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Team Peter Heilbronn
Thema Exzerpt zu Abstrakte Zeit und Arbeit bei Moishe Postone ( excerpt )
Original
Autor Moishe Postone
Titel "Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft"
Quelle ca ira - Verlag Freiburg, 2003
Verweis [ Konspekt ] [ Struktur ] [ Kritik ] [ lokales Original ] [ Info »

Chris Arthur; Wildcat-Zirkular Nr. 18 - August 1995 - S. 37-41
Ingo Elbe 'Vergesellschaftung von Arbeit durch Arbeit'; rru
'Kritisiere: x Ware A = y Ware B'; Jungle World, Nummer 6 vom 28. Januar 2004
'Zur falschen Überwindung des "traditionellen Marxismus"', Phase 2 11/2004
Robert Schlosser 'Einwände eines Traditionsmarxisten'; trend 06/04
Robert Schlosser 'Über Ontologie und Kritik der Politischen Ökonomie'; trend 06/04
Norbert Trenkle 'Ein Frontalangriff'; Jungle World, Nummer 24 vom 02. Juni 2004
Karl Reitter 'Ein Popanz steht Kopf',Grundrisse 10
Postone 'Welchen Wert hat die Arbeit?', Vortrag am 18. Juli 2000 in Berlin, Jungle World

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Letzte Bearbeitung 06/2004
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I Kritik des traditionellen Marxismus
1 Überlegungen zur Marxschen Kapitalismuskritik
1.1 Einleitung
1.2 Die Krise des traditionellen Marxismus
1.3 Zur Rekonstuktion einer kritischen Theorie der modernen Gesellschaft
1.4 Die Grundrisse: Überlegungen zum Marxschen Verständnis des Kapitalismus und seiner Aufhebung
1.5 Der Wesenskern des Kapitalismus
1.6 Kapitalismus, Arbeit und Herrschaft
1.7 Der Widerspruch des Kapitalismus
1.8 Soziale Bewegungen, Subjektivität und historische Analyse
1.9 Einige Implikationen für die Gegenwart
2. Die Voraussetzungen des traditionellen Marxismus
2.1 Wert und Arbeit
2.2 Ricardo und Marx
2.3 >Arbeit<, Reichtum und gesellschaftliche Konstitution
2.4 Gesellschaftskritik vom Standpunkt der Arbeit
2.5 Arbeit und Totalität: Hegel und Marx
II Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Die Ware
4. Abstrakte Arbeit
4.1 Erfordernisse einer kategorialen Interpretation
4.2 Der historisch bestimmte Charakter der Marxschen Kritik
4.3 Historische Besonderheit: Wert und Preis
4.4 Historische Besonderheit und immanente Kritik
4.5 Abstrakte Arbeit
4.6 Abstrakte Arbeit und gesellschaftliche Vermittlung
4.7 Abstrakte Arbeit und Entfremdung
4.8 Abstrakte Arbeit und Fetisch
4.9 Gesellschaftliche Verhältnisse, Arbeit und Natur
4.10 Arbeit und instrumentelles Handeln
4.11 Abstrakte und substantielle Totalität
5. Abstrakte Zeit
5.1 Die Wertgröße
5.2 Abstrakte Zeit und gesellschaftliche Notwendigkeit
5.3 Wert und stofflicher Reichtum
5.4 Abstrakte Zeit
5.5 Formen gesellschaftlicher Vermittlung und des Bewußtseins
III Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Das Kapital
8. Die Dialektik von Arbeit und Zeit
8.1 Die immanente Dynamik
8.2 Abstrakte Zeit und historische Zeit
8.3 Die Dialektik von Transformation und Rekonstitution
9. Der Entwicklungsverlauf der Produktion
9.1 Mehrwert und >Wirtschaftswachstum<
9.2 Die Klassen und die Dynamik des Kapitalismus
9.3 Produktion und Verwertung
9.3.1 Kooperation
9.3.2 Manufaktur
9.3.2 Große Industrie
9.4 Substantielle Totalität
9.4.1 Kapital
9.4.2 Das Proletariat
9.2.3 Widerspruch und bestimmte Negation
9.2.4 Formen der Universalität
9.2.5 Die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Zeit
9.2.6 Das Reich der Notwendigkeit
10. Abschließende Betrachtungen

Kurzbeschreibung
Exzerpt und Konspekt sind eigentlich in Hinblick auf die qualitativen Probleme der Wertgröße und der Grundschemata der Kritischen Kritik ausgearbeitet, umfassten aber im Lauf der Bearbeitung das gesamte Werk.
Positiv hervozuheben ist Postone, weil er die Probleme von Wesen und Erscheinung, sowie der Totalität entgegen vielen anderen, explizit über Marx zentral stellt und entwickelt. Auch das Problem, die Wertgröße qualitativ zu fassen, nimmt er auf einzigartige Weise ins Visir, ohne allerdings auf die Vermittlungsbewegung real existenter Durchschnitte eingehen zu wollen. Aber immerhin bestimmt er die Wertgröße als mathematisch zu fassende.
Hervorragend ist die konsequente Gegenüberstellung der Reichtumsformen Wert und stofflichem Reichtum. Diese basiert nach ihm auf der Erkenntnis, dass Nur so versteht man den Widerspruch von konstanter Wertmenge und gigantisch wachsender Gebrauchswertmenge als stofflichem Reichtum, als Grundwiderspruch des Kapitalismus. Obwohl man seinen Zeitbegriff dabei sehr wohlmeinend interpretieren muss.
Bei ihm werden auch die Grenzen der Kritischen Kritik am deutlichsten, da er die Grenze virtuos zwischen transhistorischer Dialektik und Marxscher immanenter Dialektik als Ausdruck der widersprüchlichen Wesenheit des Kapitalismus zieht. Aber trotz dessen bleibt er in der Immanenz der Denkformen unter die von ihnen begriffenen gesellschaftlichen Verhältnisse stehen und fragt nicht nach allgemeinen Bewegungsgesetzen, lehnt diese strikt als metaphysisch ab, an statt dies als Aufhebung der Metaphysik aufzufassen.
Wesen und Erscheinung sind zwar objektive Kategorien, aber nur im Kapitalismus, da nur hier die Arbeit als Wesen der Gesellschaft gilt und sie als Vermittlung konstituiert. Somit ist die Dialektik selbst ein Kind des Kapitalismus auf Grund dessen Widersprüchlichkeit in seinem Wesen - der Arbeit - im Doppelcharakter. Sonst ist die Gesellschaft bestimmt durch eine transparente Beziehungsmatrix. Nicht die Klassen- oder Eigentumsverhältnisse sind das Bestimmende, sondern die Form der Arbeit.
Wenn Postone überall, wo er 'Arbeit' sagt und selbige im Kapitalismus meint, 'Lohnarbeit' sagen würde, dann wären seine Argumentationen größtenteils überflüssig, weil dann der Unterschied zwischen Form und Inhalt der Arbeit klar zutage treten würde. Ärgerlich ist, dass er, wie auch Heinrich, die richtige Kritik an den bürgerlichen Auffassungen rezitiert und sie als Kritik seines definierten "traditionellen Marxismus" ausgibt, aber gar keine wirkliche Auseinandersetzung mit diesem führt, sondern nur scheinbar, an der Oberfläche der eigenen Setzungen verbleibend.
So verbleibt er beim Betonen des historisch Spezifischen, Doppelcharakter der Arbeit, hebt dabei aber so manchen Schatz, gerade bezüglich der Erkenntnistheorie, Praxisform und Totalitätszugriff. Aber an der entscheidenden Stelle wird das transhistorische Argument des 'Kugelmannbriefes' herumgedreht.
Zu stellende kritische Fragen

I Kritik des traditionellen Marxismus(» K)

1 Überlegungen zur Marxschen Kapitalismuskritik(» K)

1.1 Einleitung(» K)

" In der vorliegenden Studie interpretiere ich die von Marx in seinem Spätwerk entwickelte kritische Theorie grundlegend neu, mit dem Ziel, das Wesen der kapitalistischen Gesellschaft adäquat zu erfassen. Meine Interpretation der von Marx analysierten gesellschaftlichen Verhältnisse und Herrschaftsformen des Kapitalismus erfordert es, die zentralen Kategorien seiner Kritik der politischen Ökonomie zu überdenken. ... Zum einen sollen sie das Wesen und die geschichtliche Entwicklung der modernen Gesellschaft bestimmen, zum anderen soll in ihnen die in den Sozialwissenschaften gängige Dichotomie von Struktur und Handlung - beziehungsweise objektiven Determinanten und subjektiver Interpretation - überwunden werden. " (S. 21)
 
[Reformulierung der Kategorien der Marxschen Theorie als kritischer Theorie]
" Im Bezug der Marxschen Theorie auf die aktuellen theoretischen Debatten wird nicht nur zu zeigen sein, inwieweit ihre Reformulierung für die Gegenwart relevant ist, sondern auch, daß mit ihr eine grundsätzliche Kritik sowohl der traditionellen marxistischen Theorien als auch des so genannten >real existierenden Sozialismus< formuliert werden kann. " (S. 21)
" Beispielsweise analysiere ich den Kapitalismus in erster Linie weder hinsichtlich der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel noch im Hinblick auf den Markt. Der Kapitalismus ist vielmehr als eine historisch spezifische Form gesellschaftlicher Interdependenz zu begreifen, die durch ihre unpersönliche und augenfällige Objektivität gekennzeichnet ist. Diese Interdependenz ergibt sich aus geschichtlich einzigartigen Formen gesellschaftlicher Verhältnisse, die zwar durch bestimmte Formen gesellschaftlicher Praxis konstituiert werden, sich aber gleichwohl von den Subjekten dieser Praxis verselbständigen. Im Ergebnis zeigt sich eine neue, zunehmend abstraktere Form gesellschaftlicher Herrschaft, die die Menschen unpersönlichen strukturellen Imperativen und Zwängen unterwirft. " (S. 21f)
 
[Das historisch Spezifische der Konstitution der Gesellschaft - abstrakte Herrschaft]
" Diese Interpretation versteht die Marxsche Kapitalismustheorie weniger als eine Theorie der Formen von Ausbeutung und Herrschaft innerhalb der modernen Gesellschaft, sondern als eine kritische Theorie der Moderne selbst. Modernität ist kein Entwicklungsstand, auf den hin alle Gesellschaften sich entwickeln würden, sondern eine spezifische Form gesellschaftlichen Lebens, die aus Westeuropa stammt und die sich zu einem komplexen globalen System entfaltet hat. " [Herv. v. P.H.] (S. 22)
" Es soll gezeigt werden, daß die Analyse der als grundlegend anzusehenden gesellschaftlichen Formen, die nach Marx den Kapitalismus strukturieren - Ware und Kapital -, einen hervorragenden Ausgangspunkt darstellt, um die systemischen Merkmale der Moderne gesellschaftlich begründen zu können: womit gleichzeitig gezeigt wäre, daß auch die moderne Gesellschaft fundamental transformiert werden kann. " (S. 22)
 
[Möglichkeit der Transformation]
" Meine Lesart der kritischen Theorie von Marx konzentriert sich auf seine Auffassung von der Stellung der Arbeit im gesellschaftlichen Leben, die gemeinhin als Kern seiner Theorie gilt. Ich behaupte, daß die Bedeutung der Kategorie Arbeit in seinem Spätwerk anders zu fassen ist als dies traditionell geschieht: in den späten Schriften ist Arbeit historisch spezifisch und nicht transhistorisch zu verstehen. Die Auffassung von Marx, daß Arbeit die gesellschaftliche Welt konstituiert und Quelle allen Reichtums ist, bezieht sich demnach in seiner späten Kritik nicht auf Gesellschaft im allgemeinen, sondern allein auf die kapitalistische beziehungsweise moderne Gesellschaft. Hinzu kommt - und dies ist entscheidend-, daß die Marxsche Analyse nicht die Arbeit im allgemeinen, transhistorischen Verständnis zum Gegenstand hat - als zielgerichtete gesellschaftliche Tätigkeit, die zwischen Mensch und Natur vermittelt und dabei spezifische Güter zur Befriedigung bestimmter menschlicher Bedürfnisse herstellt -, sondern die eigentümliche Rolle, die die Arbeit allein in der kapitalistischen Gesellschaft spielt. " [Herv. v. P.H.] (S. 22)
 
[Arbeit als historisch spezifisch - nicht transhistorische]
" Im Kapitalismus konstituiert Arbeit also eine historisch spezifische, quasi-objektive Form gesellschaftlicher Vermittlung, die der Marxschen Analyse zufolge die gesellschaftliche Ausgangsbasis bildet, aus der sich die Grundmuster der Moderne erschließen. " (S. 23)
 
[Arbeit als Form gesellschaftlicher Vermittlung]
" Die vorliegende Interpretation der Marxschen Kapitalismusanalyse baut auf diesem revidierten Verständnis des Arbeitsbegriffes auf. Sie stellt die historische Bedingtheit und die Kritik der Produktionsweise in ihr Zentrum und bereitet so die Grundlage für eine Untersuchung, die die moderne kapitalistische Gesellschaft als mit einer inneren, richtungsgebundenen Dynamik versehene Gesellschaft ausweisen kann, als eine, die ihre Struktur einer geschichtlich einmaligen Form gesellschaftlicher Vermittlung verdankt. Diese Vermittlung, obwohl gesellschaftlich konstituiert, ist von abstrakter, unpersönlicher und quasi-objektiver Natur. Ihre Form wird durch eine geschichtlich bestimmte gesellschaftliche Praxis (Arbeit im Kapitalismus) strukturiert und diese bestimmt ihrerseits die Handlungen, Weltanschauungen und Verhaltensdispositionen der Menschen. Diese Perspektive reformuliert die Frage nach der Beziehung zwischen kulturellem und materiellem Leben in die nach der Beziehung zwischen einer historisch spezifischen Form gesellschaftlicher Vermittlung und den Formen gesellschaftlicher >Objektivität< und >Subjektivität<. Diese Theorie gesellschaftlicher Vermittlung zielt auf die Aufhebung der klassischen theoretischen Dichotomie von Subjekt und Objekt, indem sie sie als geschichtlich entstandene ausweist. " (S. 24)
 
[Aufhebung der historischen Dichotomie: Subjekt - Objekt]
" Die Marxsche Theorie ist also nicht als eine universell anwendbare, sondern als eine für die kapitalistische Gesellschaft spezifische kritische Theorie zu verstehen. Sie analysiert die historische Bedingtheit des Kapitalismus und die Möglichkeit seiner Aufhebung mithilfe von Kategorien, die dessen besondere Formen von Arbeit, Reichtum und Zeit erfassen. " (S. 24)
 
[Marxsche Theorie ist selbst historisch bedingt (anwendbar)]
" Die Analyse der Beziehung von Theorie und Gesellschaft ist so beschaffen, daß sie sich auf erkenntnistheoretisch konsistente Weise selbst geschichtlich zu bestimmen vermag - und zwar mittels derselben Kategorien, in denen sie ihren Gegenstand, die Gesellschaft, analysiert. " (S. 25)
" ... einer Kritik des Kapitalismus vom Standpunkt der Arbeit auf der einen und einer Kritik der Arbeit im Kapitalismus auf der anderen Seite. Ersteres, das auf einem transhistorischen Verständnis von Arbeit beruht, unterstellt, daß zwischen den Bestimmungen, die das gesellschaftliche Leben des Kapitalismus kennzeichnen (zum Beispiel Markt und Privateigentum), und der gesellschaftlichen Sphäre, die durch Arbeit konstituiert wird, eine strukturelle Spannung existiert. Arbeit bildet hier die Grundlage der Kapitalismuskritik; sie stellt den Standpunkt dar, von dem aus kritisiert wird. " [Herv. v. P.H.] (S. 25)
" Dem zweiten Analyseverfahren dagegen gilt Arbeit im Kapitalismus als historisch spezifisch; sie konstituiere die wesentlichen Strukturen dieser Gesellschaft. Aus dieser Perspektive wird Arbeit daher zum Gegenstand der Kritik der kapitalistischen Gesellschaft. Dieser Analyse zufolge teilen die vorfindlichen Marxinterpretationen, ungeachtet ihrer Unterschiede im einzelnen, mehrere gemeinsame Prämissen des ersten Analyseverfahrens: diese Interpretationen bezeichne ich als >traditionell<. " [Herv. v. P.H.] (S. 25)
 
[Standpunkt der Arbeit - traditioneller Marxismus]
" Indem ich deren Voraussetzungen vor dem Hintergrund meiner Interpretation der Marxschen Theorie - als Kritik der Arbeit im Kapitalismus - untersuche, können nicht nur die Grenzen dieser traditionellen Analysen deutlich gemacht, sondern es kann auch eine kritische Theorie der kapitalistischen Gesellschaft formuliert werden, die ihrem Gegenstand eher gerecht wird. " [Herv. v. P.H.] (S. 25)
" Die Kritik der Arbeit zeigt beispielsweise, daß die den Kapitalismus kennzeichnenden gesellschaftlichen Verhältnisse und Herrschaftsformen nicht angemessen verstanden werden können, wenn sie als Klassenbeziehungen begriffen werden, die ihrerseits in den Eigentumsverhältnissen verankert seien und sich über den Markt vermitteln würden. Vielmehr stellt seine Analyse von Ware und Kapital - das heißt der quasi-objektiven Formen gesellschaftlicher Vermittlung, die, im Kapitalismus, von der Arbeit konstituiert werden - die Analyse der Basisbeziehungen dieser Gesellschaft dar " [Herv. v. P.H.] (S. 26)
" Weit davon entfernt, die Arbeit für das Prinzip gesellschaftlicher Konstitution und die Quelle des Reichtums in allen Gesellschaften zu halten, sieht die Marxsche Theorie die historische Einzigartigkeit des Kapitalismus gerade darin, daß seine grundlegenden gesellschaftlichen Beziehungen durch Arbeit konstituiert werden und sich daher letztlich von den Beziehungen in nicht-kapitalistischer Gesellschaften fundamental unterscheiden. Selbstverständlich ist die Marxsche Kapitalismusanalyse auch eine Kritik an Ausbeutung, gesellschaftlicher Ungleichheit und Klassenherrschaft, doch geht sie darüber weit hinaus: sie klärt das innere Gefüge der gesellschaftlichen Verhältnisse der modernen Gesellschaft und die ihnen innewohnende, abstrakte Form gesellschaftlicher Herrschaft - und zwar mittels einer Theorie, die die gesellschaftliche Konstitution dieser Herrschaft auf bestimmte, strukturierte Praxisformen gründet. " [Herv. v. P.H.] (S. 26)
 
[Arbeit ist NICHT Quelle des Reichtum in allen Gesellschaften]
" Indem der zentrale Gegenstand der Kapitalismuskritik in die Sphäre der Arbeit verlagert wird, führt diese Interpretation zu einer Kritik des industriellen Produktionsprozesses und somit zu einer Neufassung der grundlegenden Bestimmungen des Sozialismus und zu einer Neubewertung der politischen und gesellschaftlichen Rolle, die traditionsgemäß allein dem Proletariat bei der historischen Aufhebung des Kapitalismus zugesprochen wird. " (S. 27)
" Eine so gefaßte kritische Theorie könnte auch als Ausgangspunkt einer Analyse des >real existierenden Sozialismus< dienen, die diesen nicht als Gesellschaftsform auffaßt, die eine, wenngleich unvollkommene, historische Negation des Kapitalismus dargestellt hätte, sondern als alternative (und gescheiterte) Form der Kapitalakkumulation. " (S. 27)

1.2 Die Krise des traditionellen Marxismus(» K)

" Die Bezeichnung >traditioneller Marxismus< bezieht sich dabei nicht auf irgendeine besondere geschichtliche Tendenz innerhalb des Marxismus, sondern allgemein auf sämtliche Theorien, die den Kapitalismus vom Standpunkt der Arbeit aus analysieren und davon ausgehen, daß diese Gesellschaft durch Klassenbeziehungen, das Privateigentum an Produktionsmitteln und eine durch den Markt regulierte Wirtschaft ihrem Wesen nach bestimmt sei. Gemeint sind also alle Theorien, die die Herrschaftsverhältnisse vor allem als Klassenherrschaft und Ausbeutung verstehen. " [Herv. v. P.H.] (S. 27)
 
[Traditioneller Marxismus = Standpunkt der Arbeit mit Klassenbeziehnung, Privateigentum, Markt]
" Bekanntlich behauptete Marx, daß in der kapitalistischen Entwicklung ein strukturell angelegtes Spannungsverhältnis beziehungsweise ein Widerspruch besteht zwischen den den Kapitalismus bestimmenden gesellschaftlichen Verhältnissen und den >Produktivkräften<. Dieser Widerspruch wurde allgemein als Gegensatz zwischen Privateigentum und Markt auf der einen und industrieller Produktionsweise auf der anderen Seite interpretiert, wobei Privateigentum und Markt als genuin kapitalistisch, die industrielle Produktion dagegen als Basis einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft erachtet wurde.
...
Die historische Negation des Kapitalismus wird also vornehmlich in einer Gesellschaft als verwirklicht angesehen, in der die Beherrschung und Ausbeutung einer Klasse über eine andere überwunden sind. "
[Herv. v. P.H.] (S. 27f)
 
[Widerspruch: gesell. Verhältnisse//Produktivkräfte]
" Diese weit gefaßte und vorläufige Kennzeichnung des traditionellen Marxismus hat den Vorteil, den allgemeinen interpretatorischen Rahmen skizzieren zu können, den ein breites Spektrum von Theorien - ungeachtet dessen, daß sie sich unter anderen Gesichtspunkten voneinander erheblich unterscheiden - gemeinsam hat. " (S. 28)
" Die Marxsche Kategorie Arbeit wird dabei als zielgerichtete gesellschaftliche Tätigkeit verstanden, die zwischen Mensch und Natur vermittelt und dabei spezifische Güter produziert, um bestimmte menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Arbeit, so verstanden, ist der >Urgrund< allen gesellschaftlichen Lebens. Sie konstituiert die soziale Welt und ist Quelle allen gesellschaftlichen Reichtums. Doch diese Auffassung schreibt der gesellschaftlichen Arbeit als transhistorisch zu, was Marx als historisch spezifische Eigenschaften der Arbeit im Kapitalismus analysiert hat. " (S. 195)
" Reichtum immer und überall durch menschliche Arbeit geschaffen werde, und daß im Kapitalismus die Arbeit der bewußtlosen, >automatischen<, durch den Markt vermittelten Distributionsweise unterliege. (Sweezy 1970, 70f.; Dobb 1940, 70f.; Meek 1956, 155) Seine Mehrwerttheorie suche zu zeigen, daß - allem Anschein zum Trotz -das kapitalistische Mehrprodukt allein durch Arbeit erzeugt und von der Kapitalistenklasse angeeignet werde. In diesem allgemeinen Interpretationsrahmen kann dann die Kapitalismuskritik von Marx als eine Kritik der Ausbeutung vom Standpunkt der Arbeit ausgegeben werden. Sie entmystifiziere die kapitalistische Gesellschaft erstens durch die Enthüllung, daß die Arbeit die wahre Quelle allen gesellschaftlichen Reichtums darstelle, und zweitens durch den Beweis, daß diese Gesellschaft auf einem System der Ausbeutung beruhe. " (S. 28)
" Der Kapitalismus, als freier Markt strukturiert, ließ die Industrieproduktion entstehen, die die Menge des gesellschaftlich erzeugten Reichtums ungeheuer vermehrt. Unter kapitalistischen Bedingungen jedoch verdankt sich dieser Reichtum nach wie vor einem Ausbeutungsprozeß und wird auf zutiefst ungleiche Weise verteilt. Jedoch entfaltet sich zunehmend ein Widerspruch zwischen industrieller Produktion und den bestehenden Produktionsverhältnissen. " (S. 29)
 
[Traditionelle Auffassung = Arbeit schafft immer den gesell. Reichtum]
" Die historische Dynamik des Kapitalismus läßt jedoch nicht nur die älteren gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse anachronistisch werden, sondern in ihr entsteht auch die Möglichkeit einer neuen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie bringt die technischen, gesellschaftlichen und organisatorischen Voraussetzungen für die Abschaffung des Privateigentums hervor und schafft die Vorbedingungen für eine zentrale Planung - beispielsweise in der Zentralisation und Konzentration der Produktionsmittel, in der Trennung von Besitz und Management und in der Entstehung und Konzentration eines industriellen Proletariats. Diese Entwicklungen schaffen die geschichtliche Möglichkeit, Ausbeutung und Klassenherrschaft abschaffen und eine neue, gerechte und rational geregelte Verteilung organisieren zu können. Dieser Interpretation zufolge steht im Zentrum der Marxschen Kritik die Distributionsweise. " (S. 29f)
 
[Zentrale Planung nach Abschaffung des Privateigentums - Kritik nur der Distribution]
" Diese Analyse geht davon aus, daß die industrielle Produktion, einmal konstituiert, unabhängig vom Kapitalismus funktioniert und nicht in sich mit ihm verknüpft ist. Der von Marx dargestellte Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen wird, wenn er als strukturelle Spannung zwischen Industrieproduktion auf der einen, Privateigentum und Markt auf der anderen Seite verstanden wird, als Widerspruch zwischen Produktionsweise und Distributionsweise begriffen. Dementsprechend wird der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als eine Transformation der Distributionsweise (Privateigentum, Markt), nicht aber als eine der Produktionsweise angesehen. " (S. 30)
" Sozialismus wird als neue Form verstanden, dieselbe, vom Kapitalismus hervorgebrachte industrielle Produktionsweise politisch zu administrieren und ökonomisch zu regulieren; er wird gedacht als eine gesellschaftliche Form der Distribution, die nicht nur gerechter, sondern der Industrieproduktion auch adäquater sei. " (S. 31)
 
[Industrieproduktion ohne Kapital]
" Innerhalb dieses traditionellen Rahmens stellt die geschichtliche >Verwirklichung< der Arbeit ihre volle geschichtliche Entfaltung und ihre Durchsetzung als Basis des gesellschaftlichen Lebens und des Reichtums - die Grundbedingung allgemeiner sozialer Emanzipation dar. " (S. 31)
" Die Vision vom Sozialismus als geschichtlicher Verwirklichung der Arbeit ist auch in der Vorstellung enthalten, das Proletariat - die arbeitende Klasse, die mit der Industrieproduktion unauflöslich verbunden ist - werde im Sozialismus als universelle Klasse zu sich selbst kommen. Das bedeutet, daß der strukturelle Widerspruch des Kapitalismus auf einer anderen Ebene begriffen wird als Klassengegensatz zwischen den die Produktion besitzenden und kontrollierenden Kapitalisten, und dem Proletariat, das mit seiner Arbeit zwar den Reichtum der Gesellschaft (und den der Kapitalisten) schafft, jedoch gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen, um zu überleben. " (S. 31)
" Die Kapitalismuskritik vom Standpunkt der Arbeit ist eine Kritik, in der die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse (das Privateigentum) von einer universellen Position her als partikularistisch kritisiert werden: Was universell, was also wahrhaft gesellschaftlich ist, wird zwar allein durch Arbeit konstituiert, aber an seiner vollen Verwirklichung durch partikulare kapitalistische Verhältnisse gehindert. Die Vision von Emanzipation, die aus diesem Verständnis des Kapitalismus folgt, ist, wie wir sehen werden, eine totalisierende. " (S. 32)
" ...Rätekommunisten gegen Parteikommunisten; >wissenschaftliche< Theorien gegenüber denjenigen, die auf verschiedenen Wegen Marxismus und Psychoanalyse zu vereinigen oder eine kritische Theorie der Kultur oder des Alltagslebens zu entwickeln suchten. Dennoch blieben sie alle, so weit sie die oben ausgeführten Grundannahmen teilten, in den traditionellen Marxismus eingebunden. Wie prägnant auch immer die sozialen, politischen, historischen, kulturellen und ökonomischen Analysen waren, die auf diesem theoretischen Gerüst aufbauten, so sind doch dessen Grenzen angesichts der Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zunehmend deutlich geworden. " (S. 32)
 
[Unterschiede der Marxismen sind nicht grundsätzlich genug]
" Wenn die Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie nur auf eine sich selbst regulierende, über den Markt vermittelte Wirtschaft und auf die private Aneignung des Mehrprodukts Anwendung finden können, dann bedeutet die zunehmende Intervention des Staates, daß diese Kategorien immer weniger der gesellschaftlichen Realität entsprechen. Daraus folgt, daß die traditionelle Theorie immer weniger in der Lage ist, den postliberalen Kapitalismus geschichtlich zu kritisieren. " (S. 33)
 
[Staatsintervention - traditionelle Kritik greift nicht mehr]
" Die Schwächen des traditionellen Marxismus im Umgang mit der postliberalen Gesellschaft werden besonders deutlich, wenn es darum geht, den >real existierenden Sozialismus< systematisch zu analysieren. Nicht alle Varianten des traditionellen Marxismus sympathisierten mit den >real existierenden sozialistischen< Gesellschaften sowjetischen Typs. Allerdings erlaubt seine theoretische Perspektive von vornherein keine Kritik, die dieser Gesellschaftsform adäquat wäre. In ihrer traditionellen Auslegung sind die Marxschen Kategorien zur Formulierung einer Kritik staatlich regulierter und beherrschter Gesellschaften kaum zu gebrauchen. " (S. 33)
 
[Staatssozialismus - traditionelle Kritik greift nicht]
" So wurde die Sowjetunion oft als sozialistisch angesehen, weil Privateigentum und Markt abgeschafft waren. Fortdauernde Unfreiheit wurde repressiven bürokratischen Institutionen zugeschrieben. Dies unterstellt jedoch, daß es zwischen der sozioökonomischen und der politischen Sphäre keinen Zusammenhang gibt. Hier zeigt sich, daß die Kategorien der Marxschen Gesellschaftskritik (etwa der Wert), wenn sie allein auf den Markt und das Privateigentum bezogen werden, die Gründe für die fortdauernde oder zunehmende Unfreiheit im >real existierenden Sozialismus< nicht erfassen und demzufolge keine Basis für eine geschichtliche Kritik solcher Gesellschaften bereitstellen. Innerhalb dieses Theoriegerüstes ist der Zusammenhang zwischen Sozialismus und Freiheit aufgelöst. " (S. 33f)
" Überdies wurde vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung, die die Wissenschaften und die fortgeschrittenen Technologien für den Produktionsprozeß erlangt haben, die theoretische Grundlage seiner Gesellschaftskritik - die Behauptung also, menschliche Arbeit sei die gesellschaftliche Quelle allen Reichtums - kritisiert. Gescheitert ist der traditionelle Marxismus aber nicht nur daran, eine angemessene historische Analyse des >real existierenden Sozialismus< (und seines Zusammenbruchs) zu entwickeln, sondern auch, weil seine Kapitalismuskritik und seine emanzipatorischen Ideale sich mehr und mehr von den Inhalten und Ursachen der gegenwärtigen sozialen Unzufriedenheit in den entwickelten Industrieländern entfernen. " (S. 34)
 
[Arbeit hört auf Quelle allen Reichtums zu sein]
" In einer Zeit wachsender Kritik an einem so verstandenen >Fortschritt< und >Wachstum<, einer Zeit erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber ökologischen Problemen, weit verbreiteter Unzufriedenheit mit den bestehenden Arbeitsbedingungen, in Zeiten zunehmender Besorgnis um politische Freiheiten und der wachsenden Bedeutung nicht-klassengebundener sozialer Identitäten (Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit zum Beispiel) erscheint der traditionelle Marxismus zunehmend anachronistisch. " (S. 34f)
" Die gegenwärtige historische Situation kann als Transformation der modernen kapitalistischen Gesellschaft verstanden werden, die - sozial, politisch, ökonomisch und kulturell - so tief geht wie die Umwandlung des liberalen in den staatsinterventionistischen Kapitalismus. Wir scheinen zur Zeit in eine neue geschichtliche Phase des entwickelten Kapitalismus einzutreten. " [Herv. v. P.H.] (S. 35)
 
[Tiefgreifende Transformation des Kapitalismus]
" Zwei scheinbar gegensätzliche geschichtliche Tendenzen haben zu dieser Schwächung der zentralen Institutionen des staatsinterventionistischen Kapitalismus beigetragen: zum einen eine teilweise Dezentralisierung in Produktion und Politik sowie, damit einhergehend, das Auftauchen einer Vielzahl neuer gesellschaftlicher Gruppierungen, Organisationen, Bewegungen, Parteien und Subkulturen; zum anderen ein Globalisierungs- und Kapitalkonzentrationsprozeß, der sich auf einem neuen, sehr abstrakten Niveau bewegt - weit entfernt von unmittelbarer Erfahrung und, zumindest gegenwärtig, scheinbar jenseits einer wirksamen staatlichen Kontrolle. " (S. 35f)
 
[Globalisierung, Kapitalkonzentration,...]
" Diese Tendenzen sind nicht als linearer historischer Prozeß aufzufassen. Sie umfassen Entwicklungen, die deutlich den anachronistischen und inadäquaten Charakter der traditionellen Theorie zutage treten lassen.
...
Aus diesen Entwicklungen ergibt sich insgesamt, daß eine der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft angemessene kritische Analyse imstande sein muß, sowohl ihre signifikant neuen Dimensionen als auch ihre darunterliegende Kontinuität zu erfassen. "
(S. 36)
" Diese Orthodoxie kann häufig zeigen, daß Krisen und innerkapitalistische Konkurrenzkämpfe (trotz des Auftauchens des interventionistischen Staates) bleibende Merkmale des Kapitalismus darstellen. Aber sie erfaßt weder die qualitativen, geschichtlichen Veränderungen bezüglich der Zusammensetzung der oppositionellen gesellschaftlichen Gruppen noch die Veränderungen ihrer Bedürfnisse, ihrer Ziele und ihrer Bewußtseinsformen. Ebenso müßte eine angemessene Analyse die ebenso einseitige Tendenz vermeiden, nur diese Veränderungen anzusprechen - was dann der Fall ist, wenn entweder die >ökonomische Sphäre< ignoriert oder einfach angenommen wird, mit dem Aufkommen des interventionistischen Staates seien ökonomische Erwägungen weniger bedeutsam geworden. " (S. 36)
" Sein zunehmend anachronistischer Charakter und seine gravierenden Schwächen als emanzipatorische kritische Theorie sind dem traditionellen Marxismus wesenseigen. Letztlich wurzeln sie in seinem Unvermögen, den Kapitalismus adäquat erfassen zu können. " (S. 37)
 
[Zunehmend anachronistischer Charakter dem traditionellen Marxismus wesenseigen]
" So wie die weltweiten Wirtschaftskrisen der 1920er und 1930er Jahre die Grenzen der rnarktvermittelten ökonomischen >Selbststeuerung< enthüllten und die Mängel derjenigen Auffassungen aufzeigten, die den Kapitalismus mit liberalem Kapitalismus gleichsetzten, so warf die krisengeschüttelte Periode, die die Prosperitätsphase und die ökonomische Expansion der Nachkriegsära beendete, Licht auf die begrenzten Möglichkeiten des interventionistischen Staates, die Wirtschaft zu steuern. Damit wurden Auffassungen fragwürdig, die vom linearen Übergang einer liberalen hin zu einer staatszentrierten Phase der kapitalistischen Entwicklung ausgegangen waren. " (S. 37)
" Die Krise des staatsinterventionistischen Kapitalismus läßt darauf schließen, daß sich der Kapitalismus weiterhin dank einer quasi-autonomen Dynamik entwickelt. Diese Entwicklung verlangt eine kritische Revision derjenigen Theorien, die die Verdrängung des Marktes durch den Staat als das Verschwinden ökonomischer Krisen interpretiert hatten. Allerdings bleibt das Wesen des Kapitalismus, jenes dynamischen Prozesses, der sich, wieder einmal, offenkundig geltend gemacht hat, unklar. Es kann jedenfalls nicht mehr überzeugend behauptet werden, daß >Sozialismus< die Antwort auf die Probleme des Kapitalismus darstellt, wenn damit schlicht die Einführung zentraler Planung und staatlicher (oder auch öffentlicher) Verfügungsgewalt gemeint ist. " (S. 38)
 
