resultiert, sondern
aus
Arbeit allein. Eine solche Interpretation macht geltend, daß diese einzigartige
Rolle der Arbeit aufgrund des vertraglichen Charakter der Beziehungen zwischen
besitzlosen Produzenten und nicht-produzierenden Besitzern im Kapitalismus
verschleiert wird.
"
(S. 463f)
| [Kategorie Mehrwert] |
"
Seine Analyse setzt sich nicht nur mit der Quelle des Mehrprodukts auseinander,
sondern auch mit der Form des produzierten Reichtumsüberschusses. Wie
festgestellt, ist Wert eine Kategorie einer dynamischen Totalität. Dieser
Dynamik wohnt eine Dialektik von Transformation und Rekonstitution inne, die aus
dem Doppelcharakter der Warenform und den beiden strukturellen Imperativen der
Wertform des Reichtums resultiert - dem Drang, immer höhere
Produktivitätsniveaus zu erreichen und die gleichzeitig notwendige Beibehaltung
unmittelbarer menschlicher Arbeit in der Produktion.
"
(S. 464)
| [Mehrprodukt in FORM des Mehrwerts] |
"
Wenn Wert die Form des Reichtums ist, ist das Produktionsziel notwendigerweise
Mehrwert. Das heißt das Ziel kapitalistischer Produktion ist nicht einfach Wert,
sondern die ständige Vermehrung des Mehrwerts. (MEW 23, 593ff; 605ff)
"
(S. 465)
| [Ziel ist nicht Wert sondern Vermehrung des Mehrwerts] |
"
Es ist deutlich geworden, daß seine Kritik des für den Kapitalismus typischen
Prozesses der Akkumulation um der Akkumulation willen (MEW 23, 621) nicht nur
die Verteilung, mithin nicht nur die Tatsache kritisiert, daß gesellschaftlicher
Reichtum nicht zum Wohle aller genutzt wird. Es handelt sich auch nicht um eine
produktivistische Kritik - denn ihre Stoßrichtung ist nicht, darauf hinzuweisen,
daß das Problem des Kapitalismus darin besteht, daß der Gesamtertrag an Mehrwert
nicht kontinuierlich maximiert werde. Diese Kritik steht nicht auf einem
Standpunkt, der eine derartige Maximierung befürwortet. Vielmehr handelt es sich
um eine Kritik gerade des Wesens des dem Kapital immanenten Wachstums; um eine
Kritik also des Entwicklungsverlaufs der Dynamik selbst.
"
(S. 465)
| [Kern der Marxschen Kritik ist die des Entwicklungsverlaufs der Dynamik] |
"
Betrachtungen der Arbeitsintensität an dieser Stelle einmal beiseitegelassen,
»stellt sich der Arbeitstag von gegebner Größe stets in demselben Wertprodukt
dar, wie auch die Produktivität der Arbeit, mit ihr die Produktenmasse und daher
der Preis der einzelnen Ware wechsle« (MEW 23, 543). In Anbetracht dieser
zeitlichen Bestimmung des Werts kann die Vermehrung von Mehrwert - das heißt das
systematische Produktionsziel im Kapitalismus - nur erreicht werden, wenn sieht
das Verhältnis von Mehrarbeitszeit zur notwendigen Arbeitszeit verändert.
"
(S. 466)
| [Notw. Steigerung des relativen Mehrwerts] |
"
Da der pro Zeiteinheit erzielte Gesamtwert darüber hinaus nicht mit den
gesellschaftlich-allgemeinen Zuwächsen der Produktivität ansteigt, stellt er
eine Grenze für die Vermehrung des Mehrwerts dar: die pro Zeiteinheit erzielte
Mehrwertmasse kann diese Summe nie überschreiten, unabhängig von der erreichten
Stufe der Produktivität. Tatsächlich kann noch nicht einmal diese Grenze selbst
erreicht werden, da, auf einer allgemeinen gesellschaftlichen Ebene betrachtet,
das Kapital die notwendige Arbeitszeit niemals vollständig überflüssig machen
kann.
"
(S. 467)
| [GW-Grenze der MW-Produktion] |
"
Sie weist zusätzlich daraufhin, daß die Wertform des Mehrprodukts nicht nur
dauerhaft Produktivitätssteigerungen verursacht, sondern daß die für das Kapital
notwendige Ausweitung des Mehrwerts auch eine Tendenz zu beschleunigten
Zuwachsraten in der Produktivität impliziert. Kapital tendiert dazu, eine
konstante Beschleunigung des Produktivitätswachstums zu erzeugen. Es sollte
festgehalten werden, daß dieser Analyse zufolge die Produktivität genau deshalb
so enorm steigt, weil höhere Produktivitätsniveaus den Mehrwert nur indirekt
ansteigen lassen. Bezogen auf die Produktivität bedeutet der Unterschied
zwischen den beiden Formen des Reichtums, daß einerseits die durch die
Kapitalakkumulation verursachte, ständig ansteigende Produktivität direkt damit
korrespondierende Zuwächse bezüglich der Menge der produzierten Produkte und der
in der Produktion verbrauchten Rohmaterialien zur Folge haben. Andererseits, da
das gesellschaftliche Mehrprodukt im Kapitalismus Wert und nicht stofflicher
Reichtum ist, kommt es im Ergebnis - entgegen dem Anschein - nicht zu einem
entsprechenden Zuwachs beim Mehrprodukt. Die ständig steigenden Mengen des unter
dem Kapitalismus produzierten stofflichen Reichtums korrespondieren nicht mit
entsprechenden Niveaus wertförmigen gesellschaftlichen Reichtums.
"
(S. 468f)
| [Tendenz des beschleunigten Zuwachses] |
"
Nach Marx leitet sich die wachsende Zerstörung der Natur im Kapitalismus nicht
einfach daraus ab, daß die Natur für die Menschheit zum Objekt geworden sei;
vielmehr ist sie zuerst ein Ergebnis der Art von Objekt, zu dem die Natur
geworden ist. Marx zufolge sind Rohmaterialien und Produkte im Kapitalismus
nicht nur konstitutiv für den stofflichen Reichtum, sondern auch Träger von
Wert. Das Kapital produziert stofflichen Reichtum als ein Mittel, um Wert zu
erzeugen. Folglich verbraucht es gegenständliche Natur nicht nur als Grundstoff
von stofflichem Reichtum, sondern auch als Mittel, seine eigene Selbstexpansion
mit Energie zu versorgen - das heißt als ein Mittel, um aus der arbeitenden
Bevölkerungsoviel Mehrarbeitszeit wie möglich heraus zu pressen und zu
absorbieren.
"
(S. 470)
| [Zerstörung als kapitalismusspeziphisch nicht transhistorisch] |
"
In der Marxschen Analyse hängen die notwendige Kapitalakkumulation und die
Schaffung des Reichtums der kapitalistischen Gesellschaft ihrem Wesen nach
miteinander zusammen. Darüber hinaus und dieses Thema kann ich hier nur streifen
- bleiben die Lohnarbeiter, da Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft
notwendiges Mittel zur individuellen Reproduktion ist, abhängig vorn
>Wachstum<
des Kapitals, selbst wenn die Folgen ihrer Arbeit, ökologische oder ander
weitige, für sie selbst und andere schädlich sind. Das Spannungsverhältnis
zwischen den Erfordernissen der Warenform und den ökologischen Notwendigkeiten
verschärft sich, wenn die Produktivität steigt, und stellt insbesondere während
ökonomischer Krisen und Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein schweres Dilemma dar.
Dieses Dilemma und die Spannung, in der es seine Ursache hat, sind dem
Kapitalismus immanent. Eine endgültige Lösung wird es, solange der Wert die
bestimmende Form gesellschaftlichen Reichtums bleibt, nicht geben.
"
(S. 471f)
| [Immanentes Dilemma der Wertproduktion] |
"
Der Marxschen kritischen Theorie zufolge wäre zur Abschaffung sowohl des
beschleunigten, blinden Prozesses ökonomischen >Wachstums< als auch des
dem
Kapitalismus eigenen sozioökonomischen Wandels sowie seines krisenhaften
Charakters die Abschaffung des Werts unabdingbar. Die Aufhebung dieser
entfremdeter Formen würde notwendigerweise die Errichtung einer Gesellschaft
erfordern, die auf stofflichem Reichtum beruht und in der ein Zuwachs an
Produktivität einen damit korrespondierenden Zuwachs an gesellschaftlichem
Reichtum zur Folge hätte. Eine derartige Gesellschaft könnte durch eine
Wachstumsform charakterisiert sein, die sich vom kapitalistischen Wachstum
erheblich unterscheidet.
... Insoweit seine Analyse des Werts als der bestimmenden Form des Reichtums und der gesellschaftlichen Vermittlung in der kapitalistischen Gesellschaft zutrifft, verweist sie auf die Möglichkeit der Aufhebung dieses Gegensatzes. " (S. 473) | [Aufhebung dieser Dynamik = notw. Aufhebung des Wertes] |
9.2 Die Klassen und die Dynamik des Kapitalismus(» K)
"
Die bisher entwickelten Bestimmungen geben auch dem Problem der Klassen und des
Klassenkonflikts, wie es im Marxschen Spätwerk behandelt worden ist, eine den
gängigen Interpretationen gegenüber veränderte Bedeutung. Meine Erörterung hat
deutlich gemacht, daß sich die dem Kapitalismus innewohnenden Dynamik
gesellschaftlicher Verhältnisse, ausgedrückt in den Kategorien von Wert und
Mehrwert, für Marx auf objektivierte Formen gesellschaftlicher Vermittlung
bezieht und nicht ausschließlich im Sinne ausbeutender Klassenverhältnisse
verstanden werden kann. Dennoch spielen hinsichtlich der historischen Entfaltung
dieser Gesellschaft Klassenverhältnisse auch für Marx eine sehr bedeutende
Rolle.
"
(S. 473f)
| [Dynamik nicht ausschließlich auf Klassen begründet] |
"
die Kategorie Klasse beschreibt ein modernes gesellschaftliches Verhältnis, das
quasi-objektiv durch Arbeit vermittelt wird. Der Klassenkonflikt im Kapitalismus
ist der Kritik der politischen Ökonomie zufolge durch die gesellschaftlichen
Formen der Ware und des Kapitals strukturiert und in sie eingebettet.
"
(S. 474)
| [Klassenverhältnis in die Form der Ware und Kapital eingebettet] |
{ Nicht die Warenform konstituiert die Klassen, sondern das Privateigentum die Klassen und die Warenform. (d.V.)}
"
Als die Form einer >objektiven< gesellschaftlichen Antinomie ist sie auch
eine
Bestimmung des Selbstverständnisses der betroffenen Parteien. Sie denken sich
selbst als Besitzer von Rechten - haben also eine Vorstellung von sich selbst,
die für den Charakter der damit verbundenen Kämpfe konstitutiv ist. Der
Klassenkonflikt zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern ist auch in der
spezifischen Art und Weise angelegt, wie Bedürfnisse und Ansprüche in einem
durch die Ware strukturierten gesellschaftlichen Kontext verstanden und
artikuliert werden - das heißt in den verschiedenen Formen gesellschaftlicher
Selbst- und Rechtsvorstellungen, die mit einer so strukturierten Beziehung
zusammenhängen. Diese Selbstvorstellungen entstehen nicht automatisch, sondern
werden historisch konstituiert. Ihre Inhalte sind auch nicht bloß zufällig,
sondern die Warenförmigkeit der gesellschaftlichen Vermittlungsweise ist ihnen
vorausgesetzt.
"
(S. 479)
| [Gesellschaftlichen Antinomie - Selbstverständnis wird von Warenform konstituiert] |
"
Derartige Konflikte wirken sich unmittelbar auf das Verhältnis von notwendiger
Arbeitszeit zu Mehrarbeitszeit aus und spielen deshalb in der Dialektik von
Arbeit und Zeit, wie sie hier bereits untersucht wurde, eine bedeutende Rolle.
Da solche Konflikte überdies durch eine totalisierende Form vermittelt werden,
ist ihre Bedeutung nicht lokal begrenzt: Produktion und Zirkulation des Kapitals
wirken in der Weise, daß Konflikte, die in einem Sektor oder geographischen
Gebiet auftreten, auch andere Sektoren oder Gebiete beeinflussen.
"
(S. 480)
| [Klassenverhältnis im Zus. mit Dialektik Arbeit und Zeit] |
"
Der Konflikt wird zu einem fortwährenden Merkmal dieser Beziehung. Andererseits
wird der Klassenkonflikt zu einem wichtigen Faktor in der räumlichen und
zeitlichen Weiterentwicklung des Kapitals, nämlich bei der zunehmend
globalisierten Distribution und Kapitalbewegung sowie bei der dialektischen
Dynamik der Kapitalform. Der Klassenkonflikt wird zu einem treibenden Element
der historischen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft.
"
(S. 481)
| [Klassenverhältnis als treibendes Moment der histor. Entw.] |
"
Zwar spielt der Klassenkonflikt bei der Ausdehnung und Dynamik des Kapitalismus
eine wesentliche Rolle, er erzeugt aber weder die Totalität noch läßt er dessen
Entwicklungsverlauf entstehen. Wir haben gesehen, daß es der Marxschen Analyse
zufolge nur an der spezifischen, quasi-objektiven und zeitlich dynamischen Form
gesellschaftlicher Vermittlung liegt, daß die kapitalistische Gesellschaft als
eine Totalität existiert und über eine inhärente, richtungsgebundene Dynamik
(deren Ausgangsbestimmungen hier als Dialektik von Transformation und
Rekonstruktion erfaßt wurden) verfügt. Diese Charakteristika der
kapitalistischen Gesellschaft können nicht aus den Kämpfen der Produzenten und
Aneigner selbst begründet werden. Die Kämpfe besitzen die Rolle, die sie
spielen, wegen der für diese Gesellschaft spezifischen Vermittlungsform. Das
bedeutet, daß der Klassenkonflikt nur deswegen eine treibende Kraft der
historischen Entwicklung im Kapitalismus ist, weil er durch die
gesellschaftlichen Formen von War
"
(S. 481)
| [Klassenkonflikt erzeugt nicht die Totalität sondern die histor. Vermittlungsform im Kap.] |
{ Hier mit wird ganz klar der treibenden Kraft der Klassengegensätze in der Geschichte - als Geschichte der Klassenkämpfe (Marx) - eine Absage erteilt. Wieder findet die Einschränkung auf die dem Kapitalismus immanente Form statt und selbst hier nur auf Grund der Warenförmigkeit des Gesamtzusammenhanges. Aber jede Gesellschaft ist in ihrem Produktionszusammenhang eine Totalität der Gesamtarbeit. (d.V.)}
"
In der Marxschen Analyse ist die dialektische Struktur kapitalistischer
gesellschaftlicher Beziehungen von zentraler Bedeutung. Sie totalisiert die
antagonistische Beziehung zwischen Arbeitern und Kapitalisten und verleiht ihr
Dynamik, wodurch sie als Klassenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital
konstituiert wird. Dieser Konflikt wiederum ist ein konstituierendes Moment des
dynamischen Entwicklungsverlaufs des gesellschaftlichen Ganzen. Genau genommen
sind Klassen relationale Kategorien der modernen Gesellschaft. Sie sind durch
bestimmte Formen gesellschaftlicher Vermittlung als antagonistische Momente
einer dynamischen Totalität strukturiert, und werden folglich in ihrem Konflikt
dynamisiert und totalisiert.
"
(S. 483)
| [Klassenkonflikt als Moment einer totalisierenden Dynamik - relationale Kategorie] |
"
Der Klassenkonflikt zwischen Arbeitern und Kapitalisten, wie er im ersten Band
des Kapitals entwickelt wird, ist also ein Moment der fortwährenden,
totalisierenden Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft. Er ist durch die
gesellschaftliche Totalität strukturiert und konstituiert sie. Die beteiligten
Klassen sind keine Entitäten, sondern strukturierte und strukturierende Elemente
des gesellschaftlichen Handelns und Bewußtseins, die, im Verhältnis zur
Produktion von Mehrwert, antagonistisch organisiert sind: sie werden durch die
dialektischen Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft konstituiert und
treiben deren Entwicklung - die Entfaltung ihres grundsätzlichen Widerspruchs ?
voran.