[Krise des staatsinterventionistischen Kapitalismus - Krise des Marxismus]
" Grundsätzlicher noch ist sie Ausdruck einer tiefen Unsicherheit darüber, was das Wesen des Kapitalismus eigentlich ausmacht und was es heißen könnte, ihn zu überwinden. Ein großer Teil der Theoriemodelle der letzten Jahrzehnte (wie der Dogmatismus vieler Gruppen der Neuen Linken in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren, wie die rein politischen Kritiken, die danach auftauchten, und wie die vielen zeitgenössischen >postmodernen< Positionen) können als Ausdruck solcher Unsicherheit über das Wesen der kapitalistischen Gesellschaft verstanden werden - aber auch als Abkehr von jedem Versuch, sie überhaupt verstehen zu wollen. " (S. 38f)
" (Fußnote) Weit davon entfemt, den Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus zu demonstrieren, könnte der Kollaps des >real existierenden Sozialismus< als der Kollaps der rigidesten, verwundbarsten und repressivsten Form des staatsinterventionistischen Kapitalismus verstanden werden. " (S. 38)
" Dessen Schwächen sind nicht nur in seinen Schwierigkeiten mit dem >real existierenden Sozialismus< und in seinem Umgang mit der Unzufriedenheit und den Bedürfnissen, wie sie die neuen sozialen Bewegungen ausdrücken, deutlich geworden. Sondern auf einer noch tiefer liegenden Ebene ist klar geworden, daß sein theoretisches Paradigma das Wesen des Kapitalismus nur unzureichend zu erfassen vermag und weder eine angemessene Analyse der sich verändernden kapitalistischen Bedingungen erlaubt noch die kapitalistischen Grundstrukturen in einer Weise erfaßt, die auf die Möglichkeit ihrer geschichtlichen Transformation verweist. Die vom traditionellen Marxismus erstrebte Transformation jedenfalls ist als >Lösung< der Grundübel der modernen Gesellschaft nicht mehr plausibel. " (S. 39)
" Soll die moderne Gesellschaft als kapitalistisch und somit als fundamental veränderbar analysiert werden, so muß der innerste Kern des Kapitalismus begrifflich neu bestimmt werden. Auf dieser Grundlage könnte dann eine neue kritische Theorie des Wesens und des Entwicklungsverlaufs der modernen Gesellschaft formuliert werden - eine Theorie, die gesellschaftlich und geschichtlich die Ursachen für Unfreiheit und Entfremdung in der modernen Gesellschaft zu erfassen trachtet. Eine solche Analyse wäre aber auch ein Beitrag zur politischen Theorie der Demokratie. Die Geschichte des traditionellen Marxismus hat nur zu deutlich gezeigt, daß die Frage nach der politischen Freiheit für jede kritische Position im Zentrum stehen muß. Allerdings gilt nach wie vor, daß eine angemessene demokratische Theorie eine historische Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen von Freiheit voraussetzt und weder von einer abstrakt normativen Position aus formuliert werden kann noch von einer, die den Bereich des Politischen hypostasiert. " (S. 39)

1.3 Zur Rekonstuktion einer kritischen Theorie der modernen Gesellschaft(» K)

" Das neue Verständnis des Wesens der Marxschen kritischen Theorie, das hier entwickelt werden soll, stellt eine Antwort auf die geschichtliche Wandlung des Kapitalismus und die Schwächen des traditionellen Marxismus dar.(7) Die Neubewertung der in den späten Werken von Marx, vor allem des Kapitals, dargelegten Theorie ergab sich mir bei der Lektüre der Grundrisse - einer früheren Fassung seiner entwickelten Kritik der politischen Ökonomie. Diese Marxsche Theorie unterscheidet sich nicht nur vom traditionellen Marxismus, sie hat auch viel größere Aussagekraft und eine gewichtigere Bedeutung für die Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse. " (S. 40)
 
[Neue kritische Theorie gibt wesentliche Antworten]
" Meine Interpretation ist von Georg Lukács (vor allem dessen Werk Geschichte und Klassenbewußtsein) und einigen Mitgliedern der Frankfurter Schule beeinflußt worden, versteht sich aber zugleich als deren Kritik. " (S. 40)
" Statt dessen wird sie verstanden als Theorie der historischen Konstitution bestimmter, verdinglichter Formen sozialer Objektivität und Subjektivität. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie wird als Versuch gewertet, kritisch die kulturellen Formen und Gesellschaftsstrukturen der kapitalistischen Zivilisation zu analysieren.(8) Sie wird des weiteren als eine Theorie aufgefaßt, die die Beziehung zwischen Theorie und Gesellschaft selbstreflexiv zu begreifen vermag, das heißt als Versuch, ihren Kontext, die kapitalistische Gesellschaft, so zu analysieren, daß sie sich selbst geschichtlich zu bestimmen vermag, um so die Möglichkeit ihres eigenen Standpunkts zu begründen. " (S. 41)
" Ihrem allgemeinen Projekt, mittels einer selbstreflexiven Gesellschaftstheorie in emanzipatorischer Absicht eine umfassende und kohärente soziale, politische und kulturelle Kritik zu entwickeln, die der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft adäquat ist, gilt meine Sympathie. " (S. 41)
" Sie erkannten zwar die Unangemessenheit einer kritischen Theorie der Moderne, die den Kapitalismus einzig in Kategorien begreift, die dem 19. Jahrhundert entsprachen - also den Kategorien Markt und Privateigentum-, dennoch blieben auch sie an einige Voraussetzungen genau dieser Theorie gebunden, insbesondere an einen transhistorischen Arbeitsbegriff. Ihr programmatisches Ziel, ein dem 20. Jahrhundert angemessenes Verständnis des Kapitalismus zu entwickeln, konnte auf der Basis dieses Arbeitsbegriffes nicht eingelöst werden. " (S. 41)
" Obwohl die Marxsche Kapitalismusanalyse auch eine Kritik der Ausbeutung und der bürgerlichen Distributionsweise (Markt, Privateigentum) enthält, geht sie nach meiner Überzeugung nicht vom Standpunkt der Arbeit aus, sondern basiert vielmehr auf einer Kritik der Arbeit im Kapitalismus. Sie will die einzigartige geschichtliche Rolle aufzeigen, die diese Arbeit in der Vermittlung der gesellschaftlichen Verhältnisse spielt, und über die Konsequenzen dieser Form von Vermittlung aufklären. " (S. 42)
 
[Marx auch Kritik der Ausbeutung - aber nicht vom Standpunkt der Arbeit aus]
" Die Marxsche Analyse der Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus zeigt vielmehr, daß die kapitalistische Produktion nicht nur ein rein technischer Prozeß ist, sondern daß diese Produktion auch mit den grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnissen dieser Gesellschaft untrennbar verbunden und durch diese Verhältnisse geformt ist. Diese können nicht verstanden werden, wenn die Produktion ausschließlich in ihrem Bezug auf Markt und Privateigentum betrachtet wird. " (S. 42)
 
[Produktion nicht nur rein technischer Prozess]
" Meine Interpretation der Marxschen Theorie liefert dagegen die Basis für eine Kritik der den Kapitalismus charakterisierenden Form der Produktion und des Reichtums (das heißt des Werts), anstatt bloß deren private Aneignung zu problematisieren. Sie kennzeichnet den Kapitalismus als eine abstrakte Herrschaftsform, die mit dem besonderen Charakter der Arbeit in dieser Gesellschaft verknüpft ist, und erkennt in dieser Herrschaftsform die letzte gesellschaftliche Ursache für das unkontrollierte >Wachstum< ebenso wie für den zunehmend fragmentierten Charakter der Arbeit und sogar der individuellen Existenz in dieser Gesellschaft. Außerdem zeigt sie, daß die Arbeiterklasse eher als integraler Bestandteil des Kapitalismus anzusehen ist denn als Verkörperung seiner Negation. Wie wir sehen werden, interpretiert eine solche Vorgehensweise den Marxschen Begriff der Entfremdung vor dem Hintergrund seiner späten Kritik der Arbeit im Kapitalismus neu - und stellt diesen so interpretierten Entfremdungsbegriff in den Mittelpunkt seiner Kritik dieser Gesellschaft. " (S. 42)
" Tatsächlich stellt die produktivistische Position aus der Sicht der hier vorgestellten Interpretation keine fundamentale Kritik dar: Sie versagt nicht nur, weil sie nicht über den Kapitalismus hinaus auf die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft zu verweisen vermag, sondern sie affirmiert auch zentrale Aspekte des Kapitalismus. In dieser Hinsicht liefert die vorliegende Rekonstruktion der Marxschen kritischen Theorie den Standpunkt für eine Kritik des produktivistischen Paradigmas der marxistischen Tradition. Es wird sich erweisen, daß eben das, was die marxistische Tradition generell affirmativ behandelt hat, der Gegenstand der Kritik in den späten Werken von Marx ist. Es geht im folgenden nicht nur darum, diesen Unterschied aufzuzeigen und auszuführen, daß die Marxsche Theorie nicht produktivistisch war -und so eine theoretische Tradition zu kritisieren, die vorgibt, auf den Marxschen Texten aufzubauen -, sondern auch darum zu zeigen, daß sie selbst eine umfassende Kritik des produktivistischen Paradigmas liefert, eine Kritik, die dieses Paradigma nicht nur als falsch zurück-weist, sondern auch versucht, es in gesellschaftlichen und geschichtlichen Begriffen verständlich zu machen. " (S. 43)
 
[Produktivistische Kritik ist keine fundamentale Kritik]
" Ähnlich wird die Geschichtstheorie von Marx interpretiert. In seinen Spätwerken ist seine Auffassung von der immanenten Logik der geschichtlichen Entwicklung gleichfalls nicht transhistorisch und affirmativ, sondern kritisch, und sie bezieht sich ausdrücklich auf die kapitalistische Gesellschaft. Marx erkennt den Grund dieser besonderen geschichtlichen Logik in den spezifischen Formen der kapitalistischen Gesellschaft. Seine Position bejaht weder die Existenz einer transhistorischen Logik der Geschichte, noch leugnet sie die Existenz jedweder Art geschichtlicher Logik. Statt dessen behandelt sie eine derartige Logik als Eigentümlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft, die auf die ganze Menschheitsgeschichte projiziert werden kann und auch projiziert wurde. " (S. 43f)
 
[Es gibt nur besondere Geschichtslogik]
" Dieser Zugang liefert die Basis für eine kritische Theorie der modernen Gesellschaft, die weder eine abstrakt universalistische, rationalistische Affirmation der Modernität noch eine antirationalistische und antimoderne Kritik nach sich zieht. Vielmehr geht es darum, beide Positionen zu überwinden, indem deren Opposition als eine geschichtlich bestimmte und als eine im Wesen der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse verankerte behandelt wird. " (S. 44)
" Die hier vorgestellte Interpretation der kritischen Theorie von Marx basiert auf einer Neubetrachtung der grundlegenden Kategorien seiner Kritik der politischen Ökonomie - der Kategorien Wert, abstrakte Arbeit, Ware und Kapital. Diese Kategorien »drücken« Marx zufolge »Daseinsformen und Existenzbestimmungen... dieser bestimmten Gesellschaft aus« (MEW 42,40). " (S. 195)
" Die Bandbreite und die Systematik der Marxschen kritischen Theorie können jedoch nur voll erfaßt werden, wenn die Analyse ihrer Kategorien diese als Bestimmungen des gesellschaftlichen Lebens im Kapitalismus begreift. Nur wenn die Feststellungen von Marx ausdrücklich als Entfaltung seiner Kategorien verstanden werden, kann die innere Logik seiner Kritik adäquat rekonstruiert werden. Deshalb werde ich immer wieder auf die Bestimmungen und Implikationen der fundamentalen Kategorien der Marxschen kritischen Theorie zu sprechen kommen. " (S. 45)
 
[Marxsche Kategorien als streng historisch konstituierte]
" Meine Interpretation der Marxschen Kritik soll also deren Systematik rekonstruieren und ihre innere Logik wiederherstellen. Dabei werde ich weder die eventuell vorhandenen divergierenden oder widersprüchlichen Tendenzen in den Spätwerken von Marx untersuchen, noch die Entwicklung seiner Gedanken nachzeichnen. Es geht mir methodisch vielmehr darum, die Basiskategorien der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie so logisch kohärent und systematisch stringent wie möglich zu interpretieren. Auf diese Weise soll eine Theorie ausgearbeitet werden, die den in diesen Kategorien implizierten Kern ,des Kapitalismus erfaßt - das, was ihn in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstadien als solchen definiert. " (S. 45)
" Ich werde dagegen so vorgehen, als entspräche das, was in der Logik der Marxschen Theorie des Kerngehalts der kapitalistischen Gesellschaftsformation lediglich impliziert wird, auch dem Selbstverständnis von Marx. Da ich einen Beitrag zur Rekonstituierung einer systematischen kritischen Gesellschaftstheorie des Kapitalismus leisten will, ist die Frage, ob sein tatsächliches Selbstverständnis dieser Logik adäquat war, hier von sekundärer Bedeutung. " (S. 46)
 
[Postones Vorgehen]
" Statt dessen werde ich mich auf die Interpretation der Marxschen Auffassung der die moderne Gesellschaft in ihren Grundzügen strukturierenden Verhältnisse beschränken, so wie sie in den Kategorien Ware und Kapital ihren Ausdruck finden. Diese Kategorien werden somit nicht auf eine der Hauptphasen des entwickelten Kapitalismus begrenzt - dies in der Hoffnung, daß so das zugrundeliegende Wesen dieser Gesellschaftsformation im ganzen umso deutlicher hervortritt. " (S. 46)
" Beginnen werde ich mit einem allgemeinen Ausblick auf die Grundzüge meiner Interpretation, wobei ich mich auf die Analyse einiger Abschnitte der Grundrisse stütze. Darauf aufbauend folgt im 2. Kapitel die nähere Untersuchung der Grundannahmen des traditionellen Marxismus. Zur weiteren Klärung meines Vorgehens und um auf dessen Relevanz für eine zeitgemäße kritische Theorie hinzuweisen, untersuche ich im 3. Kapitel die Versuche von Mitgliedern der Frankfurter Schule - insbesondere von Friedrich Pollock und Max Horkheimer -, eine kritische Gesellschaftstheorie zu entwickeln, die den bedeutsamen Veränderungen der kapitalistischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts gerecht wird. " (S. 46)
" Im zweiten Teil werde ich mit der Rekonstruktion der Marxschen Kritik beginnen, die retrospektiv die Grundlage meiner Kritik des traditionellen Marxismus klären wird. Im Kapital versucht Marx die kapitalistische Gesellschaft zu erklären, indem er ihre gesellschaftlichen Grundformen identifiziert und Schritt für Schritt eine Reihe aufeinander bezogener Kategorien entwickelt, die die dieser Gesellschaft zugrundeliegenden Mechanismen erklären können. Mit den Kategorien beginnend, die für ihn die Kerustruktur der Gesellschaftsformation erfassen - Ware', Wert und abstrakte Arbeit-, entfaltet Marx sie sodann systematisch, bis sie immer konkretere und komplexere Ebenen der gesellschaftlichen Realität erschließen. Hier ist es meine Absicht, die abstrakteste und grundlegendste Ebene der Kategorien, mit denen Marx seine Analyse beginnt, abzuklären. " (S. 47)
" m 4. Kapitel untersuche ich die Kategorie der abstrakten Arbeit, im 5. die der abstrakten Zeit. Darauf aufbauend wird im 6. Kapitel die Kritik von Habermas an Marx einer Antikritik unterzogen, während ich in den Kapiteln 7 bis 9 die Ausgangsbestimmungen des Marxschen Kapitalbegriffs, insbesondere die Ausführungen über die immanente Widersprüchlichkeit und die historische Dynamik des Kapitals rekonstruiere. In diesen Kapiteln werden die fundamentalen Kategorien der Marxschen Theorie geklärt, um meine Kritik des traditionellen Marxismus zu begründen und die These zu rechtfertigen, daß die Logik der kategorialen Entfaltung im Kapital in eine Richtung weist, die mit der Darstellung der kapitalistischen Widersprüche und der Bestimmung des Sozialismus in den Grundrissen übereinstimmt. " (S. 47f)
" Beabsichtigt ist, diese Rekonstruktion auf der Basis des hier Entwickelten in einer künftigen Arbeit fortzuführen. Die vorliegende Studie beweist, wie ich glaube, die Plausibilität meiner Interpretation der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie und der mit ihr verbundenen Kritik des traditionellen Marxismus. Sie demonstriert die theoretische Fruchtbarkeit der Marxschen Theorie und ihren möglichen Nutzen für die Rekonstruktion einer kritischen Theorie der modernen Gesellschaft. Nichtsdestoweniger muß dieser Ansatz noch weiter ausgearbeitet werden, bevor die Frage nach der Tragfähigkeit seiner Kategorien einer kritischen Theorie der gegenwärtigen Gesellschaft bejaht werden kann. " (S. 48)

1.4 Die Grundrisse: Überlegungen zum Marxschen Verständnis des Kapitalismus und seiner Aufhebung(» K)

" Meine Interpretation der späten kritischen Theorie von Marx geht von den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie aus, einem Manuskript, das er 1857/58 verfaßte.(9) Die Grundrisse eignen sich deshalb als Ausgangspunkt, weil sie einfacher zu entschlüsseln sind als das Kapital. Letzteres legt Mißverständnisse nahe, da es als immanente Kritik konsequent logisch strukturiert ist, das heißt: der Standpunkt dieser Kritik ist ihrem Untersuchungsgegenstand immanent, statt ihn von außen zu kritisieren. Weil die Grundrisse nicht so streng durchgeformt sind, tritt in ihnen die allgemeine strategische Absicht der kategorialen Analyse von Marx deutlicher hervor. " (S. 49)
" Die hier untersuchten Abschnitte der Grundrisse verweisen darauf, daß die Kategorien der Marxschen Theorie historisch spezifisch sind, daß sich die Marxsche Kritik sowohl auf die Produktions- als auch die Distributionsweise des Kapitalismus bezieht und daß der grundlegende Widerspruch des Kapitals nicht so aufgefaßt werden kann, als handele es sich dabei einfach um einen Widerspruch zwischen Markt und Privateigentum einerseits, industrieller Produktion andererseits. " (S. 49)
 
[Widerspruch nicht zw. Industrieproduktion//PE und Markt]
" Sobald hier Klarheit besteht, vermag man dem Problem nachzugehen, warum der Marxschen Kritik zufolge die Basiskategorien des gesellschaftlichen Lebens im Kapitalismus Kategorien der Arbeit sind. Dies ist alles andere als selbstverständlich und kann mit dem allgemeinen Hinweis auf die offensichtliche Relevanz der Arbeit für das gesellschaftliche Leben der Menschen nicht begründet werden. " (S. 49)
 
[Warum die Arbeit als Ausgangspunkt ?]
" Die Analyse des Widerspruchs zwischen den »Produktionsverhältnissen« und den »Produktivkräften« in den Grundrissen unterscheidet sich grundlegend von den Auffassungen der traditionellen marxistischen Theoretiker, die sich auf die Distributionsweise konzentrieren und diesen Widerspruch als einen zwischen Distributions- und Produktionssphäre verstehen. Marx kritisiert ausdrücklich die Theoretiker, die zwar eine geschichtliche Transformation der Distributionsweise für möglich halten, aber die Möglichkeit ausschließen, daß auch die Produktionsweise umgestaltet werden könnte. " (S. 50)
 
[Produktion und Distribution]
" Die Marxsche Darstellung der Distributionsweise bezieht sich nicht nur auf die Art und Weise der gesellschaftlichen Verteilung von Gütern und Arbeit (zum Beispiel über den Markt).
...
Dies bedeutet, anders gesagt, daß unter Produktionsverhältnissen etwas anderes zu verstehen ist als das, was traditionell darunter verstanden wurde. Wenn Marx Eigentumsverhältnisse als Distributionsverhältnisse begreift,(12) so folgt daraus, daß in seinem Verständnis die Produktionsverhältnisse nicht vollständig in den kapitalistischen Klassenbeziehungen aufgehen, welche in der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel verankert sind und sich in der ungleichen gesellschaftlichen Verteilung von Macht und Reichtum ausdrücken Vielmehr bezieht sich der Begriff der Produktionsverhältnisse auch auf die Art und Weise des Produzierens im Kapitalismus selbst. "
(S. 51)
" Wenn der Produktionsprozeß und die elementaren gesellschaftlichen Verhältnisse aufeinander bezogen sind, dann kann die Produktionsweise jedenfalls nicht mit den Produktivkräften, die mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen in Widerspruch geraten können, gleichgesetzt werden. Vielmehr sollte die Produktionsweise als eine selbst zuinnerst kapitalistisch bestimmte Beziehung betrachtet werden. " (S. 51f)
" Mit der Aufhebung des Kapitalismus ist bei Marx offensichtlich eine Transformation nicht nur der bestehenden Distributions-, sondern auch der Produktionsweise gemeint. In diesem Sinne verweist er zustimmend auf die Bedeutung eines Gedankens von Charles Fourier: »Die Arbeit kann nicht Spiel werden, wie Fourier will, dem das große Verdienst bleibt, die Aufhebung nicht der Distribution, sondern der Produktionsweise selbst in höhre Form als ultimate object [letztes Ziel] ausgesprochen zu haben.« (MEW 42, 607) " (S. 52)
 
[Aufhebung von Distribution UND Produktionsweise]
" Um die Grundzüge der Marxschen Analyse klären und erfassen zu können, was er unter einer Transformation der Produktionsweise versteht, muß zunächst seine Auffassung von der »Grundlage« der (kapitalistischen) Produktion untersucht werden. Wir müssen also analysieren, was er unter einer »auf Lohnarbeit gegründeten Produktionsweise« versteht und was eine »veränderte Grundlage der Produktion« bedeuten könnte. " (S. 53)

1.5 Der Wesenskern des Kapitalismus(» K)

" Marx beginnt hier folgendermaßen: »Der Austausch von lebendiger Arbeit gegen verdinglichte, d.h. das Setzen der gesellschaftlichen Arbeit in der Form des Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit - ist die letzte Entwicklung des Wertverhältnisses und der auf dem Wert beruhenden Produktion.« (MEW 42, 600) Überschrift und Eingangssatz deuten darauf hin, daß für Marx in der Kategorie des Werts die Basisbeziehungen der kapitalistischen Produktion zum Ausdruck gebracht werden, diejenigen gesellschaftlichen Verhältnisse also, die dem Kapitalismus als Form des gesellschaftlichen Lebens eigentümlich sind, ihn als solche charakterisieren. Gleichzeitig ist damit gesagt, daß die Produktion im Kapitalismus auf dem Wert basiert. Mit anderen Worten: der Wert konstituiert die »Grundlage der bourgeoisen Produktion«. " (S. 195)
 
[Wert konstituiert die Grundlage des Kapitalismus]
" Eine Eigentümlichkeit der Kategorie Wert ist es, daß sie sowohl eine bestimmte Form gesellschaftlicher Verhältnisse als auch eine besondere Form des Reichtums zum Ausdruck bringen soll. Jede Untersuchung des Werts muß deshalb über diese beiden Aspekte aufklären. " (S. 53)
" Der Austausch, auf den er sich bezieht, ist nicht der der Zirkulation, sondern der der Produktion: »der Austausch von lebendiger Arbeit gegen vergegenständlichte«. Dies impliziert, daß Wert nicht nur als Kategorie der Distribution von Waren verstanden werden sollte, das heißt als Kategorie, die beispielsweise den Automatismus des sich selbst regulierenden Marktes begründen soll, sondern vielmehr als Kategorie der kapitalistischen Produktion selbst. Die Marxschen Ausführungen zum Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen müssen offenbar neu interpretiert werden, und zwar so, daß dieser Widerspruch sich auf unterscheidbare Momente des Produktionsprozesses bezieht. »Auf Wert beruhende Produktion« und »auf Lohnarbeit gegründete Produktionsweise« scheinen eng verwandt zu sein. Dies verlangt nach einer weitergehenden Untersuchung. " (S. 54)
 
[Wert als Kategorie der Produktion]
" Was den Wert als eine Form von Reichtum charakterisiert, ist, Marx zufolge, daß er konstituiert wird durch die Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit im Produktionsprozeß, daß er an diese Verausgabung als bestimmenden Faktor in der Reichtumsproduktion gebunden bleibt und daß er eine zeitliche Dimension besitzt. Wert ist eine gesellschaftliche Form, die die Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit ausdrückt und auf ihr basiert. Diese Form bildet für Marx den inneren Kern der kapitalistischen Gesellschaft. Als eine Kategorie der gesellschaftlichen Grundbeziehungen, die den Kapitalismus konstituieren, drückt der Wert das aus, was das Fundament kapitalistischer Produktion ist und bleibt. Es entsteht jedoch eine wachsende Spannung zwischen dieser Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise und den Ergebnissen ihrer geschichtlichen Entwicklung:... " (S. 54)
 
[Wert als Reichtumsform]
" Der Gegensatz zwischen Wert und »wirklichem Reichtum« - also der Gegensatz zwischen einer Form des Reichtums, die auf»Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit« beruht und einer Form, für die das nicht gilt - ist für diese Passagen und das Verständnis der Marxschen Werttheorie sowie seiner Vorstellung vom grundlegenden Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft entscheidend. Dieser Gegensatz zeigt eindeutig, daß Wert sich nicht auf Reichtum im allgemeinen bezieht, sondern eine historisch spezifische und somit vergängliche Kategorie darstellt, die die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft erfassen soll. " (S. 55)
 
[Gegensatz: Wert//stofflicher Reichtum]
" Eine derart marktzentrierte Interpretation - die mit der Position Mills übereinstimmt, die Distributionsweise sei geschichtlich veränderbar, nicht aber die Produktionsweise - impliziert die Existenz einer transhistorischen Form des Reichtums, der in verschiedenen Gesellschaften nur verschieden verteilt werde. Dagegen ist Marx zufolge Wert eine historisch spezifische Form gesellschaftlichen Reichtums und wesentlich an eine historisch spezifische Produktionsweise gebunden. Daß Formen des Reichtums historisch spezifisch sein können, heißt offenkundig, daß gesellschaftlicher Reichtum nicht in allen Gesellschaften das gleiche bedeutet. " (S. 55)
 
[Wert als spezifisch kapitalistische Reichtumsform]
" Im weiteren Gang dieser Studie wird es darum gehen, den geschichtlichen Charakter des Werts zu untersuchen und die Beziehung zu klären, die Marx zwischen Wert und Arbeitszeit herstellt. " (S. 55)
" Die Marxsche »Arbeitswerttheorie« ist jedoch keine Theorie der einzigartigen Eigenschaften der Arbeit im allgemeinen, sondern sie ist eine Analyse der geschichtlichen Besonderheit des Werts als einer Form des Reichtums und einer Form der Arbeit, die ihn konstituierte. Folglich ist es für das Marxsche Unterfangen irrelevant, ob man für oder gegen seine Werttheorie argumentiert, als handele es sich um eine Arbeitstheorie des (transhistorischen) Reichtums - so als hätte Marx eine politische Ökonomie statt einer Kritik der politischen Ökonomie geschrieben. " (S. 56)
" Der Wert stellt innerhalb der Marxschen Analyse eine kritische Kategorie dar, die die geschichtliche Besonderheit der für den Kapitalismus charakteristischen Form des Reichtums und der Produktion enthüllt. Das oben Zitierte zeigt, daß sich Marx zufolge die auf dem Wert basierende Form der Produktion so entwickelt, daß sie die Möglichkeit einer historischen Negation des Werts selbst aufscheinen läßt. In seiner Analyse, die für die Gegenwart sehr wichtig sein dürfte, argumentiert Marx, daß der Wert im Verlauf der Entwicklung der kapitalistischen Industrieproduktion als Maßstab des produzierten »wirklichen Reichtums« immer inadäquater wird. " (S. 56)
 
[Der Wert wird anachronistisch]
" Der Wert wird, was das Potential des Produktionssystems betrifft, das er hervorgebracht hat, immer anachronistischer: Die Realisierung dieses Potentials wäre gleichbedeutend mit der Abschaffung des Werts. " (S. 57)
 
[Abschaffung des Werts]
" Diese geschichtliche Möglichkeit bedeutet jedoch nicht, daß auf der Basis der bestehenden industriellen Produktionsweise immer größere Warenmassen ausgestoßen und auch gerechter verteilt werden könnten. Die Logik des wachsenden Widerspruchs zwischen »wirklichem Reichtum« und Wert, die auf die Möglichkeit einer Ablösung des Werts als der bestimmenden Form des gesellschaftlichen Reichtums hinweist, impliziert auch die Möglichkeit eines anderen Produktionsprozesses - eines Prozesses, der auf einer neuen, emanzipatorischen Struktur gesellschaftlicher Arbeit basiert:

Die Arbeit erscheint nicht mehr so sehr als in den Produktionsprozeß eingeschlossen, als sich der Mensch vielmehr als Wächter und Regulator zum Produktionsprozeß selbst verhält... Er tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein Hauptagent zu sein. In dieser Umwandlung ist es weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als Gesellschaftskörper in einem Wort die Entwicklung des gesellschaftlichen individuums, die als der große Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums erscheint. Der Diebstahl an fremder Arbeitszeit, worauf der jetzige Reichtum beruht, erscheint miserable Grundlage gegen diese neuentwickelte, durch die große Industrie selbst geschaffne. (MEW 42, 601; erste Hervorhebung M.P.) "
(S. 57)
" Dieser Abschnitt macht überaus deutlich, daß die Aufhebung des Kapitalismus für Marx auf die Abschaffung des Werts als der gesellschaftlichen Form des Reichtums hinausläuft, die ihrerseits die Aufhebung der vom Kapitalismus entwickelten Produktionsweise nach sich zieht. Ausdrücklich besteht er darauf, daß die Abschaffung des Werts bedeuten würde, daß weder die Arbeitszeit weiterhin als Maßstab des Reichtums dienen, noch der Reichtum weiter in erster Linie durch unmittelbare menschliche Arbeit im Produktionsprozeß erzeugt würde: »Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts.« (MEW 42, 601) " (S. 57)
" Da die auf dem Wert beruhende Produktion, die auf Lohnarbeit gegründete Produktionsweise und die auf proletarischer Arbeit basierende Industrieproduktion ineinander verbunden sind, trifft die Marxsche Auffassung vom zunehmend anachronistischen Charakter des Werts auch den unter dem Kapitalismus entwickelten industriellen Produktionsprozeß: dieser muß dann gleichermaßen als zunehmend anachronistisch aufgefaßt werden. Die Aufhebung des Kapitalismus ist Marx zufolge gleichzusetzen mit einer grundlegenden Transformation der materiellen Form der Produktion, also der Weise, wie Menschen arbeiten. " (S. 58)
 
[Grundlegende Transformation der materiellen Form d. Produktion]
" Vielmehr wird bei ihm die industrielle Produktion von diesen Verhältnissen geprägt: Industrieproduktion ist die »Produktionsweise, die auf dem Wert basiert«. In genau diesem Sinne bezieht sich Marx in seinen Spätschriften ausdrücklich auf die industrielle Produktionsweise als eine »spezifisch kapitalistische Produktionsform... (auch auf technologischem Niveau)« (Marx 1969, 50; s. a. 60f), und impliziert dabei, daß mit der Aufhebung des Kapitalismus auch sie umgewandelt werden muß. " (S. 195)
 
[Wert prägt die Industrieproduktion]
" Die zweite Hälfte dieser Studie wird die Marxsche Analyse des Werts und dessen Rolle bei der Ausgestaltung des Produktionsprozesses herausarbeiten. An dieser Stelle sei lediglich ausgeführt, daß diese Stellen der Grundrisse nicht so zu verstehen sind, als sei die Marxsche kritische Theorie eine Form von technologischern Determinismus. Vielmehr werden Technologie und Produktionsprozeß als gesellschaftlich konstituiert behandelt: sie werden vom Wert geformt. " (S. 58)
" Deshalb sollten sie nicht einfach mit dem Marxschen Begriff der >Produktivkräfte<, die mit den kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen in Widerspruch geraten, identifiziert werden. Einen Widerspruch verkörpern sie jedoch in der Weise, daß Marx unterscheidet zwischen der Aktualität der durch den Wert konstituierten Produktionsform und ihrem, die Möglichkeit einer neuen Produktionsform begründenden Potential. " (S. 58f)
 
[Widerspruch PK und PV nach Postone, was ist - was könnte]
" Marx faßt also ins Auge, daß das der fortgeschrittenen kapitalistischen Produktion innewohnende Potential zum Mittel werden kann, auch den industriellen Produktionsprozeß zu transformieren, so daß das System gesellschaftlicher Produktion, in dem der Reichtum durch die Aneignung unmittelbarer Arbeitszeit geschaffen wird und die Arbeiter nur als Zahnräder eines produktiven Apparates fungieren, abgeschafft werden kann. Diese beiden Aspekte der industriellen kapitalistischen Produktionsweise hängen für Marx zusammen. Darum verlangt die Aufhebung des Kapitalismus, wie sie in den Grundrissen skizziert ist, implizit die Aufhebung sowohl der formalen als auch der materiellen Aspekte der auf Lohnarbeit gegründeten Produktionsweise. Sie erfordert die Abschaffung eines Verteilungssystems, das auf dem Tausch der Ware Arbeitskraft gegen Lohn basiert, mit dem Konsumgüter erworben werden, ebenso wie die Abschaffung eines Produktionssystems, das auf proletarischer Arbeit basiert, so auf der einseitigen und fragmentierten Arbeit, wie sie für die kapitalistische Industrieproduktion charakteristisch ist. Mit anderen Worten: Die Aufhebung des Kapitalismus bedeutet auch die Aufhebung der durch das Proletariat verrichteten konkreten Arbeit. " (S. 59)
 
[Aufhebung der proletarischen Arbeit - Abschaffung der Lohnarbeit]
" Seine Vorstellung von der Aufhebung der proletarischen Arbeit impliziert, daß »Vorgeschichte« auf diejenigen Gesellschaftsformationen zu beziehen ist, in denen beständig ein Mehrprodukt erzeugt wird und dieses in erster Linie auf der Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit basiert. Diese Charakterisierung trifft auf Gesellschaften zu, in denen der Überschuß durch Sklaven, Leibeigene oder Lohnarbeiter geschaffen wird. Die auf Lohnarbeit basierende Formation ist Marx zufolge jedoch durch eine Dynamik charakterisiert, die erstmals die geschichtliche Möglichkeit schafft, die auf menschlicher Arbeit - als dem inneren Element des Produktionsprozesses - basierende Surplusproduktion zu überwinden. Auf dieser Grundlage kann eine neue Gesellschaftsformation geschaffen werden, in der »die Surplusarbeit der Masse aufgehört (hat), Bedingung für die Entwicklung des allgemeinen Reichtums zu sein, ebenso wie die Nichtarbeit der Wenigen für die Entwicklung der allgemeinen Mächte des menschlichen Kopfes« (MEW 42, 601). " (S. 60)
" Für Marx bedeutet das Ende der Vorgeschichte auch die Aufhebung der Trennung und des Gegensatzes zwischen körperlicher und geistiger Arbeit. Dieser Gegensatz kann jedoch nicht dadurch überwunden werden, daß die gegebenen körperlichen und geistigen Tätigkeiten einfach verschmolzen werden (wie es zum Beispiel in der Volksrepublik China in den 1960er Jahren verkündet wurde).
...
Ihre Trennung kann nur durch die Transformationen der bestehenden Formen sowohl körperlicher wie auch geistiger Arbeit überwunden werden, also durch die historische Konstitution einer neuen Struktur und sozialen Organisation der Arbeit. Eine solche neue Struktur wird nach Marx möglich, wenn die Surplusproduktion nicht mehr notwendigerweise in erster Linie auf unmittelbarer menschlicher Arbeit basiert. "
(S. 60)
 
[Aufhebung der Trennung von Kopf und Hand = Änderung der Organisation der Produktion]

1.6 Kapitalismus, Arbeit und Herrschaft(» K)

" Die Marxsche Gesellschaftstheorie beinhaltet - im Gegensatz zur traditionellen marxistischen Auffassung - eine kritischen Analyse der unter dem Kapitalismus entwickelten Form der Produktion und verweist so auf die Möglichkeit, diese Form radikal umzugestalten. Eine produktivistische Glorifizierung dieser Form kann man ihr jedenfalls nicht unterstellen. " (S. 61)
" Die Marxsche Konzeption von der geschichtlichen Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus verlangt deshalb eine grundlegend neue Interpretation seiner Auffassung von den die Gesellschaft charakterisierenden Verkehrsformen. Diese werden laut Marx durch Arbeit konstituiert, was zur Folge hat, daß sie eine eigentümliche, quasi-objektive Natur aufweisen. Sie gehen jedenfalls nicht vollständig in Klassenbeziehungen auf. " (S. 61)
 
[Nicht vollständig in Klassenbeziehungen]
" Die Unterschiede zwischen der >kategorialen< und der >klassenzentrierten< Interpretation dieser grundlegenden gesellschaftlichen Beziehungen des Kapitalismus sind beachtlich. Erstere ist eine Kritik der Arbeit im Kapitalismus, letztere eine Kritik des Kapitalismus vom Standpunkt der Arbeit. Dies impliziert sehr verschiedene Auffassungen von der den Kapitalismus bestimmenden Herrschaftsweise und dementsprechend auch darüber, wie diese Herrschaft überwunden werden kann. " (S. 61)
" Nach Marx besteht die gesellschaftliche Herrschaft im Kern nicht in der Herrschaft von Menschen über Menschen, sondern in der Beherrschung von Menschen durch abstrakte gesellschaftlichen Strukturen, die von den Menschen selbst konstituiert werden. Marx versuchte, diese Form abstrakter, struktureller Herrschaft - die die Klassenherrschaft zugleich einschließt und über sie hinaus geht - in den Kategorien von Ware und Kapital zu erfassen. Diese abstrakte Herrschaft determiniert Marx zufolge nicht nur den Zweck der kapitalistischen Produktion, sondern ebenso die materielle Form dieser Produktion. In der Marxschen Analyse ist die den Kapitalismus kennzeichnende Form gesellschaftlicher Herrschaft in letzter Instanz nicht eine Funktion des Privateigentums oder der Verfügungsgewalt der Kapitalisten über das Mehrprodukt und die Produktionsmittel. Vielmehr gründet sie sich auf die Wertförmigkeit des Reichtums selbst und damit auf eine Form gesellschaftlichen Reichtums, die der lebendigen Arbeit (den Arbeitern) als strukturell fremde und sie beherrschende Macht gegenübertritt. (MEW 42, 721 f.) " (S. 61f)
" Diese Form der Herrschaft drückt sich als Gegensatz zwischen den Individuen und der Gesellschaft aus, die sich als abstrakte Struktur konstituiert. Die Marxsche Analyse dieser Herrschaftsform soll begründen und erklären, was in seinen Frühschriften als Entfremdung bezeichnet wurde. " [Herv. v. P.H.] (S. 62f)
" Erst in seinen Spätschriften begründet er stringent die Position, die er in den Pariser Manuskripten von 1844 formuliert hatte, daß nämlich das Privateigentum nicht die gesellschaftliche Ursache, sondern die Konsequenz entfremdeter Arbeit ist und deshalb die Aufhebung des Kapitalismus nicht nur die Abschaffung des Privateigentums, sondern auch die Abschaffung dieser spezifischen Form der Arbeit verlangt. (MEW 40, 530ff) " (S. 63)
" Denn jetzt [in den Spätschriften, P.H.] wird die Entfremdung nicht auf ein Fremd-Werden im Sinne einer Entwendung des einstigen Eigentums der Arbeiter (das deshalb von ihnen zurück gefordert werden sollte) bezogen, sondern sie wird als Prozeß der historischen Konstitution einer gesellschaftlichen Macht und eines gesellschaftlichen Wissens verstanden, die sich nicht auf die unmittelbaren Potenzen und Fertigkeiten des Proletariats zurückführen lassen. Marx analysiert anhand der Kategorie Kapital, wie sich dieser gesellschaftliche Herrschafts- und Wissenszusammenhang in objektivierten Formen konstituiert, die gegenüber den Individuen, die sie hervorbringen, quasi-unabhängig werden und eine Form abstrakter gesellschaftlicher Herrschaft über sie ausüben. " (S. 63)
" Ein zentraler Impetus der Marxschen Analyse der Besonderheit der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft besteht darin, diese historische Dynamik zu erklären. Marx ist daher weit davon entfernt, nur eine Theorie der Ausbeutung oder der Funktionsweise der Ökonomie im engeren Sinne zu entwickeln. Vielmehr ist die kritische Theorie des Kapitals als Theorie des Wesens der Geschichte der modernen Gesellschaft zu verstehen. Sie behandelt diese Geschichte als eine gesellschaftlich konstituierte, die dennoch eine quasi-autonome Entwicklungslogik besitzt. " (S. 64)
" Richtig ist, daß Marx die im Kapitalismus entwickelte industrielle Produktionsweise und die dieser Gesellschaft eigentümliche historische Dynamik als charakteristisch für die kapitalistische Gesellschaftsformation betrachtet hat. Deren historische Negation würde dann sowohl die geschichtliche Abschaffung des historisch-dynamischen Systems abstrakter Herrschaft als auch der industriellen kapitalistischen Produktionsweise bedeuten. Desgleichen zeigt die entwickelte Entfremdungstheorie, daß Marx die Negation des strukturellen Kerns des Kapitalismus als Chance zur Aneignung desjenigen Herrschafts- und Wissenspotentials durch die Menschen begriffen, das sich geschichtlich in entfremdeter Form konstituiert hatte. " (S. 64)
 
[Abschaffen von abstrakter Herrschaft UND kap. Industrieproduktion]
" m Begriff des gesellschaftlichen Individuums schlägt sich die Marxsche Idee nieder, daß die Aufhebung des Kapitalismus auch die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Individuum und Gesellschaft beinhaltet.
...
So wenig Marx den Kapitalismus vom Standpunkt der industriellen Produktion aus kritisiert, so wenig hält er eine Kollektivität, in der alle Menschen zu bloßen Elementen werden, für einen positiven Standpunkt, von dem aus das atomisierte Individuum zu kritisieren wäre. Er brachte nicht nur die historische Konstitution des monadischen Individuums mit der Sphäre der Warenzirkulation in Verbindung, sondern analysierte auch den Meta-Apparat (in dem die Personen bloße Zahnräder sind) als charakteristisch für die Sphäre der vom Kapital bestimmten Produktion. (MEW 23, 374; 446; 486) "
(S. 65)
 
[Aufhebung Gegensatz Individuum//Gesellschaft]
" Für Marx repräsentiert das gesellschaftliche Individuum die Aufhebung dieses Gegensatzes. Dieser Begriff meint nicht einfach eine Person, die gemeinschaftlich und altruistisch mit anderen Menschen zusammenarbeitet, sondern drückt vielmehr die in jedem Individuum vorhandene Möglichkeit aus, als allseitig entfaltetes Wesen existieren zu können. Eine notwendige Bedingung der Verwirklichung dieser Möglichkeit ist, daß die Arbeit jedes Individuums auf eine Weise vollständig und positiv sich selbst konstituierend ist, die dem allgemeinen Wohlstand, der Vielfalt sowie den Potenzen und Kenntnissen der Gesellschaft als ganzer entspricht. Die individuelle Arbeit würde so nicht länger die fragmentierte Basis für den Wohlstand der Gesellschaft sein. Die Aufhebung der Entfremdung bedeutet nicht die Wiederaneignung eines Wesens, das früher einmal existiert hätte, sondern die Aneignung dessen, was in entfremdeter Form konstituiert wurde. " (S. 65f)
" Bis hier wurde gezeigt, daß Marx die proletarische Arbeit als den materialisierten Ausdruck entfremdeter Arbeit begreift. Dies läßt vermuten, daß es solange die konkrete Arbeit eines jeden die gleiche bleibt wie im Kapitalismus bestenfalls ideologisch wäre zu behaupten, die Emanzipation der Arbeit sei verwirklicht, wenn das Privateigentum abgeschafft ist und die Menschen eine kollektive, sozial verantwortliche Haltung gegenüber ihrer Arbeit einnehmen. Im Gegenteil, die Emanzipation der Arbeit setzt eine neue Struktur gesellschaftlicher Arbeit voraus. " (S. 66)
 
[Proletarische = entfremdete Arbeit]
" Innerhalb der Marxschen Analyse kann die Arbeit das gesellschaftliche Individuum nur konstituieren, wenn das Potential der Produktivkräfte in einer Weise genutzt wird, die die Organisation des Arbeitsprozesses vollständig revolutioniert. Die Menschen müssen in der Lage sein, aus dem unmittelbaren Arbeitsprozeß, in dem sie zuvor als Teile arbeiteten, herauszutreten, und dazu, ihn von oben zu kontrollieren. " (S. 66)
" Die Marxsche Auffassung, daß »die Arbeitermasse ihre Surplusarbeit sich aneignen muß« (MEW 42, 604) impliziert somit einen Prozeß der Selbstabschaffung, der sich als Prozeß materieller Selbstverwandlung vollzieht. Statt der Verwirklichung des Proletariats verlangt die Aufhebung des Kapitalismus die materielle Abschaffung der proletarischen Arbeit. Die Emanzipation der Arbeit erfordert die Emanzipation von (entfremdeter) Arbeit.
...
Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, daß Marx sich die Negation dieser Form der Produktion als eine Gesellschaftsformation vorstellte, in der gesellschaftliche Produktion zum Zweck der Konsumtion stattfindet und die Arbeit des Individuums dermaßen befriedigend ist, daß sie um ihrer selbst willen ausgeübt wird. "
(S. 66)
 
[Selbstabschaffung des Proletariats - materielle Selbstverwaltung - befriedigende Arbeit um ihrer selbst willen]

1.7 Der Widerspruch des Kapitalismus(» K)

" Nach der Auffassung von Marx wird die sozialistische Gesellschaft nicht das Resultat einer linearen, evolutionär-historischen Entwicklung sein. Die radikale Transformation des Produktionsprozesses ist keine " (S. 67)
" (Fußnote 16) ...Die Freiheit von Herrschaft bedeutet jedoch nicht die Freiheit von allen Zwängen, da jede menschliche Gesellschaft, um zu überleben, Arbeit in irgendeiner Form erfordert. Daß Arbeit niemals eine Sphäre von Freiheit sein kann, bedeutet jedoch nicht, daß nicht-entfremdete Arbeit auf die gleiche Weise und in gleichem Ausmaß unfrei wäre wie die Arbeit, die durch abstrakte gesellschaftliche Herrschaftsformen erzwungen wird. Mit anderen Worten: Marx füllt dadurch, daß er die Existenz absoluter Freiheit im Bereich der Arbeit verneint, nicht in den undifferenzierten Gegensatz zurück, wie er von Adam Smith vertreten wurde, daß nämlich Freiheit und Glück mit Arbeit nicht vereinbar seien. (MEW 42, 512)
...
Es dürfte klar sein, daß mit der Überwindung des Kapitalismus nicht sofort jede einseitige und fragmentierte Arbeit abgeschafft werden kann. Und zugestanden sei, daß einige dieser Arbeiten nie vollständig abzuschaffen sind (doch die dazu erforderliche Zeit könnte drastisch reduziert werden und solche Aufgaben könnten innerhalb der gesamten Bevölkerung rotieren). Doch da es mir in dieser Studie um die Marxsche Analyse der kapitalistischen Arbeit und deren Bezug zur zukünftigen Gesellschaft geht, werde ich diese Probleme nicht näher behandeln. (Eine kurze Erörterung bietet Gorz (1983, 83 f.)) "
(S. 67)
 
[Keine absolute Freiheit aber von entfremdeter Arbeit]

{ Gerade an diesen wichtigen Stellen, wie auch noch z.B. beim Messen des Wertes in Zeit über den Durschnitt, weicht Postone einer Darlegung aus. (d.V.)}

" Der Kapitalismus ist zwar in sich durch eine Entwicklungsdynamik gekennzeichnet, aber diese bleibt vollständig an ihn gebunden: sie überwindet sich nicht selbst. Was auf der einen Ebene >überflüssig< wird bleibt auf einer anderen >notwendig<. Anders gesagt: Der Kapitalismus läßt die Möglichkeit seiner eigenen Negation entstehen, aber er toleriert nicht automatisch in irgend etwas anderes. Daß die Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit für den Kapitalismus zentral und unverzichtbar bleibt, obwohl sie dank der Entwicklung des Kapitalismus anachronistisch geworden ist, läßt eine innere Spannung entstehen. Wie herauszuarbeiten sein wird, analysiert Marx die Industrieproduktion und die sieh darin entfaltende Entwicklungstendenz im Verhältnis zu dieser Spannung.

Diese bedeutsame Dimension des grundlegenden Widerspruchs im Kapitalismus verweist darauf, daß er nicht, etwa als Klassenkampf, unmittelbar mit den konkreten, antagonistischen oder konfliktuellen sozialen Verhältnissen gleichgesetzt werden sollte. "
(S. 68f)
 
[Kapitalistische Dynamik in Widerspruch zum Maß des Reichtums in unmittelbarer Arbeitszeit]
" Die oben zitierten Stellen verweisen zudem darauf, daß die Marxsche Vorstellung vom strukturellen Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen nicht traditionalistisch in dem Sinne interpretiert werden kann, daß die >Produktionsverhältnisse< allein als Ausdruck der Distributionsweise verstanden und die >Produktivkräfte< mit der industriellen Produktionsweise als rein technischem Prozeß identifiziert werden. " (S. 69)
" " (S. 195)
" " (S. 195)
" Die oben erörterten Passagen der Grundrisse zeigen jedoch, daß Marx die industrielle Produktionsweise und die historische Dynamik des Kapitalismus als charakteristische Merkmale der kapitalistischen Gesellschaft behandelt und nicht als geschichtliche Entwicklungen, die über kapitalistische Verhältnisse hinaus weisen, gleichzeitig durch diese aber gehemmt werden. Sein Verständnis des Grundwiderspruchs im Kapitalismus bezieht sich im wesentlichen nicht auf den Widerspruch zwischen privater Aneignung und vergesellschafteter Produktion, sondern auf den Widerspruch innerhalb der Produktionssphäre selbst, wobei diese Sphäre den unmittelbaren Produktionsprozeß und die durch die Arbeit im Kapitalismus konstituierten sozialen Verhältnisse umfaßt. " (S. 70)
" Mit Blick auf die Struktur der gesellschaftlichen Arbeit kann der Grundwiderspruch im Kapitalismus verstanden werden als wachsender Widerspruch zwischen der Art der Arbeit, die die Menschen unter dem Kapitalismus verrichten, und der, die sie verrichten könnten, wenn der Wert abgeschafft ist und das in der kapitalistischen Form entwickelte produktive Potential reflexiv genutzt wird, um die Menschen von der durch ihre eigene Arbeit konstituierten Herrschaft entfremdeter Strukturen zu befreien. " (S. 70)
 
[Grundwiderspruch: zwischen dem Was ist und Was sein könnte]
" Im Lauf dieser Studie werde ich zeigen, wie Marx diesen Widerspruch in der den Kapitalismus grundlegend strukturierenden Form (der Ware) begründet und daß für ihn die >Befreiung< der Produktivkräfte aus den >Fesseln< der Produktionsverhältnisse die Abschaffung sowohl des Werts als auch des spezifischen Charakters der Arbeit im Kapitalismus verlangt. Dies wäre gleichzeitig die Negation der immanenten geschichtlichen Logik und die Negation der die kapitalistische Gesellschaftsformation kennzeichnenden industriellen Produktionsweise. " [Herv. v. P.H.] (S. 70)

{ Kein Zweifel. (d.V.)}

" Der Marxschen Analyse zufolge ist die gesellschaftliche Arbeit trotz des Auftauchens der geschichtlichen Möglichkeit, daß die gesellschaftliche Arbeitsweise für jeden bereichernd sein könnte, für die Vielen tatsächlich verarmend. Deshalb verweist das rapide Anwachsen wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse im Kapitalismus nicht auf einen linearen Fortschritt in Richtung Emanzipation. " (S. 70)
" Der Marxschen Analyse zufolge ist die gesellschaftliche Arbeit trotz des Auftauchens der geschichtlichen Möglichkeit, daß die gesellschaftliche Arbeitsweise für jeden bereichernd sein könnte, für die Vielen tatsächlich verarmend. Deshalb verweist das rapide Anwachsen wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse im Kapitalismus nicht auf einen linearen Fortschritt in Richtung Emanzipation. " (S. 70)
 
[Kein linearer Gang zur Emanzipation]
" Mit einem positivistischen Glauben an einen linearen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt oder dem an einem unmittelbaren Zusammenhang beider darf die dialektische Analyse von Marx keineswegs verwechselt werden.
...
Die Marxsche Analyse impliziert folglich eine Vorstellung von der Aufhebung des Kapitalismus, die weder die unkritische Affirmation industrieller Produktion - als der Bedingung für menschlichen Fortschritt - noch die romantische Zurückweisung technologischen Fortschritts per se beinhaltet. "
(S. 71)
" Mit dem Hinweis, daß das Potential des im Kapitalismus entwickelten Produktionssystems zur Aufhebung dieses Systems selbst genutzt werden könnte, überwindet die Marxsche Analyse den Gegensatz dieser Perspektiven und zeigt, daß eine jede von ihnen einen Teilaspekt der komplexeren geschichtlichen Entwicklung für das Ganze nimmt. Der Gegensatz zwischen dem Glauben an einen linearen Fortschritt einerseits und seiner romantischen Zurückweisung andererseits ist Marx zufolge als Ausdruck einer historischen Antinomie zu begreifen, die, nach beiden ihrer Seiten hin, für die kapitalistische Epoche charakteristisch ist. (MEW 23,451 f.; 668ff.) Seine kritische Theorie plädiert weder für die einfache Erhaltung noch für die Abschaffung dessen, was geschichtlich im Kapitalismus konstituiert wurde. Vielmehr verweist sie auf die Möglichkeit, daß das in entfremdeter Form Konstituierte angeeignet und dabei grundlegend umgestaltet werden kann. " [Herv. v. P.H.] (S. 71)
 
[Kapitalistisches Produktionssystem kann zu eigenen Aufhebung genutzt werden]

1.8 Soziale Bewegungen, Subjektivität und historische Analyse(» K)

" Im Gegensatz zu Analysen, die ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen industrieller Produktionsweise und Kapitalismus unterstellen, verwirft diese Interpretation die Vorstellung, das Proletariat repräsentiere ein soziales Gegenprinzip zum Kapitalismus. Marx zufolge sind die Manifestationen des Klassenkampfs zwischen den Vertretern des Kapitals und den Arbeitern etwa zur Frage der Arbeitszeit oder des Verhältnisses zwischen Löhnen und Profiten strukturell im Kapitalismus verankert und somit zwar ein wichtiges, für die Entwicklungsdynamik dieses Systems konstitutives Element. (MEW 23, 249) Gleichwohl geht aus dieser Analyse des Werts notwendig hervor, daß die proletarische Arbeit die Grundlage des Kapitals ist und bleibt sie kann somit nicht zugleich die Basis der möglichen Negation der kapitalistischen Gesellschaftsformation sein. " (S. 72)
 
[Proletariat als dem Kapital immanentes Moment - kein Gegenprinzip]
" Der kapitalistische Grundwiderspruch, wie er in den Grundrissen dargestellt wird, ist nicht der zwischen proletarischer Arbeit und Kapitalismus, sondern der zwischen proletarischer Arbeit - also der bestehenden Form der Arbeit - und der Möglichkeit einer anderen Produktionsweise. " (S. 72)
 
[Grundwiderspruch: zwischen jetziger Form und Möglichkeit]
" Die in dieser Studie präsentierte Kritik am Sozialismus - verstanden allein als effizientere, menschlichere und gerechtere Verwaltung der unter dem Kapitalismus entstandenen industriellen Produktionsweise - stellt somit gleichzeitig eine Kritik der Auffassung dar, das Proletariat sei das >revolutionäre Subjekt< in dem Sinne, daß es als gesellschaftlicher Handlungsträger sowohl die Geschichte konstituiere als auch im Sozialismus sich selbst verwirkliche.

Dies impliziert, daß es kein lineares Kontinuum gibt zwischen den Forderungen und Vorstellungen der Arbeiterklasse - so wie diese sich historisch konstituiert und sich in diesem Prozeß selbst behauptet -und den Bedürfnissen, Forderungen und Vorstellungen, die über den Kapitalismus hinaus weisen. "
(S. 72)
 
[Sozialismus nicht als gerechtere Verwaltung]

{ Mit seiner Kritik am Realsozialismus muß man ihm so erst einmal einfach recht geben. (d.V.)}

" Eine kritische Theorie des Kapitalismus und der Möglichkeiten seiner Aufhebung sollte daher auch eine Theorie der gesellschaftlichen Konstitution solcher Bedürfnisse und Bewußtseinsformen sein - eine Theorie, die die qualitativen historischen Veränderungen von Subjektivität anzugehen und die sozialen Bewegungen der Gegenwart dementsprechend zu begreifen vermag. Dies könnte ein neues Licht auf den Marxschen Begriff der Selbstabschaffung des Proletariats werfen und bei der Analyse der sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte gute Dienste leisten. " (S. 72)
 
[Notwendig: Theorie der Bewußtseins- und Bedürfniskonstitution]
" n dieser Lesart könnte die Analyse des dynamischen Charakters des Kapitalismus gleichzeitig eine Analyse der geschichtlichen Transformation von Subjektivität sein. Wenn darüber hinaus die gesellschaftlichen Formen, die die kapitalistische Gesellschaft charakterisieren, als widersprüchliche ausgewiesen werden können, wird es möglich, kritisches und oppositionelles Bewußtsein als gesellschaftlich konstituiert zu behandeln. " (S. 73)
" Diese Interpretation des von Marx analysierten Widerspruchs als sowohl >objektiv< wie >subjektiv< sollte jedoch nicht so verstanden werden, als sei damit impliziert, oppositionelles Bewußtsein entstünde notwendigerweise; und noch weniger meint dies, die Emanzipation werde wie von selbst erreicht. Ich bewege mich hier nicht auf der theoretischen Ebene einer Wahrscheinlichkeit, zum Beispiel der Wahrscheinlichkeit der Entstehung solchen Bewußtseins, sondern betrachte die Ebene der Möglichkeit - wähle sozusagen die grundlegendere Formulierung eines Zugangs zum Problem der gesellschaftlichen Konstitution von Subjektivität einschließlich der Möglichkeit kritischen oder oppositionellen Bewußtseins. " (S. 73)
 
[Nicht Notwendigkeit sondern Möglichkeit oppositionellen Bewußtseins]
" Eine solche Theorie der gesellschaftlichen Konstitution von Subjektivität (die auch die ihrem eigenen Kontext gegenüber kritische Subjektivität erfaßt) steht der implizit funktionalistischen Auffassung entgegen, nur ein Bewußtsein, das die bestehende Ordnung bejaht oder verewigt, sei gesellschaftlich geformt. Genauso richtet sie sich gegen die Auffassung - die mit der vorigen stillschweigend verbunden ist -, die Möglichkeit kritischen, oppositionellen oder revolutionären Bewußtseins müsse ontologisch oder transzendental - oder zumindest in Elementen des gesellschaftlichen Lebens, die vorgeblich nicht kapitalistisch sind - angelegt sein. " (S. 74)
" Dieses Vorgehen erlaubt, die Beziehung verschiedener kritischer Konzeptionen und Praktiken zu ihrem historischem Kontext zu untersuchen - was die Konstitution solcher Konzeptionen und Praktiken anbelangt ebenso wie ihre möglichen geschichtlichen Auswirkungen - und dadurch die Rolle zu betrachten, die solch oppositionelle Subjektivität und Praxis im Hinblick auf die bestimmte Negation des Kapitalismus spielen könnte. " (S. 74)
" Kurz, eine solche Vorgehensweise gestattet es, die Möglichkeit zu analysieren, daß die bestehenden Ordnung tatsächlich transformiert werden kann. " (S. 75)
" Dieser Ansatz gestattet die Analyse der inneren wenngleich vermittelten - Beziehung zwischen kritischer Theorie und der Entstehung kapital negierender Bedürfnisse sowie oppositioneller Bewußtseinsformen auf der Alltagsebene. Eine solche reflexive Gesellschaftstheorie hebt sich scharf von Kritiken ab, die die Möglichkeit kritischen Bewußtseins nicht in der bestehenden Ordnung lokalisieren können, oder das nur objektivistisch leisten und dadurch implizit den kritischen Denkern eine privilegierte Position einräumen, deren Wissen auf unerklärliche Weise der sozialen Deformation entkommen ist. " (S. 75)

1.9 Einige Implikationen für die Gegenwart(» K)

" An dieser Stelle sei kurz auf einige weitere Implikationen meiner auf den Grundrissen basierenden Interpretation der Marxschen kritischen Theorie eingegangen. Die Konzentration auf die historisch spezifische Form der Arbeit im Kapitalismus legt den Grund für einen Kapitalbegriff und ein Verständnis der Dynamik der kapitalistischen Gesellschaftsformation, die nicht wesentlich von der durch den Markt vermittelten Distributionsweise abhängig ist mit anderen Worten: sie ermöglicht eine Analyse des Kapitalismus, die nicht an die Formen gebunden bleibt, die er im 19. Jahrhundert annahm. " [Herv. v. P.H.] (S. 75)
" Wenn die Kritik der Produktion ins Zentrum rückt, ist es auch möglich, den Marxschen Begriff des Sozialismus als einer postkapitalistischen Form des gesellschaftlichen Lebens wieder aufzunehmen. Es ist schon dargelegt worden, daß für Marx die geschichtliche Beziehung zwischen Kapitalismus und Sozialismus nicht einfach eine Frage der geschichtlichen Vorbedingungen für die Abschaffung der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und die Ersetzung des Marktes durch Planung ist. Diese Beziehung sollte vielmehr auch unter dem Aspekt betrachtet werden, daß in zunehmendem Maße die Möglichkeit besteht, die historisch spezifische Rolle der Arbeit im Kapitalismus durch eine andere Form gesellschaftlicher Vermittlung abzulösen. " (S. 76)
 
[Kritik der Produktion]
" Wie die Marxsche Darstellung dieses Prozesses in den Grundrissen zeigt, wird die materielle Grundlage einer klassenlosen Gesellschaft von einer Form der Produktion gebildet, in der das Mehrprodukt nicht mehr in erster Linie durch unmittelbare menschliche Arbeit geschaffen wird. Somit ist die entscheidende Frage des Sozialismus nicht die, ob eine Kapitalistenklasse, sondern die, ob ein Proletariat noch existiert. " (S. 76)
" Kritische Kapitalismustheorien, die sich nur mit der Aufhebung der bürgerlichen Distributionsweise beschäftigen, können diese Dimension des Kapitalismus nicht adäquat erfassen. Noch gravierender ist, daß sie dazu tendieren, die Tatsache zu verschleiern, daß die Aufhebung der Klassengesellschaft die Aufhebung der Grundlage der Produktionsweise erfordert. " (S. 76)
" (Fussnote 19) In dieser Studie werde ich die Implikationen meiner Rekonstruktion in bezug auf die Frage der Stadien oder Formen einer postkapitalistischen Gesellschaft (zum Beispiel >Sozialismus< oder >Kommunismus<) nicht weiter verfolgen. " (S. 77)
" Denn die vom Kapital determinierte Gesellschaft kann nicht einfach aus Markt und Privateigentum hergeleitet und soziologisch auf die Herrschaft der Bourgeoisie reduziert werden.
...
Diese Analyse erklärt die für den Kapitalismus historisch-spezifischen abstrakten Zwänge und Beschränkungen aus den zugrundeliegenden gesellschaftlichen Formen von Wert und Kapital. Insoweit die durch diese Kategorien ausgedrückten gesellschaftlichen Beziehungen nicht vollkommen mit Markt und Privateigentum identisch sind, ist impliziert, daß diese Zwänge weiterbestehen können, auch wenn keine bürgerlichen Distributionsverhältnisse mehr existieren. "
(S. 78)
" Das heißt: der Ansatz, mit dessen Entwicklung ich in dieser Studie beginne, geht davon aus, daß eine postkapitalistische Demokratie mehr umfaßt als demokratische politische Formen bei einer Abschaffung privater Verfügungsgewalt über Produktionsmittel. Sie würde ebenfalls die Abschaffung der abstrakten gesellschaftlichen Zwänge erfordern, die in den von den Marxschen Kategorien erfaßten gesellschaftlichen Formen angelegt sind. " (S. 78)
 
[Abschaffung der abstrakten Herrschaft]
" Sie ist sowohl als Kritik des traditionellen Marxismus als auch als Versuch gedacht, den Grundstein für eine kritische Gesellschaftstheorie zu legen, die fähig ist, auf die pessimistischen Analysen so anerkannter Gesellschaftstheoretiker wie Georg Simmel, Emile Durkheim und Max Weber zu antworten. " (S. 79)
" Diese Erneuerung beinhaltet auch, wie bereits angemerkt, eine soziohistorische Subjektivitätstheorie, auf deren Grundlage eine stringente Auseinandersetzung mit der Weberschen Problematik von Modernität und Rationalisierung entwickelt werden könnte. Indem eine solche Analyse ihr Augenmerk auf die für die Entwicklung des Kapitalismus entscheidenden Denkformen und auf die fortdauernden Differenzierungs- und Rationalisierungsprozesse richtet, könnte sie dieses Denken und diese Prozesse selbst in den Begriffen der gesellschaftlichen Beziehungsformen erklären, die in den Marxschen Kategorien ausgedrückt werden. " (S. 79f)
" Eine solche Theorie wäre zudem in der Lage, die gegenwärtig weit verbreitete Antinomie von Funktionalismus und methodologischem Individualismus zu überwinden, bei der keine Seite für sich allein fähig ist, die objektiven und subjektiven Dimensionen des sozialen Lebens miteinander zu vermitteln. " (S. 80)
" Am bedeutsamsten jedoch ist, daß eine Theorie der gesellschaftlich konstituierten Strukturmerkmale und der historischen Prozesse des Kapitalismus auch eine Theorie der Möglichkeit ihrer Aufhebung ist. Vorstellbar ist eine solche Aufhebung in der Form des oben ausgeführten dialektischen Umschlags, das heißt mit der subjektiven Aneignung objektiver Kultur und ihrer Transformation, welche durch die Aufhebung jener letztlich in der entfremdeten Arbeit angelegten Struktur abstrakten sozialen Zwangs möglich geworden ist. Der Unterschied zwischen dem so definierten Kapitalismus und seiner möglich gewordenen historischen Negation kann dann zu recht als der zwischen zwei Gesellschaftsformationen bezeichnet werden. " (S. 80)

2. Die Voraussetzungen des traditionellen Marxismus(» K)

2.1 Wert und Arbeit(» K)

" Die kritische Theorie, die hier entworfen wird, unterscheidet sieh grundlegend von der traditionellen marxistischen Kapitalismuskritik. Sie stellt das traditionelle Verständnis des Kapitalismus und des in ihm angelegten basalen Widerspruchs zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen ebenso infrage wie den traditionellen Begriff von Sozialismus und die historische Rolle der Arbeiterklasse. " (S. 81)
" Die Kritik der Form der Produktion erweitert den traditionellen Blick auf den Kapitalismus - das heißt die Priorität von Markt und Privateigentum - nicht nur, sondern rekonstruiert die Gegebenheiten der kapitalistischen Gesellschaft auf völlig neue Weise. " (S. 81)
" Damit die verschiedenen Dimensionen dieser kategorialen Interpretation offengelegt werden können, werden zuerst die Voraussetzungen der traditionellen marxistischen Kritik eingehender analysiert. (Wie schon angemerkt liefert diese Studie keinen Überblick über das marxistische Denken insgesamt, sondern erläutert die allen Formen des traditionellen Marxismus zugrundeliegenden Prämissen, so unterschiedlich diese ansonsten in anderer Hinsicht auch sein mögen.) " (S. 82)
" Im Kapital beginnt er seine kritische Analyse der modernen kapitalistischen Gesellschaft mit der Kategorie Ware. Diese Kategorie bezieht sich nicht nur auf Wirtschaftsgüter, sondern ebenso auf die grundlegende strukturierende Gesellschaftsform des Kapitalismus, eine Form, die durch eine geschichtlich bestimmte Form gesellschaftlicher Praxis konstituiert wird. Im weiteren entfaltet Marx eine Reihe weiterer Kategorie - etwa Geld und Kapital -, mit denen er Wesen und Entwicklungsdynamik des Kapitalismus zu erklären beabsichtigt. " (S. 82)
" Hier sei nur daran erinnert, daß Marx in den Grundrissen den Wert als eine Kategorie behandelt, die sowohl die bestimmte Form gesellschaftlicher Beziehungen als auch die besondere, den Kapitalismus charakterisierende Form des Reichtums zum Ausdruck bringt. " (S. 82f)
" Die Marxsche Kategorie des Werts und mithin sein Begriff der kapitalistischen Produktionsverhältnisse - wird deshalb nicht adäquat erfaßt, wenn sie allein auf die Distributionsweise bezogen wird, sondern nur, wenn sie außerdem in ihrem Verhältnis zur Produktionsweise bestimmt wird. " (S. 83)
" Der Wert stellt für Sweezy die äußere Form dieser verdeckten Interdependenz dar. Er beschreibt einen indirekten Modus der gesellschaftlichen Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte. Sweezy interpretiert somit die Kategorie Wert allein in Begriffen des Marktes.
...
Dieser Interpretation zufolge ist das Wertgesetz »im wesentlichen eine Theorie des allgemeinen Gleichgewichts« (1970, 71). Eine seiner Hauptfunktionen bestehe darin, »klarzumachen, daß in einer warenproduzierenden Gesellschaft trotz des Fehlens zentralisierter und koordinierter Entscheidung Ordnung herrscht, und nicht bloßes Chaos« (1970, 71). "
(S. 83)
 
[Wert und Gleichgewicht bei Sweezy]
" Dies aber läuft darauf hinaus, Wert allein als Kategorie der Verteilung, als Ausdruck einer nicht-bewußten, >automatischen<, über den Markt vermittelten Distributionsweise im Kapitalismus zu begreifen. Es überrascht somit nicht, daß Sweezy Wert (als Prinzip des Kapitalismus) und Planung (als Prinzip des Sozialismus) abstrakt einander gegenüberstellt. (1970, 70ff.) Das für den kritischen Fokus einer derartigen Interpretation wesentliche Moment ist somit die Art und Weise, wie die Verteilung organisiert ist. " (S. 84)
" Daß für Marx die Aufhebung des Kapitalismus gleichbedeutend ist mit der Aufhebung der >automatischen< Distributionsweise, ist nicht zu bestreiten. Dennoch kann die Kategorie des Werts nicht adäquat erfaßt werden, wenn sie allein auf die Distributionsweise bezogen wird. Marx analysiert nicht nur, wie die Distribution vonstatten geht, sondem auch, was hier verteilt wird. " (S. 84)
 
[Aufhebung der >automatischen< Distributionsweise]
" Weil die traditionelle Interpretation des Werts als Kategorie der Distribution von Reichtum die Konfrontation des Werts mit dem, was Marx mal »stofflichen Reichtum« mal »wirklichen Reichtum« nennt, übersieht, vermag sie die geschichtliche Besonderheit der den Wert konstituierenden Form der Arbeit nicht zu analysieren. " (S. 84)
" (Eine Analyse dieser Spezifik wiederum würde es ermöglichen zu analysieren, wie die Wertform sowohl die Produktions- als auch die Distributionssphäre strukturiert.) Wäre dagegen der Wert nichts weiter als eine Kategorie der Distribution des Reichtums, dann würde sich die diesen Reichtum schaffende Arbeit dem Wesen nach nicht wirklich von der Arbeit in nicht-kapitalistischen Gesellschaftsformationen unterscheiden. Der Unterschied zwischen beiden wäre ein äußerlicher, wäre lediglich eine Frage nach dem >Wie< ihrer gesellschaftlichen Koordination. " (S. 85)
" Ernest Mandel legt eine ähnliche Interpretation vor. Wenngleich er von Wygodski bezüglich der Priorität des Privateigentums für den Kapitalismus abweicht (1968,93), liegt auch für ihn die Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus in ihrem indirekt gesellschaftlichen Charakter:
Wenn die individuelle Arbeit unmittelbar gesellschaftlichen Charakter erhält - und dies ist wohl eines der Hauptcharakteristiken einer sozialistischen Gesellschaft! - so ist es offensichtlich absurd, erst einen Umweg über den Markt zu nehmen, um die gesellschaftliche Qualität dieser Arbeit >wiederzuentdecken<. (1968, 93)
Nach Mandel will die Marxsche Werttheorie die indirekte Art und Weise offenlegen, in der sich die gesellschaftliche Qualität der Arbeit im Kapitalismus vermittelt (1968, 93).