"
(S. 483)
| [Dialekische Struktur der Gesell. konstituiert diese Klassen] |
"
Die Bestimmungen von Klasse zum Beispiel das Proletariat als die Eigentümer der
Ware Arbeitskraft und als Objekte des Verwertungsprozesses - sind nicht einfach
>Standort<-Bestimmungen, sondern Bestimmungen sowohl gesellschaftlicher
Objektivität als auch von Subjektivität. Daraus ergibt sich eine Kritik an
Theorien, die Klasse zunächst >objektiv< definieren - als Standort in
einer
gesellschaftlichen Struktur - und anschließend die Frage aufwerfen, wie sich die
Klasse >subjektiv< selbst konstituiert. Normalerweise folgt daraus, daß
Objektivität und Subjektivität nur äußerlich, vermittels des Begriffs
>Interesse<, verbunden werden.
"
(S. 484)
| [Sowohl obj. als auch subj. Bestimmungen der Klassen] |
"
Ich habe versucht zu zeigen, warum den Marxschen Kategorien gemäß Bewußtsein
kein bloßer Reflex objektiver Bedingungen ist, sondern die Kategorien, soweit
sie die für den Kapitalismus charakteristischen, grundlegenden
gesellschaftlichen Vermittlungen ausdrücken, Bewußtseinsformen als innere
Momente der Formen gesellschaftlichen Seins ausweisen. Deshalb umfassen
Klassenbestimmungen für Marx gesellschaftlich und historisch bestimmte
Subjektivitätsformen - zum Beispiel Sichtweisen auf die Gesellschaft und das
Selbst, Wertesysteme, Handlungsverständnisse, Vorstellungen über den Ursprung
gesellschaftlicher Mißstände und mögliche Wege, diese abzustellen -, die in den
Formen gesellschaftlicher Vermittlung, wie sie eine bestimmte Klasse jeweils
unterschiedlich konstituieren, angelegt sind. In diesem Sinne ist die Kategorie
der Klasse Moment eines Vorgehens, das versucht, die historische und
gesellschaftliche Bestimmtheit verschiedener gesellschaftlicher Vorstellungen
und Forderungen sowie von Handlungsformen zu erfassen.
"
(S. 486)
| [Marxsche Kategorien als INNERE Momente der Formen des gesell. Seins] |
"
Die hier präsentierte Interpretation modifiziert die zentrale Bedeutung, die den
Klassenverhältnissen als Verhältnis von Ausbeutung und Konflikt traditionell
zugeschrieben wird, tiefgreifend. Ich habe gezeigt, daß der Klassenkonflikt in
der späten Marxschen Analyse nur wegen des inneren dynamischen Charakters der
gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese Gesellschaft konstituieren, ein
treibendes Element der historischen Entwicklung des Kapitalismus ist. Der
Antagonismus zwischen unmittelbaren Produzenten und Eigentümern der
Produktionsmittel erzeugt nicht aus sich selbst heraus eine derartige
fortdauernde Dynamik.
"
(S. 488f)
| [Klassenkonflikt erzeugt nicht die Dynamik, ist nur ihr Ausdruck und Moment] |
{ Aber gerade der transhistorische Begriff der gesellschaftlichen Verhältnisse begründet den transhistorischen Begriff der Klassen in der Gesellschaft entsprechend den verschiedene Eigentumsformen, von denen das kapitalistische Privateigentum nun wieder auch nur eine spezielle historische Form darstellt. (d.V.)}
"
Die Marxsche Analyse des Entwicklungsverlaufs des kapitalistischen
Produktionsprozesses verweist jedoch nicht auf die zukünftige Möglichkeit einer
Affirmation des Proletariats und der von ihm verrichteten Arbeit. Ganz im
Gegenteil verweist sie auf die Möglichkeit der Abschaffung dieser Arbeit. Anders
gesagt widerspricht die Marxsche Darstellung implizit der Vorstellung, das
Verhältnis zwischen der Kapitalisten- und der Arbeiterklasse komme dem zwischen
Kapitalismus und Sozialismus gleich, der mögliche Übergang zum Sozialismus würde
durch den Sieg des Proletariats im Klassenkampf(im Sinne seiner
Selbstaffirmation als einer arbeitenden Klasse) bewirkt und Sozialismus bedeute
die Selbstverwirklichung des Proletariats.
"
(S. 489)
| [Sozialismus ist nicht Selbstverwirklichung des Proletariats] |
{ Wohl aber die Selbstaufhebung seiner als Klasse, negativ die Aufhebung des Privilegs der Aneignung fremder Arbeit über Kapital und Ausbeutung. Es ist die Aufhebung aller Warenformen: Ware, Geld, Kapital, Lohnarbeit. Wobei seine Kritik am Staatssozialismus uneingeschränkt zu teilen wäre. (d.V.)}
"
(Fussnote 7)
Orthodoxe Varianten des traditionellen Marxismus können im Sinne meiner
Erörterung als Denkformen verstanden werden, in deren Vision einer zukünftigen
Gesellschaft alle zu Mitgliedern der Arbeiterklasse werden würden eine Vision,
die notwendigerweise die institutionalisierte Universalisierung des Kapitals
(zum Beispiel in der Form des Staates) impliziert.
"
(S. 489)
| [Kritik: Sozialismus = alle sind Arbeiter -> Staat] |
9.3 Produktion und Verwertung(» K)
"
Die Rekonstruktion der grundlegendsten Kategorien der Marxschen Kritik und die
konsequente Neuinterpretation der dynamischen Wechselwirkungen der beiden
Dimensionen der Warenform wirft auch ein neues Licht auf die Marxsche Analyse
des kapitalistischen Produktionsprozesses. Auf der Grundlage des bisher
Entwickelten werde ich nun die Marxsche Behandlung des Arbeitsprozesses im
Kapitalismus betrachten. Dabei verfolge ich zwei Ziele: erstens geht es mir um
eine Erklärung wichtiger Dimensionen seines Kapitalbegriffes, die noch nicht
erörtert wurden, und zweitens um die Stützung meiner Auffassung, daß die
argumentative Stoßrichtung seiner Darstellung impliziert, daß die Aufhebung des
Kapitalismus nicht die Selbstverwirklichung des Proletariats bedeuten
würde:
Der
Logik der Marxschen Darstellung liegt keineswegs die Vorstellung vom Proletariat
als revolutionärem Subjekt zugrunde.
"
(S. 490)
| [Proletariat nicht als revolutionäres Subjekt] |
"
Dies geschieht, indem er den Produktionsprozeß gleichermaßen als Arbeitsprozeß
(als Prozeß der Produktion stofflichen Reichtums) analysiert wie als
Verwertungsprozeß (als Prozeß der Schaffung von Mehrwert). Mit der Einführung
dieser beiden Dimensionen des Produktionsprozesses zeigt er, wie die Bedeutung
der verschiedenen Elemente des Arbeitsprozesses sich wandeln, sobald man sie vom
Standpunkt des Verwertungsprozesses aus betrachtet. Als Arbeitsprozeß scheint
Arbeit eine zielgerichtete Tätigkeit zu sein, die mittels Werkzeugen
Rohmaterialien auf bestimmte Zwecke hin zurichtet. Vom Verwertungsprozeß aus
liegt die Bedeutung der Arbeit jedoch darin, daß sie - ungeachtet ihres Zwecks,
ihrer qualitativen Besonderheit, der Eigenart der verwendeten Rohmaterialien und
der erzeugten Produkte - Quelle des Mehrwerts ist. Arbeit wird von
ihrem konkreten Zweck abgetrennt und wird Mittel zu einem Zweck, der von den
durch die >abstrakte< Arbeit selbst konstituierten, entfremdeten
Strukturen
vorgegeben ist. So gesehen ist Arbeit in Wirklichkeit gar nicht Mittel, sondern
selbst Zweck der Produktion.
"
(S. 490f)
| [Arbeits- und Verwertungsprozess] |
9.3.1 Kooperation(» K)
"
Wir werden sehen, daß für Marx die abstrakt zeitliche Dimension des Werts im
Zuge der vollständigen Entwicklung des Kapitalismus die Produktion in ihrem
Inneren strukturiert: Wert wird zu einer Bestimmung einer besonderen Form der
Organisierung und Disziplinierung der Arbeit innerhalb großer Organisationen.
Unter diesem Vorzeichen erlangt das Wertgesetz erst Gültigkeit.
"
(S. 493)
| [Zeitliche Dim d. Werts strukturiert die kapitalistische Produktion im Inneren] |
"
Hiervon ausgehend betrachtet er die aus der Kooperation resultierende
gesteigerte Produktivität unter dem Gesichtspunk der Gebrauchswertdimension der
Arbeit, das heißt dem des gesellschaftlichen Charakter der Arbeit als
produktiver Tätigkeit:
Die spezifische Produktivkraft des kombinierten Arbeitstags ist unter allen Umständen die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus der Kooperation selbst. Im planmäßigen Zusammenwirken mit andern streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen. (MEW 23, 349) Demnach ist die Produktivkraft, die als Resultat von Kooperation entsteht, in der Marxschen Analyse abhängig von der gesellschaftlichen Dimension der konkreten Arbeit. Diese Kraft ist jedoch nicht nur in dem Sinne gesellschaftlich, daß sie kollektiv ist, sondern auch in dem, daß sie größer ist als die Summe der Produktivkräfte der unmittelbar beteiligten Individuen - sie kann nicht auf das produktive Vermögen der sie konstituierenden Individuen reduziert werden. (MEW 23, 345) Dieser Aspekt der gesellschaftlichen Dimension der konkreten Arbeit ist für die Marxsche Analyse von entscheidender Bedeutung. " (S. 493f) | [Kooperation als Qualitätssprung der Quantität - Produktivität] |
"
Folglich entwickelt sich ihre kollektive Produktivkraft wie ein >freies
Geschenk< an das Kapital (so, als ob es diese von Natur aus besitzt) (MEW 23,
353; Zusatz in Klammern v. d. Ü.). Es ist wichtig festzuhalten, daß dieses
>freie Geschenk< die Produktivkraft der Gebrauchswertdimension der Arbeit
ist,
die, wie bereits festgestellt, sich nach der Menge produzierten stofflichen
Reichtums und nicht nach der Verausgabung abstrakter Arbeitszeit bemißt.
"
(S. 494)
| [Produktivkrafterhöhung als Gebrauchswerteigenschaft und als ''freies'' Geschenk der Arbeiter an den Kapitalisten] |
"
Dieser Entfremdungsprozeß der Produktivkräfte gesellschaftlicher Arbeit hat eine
historische Bedeutung, die weit über die Frage der privaten Aneignung des
gesellschaftlichen Mehrprodukts durch die Kapitalistenklasse hinausgeht: wie wir
sehen werden, setzt Entfremdung einen Prozeß der historischen Konstitution von
gesellschaftlich-allgemeinen Formen von Wissen und Erfahrung in Gang, die
umfassender sind als die Fertigkeiten und das Wissen der unmittelbaren
Produzenten. Diese Entwicklung hat auf den Charakter eines großen Teils der
unmittelbaren Arbeit äußerst negative Auswirkungen, und kann dennoch die
Befreiung der Menschen vom Bann ihrer eigenen Arbeit und die Wiederaneignung des
gesellschaftlich-allgemeinem Wissens und der Potenzen, die historisch zunächst
in entfremdeter Form konstituiert worden sind, ermöglichen.
"
(S. 495)
| [Entfremdung schafft gesell.-allg. Formen von Wissen und Erfahrung als eine Gnd der Aufhebung des Kap] |
"
In diesem Stadium der kategorialen Entfaltung ist es also möglich, sich
hypothetisch die Abschaffung des
Kapitalismus - die Aufhebung der Aneignung der Produktivkräfte
gesellschaftlicher Arbeit durch das Kapital - als die bloße Abschaffung des
Privateigentums an Produktionsmitteln vorzustellen. Die Arbeiter könnten dann
gemeinsam die kollektive gesellschaftliche Kraft, die sie konstituieren,
>besitzen<, und den gleichen Arbeitsprozeß, wie er unter den Bedingungen
des
Privateigentums existierte, kooperativ in eigene Regie nehmen. Oder anders: der
kapitalistische Charakter der Produktion erscheint an diesem Punkt als dem
Arbeitsprozeß noch äußerlich.
"
(S. 495f)
| [Abschaffung erscheint als Aneignung durch Proletariat] |
"
Diese zusammenfassende Skizze geht davon aus, daß das Kapital als eine
gesellschaftliche Form seinem inneren Wesen gemäß mit der Arbeitsteilung
zusammenhängt und daß seine Produktivkraft, sobald es sich in dieser
kategorialen Form entfaltet, nicht mehr ausschließlich
auf die diese Produktivkraft unmittelbar konstituieren Individuen bezogen werden
kann. Vielmehr kommt es dazu, daß die Potenzen des Kapitals die entfremdeten
Potenzen der Gesellschaft in einem allgemeineren Sinne verkörpern. Mithin kann
Emanzipation, also die Wiederaneignung dessen, was entfremdet wurde, nicht
weiterhin als die Abschaffung allein des Privateigentums begriffen werden.
"
(S. 496f)
| [Nich alleine Abschaffung des Privateigentums] |
9.3.2 Manufaktur(» K)
"
Anders gesagt behandelt Marx die Manufaktur als einen Arbeitsprozeß, der
insofern seinem Wesen nach kapitalistisch ist, als er materiell durch den
Verwertungsprozeß geprägt ist.
"
(S. 498)
| [Manufaktur eine speziphisch kap. Form d. Produktion] |
"
Das Ergebnis ist Marx zufolge die Schaffung einer >Maschine< besonderer
Art, die
die Besonderheit der Manufakturperiode kennzeichnet - nämlich einen
Gesamtarbeiter, der sich in der Kombination mehrerer individuell spezialisierter
Arbeiter herausbildet. (MEW23, 369) Die individuellen Arbeiter werden zu Organen
dieses Ganzen (MEW 23, 369f.).
"
(S. 499)
| [Schaffung des Gesamtarbeiters] |
"
Sie beruht auf einem Prozeß, der »den Arbeiter in eine Abnormität verkrüppelt,
indem sie sein Detailgeschick... fördert durch Unterdrückung einer Welt von
produktiven Trieben und Anlagen« (MEW 23, 381; 383). Mit der Manufaktur wird
»das Individuum selbst geteilt (und) in das automatische Triebwerk einer
Teilarbeit verwandelt« (MEW 23, 381).
"
(S. 499)
| [Verkrüppelung des Teilarbeiters] |
"
Die konkrete Form dieses Arbeitsprozesses wird, wie festgestellt, von Marx in
der Ökonomie der Zeit begründet (MEW 23, 365). Die Analyse der Manufaktur fährt
fort, Wert als strukturierende Kategorie der Produktionsorganisation zu
behandeln (womit Marx bei der Erörterung der Kooperation bereits begonnen
hatte), und weist einmal mehr darauf hin, daß Wert nicht nur als Marktkategorie
zu sehen ist. Das Gebot, daß die für die Herstellung einer Ware aufgewandte
Arbeitszeit nicht die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit überschreiten
sollte, hat sich Marx zufolge nicht einfach von außen, als von der Konkurrenz
bewirkter Zwang entwickelt, sondern in der Manufaktur wird dieses Gebot zu
»einem technischen Gesetz des Produktionsprozesses selbst« (MEW 23, 366). An
diesem Punkt seiner Darstellung zeigt Marx also retrospektiv, daß die Bestimmung
der Wertgröße, mit der er seine kategoriale Untersuchung des Kapitalismus
begonnen hatte, eine kritische Bestimmung sowohl der Produktionsweise als auch
der Distributionsweise ist. Die daraus resultierende Organisation der
Produktionsweise - die auf der größtmöglichen Effizienz der Vernutzung
menschlicher Arbeit beruht, indem diese zunehmend spezialisiert und fragmentiert
wird - ist despotisch und hierarchisch. (MEW 23, 376; 381)
"
(S. 500)
| [Wert nicht nur durch Konkurrenz sondern als 'technisches Gesetz der Produktion selbst'] |
"
Es ist klar, daß Marx die >geplante< Produktionsstruktur und die
über den Markt
vermittelte Distributionsweise im Kapitalismus kritisiert. Er lokalisiert beide
in der Warenform, wie sie sich in der Form des Kapitals entfaltet hat, und er
charakterisiert den Kapitalismus daher als Gegensatz zwischen den Polen eines
scheinbar aus dem Zusammenhang gerissenen, atomisierten Individuums und dem
kollektiven Ganzen, in dem die Individuen nur als bloße Rädchen im Getriebe
funktionieren.