Derartige Interpretationen, die die Arbeit im Kapitalismus als nicht unmittelbar gesellschaftlich kennzeichnen, finden sich sehr häufig. Was sie als spezifisch gesellschaftlichen <Charakter> oder spezifisch gesellschaftliche <Qualität> der Arbeit im Kapitalismus präsentieren, ist jedoch genau genommen nur die Art und Weise ihrer Verteilung. Eine solche Bestimmung bleibt der Arbeit äußerlich. Um die Unterscheidung zwischen einer äußerlichen und einer inneren Bestimmung der Besonderheit dieser Arbeit klären zu können, soll hier die Marxsche Kennzeichnung der Arbeit im Kapitalismus als privat und gesellschaftlich zugleich herangezogen werden (MEW 13, 21). "
(S. 85f)
 
[Nicht Unmittelbare Gesellschaftlichkeit des Wertes]
" Hier bedeutet <gesellschaftlich> nichts weiter als nicht-<privat>, meint das, was sich scheinbar auf die Gesamtheit, nicht auf das Individuum bezieht. Weder wird der besondere Charakter der betreffenden gesellschaftlichen Verhältnisse zum Problem noch ist in einem derartig bestimmten Begriff des <Gesellschaftlichen> der Gegensatz zwischen gesellschaftlich und privat enthalten. " (S. 86)
 
[Trad.: gesellschaftlich = nicht-privat]
" Solche Interpretationen unterstellen, die Aufhebung des Kapitalismus sei gleichbedeutend mit der Ablösung einer vermittelten Form der gesellschaftlichen Verhältnisse durch eine unmittelbare, unvermittelte Form, in der die Arbeit dann ihren gesellschaftlichen Charakter unmittelbar realisieren könne. Diese Art kritischer Analyse stellt eine Kritik des individualisierten, mittelbar gesellschaftlichen Charakters der Arbeit im Kapitalismus dar, die vom Standpunkt ihres <wahren>, unmittelbar gesellschaftlichen und allumfassenden Charakters ausgeht. " (S. 86)
" Die Marxsche Kennzeichnung der Arbeit im Kapitalismus als zugleich privat und gesellschaftlich stellt keine Kritik ihrer Privatheit vom Standpunkt ihrer Gesellschaftlichkeit dar. Sie bezieht sich nicht auf den Unterschied zwischen einem wahren, transhistorischen <Wesen> der Arbeit und ihrer Erscheinungsform im Kapitalismus, sondern vielmehr auf zwei Momente der Arbeit im Kapitalismus selbst: »Die Arbeit, die sich im Tauschwert ausdrückt, wird vorausgesetzt als Arbeit des vereinzelten Einzelnen. Gesellschaftlich wird sie dadurch, daß sie die Form ihres unmittelbaren Gegenteils, die Form abstrakter Allgemeinheit annimmt.« (MEW 13, 21) " (S. 87)
" Mit anderen Worten: der Gegensatz zwischen privater und unmittelbar gesellschaftlicher Arbeit ist der von zwei Seiten, die sich gegenseitig ergänzen und bedingen. Der Gedanke liegt nahe, daß es die Arbeit im Kapitalismus selbst ist, die eine unmittelbar gesellschaftliche Dimension besitzt, und daß der unmittelbar »gesellschaftliche Charakter der Arbeit« nur innerhalb gesellschaftlicher Bedingungen existiert, die ebenso durch die Existenz »privater Arbeit« gekennzeichnet sind. Im Gegensatz zu den oben umrissenen Interpretationen macht Marx ausdrücklich geltend, daß der unvermittelt gesellschaftliche Charakter der Arbeit im Kapitalismus den Kern dieser Gesellschaft ausmacht. " (S. 87)
 
[Identisches Moment gesell. und privat im Kapitalismus]
" Er erachtet diesen unmittelbar gesellschaftlichen Charakter der Arbeit als zentral für die den Kapitalismus kennzeichnenden geschichtlichen Prozesse, in deren Verlauf sich allgemeine gesellschaftliche Potenzen und Reichtum herausbilden - jedoch auf Kosten der Individuen:

"Es ist in der Tat nur durch die ungeheuerste Verschwendung von individueller Entwicklung, daß die Entwicklung der Menschheit überhaupt gesichert und durchgeführt wird in der Geschichtsepoche, die der bewußten Rekonstitution der menschlichen Gesellschaft unmittelbar vorausgeht. Da die ganze Ökonomisierung, von der hier die Rede, entspringt aus dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, so ist es in der Tat gerade dieser unmittelbare gesellschaftliche Charakter der Arbeit, der diese Verschwendung von Leben und Gesundheit der Arbeiter erzeugt."(MEW 25, 99; Hervorhebung M. P.) "
[Herv. v. P.H.] (S. 88)
 
[Unmittelbar gesellschaftlich im Kapitalismus]
" Folgt man den Interpretationen des Werts als einer Kategorie des Marktes, so ist die Arbeit in allen Gesellschaften außer der kapitalistischen unmittelbar gesellschaftlich. " (S. 88)

{ Auch in anderen Gesellschaften ist die Arbeit immer vermittelt, sei es über tradierte Formen und ihre Durchsetzung. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass die Arbeit in jeder Gesellschaft als Teil der Gesamtarbeit auch immer unmittelbar gesellschaftlich ist, z.B. alleine in der Kooperation, oder es ist auch immer Arbeit für die anderen und mit den anderen. Wobei erst der Kapitalismus die Gesamtarbeit, bzw. den Gesamtarbeiter, als wirkliche Qualität erst vollständig entwickelt, als global verteilte Produktion und Distribution. Dies gibt Postone denn auch als Banalität zu. (d.V.)}

" Marx zufolge hat die Arbeit dagegen nur im Kapitalismus eine unmittelbar gesellschaftliche Dimension. Was den traditionellen Auffassungen zufolge durch die Aufhebung des Kapitalismus realisiert werden würde, ist somit genau das, was nach Marx abgeschafft werden sollte. " (S. 88)

{ Dies ist eine glatte Unterstellung und kann erst getroffen werden, wenn man mittelbar und vermittelt so einseitig begreift, wie M.P.. Postone verwechselt 'unmittelbar' und 'vermittelt' im Kapitalismus mit der anderen Vermitteltheit in anderen Gesellschaftsordnungen und der abstrakt immer vorhandenen Gesellschaftlichkeit der menschlichen Arbeit. Letzteres ist in der Tat transhistorisch, wie auch die Kooperation von Menschen als Eigenschaft von Gesellschaft als solcher transhistorisch ist, so es Gesellschaft gibt. (d.V.)}

Postone löst das Dilemma, dass die Arbeit deshalb unmittelbar gesellschaftlich ist, weil sie gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit ist und dies ist Arbeit nur im Kapitalismus. So ist diese Unmittelbarkeit auch nur im Kapitalismus vorhanden, nur hier ist die Vermittlung durch Arbeit gegeben.
 
[Unmittelbar, weil vermittelnd]
" In der späten kritischen Theorie von Marx ist die Arbeit im Kapitalismus unmittelbar gesellschaftlich, weil sie als gesellschaftlich vermittelte Tätigkeit agiert. Diese - historisch einzigartige - gesellschaftliche Qualität unterscheidet die Arbeit im Kapitalismus von der Arbeit in anderen Gesellschaften und bestimmt den Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse als kapitalistische Formation. Weit davon entfernt, die Abwesenheit gesellschaftlicher Vermittlung anzuzeigen (das heißt die Existenz unvermittelter gesellschaftlicher Verhältnisse), konstituiert der unmittelbar gesellschaftliche Charakter der Arbeit eine für den Kapitalismus spezifische Form gesellschaftlicher Vermittlung. " (S. 88)
 
[Unmittelbar, weil vermittelnd]
" Statt dessen analysiert sie die kapitalistische Gesellschaft als Gegensatz zwischen den isolierten Individuen und der gesellschaftlichen Kollektivität. Diese Kritik bezieht sich auf beide Seiten. Sie besteht darauf daß beide Seiten strukturell aufeinander bezogen sind und einen Gegensatz bilden, der für den Kapitalismus spezifisch ist. Die kritische Analyse dieses Gegensatzes durch Marx wird vom Standpunkt der historischen Möglichkeit seiner Aufhebung aus unternommen, einem Standpunkt, der vom Marxschen Begriff des gesellschaftlichen Individuums repräsentiert wird. " (S. 89)
" Meine Marxinterpretation behauptet, daß gesellschaftliche Verhältnisse - also Formen gesellschaftlicher Interdependenz - nicht als entweder unmittelbare oder mittelbare vorgestellt werden können. Die Marxsche Kritik zielt vielmehr auf den Charakter der gesellschaftlichen Vermittlung im Kapitalismus und nicht auf den simplen Umstand, daß gesellschaftliche Verhältnisse vermittelt sind. Gesellschaftliche Interdependenz ist stets vermittelt (unvermittelte Interdependenz ist ein Widerspruch in sich). Was eine Gesellschaft charakterisiert, ist der spezifische Charakter dieser Vermittlung. Die Marxsche Analyse stellt eine Kritik der durch Arbeit vermittelten gesellschaftlichen Beziehungen dar, ausgehend von einem Standpunkt, auf dem sich historisch die Möglichkeit anderer gesellschaftlicher und politischer Vermittlungen zeigt. " [Herv. v. P.H.] (S. 89)
" Die Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft als Aufhebung von Vermittlung schlechthin kann zu einer Vorstellung von Sozialismus führen, die ihrem Wesen nach unpolitisch ist - wie dies bei etatistischen oder utopisch-kommunitaristischen Varianten der Fall ist. Darüber hinaus steht die Marxsche Kritik, wenn sie als Kritik einer spezifischen Vermittlungsform statt als Kritik an Vermittlung schlechthin aufgefaßt wird, im Einklang mit Bestrebungen um realisierbare Formen gesellschaftlicher und politischer Vermittlung in einer postkapitalistischen Gesellschaft. " (S. 89f)
" Das Ausmaß dieser Divergenz verlangt, daß die Prämissen dieser allein auf die Distributionsweise konzentrierten kritischen Theorien näher untersucht werden. Zu diesem Zweck werde ich im folgenden die Marxsche Kritik mit der der klassischen politischen Ökonomie vergleichen. " (S. 90)

2.2 Ricardo und Marx(» K)

" Allgemeiner gefragt: Was ist der Unterschied zwischen klassischer politischer Ökonomie und der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie? " (S. 91)
 
[Was ist der Unterschied?]
" Der kritische Impetus der klassischen politischen Ökonomie bestand - so Dobb - in dem Verweis darauf, daß eine Regulierung der Gesellschaft durch den Staat, wenngleich unter dem Merkantilismus als wesentlich erachtet, unnötig geworden war (1940, 49). " (S. 91)
" Mit anderen Worten: Dobbs Begriff von Gesellschaftskritik kritisiert die unproduktiven gesellschaftlichen Gruppen vom Standpunkt der Produktivität aus. " (S. 92)
" Für Dobb nahm die historische Kapitalismuskritik von Marx die klassische Werttheorie auf, um sie zu verfeinern und gegen die Bourgeoisie zu wenden. Marx, so argumentiert er, ging weiter als die Ricardianer, indem er zeigte, daß der Profit nicht als eine dem Kapital irgendwie inhärente Eigenschaft erklärt werden kann und nur die Arbeit produktiv ist. (1940, 58) ... Er zeige dann, daß der Wert der Ware Arbeitskraft (dessen Betrag dem zu ihrer Reproduktion notwendigen Warenwert entspricht) niedriger sei als der Wert, den diese Arbeit im Verlauf ihrer Tätigkeit hervorbringt. (1940, 58ff.) Die Differenz zwischen beiden konstituiere den Mehrwert, den sich die Kapitalisten aneigneten. " (S. 92)
" Dieser gängigen Theorie zufolge stellt die Werttheorie von Marx dem Wesen nach eine verfeinerte und konsistentere Version der Arbeitswerttheorie von Ricardo dar (vgl. etwa Mandel 1968, 77ff.); Waltoni Ganible 1972, 179; Lichtheim 1965, 172ff.). " (S. 93)
" Damit wird also unterstellt, daß die Marxschen Kategorien wie Ware, abstrakte Arbeit und Wert, mit denen er seine Kritik der politischen Ökonomie begann - und die er auf der logischen Ausgangsebene seiner Analyse entwickelte -, seine Kritik noch gar nicht zum Ausdruck bringen. Statt dessen wird diese Ebene implizit als bloßes Prolegomenon zur Kritik betrachtet. Auf ihr werde nur der Boden bereitet für eine <wirkliche Kritik>, die erst mit der Einführung der Kategorie des Mehrwerts beginne. " (S. 93)
" Die Frage, ob schon in den Ausgangskategorien der Marxschen Analyse eine Kapitalismuskritik enthalten ist, hängt mit der zusammen, ob sie auch den historisch dynamischen Charakter dieser Gesellschaft theoretisch begründen (Grossmann 1969) " (S. 93)
Lange behauptet:
" Beim Wertgesetz handele es sich um eine Theorie des Gleichgewichts, die als solche mit der Entwicklungsdynamik des Kapitalismus nichts zu tun habe. " (S. 93)
 
[Wertgesetz als Gleichgewichtstheorie]
" Wir sehen, daß die Marxsche Werttheorie, wenn sie im Prinzip mit der der klassischen politischen Ökonomie gleichgesetzt wird, weder der historischen Kritik des Kapitalismus noch der Erklärung seines dynamischen Charakters eine direkte Grundlage verschafft und dies dann auch gar nicht kann. (Deshalb hat meine Interpretation zu zeigen, daß die grundsätzlichen, auf der logischen Ausgangsebene entfalteten Marxschen Kategorien tatsächlich schon kapitalismuskritisch sind und sie eine immanente historische Dynamik entfalten.) " (S. 94)
" Den hier angesprochenen Interpretationen zufolge entmystifiziert (oder >entfetischisiert<) die Marxsche Arbeitswerttheorie die kapitalistische Gesellschaft, indem sie enthüllt, daß die Arbeit die wahre Quelle des gesellschaftlichen Reichtums darstellt. Dieser Reichtum werde durch den Markt >automatisch< verteilt und von der Kapitalistenklasse auf verdeckte Art und Weise angeeignet. Demzufolge bestehe der Impetus der Marxschen Kritik seinem Wesen nach darin, hinter der Erscheinung des Äquivalententausches die Existenz von Klassenausbeutung zu enthüllen. Markt und private Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel gelten als die wesentlichen Produktionsverhältnisse des Kapitalismus, die in den Kategorien Wert und Mehrwert zum Ausdruck kommen. Gesellschaftliche Herrschaft wird dementsprechend als Funktion der Klassenherrschaft behandelt, die wiederum im »Privateigenturn an Boden und Kapital« (Dobb 1940, 78) angelegt sei. " (S. 94)
" Entscheidend ist die Implikation, der Charakter der Marxschen Kapitalismuskritik sei im Prinzip identisch mit der bürgerlichen Kritik an früheren Gesellschaftsordnungen. In beiden Fällen werden gesellschaftliche Verhältnisse vom Standpunkt der Arbeit kritisiert. Wenn aber Arbeit den Standpunkt der Kritik bildet, dann ist und kann sie selbst nicht ihr Gegenstand sein. " [Herv. v. P.H.] (S. 94)
 
[Standpunkt der Arbeit = bürgerlich]
" Die Annahme, daß die Marxsche Kategorie Wert prinzipiell die gleiche sei wie bei Ricardo, impliziert weiterhin, daß bei beiden die Auffassung von der den Wert konstituierenden Arbeit im Prinzip dieselbe ist. Der Gedanke, die Arbeit sei sowohl Quelle allen Reichtums als auch der Standpunkt der Gesellschaftskritik, ist, wie bereits angemerkt, bezeichnend für die bürgerliche Kritik der Gesellschaft. " (S. 96)
" Diese Gleichsetzung ist jedoch verfehlt. Der wesentliche Unterschied zwischen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie und der klassischen politischen Ökonomie liegt genau in der verschiedenen Fassung des Arbeitsbegriffes. " (S. 96)
" Dieser Unterschied zwischen Ricardo und Marx ist weitaus prinzipieller. Bei Marx wird die Bestimmung des Tauschwerts durch Arbeitszeit nicht einfach nur konsistenter (MEW 13, 47f). Statt Ricardos Arbeitswerttheorie zu übernehmen und zu verfeinern, kritisiert Marx Ricardo dafür, einen undifferenzierten Begriff von >Arbeit< als Quelle des Werts gesetzt zu haben, das heißt ohne die Besonderheit der waren-produzierenden Arbeit weiter zu untersuchen:... " (S. 97f)
" Ricardo verkannte die historische Bestimmtheit jener mit der Warenform verbundenen Arbeit und verlieh ihr statt dessen einen transhistorischen Charakter. »Im übrigen betrachtet Ricardo die bürgerliche Form der Arbeit als die ewige Naturform der gesellschaftlichen Arbeit.« (MEW 13, 46) Genau dieser transhistorische Begriff der den Wert konstituierenden Arbeit verhindert eine der kapitalistischen Gesellschaftsformation adäquate Analyse:... " (S. 98)
" Eine dem Kapitalismus adäquate Analyse ist nach Marx nur möglich, wenn sie vom historisch spezifischen Charakter der Arbeit im Kapitalismus ausgeht. Die Ausgangs- und Grundbestimmung dieser Besonderheit nennt Marx den »Doppelcharakter« warenförmig bestimmter Arbeit: " (S. 98)
" Diese Differenz kennzeichnet den Unterschied zwischen einer Gesellschaftskritik, die vom Standpunkt der >Arbeit< ausgeht - einem Standpunkt, der selbst nicht Gegenstand der Untersuchung ist -, und einer Kritik, in der die Form der Arbeit selbst den Gegenstand der kritischen Untersuchung darstellt. Erstere bleibt in der kapitalistischen Gesellschaftsformation verfangen, letztere hingegen weist darüber hinaus. " (S. 100)
 
[Kritik der Form der Arbeit selbst]
" Statt dessen bestimmt Marx in seiner Kritik den Untersuchungsgegenstand neu. Ins Zentrum seiner Bemühungen gelangen hingegen nicht nur die Distributionsform, sondern auch die Formen von Reichtum, Arbeit und Produktion im Kapitalismus. " (S. 100)
" Die Vorgehensweise von Marx zeigt jedoch, daß er, anders als die klassische politische Ökonomie, über den Gegensatz zwischen Staat und bürgerlicher Gesellschaft hinaus wollte. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie (geschrieben nach dem Aufstieg der industriellen Großproduktion) macht deutlich, daß die kapitalistische Gesellschaft in ihrem Zentrum vom richtungsgebundenen, dynamischen Charakter des Kapitals bestimmt ist. " (S. 101)
" Zu fragen ist daher nicht nach der Bedeutung der Beziehung >der Ökonomie< zum >Staat<, sondern nach dem Wesen der gesellschaftlichen Vermittlung im Kapitalismus und dem Verhältnis dieser Vermittlung zum richtungsgebundenen dynamischen Charakter der Gesellschaft. " (S. 102)

2.3 >Arbeit<, Reichtum und gesellschaftliche Konstitution(» K)

" Wir haben jedoch gesehen, daß die Marxsche Analyse sich gerade im Hinblick auf die Frage nach der wertschaffenden Arbeit von jener unterscheidet und daß er die klassische politische Ökonomie dafür kritisiert, Arbeit im Kapitalismus als transhistorische >Arbeit< zu konzeptualisieren. Diese Unterscheidung ist prinzipiell, weil ihr zwei grundsätzlich verschiedene Formen von Gesellschaftskritik zugrundeliegen. " (S. 102)
" Wenn >Arbeit< den Standpunkt einer kritischen Theorie darstellt, so habe ich ausgeführt, dann wird die Distributionsweise oder die Aneignung der Arbeit und ihrer Produkte unweigerlich zum Fokus der Kritik. " (S. 102)
" Aus dieser Sicht wird >Arbeit< nicht nur als transhistorische Quelle des Reichtums gesehen, sondern auch als das, was das gesellschaftliche Leben vornehmlich strukturiert. " (S. 105)
" >Arbeit< wird hier zum ontologischen Grund der Gesellschaft, der das gesellschaftliche Leben konstituiert, bestimmt und ursächlich steuert. Wenn die Arbeit, wie die traditionellen Interpretationen behaupten, die einzige Quelle gesellschaftlichen Reichtums darstellt und alle Gesellschaften dem Wesen nach konstituiert, dann können die Unterschiede zwischen verschiedenen Gesellschaften nur eine Funktion der verschiedenen Weisen sein, wie dieses regulierende Element vorherrscht - ob in verschleierter und >mittelbarer< Form oder (was natürlich vorzuziehen ist) in offener und >unmittelbarer< Form. " (S. 105)
 
[Aporie der Planwirtschaft]
" Der Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus wird somit - neben der Frage nach der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel - wesentlich als Frage danach verstanden, ob die Arbeit als das die Gesellschaft konstituierende und regulierende Prinzip erkannt und bewußt als solches behandelt wird, oder ob gesellschaftliche Regulierung nicht-bewußt geschieht. Im Sozialismus tritt dann dieses ontologische Prinzip offen zutage, während es im Kapitalismus verdeckt bleibt. " (S. 106)
" Wie Hilferding behauptet Reichelt, daß der Inhalt des Werts im Sozialismus »bewußt zum Prinzip der Ökonomie erhoben« werde. Wenn aber die >Form< (Wert) strikt vom >Inhalt< (>Arbeit<) getrennt werden kann, hat dies zur Folge, daß diese Bestimmung nicht eine Form der Arbeit, sondern der Weise ihrer gesellschaftlichen Verteilung ist. Dieser Interpretation zufolge gibt es keine innere Verknüpfung zwischen Form und Inhalt - es kann sie auch nicht geben, wenn man den vorgeblich transhistorischen Charakter des Inhaltes als gegeben nimmt.

Diese Interpretation des Verhältnisses von Form und Inhalt ist gleichzeitig eine bestimmte Interpretation des Verhältnisses von Erscheinung und Wesen. "
[Herv. v. P.H.] (S. 106)
 
[Form und Inhalt bei Reichelt]
" Wenn >Arbeit< als das transhistorische Wesen des gesellschaftlichen Lebens angesehen wird, wird unter Mystifizierung notwendigerweise die historisch vergängliche Form verstanden, die mystifiziert und die es abzuschaffen gilt (Wert) und die von dem transhistorischen Wesen (>Arbeit<), das sie verschleiert, unabhängig ist. Entmystifizierung wird somit als ein Prozeß verstanden, der das Wesen transparent und unmittelbar erscheinen läßt. " (S. 107)
 
[Entmystifizierung der Arbeit]
" Zwar konstituiert und bestimmt Marx zufolge die Arbeit tatsächlich die Gesellschaft - aber nur im Kapitalismus. Geschuldet ist dies allein ihrer geschichtlichen Besonderheit und nicht einfach dem Umstand, daß sie eine Tätigkeit ist, die die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Natur materiell vermittelt. Was Theoretiker wie Hilferding der >Arbeit< zuschreiben, stellt für Marx eine transhistorische Hypostasierung der Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus dar. " [Herv. v. P.H.] (S. 107)
 
[Konstitution durch Arbeit nur im Kapitalismus]
" Aus der Marxschen Analyse der Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus ergibt sich zudem ein der traditionellen Auffassung von >Arbeit< diametral entgegengesetzter Zugang zum Verhältnis von Gesellschaftsform und Inhalt im Kapitalismus. Eine Kritik vom Standpunkt der >Arbeit< versteht Mystifizierung so, als existiere zwischen dem gesellschaftlichen >Inhalt< und seiner mystifizierten Form gar keine innere Beziehung. " [Herv. v. P.H.] (S. 107f)
" Marx zufolge stellen sich warenförmige gesellschaflliche Verhältnisse notwendigerweise in fetischisierter Form dar: gesellschaftliche Beziehungen erscheinen »als das, was sie sind, d.h.... als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen« (MEW 23, 87). Demnach verbergen im Kapitalismus die in den Kategorien Ware oder Wert ausgedrückten, scheinbar objektiven, unpersönlichen gesellschaftlichen Formen die >realen< gesellschaftlichen Verhältnisse (das heißt die Klassenverhältnisse) nicht: vielmehr sind die durch diese Kategorien ausgedrückten abstrakten Strukturen eben diese >realen< gesellschaftlichen Verhältnisse. " (S. 108)
" So läßt sich zeigen, daß das für die Arbeit im Kapitalismus Charakteristische Marx zufolge darin besteht, daß sie in der Form des Werts (der wiederum andere Formen annimmt) existieren muß. Arbeit im Kapitalismus erscheint so notwendigerweise in einer Form, die sie sowohl ausdrückt als auch verschleiert. Interpretationen dagegen, die auf einer undifferenzierten, transhistorisierten Vorstellung von >Arbeit< fußen, unterstellen eine kontingente Beziehung zwischen diesem >Inhalt< und der Wertform. Folglich sind sie ebensowenig wie die klassische politische Ökonomie in der Lage, sich mit der Frage nach der Beziehung von gesellschaftlichem Inhalt und Form, von Arbeit und Wert zu befassen. " (S. 109)
" Diese notwendige Beziehung zwischen Gesellschaftsform und Inhalt in der Marxschen Kritik steht zu einer Analyse im Gegensatz, die sich eine Aufhebung des Kapitalismus, seine reale Entmystifizierung, ohne die gleichzeitige Transformation seines notwendigerweise in mystifizierter Form erscheinenden >Inhalts< vorstellt. Marx dagegen hält dafür, daß die Aufhebung des Werts und der mit ihm verbundenen abstrakten gesellschaftlichen Verhältnisse nicht von der Aufhebung der Wert erzeugenden Arbeit zu trennen ist. " [Herv. v. P.H.] (S. 109)
" Doch dabei handelt es sich lediglich um eine differenziertere Ausdrucksweise für den abstrakten Gegensatz zwischen Planung als dem sozialistischen und Markt als dem kapitalistischen Prinzip, einem Gegensatz, der oben schon eingehender kritisiert worden ist. Weder geht sie auf das ein, was geplant werden soll, noch benennt sie den Grad, bis zu dem eine Planung wahrhaft bewußt und frei von den Imperativen struktureller Herrschaft ist. Die einseitige Kritik der Distributionsweise und die transhistorische Sozialontologie der Arbeit sind miteinander verwandt. " [Herv. v. P.H.] (S. 109)

{ Aber das machst du für deine Kritik erst recht nicht. (d.V.)}

" Indern er eine Kritik der Arbeit im Kapitalismus auf der Basis ihrer geschichtlichen Besonderheit formulierte, entwickelte Marx die auf der Arbeitswerttheorie aufgebaute Gesellschaftskritik von einer >positiven< zu einer >negativen< Kritik weiter. Die Kapitalismuskritik, die den Ausgangspunkt der klassischen politischen Ökonomie - einen transhistorischen, undifferenzierten Begriff von >Arbeit< - beibehält, um daraus die strukturelle Existenz von Ausbeutung zu beweisen, ist, ihrer Form nach, >positive< Kritik. " (S. 110)
 
[Marx' negative Kritik]
" Eine positive Kritik - die das Bestehende auf der Grundlage von etwas ebenfalls Bestehenden kritisiert - verweist letztlich auf eine andere Variante der gegebenen kapitalistischen Gesellschaftsformation. Es wird noch zu zeigen sein, wie die Marxsche Kritik der Arbeit im Kapitalismus dagegen die Grundlage einer >negativen< Kritik bereitstellt - einer Kritik, die das, was ist, auf der Grundlage dessen kritisiert, was sein könnte - und darin auf die Möglichkeit einer anderen Gesellschaft verweist.
...
Aus der Perspektive der Kritik der Spezifik der Arbeit im Kapitalismus impliziert demnach die Kritik, die vom Standpunkt der >Arbeit< ausgeht, eine Vision des Sozialismus, die die Verwirklichung des Wesens der kapitalistischen Gesellschaft bedeutet. "
(S. 110)

2.4 Gesellschaftskritik vom Standpunkt der Arbeit(» K)

" Seine Kritik wird interpretiert als Kritik der Distributionsweise und -verhältnisse einer nicht-bewußten, >anarchischen< Verteilung - sowie der verdeckten, privaten Aneignung des Mehrwerts durch die Kapitalistenklasse. Gesellschaftliche Herrschaft wird wesentlich als Klassenherrschaft begriffen. Die Aufhebung des Werts wird mithin als Abschaffung einer vermittelten, nicht-bewußten Form der Verteilung verstanden, wodurch ein bewußtes und rational geregeltes gesellschaftliches Leben ermöglicht werde. " (S. 111)
" Die Aufhebung des Mehrwerts wird als Abschaffung des Privateigentums und somit der Ausbeutung des allgemeinen, allein durch die Arbeit geschaffenen gesellschaftlichen Überschusses seitens einer unproduktiven Klasse konzipiert: die produktive Arbeiterklasse könnte sich dann die Ergebnisse ihrer kollektiven Arbeit wieder aneignen (vgl. u. a. Dobb 1940, 76ff). Im Sozialismus werde die Arbeit offen als das regulierende Prinzip des gesellschaftlichen Lebens erscheinen und so die Grundlage für die Verwirklichung einer rationalen und gerechten, auf allgemein gültigen Prinzipien gegründeten Gesellschaft schaffen. " (S. 195)
 
[Abschaffung des Privateigentums]
" Eine derartige Kritik ist ihrem Wesen nach mit der frühen bürgerlichen Kritik der grundherrschaftlichen Aristokratie und der feudalen Gesellschaftsformation identisch. Es handelt sich um eine normative Kritik unproduktiver gesellschaftlicher Gruppierungen vorn Standpunkt >wahrhaft< produktiver: sie macht >Produktivität< zum Kriterium gesellschaftlichen Werts. " (S. 112)
" Letztlich dient sie, weil aus diesem Blickwinkel die Arbeit die Beziehung zwischen Mensch und Natur konstituiert, als Standpunkt, von dem aus die gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen untereinander beurteilt werden können: Verhältnisse, die mit der Arbeit in Einklang stehen und ihre grundlegende Bedeutung ausdrucken, werden als gesellschaftlich >natürlich< angesehen. Deshalb ist die Gesellschaftskritik vorn Standpunkt der >Arbeit< eine Kritik von einer quasi-natürlichen Warte aus, der einer Sozialontologie. " (S. 112)
 
[Sozialonthologie - Standpunkt des Natürlichen]
" Im traditionellen Marxismus liefert die Kategorie >Arbeit< einen normativen Standpunkt für eine Gesellschaftskritik im Namen von Gerechtigkeit, Vernunft, Universalität und Natur. " (S. 112)
" Da diese aber nur ausgebend von der bestehenden Distributionsweise interpretiert werden, wird die industrielle Produktion nicht Gegenstand der geschichtlichen Kritik, sondern ist als >progressive< gesellschaftliche Dimension gesetzt, die - zunehmend von Privateigentum und Markt >gefesselt< - zur Grundlage der sozialistischen Gesellschaft wird (vgl. u. a. Kautsky 1906, 262 f.). Der Widerspruch des Kapitalismus wird als einer zwischen >Arbeit< und Distributionsweise gesehen, der sich in den Kategorien Wert und Mehrwert ausdrücke. In dieser Interpretation führt die kapitalistische Entwicklung zu einem wachsenden Anachronismus von Markt und Privateigentum - die immer weniger den Bedingungen der industriellen Produktion entsprechen - und ermöglicht so ihre Abschaffung. Sozialismus bestehe in der Etablierung einer Distributionsweise - öffentlicher Planung in Abwesenheit von Privateigentum-, die der industriellen Produktion dann voll entspricht. " (S. 112f)
" Dementsprechend ist die auf >Arbeit< basierende, normative und historische Kritik ihrem Charakter nach positiv: ihr Standpunkt ist der einer bereits bestehenden Struktur der Arbeit und der diese verrichtenden Klasse. Die Emanzipation ist verwirklicht, wenn eine bereits bestehende Struktur der Arbeit nicht mehr durch kapitalistische Verhältnisse im Zaum gehalten und dazu benutzt wird, Partikularinteressen zu befriedigen, sondern bewußter Kontrolle im Interesse aller unterworfen ist. Deshalb müsse die Kapitalistenklasse im Sozialismus abgeschafft werden - nicht aber die Arbeiterklasse; müsse die private Aneignung des Mehrwerts und die am Markt orientierte Distributionsweise historisch negiert werden - nicht aber die Struktur der Produktion. (Dobb 1940, 75ff.) " (S. 113)
 
[Nichtabschaffung der Arbeiter]
" ...- das heißt die Kritik der Distributionsweise vom Standpunkt der industriellen Produktion -, schwerwiegende Mängel und zu kritisierende Konsequenzen auf. Statt über die kapitalistische Gesellschaftsformation hinaus-zuweisen, hypostasiert und projiziert die vorn Standpunkt der >Arbeit< geübte, traditionelle und positive Kritik die für den Kapitalismus spezifischen geschichtlichen Formen des Reichtums und der Arbeit auf alle Geschichtsepochen und Gesellschaften. Eine derartige Projektion behindert das Begreifen der Besonderheit einer Gesellschaft, in der die Arbeit eine einzigartig konstituierende Rolle spielt, und verfehlt das Abklären der Möglichkeiten zur Aufhebung dieser Gesellschaft. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Gesellschaftskritik ist der zwischen einer kritischen Analyse des Kapitalismus als einer Form von Klassenausbeutung und -herrschaft innerhalb der modernen Gesellschaft und einer kritischen Analyse der Form der modernen Gesellschaft selbst. " (S. 114)
 
[Kritik innerhalb und der Form selbst]
" Diese unterschiedlichen Auffassungen von Kapitalismus implizieren verschiedene Postulate der normativen Dimension der Kritik. Meine Behauptung zum Beispiel, daß eine auf >Arbeit< gegründete Kritik eine transhistorische Projektion dessen bedeutet, was nur für den Kapitalismus spezifisch ist, impliziert auf einer anderen Ebene die historische Rekonstruktion der Begriffe von Vernunft, Universalität und Gerechtigkeit, die dieser Kritik den normativen Horizont liefern. " (S. 114)
" Sozialismus ist somit konzipiert als Verwirklichung der allgemeinen gesellschaftlichen Ideale und repräsentiert in diesem Sinne die umfassende Verwirklichung der modernen Gesellschaft selbst. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird näher ausgeführt, daß Ideale wie Vernunft, Universalität und Gerechtigkeit, wie sie sowohl von der traditionellen marxistischen als auch seitens der frühen bürgerlichen Gesellschaftskritik verstanden wurden, keineswegs ein nicht-kapitalistisches Moment der modernen Gesellschaft repräsentieren. Sie sind vielmehr als eine Art gesellschaftlicher Konstitution zu begreifen, die im Kapitalismus durch die Arbeit hervorgebracht wird. " (S. 115)
 
[Ideale durch Kapitalismus konstituiert]
" Das Argument, derartige normative Begriffe könnten mit der für den Kapitalismus charakteristischen Form gesellschaftlicher Konstitution zusammenhängen und wiesen nicht wirklich über die Grenzen der kapitalistischen Gesellschaftsformation hinaus, besagt aber nicht, daß es sich bei ihnen um Täuschungen handele, die die Interessen der Kapitalistenklasse ideologisch verschleierten, oder daß die Kluft zwischen diesen Idealen und der kapitalistischen Realität keinerlei emanzipatorische Bedeutung besäße. Aber sie kann zeigen, daß diese Kluft und die mit ihr implizit verbundene Emanzipationsform innerhalb der Grenzen des Kapitalismus befangen bleibt.
...
Sowohl die Vorstellung, diese normativen Begriffe repräsentierten ein nicht-kapitalistisches Moment der modernen Gesellschaft, als auch die Idee, sie seien bloße Täuschungen, haben eines gemeinsam - sie verstehen den Kapitalismus in erster Linie als Klassenausbeutung und -herrschaft innerhalb der modernen Gesellschaft. "
(S. 115)
" Anders als die traditionelle Gesellschaftskritik zielt die Kritik des spezifischen Charakters der Arbeit im Kapitalismus auf eine Theorie der bestimmenden strukturierenden und strukturierten Formen der die moderne Gesellschaft konstituierenden gesellschaftlichen Praxis. Sie sieht die Besonderheit sowohl der Ideale als auch der Realität der modernen Gesellschaft in diesen gesellschaftlichen Formen begründet und verwirft die ahistorische Position, derzufolge die Ideale der bürgerlichen Gesellschaft im Sozialismus verwirklicht würden, ebenso wie deren antinomisches Gegenstück, diese Ideale seien bloße Täuschungen. Diese Theorie gesellschaftlicher Konstitution ist die Grundlage einer negativen Kritik. Ich werde versuchen, die Bedingung der Möglichkeit theoretischer und praktischer Kritik nicht aus der Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit der modernen kapitalistischen Gesellschaft herzuleiten, sondern in dem widersprüchlichen Wesen der diese Gesellschaft konstituierenden Form gesellschaftlicher Vermittlung anzusiedeln. " (S. 116)
" Diese Interpretation übernimmt >Arbeit< als Standpunkt der Kritik und ihr fehlt eine Vorstellung der historischen Besonderheit des Reichtums und der Arbeit im Kapitalismus. Damit wird unterstellt, die gleiche Form des Reichtums, die im Kapitalismus durch eine Klasse von Privatbesitzern expropriiert wird, würde im Sozialismus kollektiv angeeignet und bewußt reguliert. Zugleich legt sie den Gedanken nahe, daß die Produktionsweise des Sozialismus wesentlich die gleiche sein werde wie die des Kapitalismus: Das Proletariat und seine Arbeit werden im Sozialismus »zu sich selbst kommen«. " (S. 116)
" Die Gesellschaftskritik vom Standpunkt der >Arbeit< interpretiert diese Form der Herrschaft wesentlich als Klassenherrschaft, die in der privaten Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ihren Grund hat. Die Gesellschaftskritik der Arbeit im Kapitalismus dagegen charakterisiert die fundamentale Herrschaftsform als abstrakte, unpersönliche, strukturelle Form, die der historischen Dynamik des Kapitalismus zugrundeliegt. Sie begründet diese abstrakte Herrschaftsform in den historisch spezifischen gesellschaftlichen Formen des Werts und der Wert produzierenden Arbeit. " (S. 117)
 
[Klassenherrschaft vs. abstrakter Herrschaft]
" In dieser Lesart der kritischen Kapitalismustheorie von Marx wird der Boden für eine weitreichende Kritik abstrakter Herrschaft - als, Beherrschung der Menschen durch ihre Arbeit - bereitet und, damit zusammenhängend, für eine Theorie der gesellschaftlichen Konstitution einer Lebensform, die durch eine ihr innewohnende spezifische Entwicklungsdynamik charakterisiert ist. " (S. 117)
 
[Arbeit beherrscht den Menschen]
" Selbstverständlich ist, was hier als »natürliche Institution« angesehen wird, für »die Ökonomen« nicht das gleiche wie für die traditionelle marxistische Theorie. Die Denkform aber ist dieselbe: beide naturalisieren, was gesellschaftlich konstituiert und historisch spezifisch ist; beide sehen die Geschichte als Bewegung hin zur Verwirklichung dessen, was sie als das >Naturhafte am Menschen< erachten. " (S. 118)
" Natürlich unterscheidet sie sich in einigen Punkten: zum Beispiel akzeptiert sie die bürgerliche Distributionsweise nicht als endgültig und stellt sie historisch infrage. Dennoch bleibt die Distributionssphäre der Fokus ihrer kritischen Bemühung. Während der Gegenstand der Marxschen Kritik die Form der Arbeit (und somit die der Produktion) ist, bleibt für den traditionellen Marxismus die nicht reflektierte >Arbeit< die transhistorische Quelle des Reichtums und die Grundlage der gesellschaftlichen Konstitution. Im Resultat zeigt sich dann keine Kritik der politischen Ökonomie, sondern eine kritische politische Ökonomie, das heißt eine Kritik lediglich der Distributionsweise. " (S. 118)
" Der Unterschied zwischen beiden Formen der Kritik ist tiefgreifend: was der Marxschen Analyse als der zentrale Gegenstand der Kapitalismuskritik gilt, wird dem traditionellen Marxismus zur gesellschaftlichen Grundlage von Freiheit. " (S. 119)
" Als erstes müßte sie versuchen, die Konstitutionsbedingungen dieser traditionellen Kapitalismuskritik theoretisch zu begründen. So könnte beispielsweise, Marxschem Procedere folgend, gezeigt werden, daß die theoretischen Voraussetzungen dieser Theorie darauf gründen, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus manifestieren. In dieser Studie werde ich einen Schritt in diese Richtung unternehmen, indem ich zeige, wie der historisch spezifische Charakter der Arbeit im Kapitalismus für Marx darin besteht, daß sie als transhistorische >Arbeit< erscheint. " (S. 119)
 
[Arbeit erscheint als transhistorisch]
" Die Marxsche Analyse der Kategorien Wert und Kapital im ersten Band zielt auf die dem Kapitalismus zugrundeliegenden gesellschaftlichen Verhältnisse und seine fundamentalen Produktionsverhältnisse; seine Analyse der Kategorien Produktionspreis und Profit im dritten Band auf die Distributionsverhältnisse. Produktions- und Distributionsverhältnisse hängen miteinander zusammen, sind aber nicht identisch. Marx weist darauf hin, daß die Distributionsverhältnisse Kategorien unmittelbarer Alltagserfahrung sind, manifeste Formen der Produktionsverhältnisse, die diese Verhältnisse zugleich ausdrücken und auf eine Weise verschleiern, die dazu führen kann, daß erstere für letztere gehalten werden. " (S. 119)
" Es ist diese Art systematischer Fehldeutung, welche in den bestimmenden Erscheinungsformen der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse selbst wurzelt, die Marx in seinem Begriff des >Fetisch< zu erfassen versucht.

Wenn so die Konstitutionsbedingungen einer derartigen >kritischen politischen Ökonomie< in den Erscheinungsformen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachgewiesen worden sind (anstatt sie Begriffsverwirrungen zuzuschreiben), könnte man zweitens die historischen Bedingungen für das Auftreten einer solchen Denkform klären. "
(S. 120)
" Es liegt auf der Hand, daß die traditionellen Interpretationen auf der Würde der Arbeit bestehen und zur Verwirklichung einer Gesellschaft beitragen wollen, in der die essentielle Bedeutung der Arbeit materiell und moralisch anerkannt wird. Da sie die unmittelbare menschliche Arbeit im Produktionsprozeß als die transhistorische Quelle des Reichtums erachtet, stellt sie sich die Aufhebung des Werts vor, sondern als die sich entmystifizierende Selbstvergewisserung der unmittelbaren menschlichen Arbeit. " (S. 120)
" Das Resultat ist eine Kritik der ungleichen Verteilung des Reichtums und der Macht sowie des Fehlens gesellschaftlicher Anerkennung für die einzigartige Bedeutung der unmittelbaren menschlichen Arbeit als dem entscheidenden Element der Produktion - statt einer Kritik dieser Arbeit und einer Analyse der historischen Möglichkeit, sie abzuschaffen.
...
Die auf einer Affirmation der >Arbeit< als Quelle gesellschaftlichen Reichtums basierende Vorstellung von der Selbstverwirklichung des Proletariats entsprach der Unmittelbarkeit dieses historischen Kontextes genauso wie die damit zusammenhängende Kritik des freien Marktes und der privaten Verfügungsgewalt. Indem jedoch diese Vorstellung als eine Bestimmung des Sozialismus in die Zukunft projiziert wird, impliziert sie eher die entwickelte Existenz des Kapitals als seine Abschaffung. "
(S. 120f)
 
[Abschaffung der Arbeit]
" Für Marx ist die Abschaffung des Kapitals die notwendige Vorbedingung für die Würde der Arbeit, weil nur dann eine andere Struktur gesellschaftlicher Arbeit, ein anderes Verhältnis von Arbeit und Muße sowie andere Formen individueller Arbeit gesellschaftlich-allgemein werden können. Die traditionelle Position dagegen spricht einer Arbeit Würde zu, die fragmentiert und entfremdet ist. " [Herv. v. P.H.] (S. 121)
" Die Ironie dieser Position besteht aber darin, daß sie implizit die Verewigung der kapitalistischen Arbeit verfolgt und die ihr innewohnende Form von Wachstums als für die menschliche Existenz notwendig hinstellt. Während Marx die historische Aufhebung des »bloßen Arbeiters« als eine Vorbedingung für die Verwirklichung des vollständigen Menschen erachtete (MEW 42, 604), impliziert die traditionelle Position, daß der vollständige Mensch als dieser >bloße Arbeiter< verwirklicht werden müsse. " (S. 121)
" Meine Kritik des traditionellen Marxismus ist allerdings nicht nur retrospektiv: sie versucht auch, ihre eigene Geltung darin zu erweisen, daß sie die Mängel und Fallstricke des traditionellen Marxismus vermeidet und die traditionelle Interpretation der Kategorien aus seiner eigenen kategorialen Interpretation heraus begründet. Es muß also damit begonnen werden, auch die Konstitutionsgrundlage der eigenen Kritik als gesellschaftlich bedingt zu begreifen. " (S. 122)

2.5 Arbeit und Totalität: Hegel und Marx(» K)

" Es gab vor einiger Zeit eine lebhafte kritische Diskussion über das Proletariat als Subjekt der Geschichte sowie den marxistischen Begriff der Totalität, das heißt über die politisch problematischen Konsequenzen, die daraus erwachsen, diesen Begriff affirmativ als Standpunkt einer Gesellschaftskritik zu übernehmen. Die Bedeutung und Relevanz beider Momente in der Analyse von Marx sind eng mit seiner späten Kritik an der Philosophie Hegels verknüpft. Ihre ausführliche Diskussion würde die Grenzen dieser Arbeit sprengen, notwendig ist jedoch eine geraffte Darstellung dieser Beziehung, rekonstruiert vor dem Hintergrund der bisherigen Diskussion. " (S. 122)
" Hegel versucht, die klassisch-theoretische Dichotomie von Subjekt und Objekt zu überwinden, indem er die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit: Natürliches wie Gesellschaftliches, Subjektives wie Objektives, als durch Praxis konstituiert begreift, genauer: als die vergegenständlichende Praxis des Geistes, des weltbistorischen Subjekts. Der Geist konstituiert objektive Realität mittels eines Prozesses der Entäußerung oder Selbstvergegenständlichung, und er konstituiert sich in diesem Prozeß reflexiv selbst. Weil sowohl Objektivität als auch Subjektivität durch den sich dialektisch entfaltenden Geist konstituiert werden, sind sie von gleicher Substanz, statt notwendig getrennt zu sein: beide sind Momente eines substantiell homogenen, allgemeinen Ganzen - einer Totalität. " (S. 122f)
 
[Geist als historisches Subjekt, Hegel]
" Für Hegel ist demnach der Geist gleichzeitig subjektiv und objektiv - er ist das identische Subjekt-Objekt, die >Substanz<, die zur gleichen Zeit >Subjekt< ist ... " (S. 123)
 
[Geist = identisches Subjekt-Objekt, Hegel]
" Dieser geschichtliche Prozeß der Selbstvergegenständlichung ist, Regel zufolge, einer der Selbstentfremdung und führt letzten Endes dazu, daß der Geist sich das, was sich ihm im Verlauf seiner Entfaltung entfremdet hat, wieder aneignet. Die geschichtliche Entwicklung hat also einen Endpunkt: die Verwirklichung des Geistes durch sich selbst als sich totalisierendes und totalisiertes Subjekt. " (S. 123)
 
[Geist = totalisierendes und totalisiertes Subjekt , Hegel]
" Darüber hinaus expliziert er [Lukács, P.H.] in seiner materialistischen Aneignung Hegels die Idee, daß die Marxschen Kategorien einen konsistenten Versuch zur Aufhebung des klassischen Subjekt-Objekt-Dualismus darstellen, insofern diese Kategorien sich auf strukturierte Formen von Praxis beziehen, die gleichzeitig Formen der Objektivität und Subjektivität sind. Diese Auffassung gestattet eine Analyse der Art und Weise, wie historisch spezifische gesellschaftliche Strukturen sowohl Praxis konstituieren als auch von ihr konstituiert werden. " (S. 124)
" Trotz seiner Brillanz ist dieser Versuch von Lukács, den Kapitalismus gedanklich zu rekonstruieren, zutiefst inkonsistent. Obwohl sein Vorgehen über den traditionellen Marxismus hinausweist, bleibt er einigen seiner theoretischen Voraussetzungen verhaftet. In seiner materialistischen Aneignung Hegels wird die Gesellschaft als eine durch die (traditionell verstandene) Arbeit konstituierte Totalität analysiert. Weil die Totalität somit den Standpunkt seiner kritischen Analyse der kapitalistischen Gesellschaft bildet, identifiziert er das Proletariat in >materialisierten< Hegelschen Begriffen als das identische Subjekt-Objekt des geschichtlichen Prozesses, das die gesellschaftliche Welt und sich selbst in seiner Arbeit konstituiert. Mit dem Umsturz der kapitalistischen Ordnung verwirkliche dieses historische Subjekt sich selbst. (Lukács 1968b, 279ff.; 326ff.; 393ff). " [Herv. v. P.H.] (S. 124f)
 
[Totalität aus traditioneller ''Arbeit'' ,Lukács]
" Die Interpretation von Lukács, insbesondere seine Identifikation des Proletariats mit dem identischen Subjekt-Objekt, ist sehr häufig mit der Position von Marx identifiziert worden (Vgl. u. a. Piccone 1978, XVII). Tatsächlich ist jedoch sein Verständnis dieses identischen Subjekt-Objekts von Marx ebenso weit entfernt wie Ricardos Arbeitswerttheorie. " (S. 125)
" Die Marxsche Hegel-Kritik in den späten Werken ist eine grundsätzlich andere als in seinen frühen. In den späten kehrt er nicht mehr in Feuerbachscher Manier Subjekt und Objekt einfach um, wie noch in der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1843), noch behandelt er die Arbeit transhistorisch, wie in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844 - in denen er argumentiert, Hegel betrachte Arbeit metaphysisch als die Arbeit des Begriffs. " (S. 126)
" Für ihn besitzt der Wert eine »Substanz« und diese identifiziert er als abstrakt menschliche Arbeit (MEW 23, 53). Marx sieht somit in der >Substanz< nicht mehr einfach eine theoretische Hypostasierung, sondern begreift sie nun als Attribut durch Arbeit vermittelter gesellschaftlicher Verhältnisse, als Ausdruck eines bestimmten Typus gesellschaftlicher Realität. Das Wesen dieser gesellschaftlichen Realität untersucht er im Kapital, indem er die Waren- und Geldformen aus den Kategorien des Gebrauchswerts, des Werts und dessen »Substanz« logisch entfaltet. Von hier aus beginnt Marx die Analyse der komplexen Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse, die in seiner Kategorie des Kapitals zum Ausdruck kommt. " [Herv. v. P.H.] (S. 127)
 
[Veränderte Substanz, später Marx]
" Von hier aus beginnt Marx die Analyse der komplexen Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse, die in seiner Kategorie des Kapitals zum Ausdruck kommt. Eingangs bestimmt er das Kapital in bezug auf den Wert er beschreibt es kategorial als den sich selbst verwertenden Werts. An diesem Punkt seiner Darstellung Kapitals verwendet Marx Ausdrücke, die sich eindeutig auf Hegels Begriff des Geistes beziehen:
"(Der Wert) geht beständig aus der einen Form in die andre über, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren, und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt... In der Tat aber wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert... sich selbst verwertet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertang also Selbsverwertung ... (Wert) stellt ... sich hier plötzlich dar als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen." (MEW 23, 168f)
"
(S. 127)
 
[Sich selbst bewegende Substanz]
" Marx kennzeichnet das Kapital ausdrücklich als sich selbst bewegende Substanz, die Subjekt ist. Damit unterstellt er, daß im Kapitalismus tatsächlich ein historisches Subjekt im Hegelschen Sinne existiert. Jedoch identifiziert er es nicht mit einer gesellschaftlichen Schicht wie dem Proletariat oder mit der Menschheit schlechthin. Vielmehr analysiert Marx es in bezug auf die Struktur der gesellschaftlichen Verhältnisse, die durch Formen vergegenständlichender Praxis konstituiert und in der Kategorie Kapital (und somit des Werts) erfaßt werden. Seine Analyse weist daraufhin, daß die den Kapitalismus kennzeichnenden gesellschaftlichen Verhältnisse von einer sehr besonderen Art sind. Sie besitzen genau diejenigen Attribute, die Hegel dem Geist zuschrieb. In diesem Sinne existiert im Kapitalismus ein historisches Subjekt, wie Hegel es sich vorgestellt hat. " (S. 127f)
 
[Historisches Subjekt = Kapital]
" Die behandelten Bestimmungen des Marxschen Kapitalbegriffes machen deutlich, daß das Kapital in physikalischen und materiellen Begriffen, also im Hinblick auf einen Bestand an Gebäuden, Material, Maschinen und Geld, den die Kapitalisten besitzen, nicht erfaßt werden kann. Vielmehr bezieht es sich auf eine Form gesellschaftlicher Verhältnisse. Doch selbst im gesellschaftlichen Sinne verstanden zeigt die oben zitierte Stelle, daß die Marxsche Kategorie Kapital nicht voll im Privateigentum, in der Ausbeutung und der Beherrschung des Proletariats durch die Bourgeoisie aufgeht. Indem Marx nahelegt, daß, was Hegel in seinem Begriff des Geistes zu konzeptualisieren suchte, als die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen sind, die durch die Kategorie Kapital ausgedrückt werden, unterstellt er, daß die den Kapitalismus kennzeichnenden gesellschaftlichen Verhältnisse einen eigentümlichen, dialektischen und historischen Charakter haben, der in bezug auf die Klassen allein nicht zureichend verstanden werden kann. Ebenso verweist er darauf, daß diese Verhältnisse die gesellschaftliche Grundlage für Hegels Verständnis des Begriffs selbst bilden. " [Herv. v. P.H.] (S. 128)
" Dieser Unterschied hängt mit dem zwischen den beiden hier untersuchten Formen der Gesellschaftskritik zusammen, also mit der Differenz zwischen einem Verständnis des Kapitalismus als einem System von Klassenausbeutung und -herrschaft innerhalb der modernen Gesellschaft einerseits und andererseits des Kapitalismus als Struktur der modernen Gesellschaft selbst. Dabei ist das >Subjekt< für Marx eine begriffliche Bestimmung dieser Struktur. " (S. 128f)
 
[Klassenherrschaft vs. Struktur der Moderne]
" Vielmehr besteht das von Marx analysierte historische Subjekt aus vergegenständlichten Verhältnissen, aus den für den Kapitalismus charakteristischen subjektiv-objektiven kategorialen Formen, deren »Substanz« die abstrakte Arbeit ist, das heißt, es ist auf den besonderen Charakter der Arbeit als einer im Kapitalismus gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit zurückzuführen. Das Marxsche Subjekt ist daher, wie das Hegels, abstrakt und kann nicht mit irgendwelchen gesellschaftlichen Akteuren identifiziert werden. Mehr noch, beide entfalten sich in der Zeit auf eine Art und Weise, die vom individuellen Willen unabhängig ist. " [Herv. v. P.H.] (S. 129)
" Im Kapital analysiert Marx den Kapitalismus als eine Dialektik der Entwicklung, die in der Tat unabhängig vom individuellen Willen ist und sich deshalb als Logik präsentiert. Er untersucht die Entfaltung dieser dialektischen Logik als realen Ausdruck entfremdeter gesellschaftlicher Verhältnisse, die durch Praxis konstituiert werden und doch quasi-autonom existieren. Diese Logik wird von ihm nicht als eine Illusion oder einfach als eine Konsequenz ungenügenden Wissens behandelt. " (S. 129)
 
[Kapital als Logik]
" Das Kapital mag als eine durch bestimmte Praxisformen konstituierte Struktur die Formen gesellschaftlicher Praxis und Subjektivität konstituieren, als das Subjekt aber hat es kein Ich. Es ist selbstreflexiv und mag, als gesellschaftliche Form, Selbstbewußtsein induzieren, aber anders als Hegels Geist besitzt es kein eigenes Selbstbewußtsein. Subjektivität und sozio-historisches Subjekt müssen in der Marxschen Analyse also auseinandergehalten werden. " (S. 130)
" Sie zeigt an, daß Marx sich von einem Subjekt-Objekt-Paradigma und einer Erkenntnistheorie hin zu einer Gesellschaftstheorie des Bewußtseins entwickelt hat. In dem Maße wie er nicht einfach den Begriff des identischen Subjekt-Objekts (Hegels Versuch, die Subjekt-Objekt-Dichotomie der klassischen Erkenntnistheorie zu überwinden) mit einem gesellschaftlichen Akteur identifiziert, verändert Marx die Gehalte des erkenntnistheoretischen Problems. Er verlagert den Fokus des Erkenntnisproblems vom wissenden individuellen (oder supra-individuellen) Subjekt und seinem Verhältnis zu einer äußeren (oder veräußerten) Welt auf die Formen gesellschaftlicher Verhältnisse, die als Bestimmungen sowohl der gesellschaftlichen Subjektivität als auch Objektivität angesehen werden. Das Erkenntnisproblem wird so zu einer Frage der Beziehung zwischen den Formen gesellschaftlicher Vermittlung und den Denkformen. " (S. 130)
" Statt Positionen wie die des klassischen Subjekt-Objekt-Dualismus einfach als Resultat fehlerhaften Denkens abzutun (was die >höhere< Quelle der Einsicht der zurückgewiesenen Position im Dunkeln läßt), sucht Marx diese Positionen geschichtlich zu erklären, indem sie unter Bezug auf ihren Kontext plausibel gemacht werden - sie also als Denkformen analysiert, die mit den für die kapitalistische Gesellschaft konstitutiven strukturierten und strukturierenden gesellschaftlichen Formen zusammenhängen. " (S. 131)
" " (S. 195)
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II Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Die Ware(» K)

4. Abstrakte Arbeit(» K)

4.1 Erfordernisse einer kategorialen Interpretation(» K)

Wert wird untersucht bezüglich Ziel der Kritik ist die transhistorische Vorstellung des Wertes in seinen vielen Facetten. Es geht um die Neubestimmung der Marxschen Kategorien als kritische.
" Es wurden die von einer transhistorischen Vorstellung von >Arbeit< ausgehenden Vorgehensweisen untersucht, welche die den Kapitalismus kennzeichnenden gesellschaftlichen Verhältnisse ausschließlich auf die Distributionsweise beziehen und seinen Grundwiderspruch in dem zwischen Distributions- und Produktionsweise situieren. Dabei war das Argument zentral, daß die Marxsche Kategorie Wert nicht bloß als Ausdruck einer marktvermittelten Form der Verteilung des Reichtums verstanden werden sollte und deshalb sich eine kategoriale Interpretation auf die Marxsche Unterscheidung zwischen Wert und stofflichem Reichtum konzentrieren müsse. Diese Interpretation muß zeigen, daß Wert in der Analyse von Marx wesentlich nicht eine Kategorie des Marktes darstellt und daß das >Wertgesetz< nicht bloß ein Gesetz des allgemeinen ökonomischen Gleichgewichts ist. " (S. 195)
 
[Das Problem des transhistorischen]
" Eine zureichende Interpretation des Werts muß die Bedeutung seiner zeitlichen Bestimmung für die Marxsche Kritik und für die Frage nach der historischen Dynamik des Kapitalismus aufzeigen. " (S. 195f)
 
[Wichtigkeit der zeitlichen Bestimmung des Wertes]
Wird Arbeit im Kapitalismus als tanshistorisch Aufgefasst, so ist der Wert der Arbeit äußerlich.
" Folglich wird Arbeit im Kapitalismus so aufgefaßt, wie sie auch gemeinhin verstanden wird: als eine zielgerichtete gesellschaftliche Tätigkeit, die in einer bestimmten Art und Weise Stoffe umwandelt und die eine unerläßliche Bedingung für die Reproduktion der menschlichen Gesellschaft darstellt; das heißt Arbeit wird transhistorisch verstanden. Was sich geschichtlich verändert, ist der Modus ihrer gesellschaftlichen Verteilung und Verwaltung. Dementsprechend wären die Arbeit und damit der Produktionsprozeß >Produktivkräfte<, die lediglich in variierende, der Arbeit und der Produktion angeblich äußerliche Ensembles von >Produktionsverhältnissen< eingebettet seien. " (S. 196)
" Ein anderes Vorgehen würde den Wert als eine historisch spezifische Form des Reichtums neu bestimmen, die sich vom stofflichen Reichtum unterscheidet. Das bedeutet, daß die wertbildende Arbeit nicht in Begriffen verstanden werden kann, die transhistorische Gültigkeit für die Arbeit in allen Gesellschaftsformen besitzen. Vielmehr muß die Arbeit einen gesellschaftlichen Charakter besitzen, einen, der für die kapitalistische Gesellschaftsformation spezifisch ist.[Herv. v. P.H.] " (S. 196)
Dies sieht er im Begriff des Doppelcharakters der Arbeit gegeben.
" Kurz gesagt, beabsichtige ich, die Marxschen Kategorien in einer Weise neu zu bestimmen, daß sie die gesellschaftliche Totalität tatsächlich in ihrem Kern als widersprüchlich begreifen und sich nicht nur auf eine ihrer Dimensionen beziehen, die dann der >Arbeit< entgegenstünden oder als von ihr subsumiert begriffen werden. " (S. 197)
 
[Neubestimmen der Kategorien]
" Der Begriff wäre damit seinem Gegenstand adäquat und bliebe dennoch kritisch, müßte also nicht affirmativ werden. Und somit müßte sich kritische Gesellschaftstheorie nicht im Auseinanderfallen von Begriff und Sache gründen, wie Horkheimer dachte, sondern im Begriff selbst, das heißt in den kategorialen Formen. Dies wiederum könnte die selbstreflexive erkenntnistheoretische Konsistenz der Kritik wiederherstellen. " (S. 197)
Der Verweis auf die Aufzeigung der Möglichkeit des Kommunismus unterscheidet M.P. vielleicht von vielen kritischen Philosophen. Aber, die Affirmation will auch er vermeiden, wobei dunkel bleibt, welche er meint.
" Die historische Abschaffung der kategorial erfaßten gesellschaftlichen Formen muß sich als bestimmte Möglichkeit darstellen lassen, welche die gesellschaftliche Grundlegung von Freiheit in sich enthält.[Herv. v. P.H.] " (S. 197)
 
[Probleme mit der Kritischen Theorie]
" Es ist ein Charakteristikum des Kapitalismus, daß seine wesentlichen gesellschaftlichen Verhältnisse ihre Gesellschaftlichkeit auf eigentümliche Weise erlangen. Sie existieren nicht als manifeste Verhältnisse zwischen Individuen, sondern als quasi-unabhängiges Strukturgefüge, das den Individuen gegenübertritt: als Sphäre unpersönlicher, »sachlicher« Notwendigkeit und »sachlicher Abhängigkeit«. Folglich ist die dem Kapitalismus eigentümliche Form gesellschaftlicher Herrschaft nicht offensichtlich gesellschaftlich und persönlich...

Kapitalismus ist ein System abstrakter, unpersönlicher Herrschaft. "
(S. 198)
" Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert, die als ein Verhängnis außer ihnen existiert; aber die gesellschaftliche Produktion ist nicht unter die Individuen subsumiert, die sie als ihr gemeinsames Vermögen handhaben. (MEW 42, 92)
...
Wenn die Individuen der Produktion subsumiert sind, bedeutet dies, daß sie von gesellschaftlicher Arbeit beherrscht werden. "
(S. 198)
Diese Hauptthese wird nun weiter verfolgt, dass die Arbeit letztendlich die gesellschaftliche Totalität schafft und mit ihrem Charakter den der Totalität bestimmt. Dies wird aber so dargestellt, dass nur im Kapitalismus die Arbeit diese Art von Konstitution beherrbergt, was wieder mit der Ablehnung transhistorischer Betrachtung zu tun hat.
" Im Kapitalismus ist gesellschaftliche Arbeit nicht nur Gegenstand von Herrschaft und Ausbeutung, sondern selbst deren wesentlicher Grund. Die für den Kapitalismus charakteristische unpersönliche, abstrakte, >sachliche< Herrschaftsform scheint der Beherrschung der Individuen durch ihre gesellschaftliche Arbeit inhärent zu sein. " (S. 199)
Die Arbeit konstituiert im Kapitalismus die abstrakte Herrschaft, also die bestimmte gesellschaftliche Praxis. Ein Moment, was später noch ausführlich beschrieben wird.
 
[Die sachliche, abstrakte, unpersönliche Herrschaft]
" Eine derart marktzentrierte Interpretation geht davon aus, daß die Klassenherrschaft der unveränderliche Grund der gesellschaftlichen Herrschaft ist und daß sich lediglich die Form ändere, in der sie vorherrscht (unmittelbar oder über den Markt). Diese Interpretationen ähneln denen, die annehmen, die >Arbeit< sei die Quelle des Reichtums und konstituiere transhistorisch die Gesellschaft, zu kritisieren sei lediglich die Art und Weise, wie sich die >Arbeit< verteilt. " (S. 199)
 
[Kritik an transhistorischer Betrachtung]
Aber diese abstrakten Strukturen konstituiert von der Arbeit, sind den Klassen gegenüber "unabhängig".
" Derartige Formen von Beziehungen können weder in Kategorien des Marktes noch unter Verweis auf manifeste gesellschaftliche Verhältnisse (zum Beispiel Klassenverhältnisse) hinreichend verstanden werden. Letzteres schon deshalb nicht, weil es sich bei diesen Formen um quasi-unabhängige handelt, die über und gegenüber den Individuen und Klassen existieren. Obwohl es sich beim Kapitalismus zweifelsohne um eine Klassengesellschaft handelt, ist, wie wir sehen werden, die Klassenherrschaft Marx zufolge nicht der letzte Grund der gesellschaftlichen Herrschaft, sondern ist selbst aus einer ihr übergeordneten, >abstrakten< Herrschaftsform herzuleiten.[Herv. v. P.H.] " (S. 199)
Zu Pollock
" Dies zu kritisieren bedeutet zugleich, die Annahme zu bezweifeln, daß mit der Ablösung des Marktes durch den Staat nicht nur in Teilbereichen nicht-bewußte Strukturen durch bewußte Kontrolle ersetzt, sondern daß alle derartigen Strukturen abstrakten Zwangs und somit die historische Dialektik überwunden seien. " (S. 200)
" Das Verständnis abstrakter Herrschaft ist eng an die Interpretation des Werts gebunden. Ich werde zeigen, daß der Wert als eine Form des Reichtums - den Kern von Strukturen abstrakter Herrschaft bildet, deren Bedeutung über den Markt und die Zirkulationssphäre hinausgeht (zum Beispiel bis in die Produktionssphäre hinein). Es wird davon ausgegangen, daß die Planung, solange der Wert die Form des Reichtums bleibt, selbst den Erfordernissen abstrakter Herrschaft unter worfen ist. Das heißt: öffentliche Planung reicht an und für sich nicht hin, das System abstrakter Herrschaft - die den Kapitalismus kennzeichnende unpersönliche, nicht-bewußte, unfreiwillige, vermittelte Form von Notwendigkeit - zu überwinden. Öffentliche Planung, als das angeblich sozialistische Prinzip, sollte deshalb nicht abstrakt dem Markt, als dem Prinzip des Kapitalismus, gegenübergestellt werden. " (S. 200f)
 
[Kritik an der staatlichen/öffentlichen Planung der Produktion]
" Wir haben deshalb die grundlegenden gesellschaftlichen Vorbedingungen für die größtmögliche Verwirklichung allgemeiner menschlicher Freiheit neu zu bestimmen. Dies würde die Aufhebung von Formen manifester gesellschaftlicher, persönlicher Herrschaft ebenso umfassen wie die Strukturen abstrakter Herrschaft. " (S. 201)

4.2 Der historisch bestimmte Charakter der Marxschen Kritik(» K)

Immer wieder hebt M.P. die historische Besonderheit der Kategorien bei Marx hervor, um sich gegen eine transhistorische Deutung zu versichern. Dabei verzichtet er aber gerade auch auf diese für mich notwendige Ebene der Kritik.
" Vor der weiteren Untersuchung dieser Kategorien - speziell des Doppelcharakters der warenproduzierenden Arbeit, den Marx als »den Springpunkt, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht« (MEW 23, 56), ansieht - ist es wichtig, ihre historische Besonderheit zu betonen. " (S. 201f)
" Untersucht wird nicht die aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang gerissene Ware, wie sie beliebig in vielen Gesellschaften existieren mag. Analysiert wird »die Form der Ware als die allgemein notwendige gesellschaftliche Form des Produkts selbst« (Marx 1969, 91) und als die »allgemeine elementarische Form des Reichtums« (Marx 1969, 92). Allgemeine Form ist die Ware Marx zufolge aber nur im Kapitalismus (Marx 1969, 92). " (S. 202)
 
[Betonung der historischen Besonderheit]
" In anderen Worten: eine Ware, wie Marx sie im Kapital untersucht, setzt Lohnarbeit und damit Kapital voraus. Somit ist »die kapitalistische Produktion die Warenproduktion als allgemeine Form der Produktion« (MEW 24, 119). " (S. 202)
 
[Die Ware setzt das Kapital voraus]
" Darum bedeutet die bloße Existenz von Tauschbeziehungen zum Beispiel nicht bereits, daß die Ware als eine strukturierende gesellschaftliche Kategorie existiert und daß gesellschaftliche Arbeit Doppelcharakter hat. Nur im Kapitalismus hat gesellschaftliche Arbeit doppelten Charakter (MEW 23, 87), nur hier existiert der Wert als spezifisch gesellschaftliche Form menschlicher Tätigkeit (MEW 26.1, 20). " (S. 202)
 
[Doppelcharakter der Arbeit nur im Kapitalismus]

{ Hier, wie noch an vielen anderen Stellen, schränkt Postone die Erkenntnisse von Marx auf den Kapitalismus in einer Weise ein, die jede transhistorische Aussage ausschließen soll. Dies ist im Modus der Kritik wichtig, in der Ausschließlichkeit hingegen undialektisch. Dies ist ein Hauptmotiv seiner kritischen Kritik. Im 'einfach' des nächsten Zitats verschwimmt dies. Es ist klar, dass es kein einfaches Anwenden der Marxschen Kategorien auf Nichtkapitalismus gibt, unbesehen. Aber trotz dessen gibt es diese Anwendung, wenn sie die notwendige Transformation in Rechnung stellt. Sonst kann man auch nicht zu einer bestimmten Negation des Kapitalismus gehen, welches ja definitiv ein Darüberhinausgehen darstellt. (d.V.)}

" Sofern tatsächlich eine zum Kapitalismus hinführende logisch angelegte historische Entwicklung dargestellt ist - wie in der Analyse des Werts im 1. Kapitel des Kapitals (MEW 23, 62 ff.)3 - muß diese Logik eher als retrospektiv evident, denn als immanent notwendig verstanden werden. Marx zufolge existiert zwar eine immanent notwendige Form historischer Logik, diese ist aber ein Attribut allein der kapitalistischen Gesellschaftsformation.

Die kategorial gefaßten gesellschaftlichen Formen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie sind somit historisch bestimmt und können nicht einfach auf andere Gesellschaften angewandt werden. Gleichermaßen sind sie historisch bestimmend. Am Anfang seiner kategorialen Analyse stellt Marx explizit fest, daß sie als Untersuchung der Besonderheit des Kapitalismus zu verstehen ist:... "
(S. 203)
 
[Immanente historische Logik nur im Kapitalismus]
" Wenn die Ware, als allgemeine und totalisierende Form, tatsächlich die »Elementarform« (MEW 23, 49) der kapitalistischen Formation ist, dann sollte ihre Untersuchung die wesentlichen Bestimmungen der Marxschen Kapitalismusanalyse und insbesondere die spezifischen Charakteristika der Arbeit, die der Warenform zugrundeliegt und die zugleich von ihr bestimmt wird, enthüllen. " (S. 204)

{ Die beiden Momente der Ware

  • das Verbindende, vermittelnde (Markt,TdA,für andere, gesamtgesellschaftliches Aggregat)
  • das Trennende (privat exklusiv, Mehrwert, Enteignung)
(d.V.)}

 
[Ware als totalisierende Form]

4.3 Historische Besonderheit: Wert und Preis(» K)

" Marx analysiert die Ware als verallgemeinerte gesellschaftliche Form im Kern der kapitalistischen Gesellschaft. Diesem Selbstverständnis gegenüber hat die Behauptung, das Wertgesetz, und somit die Verallgemeinerung der Warenform, seien einer vorkapitalistischen Situation zugehörig, keine Berechtigung. [Herv. v. P.H.] " (S. 204)

{ Nach meinem Dafürhalten ist aber das Wertgesetz eine Form etwas transhistorischem. Außerdem, wie erklärt M.P. die Phönizier? Selbstverständlich hat es eine Warenproduktion gegeben, die schon uralt ist, wo Produkte für einen Markt, für den Handel hergestellt worden sind und getauscht wurden. Produkt waren Geldformen bis zu einem Goldstandart bei den alten Ägyptern. (d.V.)}

 
[Wertgesetz gilt nur im Kapitalismus - keine einfache Warenzirkulation]
" Marx will anhand der Kategorien Ware und Wert den Kern des Kapitalismus erfassen. Die bloße Vorstellung eines vorkapitalistischen Stadiums einfacher Warenzirkulation verfehlt die Intentionen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie. Wie Hans Georg Backhaus ausgeführt hat, stammt diese Vorstellung nicht von Marx, sondern von Engels (1997, 69). Marx dagegen weist die Auffassung, das Wertgesetz sei auch in einer vorkapitalistischen Gesellschaft von Warenbesitzern gültig gewesen oder aus ihr abgeleitet, so explizit wie nachdrücklich zurück. " (S. 204f)
" Für Marx erfaßt die Werttheorie also die »Wahrheit des Aneignungsgesetzes« der kapitalistischen Gesellschaftsformation und läßt sich auf andere Gesellschaften nicht anwenden. Somit ist klar, daß die Ausgangskategorien des Kapitals als historisch spezifische zu verstehen sind. " (S. 207)
" Was Böhm-Bawerks Argumentation betrifft, seien zwei Punkte angesprochen. Erstens hat Marx, entgegen Böhm-Bawerks Annahme, nicht zuerst den ersten Band des Kapitals beendet, um erst später, bei der Niederschrift des dritten Bandes, zu bemerken, daß die Preise von den Werten abwichen und somit seinen Ausgangspunkt untergrüben. Marx verfaßte vielmehr die Manuskripte für den dritten Band zwischen 1863 und 1867, das heißt bevor der erste Band veröffentlicht wurde.6 " (S. 208)
" Die Schwierigkeit der Diskussion des Transformationsproblems liegt darin, daß gemeinhin angenommen wird, Marx habe das Wertgesetz operationalisierbar machen wollen, um die Marktmechanismen zu erklären. Es dürfte aber klar sein, daß Marx eine andere Absicht verfolgte.7 " (S. 208)
 
[1=>3.Band]
" Die durch Preise ausgedrückte Ebene gesellschaftlicher Realität stellt in der Analyse von Marx eine Erscheinungsform des Werts dar, die das zugrundeliegende Wesen verschleiert. Die Wertkategorie ist weder eine grobe, erste Annäherung an die kapitalistische Realität noch eine Kategorie, die für vorkapitalistische Gesellschaften gültig ist. Statt dessen drückt sie den »inneren Zusammenhang« der kapitalistischen Gesellschaftsformation aus. " (S. 209)
 
[Wesen als der Wert (Band 1) und seine Erscheinung Tauschwert an der Oberfläche der Gesellschaft (Band 3) ist die integrale Konzeption Marx' und der damit notwendigen Inkongruenz]
" Die Entwicklung der Marxschen Darstellung vom ersten zum dritten Band des Kapitals sollte deshalb nicht als eine argumentative Bewegung verstanden werden, die sich der >Realität< des Kapitalismus annähert, sondern dessen vielfältigen Formen auf der erscheinenden Oberfläche. Marx leitet den dritten Band nicht mit der Erklärung ein, nun ein voll entwickeltes kapitalistisches System untersuchen zu wollen, noch behauptet er, eine neue Reihe von Annäherungen einzuführen, die der kapitalistische Realität gerechter würden.