"
(S. 195)
| [Marx Kritik an geplanter Produktion UND anarchischer Distribution] |
"
Seine Vorstellung von der Aufhebung des Kapitalismus kann deshalb nicht so
verstanden werden, als bezöge sie sich allein auf die Aufhebung des Marktes oder
die Ausweitung der in den Werkstätten vorherrschenden, auf Planung beruhenden
Ordnung auf die gesamte Gesellschaft. Diese Ordnung beschreibt Marx als die
vollständige Unterordnung des Arbeiters unter das Kapital (letzteres verstanden
nicht als Privateigentum, sondern als eine Organisationsform der Arbeit zum
Zwecke der Steigerung ihrer Produktivkraft). (MEW 23, 377) Statt dessen
impliziert seine Analyse, daß die Aufhebung des Kapitalismus sowohl die
Aufhebung des in der Produktionssphäre geschaffenen >geplanten<,
organisierten,
bürokratischen Despotismus als auch der Anarchie der Distributionssphäre
erfordern würde, wobei der ersteren das Primat zukommt.
"
(S. 501f)
| [Aufhebung von Org. in Produktion und Verteilung] |
"
Um diesen Punkt zu klären, möchte ich das folgende hypothetische Szenario
entwerfen, das den historischen Charakter der möglichen
Negation des Kapitalismus unterstreicht und für eine Betrachtung des ehemaligen
>real existierenden Sozialismus< relevant ist: Dort wurde der Versuch
unternommen, auf der Grundlage der Produktionsform, die die Manufaktur
charakterisiert, eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen. Nicht nur
kapitalistisches Privateigentum wurde abgeschafft, sondern auch der Wert als die
Form gesellschaftlichen Reichtums durch stofflichen Reichtum ersetzt. Das Ziel
gesteigerter Produktivität war nicht mehr, die Verausgabung von Mehrarbeitszeit
zu erhöhen, sondern das, in größerem Umfang stofflichen Reichtum zur
Bedürfnisbefriedigung zu erzeugen. Dennoch hatte diese Veränderung des
Produktionsziels keine grundsätzliche Transformation des Arbeitsprozesses zur
Folge.
"
(S. 502f)
| [Kritik: Realsozialismus ändert Ziel aber NICHT Form der Produktion als Manufaktur(!)produktion] |
"
Es ist klar geworden, daß es ein zentrales Ziel der kategorialen Analyse von
Marx ist, die sich herausbildende Möglichkeit für genau eine solche Aufhebung
des kapitalistischen Arbeitsprozesses zu bestimmen. Diese Möglichkeit folgt aus
den Kategorien seiner Analyse, wobei diese aber, wie ich dargelegt habe, als
Kategorien des vollständig entwickelten Kapitalismus verstanden werden sollten.
Obwohl der Arbeitsprozeß der Manufaktur schon durch das Kapital geprägt wird,
zeigt das obige hypothetische Beispiel, daß der für die Marxsche kategoriale
Analyse des entwickelten Kapitalismus so zentrale Unterschied zwischen Wert und
stofflichem Reichtum für diese Produktionsform noch nicht praktisch relevant
geworden ist.
"
(S. 504)
| [Möglichkeit der Aufhebung als zentrales Ziel] |
"
Ich habe bereits festgestellt, daß Arbeit, betrachtet man sie hinsichtlich der
Ausgangsbestimmungen des Arbeitsprozesses, wie eine aktive Produktivkraft
fungiert, welche Materie umwandelt, um stofflichen Reichtum zu erzeugen; jedoch
- als Objekt des Verwertungsprozesses - das >tatsächliche< Rohmaterial
abgibt.
"
(S. 504)
| [Zwei Aspekte: Arbeits- und Verwertungsprozess] |
9.3.2 Große Industrie(» K)
"
Marx zufolge kommt das Kapital mit der Ausbreitung großangelegter
Industrieproduktion zu sich selbst. Er analysiert diese Produktionsweise als die
dem Kapital adäquate Materialisierung des Verwertungsprozesses, als die
Verkörperung des doppelseitigen Charakters der zugrundeliegenden
gesellschaftlichen Strukturen des Kapitalismus, und so als den angemessenen
Ausdruck des spezifischen, in sich widersprüchlichen Drangs des Kapitals zu
ständig steigenden Produktivitätsniveaus. Umgekehrt impliziert dies, daß die
ganze Tragweite der Marxschen Darstellung des Doppelcharakters der
kapitalistischen Produktion erst mit seiner Analyse der industriellen Produktion
zum Vorschein kommt.
"
(S. 506)
| [In Industrie kommt Kapital erst zu sich selbst] |
"
Das Charakteristische der Gebrauchswertdimension der Arbeit in der
Industrieproduktion ist Marx zufolge, daß sie sich in einer Form konstituiert,
die zunehmend von der Arbeit der unmittelbaren Produzenten unabhängig wird.
"
(S. 507)
| [Stofflicher Reichtum wird von unmittelbarem Produzenten unabhängiger] |
"
Eine Seite der Entwicklung der Großen Industrie hat also die historische
Konstitution gesellschaftlich-allgemeiner produktiver Fähigkeiten und Formen von
wissenschaftlichem, technischem und organisatorischem Wissen zur Folge, die
nicht direkt von der Kraft, dem Wissen und der Erfahrung des Arbeiters abhängig
sind und nicht auf sie reduziert werden können. Genauso beinhaltet sie die
fortwährende Akkumulation gesellschaftlich-allgemeiner vergangener Arbeit und
Erfahrung. Dieser historisch konstituierte Aspekt der Gebrauchswertdimension der
Arbeit im Kapitalismus gleicht insofern einer >Naturkraft<, als er von
unmittelbarer Arbeit unabhängig ist, nichts kostet und zunehmend die menschliche
Mühsal ersetzt, die den zentralen gesellschaftlichen Umstand bei der Umwandlung
von Rohstoffen in nützliche Dinge, bei dem gesellschaftlichen »Stoffwechsel« der
Menschheit mit der Natur als notwendiger Bedingung gesellschaftlichen Lebens
ausmacht.
"
(S. 509)
| [Entwicklung allgemein-gesellschaftlicher Produktivkräfte - Wissenschaft,...] |
"
Die Produktion stofflichen Reichtums wird zunehmend eine Funktion der
Objektivierung historischer Zeit.
"
(S. 509)
| [Objektivierung der historischen Zeit] |
"
Diese historische Entwicklung des gesellschaftlichen Charakters konkreter Arbeit
unterscheidet die Große Industrie grundsätzlich von der Manufaktur. Sie steigert
nicht nur die Produktivität der Arbeit enorm, sondern sie untergräbt auch - in
dem Maß wie sie die Produktion stofflichen Reichtums wesentlich von der
Aufwendung unmittelbarer menschlicher Arbeitszeit unabhängig macht - die
technische Notwendigkeit für die manufakturmäßige Arbeitsteilung sowohl
innerhalb der Arbeitsstätte als auch der Gesellschaft (MEW 23, 442ff.; 485 f).
Anders gesagt verweist die historische Entwicklung implizit auf die Möglichkeit
einer anderen gesellschaftlichen Organisation der Arbeit.
"
(S. 510)
| [Fundamentaler Unterschied Manufaktur zur Industrie - Möglichkeit anderer gesell. Org. d. Arbeit] |
"
Diese »monströse« Arbeitsteilung ist ein zentraler Punkt der Marxschen Analyse.
Einerseits weisen seine Untersuchung der Entwicklung der Gebrauchswertdimension
der Arbeit und der Gegensatz, den er zwischen ihrer tatsächlichen und
potentiellen Form feststellt, deutlich darauf hin, daß die Arbeitsteilung in der
Großen Industrie anders als die in der Manufaktur keine notwendige technische
Begleiterscheinung gesteigerter Produktivität ist. Aus diesem Grund kritisiert
er diejenigen, die - bedingt durch ein rein technisches Verständnis der
industriellen Produktion und der daraus resultierenden Unfähigkeit, zwischen
»der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie« und der »Maschinerie selbst« zu
unterscheiden - sich keinen anderen Gebrauch der Maschinerie als die
kapitalistische vorstellen können und die deshalb alle Kritiker des
kapitalistischen Systems der industriellen Produktion als Feinde des technischen
Fortschritts herabsetzen, scharf als »ökonomische Apologeten« (MEW 23, 465).
"
(S. 512)
| [Kapitalistische und nichtkapitalistische Maschinerie] |
"
Obwohl diese Dualität Marx zufolge auch frühere Formen der kapitalistischen
Produktion charakterisiert, werden die Unterschiede zwischen Wert und
stofflichem Reichtum, abstrakter und konkreter Arbeit erst mit der Großen
Industrie bedeutsam und zu Konstituenten des Arbeitsprozesses selbst. Die
Stoßrichtung der Marxschen Analyse der industriellen Produktion liegt also darin
zu zeigen, daß die für die Große Industrie charakteristische Arbeitsteilung
weder in technischen Notwendigkeiten gründet noch zufällig ist, sondern Ausdruck
des ihr inhärenten kapitalistischen Charakters.
"
(S. 512)
| [Erst in der Industrie Arbeitsteilung als Ausdruck des kapitalistischen Charakters und nicht technischer Notwendigkeit] |
"
Bevor ich fortfahre, ist festzuhalten, daß vom Standpunkt einer solchen
gesellschaftlichen Produktionsanalyse Theorien, die die kapitalistische
Industrieproduktion nur in technischen Begriffen erfassen, denen vergleichbar
sind, die Arbeit im Kapitalismus nur als Interaktion der Menschen mit der Natur
verstehen. In beiden Fällen wird die konkrete Dimension nicht als die
materialisierte Form der gesellschaftlichen Vermittlung verstanden, sondern die
fetischisierte Erscheinungsform der gesellschaftlichen Vermittlung wird für bare
Münze genommen.
"
(S. 513)
| [Arbeit im Kapitalismus ist weder nur technisch noch nur Interaktion mit Natur] |
"
Im Zuge der Entfaltung der Marxschen Kategorien haben wir gesehen, daß seine
zeitliche Bestimmung der Wertgröße erst mit der Einführung der Kategorie des
relativen Mehrwerts ihre volle Bedeutung erhält. Ähnlich wird erst mit seiner
Analyse der Großen Industrie die volle Bedeutung seiner Bestimmung des Werts als
Objektivierung (abstrakter) menschlicher Arbeit deutlich. Da das Ziel der
kapitalistischen Produktion Mehrwert ist, bewirkt dies einen beständigen Drang
zur Steigerung der Produktivität, der schließlich zur Ablösung unmittelbarer
menschlicher Arbeit durch die Produktivkraft des gesellschaftlich-allgemeinen
Wissens als der vornehmlichen gesellschaftlichen Quelle stofflichen Reichtums
führt. Gleichzeitig - und das ist entscheidend - ist und bleibt die Verausgabung
menschlicher Arbeitszeit die Grundlage kapitalistischer Produktion genau
deshalb, weil ihr Ziel der Mehrwert ist.
"
(S. 513)
| [Mehrwert erst in Industrie seine volle Bedeutung] |
"
Die durch die Entwicklung der Produktivkräfte bewirkte zunehmende Disparität
zwischen dem Zuwachs an stofflichem Reichtum und an Mehrwert ist ein Ausdruck
der wachsenden Nicht-Übereinstimmung zwischen den Produktivkräften der
Gebrauchswertdimension der Arbeit und denjenigen lebendiger Arbeit.
"
(S. 515)
| [Zunehmende Divergenz Gebrauchswert//Wert] |
"
Der kapitalistische Produktionsprozeß löst Marx zufolge die historische
Entwicklung mächtiger, gesellschaftlich-allgemeiner Produktivkräfte aus; dieser
Prozeß historischer Konstitution - der oben als Akkumulation historischer Zeit
beschrieben wurde - vollzieht sich jedoch als ein Prozeß der Entfremdung. Jene
Potenzen entstehen historisch in entfremdeter Form, als Potenzen des Kapitals,
als die des »Meisters«.
"
(S. 516)
| [Entfremdete Form der Akkumulation historischer Zeit] |
"
An diesem Punkt kann ich hinzufügen, daß Arbeit damit zunehmend inhaltslos wird,
und sie kaum mehr darstellt als die schlichte Verausgabung von Energie.
"
(S. 518)
| [Inhaltlosigkeit der Arbeit] |
{ Dies kann ich so nicht nachvollziehen und erinnert mich stark an abstrakte Arbeit als Abstraktion vom Inhalt, was M.P. aber nicht meint. Warum sagt er nicht einfach Durchschnittsarbeit? Alles reduziert sich in der Tendenz auf einfache Arbeit. (d.V.)}
"
An diesem Punkt werde ich kurz zu einer Betrachtung dieser Dialektik
zurückkehren, die, wie bereits festgestellt, letztlich in der zeitlichen
Bestimmung der Wertgröße begründet liegt. Bei der Untersuchung der
Wechselwirkung der beiden Dimensionen der Warenform haben wir gesehen, daß
steigende Produktivität die in einer gesellschaftlichen Arbeitsstunde
produzierte Wertmenge nicht anwachsen läßt, sondern statt dessen diese Stunde
historisch neu bestimmt. Die mit dem Wert verbundenen Formen von
Notwendigkeit werden dabei rekonstituiert anstatt überwunden. Das heißt die
Dialektik der beiden Dimensionen von Arbeit und Zeit im Kapitalismus besteht
darin, daß der Wert als eine immerwährende Gegenwart rekonstituiert wird, obwohl
er historisch in der Zeit fortbewegt wird.
"
(S. 519f)
| [Dialektik Arbeit//Zeit] |
"
Die Rekonstitution des abstrakten Zeitrahmens durch die Entwicklung der
Produktivität gesellschaftlicher Arbeit bedeutet so die strukturelle
Rekonstitution der Notwendigkeit, solche Arbeitszeit zu verausgaben. In anderen
Worten besteht die Dialektik von Transformation und Rekonstitution, die in den
grundlegenden strukturierenden Formen des Kapitalismus begründet liegt, darin,
daß die Verausgabung menschlicher Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß
notwendig bleibt; unabhängig vom Grad der erreichten Produktivität.
"
(S. 520)
| [Verausgabung menschlicher Arbeit bleibt NOTWENDIG unabh. vom Grad der Produktivität] |
"
Abstrakt und von einer gesamtgesellschaftlichen Ebene aus betrachtet besteht die
Auswirkung gesteigerter Produktivität auf die unmittelbare menschliche Arbeit -
innerhalb der durch die strukturelle Beibehaltung derartiger Arbeit in der
Produktion charakterisierten Bedingungen - darin, daß Arbeit einförmiger und
reduzierter, ihre Verausgabung aber intensiviert wird. Dies verleiht
menschlicher Arbeit eine konkrete Form, die beginnt, den anfänglichen
Bestimmungen ihrer fetischisierten gesellschaftlichen Form (abstrakte Arbeit) zu
gleichen - die Aufwendung von Muskeln, Nerven usw.
"
(S. 521)
| [Lohnarbeit gleicht immer mehr ihrer Fetischform - abstrakter Arbeit - inhaltsleer] |
{ Gleicht sie als Durchschnittsarbeit, denn ihre Konkretheit bleibt bestehen. Alles andere ist subjektives Verhalten gegen die Arbeit als 'reinem Job', Arbeit für Geld "wegen" des Geldes, das gleichgültige Verhalten zu seiner Arbeit und das gleichgültige Verhalten des Kapitalisten zu ihm als Ingredienz seines ihm gehörigen, weil gekauften, Arbeitsprozesses. (d.V.)}
"
Diese Entwicklungen ergeben sich in der Marxschen Analyse offensichtlich nicht
nur aus dem Privateigentum an Produktionsmitteln, sondern sind in den
Tiefenstrukturen der gesellschaftlichen Verhältnisse, die ich untersucht habe,
angelegt.
"
(S. 522)
| [Nicht PE an PM sondern die Tiefenstrukturen entscheiden] |
{ Meines Erachtens liegt das PE an PM "unter" diesen Tiefenstrukturen, als deren Grund (Hegel), sie begründen den Doppelcharakter der Arbeit erst durch die Exklusivität der PM und damit der Produkte als private. (d.V.)}
"
Dieser Produktionsprozeß ist sowohl ein Prozeß der Produktion stofflichen
Reichtums, der zunehmend auf gesellschaftlich-allgemeinem Wissen, als auch ein
Prozeß der Wertproduktion, der auf der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit
beruht. Seine konkrete Form zu analysieren, verlangt somit eine Produktionsweise
zu untersuchen, die bereits auf einer tiefen Ebene die widersprüchlichen
strukturellen Zwänge, immer höhere Produktivitätsniveaus zu erreichen und
Mehrwert zu produzieren, verkörpert. Historische Veränderungen in der konkreten
Form der vollständig entwickelten kapitalistischen Produktion können, diesen
Vorgaben entsprechend, als das durch die beiden zunehmend entgegengesetzten
Zwänge erzeugte, immer weitere >Auseinanderklaffen einer Schere< erfaßt
werden.
"
(S. 522)
| [Auseinanderklaffen einer Schere] |
"
Große Industrie ist kein technischer Prozeß, der für Zwecke der
Klassenherrschaft angewandt wird und Marx zufolge in zunehmenden Widerspruch mit
dieser Herrschaftsform geriet; vielmehr ist sie, da historisch konstituiert, der
materialisierte Ausdruck einer abstrakten Form gesellschaftlicher Herrschaft -
die objektivierte Form der Beherrschung der Menschen durch ihre eigene Arbeit.
"
(S. 195)
| [Industrie als materialisierte abstrakte Form] |
9.4 Substantielle Totalität(» K)
"
Im Zuge der Untersuchung der Marxschen Analyse der industriellen Produktion als
Materialisierung des die kapitalistische Gesellschaft charakterisierenden
doppelseitigen Charakters der gesellschaftlichen Verhältnisse habe ich auch
seinen Kapitalbegriff erläutert. Wir haben gesehen, daß die Marxsche Kategorie
Kapital weder mit >materiellen< Begriffen allein, das heißt in bezug auf
die
>Produktionsfaktoren<, die von den Kapitalisten kontrolliert werden, zu
verstehen ist, noch als gesellschaftliche Beziehung zwischen der Kapitalisten-
und der Arbeiterklasse, die durch das Privateigentum an Produktionsmitteln
strukturiert und durch den Markt vermittelt werde. Vielmehr bezieht sich der
Kapitalbegriff auf eine eigentümliche Form gesellschaftlicher Beziehung, auf
eine dynamische, totale und widersprüchliche Gesellschaftsform, die durch die
Arbeit in ihrer Verdopplung als einer Tätigkeit, die sowohl
die Verhältnisse der Menschen untereinander als auch die mit der Natur
vermittelt, konstituiert wird.
"
(S. 523f)
| [Kapital nicht vom PE an PM strukturiert] |
"
Doch ist sein Kapitalbegriff nicht in seiner vollen Bedeutung erfaßt, wenn der
Blick sich ausschließlich auf die Wertdimension richtet, da, wie gezeigt, dann
übersehen wird, daß die Gebrauchswertdimension der Arbeit in der
kapitalistischen Gesellschaft historisch als Attribut des Kapitals konstituiert
wurde.
"
(S. 195)
| [Gebrauchswertdimension des Kapitals] |
"
Kapital ist nicht die mystifizierte Form von Potenzen, die >eigentlich<
diejenigen der Arbeiter wären, vielmehr ist es die reale Existenzform des
>Gattungsvermögens<, das historisch in entfremdeter Form als
gesellschaftlich-allgemeines konstituiert ist.
"
(S. 524)
| [Gattungsvermögen = allg. gesell. Produktivkräfte] |
"
Diese strukturelle Aneignung der Gebrauchswertdimension der Arbeit durch ihre
abstrakte Dimension macht die grundlegende Enteignung der kapitalistischen
Gesellschaftsformation aus. Sie geht logisch der konkreten gesellschaftlichen
Enteignung, die mit dem
Privateigentum an Produktionsmitteln zusammenhängt, voraus, ist also nicht etwa
deren Resultat.
"
(S. 525f)
| [Logisch geht 'abstrakte Enteignung' vor dem Privateigentum] |
"
Indem ich erstens festgestellt habe, daß sich der Marxsche Kapitalbegriff auf
die entfremdete Totalität bezieht, die durch die vermittelnde Funktion der
Arbeit im Kapitalismus konstituiert wird, und zweitens, daß die entfremdete
Totalität als >sich selbst verwertender Wert< den gesellschaftlichen
Charakter
produktiver Tätigkeit als ihr Attribut >sich aneignet<, habe ich gezeigt,
daß
Marx zufolge das Kapital ebenso wie die Ware einen doppelten Charakter hat:
sowohl eine abstrakte Dimension (sich selbst verwertender Wert) als auch eine
konkrete oder substantielle gesellschaftliche Dimension (der gesellschaftliche
Charakter der Arbeit als produktive Tätigkeit). Kapital ist die enfremdete
Form
beider Dimensionen gesellschaftlicher Arbeit im Kapitalismus, das sich den
Individuen als ein fremdes, totales Anderes gegenüber stellt:
"Das Kapital ist kein Ding, sondern ein bestimmtes, gesellschaftliches, einer
bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges
Produktionsverhältnis, das sich an einem Ding darstellt und diesem Ding einen
spezifischen gesellschaftlichen Charakter gibt... Das Kapital, das sind die in
Kapital verwandelten Produktionsmittel, die an sich sowenig Kapital sind, wie
Gold oder Silber an sich Geld ist. Es sind die von einem bestimmten Teil der
Gesellschaft monopolisierten Produktionsmittel, die der lebendigen Arbeitskraft
gegenüber verselbständigten Produkte und Betätigungsbedingungen eben dieser
Arbeitskraft, die durch diesen Gegensatz im Kapital personifiziert werden. Es
sind nicht nur die, in selbständige Mächte verwandelten Produkte der Arbeiter,
die Produkte als Beherrscher und Käufer ihrer Produzenten, sondern es sind
auch
die zukünftige [die gesellschaftlichen Kräfte und zusammenhängende] Form dieser
Arbeit, die als Eigenschaften ihres Produkts ihnen gegenübertreten. (MEW 25,
822
f.; Hervorhebungen M. P.)"
"
(S. 256)
| [Entfremdete Totalität] |
{ Im Marxzitat vom M.P. ist das, was ich sagen wollte klar ausgedrückt: " Es sind die von einem bestimmten Teil der Gesellschaft monopolisierten Produktionsmittel, die der lebendigen Arbeitskraft gegenüber verselbständigten Produkte und Betätigungsbedingungen eben dieser Arbeitskraft, die durch diesen Gegensatz im Kapital personifiziert werden." Im Kern steht das Klassenmonopol der Bourgeoisie an den Produktionsmitteln. (d.V.)}
"
Als die entfremdete Form sowohl des durch Arbeit konstituierten abstrakten
gesellschaftlichen Bandes als auch der historisch konstituierten Produktivkräfte
der Menschheit ist das Kapital als eine Totalität sowohl abstrakt als auch
konkret - und darüber hinaus ist jede seiner Dimensionen allgemein.
"
(S. 256)
| [Kapital als abstrakte UND konkrete Totalität] |
"
Auf einer anderen Ebene kann Kapital auch als die objektivierte Dualität
abstrakter und historischer Zeit erfaßt werden, als Totalität, in der
historische Zeit in einer entfremdeten Form akkumuliert wird, die die lebendige
unterdrückt. Kapital ist die Struktur der Geschichte der modernen Gesellschaft,
einer konstituierenden gesellschaftlichen Form, die derart beschaffen ist, daß
die »Tradition aller toten Geschlechter wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden
(lastet)« (MEW 8, 115).
"
(S. 257)
| [Kapital als objektivierte Dualität abstrakter und historischer Zeit] |
{ Da hat er wieder recht, betont aber in folge wieder zu stark, das Industrie kapitalistisch ist, an statt sie auch an der Ökonomie der Zeit zu messen. Dies wäre aber sicher für ihn dann wieder ökonomistisch verkürzt, wiewohl es nur die überhistorische Bestimmtheit der Industrie nennt. (d.V.)}
"
Ganz im Gegenteil sind die im Kapitalismus entwickelten Formen
gesellschaftlich-allgemeinen Wissens und die Produktivkräfte gesellschaftlich
geformt und als Attribute des Kapitals in den Produktionsprozeß eingebettet. Sie
verstärken die Herrschaft abstrakter Zeit, und fungieren dabei als Momente eines
dialektischen Prozesses, der die unmittelbare menschliche Arbeit in der
Produktion beibehält, während er sie konkret entleert und zeitlich verdichtet.
Oder anders: Die >Befreiung< der allgemeinen menschlichen produktiven
Fähigkeiten aus den Grenzen individueller Fertigkeit und Erfahrung geschieht im
industriellen Kapitalismus auf Kosten des Individuums.
"
(S. 529)
| [Historisch vom Kapital geprägte Form des Wissens] |
"
Sobald das Ziel der Produktion Mehrwert ist, ist sie nicht mehr Mittel zu einem
substantiellen Zweck, sondern Mittel zu einem Zweck, der seinerseits ein Mittel
ist - und somit zielt diese Produktion allein auf Quantität. Folglich ist
Produktion im Kapitalismus Produktion um der Produktion willen. Der
Produktionsprozeß, welchen Produkts auch immer, ist nur ein Moment in einem
unendlichen Prozeß der Vermehrung von Mehrwert.
... Dieses Ziel formt das Wesen der Produktion selbst. ... Diese wird so organisiert, daß der Gebrauch menschlicher Arbeit der größtmöglichen Effizienz entspricht, weshalb diese Arbeit für zunehmend spezialisierte und fragmentierte Aufgaben eingesetzt wird, um das Ziel höherer Produktivität zu erreichen. Anders gesagt wird die Gebrauchswertdimension der Arbeit durch den Wert strukturiert. " (S. 530) | [Wert strukturiert die Gebrauchswertseite] |
{ Diese Effizienz hat aber eine überhistorische Bedeutung als Ökonomie der Zeit, wie auch die Teilung der Arbeit im Kommunismus eher noch größer werden wird, wiewohl die Zuschreibung und Zurichtung des Individuums auf eben diese Teilung der Arbeit aufgehoben wird, aber nicht die Teilung der Arbeit selbst, nur ihre historische verelendende, abstrakte, entfremdete Form. (d.V.)}
"
Letzter Grund für diese substantielle Entwicklung ist jedoch nicht die konkrete
Dimension der Arbeit, sondern ihre Wertdimension. Obwohl die letztere die
erstere nach ihrem Bilde formt, hat meine Analyse gezeigt, daß die beiden nicht
identisch sind. Diese Nicht-Identität der beiden Dimensionen des Kapitals bildet
die Grundlage für den fundamentalen Widerspruch, der seiner dialektischen
Dynamik zugrundeliegt: in ihr entsteht die Möglichkeit einer zukünftigen
Trennung dieser beiden Dimensionen und es ergibt sich somit historisch die
Möglichkeit einer Transformation der im Kapitalismus entwickelten Formen
gesellschaftlich-allgemein konstituierter Kenntnisse und Potenzen. In diesem
Prozeß könnten sie zu Mitteln werden, die den Menschen zur Verfügung stehen,
statt gesellschaftlich konstituierte Mittel abstrakter Herrschaft zu sein.
"
(S. 531)
| [Möglichkeit der Aufhebung] |
9.4.2 Das Proletariat(» K)
"
Mit meiner Konzentration auf seine Analyse der für den Kapitalismus
konstitutiven strukturierenden Formen gesellschaftlicher Vermittlung habe ich
zeigen können, daß nicht der Klassenkonflikt an und für sich die historische
Dynamik des Kapitalismus erzeugt, und daß er nur deshalb ein treibendes Element
dieser Entwicklung ist, weil er durch gesellschaftliche Formen strukturiert ist,
die eine Dynamik aus sich heraus besitzen. Wie festgestellt, widerspricht die
Marxsche Analyse der Auffassung, der Kampf zwischen der Kapitalistenklasse und
dem Proletariat sei einer zwischen der herrschenden Klasse im Kapitalismus und
einer, die den Sozialismus verkörpere, und der Sozialismus bedeute deshalb die
Selbstverwirklichung des Proletariats.
"
(S. 532)
| [Sozialismus nicht Selbstverwirklichung des Proletariats] |
{ Erstens hängt er selbst alles an den konstituierenden Charakter der Arbeit im Kapitalismus, und gerade nur hier. Weiterhin ist es nach Marx self evident, dass die Arbeit also die Produktion überhistorisch die besagt Quelle ist. (siehe Kugelmannbrief) Es gibt um eine Kritik der Form, wie M.P. richtig betont, der Produktion und nicht der Produktion als solcher selbst, das ist lächerlich. Das kann man nur mit Umbenennungen tun, sie als "Tätigkeit" firmieren zu lassen oder ähnlicher kläglicher Versuche. (d.V.)}
"
Die logische Stoßrichtung der Marxschen Entfaltung des Kapitalbegriffs, also
seiner Analyse der industriellen Produktion, steht im vollkommenen
Widerspruch
zu den traditionellen Annahmen vom Proletariat als revolutionärem Subjekt. Für
Marx ist die kapitalistische Produktion durch eine enorme Ausdehnung der
gesellschaftlichen Produktivkräfte und des gesellschaftlichen Wissens
charakterisiert, die sich unter den vom Wert bestimmten Bedingungen konstituiert
und deshalb in entfremdeter Form als Kapital existiert.
[Herv. v. mir]
"
(S. 533)
| [Proletariat ist NICHT das revolutionäre Subjekt] |
{
Und schwubs haben wir wieder die Logik. Fragt sich andersherum, wer denn die
Aufhebung machen soll, wenn nicht die direkten Produzenten selbst. Selbstredend
muß sich das Proletariat selbst abschaffen. Aber wer redet im ernst von
Lohnarbeit im Kommunismus? Die Erfahrungen sind "größer" als die des
Gesamtarbeiters, was für ein Schmarren. Er sollte mal sagen, was für ihn
Proletariat ist, das vermisse ich. Die Begründung ist,
(d.V.)}
{
{ Das Proletariat ist das Subjekt im Werden und damit sowohl noch nicht als auch schon Subjekt. In der Produktion ist es eh immer Subjekt als zwecksetzendes Objekt, wenn auch der oberflächliche Zweck der Lohn ist, ist es doch die stoffliche Reproduktion der Gesamtgesellschaft. Sie wissen es nicht, aber sie tun es.(Marx) Der Übergang vom Kapitalismus ist auch als Übergang in den Kategorien zu fassen. (d.V.)}
9.2.3 Widerspruch und bestimmte Negation(» K)
"
Meine Untersuchung der Marxschen Auseinandersetzung mit der industriellen
Produktion im Kapital steht in deutlichem Gegensatz zur traditionellen
Interpretation seiner Auffassung vom grundlegenden Widerspruch des Kapitalismus
und des Verhältnisses des Proletariats zu Kapitalismus und Sozialismus. Sie hat
gezeigt, daß industrielle Produktion für Marx die materialisierte Form des
Kapitals ist und daß das Proletariat keine mögliche Zukunft jenseits der
Herrschaft des Kapitals repräsentiert, sondern die notwendige Voraussetzung
dieser Herrschaft ist. Die Untersuchung hat dabei im nachhinein die Bedeutung
der Unterschiede zwischen einer Kritik, die auf der Vorstellung der
>Arbeit<
beruht, und einer, in deren kritischem Zentrum der historisch spezifische
Charakter von Arbeit im Kapitalismus steht, bestätigt.
"
(S. 537)
| [Nicht Widerspruch Kapital//unabh. Dimension] |
"
Die Marxsche Vorstellung vom strukturellen Widerspruch der kapitalistischen
Gesellschaft - der notwendigerweise einer ist zwischen den
historisch-spezifischen Momenten dieser Gesellschaft und dem, was über sie
hinaus weist - meint nicht einen Widerspruch zwischen dem Kapital und den
angeblich von ihm unabhängigen Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens. Meine
Untersuchung der Dialektik der beiden Dimensionen sowohl von Arbeit als auch von
Zeit im Kapitalismus hat gezeigt, daß die konkrete Dimension gesellschaftlicher
Arbeit als eine Eigenschaft der Wertdimension konstituiert wird. Sowohl die
konkrete als auch die abstrakte gesellschaftliche Dimension der Arbeit in der
kapitalistischen Gesellschaft sind Marx zufolge Dimensionen des Kapitals - keine
von beiden repräsentiert in ihrer bestehenden Form die Zukunft.