Während die Marxsche Analyse des Werts im ersten Band das Wesen des Kapitalismus untersucht, so geht es bei der Analyse des Preises im dritten Band darum, wie dieses Wesen an der »Oberfläche der Gesellschaft« erscheint. "
(S. 209f)
" Die Abweichung der Preise von den Werten sollte also eher als integraler Bestandteil der Marxschen Analyse verstanden werden statt als ein ihr innewohnender logischer Widerspruch: er will keine Theorie des Preises formulieren, sondern zeigen, wie der Wert eine Erscheinungsebene erzeugt, die ihn verschleiert. Im dritten Band des Kapitals entfaltet Marx empirische Kategorien wie den Kostpreis und den Profit aus den Kategorien Wert und Mehrwert und zeigt, wie erstere den letzteren zu widersprechen scheinen. " (S. 210)
" Marx beginnt mit der Feststellung, daß der einem individuellen Kapital zuwachsende Profit de facto nicht identisch ist mit dem Mehrwert, der von der Arbeit gebildet wird, über die dieses Einzelkapital verfügt. Dies erklärt er mit dem Argument, daß Mehrwert eine Kategorie des gesellschaftlichen Ganzen ist, der unter die individuellen Kapitalien gemäß ihres relativen Anteils am gesamtgesellschaftlich eingesetzten Kapital verteilt wird. Das bedeutet, daß auf der Ebene der unmittelbaren Erfahrung der Profit einer individuellen Kapitaleinheit tatsächlich nicht eine Funktion der in dieser Kapitaleinheit verausgabten Arbeit allein ist (des >variablen Kapitals<), sondern eine des vorgeschossenen Gesamtkapitals. (MEW 25, 147f) " (S. 210)
 
[Wert als Kategorie des gesellschaftlichen Ganzen]
" Marx führt aus, daß diese Ebene gesellschaftlicher Realität vermittels ökonomischer >Oberflächenkategorien< wie Preis und Profit nicht erklärt werden kann. Auch entfaltet er seine Kategorien der kapitalistischen Tiefenstruktur auf eine Art und Weise, die zeigt, inwiefern Phänomene, die diesen strukturellen Kategorien widersprechen, in Wirklichkeit deren Erscheinungsformen sind. Auf diese Weise versucht Marx, die Gültigkeit seiner Analyse der Tiefenstruktur zu demonstrieren und gleichzeitig zu zeigen, wie die >Bewegungsgesetze< der Gesellschaftsformation auf der Ebene der unmittelbaren empirischen Realität verschleiert in Erscheinung treten. " (S. 211)
 
[Die Oberflächenkategorie verschleiern notwendig die Tiefenstruktur und lassen diese als transhistorische(!) erscheinen.]
" Überdies läßt sich in dem Verhältnis zwischen den analytischen Ebenen des Werts und des Preises eine (nie vollendete8) Theorie der wechselseitigen Konstitution gesellschaftlicher Tiefenstrukturen und des Alltagshandelns bzw. -denkens begründen. Dieser Prozeß ist durch die Erscheinungsformen der den Zusammenhang dieses Handeln und Denken konstituierenden Tiefenstrukturen vermittelt: Alltagshandlungen und -denken sind in den manifesten Formen der Tiefenstrukturen gegründet und rekonstituieren sie wiederum selbst. Eine derartige Theorie versucht zu erklären, wie die >Bewegungsgesetze< des Kapitalismus von den Individuen konstituiert werden und wie sie sich durchsetzen, obwohl die Individuen sich ihrer Existenz nicht gewärtig sind.9 " (S. 211)
" Marx zeigt mit dieser Darlegung, daß sowohl die Theorien der politischen Ökonomie als auch das alltägliche >gewöhnliche Bewußtsein< der Erscheinungsebene verhaftet bleiben und daß die Untersuchungsgegenstände der politischen Ökonomie die mystifizierten Erscheinungsformen von Wert und Kapital sind. Das heißt, daß Marx im dritten Band des Kapitals seine Kritik an Smith und Ricardo - das heißt die Kritik der politischen Ökonomie im engeren Sinne - vervollständigt. " (S. 212)
" Im dritten Band des Kapitals erklärt Marx diese Voraussetzung, indem er zeigt, wie die gesellschaftlich und historisch spezifisch strukturierenden Formen der kapitalistischen Verhältnisse an der Oberfläche naturalisiert und transhistorisch erscheinen. " (S. 212)
" Mit anderen Worten: die empirischen Kategorien, auf denen die Theorien der politischen Ökonomie basieren - Profite, Löhne, Zinsen, Grundrenten usw. - sind Erscheinungsformen des Werts und der warenproduzierenden Arbeit, die über die historische und gesellschaftliche Besonderheit dessen, was sie repräsentieren, hinwegtäuschen. Nach einer langen und komplizierten Analyse, die im ersten Band mit einer Untersuchung des verdinglichten >Wesens< des Kapitalismus beginnt und zu immer mystifizierteren Erscheinungsebenen vordringt, faßt Marx diese Untersuchung gegen Ende des dritten Bandes in der von ihm so genannten »trinitarischen Formel« zusammen:... " (S. 213)
" Die Marxsche Kritik endet mit der Ableitung von Ricardos Ausgangspunkt. Seiner immanenten Methode entsprechend hat die Marxsche Strategie der Kritik solcher Theorien wie der Ricardos nicht mehr die Form einer Widerlegung. Vielmehr bettet er sie in seine eigene ein, indem er sie in seinen analytischen Kategorien plausibilisiert. Indem er diesen Weg einschlägt, kann er die grundlegenden Voraussetzungen, die Smiths und Ricardos Sichtweise von Arbeit, Gesellschaft und Natur bestimmten, auf eine Weise begründen, die ihren transhistorischen Charakter erklärt. " (S. 213f)
" Und er zeigt darüber hinaus, daß die einzelnen Argumente dieser Theorien auf >Daten< basieren, die irreführende Manifestationen einer tieferen, historisch spezifischen Struktur sind. Indem er sich vom >Wesen< zur >Oberfläche< der kapitalistischen Gesellschaft vorarbeitet, will Marx zeigen, daß seine eigene kategoriale Analyse sowohl das Problem als auch seine Formulierung durch Ricardo erklären kann. Er weist dabei nach, daß diese Formulierung unzureichend ist, da sie das Wesen der gesellschaftlichen Totalität nicht begreift. Indem er das, was Ricardos Theorie als Grundlage diente, als Erscheinungsform erklärt, kritisiert Marx die politische Ökonomie Ricardos. " (S. 214)
 
[Die Marxsche immanente Kritik zeigen die politische Ökonomie als notwendigen Ausdruck der Oberflächenkategorien, deren Erscheinungen nun auf Grund des Wesentlichen erklärbar sind, weil sie die gesellschaftliche Totalität nicht begreifen.]
" Vielmehr hat diese Tendenz in einem Spezifikum der kapitalistischen Gesellschaftsformation ihren Grund: das Wesen dieser Gesellschaft scheint ihre »höhern und kompliziertern Formen von Kapital, Lohnarbeit und Grundrente« nicht zu betreffen. Das Versäumnis, die Erscheinungsebene theoretisch zu durchdringen und ihr Verhältnis zum historisch spezifischen gesellschaftlichen Wesen der kapitalistischen Formation zu bestimmen, kann einerseits zu einer transhistorischen Projektion des Werts auf andere Gesellschaften führen und andererseits zu einer Analyse des Kapitalismus, die sich auf dessen >illusorische Erscheinung< beschränkt. " (S. 214)
" Der historisch spezifische Charakter der Marxschen als einer immanent argumentierenden Gesellschaftskritik zeigt, daß das >Falsche< eine zeitlich beschränkt gültige Denkform ist, die, weil es ihr an Selbstreflexion mangelt, ihren eigenen historisch spezifischen Grund nicht wahrzunehmen vermag und sich deshalb für >wahr<, das heißt für transhistorisch gültig hält. " (S. 215)
 
[Das 'Falsche' als zeitlich beschränkte Denkform - Fetisch.]
" Indem er genau die Phänomene, die den Kategorien, mit denen er das Wesen des Kapitalismus analysiert, zu widersprechen scheinen, logisch aus der Entfaltung eben dieser Kategorien ableitet, und dabei demonstriert, daß andere Theorien (und das Bewußtsein der direkt involvierten gesellschaftlichen Akteure außerdem) den mystifizierten Erscheinungsformen dieses Wesens verhaftet bleiben, illustriert Marx auf bemerkenswerte Weise die Schärfe und Überzeugungskraft seiner kritischen Analyse. " (S. 215f)

4.4 Historische Besonderheit und immanente Kritik(» K)

Zu den Grundrissen:
" Während Hegel zum Beispiel seine Logik mit reinem, unbestimmtem Sein beginne, das aus sich sein Gegenteil, das Nichts, erfordert, beginne Marx mit der materiellen Produktion (im allgemeinen), die ihr Gegenteil: die Konsumtion, erheischt. Im Verlauf der Einführung verweist Marx auf seine Unzufriedenheit mit diesem Ausgangspunkt und beginnt - nach der Niederschrift des Manuskripts - mit dem mit »Wert« überschriebenen Abschnitt (den er am Ende hinzufügt) von Neuem. Der Ausgangspunkt, den er dann in der Kritik der politischen Ökonomie und im Kapital beibehält, ist hier die Ware. (Nicolaus 1973, 35ff.) " (S. 216)

{ Hier wäre zu bemerken, dass Marx am Anfang der Grundrisse mit der allgemein menschlichen und somit transhistorischen Entwicklung der Kategorien beginnt, und M.P. diesem seine Wahrheit nicht absprechen kann. Das dies für das 'Kapital' nicht ausreicht ist klar, aber nichts desto trotz werden hier die wichtigen Grundsteine der materialistischen Dialektik bezüglich menschlicher Produktion im Allgemeinen sichtbar, die im 'Kapital' auf ihre speziphische Weise konkretisiert wird für den Kapitalismus. Diesen Standpunkt lehnt M.P. ab. (d.V.)}

" Von einem transhistorischen Anfang geht Marx zu einem historisch bestimmten über. Denn die Kategorie Ware bezieht sich für ihn nicht einfach auf einen Gegenstand, sondern auf eine historisch spezifische, >objektive< Form gesellschaftlicher Verhältnisse eine strukturierende und strukturierte Form gesellschaftlicher Praxis, die eine radikal neue Form wechselseitiger gesellschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse konstituiert. " (S. 217)
" Ausgehend von der Kategorie Ware in dieser verdoppelten Form, dieser nicht-identischen Einheit, entfaltet Marx die die kapitalistische Gesellschaft als Totalität übergreifende Struktur ebenso wie die innere Logik ihrer historischen Entwicklung und die Elemente der unmittelbaren gesellschaftlichen Erfahrung, die die Grundstruktur dieser Gesellschaft verschleiern. Für die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie ist die Ware die wesentliche Kategorie im Innersten des Kapitals. In der Entfaltung dieser Kategorie klärt er das Wesen des Kapitals und die ihm innewohnende Dynamik.

Mit dieser Wendung zum geschichtlich Spezifischen historisiert Marx seine frühere, transhistorische Konzeption des gesellschaftlichen Widerspruchs und der Existenz einer der Geschichte immanenten Logik. "
(S. 195)
 
[Transhistorischer Anfang ('Grundrisse') zum historisch Speziphischen der Warenform im Kapitalismus ('Grundrisse'->'Kapital') zum grundlegenden treibenden Widerspruch des Doppelcharakters zu Erklärung der Dynamik im Kapitalismus.]
" In meiner Analyse des Kapitals werde ich zeigen, wie sich Marx zufolge diese Verdopplung externalisiert und so eine Geschichtsdialektik sui generis entfaltet. Mit der Darstellung seines Untersuchungsgegenstandes als historisch spezifischem Widerspruch und dadurch, daß er die Dialektik der kapitalistischen Gesellschaftsformation im Doppelcharakter der ihr zugrundeliegenden, eigentümlichen gesellschaftlichen Formen (Arbeit, Ware, Produktionsprozeß usw.) begründet, weist Marx von nun an - und ohne dies noch ausdrücklich aussprechen zu müssen - die Vorstellung zurück, es gäbe eine der menschlichen Geschichte immanente Logik oder eine Form transhistorischer Dialektik ob sie die Natur nun einschließt oder sich auf die Geschichte beschränkt. Im Marxschen Spätwerk resultiert die Dialektik nicht mehr aus dem Wechselspiel von Subjekt, Arbeit und Natur, noch ist sie Resultat der reflexiven Wirkungen der materiellen Vergegenständlichungen der >Arbeit< des Subjekts auf sich selbst, sondern sie hat ihre Wurzeln im widersprüchlichen Charakter der kapitalistischen gesellschaftlichen Formen. " (S. 217f)

{

Hier erweist sich M.P. als klarer Exponent der kritischen Theorie, die die Dialektik allein durch den Widerspruch Wert//Tauschwert in die Welt gekommen sieht. Sie kann keine transhistorischen Gesetze gelten lassen in ihrem überzogenen und undialektischen betonen des Historischen. Hier wir die Grenze zum Neokantianismus mit dem Nichtdenkenkönnen und dem Überstülpen von Denkformen über ein nicht zu fassendes, also dem Metaphysikvorwurf an Marx, sehr schmal.
Jede transhistorische Dialektik ist metaphysisch, weil sie sich auf eine metaphysische Idee fundieren muss. Ich sehe dies ganz anders und der Ansatz hierfür steckt bei Marx am Anfang der Grundrisse. Er verwirft das Konzept nicht, sondern präzisiert es. Es ist keine Aporie, sondern das genaue Gegenteil, die Konkretisierung in Richtung der Geschichtlichkeit, von Produktion im Allgemeinen zu der im Kapitalismus. Dies steht aber nicht in einem Widerspruch zueinander.
Es wird begründet mit der Geschichtlichkeit der Theorie selbst. Aber nur wenn diese Geschichtlichkeit verabsolutiert wird, sie in den totalen Relativismus gerückt ist, kommt das empirokritizistische Moment der kritischen Theorie in die Vorderhand. Es entsteht so die nicht zu überwindende Immanenz der Denkformen in den Praxisformen. Den Schritt zur Unmöglichkeit anderen Denkens tut M.P. im Gegensatz zu Adorno nicht.
(d.V.)}

 
[Es gibt keine transhistorische Dialektik, sondern sie hat ihre Wurzeln in der Widersprüchlichkeit der historisch speziphischen Formen im Kapitalismus. Jede solche müsse sich ontologisch fundieren und ist somit Metaphysik.]
" Jede transhistorische Dialektik muß ontologisch begründet werden: sei es mit dem Sein als solchem (Engels) oder mit dem gesellschaftlichen Sein (Lukács). Aus der Perspektive der historisch spezifischen Analyse von Marx erweist sich die Idee, die Realität, beziehungsweise die gesellschaftlichen Verhältnisse im allgemeinen, wären ihrem Wesen nach widersprüchlich und dialektisch konstituiert, als eine, die nicht weiter erklärt oder begründet werden kann: sie läßt sich nur metaphysisch setzen. (Postone/Reinicke 1974, 135 f.) In anderen Worten: Indem Marx die geschichtliche Dialektik im Hinblick auf die Besonderheiten der fundamentalen Gesellschaftsstrukturen des Kapitalismus analysiert - und nicht als Ausdruck jener metaphysischen Idee -, nimmt er sie aus dem Bereich der Geschichtsphilosophie heraus und gliedert sie einer historisch spezifischen Gesellschaftstheorie ein.

Aus dem Übergang von einem transhistorischen zu einem historisch spezifischen Ausgangspunkt folgt, daß nicht nur die Kategorien historisch spezifisch sind, sondern auch die Form der Theorie selbst. Geht man von der Voraussetzung aus, daß das Denken gesellschaftlich bedingt ist, so ergibt sich aus diesem Übergang die Einsicht, daß die Marxsche Theorie - da ja auch sie in den gesellschaftlichen Kontext der kapitalistischen Gesellschaft gehört - ebenfalls historisch spezifisch ist. Die historische Relativierung ihres Untersuchungsgegenstandes gilt reflexiv also für die Theorie selbst ebenso. "
(S. 218)
" Der Unmöglichkeit eines äußerlichen oder privilegierten theoretischen Standpunkts darf allerdings auch die Form der Theorie selbst nicht entgegenstehen. Deshalb sieht Marx sich gezwungen, seine Kritik der kapitalistischen Gesellschaft strikt immanent aufzubauen, und darum kritisiert er diese Gesellschaft gleichsam in ihren eigenen Kategorien: in denen also, die er vorfand. " (S. 218f)

{

Wenn man transhistorische Dialektik annimmt, so stellt man sich noch lange nicht auf einen äußerlichen Standpunkt, sondern erkennt vielmehr an, dass man selbst dieser transhistorischen Dialektik unterliegt. Trifft man daraufhin konkretere Aussagen, so müssen diese sich wie alle anderen auch konkret messen. Man kann außerdem gerade den Doppelcharakter der Arbeit erst erklären, wenn die Allgemeinheit der Produktion, ihr überhistorisches Moment klargelegt ist. Darauf wird man bei der qualitativen Analyse der Wertquantität unweigerlich treffen.
Zwar vermeidet M.P. damit die Blindheit des Neokantianismus bezüglich einer Objektivität, dass aber mit der Einschränkung auf den Kapitalismus, dessen Denkform die Dialektik zwar objektiv ist, aber hier verbleiben muß.
Auch ist unbedingt hervorzuheben, dass er als einer der wenigen die Totalität als zu analysieren, also gedanklich zu rekonstruieren und zu fassen begreift. Dies ist ein weiterer wichtiger Unterscheidungspunkt zum zb Positivismus.
(d.V.)}

 
[Äußerlicher Standpunkt=Überhistorischer Standpunkt]
" Beginnend mit einem einzelnen Strukturelement, der Ware, rekonstruiert Marx die gesellschaftliche Totalität der kapitalistischen Zivilisation und entfaltet daraus dialektisch die Kategorien Geld und Kapital. Es ist diese Darstellungsweise selbst, die, betrachtet aus der Perspektive des neuen Selbstverständnisses von Marx, die Besonderheiten der untersuchten gesellschaftlichen Formen zum Ausdruck bringt. In dieser Methode selbst wird beispielsweise ausgedrückt, daß es zu den besonderen Merkmalen des Kapitalismus gehört, als homogene Totalität zu existieren, die von einem einzelnen strukturierenden Prinzip her entfaltet werden kann. Im dialektischen Charakter der Darstellung kommt ebenso unmittelbar zum Ausdruck, daß die gesellschaftlichen Formen in einzigartiger Weise so konstituiert werden, daß sie eine Dialektik begründen. " (S. 219)
 
[Die Dialektik selbst kommt aus den Strukturmerkmalen hervor.]
" Es ist das Prinzip der Marxschen Argumentation, nicht logisch zu deduzieren: Sie beginnt nicht mit unbezweifelbaren Grundprinzipien, aus denen dann alles weitere abgeleitet werden könnte; schon die bloße Form eines solchen Vorgehens unterstellt einen transhistorischen Standpunkt. Die Marxsche Argumentation besitzt dagegen eine sehr spezifische reflexive Form. Ihr Ausgangspunkt, die Ware, die als der die Gesellschaftsformation in ihrem Fundament strukturierende Kern gesetzt wird, erhält seine Gültigkeit rückwirkend, das heißt: erst in der Entfaltung der Argumentation. Indem es die Analyse der Ware vermag, die Entwicklungstendenzen des Kapitalismus zu erklären, und indem es ihr zudem gelingt, auch die Phänomene zu erklären, die der Gültigkeit der Ausgangsbestimmungen zu widersprechen scheinen, erweist sie sich als adäquater Anfang. Das wiederum heißt: die Kategorie Ware setzt die des Kapitals voraus, und sie erhält ihre Gültigkeit durch die Aussagekraft und Stringenz der Analyse des Kapitalismus, der sie als Ausgangspunkt dient. " (S. 220)
 
[Prinzip der rückwirkenden reflexive Begründung verbindet Band 1 und 3.]

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Das lustige ist, dass M.P. gerade die Stelle im Kugelmannbrief umdreht, an der Marx gerade ausdrückt, das Naturgesetze gar nicht aufgehoben werden können und die transhistorische Gültigkeit des Gesetzes der Proportionen zeigt, dessen historische Form das Wertgesetz ist. Das ist der Kern der qualitativen Bestimmung der Wertgröße, die historisch speziphisch vermittelte Form der aufzuteilenden Produktionsquanta an gesellschaftlicher Arbeitszeit zu sein.
Er kommt nicht auf die Idee, das die Dialektik der Formen im Kapitalismus auch Ausdruck der Dialektik allgemeinerer Art ist, sondern macht die Selbstbegründung und Eigenreflexivität, die Immanenz zum alleinigen Ausgangspunkt. Hier geht er aber nicht soweit wie zb Behrens.
(d.V.)}

" Nur als solcherart immanente Kritik beansprucht die Marxsche Analyse dialektisch zu sein: insofern sie zeigt, daß ihr Gegenstand dies ist. Das Postulat, daß der Begriff seinem Gegenstand adäquat ist, impliziert, daß sowohl eine transhistorische Dialektik der Geschichte als auch alle Auffassungen zurückzuweisen sind, die dahin gehen, die Dialektik sei eine universell gültige Methode, die auf verschiedene Einzelprobleme anwendbar ist. " (S. 221)
" Die Wende zum historisch Spezifischen der die Grundlage des Kapitalismus strukturierenden gesellschaftlichen Formen ist gleichbedeutend mit der selbstreflexiven, historischen Besonderheit der Marxschen Kritik - sie befreit die immanente Kritik von den letzten Resten des Anspruchs auf das absolute Wissen und ermöglicht ihr zudem die kritische Reflexion auf sich selbst. " (S. 223)
" Die Marx sehe Kritik erschließt diese Möglichkeit im widersprüchlichen Charakter ihrer Kategorien, die die wesentlichen Beziehungsstrukturen dieser Gesellschaft zum Ausdruck bringen, und, gleichzeitig, die Formen des gesellschaftlichen Seins und Bewußtseins begreifen sollen. Die Kritik ist somit auch in einem anderen Sinne immanent: indem sie den nicht-einheitlichen Charakter ihres eigenen Zusammenhangs aufzeigt, vermag sie sich selbst zu erklären, wie sie dem, was sie analysiert, der Möglichkeit nach immanent ist. " (S. 223)
" Diese Kritik nimmt keinen Standpunkt außerhalb ihres Gegenstandes ein und ist deshalb selbstreflexiv und erkenntnistheoretisch konsistent. " (S. 223)

4.5 Abstrakte Arbeit(» K)

" Die These, daß die Marxsche Analyse des historisch spezifischen Charakters der Arbeit im Kapitalismus den Kern seiner kritischen Theorie ausmacht, bildet die zentrale Aussage der in dieser Studie vorgestellten Interpretation. " (S. 224)
" Die Unterscheidung zwischen konkreter, nützlicher Arbeit, die Gebrauchswerte produziert, und abstrakter Arbeit, die den Wert konstituiert, bezieht sich nicht auf zwei verschiedene Arten der Arbeit, sondern auf zwei Aspekte ein- und derselben Arbeit in der warenförmigen Gesellschaft:... " (S. 223)
" Die immanente Darstellung dieses Doppelcharakters der warenproduzierenden Arbeit macht es schwierig, die Bedeutung, die Marx dieser Unterscheidung beimißt, zu verstehen. Darüber hinaus sind die Bestimmungen der abstrakt menschlichen Arbeit, wie er sie im 1. Kapitel des Kapitals ausführt, äußerst problematisch. Es scheint hier, als stelle in diesem Kontext Arbeit so etwas wie ein biologisches Residuum dar, so daß sie als bloße Verausgabung menschlicher physiologischer Energie interpretiert werden müsse. " (S. 224)
 
[Warum erscheint die Marxsche Darstellung der abstrakten Arbeit das physiologische hervorzuheben? Weil der Erscheinungsformen selbst dies so hervorbringen ist M.P.'s Antwort.]
" Gleichzeitig macht Marx aber auch unmißverständlich deutlich, daß wir es hier mit einer gesellschaftlichen Kategorie zu tun haben. Er bezieht sich dabei auf die abstrakt menschliche Arbeit, insofern sie die Warenwerte konstituiert als deren »gemeinschaftliche gesellschaftliche Substanz« (MEW 23, 52; Hervorhebung M. P.). Folglich sind die Waren - im Widerspruch zu ihrer stofflichen Natur als Gebrauchswerte - als Wert rein gesellschaftliche Objekte: " (S. 225)

{

Wir haben hier das Problem der Marxschen Abstraktion.
  • Diese Abstraktion findet nur statt als Realbewegung (Realabstraktion), Praxisform im Kapitalismus.
  • Andererseits reduziert sie die Arbeit auf ein nicht nur physiologisches, sondern sogar physikalisches Maß als Zeit. Dies aber ist ein gesellschaftlicher Prozess in der Form, in der dies geschieht.
Diese Nuß können sie nicht knacken und insistieren auf das gesellschaftliche Verhältnis als einzig Bestimmendes dieser Kategorie 'abstrakter Arbeit'. Dieses Hauptproblem haben alle diese Kritiker (bis bei Heinrich diese Dimension ganz verschwindet.) Die Lösung ist, dass diese Abstraktion auf das physikalische aber eben doch gesellschaftlich vermittelte Maß der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit so nur im Kapitalismus erscheint, nur im Kapitalismus stellt sich die Arbeit als reine Durchschnittsquanta als fremde Macht, als äußerer Zwang dar. Hier wird die Zeit selbst gesellschaftlich auf eine historisch bestimmte Weise. Das ist der ganze Zauber. In einer zentralen Planwirtschaft ist die Zeit auch, aber auf andere Weise, vergesellschaftlicht.
Es ist quasi die Umkehrung und der Rückreflex des Fetischcharakters der Ware, der nicht dialektisch gefaßt wird. Es werden nicht nur menschliche Verhältnisse verdinlicht, so der Fetisch, dh gesellschaftliche Verhälnisse erscheinen als stoffliche Eigenschaften von Dingen. Es ist auch umgekehrt, eine physikalische Dimension wird vergesellschaftlicht. Sie kommt zwar der physikalischen Natur zu, bekommt aber im Kapitalismus eine gesellschaftliche Wirkung als gesellschaftliches Naturgesetz, die Normierung der Arbeitsproduktivität nach den Besten.
Nur im Kapitalismus wird sie das Maß der Aneignung fremder Arbeitskraft und -zeit unter dem Mantel des Äquivalents. Somit hat man das historisch Spezifische und das transhistorische gefasst. So hingegen wird auf der Dichotomie von historisch und transhistorisch beharrt, das Trennende verabsolutiert, ohne die offensichtliche Vermittlung beider Momente zu sehen. Da wird die kritische Kritik wieder undialektisch.
Bekanntlich wird ein IT-Projekt in Manntagen gerechnet, ganz im Absehen von den konkreten Arbeiten und wird dann in Geld nach dem Mittel umgerechnet. Es wird also zuerst die Zeit bestimmt und dann das Geld, welches sich in weiterer Konkretisierung miteinander verschränkt. Die Parallelität aber bleibt bestehen. Diese Praxis widerspricht auch den ganzen monetären Theoretikern, die den Zusammenhang von Zeit und Wert nur über das fertige Geld bestimmen können.
(d.V.)}

 
[Abstrakte Arbeit ist keine physiologische, sondern eine (rein) gesellschaftliche Kategorie.]
" Wenn indes die Kategorie der abstrakt menschlichen Arbeit eine gesellschaftliche Bestimmung ist, dann kann sie keine physiologische Kategorie sein. Darüber hinaus bestätigt dieses Zitat das Ergebnis meiner Interpretation der Grundrisse (im 1. Kapitel dieser Studie), daß es für die Marxsche Analyse von zentraler Bedeutung ist, den Wert als eine historisch spezifische Form gesellschaftlichen Reichtums zu verstehen. Dies als gegeben unterstellt, kann dessen >gesellschaftliche Substanz< nicht transhistorisch sein, kein von Natur aus vorhandenes Residuum, das der menschlichen Arbeit in allen Gesellschaftsformationen gemeinsam wäre. [Herv. v. P.H.] " (S. 225)

{

Dabei besagt gerade der 'Kugelmannbrief' und der Beginn der 'Grundrisse', dass in jeder Gesellschaftsform selbstverständlich transhistorische Bestimmungen enthalten sind, alleine die Naturhaftigkeit des Menschen als Naturkraft und die Endlichkeit in Progress des Menschen bestimmt dies. Jeder gesellschaftliche Prozess ist letztendlich einer in der Natur und jeder Denkprozess letztendlich auch einer der Elektrochemie, sonst wären EKG und EEG sinnlose Zaubermittel der Medizin.
Dh, hier ist nach Marx kein Widerspruch, sondern dialektische Vermittlung die das Trennende erhält. Nur die kritische Kritik in Angst vor dem mechanischen Materialismus bestimmt diesen Graben zu einer Grenze, die keine Schranke ist, also nicht zu überwinden.
(d.V.)}

 
[Entweder-Oder, gesellschaftlich oder transhistorisch]
" Das Problem besteht somit darin, über die von Marx gegebene physiologische Bestimmung abstrakt menschlicher Arbeit hinauszugehen und die ihr zugrundeliegende gesellschaftliche und historische Bedeutung zu analysieren. Mehr noch: die Analyse darf sich nicht damit begnügen, zu zeigen, daß die abstrakt menschliche Arbeit einen gesellschaftlichen Charakter hat. Sie muß auch die historisch spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisse, die dem Wert zugrundeliegen, untersuchen und erklären, warum diese Verhältnisse als physiologische erscheinen und deshalb von Marx auch so präsentiert werden - als transhistorisch, naturgegeben und somit geschichtslos. " (S. 226)
" Dies ist äußerst entscheidend, denn damit wäre gezeigt, daß die den verschiedenen kategorialen Erscheinungsformen zugrundeliegenden Wesensformen in der Marxschen Analyse keine ontologischen, transhistorisch gültigen Kategorien sind, sondern die gesellschaftlichen Formen erfassen wollen, die ihrerseits historisch spezifisch sind. Wegen ihres eigentümlichen Charakters erscheinen diese gesellschaftlichen Formen jedoch ontologisch. So besteht unsere Aufgabe nun darin, eine historisch spezifische Form gesellschaftlicher Realität >hinter< der Wesenskategorie der abstrakt menschlichen Arbeit aufzudecken. Und anschließend wäre zu erklären, warum diese spezifische Realität in dieser besonderen Form existiert, einer Form, die sich ontologisch und somit geschichtsenthoben zu begründen scheint. " (S. 226)
" Colletti führt zunächst aus, daß diese Interpretation auch heute noch vorherrsche; sie reduziere die Marxsche Werttheorie auf die von Ricardo und ermögliche infolgedessen nur ein eingeschränktes Verständnis der Ökonomie. (1971, 41) Wie Ruhm stellt er fest, daß nur selten verstanden wurde, daß die Wetttheorie von Marx mit seiner Fetischtheorie identisch ist. Was erklärt werden müsse, sei, warum das Arbeitsprodukt die Form der Ware annimmt und warum deshalb menschliche Arbeit als Wert von Dingen erscheint. (1971, 42) Für eine solche Erklärung sei der Begriff der abstrakten Arbeit zentral, doch hätten die meisten Marxisten darunter Karl Kautsky, Rosa Luxemburg, Rudolf Hilferding und Paul Sweezy - diese Kategorie niemals wirklich erklärt. " (S. 227)
 
[Colletti: Werttheorie = Fetischtheorie, also zentrale Stellung der abstrakten Arbeit]
" Dazu hätte der traditionsmarxistische Arbeitsbegriff überdacht und es hätte gezeigt werden müssen, daß Marx die Arbeit im Kapitalismus als historisch spezifische Form gesellschaftlicher Vermittlung analysiert. Nur eine Kritik, die die historisch einzigartige Rolle der Arbeit im Kapitalismus in ihr Zentrum stellt, hätte Colletti - und andere Theoretiker, die aus der Perspektive der historischen Besonderheit von Wert und abstrakter Arbeit argumentiert haben - zu einem grundsätzlichen theoretischen Bruch mit dem traditionellen Marxismus befähigen können. " (S. 228)
 
[Arbeit im Kapitalismus ist eine spezielle Form der Vermittlung]

4.6 Abstrakte Arbeit und gesellschaftliche Vermittlung(» K)

" Mit der Untersuchung dieser einzigartigen Form von Interdependenz und der spezifischen Rolle, die die Arbeit in ihrer Konstitution spielt, werden die von Marx dargestellten abstraktesten Bestimmungen der kapitalistischen Gesellschaft erhellt. Auf der Grundlage der Marxschen Ausgangsbestimmungen der Formen von Reichtum und Arbeit sowie der Form der gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Kapitalismus charakterisieren, werde ich dann seine Ausführungen zur abstrakten gesellschaftlichen Herrschaft klären, indem analysiert wird, wie diese Formen den Individuen in einer quasi-objektiven Art und Weise gegenübertreten, wie sie eine besondere Produktionsweise entstehen lassen und wie sie aus sich heraus eine historische Dynamik entialten. " (S. 230)
 
[Konstitution durch die Arbeit]
" In der warenförmigen Gesellschaft sind die Vergegenständlichungen der Arbeit des Einen die Mittel, um von Anderen produzierte Güter zu erwerben. Man arbeitet, um andere Produkte zu erwerben. " (S. 231)
" Dies bedeutet, daß die Arbeit des Einen eine zweifache Funktion hat: einerseits ist sie eine spezifische Art der Arbeit, die besondere Produkte für Andere produziert. Andererseits dient Arbeit, unabhängig von ihrem besonderen Inhalt, dem Produzenten als Mittel, die Produkte Anderer zu erwerben. Mit anderen Worten:in der warenförmigen Gesellschaft wird Arbeit auf ganz besondere Weise zum Mittel, Güter zu erwerben. Hinsichtlich der Produkte, die die Käufer dank ihrer Arbeit erwerben, abstrahieren sie von der Besonderheit der Arbeit der Produzenten. Es besteht keine innere Beziehung zwischen der spezifischen Beschaffenheit der verausgabten Arbeit und der spezifischen Beschaffenheit des Produkts, das mittels dieser Arbeit erworben wird. " (S. 231)
" Dies unterscheidet sich erheblich von Gesellschaftsformationen, in denen Warenproduktion und Austausch nicht vorherrschen und die gesellschaftliche Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte auf der Basis einer großen Vielfalt von Gebräuchen, traditionellen Bindungen, transparenten Machtverhältnissen oder, auch das ist vorstellbar, bewußten Entscheidungen erfolgt. " (S. 231)
 