"
(S. 538)
| [Konkrete als auch abstrakte Seite der Arbeit sind vom Kapital abhängig] |
{ Aber die organisatorische Seite wie Teilung der Arbeit als solcher und die Verteilung der Arbeitszeit sind nicht vom Kapitalismus, sondern von der Produktivität abhängig. Und so greift er auch zu kurz: (d.V.)}
"
Indem proletarische Arbeit vom Standpunkt der Produktion stofflichen Reichtums
aus gesehen potentiell anachronistisch wird, wird der Wert selbst potentiell
anachronistisch.
... Offenbar schließt die Marxsche Darstellung der Entwicklung der kapitalistischen Produktion die Möglichkeit der Abschaffung von Wert und proletarischer Arbeit ein. (Letztere wird im Sinne des Potentials der Gebrauchswertdimension zunehmend überflüssig, obwohl sie für den Wert konstitutiv bleibt.) " (S. 540) | [Verschwinden der proletarischen Arbeit - Abschaffen des Werts] |
"
Gewiß wird die Gebrauchswertdimension in einer durch das Kapital geprägten Form
konstituiert; anders als der Wert jedoch ist sie nicht notwendigerweise an das
Kapital gebunden. Die Logik der Marxschen Darstellung verweist auf die
Möglichkeit, daß mit der Abschaffung des Werts das, was als die entfremdete
Gebrauchswertdimension der gesellschaftlichen Arbeit konstituiert wurde, in
anderer Form weiterbestehen könnte. Anders gesagt läuft die logische
Stoßrichtung der Marxschen Darstellung darauf hinaus, daß die historische Zeit
in entfremdeter Form akkumuliert, einer Form, die die Gegenwart als
Notwendigkeit rekonstituiert. Gleichzeitig läßt sie darauf schließen, daß diese
Akkumulation auch das notwendige Moment der Gegenwart, zu deren Rekonstruktion
sie beiträgt, unterminiert, und damit die historische Möglichkeit eröffnet, die
Organisation des gesellschaftlichen Lebens grundlegend zu transformieren.
"
(S. 540)
| [GW nicht notwendig an Kapital gebunden] |
"
Die Marxsche Kritik ist also nicht >positiv<. Ihr grundsätzlicher
Standpunkt ist
nicht der einer bestehenden gesellschaftlichen Struktur oder Gruppierung, die
für vom Kapitalismus unabhängig gehalten wird. In Wirklichkeit ist er kein
Ausdruck irgendeiner Seite des kapitalistischen Grundwiderspruchs, wie auch
immer man diesen interpretiert.
"
(S. 541)
| [Marxsche Kritik ist nicht >positiv<] |
"
Es handelt sich aber auch nicht um eine historisch unbestimmte Möglichkeit.
Vielmehr beinhaltet sie die bestimmte Negation der bestehenden Ordnung die
Schaffung neuer Strukturen, die sich als historische Möglichkeiten aufgetan
haben, aber die Abschaffung der Grundlage der kapitalistischen Ordnung als
Bedingung ihrer realen, faktischen gesellschaftlichen Existenz erfordern.
"
(S. 542)
| [Bestimmtheit der Negation] |
"
In der traditionellen Interpretation beinhaltet die Aufhebung des
kapitalistischen Grundwiderspruchs die offene Verwirklichung der Zentralität der
Arbeit für das gesellschaftliche Leben. Ich habe, dem vollkommen
entgegengesetzt, argumentiert, daß nach Marx die konstitutive Zentralität der
Arbeit das gesellschaftliche Leben den Kapitalismus charakterisiert und die
entscheidende Grundlage seiner abstrakten Herrschaftsweise bildet.
"
(S. 542)
| [Zentralität der Arbeit nur im Kapitalismus] |
{ Zentralität bzw. Existenz in der Form der Lohnarbeit nur im Kapitalismus. Arbeit als solche ist immer die Grundlage der Gesellschaft - self evident (Marx). (d.V.)}
{
| [Gesellschaft ohne Arbeit] |
{
| [Widerspruch im Proletarier und den Kategorien ist vorrangig eine Formfrage] |
{
| [Aufhebung der Form - Neukonstitution einer Form und Inhalt] |
"
Die Verlaufsform der kapitalistischen Entwicklung impliziert eine mögliche
bestimmte historische Negation, die die Konstituierung einer anderen,
nicht->objektiven< Form gesellschaftlicher Vermittlung zulassen würde,
eine
andere Form des Wachstums und eine technologisch fortschrittliche
Produktionsweise, die nicht länger durch die Imperative des Werts geformt
werden. Die Menschen könnten dann, anstatt von ihrem eigenen
gesellschaftlich-allgemeinen Produktivvermögen beherrscht und subsumiert zu
werden, zu ihrem eigenen Nutzen Gebrauch davon machen.
"
(S. 543)
| [Nicht-objektive Form gesellschaftlicher Vermittlung] |
{ Wir nähern uns dem Kern, der konkreten Negation. (d.V.)}
"
Zum Beispiel schließt die logische Ausrichtung der Marxschen Darstellung mit
ein, daß, sollte die Wertbasis der Produktion abgeschafft werden, stofflicher
Reichtum nicht länger als Träger von Wert produziert würde, sondern selbst die
vorherrschende gesellschaftliche Form des Reichtums unter Beibehaltung der
technologisch fortgeschrittenen Produktivvermögens wäre.
"
(S. 543)
| [Beibehaltung der technologischen Basis] |
"
Der logische Verlauf der Marxschen kategorialen Analyse zielt, auf einer
allgemeinen gesellschaftlichen Ebene betrachtet, auch auf die Möglichkeit einer
Transformation der Produktionsstruktur.
"
(S. 544)
| [Möglichkeit der Transformation der Produktionsstruktur] |
"
Im Ergebnis könnte ein großer Teil der Arbeit, der als Quelle von Wert zunehmend
entleert und fragmentiert wurde, abgeschafft werden; verbleibende
einseitige
Aufgaben könnten gesellschaftlich turnusmäßig abwechselnd erledigt
werden. Das
heißt in der Marxschen Analyse ist impliziert, daß die Abschaffung des Werts
eine gesellschaftlich-allgemeine Transformation der Produktion erlauben würde,
die die Abschaffung der proletarischen Arbeit mit sich brächte - sowohl durch
die Veränderung des Charakters eines großen Teils der Arbeit im industriellen
Kapitalismus als auch durch die Abschaffung eines Systems, in dem die Menschen
einen großen Teil ihres Erwachsenenlebens hindurch an solche Arbeit
gefesselt
sind - und dennoch ein hohes Produktivitätsniveau aufrechterhalten bliebe. Dies
würde eine Produktionsform ermöglichen, die direkt auf der Aneignung
historischer Zeit basiert.
[Herv. v. P.H.]
"
(S. 545)
| [Abschaffen des Werts und Beibehalten der techn. Teilung der Arbeit] |
{ Das ist konkret genug und dem stimme ich voll zu, das Proletariat schafft sich selbst ab, wer sonst, und eine neue Form der Produktion und Auswirkung der Produktivität auf die Gesellschaft. Marx traut sich sogar von der bewußten Planung zu sprechen, was für ein "Wagnis". (d.V.)}
"
Die Aufhebung des antagonistischen Gegensatzes zwischen Individuen und
Gesellschaft bringt also nicht die Subsumtion ersterer unter letztere mit sich.
Im Gegenteil zeigt Marx in seiner Analyse, daß genau diese Subsumtion bereits
existiert - als Charakteristikum des Kapitals. Die Aufhebung dieses
antagonistischen Gegensatzes erfordert die Aufhebung einer konkreten Struktur
der Arbeit, in der die >Armut< individueller Arbeit die Voraussetzung
gesellschaftlichen Reichtums ist; sie erfordert eine neue Struktur der Arbeit,
in der der Reichtum der Gesellschaft und die >Reichtum schaffende<
Möglichkeit
der Arbeit in bezug auf die Individuen sich entsprechen und nicht gegeneinander
stehen.
"
(S. 546)
| [Aufhebung von Antagonismus Individuum//Gesellschaft] |
{ Immer wenn M.P. Arbeit negativ benutzt, muß man nur Form der Arbeit oder Lohnarbeit sagen, um die Aussagen geradezuziehen. (d.V.)}
"
Diese Analyse schließt aber auch die Möglichkeit einer grundsätzlichen
Transformation und Umstrukturierung der wissenschaftlichen Erkenntnis und des
technischen Wissens ein, wie diese sich im Kontext der entfremdeten
gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus entwickelt haben. Allgemeiner gesagt,
ermöglicht die Marxsche Kritik des Kapitalismus einen Standpunkt, der weder
wissenschaftliche Erkenntnis und technisches Wissen in ihren bestehenden Formen
als emanzipatorisch affirmiert, noch implizit ihre abstrakte Negation
einfordert. Indem sie das emanzipatorische Potential des historisch in
entfremdeter Form Konstituierten analysiert, strebt die Marxsche Kritik vielmehr
danach, das Bestehende auf eine Weise kritisch zu erfassen, die historisch
darüber hinaus weist.
"
(S. 547)
| [Überschießende Elemente] |
{ Dagegen siehe Adorno. (d.V.)}
"
Die Möglichkeit dieser reflexiven Transformation der Produktionssphäre bietet
die Grundlage für eine Gesellschaftskritik, die über die Antinomie zweier Arten
gesellschaftlicher Kritik hinausgehen kann. Die erste besteht in einer Kritik
entfremdeter Arbeit und der Entfremdung der Menschen von der Natur und weist die
industrielle Technologie überhaupt zurück in der historisch nicht einlösbaren
Hoffnung einer Rückkehr zu einer vorindustriellen Gesellschaft. Die zweite
kritisiert die unfaire und ungerechte Verteilung der gesellschaftlichen Macht
und der großen Masse der kapitalistisch produzierten Güter und Dienstleistungen
und akzeptiert das lineare Fortbestehen der kapitalbestimmten Produktion als
notwendig.
"
(S. 548)
| [Die zwei antinomischen Kritiken] |
"
An diesem Punkt wäre jedoch anzumerken, daß die Marxsche kategoriale Analyse der
Entwicklung der kapitalistischen Produktion auch auf die mögliche Abschaffung
des anderen Aspekts der Lohnarbeit verweist, nämlich die des Verteilungssystems,
das auf dem Austausch von Arbeitskraft gegen Lohn zum Erwerb von Konsumgütern
basiert.
... Das Lohnsystem, vom Standpunkt des stofflichen Reichtums aus betrachtet, wird zu einer Form gesellschaftlich-allgemeiner Verteilung und drückt nur noch scheinbar die Vergütung für verausgabte Arbeitszeit aus. Es hat keine Grundlage mehr in der Produktion stofflichen Reichtums; seine systemische Aufrechterhaltung verdankt sich allein noch der Wertdimension " (S. 548f) | [Veränderung der Verteilung] |
"
Folglich ist ein zentraler Aspekt der Verwirklichung des Potentials der
akkumulierten Gebrauchswertdimension der Arbeit, daß, sobald sie von den Zwängen
des Werts befreit ist, der gesellschaftliche Überschuß nicht länger das Produkt
unmittelbarer Arbeit einer Klasse von Menschen sein müßte, die dem
Produktionsprozeß subsumiert ist; die Arbeit der Menschen wäre also nicht länger
ein quasi-objektives Mittel für den Erwerb von Konsummitteln. Dies ist ein
wichtiger Aspekt der Marxschen Auffassung von der sozialistischen Gesellschaft
als Aufhebung der menschlichen Vorgeschichte.
"
(S. 549)
| [Aufhebung der Klassengesellschaft] |
{ Sehr treffend gegen die realsozialistische Bürokratie als Klasse im Werden. (d.V.)}
9.2.4 Formen der Universalität(» K)
"
Wir haben gesehen, daß die Marxsche Analyse der Ware als einem grundlegenden
Strukturprinzip gesellschaftlichen Handelns und Denkens in der modernen
kapitalistischen Gesellschaft einen Ausgangspunkt für eine kritische
soziohistorische Auseinandersetzung mit dem Charakter moderner Universalität und
Gleichheit bereit stellt. Mit dem historischen Auftreten des Kapitals - der Ware
als der totalisierenden gesellschaftlichen Form entsteht eine gesellschaftliche
Vermittlungsform, die abstrakt, homogen und allgemein ist: jeder Aspekt dieser
Vermittlung (das heißt jede Ware als Wert betrachtet) ist nicht qualitativ
bestimmt, sondern Moment der Totalität.
"
(S. 550)
| [Ware als Strukturprinzip der Universalität und dem Denken und Handeln] |
"
Eine solche Analyse, welche die moderne, abstrakte Form der Universalität mit
der Wertdimension der Warenform in Beziehung setzt, bedeutet nicht
notwendigerweise auch ein Verwerfen dieser Form von Universalität, aber
ermöglicht eine gesellschaftliche Analyse ihres ambivalenten Charakters - der,
wie festgestellt, darin besteht, daß diese Form von Universalität positive
politische und gesellschaftliche Konsequenzen hatte, und dennoch, da sie im
Gegensatz zu jeglicher Besonderheit steht, auch Ausdruck abstrakter
gesellschaftlicher Herrschaft ist.
"
(S. 551)
| [Durch Wert strukturiert => Ambivalenz der Universalität] |
"
Indem sie universelle Formen in gesellschaftlicher und historischer Hinsicht
analysiert, betrachtet die Marxsche Analyse nicht alle Formen der Universalität
als notwendigerweise an den Wert gebunden. Basierend auf der Unterscheidung
zwischen Wert und Gebrauchswert weist sie auch auf die historische
Konstituierung einer parallelen Form von Universalität hin, die nicht abstrakt
und homogen ist und nicht notwendigerweise im Gegensatz zur Besonderheit steht.
"
(S. 551)
| [Universalität nicht notwendig wertbestimmt] |
"
Die zweite Form ist eine andere Art von Allgemeinheit, eine, die nicht homogen
ist. Obwohl letztere in entfremdeter Form konstituiert wurde, verweist die
Marxsche Analyse darauf, daß sie in einer postkapitalistischen Gesellschaft in
einer Form existieren könnte, die von der Strukturierung durch den Wert befreit
ist und folglich sich nicht notwendigerweise in Gegensatz zur Besonderheit
stellt - eine Form, die mit der Entwicklung eines neuen Verständnisses von
Menschheit als allgemein und dennoch mannigfaltig verknüpft sein könnte.
"
(S. 552)
| [Die neue Form im Alten] |
"
Für Marx hat die Aufhebung des Kapitalismus weder die Abschaffung aller Formen
technologisch fortgeschrittener Produktion noch die Verwirklichung der im
Kapitalismus entwickelten Form von Industrieproduktion zur Folge. Gleichermaßen
bringt sie weder die Auslöschung von Universalität mit sich noch kann sie
adäquat im Sinne der tatsächlichen Ausdehnung der abstrakten, homogenen Form von
Universalität, wie sie sich als Moment der durch die Ware strukturierten
gesellschaftlichen Lebensweise entwickelt hat, auf alle Menschen verstanden
werden.
"
(S. 553)
| [Kein Abschaffung aller Technologie] |
"
In der marxistischen Tradition wurde das Proletariat häufig als universelle
Klasse gesehen und auf dieser Grundlage der Kapitalistenklasse
gegenübergestellt, deren Interessen partikular seien, da sie nicht mit denen der
Gesellschaft als ganzer übereinstimmten (oder diesen gar entgegengesetzt seien).
Aufgrund dieses universellen Charakters ist dem Proletariat die Rolle des
Repräsentanten einer zukünftig möglichen Gesellschaft zugeschrieben worden. Die
Beschäftigung mit der in der Marxschen Analyse angelegten Gesellschaftlichkeit
der Formen von Universalität zeigt jedoch, daß das Verhältnis des Kapitalismus
zu seiner historisch möglichen Negation nicht im Sinne eines solchen Gegensatzes
zwischen Besonderheit und Universalität verstanden werden sollte, denn dieser
Gegensatz selbst ist für die gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus
charakteristisch. Vielmehr sollte das Verhältnis des Kapitalismus zur
Möglichkeit seiner Negation im Hinblick auf unterschiedlich vorherrschende
Formen von Universalität verstanden werden sollte, denn dieser Gegensatz selbst
ist für die gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus charakteristisch.
Vielmehr sollte das Verhältnis des Kapitalismus zur Möglichkeit seiner Negation
im Hinblick auf unterschiedlich vorherrschende Formen von Universalität gesehen
werden.