[Transparente Machtverhältnisse in nicht-warenförmigen Gesellschaften]
" Es ist die entweder unmittelbare oder die in Produkten ausgedrückte Arbeit selbst, die diese Verhältnisse ablöst, indem sie als >objektives< Mittel dazu dient, die Produkte Anderer zu erwerben. Arbeit selbst konstituiert eine gesellschaftliche Vermittlung anstelle transparenter gesellschaftlicher Verhältnisse. Eine neue Form von Interdependenz entsteht: Niemand konsumiert, was er produziert, und dennoch füngiert die Arbeit des Einen - oder deren Produkte - als das notwendige Mittel, um Produkte von Anderen zu erhalten.
...
Statt durch transparente oder >erkennbare< gesellschaftliche Verhältnisse vermittelt zu sein, wird die warenförmige Arbeit durch eine Reihe von Strukturen vermittelt, die sie, wie wir noch sehen werden, selbst konstituiert. "
(S. 195)
 
[Arbeit konstituiert eine gesellschaftliche Vermittlung von von ihr hervorgebrachten Strukturen]
" Indem sie Gebrauchswente produziert, kann die Arbeit im Kapitalismus als zweckbestimmte Tätigkeit aufgefaßt werden, die Stoff auf eine bestimmte Weise umwandelt; was Marx »konkrete Arbeit« nennt. Die Funktion der Arbeit als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit bezeichnet er als >abstrakte Arbeit<. In allen Gesellschaften gibt es unterschiedliche Ausprägungen dessen, was wir üblicherweise Arbeit nennen (wenn auch nicht in der mit der Kategorie der konkreten Arbeit implizierten allgemeinen, >säkularisierten< Form). Abstrakte Arbeit aber ist spezifisch für den Kapitalismus und erfordert schon deswegen eine genauere Untersuchung. " (S. 233)

{ Die Kategorie konkrete Arbeit ist dem Inhalt nach transhistorisch, aber als Kategorie entgegen der abstrakten Arbeit gesetzt historisch speziphisch für den Kapitalismus, da nur in ihm zwischen dem konkreten und dem abstrakten Moment so unterschieden wird. (d.V.)}

 
[Arbeit im Kapitalismus ist auch zweckbestimmte Tätigkeit als konkrete Arbeit.]
" Natürlich hat Arbeit in allen Gesellschaftsfonnationen einen gesellschaftlichen Charakter. " (S. 233)
" In nicht-kapitalistischen Gesellschaften sind die arbeitsförmigen Tätigkeiten in dem Maße gesellschaftlich, in dem sie in die Matrix der transparenten gesellschaftlichen Verhältnisse eingebettet sind. Diese ist das konstituierende Prinzip dieser Gesellschaften. Durch diese gesellschaftlichen Verhältnisse erhalten unterschiedliche Arbeiten ihren gesellschaftlichen Charakter (MEW 23, 90 f). Von der Warte der kapitalistischen Gesellschaft aus ließen sich die Verhältnisse vorkapitalistischer Formationen als persönliche, manifest gesellschaftliche und qualitativ besondere Beziehungen, das heißt differenziert bezüglich der Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Gruppierungen, sozialem Status usw., beschreiben. Demzufolge sind auch die arbeitsförmigen Tätigkeiten hier als manifest gesellschaftliche und qualitativ besondere bestimmt. Die verschiedenen Arbeiten erlangen ihre Bedeutung aus den gesellschaftlichen Beziehungen, in deren Kontext sie stehen. " (S. 233)
" Im Kapitalismus ist es die Arbeit selbst, welche die gesellschaftliche Vermittlung konstituiert, und nicht eine derartige Matrix von Beziehungen. Das bedeutet, daß der Arbeit kein gesellschaftlicher Charakter aufgrund transparenter gesellschaftlicher Verhältnisse zu vermittelnden Charakters der Arbeit, wie auch die der von dieser gesellschaftlichen Vermittlung strukturierten gesellschaftlichen Verhältnisse. " (S. 233f)
 
[Nur im Kapitalismus hat die Arbeit diese konstitutive Eigenschaft, das sich selbst begründende.]
" Anders ausgedrückt: im Kapitalismus begründet die Arbeit ihren eigenen gesellschaftlichen Charakter vermöge ihrer historisch spezifischen Funktion als einer gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit. In diesem Sinne wird Arbeit im Kapitalismus zu ihrem eigenen gesellschaftlichen Grund. " (S. 234)
" In der Konstitution einer sich selbst begründenden gesellschaftlichen Vermittlung konstituiert die Arbeit auch ein bestimmtes gesellschaftliches Ganzes - eine Totalität. Die Kategorie der Totalität und die mit ihr verbundene Form von Universalität kann erhellt werden, wenn man die Art von Allgemeinheit betrachtet, die mit der Warenform verknüpft ist. " (S. 234)
 
[Diese Arbeit begründete eine bestimmte Totalität ein gesellschaftliches Ganzes.]
" Folglich ist warenproduzierende Arbeit sowohl besondere (als konkrete Arbeit, also als eine bestimmte Tätigkeit, die besondere Gebrauchswerte schafft) als auch gesellschaftlich-allgemein (als abstrakte Arbeit, also als ein Mittel, um Güter von Anderen zu erwerben). " (S. 235)
 
[Arbeit als produzierende ist besonders (konkret), als Mittel Güter zu erwerben hingegen gesellschaftlich allgemein (abstrakt).]
" Diese Ausgangsbestimmung des Doppelcharakters der Arbeit im Kapitalismus sollte nicht aus ihrem Zusammenhang gelöst werden, etwa indem man unterstellt, die verschiedenen Formen konkreter Arbeit seien allesamt nichts weiter als Formen von Arbeit im allgemeinen. Eine derartige Feststellung ist analytisch wertlos, da sie für die arbeitsförmigen Tätigkeiten aller Gesellschaften getroffen werden kann, also auch für die, in denen die Warenproduktion nur marginale Bedeutung hat. Schließlich haben ja alle Formen der Arbeit eben das gemeinsam, daß sie Arbeit sind. Eine derartig unbestimmte Interpretation trägt kaum zum Verständnis des Kapitalismus bei und kann das auch nicht, gerade weil Marx zufolge abstrakte Arbeit und Wert für diese Gesellschaftsformation spezifisch sind. " (S. 235)
" Vielmehr ist es die gesellschaftliche Funktion der Arbeit, die sie allgemein macht. Als eine gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit abstrahiert die Arbeit von der Besonderheit ihres Produkts, und somit von der Besonderheit ihrer eigenen konkreten Form. " (S. 235)
 
[...die gesellschaftliche Funktion der Arbeit, die sie allgemein macht]
" In der Marxschen Analyse bringt die Kategorie der abstrakten Arbeit diesen realen gesellschaftlichen Abstraktionsprozeß zum Ausdruck. Sie basiert nicht auf einem bloß begrifflichen Abstraktionsprozeß. Als Praxis ist die Arbeit, die eine gesellschaftliche Vermittlung konstituiert, Arbeit im allgemeinen. Außerdem setzen wir uns hier mit einer Gesellschaft auseinander, in der die Warenform verallgemeinert und deshalb gesellschaftlich bestimmend ist: Die Arbeit aller Produzenten dient als Mittel, mit dem die Produkte Anderer beschafft werden können. " (S. 235)
 
[Arbeit als Praxis macht die Abstraktion zu einer real gesellschaftlichen und nicht zu einer bloß begrifflichen]
" Insgesamt ist die Arbeit aller Warenproduzenten eine Ansammlung verschiedener konkteter Arbeiten. Jede ist besonderer Teil eines Ganzen.
...
Weil aber jede einzelne Arbeit auf die gleiche gesellschaftlich vermittelnden Weise wie alle anderen fungiert, konstituieren die abstrakten Arbeiten insgesamt keine ungeheure Sammlung verschiedener abstrakter Arbeiten, sondern eine allgemeine gesellschaftliche Vermittlung oder, anders gesagt: gesellschaftlich totale abstrakte Arbeit. Somit konstituieren ihre Produkte eine gesellschaftlich totale Vermittlung: Wert. "
(S. 236)
Die konkreten Arbeiten sind Teil eines inhomogenen Ganzen (Gesamtarbeit) und die abstrakten Arbeiten sind teil einer sind einzelne Momente eines homogenen Ganzen - allgemein gesellschaftlichen Vermittlung.
 
[Gesellschaftliche Gesamtarbeit und die gesellschaftlich totale Vermittlung wird konstituiert - der Wert.]
" Weil jede besondere Art der Arbeit als abstrakte Arbeit fungieren und jedes Arbeitsprodukt als Ware dienen kann, werden Tätigkeiten und Produkte, die in anderen Gesellschaften nicht als ähnlich klassifizieren wurden, im Kapitalismus als gleiche, als Vielfalt (konkreter) Arbeiten oder als besondere Gebrauchswerte klassifiziert. In anderen Worten: die durch abstrakte Arbeit historisch konstituierte abstrakte Allgemeinheit etabliert auch die >konkrete Arbeit< und den >Gebrauchswert< als allgemeine Kategorien. " (S. 237)
 
[Abstrakte Arbeit konstituiert die Kategorie der konkreten Arbeit]
Die Klassenverhältnisse reichen zur Erklärung nicht aus, da es um die besondere Konstitution der Gesellschaft aus der Arbeit geht.
" Also existieren die für den Kapitalismus spezifischen und ihn charakterisierenden gesellschaftlichen Verhältnisse nur im Medium derArbeit. Da Arbeit eine Tätigkeit ist, die sich notwendigerweise in Produkten vergegenständlicht, ist die Funktion warenförmiger Arbeit als einer gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit untrennbar mit dem Akt der Vergegenständlichung verbunden: in demselben Prozeß, in dem sie sich als konkrete Arbeit in besonderen Gebrauchswerten vergegenständlicht, objektiviert sich die warenproduzierende Arbeit als abstrakte Arbeit auch in gesellschaftlichen Verhältnissen. " (S. 238)
" Den in der Ware vergegenständlichten zwei Formen der Arbeit entsprechen zwei Formen gesellschaftlichen Reichtums: Wert und stofflicher Reichtum. Letzterer ist eine Funktion der produzierten Produkte, ihrer Quantität und ihrer Qualität. Als eine Form des Reichtums drückt er die Vergegenständlichung verschiedener Arten der Arbeit aus, das aktive Verhältnis der Menschheit zur Natur.Für sich genommen aber konstituiert er weder die Verhältnisse zwischen Menschen noch determiniert er seine eigene Verteilung. " (S. 239)

{ Dies halte ich für eine stark hervorzuhebende Aussage. M.P. bezieht sich auf wichtige Begriffe, Totalität, Praxisform und Natur. Auf Grund der notwendigen Vergegenständlichung ergibt sich die Existenz der Vermittlung Wert in Raum und Zeit. (d.V.)}

 
[2 Arten des gesellschaftlichen Reichtums, also auch Wert als Ausdruck der Vergegenständlichung, aktives Verh. Mensch Natur.]
" Der Wert dagegen ist Vergegenständlichung abstrakter Arbeit.
...
Wert ist also eine Kategorie der Vermittlung: er ist gleichzeitig eine historisch bestimmte, sich selbst verteilende Form des Reichtums und eine objektivierte, sich selbst vermittelnde Form gesellschaftlicher Beziehungen. "
(S. 239)
 
[Wert ist eine materielle Vergegenständlichung !]
" Aufgrund dieser Eigenschaften resultiert aus der Funktion der Arbeit als gesellschaftlicher Vermittlung ein gesellschaftliches Band, das auch in räumlicher und zeitlicher Distanz funktioniert. Als vergegenständlichte Form abstrakter Arbeit ist der Wert eine wesentliche Kategorie der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.[Herv. v. P.H.] " (S. 239f)
" Somit ist die Ware, die Marx sowohl als Gebrauchswert als auch als Wert analysiert, die materielle Vergegenständlichung des Doppelcharakters der Arbeit im Kapitalismus - als konkrete Arbeit und als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit zugleich. Sie ist das den Kapitalismus grundlegend strukturierende Prinzip: die vergegenständlichte Form des Verhältnisses sowohl der Menschen zur Natur als auch zueinander. Die Ware ist sowohl Produkt als auch gesellschaftliche Vermittlung. Sie ist kein Gebrauchswett, der Wert hat, sondern als matenalisierte Vergegenständlichung konkreter und abstrakter Arbeit ist sie ein Gebrauchswert, der ein Wert ist und deshalb Tauschwert besitzt. Diese Gleichzeitigkeit substantieller und abstrakter Dimensionen in der Form der Arbeit und ihrer Produkte ist die Grundlage der verschiedenen antinomischen Gegensätze im Kapitalismus und liegt, wie ich zeigen werde, seinem dialektischen und letztlich widersprüchlichen Charakter zugrunde. " (S. 240)
" Wie ich bereits angedeutet habe, kann die Entfaltung der Marxschen Kategorien auch als ein immanenter Metakommentar zur gesellschaftlichen Konstitution philosophischen Denkens im allgemeinen und der Philosophie Hegels im besonderen gelesen werden. " (S. 241)
" Im Kapital präsentiert Marx die grundlegenden Formen der Warengesellschaft als den gesellschaftlichen Kontext von Ausführungen über den Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung, den philosophischen Begriff der Substanz, die Dichotomie von Subjekt und Objekt, die Totalität, und, auf der logischen Ebene der Kategorie Kapital, die sich entfaltende Dialektik des identischen Subjekt-Objekts.22
...
Weil diese Arbeit sich selbst vermittelt, begründet sie sich (gesellschaftlich) selbst und hat deshalb die Eigenschaften einer >Substanz< im philosophischen Sinne. Wir haben gesehen, daß sich Marx auf die Kategorie der abstrakt menschlichen Arbeit ausdrücklich mit dem philosophischen Begriff der >Substanz< bezieht und daß diese auf die Konstitution gesellschaftlicher Totalität durch die Arbeit verweist. "
(S. 241f)
 
[Substanz - als sich selbst begründend]
" Was Hegel mit dem Totalitätsbegriff zu erfassen versuchte, ist für Marx gerade nicht absolut und ewig, sondern historisch. Tatsächlich existiert eine causa sui, aber sie ist gesellschaftlich und nicht der wahre Endpunkt ihrer eigenen Entwicklung. Das heißt, es gibt gar keinen finalen Punkt: die Aufhebung des Kapitalismus würde die Abschaffung - und nicht die Realisierung - der >Substanz<, also der Rolle der Arbeit bei der Konstitution gesellschaftlicher Vermittlung, und somit die Abschaffung der Totalität bedeuten. " (S. 243)
" So offensichtlich wahr es ist, daß der durch die Arbeit bewirkte >Stoffwechsel< mit der Natur eine Existenzbedingung jeder Gesellschaft darstellt, so wird eine Gesellschaft aber auch durch den Charakter ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt. Marx zufolge ist der Kapitalismus durch den Umstand charakterisiert, daß seine fundamentalen gesellschaftlichen Verhältnisse von der Arbeit konstituiert werden. Arbeit im Kapitalismus vergegenständlicht sich aber nicht nur in materiellen Produkten - das gilt in allen Gesellschaftsformationen -, sondern ebenso in objektivierten gesellschaftlichen Verhältnissen. Kraft ihres Doppelcharakters konstituiert die Arbeit als Totalität eine objektive, quasi-natürliche gesellschaftliche Sphäre, die nicht auf die Summe unmittelbarer gesellschaftlicher Verhältnisse reduziert werden kann, sondern die, wie wir sehen werden, der Gesamtheit der Individuen und Gruppen als ein abstraktes Anderes entgegensteht.
...
Nicht Arbeit als solche konstituiert Gesellschaft, wohl aber Arbeit im Kapitalismus. "
(S. 244)
 
[Transhistorischer Stoffwechsel - historische Konstitution]

4.7 Abstrakte Arbeit und Entfremdung(» K)

" Von der Kategorie Ware sowie der Arbeit als gesellschaftlicher Vermittlung ausgehend, entwickelt Marx, indem er die Kategorien Geld und Kapital entfaltet, weitere Bestimmungen der kapitalistischen Totalität. Dabei zeigt er, daß die für den Kapitalismus charakteristische, durch Arbeit vermittelte Form gesellschaftlicher Verhältnisse nicht bloß eine gesellschaftliche Matrix konstituiert, innerhalb der die Individuen ihren Platz finden und miteinander in Beziehung treten. Sondern diese Vermittlung, die zunächst als Mittel (zum Erwerb von Produkten Anderer) analysiert wird, nimmt zudem ein Eigenleben an: Sie existiert gleichsam unabhängig von den sie vermittelnden Individuen. Sie entwickelt sich zu einer Art objektivem System über den Individuen und gegen sie und bestimmt zunehmend die Ziele und Mittel menschlicher Tätigkeit. " (S. 245)
" Es ist wichtig festzuhalten, daß Marx die Existenz dieses gesellschaftlichen >Systems< nicht auf begrifflich verdinglichte Weise ontologisch voraussetzt. Statt dessen gründet er die systemhafte Qualität der fundamentalen Strukturen des modernen Lebens in bestimmten Formen gesellschaftlicher Praxis. Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die den Kapitalismus in seinen Grundzügen definieren, haben >objektiven< Charakter und konstituieren ein >System<, weil sie durch die Arbeit als einer historisch besonderen, gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit konstituiert werden, das heißt durch eine abstrakte, homogene und objektivierende Form von Praxis. " (S. 245f)
 
[Eine Form der Praxis -Arbeit- begründet das gesellschaftliche System]
" Im Gegenzug wird das gesellschaftliche Handeln durch die Erscheinungsformen dieser Grundstrukturen konditioniert, und zwar ausgehend davon, wie diese gesellschaftlichen Verhältnisse sich der unmittelbaren Erfahrung gegenüber manifestieren und diese gestalten. " (S. 246)
" Kapitalistische gesellschaftliche Verhältnisse und entfremdete Strukturen sind identisch.26 " (S. 247)
" Die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Entfremdung und Vergegenständlichung hängt jedoch davon ab, was man unter Arbeit versteht. Geht man von einer transhistorischen Auffassung der >Arbeit< aus, muß diese Unterscheidung notwendigerweise in Faktoren begründet werden, die der vergegenständlichenden Tätigkeit äußerlich sind - zum Beispiel in den Eigentumsverhältnissen, das heißt in der Beantwortung der Frage, ob die unmittelbaren Produzenten über ihre eigene Arbeit und deren Produkte verfügen können oder ob die Kapitalistenklasse sich diese aneignet. " (S. 247)
 
[Überinterpretation der Arbeit gegenüber den Klassen]

{ Hier überzieht M.P. ganz klar und sieht nicht, das die Lohnarbeit zwar tagtäglich die gesellschaftlichen Verhältnisse reproduziert, welche allerdings ihre Voraussetzung stellen. Ohne die Klasse der Lohnarbeiter keine Lohnarbeit. Die historisch speziellen Klassenverhältnisses sind die Grundlage der historisch speziellen Arbeit, so sie auf ihrer eigenen Grundlage stattfindet. So unterscheidet Marx die Lohnarbeit allgemein auch von der im Kapitalismus in der Existenz des doppelt freien Lohnarbeiters als vorherrschende Form der Arbeitskraft, jenseits des ständischen Handwerksgesellen, welcher auch lohnarbeitet. Arbeit wird hier teil mystifiziert als DAS Agens, welches gesellschaftliche Verhältnisse schafft, dabei ist in der ursprünglichen Akkumulation zu lesen, wie die Verhältnisse hitorisch real geschaffen wurden. (d.V.)}

" Er zeigt vielmehr, daß Vergegenständlichung tatsächlich Entfremdung ist, wenn das, was Arbeit vergegenständlicht, gesellschaftliche Verhältnisse sind. " (S. 247)
 
[Entfremdung = Arbeit vergegenständlicht gesell. Verhältnisse]
" Sie ist eine Funktion des spezifischen Charakters der Arbeit im Kapitalismus. Und somit existiert die Möglichkeit, sie zu überwinden. " (S. 248)
" Entfremdete Arbeit konstituiert also eine gesellschaftliche Struktur abstrakter Herrschaft, doch sollte diese Arbeit nicht notwendig mit Mühsal, Unterdrückung oder Ausbeutung gleichgesetzt werden. Die Arbeit eines Leibeigenen, von der ein Teil dem Feudalherm >gehört<, ist an und für sich nicht entfremdet: Beherrschung und Ausbeutung sind dieser Arbeit selbst nicht immanent. Genau aus diesem Grund beruhte die Ausbeutung unter solchen Bedingungen auf unmittelbarem Zwang - und mußte es auch. Es geht darum, WIE sich das Produkt angegeignet wird. " (S. 195)
Noch einmal der Deutlichkeit halber
" Die für den Kapitalismus charakteristische abstrakte Herrschaft und Ausbeutung der Arbeit gründen letztlich nicht in der Aneignung des Überschusses durch nicht-arbeitende Klassen, sondern in der Form der Arbeit im Kapitalismus. " (S. 248)
" Die Form, in der Notwendigkeit durchgesetzt wird - und die ich hier nur in ihrer ersten Bestimmung erörtert habe-, existiert ohne jegliche direkte persönliche Herrschaft. Weil der ausgeübte Zwang unpersönlich und >objektiv< ist, scheint er gar nicht gesellschaftlich zu sein, sondern von >Natur<, und auf diese Weise konditioniert er, wie noch zu zeigen sein wird, naturhafte Begriffe gesellschaftlicher Wirklichkeit. " (S. 249)
 
[Naturhafter Schein der Notwendigkeit durch die Abstraktheit]
" In gewissem Sinne ist Arbeit eine notwendige Vorbedingung, das heißt eine transhistorische oder >naturgegebene< gesellschaftliche Notwendigkeit menschlicher gesellschaftlicher Existenz als solcher. Diese Notwendigkeit kann aber die Besonderheit warenproduzierender Arbeit verschleiern nämlich die Tatsache, daß, auch wenn man das von einem Produzierte nicht konsumiert, diese Arbeit dennoch weiterhin das gesellschaftlich notwendige Mittel bleibt, um Produkte für den Konsum zu erlangen. Letzteres ist, im Gegensatz zur naturgegebenen, eine historisch bestimmte gesellschaftliche Notwendigkeit. " (S. 250)
 
[Transhistorische Notwendigkeit verdeckt die historisch spezielle]

{ Man sollte auch zwischen Inhalt, der transhistorisch notwendigen Konsumtion, und ihrer historischen Form über Lohn/Profit/Grundrente unterscheiden. (d.V.)}

" Der hier vorgelegten Interpretation stellt sich Entfremdung als Prozeß der Objektivierung abstrakter Arbeit dar. Sie bedeutet nicht die Entäußerung eines präexistierenden menschlichen Wesens, sondem das Wirklichwerden der menschlichen Potenzen in entfremdeter Form. Oder anders, die Entfremdung verweist auf einen Prozeß der historischen Konstitution menschlicher Potenzen, der durch Arbeit, die sich selbst als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit objektiviert, vollzogen wird. " (S. 251)
" So analysiert er im Kapital die Konstitution einer universellen gesellschaftlichen Form durch die entfremdete Arbeit nach zwei Seiten: sowohl als Struktur, in der menschliche Kapazitäten historisch erst geschaffen werden, wie auch als Struktur abstrakter Herrschaft. Diese entfremdete Form führt zu einer raschen Akkumulation des gesellschaftlichen Reichtums und des Produktivpotentials der Menschheit, bringt aber ebenso die zunehmende Fragmentierung der Arbeit, die formale Reglementierung der Zeit und die Zerstörung der Natur mit sich. Die Strukturen abstrakter, durch bestimmte Formen gesellschaftlicher Praxis konstituierter Herrschaft lassen einen gesellschaftlichen Prozeß entstehen, der außerhalb menschlicher Kontrolle liegt. " (S. 251)
" Als Theorie gesellschaftlicher Konstitution untersucht sie kritisch den Charakter moderner Universalität und Gleichheit und begründet ihn gesellschaftlich. Der Marxschen Analyse zufolge ist das Universelle keine transzendente Idee, sondern konstituiert sich historisch mit der Entwicklung und Konsolidierung der warenförmigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Es entsteht hier aber kein Universelles an sich, sondern eine besondere universelle Form, die mit den gesellschaftlichen Formen verknüpft bleibt, deren Teil sie ist. " (S. 252)
" Dieser Prozeß der Universalisierung konstituiert Marx zufolge die soziohistorische Vorbedingung für die Entstehung einer populären Vorstellung menschlicher Gleichheit, auf der wiederum moderne Theorien der politischen Ökonomie basieren (MEW 23, 73 f). Die moderne Idee der Gleichheit verdankt sich also einer gesellschaftlichen Form von Gleichheit, die historisch mit der Entwicklung der Warenform entstanden ist, das heißt mit dem Prozeß der Entfremdung. " (S. 252)
 
[Moderne Idee der Gleichheit als Resultat dieses Prozesses]
" Es entsteht ein Gegensatz zwischen Allgemeinem zum Besonderem, der im historischen Entfremdungsprozeß gründet. Die so konstituierte Universalität und Gleichheit zeitigte positive politische und gesellschaftliche Konsequenzen, aber auch negative, insofern sie die Besonderheit negierten. " (S. 252)
 
[Negativer Gegensatz Universalität//Besonderes - abstrakte Herrschaft]
" Die Herrschaftsform, die mit dieser abstrakten Form des Universellen verknüpft ist, stellt nicht bloß ein hinter einer universalistischen Fassade verborgenes Klassenverhältnis dar. Die von Marx analysierte Herrschaft ist die spezifische, historisch konstituierte Form von Universalität, die mit den Kategorien Wert und Kapital erfaßt werden soll. Die Gesellschaftlichkeit ist dann ebenfalls durch den historisch konstituierten Gegensatz zwischen der abstrakten gesellschaftlichen Sphäre und den Individuen charakterisiert. In der warenförmigen Gesellschaft wird das moderne Individuum historisch konstituiert: als eine Person, die, von persönlichen Herrschaftsbeziehungen, Abhängigkeiten und Verpflichtungen unabhängig, nicht mehr transparent in eine quasi-natürlich, fixe gesellschaftliche Stellung eingebettet ist und sich daher in gewissem Sinne selbst bestimmt. " (S. 253)
" Bei ihnen handelt es sich nicht nur um sich selbst bestimmende >Subjekte<, die vermöge eines freien Willens handeln, sondern sie sind zugleich einem System objektiver Zwänge und Beschränkungen unterworfen, das unabhängig von ihrem Willen operiert - und in diesem Sinne sind sie auch >Objekte<. Das in der kapitalistischen Gesellschaft konstituierte Individuum hat, wie die Ware, einen Doppelcharakter. " (S. 254)
 
[Doppelcharakter des Subjekts]
" Vielmehr klärt sie darüber auf, daß der Gegensatz zwischen abstraktem Universalismus und konkretem Partikularismus in bestimmten Formen gesellschaftlicher Verhältnisse seinen Grund hat - und wie wir sehen werden, verweist die Entwicklung dieser Verhältnisse auf die Möglichkeit einer anderen Form des Universalismus, der nicht auf Abstraktion von aller konkreten Besonderheit basiert. Mit der Aufhebung des Kapitalismus könnte die im Kapitalismus bereits in entfremdeter Form konstituierte Einheit der Gesellschaft anders hergestellt werden, nämlich durch Formen politischer Praxis, die qualitative Besonderheit nicht negieren müssen. " (S. 254f)
 
[Aufhebung dieses Universalismus in einen anderen]
" Statt dessen waren im Sozialismus sowohl Form als auch Ziel der Produktion andere.
...
Anders gesagt, aus dem Doppelcharakter des Entfremdungsprozesses ergibt sich, daß seine Aufhebung (statt seiner einfachen Abschaffung) eher die Aneignung dessen nach sich zieht, was in entfremdeter Form gesellschaftlich konstituiert worden ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Marxsche Kritik sowohl von abstrakt rationalistischen als auch von romantischen Formen der Kapitalismuskritik. "
(S. 255)
" Der Entfremdungsprozeß ist im Marxschen Spätwerk also Bestandteil eines Prozesses, in dem strukturierte Praxisformen geschichtlich die basalen Verkehrsformen, Denkformen und kulturellen Werte der kapitalistischen Gesellschaft konstituieren. " (S. 255)
 
[Denkformen sind durch Praxisformen konstituiert]
" Eine selbstreflexive Theorie der Konstitutionsweisen der Formen gesellschaftlichen Lebens muß über den Gegensatz zwischen abstrakt absolutistischen und abstrakt relativistischen Positionen hinausgehen, die beide unterstellen, Menschen könnten irgendwie außerhalb ihrer gesellschaftlichen Welt handeln und denken. " (S. 256)
" Im Kapitalismus konstituieren die Menschen ihre gesellschaftlichen Verhältnisse und ihre Geschichte mittels Arbeit. Obwohl sie von dem, was durch sie selbst konstituiert worden ist, kontrolliert werden, >machen< sie diese Verhältnisse und diese Geschichte in einem anderen und emphatischeren Sinne, als die Menschen ihre vorkapitalistischen Verhältnisse >machten< (die Marx als spontan entstanden und naturwüchsig charakterisierte). " (S. 256)
 
[Der Konstitutionsunterschied in der Arbeit]
" Darüber hinaus müssen solche Reflexionen aufgrund der dem Kapitalismus innewohnenden dynamischen Logik nicht retrospektiv bleiben, wenn die Kapitalform erst einmal vollständig entwickelt ist. Indem die entfremdete, dynamische Struktur >gemachter< Verhältnisse traditionelle, >naturwüchsige< Verkehrsformen ersetzt, entsteht die objektive und subjektive Möglichkeit, eine noch fortgeschrittenere Form >gemachter<Verhältnisse zu schaffen, eine, die nicht mehr >automatisch> durch Arbeit konstituiert wird. " (S. 257)

4.8 Abstrakte Arbeit und Fetisch(» K)

" Jetzt können wir uns dem Problem zuwenden, warum Marx in seiner immanenten Analyse abstrakte Arbeit als physiologische Arbeit präsentiert. " (S. 257)
" Wir haben gesehen, daß Arbeit in ihrer historisch bestimmten Funktion als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit die >Substanz des Werts<, also das die Gesellschaftsformation bestimmende Wesen ist. Es versteht sich keinesfalls von selbst, einer Gesellschaftsfonnation ein Wesen zuzusprechen. Die Kategorie des Wesens setzt die Kategorie der Erscheinungsform voraus. Es macht keinen Sinn, da von einem Wesen zu sprechen, wo zwischen dem, was ist, und seiner Erscheinungsweise kein Unterschied besteht. Das Wesen ist also dadurch charakterisiert, daß es nicht unmittelbar erscheint, und dies auch nicht kann, sondern in einer von ihm gesonderten Erscheinungsform seinen Ausdruck finden muß. Dies unterstellt eine notwendige Beziehung zwischen Wesen und Erscheinung. Das Wesen muß eine Qualität haben, aus der es notwendigerweise in genau der manifesten Form erscheint, in der es zutage tritt. Das Verhältnis von Wert und Preis zum Beispiel wird von Marx in der Weise analysiert, daß der Wert vom Preis sowohl dargestellt als auch verschleiert wird. Ich beschäftige mich hier jedoch mit einer grundsätzlicheren logischen Ebene: der von Arbeit und Wert. " (S. 257)
 
[Wesen und notwendig verschleiernde Erscheinung, Wert und Preis]
" Deshalb muß die spezifische gesellschaftliche Rolle der Arbeit im Kapitalismus sich notwendig in Erscheinungsformen ausdrücken, die Vergegenständlichungen der Arbeit als produktive Tätigkeit sind. Die historisch spezifische gesellschaftliche Dimension der Arbeit nun wird durch die scheinbar transhistorische, >materielle< Dimension der Arbeit sowohl ausgedrückt als auch verschleiert. Derart manifeste Formen sind notwendige Erscheinungsformen der einzigartigen Funktion der Arbeit im Kapitalismus. In anderen Gesellschaften sind produktive Tätigkeiten in eine transparente gesellschaftliche Matrix eingebettet und deshalb weder >Wesen< noch >Erscheinungsform<. " (S. 258)
 
[Wesen und Erscheinung gibt es so nur im Kapitalismus]
Die Arbeit ist nur im Kapitalimus dessen Wesen. Dieses ist somit nicht transhistorisch oder ontologisch, wenn es auch so erscheint, sondern historisch speziphisch. Wesen und Erscheinung gibt es nur im Kapitalismus.
" >Wesen< ist eine ontologische Bestimmung. Das Wesen jedoch, das hier erörtert wird, ist geschichtlich - eine historisch spezifische gesellschaftliche Funktion der Arbeit. " (S. 258)
" Denn nur im Kapitalismus ist Arbeit das Wesen der Gesellschaft. " (S. 258f)
" Positionen, die die besondere Funktion der Arbeit im Kapitalismus nicht erfassen, schreiben der Arbeit als solcher einen gesellschaftlich synthetisierenden Charakter zu: sie behandeln sie als das transhistorische Wesen des gesellschaftlichen Lebens überhaupt. Warum aber Arbeit als >Arbeit< gesellschaftliche Verhältnisse konstituieren kann, können sie ebensowenig erklären wie den soeben analysierten Zusammenhang zwischen Erscheinung und Wesen. " (S. 259)

{ Hier verplettet die richtige Kritik die transhistorische wichtige Funktion der Arbeit als erster Praxisform. Die Arbeit konstituiert den Menschen zum Menschen, aber nicht die Lohnarbeit. Wie immer fehlt zur richtigen Kritik an der Naturalisierung die Darstellung derer objektivem Kern, dass Arbeit immer geleistet werden muss, aber natürlich nicht in der Form der Lohnarbeit. Aber derer Inhalt bleibt selbstverständlich die nicht zuletzt auch stoffliche Reproduktion der Gesamtgesellschaft, siehe 'Kugelmannbrief' oder 'Grundrisse' Einleitung, da gibts kein Mogeln. Und so ist die von M.P. sogenannte abstrakter Herrschaft die Form der objektiven Zwänge, der die Gesellschaft ausgesetzt ist. Nicht diesen Inhalt gilt es als überhistorisch zu kritisieren, sondern deren Form im Kapitalismus. (d.V.)}

 
[Form und Inhalt]
" Im 2. Kapitel habe ich dargelegt, daß gesellschaftliche Verhältnisse nie unmittelbar, beziehungsweise unvermittelt sein können. An dieser Stelle kann ich diese Kritik damit ergänzen, daß durch Arbeit konstituierte gesellschaftliche Verhältnisse nie manifest gesellschaftlich sein können, sondern notwendigerweise in versachlichter Form existieren müssen. Wegen ihrer Hypostasierung des Wesens des Kapitalismus zum Wesen der menschlichen Gesellschaft können diese traditionellen Theorien die innere Beziehung des Wesens zu seinen Erscheinungsformen nicht erklären und deshalb nicht in Erwägung ziehen, daß es ein Kennzeichen des Kapitalismus sein könnte, ein Wesen zu haben. " (S. 259)
 
[Es gibt keine unvermittelten gesell. Verh.]
" Sie kann auch nicht durch eine Untersuchung der Arbeit als einer produktiven Tätigkeit enthüllt werden, denn in allen Gesellschaftsformationen stellt das, was wir als Arbeit bezeichnen, eine produktive Tätigkeit dar. " (S. 260)
" Die historisch spezifische Funktion der Arbeit kann darum nur in vergegenständlichter Form erscheinen: als Wert in seinen unterschiedlichen Formen (Ware, Geld, Kapital). " (S. 260)
" Waren aber können nicht beide Bestimmungen zugleich erfüllen: sie können nicht gleichzeitig als besondere Güter und als allgemeine Vermittlung fungieren. " (S. 261)
" Dies impliziert, daß die Allgemeinheit einer jeden Ware als gesellschaftliche Vermittlung eine Ausdrucksform annehmen muß, die von der Besonderheit jeder einzelnen Ware getrennt ist. Dies ist der Ausgangspunkt der Marxschen Wertformanalyse, von dem aus er zur Analyse des Geldes fortschreitet. (MEW 23, 62ff.) Die Existenz jeder Ware als allgemeine Vermittlung nimmt eine von ihr unabhängige, matenalisierte Form an - als Äquivalent zwischen Waren. Die Dimension des Werts aller Waren wird in die Form einer einzelnen Ware: dem Geld, externalisiert, das als allgemeines Äquivalent zwischen allen anderen Waren fungiert: das Geld erscheint als allgemeine Vermittlung. Somit wird der Doppelcharakter der Ware als Gebrauchswert und Wert externalisiert und erscheint in der Form der Ware einerseits und in der Form des Geldes andererseits. Im Resultat dieser Externalisierung erscheint die Ware nicht selbst als gesellschaftliche Vermittlung. " (S. 261)
 
[Geld als Materialisierung der allgemeinen Vermittlung]
" So wird der gegenständlich vermittelte Charakter gesellschaftlicher Beziehungen im Kapitalismus durch seine manifeste Formen als äußerliche Vermittlung (Geld) zwischen Gegenständen ausgedrückt und verschleiert zugleich. Die Existenz dieser Vermittlung kann dann für das Resultat einer Übereinkunft gehalten werden. (MEW 23, 109ff.) " (S. 261)
 
[Verschleierung durch das Geld als dinglich]
" Anders gesagt: wenn, bedingt durch ihre manifesten Formen, - der bestimmte Charakter der grundlegenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus nicht erkannt wird, dann mag zwar der Wert als Eigenschaft der Waren gelten, wird jedoch nicht der Ware als einer gesellschaftlichen Vermittlung, sondern als eine des Produkts zugeschrieben. Folglich scheint Wert durch Arbeit als produktiver Tätigkeit geschaffen zu werden - durch Arbeit, die Güter und stofflichen Reichtum schafft - statt durch Arbeit als gesellschaftlich vermittelnder Tätigkeit. Da Arbeit, so gesehen, offensichtlich unabhängig von ihrer konkreten Besonderheit Wert schafft, scheint sie diesen einfach aufgrund ihrer Fähigkeit zu erzeugen, auch allgemeine produktive Tätigkeit zu sein. Wert scheint daher durch die Verausgabung von Arbeit schlechthin konstituiert zu werden. " (S. 262)
 
[Vs. Verausgabung von Arbeit überhaupt]

{ D'accord: Wert ist Verausgabung von Arbeit überhaupt, physiologisch, aber in der nicht zu trennenden Formbestimmtheit des Kapitalverhältnisses. Er ist beides zugleich. Zeit als operable Form (aufgespeicherte Arbeitszeit) und Anweisung auf lebendige Arbeitszeit, als Form des Reichtums im Geld, gibt es nur im Kapitalismus als bestimmende Form. (d.V.)}

" Der Unterschied zwischen stofflichem Reichtum und Wert, der in der Differenz verankert ist zwischen der Arbeit in nicht-kapitalistischen Gesellschaften - die durch gesellschaftliche Beziehungen vermittelt wird - und der Arbeit im Kapitalismus - die durch die Arbeit selbst vermittelt wird -wird verwischt. Anders gesagt: wenn die Ware ein Gut mit Tauschwert und somit der Wert durch den Markt vermittelter Reichtum zu sein scheint, dann erscheint die wertschaffende Arbeit nicht als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit, sondern als wertschaffende Arbeit im allgemeinen. " (S. 263)
" So scheint Arbeit Wert zu schaffen allein kraft ihrer Verausgabung. Und dann erscheint abstrakte Arbeit in der immanenten Analyse von Marx als das, was allen Formen menschlicher Arbeit in allen Gesellschaften >zugrundeliege<: als die Verausgabung von Muskel, Nerv usw. " (S. 263)
" Die von Marx präsentierte Kategorie der abstrakten Arbeit ist somit Ausgangsbestimmung seiner Fetischismusanalyse: weil die dem Kapitalismus zugrundeliegenden Verhältnisse durch Arbeit vermittelt werden und daher objektiviert sind, erscheinen sie nicht als historisch spezifisch und gesellschaftlich, sondern als transhistorisch gültige und ontologisch begründete Formen. Daß der Vermittlungscharakter der Arbeit als Arbeit im physiologischen Sinne erscheint, das macht den Wesenskern des kapitalistischen Fetischs aus. " (S. 263)
 
[Der Wesenskern des Fetischs]
" Diese Analyse der Kategorie abstrakter menschlicher Arbeit repräsentiert eine spezifische Ausprägung der Marxschen immanenten Kritik. Deren physiologische Bestimmung dieser Kategorie analysiert den Kapitalismus in dessen eigenen Begriffen, das heißt so, wie die Formen sich selbst darstellen. Die Kritik nimmt keinen Standpunkt außerhalb ihres Gegenstands ein, sondern stützt sich auf die volle Entfaltung der Kategorien und ihrer Widersprüche. Dem Selbstverständnis der Marxschen Kritik gemäß sind die Kategorien, welche die Formen gesellschaftlicher Verhältnisse erfassen, Kategorien gesellschaftlicher Objektivität und Subjektivität zugleich und bringen somit diese gesellschaftliche Realität zum Ausdruck. Sie sind nicht bloß beschreibend, stehen nicht außerhalb ihres Gegenstands und befinden sich somit keinesfalls in einer zufälligen Beziehung zu ihm. " (S. 264)
" Die Materie der >materialistischen< Marxschen Kritik ist somit gesellschaftlicher Art - die Formen gesellschaftlicher Verhältnisse sind materiell. Da sie durch Arbeit vermittelt sind, kann die den Kapitalismus charakterisierende gesellschaftliche Dimension nur in objektivierter Form erscheinen. Mit der Aufdeckung des geschichtlichen und gesellschaftlichen Inhalts der verdinglichten Formen wird die Marxsche Kritik auch zu einer Kritik der diversen Materialismen, die diese Formen der Arbeit und ihre Objektivierungen hypostasieren. Seine Analyse kritisiert sowohl den Idealismus als auch den Materialismus, indem sie beide als historisch spezifischen, verdinglichten und entfremdeten Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnissen begründet. " (S. 265)
 
[Gesellschaftliche Verhältnisse sind materiell !]