"
(S. 554)
| [Rolle des Proletariats] |
"
Darüber hinaus habe ich auch gezeigt, daß in der Marxschen Behandlung der
Arbeiter als Subjekte und Objekte der Produktion sich ihr Subjektstatus daraus
ergibt, daß sie (kollektive) Warenbesitzer sind. Diese vorläufigen Bestimmungen
implizieren, daß die Ausdehnung der universalistischen Prinzipien der
bürgerlichen Gesellschaft auf weite Teile der Bevölkerung - also die
Verwirklichung dieser Prinzipien-, die teils durch die Arbeiterbewegungen teils
durch jene Strömungen der Frauen- und Minderheitenbewegungen, die für gleiche
Rechte eintraten, erkämpft wurden, nicht als Entwicklung verstanden werden
sollten, die über die kapitalistische Gesellschaft hinaus wiesen.
"
(S. 554)
| [Nicht nur Arbeiter, sondern alle möglichen Bewegungen] |
"
Wenn der Grundwiderspruch des Kapitalismus nicht im gesellschaftlichen Gegensatz
der Arbeiter- zur Kapitalistenklasse besteht und wenn die Aufhebung des
Kapitalismus nicht die Verwirklichung der mit dieser Gesellschaft verbundenen
abstrakten Form von Universalität mit sich bringt, dann muß die Frage nach dem
Wesen und der Entstehung historisch konstituierter Formen von Subjektivität, die
über die bestehende Ordnung hinaus weisen, neu verhandelt werden.
"
(S. 554f)
| [Grundwiderspruch ist NICHT Arbeiter//Kapitalist] |
"
Die von mir vorgelegte Interpretation besagt allein, daß die Marxsche Analyse
auch einen Ansatz für qualitative historische Veränderungen der Formen
von
Subjektivität und der Bedürfnisstrukturen beinhaltet, der solcbe Veränderungen
nicht nur in bezug auf den gesellschaftlichen Hintergrund der beteiligten
Akteure, sondern auch als durch die Entwicklung der gesellschaftlichen Formen im
Inneren des Kapitalismus selbst konstituierte Möglichkeiten erklärt. Oder
anders: die Marxsche Analyse enthält eine Gesellschaftstheorie der
Subjektivität, die historisch ist.
"
(S. 555)
| [Historische Subjektivität bei Marx] |
"
Wir haben gesehen, daß der Marxschen Analyse zufolge das Proletariat ein
wesentliches Element der wertbestimmten Produktionsverhältnisse ist und als
solches mit der Entwicklung des Kapitalismus ebenfalls anachronistisch wird. Die
Aufhebung des Kapitalismus muß auch im Sinne der Abschaffung der proletarischen
Arbeit verstanden werden und folglich auch der im Sinne der Abschaffung des
Proletariats. Das gestaltet die Frage nach dem Verhältnis des gesellschaftlichen
und politischen Handelns der Arbeiterklasse zur möglichen Abschaffung des
Kapitalismus äußerst schwierig.
"
(S. 557)
| [Abschaffung des Proletariats mit der proletarischen Arbeit] |
"
Es impliziert, daß solches Handeln und das, was gewöhnlich als
Klassenbewußtsein der Arbeiter bezeichnet wird, innerhalb der Grenzen der
kapitalistischen Gesellschaftsformation verbleibt - und zwar nicht
notwendigerweise deshalb, weil die Arbeiter materiell und geistig korrumpiert
würden, sondern weil proletarische Arbeit dem Kapital nicht grundlegend
widerspricht.
"
(S. 557)
| [Proletarische Arbeit widerspricht NICHT dem Kapitalismus] |
"
Wie militant auch immer die Aktionen und die mit der Selbstbehauptung des
Proletariats verbundenen Subjektivitätsformen gewesen sind, sie weisen dennoch
nicht in die Richtung einer Aufhebung des Kapitalismus. Sie stellen eher
kapitalkonstituierende denn über das Kapital hinaus weisende Formen von Handeln
und Bewußtsein dar. Das wäre selbst dann der Fall, wenn die Struktur der
Lohnarbeit wirklich global würde was im Zuge der gegenwärtigen Form der
Globalisierung des Kapitals auch erreicht werden dürfte -, und sich die Arbeiter
entsprechend organisierten.
"
(S. 558)
| [Proletarische Subjektivitätsformen bleibt kapitalimmanent] |
{
{ Kann nur der Akademiker oder der gebildete die Abschaffung des Privateigentums fordern, in der Form der bewußten gesellschaftlichen Planung der gesellschaftlichen Reproduktion? (D.h. die Kommune.) Das was folgt, ist fast schon banal, da dies Dilemma der Alltag ist. (d.V.)}
"
Dies unterstellt, daß eine den Arbeitern verpflichtete Bewegung, die über den
Kapitalismus hinaus gehen wollte, sowohl Arbeiterinteressen zu verteidigen hätte
als auch an deren Transformation mitwirken müßte zum Beispiel, indem sie die
gegebene Struktur der Arbeit infrage stellt, Menschen nicht länger nur im Sinne
dieser Struktur kategorisiert und sich an der kritischen Reflexion dieser
Jnteressen beteiligt. Mehr, als diese Themen und Probleme zu erwähnen, kann ich
jedoch nicht leisten.
"
(S. 558)
| [Aufgaben der Transformationsorganisation] |
{
| [Unmittelbare und mittelbare Arbeit] |
{ Hier hat er im Sinne der Lohnarbeit vollkommen recht. Die Notwendigkeit, die außer der Kapitalreproduktion übrig bleibt, ist die nackte Notwendigkeit der insbesondere stofflichen Reproduktion der Gesellschaft. Im Zuge der wiss.-techn. Revolution wird der Hebel zwischen "Mensch und Natur" relativ gewaltig und erlaubt tatsächlich ein immer geringeres Maß an durch die Produktion im engeren Sinne gebundenen gesellschaftlichen Arbeitszeit. Je höher die Entwicklung um so geringer die Abhängigkeit zb vom Wetter oder anderem, je größer die relative Freiheit. ABER, natürlich stellt sich dann die Frage nach der Notwendigkeit von Arbeit neu, welches ich mit 'im engeren Sinne' auf seine Basis reduziert beschrieben habe. (d.V.)} | [Notwendige Arbeit] |
"
Zentral für die Marxsche Auffassung der Aufhebung des Kapitalismus ist seine
Vorstellung von der Wiederaneignung der historisch als Kapital konstituierten
gesellschaftlich-allgemeinen Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Menschen. Wir
haben gesehen, daß Marx zufolge diese Kenntnisse und Fähigkeiten als Kapital die
Menschen beherrschen; diese Wiederaneignung geht also mit der Aufhebung der für
die kapitalistische Gesellschaft charakteristischen Herrschaftsform, die
letztlich auf der historisch spezifischen Rolle der Arbeit als gesellschaftlich
vermittelnder Tätigkeit beruht, einher. Folglich steht die historisch
entstandene Möglichkeit, daß die Menschen damit beginnen könnten, das zu
beherrschen, was sie erschaffen, anstatt davon beherrscht zu werden, im Zentrum
seiner Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft.
"
(S. 561)
| [Zusammenfassung] |
9.2.5 Die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Zeit(» K)
"
Wie wir gesehen haben, ist die zunehmende historische Nicht-Notwendigkeit
wertbildender Arbeit also der notwendigen Voraussetzung des Kapitalismus und
dem Konstituens seiner charakteristischen Form abstrakter gesellschaftlicher
Notwendigkeit -wesentlich für das Marxsche Verständnis des kapitalistischen
Grundwiderspruchs als einem zwischen dem, was ist, und dem in ihm enthaltenen
Potential (der eher als Widerspruch zwischen dem, was ist, und dem, was
ebenfalls ist, zu bezeichnen wäre).
"
(S. 562)
| [Nochmal Grundwiderspruch - Nicht-Notwendigkeit der wertbildenden Arbeit] |
{ Solche Sätze sollten jeden Wertkritiker freuen. Aber was ist bitte 'überflüssige Arbeitszeit'? Im übrigen stimmt es nicht, sondern eher, dass sich die Mehrarbeitszeit als Konstituenz des Mehrwertes also des Kapitals als gesamtgesellschaftlichem Totalverhältnis ganz natürlich auf dieser Ebene bewegt und beileibe keinen ausschließlichen Bezug auf die unmittelbaren Produzenten darstellt, sondern im Gegenteil. (d.V.)}
"
In der Marxschen Theorie ist die Mehrproduktion - also die Produktion über das
hinaus, was notwendig ist, die unmittelbaren Bedürfnisse der Produzenten zu
befriedigen - Bedingung aller >historischen< Formen gesellschaftlichen
Lebens.
Man kann in jeder historischen Form unterscheiden zwischen der Produktionsmenge,
die erforderlich ist, die arbeitende Bevölkerung zu reproduzieren, und einer
durch nicht-arbeitende Klassen angeeigneten zusätzlichen, die für die
Gesellschaft als ganzer >notwendig< ist.
"
(S. 562)
| [Überhistorisches Mehrprodukt] |
{ Jetzt wird diese ominöse Unmittelbarkeit historisch. (d.V.)}
"
Meine Untersuchung der Dialektik der zwei Dimensionen der dem Kapitalismus
zugrundeliegenden Formen hat jedoch gezeigt, daß eine allgemeine Reduktion der
gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die vollständig mit dem im Kapitalismus
entwickelten Produktivvermögen im Einklang stünde, nicht stattfinden kann,
solange Wert die Quelle des Reichtums ist. Die Differenz zwischen der
Gesamtarbeitszeit, die durch das Kapital als gesellschaftlich notwendig bestimmt
wird, einerseits, und der Menge an Arbeit, die angesichts der Entwicklung
gesellschaftlich-allgemeiner Produktivkräfte notwendig sein würde, wenn
stofflicher Reichtum die gesellschaftliche Form des Reichtums darstellte,
andererseits, bezeichnet Marx in den Grundrissen als »überflüssige«
Arbeitszeit. Diese Kategorie kann sowohl quantitativ, als auch qualitativ
verstanden werden, da sie sich sowohl auf die Dauer der Arbeit als auch auf die
Produktionsstruktur und das bloße Vorhandensein eines großen Teils der Arbeit
selbst in der kapitalistischen Gesellschaft bezieht.
"
(S. 563)
| [Überflüssige Arbeitszeit - Grundrisse] |
"
Mit der fortgeschrittenen industriekapitalistischen Produktion steigt das
Produktivkraftpotential derart an, daß eine neue historische Kategorie der
>Extrazeit< für die Vielen in Erscheinung tritt und eine drastische
Reduzierung
beider Aspekte der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, als auch eine
Transformation der Struktur der Arbeit und des Verhältnisses der Arbeit zu
anderen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens zuläßt.
"
(S. 564)
| [Extrazeit] |
"
Der Entwicklungsverlauf der kapitalistischen Produktion, wie er von Marx
dargestellt wird, kann folglich im Sinne der Entwicklung der gesellschaftlichen
Teilung der Zeit betrachtet werden - von gesellschaftlich notwendiger Zeit (also
individuell notwendiger Zeit sowie Mehrprodukt) über gesellschaftlich notwendige
und überflüssige bis hin zur Möglichkeit gesellschaftlich notwendiger und
verfügbarer Zeit (was die Aufhebung der älteren Formen der
Notwendigkeit mit
sich bringen würde). Dieser Entwicklungsverlauf ist Ausdruck der dialektischen
Entwicklung des Kapitalismus, einer entfremdeten Form von Gesellschaft, die als
mannigfaltig entwickelte Totalität auf Kosten der Individuen konstituiert wird,
und die die Möglichkeit ihrer eigenen Negation hervorbringt, einer neuen Form
von Gesellschaft, in der die Menschen sich einzeln und kollektiv das allgemeine
Gattungsvermögen aneignen können, das in entfremdeter Form als Attribut des
Subjekts konstituiert wurde.
"
(S. 566)
| [Dialektische Aufeinanderfolge von Formen der Teilung der Zeit] |
{ Bliebe die Frage nach der Ökonomie der Zeit und ihrer Aufhebung in stagnierenden Formen in der Geschichte, bzw. technologisch und gesellschaftlich durch den Kommunismus, als transhistorischem Problem und Antrieb der Entwicklung menschlicher Produktion und damit auch des Menschen selbst. Diese Interpretation kann die Entstehung des Kapitalismus in seinem Aufstieg und der vollen Entfaltung der Warenform als eine immer weniger dem Zufall unterliegende Entwicklung erfassen - jedoch nicht als Ausdruck eines immanenten Prinzips, das sich mit Notwendigkeit entfaltet. (d.V.)}
"
Im Kapitalismus wird objektivierte historische Zeit in entfremdeter Form
akkumuliert, verfestigt hierdurch die Gegenwart und beherrscht als solche das
Lebendige. Jedoch erlaubt
sie auch durch Unterminierung ihres eigenen Moments von Notwendigkeit die
Befreiung des Menschen aus der Gegenwart und ermöglicht dadurch die Zukunft -
die Aneignung der Geschichte in der Form, daß die älteren Verhältnisse
umgestoßen und transzendiert werden. Anstelle einer Gesellschaftsform, die durch
die Gegenwart, durch abstrakte Arbeitszeit strukturiert wird, ist eine
Gesellschaftsform möglich, die auf der vollen Nutzbarmachung einer nicht länger
entfremdeten Geschichte sowohl für die Gesellschaft im allgemeinen als auch das
Individuum beruht.
"
(S. 567f)
| [Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft] |
"
Für Marx kann also die historische Bewegung des Kapitalismus, die durch
gesellschaftliche Konflikte vorangetrieben wird und durch die Dialektik von
Arbeit und Zeit strukturiert ist, im Sinne der Entwicklung der
gesellschaftlichen Teilung der Zeit ausgedrückt werden, woraus die Möglichkeit
folgt, daß die gesellschaftliche Bedeutung von Zeit transformiert wird: »Es ist
dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time [verfügbare
Zeit] das Maß des Reichtums.« (MEW 42, 604)
"
(S. 568)
| [Wandel der Gesellschaftlichen Bedeutung der Zeit] |
9.2.6 Das Reich der Notwendigkeit(» K)
"
Im dritten Band des Kapitals scheint es jedoch, als ob Marx behaupte, daß
selbst
nach der Aufhebung des Kapitalismus eine solche zeitliche Bestimmung von
Reichtum beibehalten würde:
Zweitens bleibt, nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise, aber mit Beibehaltung gesellschaftlicher Produktion, die Wertbestimmung vorherrschend in dem Sinn, daß die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die verschiednen Produktionsgruppen, endlich die Buchführung hierüber, wesentlicher denn je wird. (MEW 25, 859) " (S. 569) | [Proportionale Verteilung der Arbeitszeit] |
{ In der Tat ist diese Marsche Stelle zentral und deutet die Wichtigkeit der Proportionalen Verteilung der Arbeitszeit an, welche solange als Ökonomie der Zeit die Zentrale Planung der Produktion bestimmt, solange die Ökonomie der Zeit nicht aufgehoben ist. Dies kann aber nach meiner Ansicht eine Folge der gewaltigen Steigerung der Arbeitsproduktivität sein, die der Kapitalismus vorbereitet und die auch M.P. als zentrales widerspruchstreibendes Moment benennt. (d.V.)}
{ Das glaube ich auch. Hier würde die Unterscheidung von Form und Inhalt des Wertes, bzw. von Wert als einer historischen Form, sehr hilfreich sein. Aber in seiner folgenden Unterscheidung muß man M.P. vollkommen zustimmen. (d.V.)}
"
Ich kann beginnen, diese Unterscheidung zu klären, indem ich mich der Stelle aus
den Grundrissen zuwende, wo er diese Frage nach der Rolle der Regulierung
der
Arbeitszeitverausgabung in einer postkapitalistischen Gesellschaft anspricht:
Ökonomie der Zeit, sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiednen Zweige der Produktion, bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion. Es wird sogar in viel höherem Grade Gesetz. Dies ist jedoch wesentlich verschieden vom Messen der Tauschwerte (Arbeiten oder Arbeitsprodukte) durch die Arbeitszeit. Die Arbeiten der Einzelnen in demselben Arbeitszweig, und die verschiednen Arten der Arbeit, sind nicht nur quantitativ sondern qualitativ verschieden. Was setzt der nur quantitavie Unterschied von Dingen voraus? Die Dieselbigkeit ihrer Qualität. Also das quantitative Messen der Arbeiten die Ebenbürtigkeit, die Dieselbigkeit ihrer Qualität. (MEW 42, 105) " [Herv. v. P.H.] (S. 569) | [Ökonomie der Zeit und Wert] |
"
Die Marxsche Aussage, daß Erwägungen zur Arbeitszeit in einer
postkapitalistischen Gesellschaft weiterhin von Bedeutung wären, bedeutet
deshalb nicht, daß die Form des Reichtums zeitliche statt stoffliche Form hätte.
Im Gegenteil ist sie ein anderes Beispiel für seine These, daß das, was
historisch in entfremdeter Form konstituiert wurde und die Menschen beherrscht
in diesem Fall die Ökonomie der Zeit - von den Menschen zu ihrem Nutzen
transformiert und kontrolliert werden könnte, wenn der durch Arbeit
konstituierte Vermittlungsmodus abgeschafft wäre. Obige Zitate widersprechen
also nicht meiner Auffassung, daß die Unterscheidung zwischen Wert und
stofflichem Reichtum sowie die Vorstellung, daß die Aufhebung des Kapitalismus
die Abschaffung der bisherigen Form von Reichtums und ihre Ersetzung durch
stofflichen Reichtum erfordert, im Mittelpunkt der Marxschen kritischen
Analyse stehen.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 570)
| [Transformation und Konktrolle der Ökonomie der Zeit] |
{
| [Zusammenhang stofflicher - zeitlicher Reichtum im Kommunismus] |
"
Im dritten Band des Kapitals, einige Seiten vor der oben zitierten
Passage merkt Marx an:
Sodann aber hängt es von der Produktivität der Arbeit ab, wieviel Gebrauchswert in bestimmter Zeit, also auch in bestimmter Mehrarbeitszeit hergestellt wird. Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.(MEW 25, 828) Dieses Zitat zeigt deutlich, daß Marx davon ausging, daß die Form des Reichtums in einer postkapitalistischen Gesellschaft stofflicher Reichtum sein würde. Zwar bliebe eine Ökonomie der Zeit von Bedeutung, würde aber vermutlich beschreibenden Charakter haben. Die Unterschiede zwischen einer solchen sozioökonomischen Ordnung und einer Ordnung, in der zeitliche Formen des Reichtums vorherrschen, wären beträchtlich. " [Herv. v. P.H.] (S. 570f) | [Vermutlich beschreibender Charakter der Ökonomie der Zeit] |
"
In der postkapitalistischen Gesellschaft, so sie als eine bestimmte Möglichkeit
durch den Entwicklungsverlauf des Kapitals konstituiert wird, könnten
Steigerungen gesellschaftlichen Reichtums Steigerungen der Produktivität direkt
proportional sein folglich könnte die Beziehung zwischen Erwägungen zur
Verausgabung von Zeit und solchen zur Produktion von Reichtum eine wesentlich
andere sein als dort, wo der Wert die gesellschaftliche Form des Reichtums ist.
"
(S. 571)
| [Parallelität gesell. Reichtum und Produktivität] |
"
Die Marxsche Vorstellung von einer möglichen postkapitalistischen Ökonomie der
Zeit und seine Analyse des Kapitalismus als einer zeitlichen Form des Reichtums
sind deshalb nicht identisch und sollten unterschieden werden.
"
(S. 571f)
| [Postkapitalistische Ökonomie der Zeit] |
"
Genauso wie man in der späten Marxschen Theorie zwischen einer Ökonomie der Zeit
und der Herrschaft von Zeit unterscheiden muß, muß man auch bei der Betrachtung
des Verhältnisses von Arbeit zur gesellschaftlichen Notwendigkeit zwischen
transhistorischer, gesellschaftlicher Notwendigkeit und historisch bestimmter,
gesellschaftlicher Notwendigkeit unterscheiden.
"
(S. 572)
| [Unterschied Ökonomie der Zeit//Herrschaft von Zeit] |
{ Menschen beherrschen Menschen, die Zeit ist kein Subjekt, sonst beherrscht die Natur uns auch mit der Schwerkraft. (d.V.)}
"
Ein Beispiel für erstere Art von Notwendigkeit ist für Marx, daß irgendeine Form
konkreter Arbeit, wie auch immer bestimmt, notwendig ist, um den Stoffwechsel
zwischen Mensch und Natur und folglich die Aufrechterhaltung menschlichen
gesellschaftlichen Lebens zu vermitteln. Eine solche Tätigkeit ist nach Marx
eine notwendige Bedingung der menschlichen Existenz in allen
Gesellschaftsformen. (MEW 23, 57)
"
(S. 572)
| [Transhistorische Notwendigkeit] |
"
Die der Marxschen Auffassung implizite andere Art von Notwendigkeit bezieht
sich, folgt man meiner Interpretation, auf die verschiedenen abstrakten,
unpersönlichen Zwänge, die durch die objektivierten, entfremdeten Formen
gesellschaftlicher Beziehungen - letztlich konstituiert durch die Arbeit als
einer gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit - ausgeübt werden.
"
(S. 572)
| [Historisch-kapitalistische Notwendigkeit] |
{ Hier ist die bewußte gesellschaftliche Planung und Regelung einerseits und die Rationalität und der geringste Aufwand, mithin die Ökonomie der Zeit und der Mittel angesprochen, als Inhalt der Ökonomie, deren Zwang man nur mit hoher Arbeitsproduktivität , Kooperation,... also Entwicklung der Produktivkräfte graduell überwinden kann. (d.V.)}
"
Dieses Zitat bezieht sich auf zwei verschiedene Arten von Freiheit -auf die
Freiheit von der transhistorischen gesellschaftlichen Notwendigkeit und auf die
von der historisch bestimmten gesellschaftlichen Notwendigkeit. Das »wahre Reich
der Freiheit« bezieht sich auf die erste Form von Freiheit. Freiheit von
jeglicher Form von Notwendigkeit muß notwendigerweise außerhalb der
Produktionssphäre beginnen. Es kann jedoch Marx zufolge auch eine Form von
Freiheit innerhalb dieser Sphäre geben: die assoziierten Produzenten können ihre
Arbeit beherrschen, statt von ihr beherrscht zu werden. Im Sinne des bisher von
mir Entwickelten dürfte klar sein, daß Marx sich hier nicht auf die Beherrschung
über die Produktion in einem engeren Sinne bezieht, sondern auf die
Transformation der Struktur der gesellschaftlichen Produktion und die
Abschaffung der abstrakten Formen von Herrschaft, die in der warenförmigen
Arbeit ihre Ursache haben - das heißt auf die Abschaffung historisch
bestimmter gesellschaftlicher Notwendigkeit. Wir haben gesehen, daß für Marx
die Aufhebung der Wertförmigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse die Aufhebung
entfremdeter gesellschaftlicher Notwendigkeit bedeuten würde.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 573f)
| [Abschaffung histor. spezifischer Notwendigkeit] |
{ Hier wird er stark. (d.V.)}
"
Mit dem Ausdruck >historische Freiheit< läßt sich die Marxsche Auffassung
einer
Gesellschaft charakterisieren, in der die Menschen frei sind von fremder
gesellschaftlicher Herrschaft -sei ihre Form persönlich oder abstrakt-, und in
der es für die assoziierten Individuen möglich wäre, ihre eigene Geschichte zu
machen.
"
(S. 574)
| [Historische Freiheit] |
"
Jedoch bringt sie nicht die Freiheit von jeglicher Art von Notwendigkeit auf
einer gesamtgesellschaftlichen Ebene mit sich und kann es auch nicht:
Gesellschaft kann für Marx nicht auf absoluter Freiheit beruhen. Eine
verbleibende Einschränkung ist die Natur. Obwohl die Arbeit der Individuen nicht
notwendigerweise Mittel zum Erwerb von Konsummitteln sein muß, ist irgendeine
gesellschaftliche Form der Produktion notwendige Vorbedingnng der menschlichen
gesellschaftlichen Existenz. Form und Umfang dieser transhistorischen,
>natürlichen<, gesellschaftlichen Notwendigkeit können historisch
modifiziert
werden, die Notwendigkeit selbst läßt sich jedoch nicht abschaffen.
... Die transhistorische Notwendigkeit hat ihren Grund im menschlichen Leben selbst, in dem Umstand, daß Menschen Teil der Natur sind - wenn auch nur mittelbar, insofern sie ihren >Stoffwechsel< mit der Natur durch Arbeit regeln. " (S. 573) | [Transhistorische Notwendigkeiten] |
"
Diese Abschaffung würde die Abschaffung der Notwendigkeit zur ständigen
Steigerung der Produktivität in der oben erläuterten Form mit sich bringen und
würde eine andere Arbeitsstruktur ermöglichen sowie einen höheren Grad der
Kontrolle der Menschen über ihr Leben und ein bewußter gestaltetes Verhältnis zu
ihrer natürlichen Umgebung. Die Marxsche Auffassung, daß eine gewisse Form
von
Arbeit eine transhistorische, gesellschaftliche Notwendigkeit ist, stellt
eine
Kritik an der Auffassung dar, die auf absolute Freiheit zielt; ist eine Kritik,
die auf der Anerkennung der Gebundenheit der Menschen an die Natur, deren
vermittelter Teil sie sind, beruht. Sie unterstellt, daß das Erreichen
historischer Freiheit auch einen bewußt geregelten Stoffwechselprozeß mit der
Natur, sowie ein Verhältnis zur Natur ermöglichen würde, das weder
im Sinne einer romantisierenden >Harmonie<, die als Unterordnung der
Menschheit unter die blinden Kräfte der Natur zu verstehen wäre, noch als eine
>Freiheit<, die die blinde Unterwerfung der Natur bedeuten würde,
aufgefaßt wird.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 576f)
| [Bestimmte Form v. Arbeit als transhistorische Notwendigkeit] |
10. Abschließende Betrachtungen(» K)
"
Diese erneuerte Interpretation der Marxschen Analyse ermöglicht, mit anderen
Worten, eine Kritik des traditionellen Marxismus, die zugleich eine andere
kritische Theorie des Kapitalismus darstellt. Und sie transformiert die Bezüge
zwischen Marxscher Theorie und anderen Gesellschaftstheorien.
"
(S. 578)
| [Kritik am traditionellen Marxismus] |
"
Wir haben gesehen, daß dessen Analyse des historisch einzigartigen Charakters
der Arbeit als einer gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit im
Kapitalismus
für seine Untersuchung der diese Gesellschaft charakterisierenden Verhältnisse
und Subjektivitätsformen zentral ist. Nach Marx konstituiert die Doppelfunktion
der Arbeit im Kapitalismus als abstrakte Arbeit und als konkrete Arbeit -als
einer Tätigkeit, die die Verhältnisse der Menschen untereinander und mit der
Natur vermittelt - die grundlegende strukturierende Form des gesellschaftlichen
Lebens im Kapitalismus: die Ware. Für ihn ist die Ware eine gesellschaftlich
konstituierte Form und zugleich die konstituierende Form gesellschaftlicher
Praxis - sowohl auf >subjektiver< als auch
>objektiver< Ebene.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 579f)
| [Nur im Kap. Arbeit als gesell. vermittelnde Tätigkeit - strukturierende Form auf subj. und obj. Ebene] |
"
Meine Untersuchung hat gezeigt, daß Marx die grundlegenden Züge der
kapitalistischen Gesellschaft ausgehend vom Doppelcharakter der Warenförmigkeit
gesellschaftlicher Vermittlung rekonstruiert. Seine kategoriale Analyse
charakterisiert das moderne gesellschaftliche Leben hinsichtlich mehrerer heraus
ragender Merkmale, die sie in Beziehung zueinander setzt und gesellschaftlich
begründet. Zu diesen Merkmalen gehören der quasi-objektive,
>notwendige<
Charakter gesellschaftlicher Herrschaft - das heißt das unpersönliche,
abstrakte
und alles durchdringende Wesen einer Form von Macht, die persönlich-real oder
institutionell-konkret nicht lokalisiert werden kann -, die ununterbrochene
richtungsgebundene Dynamik der modernen Gesellschaft und ihrer durch
Arbeit vermittelten Formen sowohl der Interdependenz wie der individuellen
materiellen Reproduktion.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 580)
| [Charakteristische Merkmale des Kapitalismus] |
"
Die historische Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft ist für Marx
gesellschaftlich konstituiert, nicht-linear und nicht-evolutionär. Sie ist weder
kontingent beziehungsweise willkürlich, wie dies für historische Veränderungen
in anderen Gesellschaftsformen der Fall gewesen sein mag, noch handelt es sich
um eine transhistorisch evolutionäre oder dialektische Entwicklung. Vielmehr
haben wir es mit einer historisch spezifischen dialektischen Entwicklung zu tun,
die ihren Ursprung in besonderen und kontingenten historischen Umständen hat,
dann aber einen abstrakt universellen und notwendigen Charakter annimmt.
... Es ist für unsere Zwecke wichtig, daran zu erinnern, daß die Dialektik von Transformation und Rekonstitution in der Marxschen Analyse letztlich im Unterschied zwischen Wert und stofflichem Reichtum gründet, also im Doppelcharakter der konstituierenden gesellschaftlichen Vermittlung des Kapitalismus. Mag der Markt auch das Mittel zur Verallgemeinerung dieser Dialektik im bürgerlichen Kapitalismus sein, so kann die Dialektik selbst nicht hinreichend aus den bürgerlichen Distributionsverhältnissen abgeleitet werden. " (S. 582) | [Charakter kapitalistischer Entwicklung] |
"
In der Marxschen Analyse konstituiert also der Doppelcharakter der Arbeit und
nicht etwa der Markt und das Privateigentum an Produktionsmitteln den Kern des
Kapitalismus.
"
(S. 582)
| [Nicht PE an PM konsittuiert den Kapitalismus] |
"
Wie ich aber gezeigt habe, enthält die Marxsche Theorie auch eine Kritik des
Charakters der Form des Wirtschaftswachstums im Kapitalismus sowie des
Charakters des Entwicklungsverlaufs des kapitalistischen Produktionsprozesses,
also des ihm inhärenten Gegensatzes zwischen objektiviertem allgemeinem,
gesellschaftlichen Wissen und lebendiger Arbeit. Diese Kritik, die auch eine
Kritik des quasi-objektiven und richtungsgebundenen dynamischen Charakters
gesellschaftlichen Zwangs im Kapitalismus und der Strukturierung des
Gesellschaftszusammenhanges im Sinne eines Gegensatzes zwischen abstrakten und
konkreten Dimensionen ist, basiert letztlich auf der Marxschen kritischen
Analyse des Doppelcharakters der Arbeit im Kapitalismus. Sie unterscheidet sich
grundlegend von einer Kritik des Kapitalismus vom Standpunkt der transhistorisch
verstandenen >Arbeit<.
"
(S. 583)
| [Entwicklungsverlauf des Kapitalismus] |
"
Darüber hinaus behandelt die Marxsche Analyse des Kapitals das Konzept der
Totalität auf eine Weise, die im Widerspruch steht sowohl zum traditionellen
Marxismus als auch zu zahlreichen aktuellen Kritiken am Marxismus. Wir haben
gesehen, daß die Marxsche Theorie das Kapital als gesellschaftliche Totalität
analysiert, als entfremdete Form, die letztlich konstituiert wird von der durch
Arbeit vermittelten Form gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie enthält somit eine
Kritik der gesellschaftlichen Totalität. Die Totalität wird von ihr nicht in der
Manier des traditionellen Marxismus affirmiert als das im Sozialismus zu
Verwirklichende; das also existiert, sobald der Partikularismus der bürgerlichen
Gesellschaft erst überwunden ist.
"
(S. 583)
| [Totalität des Kapitalismus als entfremdete] |
"
Die Unterschiede zwischen der Marxschen Kritik und dem traditionellen Marxismus
sind also erheblich. Tatsächlich sind die beiden in vielerlei Hinsicht
entgegengesetzt: viel von dem, was letzterer affirmiert, wird von Marx
kritisiert. So haben wir gesehen, daß die Marxsche Theorie nicht die - durch
Privateigentum und Markt strukturierten- Klassenverhältnisse als die
den
Kapitalismus grundlegenden Verhältnisse erachtet. Ähnlich besteht die kritische
Stoßrichtung der Kategorien von Wert und Mehrwert nicht einfach darin, eine
Theorie der Ausbeutung zu begründen. Weder affirmiert die Marxsche Theorie den
kapitalistischen Produktionsprozeß, um die kapitalistischen Distributionsmuster
zu kritisieren, noch impliziert sie, das Proletariat sei das revolutionäre
Subjekt, das sich in einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft selbst
verwirklichen werde. Für Marx ist der innere Widerspruch der kapitalistischen
Gesellschaft weder ein struktureller - zwischen kapitalistischen Verhältnissen
und Industrieproduktion -noch ein soziologischer - zwischen
Kapitalistenklasse
und Arbeiterklasse-; wobei die jeweils an zweiter Stelle genannten ihrem
Wesen
nach als vom Kapitalismus unabhängig, auf eine mögliche sozialistische Zukunft
verweisend, gesehen würden. Allgemeiner gefaßt: Marx behauptet nicht, daß Arbeit
das transhistorische Strukturprinzip des gesellschaftlichen Lebens sei;
er
begreift die Konstitution gesellschaftlichen Lebens nicht als eine durch
(konkrete) Arbeit vermittelte Subjekt-Objekt-Dialektik. Sie liefert
keine
transhistorische Theorie der Arbeit, der Klasse, der Geschichte oder des
Wesens
des gesellschaftlichen Lebens selbst.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 583)
| [Unterschiede zum traditionellen Marxismus] |
{ Traditioneller Marxismus ist doch wirklich sehr weit gefaßt. Ontologie des gesellschaftlichen Seins (Luká) oder auch die Formung der Gesellschaft durch die jeweilige Form der Arbeit wäre zu bedenken. M.P.'s Kritik vereinseitig, wo sie differenzieren sollte. (d.V.)}
"
Wir haben gesehen, daß Arbeit im Kapitalismus - weit davon entfernt der
Standpunkt der Marxschen Kritik zu sein - deren Gegenstand ist. In
seiner späten
Theorie ist die Kritik der Ausbeutung und des Marktes eingebettet in eine
weitaus grundsätzlichere Kritik: in die der konstituierenden Zentralität der
Arbeit im Kapitalismus als letzter Grund für die abstrakten
Herrschaftsstrukturen, die der zunehmenden Fragmentierung der individuellen
Arbeit ...
"
(S. 584)
| [Nicht auf dem Standpunkt der Arbeit] |
"
Diese Kritik analysiert die Arbeiterklasse vielmehr als integralen Bestandteil
des Kapitalismus, und nicht als Verkörperung seiner Negation. Indem sie die
Aufhebung des Werts als möglich aufzeigt, zielt die Marxsche Kritik auf die
Aufhebung der für den Kapitalismus charakteristischen Strukturen abstrakten
Zwangs, die mögliche Abschaffung proletarischer Arbeit und die Möglichkeit einer
anderen Organisation der Produktion, wobei sie zugleich auf deren inneren
Zusammenhang verweist.
"
(S. 585)
| [Abschaffung der proletarischen Arbeit] |
"
Erinnern wir uns: die Ware wird nur dann totalisiert, wenn die Arbeitskraft zur
Ware geworden ist. Realisiert ist die logische Bestimmung der Arbeitskraft als
einer Ware historisch indes nur dann, wenn Arbeiter effektiv die Kontrolle über
diese Ware ausüben. Sie können das - folgt man der Marxschen Analyse nur als
kollektive Warenbesitzer; die Totalisierung des Werts erfordert kollektive
Organisationsformen.
Die Marxsche Analyse ist also nicht notwendig an den liberalen Kapitalismus gebunden, sondern impliziert vielmehr, daß die volle Entwicklung der kategorial erfaßten gesellschaftlichen Formen über dessen liberale Phase hinausweist. " (S. 586) | [Totalisierung der Ware] |
"
Ich habe auch gezeigt, daß Marx den Wert als gesellschaftliche Form begreift,
die nicht manifest ist, aber eine tiefenstrukturelle Ebene des modernen
gesellschaftlichen Lebens determiniert und hinter dem Rücken der
gesellschaftlichen Akteure wirkt. Wert ist nach Marx konstituierend für
Bewußtsein und Handlung und wird doch von den Menschen konstituiert - auch wenn
ihnen seine Existenz nicht bewußt ist. Sein Wirken braucht sich deshalb nicht
auf die unmittelbare Produktionssphäre, aus der er offenbar hervorgeht, zu
beschränken.
"
(S. 587)
| [Wert als strukturierend für Bewußtsein und Handeln] |
"
Dieses Verständnis des widersprüchlichen Charakters des Kapitalismus ermöglicht
die Unterscheidung zwischen drei Hauptformen gesellschaftlich konstituierter
Kritik und Opposition im Kapitalismus. Die erste beruht auf dem, was Menschen
als traditionelle Formen betrachten, und richtet sich gegen die Zerstörung
dieser Formen durch den Kapitalismus. Die zweite gründet sich auf die Kluft
zwischen den Idealen der modernen kapitalistischen Gesellschaft und deren
Wirklichkeit.
... Meine Interpretation stellt eine dritte Hauptform von Kritik und möglicher Opposition dar - eine, die auf der wachsenden Kluft zwischen den durch den Kapitalismus geschaffenen Möglichkeiten und seiner Wirklichkeit basiert. Damit könnte für eine Analyse der neuen sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte eine fruchtbare Grundlage geschaffen sein. " (S. 195) | [Drei Hauptformen der Kritik] |
"
In ihrer hier vorgelegten Form beinhaltet die Marxsche Kritik auch einen Zugang
zur Frage nach den Bedingungen von Demokratie in
einer postkapitalistischen Gesellschaft, die ich an dieser Stelle allerdings nur
streifen kann. Sie liefert jedenfalls die Basis für eine Analyse der
gesellschaftlichen Grenzen der Demokratie in der kapitalistischen Gesellschaft,
die über die traditionelle Kritik an der Kluft zwischen formaler politischer
Gleichheit und konkreter sozialer Ungleichheit hinaus geht. Die traditionelle
Position besagt, daß die Minimierung der riesigen Disparitäten von Reichtum und
Macht, die in den kapitalistischen Distributionsverhältnissen ihren Grund haben,
eine notwendige gesellschaftliche Bedingung für die Realisierung eines
demokratischen politischen Systems im wirklichen Sinne sei.
"
(S. 590f)
| [Postkapitalistische Demokratie] |
"
Anders als viele traditionelle Interpretationen hat diese Auffassung der
gesellschaftlichen Bedingungen für demokratische Selbstbestimmung nicht
unbedingt etatistische Implikationen. Wir haben gesehen, daß für Marx die
fundamentalen Produktionsverhältnisse des Kapitalismus nicht mit Markt und
Privateigentum gleichzusetzen sind. Folglich würde die Ersetzung von Markt und
Privateigentums durch den Staat nicht die Aufhebung von Wert und Kapital
bedeuten. Tatsächlich läßt sich der Begriff >Staatskapitalismus< - wie ihn
Pollock verwendete, ohne ihn begründen zu können - rechtfertigen, wenn es darum
geht, eine Gesellschaft zu beschreiben, in der kapitalistische
Produktionsverhältnisse weiterhin existieren, während bürgerliche
Distributionsverhältnisse durch einen staatsbürokratischen Verwaltungsmodus
ersetzt worden sind, der den im Kapital angelegten Zwängen und Einschränkungen
unterworfen bleibt.
"
(S. 592)
| [Nicht notwendig Staatsform - Pollock] |
"
Diese Frage ist bisher durchweg auf der Basis der traditionellen Interpretation
diskutiert worden, das heißt so, als seien ihre Kategorien transhistorische
Kategorien einer Gesellschaftskritik vom Standpunkt der >Arbeit< und nicht
die einer Kritik der politischen Ökonomie. So haben beispielsweise
Diskussionen zur Gültigkeit der Marxschen >Arbeitswerttheorie< diese in
den meisten Fällen als
eine auf einer transhistorischen Auffassung von >Arbeit< beruhende Preis-
oder Ausbeutungstheorie betrachtet. Sie haben dabei Unterscheidungen, die, wie
ich gezeigt habe, für Marx fundamental sind wie die zwischen Wert und
stoftlichem
Reichtum, abstrakter Arbeit und konkreter Arbeit - eingeebnet.(4) Die Frage nach
der Gültigkeit einer transhistorischen >Arbeitstheorie des gesellschaftlichen
Reichtums< ist jedoch eine völlig andere als die nach der Angemessenheit
einer historisch spezifischen >Arbeitswerttheorie<. Die Frage nach der
Gültigkeit
historisch spezifischer, dynamischer und an eine bestimmte Zeit gebundener
Kategorien ist gänzlich verschieden von der nach der Gültigkeit vermeintlich
transhistorischer Kategorien.
"
(S. 593f)
| [Traditioneller Marxismus - transhistorische Arbeit] |
{ Aber gibt es transhistorische Inhalte, zb bezogen auf menschliche Gesellschaft? Darum drückt er sich hier diskret, wiewohl er dies an anderer Stelle bejahen muß, wenn es um Arbeit als Stoffwechsel mit der Natur geht. Dann sind nähmlich deren Bestimmungen auf bestimmte Weise transhistorisch - gebunden an die Notwendigkeit dieses Stoffwechsels und seiner Rolle bei der Bewußtseinsbildung als gesellschaftliche Praxis der Individuen. (d.V.)}
"
Diese Merkmale umfassen die quasi-objektive und dynamische Natur der
gesellschaftlichen Notwendigkeit im Kapitalismus, das Wesen und den
Entwicklungsverlauf der Industrieproduktion und -arbeit, das spezifische
ökonomische Wachstumsmuster und die besondere, für den Kapitalismus
charakteristische Form der Ausbeutung (sowie die sich ändernden Formen von
Subjektivität).
"
(S. 594)
| [Quasi-objektive Dynamik und Ausbeutung] |
"
Ein wichtiges, noch offenes theoretisches Problem ist das Verhältnis zwischen
Struktur und Handlung. Bei meiner Untersuchung der Dialektik von Transformation
und Rekonstitution im Zentrum der Marxschen Analyse des Kapitals führte ich aus,
daß die Dialektik, so wie sie dort dargestellt wird, nur die zugrundeliegende
strukturelle Logik der Dynamik erfaßt.
"
(S. 595)
| [Zusammenhang Struktur - Handlung] |
"
Die Marxsche Analyse unterstellt, daß auch dann ein systematisches Verhältnis
zwischen den Strukturformen der kapitalistischen Gesellschaft und den
gesellschaftlichen Handlungen besteht, wenn den gesellschaftlich Handelnden
diese Formen nicht bewußt sind. Was beide miteinander vermittelt ist, daß die
zugrundeliegenden gesellschaftlichen Formen (zum Beispiel der Mehrwert)
notwendigerweise in manifesten Formen erscheinen (zum Beispiel als Profit), die
sie zugleich ausdrucken und verschleiern - und als Handlungsgrundlage dienen.
Wie bereits bemerkt würde eine eingehendere Diskussion dieses Problems bedeuten,
das Verhältnis der Marxschen Analyse zwischen dem ersten und dritten Band des
Kapitals zu untersuchen. Und zu fragen wäre auch, ob Menschen, die auf
der
Grundlage der Unmittelbarkeit der manifesten Formen handeln, das
rekonstituieren, was für Marx die grundliegenden gesellschaftlichen Formen des
Kapitalismus sind.
"
[Herv. v. P.H.] (S. 195)
| [Zugrundeliegende gesellschaftliche Formen für die Handlungen] |
"
Ich habe argumentiert, daß zwar die Marxsche Theorie des Werts - seine
Behauptung, daß trotz aller wissenschaftlichen Entwicklungen und ihrer
technischen Anwendungen gesellschaftlicher Reichtum im Kapitalismus eine
Funktion der Verausgabung von Arbeitszeit bleibt - auf den ersten Blick höchst
unplausibel wirkt, sie aber nur beurteilt werden kann in bezug auf das, was sie
zu erklären ersucht. Ich wollte zeigen, daß die Marxsche Werttheorie keine
Theorie der Konstitution und Aneignung transhistorischer Formen von Reichtum
ist, sondern Merkmale der kapitalistischen Gesellschaft - etwa das Wesen ihrer
historischen Dynamik und ihrer Produktionsweise - gesellschaftlich erklären
soll.
"
(S. 597)
| [Verausgabung von Arbeitszeit bleibt die Basis] |
"
Diese Frage kann auf einer bestimmten Ebene in bezug auf die Plausibilität der
Behauptung aufgeworfen werden, daß Kapitalismus und Sozialismus sich nicht nur
durch die Art und Weise unterscheiden, in der gesellschaftlicher Reichtum
angeeignet und verteilt wird, sondern auch durch das Wesen dieses Reichtums und
seiner Produktionsweise selbst.
"
(S. 598)
| [Unterschiedliches Wesen des Reichtums in Soz. und Kap.] |
"
Sozialismus kann folglich nicht als Gesellschaft mit einer unterschiedlichen
Aneignungs- und Distributionsweise derselben Form von gesellschaftlichem
Reichtum verstanden werden, die auf derselben Form der Produktion basiert,
sondern läßt sich begrifflich als eine Gesellschaft bestimmen, in der
gesellschaftlicher Reichtum die Form stofflichen Reichtums hat. Folglich kann er
als eine völlig andere Art von Gesellschaft aufgefaßt werden, als eine, die frei
ist von der Art gesellschaftlich konstituierter abstrakter Zwänge (in der Form
von sowohl abstrakter als auch historischer Zeit), wie sie für den Kapitalismus
charakteristisch sind. Dies wiederum schließt die Möglichkeit einer
technologisch fortgeschrittenen Produktionsweise und einer hochentwickelten
gesellschaftlichen Arbeitsteilung keineswegs aus, sondern wäre nur anders als im
Kapitalismus strukturiert.
"
(S. 598)
| [Andere Produktionsweise - Soz.] |
"
Zusammenfassend sollte bemerkt werden, daß die von mir vorgelegte Interpretation
nicht nur traditionelle marxistische Theorien infrage stellt, sondern auch für
die Gesellschaftstheorie im allgemeinen von Bedeutung ist. Ich habe die Marxsche
Theorie als selbstreflexive, historisch bestimmte Theorie vorgestellt, die sich
der historischen Besonderheit ihrer Kategorien ebenso bewußt ist, wie ihrer
eigenen theoretischen Form. Über ihre historische Bestimmtheit hinaus ist die
Marxsche Kritik eine Theorie gesellschaftlicher Konstitution der Konstitution
einer historisch bestimmten Form gesellschaftlicher Vermittlung, die im Kern der
kapitalistischen Gesellschaft liegt und für Formen gesellschaftlicher
Objektivität und Subjektivität konstitutiv ist durch eine bestimmte Form
gesellschaftlicher Praxis.
"
(S. 599)
| [Konstitution durch ein gesell. Praxisform] |
"
Auf der anderen Seite ist die Marxsche Theorie auch eine Gesellschaftstheorie
des Bewußtseins und der Subjektivität, die gesellschaftliche Objektivität und
Subjektivität ineinander verschränkt; sie begreift beide als bestimmte
Vermittlungsformen, als objektivierte Formen von Praxis. Doch selbst als eine
Gesellschaftstheorie des Bewußtseins ist sie historisch spezifisch: Aufgrund
ihrer Analyse der Besonderheit der Formen gesellschaftlicher Vermittlung
verweist die Marxsche Theorie darauf, daß Bewußtseinsinbalte ebenso wie die Form
der gesellschaftlichen Konstitution von Sinn im Kapitalismus
historisch spezifisch sind. Sie impliziert, daß Sinn nicht notwendigerweise in
allen Gesellschaften auf dieselbe Weise entsteht und stellt damit
transhistorische und transkulturelle Theorien der Konstitution von Sinn und
folglich der >Kultur< zur Disposition.
"
(S. 599f)
| [Marxsche Theorie auch als historische Subjektivitätstheorie] |
"
Was der Marxschen Theorie der gesellschaftlichen Konstitution ihre Stärke
verleiht ist eben ihre historische Bestimmtheit.
... Allgemeiner gesagt, steht Marx allen transhistorischen Theorien ebenso kritisch gegenüber wie allen Theorien, die Gesellschaftsstrukturen oder gesellschaftliche Praxisformen behandeln, ohne ihre wechselseitigen Beziehungen zu begreifen. " (S. 600) | [Marxsche Theorie als selbst historische Theorie] |