4.9 Gesellschaftliche Verhältnisse, Arbeit und Natur(» K)

" Die Formen der den Kapitalismus charakterisierenden gesellschaftlichen Verhältnisse sind nicht manifest gesellschaftlich und erscheinen so, als seien sie gar nicht gesellschaftlich, sondern >naturgegeben<. Daraus ergibt sich eine sehr spezifische Vorstellung von Natur. Die Erscheinungsformen der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse bedingen nicht nur das Verständnis von Gesellschaft, sondern auch das von Natur. " (S. 265)
" In traditionellen Gesellschaften nimmt die Natur einen Charakter an, der seinem >Wesen< nach ebenso mannigfaltig, personalisiert und nicht-rational ist wie die gesellschaftlichen Verkehrsformen, die diese Gesellschaften charakterisieren. " (S. 267)
" Während in traditionellen Gesellschaften die gesellschaftlichen Verhältnisse die Arbeit mit Sinn und Bedeutung ausstatten, verleiht im Kapitalismus die Arbeit sich selbst und den gesellschaftlichen Verhältnissen einem >objektiven< Charakter. Dieser objektive Charakter wird historisch konstituiert, wenn die Arbeit, der in anderen Gesellschaften durch transparente gesellschaftliche Verhältnisse verschiedene spezifische Bedeutungen zugesprochen werden, sich selbst vermittelt und dadurch diese Bedeutungen negiert. In diesem Sinne kann Objektivität als die nicht offen erkennbare gesellschaftliche >Bedeutung< gesehen werden, die historisch dann auftritt, sobald sich eine vergegenständlichende gesellschaftliche Tätigkeit reflexiv gesellschaftlich selbst bestimmt. Der hier vertretenen Auffassung gemäß bestimmen also die gesellschaftlichen Verhältnisse in traditionellen Gesellschaften die Arbeiten, Gerätschaften und Gegenstände, die, in Verkehrung des tatsächlichen Sachverhaltes, einen gesellschaftlich bestimmenden Charakter zu besitzen scheinen. Im Kapitalismus erzeugen die Arbeit und ihre Produkte eine Sphäre objektiver gesellschaftlicher Verhältnisse: sie sind tatsächlich gesellschaftlich bestimmend, erscheinen aber nicht so. Statt dessen erscheinen sie als rein >materiell<. " (S. 195)
" Diese >Säkularisierung< der Arbeit und ihrer Produkte ist ein Moment des historischen Prozesses der Auflösung und Transformation traditioneller gesellschaftlicher Bindungen durch eine gesellschaftliche Vermittlung mit doppeltem Charakter - einem konkret-materiellen und einem abstrakt-gesellschaftlichen. Die Zerschlagung der traditionellen Bindungen geht mit dem Aufbau dieser neuen gesellschaftlichen Vermittlung einher. Wie wir gesehen haben, erscheint es nur so, daß mit der Aufhebung der mit manifesten gesellschaftlichen Verhältnissen und Herrschaftsformen einhergehenden Zwänge und Beschränkungen die Menschen nun frei über ihre Arbeit verfügen könnten. " (S. 269)
" Der Marxschen Kapitalismusanalyse zufolge konstituiert der Doppelcharakter der warenförmigen Arbeit also eine gesellschaftliche Welt, die durch eine konkrete und eine abstrakte Dimension gekennzeichnet ist. Erstere erscheint als mannigfaltig gestaltete Oberfläche unmittelbarer sinnlicher Erfahrung, letztere existiert allgemein, homogen und abstrahiert von jeder Besonderheit. Beiden aber wird durch die Selbstvermittlung der Arbeit im Kapitalismus ein objektiver Charakter verliehen. Die konkrete Dimension wird in dem Sinne als objektive konstituiert, insofern sie objekthaft, >materiell< oder >dinglich< ist. Auch die abstrakte Dimension bat eine objektive Qualität, in dem Sinn, daß sie eine qualitativ homogene, allgemeine Sphäre abstrakter Zwangsnotwendigkeit ist, die gesetzmäßig, unabhängig vom Willen funktioniert. " (S. 270)
 
[Die Materialität der konkreten (stofflich) UND abstrakten (gesell) Seite]
" Das Verhältnis zwischen diesen beiden Welten der Objektivität kann dann als das zwischen Wesen und Erscheinung konstruiert werden oder als das eines Gegensatzes (wie dies historisch zum Beispiel im Gegensatz zwischen romantischen und positiv-rationalen Denkweisen zum Ausdruck kam). " (S. 270)
 
[Das Verh. dieser beiden Objektivitäten ist Wesen und Erscheinung]
" (Fussnote 38) Die Aufhebung nicht-bewußter gesellschaftlicher Zwänge in einer emanzipierten Gesellschaft würde also bedeuten, die säkularisierte Arbeit von ihrer Rolle als gesellschaftlicher Vermittlerin zu >befreien<. Die Menschen könnten dann auf eine Weise über die Arbeit und ihre Produkte verfügen, die sowohl von den traditionellen gesellschaftlichen Beschränkungen als auch von den entfremdeten objektiven gesellschaftlichen Zwängen frei wäre. Andererseits könnte die Arbeit, auch wenn sie säkular ist, wieder mit Bedeutung aufgeladen werden nicht als Resultat nicht-bewußter Tradition, sondern wegen ihrer erkannten gesellschaftlichen Relevanz und weil die Individuen in ihr Sinn und substantielle Befriedigung finden können. " (S. 270)
 
[Möglichkeit der Aufhebung]
" Der alltägliche Umgang mit den Waren etabliert zwischen den Gütern eine >dingliche< gesellschaftliche Gleichartigkeit und beinhaltet zugleich einen fortwährenden Akt der Abstraktion. Jede Ware besitzt nicht nur ihre besonderen Qualitäten, die sich in materiellen Quantitäten messen lassen, sondern allen Waren ist auch der Wert gemeinsam: eine nicht-manifeste abstrakte Qualität, mit (wie wir sehen werden) zeitlich bestimmter Größe. Die Größe ihres Werts ist Funktion eines abstrakten Maßes und nicht konkreter stofflichen Quantität. Als gesellschaftliche Form ist die Ware von ihrem stofflichen Inhalt vollkommen unabhängig. " (S. 271)
" Diese Form ist nicht die von qualitativ spezifischen Gegenständen, sondern beruht auf Abstraktion und kann mathematisch erfaßt werden. Sie besitzt >formale< Charakteristika. Waren sind sowohl besondere, sinnliche Gegenstände (und werden als solche vorn Käufer bewertet) als auch Werte: bei all dem handelt es sich um Momente einer abstrakt homogenen Substanz, die mathematisch teilbar und meßbar ist (zum Beispiel in bezug auf Zeit und Geld).[Herv. v. P.H.] " (S. 271f)
 
[Der Wert ist mathematisch teilbar und meßbar in der Zeit]
" In gleicher Weise existiert in der klassischen modernen Naturwissenschaft hinter der konkreten Welt mannigfaltiger qualitativer Erscheinungen eine Welt, die aus einer ihnen gemeinsamen, sich bewegenden Substanz besteht, die >formale< Qualitäten besitzt und mathematisch erfaßt werden kann. Beide Ebenen sind >säkularisiert<. Die Ebene des der Realität zugrundeliegenden Wesens ist ein >objektiver< Bereich in dem Sinne, als er von Subjektivität unabhängig ist und nach Gesetzen operiert, die von der Vernunft erfaßt werden können. Wie der Wert der Ware eine Abstraktion von ihren Qualitäten als Gebrauchswert ist, so besteht zum Beispiel für Descartes die wahre Natur aus ihren »primären Qualitäten«: das sind die beweglichen materiellen Körper, die nur durch die Abstraktion von der Erscheinungsebene qualitativer Besonderheiten (den »sekundären Qualitäten«) erfaßt werden können. Diese Erscheinungsebene ist eine Funktion der Sinnesorgane, des »Auges des Sehenden«. Objektivität und Subjektivität, Geist und Körper, Form und Inhalt sind substantiell verschieden und einander entgegengesetzt konstituiert. Von nun an ist die Frage offen, wie sie aufeinander bezogen sind - sie müssen vermittelt werden. " (S. 272)
 
[Wert ist Wesenhaft wie in der Naturwissenschaft das Objektive]
" Es geht hier nur um den Hinweis, daß sich die Naturauffassungen und die Paradigmen der Naturwissenschaften gesellschaftlich und historisch begründet lassen. Ich werde bei der Erörterung des Problems der abstrakten Zeit auf einige erkenntnistheoretische Implikationen der Kategorien zu sprechen kommen, das Verhältnis der Naturauffassungen zu ihrem gesellschaftlichen Kontext jedoch nicht näher ausführen. Es sollte aber klar sein, daß meine Position sehr wenig mit jenen Theorien zu tun hat, die den gesellschaftlichen Einfluß auf die Wissenschaft in einem unmittelbaren Sinne - über Gruppen- oder Klasseninteressen, beziehungsweise >-prioritäten< usw. - verstehen. Auch wenn diese unmittelbare Einflußnahme für die Untersuchung der Anwendung von Wissenschaft durchaus relevant sein dürfte, kann der Bezug darauf den Naturauffassungen oder wissenschaftlichen Paradigmen selbst nicht gerecht werden. " (S. 273)
 
[Abgrenzung vom Zusammenhang Klasseninteresse und zb Naturwissenschaft]
" Die nicht-funktionalistische soziohistorische Erkenntnistheorie, die der Marxschen Kritik implizit zugrundeliegt, geht davon aus, daß die Art, wie die Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft die Welt wahrnehmen und verstehen, durch die Form ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse - verstanden als strukturierte Form alltäglicher gesellschaftlicher Praxis - geprägt wird. Mit >Widerspiegelungstheorie< hat dies wenig gemein. " (S. 273)
 
[Keine Widerspiegelungstheorie]
Zu Borkenau:
" Dieser Arbeitsprozeß sei durch eine extreme Aufsplitterung der Arbeit in - relativ wenig Geschick erfordernde - Tätigkeiten charakterisiert gewesen, was ein zugrundeliegendes Substrat homogener Arbeit im allgemeinen entstehen ließ. Das gestattete im Gegenzug die Entwicklung eines Begriffs von gesellschaftlicher Arbeit und damit den quantitativen Vergleich von Arbeitszeiteinheiten. Borkenau zufolge entstand mechanistisches Denken aus der Erfahrung einer mechanistischen Organisation der Produktion. " (S. 274)
" Von der Fragwürdigkeit des Versuchs Borkenaus, die Kategorie der abstrakten Arbeit unmittelbar aus der Organisation konkreter Arbeit abzuleiten, einmal abgesehen: Es wird überhaupt nicht klar, warum Menschen damit begonnen haben sollen, die Welt zu verstehen, indem sie ihre Begriffe der Produktionsorganisation in der Manufaktur anglichen. " (S. 274)

{ Dieser Einwurf ist mit Verlaub lächerlich. Mit welcher Fragwürdigkeit versuchen die Menschen ihre Produktion in adäquater Weise zu erfassen? Der verschränkte Prozess zwischen kategorialer Entwicklungsbewegung und der Realbewegung dürfte doch klar sein. (d.V.)}

" Grossmanns Hypothese hat mit der Borkenaus gemein, eine Denkform unmittelbar aus der Arbeit als produktiver Tätigkeit abzuleiten. Wie jedoch Alfred Sohn-Rethel in Geistige und körperliche Arbeit ausführt, ist Grossmanns Vorgehen unzulänglich, weil hier die Apparaturen, die angeblich das mechanistische Denken hervorbrachten, bereits nach der Logik dieses Denkens verstanden und gedeutet werden (1972, 85, Fn. 20). Sohn-Rethel zufolge müssen die Ursprünge besonderer Denkformen auf einer tieferen Ebene gesucht werden. " (S. 275)
" Die gesellschaftliche Synthesis wird in der vorliegenden Studie nie als eine Funktion der >Arbeit< betrachtet, sondern als Form der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen Produktion stattfindet. Die Arbeit bewirkt diese Funktion ausschließlich im Kapitalismus - als Ergebnis der historisch spezifischen Qualität, die wir anläßlich der Untersuchung der Warenform enthüllt haben. " (S. 276)
 
[Formaspekt der Arbeit im Kapitalismus]
" Auch wenn meine Interpretation in mancher Hinsicht mit dem Versuch Sohn-Rethels, die historische Entstehung von abstraktem Denken, Philosophie und Naturwissenschaft mit abstrakten gesellschaftlichen Formen in Zusammenhang zu bringen, parallel geht, basiert sie doch auf einem anderen Verständnis des Charakters und der Konstitution dieser Formen. " (S. 277)
" Auf jeden Fall ist eine Theorie gesellschaftlicher Formen für jede kritische Theorie von zentraler Bedeutung. Eine auf einer Analyse der Warenform gesellschaftlicher Verhältnisse aufbauende Theorie kann auf einer hohen logischen Abstraktionsebene die Bedingungen erklären, unter denen sich wissenschaftliches Denken - mit dem Aufstieg der kapitalistischen Zivilisation - von der Beschäftigung mit Qualität (Gebrauchswert) und von Fragen nach dem >Was< und >Warum< ab- und der Beschäftigung mit Quantität (Wert) und den Fragen nach dem eher instrumentellen >Wie< zuwandte. " (S. 277)

4.10 Arbeit und instrumentelles Handeln(» K)

" Den Formen kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse kommt, wie erwähnt, eine >kulturelle< Bedeutung zu: sie bedingen das Naturverständnis ebenso wie das von Gesellschaft. Ein hervorstechendes Merkmal moderner Naturwissenschaft ist ihr instrumenteller Charakter: ihre Beschäftigung mit der Frage nach der Funktionsweise von Natur unter Ausschluß der Frage nach dem Sinn sowie ihr >wertfreier< Charakter bezüglich substantieller Ziele. Auch wenn an dieser Stelle die Frage nach dem gesellschaftlichen Grund dieser Naturwissenschaft nicht direkt verfolgt werden kann, wird darüber indirekt mitverhandelt, wenn man eine Antwort auf die Frage sucht, ob Arbeit als eine instrumentelle Tätigkeit angesehen werden kann, und wenn man das Verhältnis zwischen einer solchen Tätigkeit und der den Kapitalismus kennzeichnenden Form gesellschaftlicher Konstitution erörtert.Max Horkheimer bezieht in Zur Kritik der instrumentellen Vernunft Arbeit auf die instrumentelle Vernunft, die er als eine mit der Industrialisierung dominant werdende, reduzierte Form von Vernunft charakterisiert. Die instrumentelle Vernunft ist nach Horkheimer nur mit der Frage nach den richtigen oder effizientesten Mitteln zur Erreichung eines gegebenen Zwecks beschäftigt. Sie ist mit Max Webers Vorstellung von formaler im Gegensatz zu substantieller Rationalität verwandt. Die Ziele selbst können danach mit den Mitteln der Vernunft nicht bestimmt werden. (1985, 15ff.) Die Idee, Vernunft sei nur im Verhältnis zu Instrumenten sinnhaft oder sei selbst ein Instrument, hängt eng mit der positivistischen Vergöttlichung der Naturwissenschaften als einzigem Erkenntnismodell zusammen (1985, 61 ff.; 104). " (S. 277f)
" Mag auch ein Zusammenhang zwischen instrumenteller Handlung und instrumenteller Vernunft bestehen, so ist doch der Identifikation der instrumentellen Vernunft mit der Arbeit als solcher ist zu widersprechen. " (S. 278)
" Im Hinblick auf die hier entwickelte Argumentation läßt sich diese Behauptung modifizieren: gesellschaftliche Arbeit als solche ist keine instrumentelle Handlung, wohl aber die Arbeit im Kapitalismus. " (S. 279)
" Wie wir gesehen haben, ist warenförmige Arbeit als konkrete Arbeit ein Mittel zur Herstellung eines besonderen Produkts. Darüber hinaus und wesentlicher ist sie - als abstrakte Arbeit - selbst vermittelnd: sie ist ein gesellschaftliches Mittel, um Produkte von anderen zu erwerben. Somit wird von den Produzenten in bezug auf ihr konkretes Produkt von der Arbeit abstrahiert: sie dient ihnen als reines Mittel, als Instrument, um Produkte zu erwerben, die keine innere Beziehung zum substantiellen Charakter der produktiven Tätigkeit unterhalten, mittels derer sie erworben werden. " (S. 279)
 
[Doppelcharakter - Arbeit als Instrument zum Erwerb]
" Produktion um der Produktion willen bedeutet, daß diese kein Mittel mehr zu einem substantiellen Zweck ist, sondern ein Mittel zu einem Zweck, der seinerseits ein Mittel ist: Moment einer unendlichen Kette der Expansion. Produktion im Kapitalismus wird Mittel zum Mittel. " (S. 280)
" Sie wurzelt nicht im Charakter der konkreten Arbeit als einem bestimmten materiellen Mittel, ein besonderes Produkt zu erzeugen, sondern im Charakter der Arbeit im Kapitalismus als einem quasi-objektiven gesellschaftlichen Mittel, das manifest konstituierte gesellschaftliche Verhältnisse ablöst. Horkheimer schreibt demnach eine Konsequenz des spezifischen Charakters der Arbeit im Kapitalismus der Arbeit im allgemeinen zu. " (S. 281)
" Der Prozeß der Instrumentalisierung ergibt sich aus dem Doppelcharakter der Arbeit im Kapitalismus logisch, infolge der Verwandlung der Menschen zu Mitteln wird er auch noch außerordentlich intensiviert. Wie ich zeigen werde, ist die erste Stufe dieser Verwandlung die, daß die Arbeit selbst - als Arbeitskraft - zur Ware wird (von Marx die »formelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital« genannt), was nicht zwangsläufig auch die materielle Form der Produkte transformiert. Die zweite Stufe (die »reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital«) ist erreicht, wenn der Prozeß der Mehrwertproduktion den Arbeitsprozeß nach seinem Bilde formt. (Marx 1969, 60 f.) Mit der reellen Subsumtion prägt das Ziel kapitalistischer Produktion - das in Wirklichkeit ein Mittel ist - die materiellen Mittel seiner Verwirklichung. " (S. 281)
 
[Instrumentalisierung ergibt sich aus dem Doppelcharakter]

{ Es muß unterschieden werden zwischen der Instrumentalisierung, die jeder Teleologie gemein ist, also auch ein transhistorisches Moment der Arbeit als solcher darstellt und andererseits, der speziellen "abstrakten" Mehrwertorientierung in der kapitalistischen Produktion. Das hier Produktion um der Produktion willen betrieben wird ist selbst ein realer Schein. Selbstverständlich muß die stoffliche Reproduktion der Gesamtgesellschaft als solcher gewährleistet sein, auch im Kapitalismus. Das dies hinter dem Rücken der Produzenten und der Theoretiker passiert und nicht als solches erscheint, könnte mit M.P.'s eigenen Argumenten von der notwendigen Verkehrtheit des notwendigen Scheines nachgewiesen werde. (d.V.)}

 
[Der Schein der Produktion um der Produktion willen]
" Das Verhältnis der materiellen Form der Produktion zu ihrem Ziel (Wert) ist nicht mehr zufällig. Vielmehr beginnt die abstrakte Arbeit die konkrete zu quantifizieren und nach ihrem Bilde zu prägen; die abstrakte Herrschaft des Werts beginnt, sich im Arbeitsprozeß selbst zu materialisieren. Marx zufolge ist es ein Kennzeicben der reellen Subsumtion, daß, allem Anschein zum Trotz, nicht die wirklichen Rohstoffe des Produktionsprozesses das physische Material darstellen, das in materielle Produkten umgewandelt wird, sondern daß es die Arbeiter sind, deren objektivierte Arbeitszeit den Lebensnerv der Totalität bildet (MEW 23; 5. 192ff.; 354; 446). Mit der reellen Subsumtion wird diese Bestimmung des Verwertungsprozesses materialisiert: das Individuum ist buchstäblich zum Mittel geworden. " (S. 281)
" Sie können nur darüber entscheiden, welche Produkte sich am besten dazu zu eignen scheinen, den (Mehr-) Wert zu maximieren. Die Wahl der materiellen Produkte zur Erreichung dieses Ziels hängt weder von deren substantieller Qualität noch von den Bedürfnissen ab, die befriedigt werden sollen. " (S. 281)

{ Und dies stimmt gerade nicht. Gerade über die Preise gibt sich auch eine bestimmte und begrenzte und natürlich vermittelte Notwendigkeit einer Ware bezüglich der stofflichen Reproduktion kund. Diese Seite drücken diese Kritiker gerne weg. (d.V.)}

" Diese Analyse muß aber den im 3. Kapitel erörterten notwendigen Pessimismus der Kritischen Theorie nicht teilen. Weil der von uns untersuchte instrumentelle Charakter eine Funktion des Doppelcharakters der Arbeit im Kapitalismus - und nicht der Arbeit an sich - ist, kann er als Eigenschaft einer in sich widersprüchlichen Form analysiert werden. Der zunehmend instrumentelle Charakter der Welt muß nicht als ein linearer, endloser, mit der Entwicklung der Produktion verbundener Prozeß verstanden werden. Die Gesellschaftsform kann als Form betrachtet werden, die nicht nur sich selbst einen instrumentellen Charakter verleiht, sondern aufgrund eben jener Dualität die Möglichkeit ihrer fundamentalen Kritik ebenso entstehen läßt wie die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Abschaffung. Der Begriff des Doppelcharakters der Arbeit im Kapitalismus bietet den Ausgangspunkt für eine Neubetrachtung der Bedeutung des fundamentalen Widerspruchs der kapitalistischen Gesellschaft. " (S. 283)

4.11 Abstrakte und substantielle Totalität(» K)

" Der Wert wurde als Kategorie analysiert, die die Herrschaft der Arbeit über sich selbst ausdrückt, das heißt die Beherrschung der Produzenten durch die historisch spezifisch vermittelnde Dimension ihrer eigenen Arbeit. Abgesehen von der oben dargelegten knappen Erörterung der Subsumtion der Arbeit unter das Kapital hat meine Analyse die durch die Arbeit im Kapitalismus konstituierte entfremdete gesellschaftliche Totalität bisher eher als formale denn als substantielle behandelt - sie ist das entäußerte gesellschaftliche Band zwischen den Individuen, das aus der Bestimmung der Arbeit als produktiver und zugleich gesellschaftlich vermittelnder Tätigkeit resultiert. " (S. 283)
" In der Marxschen Analyse ist die Tatsache, daß der Kapitalismus durch eine ihm immanente historische Dynamik gekennzeichnet ist, der Form abstrakter Herrschaft geschuldet, die der Wertförmigkeit des Reichtums und der gesellschaftlichen Vermittlung innewohnt. Das Wesen dieser Dynamik besteht in einem sich fortwährend beschleunigenden Prozeß der Produktion um der Produktion willen. Was den Kapitalismus auszeichnet, ist, daß - auf einer tiefen systemischen Ebene - die Produktion nicht um der Konsumtion willen stattfindet. Diese Produktion wird letztlich durch ein System abstrakter, vom Doppelcharakter der Arbeit im Kapitalismus konstituierter Zwänge angetrieben, das sich die Produktion als ihr eigenes Ziel setzt. " (S. 284)
 
[Produktion nicht der Konsumtion wegen]

{ Hier wird abstrakt Schein und Wirklichkeit verwechselt und konkreter die Formbestimmung der Produktion mit ihrer Inhaltsbestimmung. (d.V.)}

" Was die kritische Theorie, welche die Arbeit als die gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit begreift, von Theorien unterscheidet, die ihr Augenmerk auf den Markt oder das Geld konzentrieren, ist die Analyse des Kapitals - ist die Fähigkeit, die richtungsgebundene Dynamik und den Entwicklungsverlauf der Produktion in der modernen Gesellschaft zu erfassen. " (S. 284f)
" Meine Untersuchung des Marxschen Kapitalbegriffes wird zeigen, daß die gesellschaftliche Totalität ihren dynamischen Charakter dadurch erhält, daß sie sich eine substantielle gesellschaftliche Dimension der Arbeit einverleibt. Bislang wurde die spezifische, abstrakte Dimension der Arbeit im Kapitalismus als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit erörtert. Diese Dimension sollte nicht mit dem gesellschaftlichen Charakter der Arbeit als produktiver Tätigkeit verwechselt werden. " (S. 285)
" Dort wird gezeigt, daß die durch das Kapital zum Ausdruck gebrachte gesellschaftliche Totalität ebenfalls einen >Doppelcharakter< - einen abstrakten und einen substantiellen - besitzt, der in den zwei Dimensionen der Warenform verankert ist. Im Unterschied zu den beiden Seiten der Ware sind in der mit dem Kapital entfalteten Totalität beide gesellschaftliche Dimensionen der Arbeit entfremdet und treten den Individuen gemeinsam als einheitliche Zwangsgewalt gegenüber. Diese Dualität ist der Grund, warum diese Totalität nicht statisch, sondern aus sich heraus widersprüchlich ist, weshalb sie einer immanenten, historisch richtungsgebundenen Dynamik unterliegt. " (S. 195)
 
[Doppelcharakter der Totalität als treibendes Moment]
" Da sie im Doppelcharakter der warenförmigen Arbeit verankert ist, ist die entfremdete gesellschaftliche Totalität nicht, wie zum Beispiel Adorno es sieht, die Identität, die in sich das gesellschaftlich Nicht-Identische inkorporiert und so das Ganze zu einer widerspruchslosen Einheit werden ließe - wodurch sich die Herrschaft universalisiere (1973). Um meine Behauptung zu stützen, daß die Totalität in sich widersprüchlich ist, wird zu zeigen sein, daß sie ihrem Wesen gemäß eine widersprüchliche Identität von Identität und Nicht-Identität bleibt und nicht zu einer einheitlichen Identität geworden ist, die das Nicht-Identische vollkommen assimiliert habe. " (S. 195)
 
[Zu Adorno - Widersprüchlichkeit der Totalität selbst]

5. Abstrakte Zeit(» K)

5.1 Die Wertgröße(» K)

" Die Untersuchung der wesentlichen, die kapitalistische Gesellschaft strukturierenden gesellschaftlichen Formen konzentrierte sich bislang auf die Kategorie der abstrakten Arbeit sowie auf einige, der Marxschen Argumentation impliziten Voraussetzungen (daß die den Kapitalismus kennzeichnenden gesellschaftlichen Verhältnisse durch Arbeit konstituiert werden). Diese gesellschaftlichen Formen sind bei ihm außerdem durch ihre zeitliche Dimension sowie ihre Quantifizierbarkeit gekennzeichnet. Auf diese Aspekte der Warenform geht er gleich zu Anfang ein, und zwar bei seiner Behandlung des Problems der Wertgröße (MFW 23, 52ff.). " (S. 287)
" Auf der Grundlage dieser Auseinandersetzung werde ich auf die Unterschiede zwischen Wert und stofflichem Reichtum eingehen und beginnen können, die Frage der Zeitlichkeit des Kapitalismus zu untersuchen - um so das Fundament für meine, im letzten Teil dieser Studie erörterte Marxsche Vorstellung der Verlaufsform der kapitalistischen Entwicklung zu legen. Auf dem Weg dorthin werde ich zudem weitere Aspekte der oben bereits umrissenen soziohistorischen Erkenntnis- und Subjektivitätstheorie entfalten, die eine kritische Untersuchung der Marxkritik von Jürgen Habermas erlauben und die meine Diskussion der Entwicklung der Kritischen Theorie - als einen Versuch, eine dem 20. Jahrhundert adäquate Gesellschaftskritik zu formulieren -abschließen wird. Sodann werde ich mit der Rekonstruktion der Marxschen Kategorie des Kapitals beginnen können. " (S. 287)
 
[Weiteres Vorgehen]
" Die Analyse des Werts als einer historisch spezifischen gesellschaftlichen Form hätte jedoch auch die Begriffe zu tangieren, in denen die Wertgröße erfaßt wird.1 Marx schreibt nicht nur - wie häufig zitiert wurde-, daß die politische Ökonomie »niemals auch nur die Frage gestellt hat, warum sich Arbeit im Wert darstellt«, er fragt auch, warum sich »das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Wertgröße des Arbeitsprodukts darstellt« (MEW 23, 95). Mit der zweiten Frage ist unterstellt, daß es nicht damit getan ist, die Wertform nur qualitativ zu untersuchen, und dabei das Problem der Wertgröße auszublenden - auch letzteres verlangt eine qualitative Gesellschaftsanalyse. " (S. 288)
 
[Qualität der Wertquantität]
" Rubin gelangt zu einer ähnlichen Feststellung:

Der Hauptirrtum der Mehrheit der Marxkritiker besteht in: 1) ihrem völligen Unvermögen, die qualitativ soziologische Seite der Marxschen Werttheorie zu erfassen und 2) ihrer Beschränkung der quantitativen Seite auf die Untersuchung von Tauschraten... Sie verkennen die quantitativen Wechselbeziehungen zwischen den Mengen gesellschaftlicher Arbeit, die unter verschiedenen Produktionszweigen und Unternehmen aufgeteilt werden. Die Wertgröße ist ein Regulator der quantitativen Verteilung gesellschaftlicher Arbeit. (1972, 73ff.) [Herv v. P.H.] "
(S. 289)
 
[Wertgröße als Regulator der Arbeitsmengen bei Rubin]
" Wenn aber die Kategorien Wert und Wertgröße lediglich im Hinblick auf die fehlende bewußte gesellschaftliche Steuerung der Verteilung im Kapitalismus interpretiert werden, dann bedeutet dies, die historische Negation des Kapitalismus nur im Sinne öffentlicher Planung unter Abwesenheit des Privateigentum zu begreifen. Dies aber liefert keine adäquate Grundlage für eine kategoriale Kritik der kapitalförmigen Produktionsform. Die Marxsche Analyse der Wertgröße ist jedoch integraler Bestandteil genau dieser Kritik: sie enthält eine qualitative Bestimmung des Verhältnisses von Arbeit, Zeit und gesellschaftlicher Notwendigkeit in der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Im Zuge der Untersuchung der zeitlichen Dimension der Marxschen Kategorien werde ich meine Behauptung untermauern können, daß das Wertgesetz, weit davon entfernt, eine Theorie des Gleichgewichts der auf den Märkten wirksamen Mechanismen zu formulieren, sowohl eine historische Dynamik als auch eine besondere materielle Form der Produktion unterstellt. " (S. 289)
 
[Kritik am Wert als Regulator]

{ Da hat er recht, aber hier wird wieder Regulatorfunktion und Marktgleichgewicht gleichgesetzt. Damit wäre natürlich der Kritikhorizont von Marx hinterschritten. Aber diese Regulatorfunktion wirft M.P. damit gleichzeitig weg und damit meiner Analyse nach den Inhalt des Wertes. Auch tritt bei ihm die objektive Seite, die Notwendigkeiten des Produktionsprozesses selbst völlig in den Hintergrund, hinter der historisch selbstverständlich wichtigen Formbestimmtheit. Das drückt sich darin aus, dass er auch "quasi-objektiv" anstatt objektiv sagt und damit zurecht auf das Trennende eines gesellschaftlich Objektiven und zb stofflich objektiven hindeutet, aber das Identische ''beider'' Objektivitäten wäre hier zu betonen. (d.V.)}

" Das Maß des Werts stellt für Marx etwas ganz anderes dar als das Maß des stofflichen Reichtums. Letztere Form des Reichtums, die durch die verschiedensten Arten der Einwirkung konkreter Arbeit auf Rohmaterialien geschaffen wird, kann über die Vergegenständlichungen dieser Arbeiten gemessen werden, das heißt aufgrund der Quantitäten und Qualitäten der so produzierten, besonderen Güter. " (S. 290)
" Stofflicher Reichtum vermittelt sich gesellschaftlich nicht selbst: wo er die vorherrschende gesellschaftliche Form des Reichtums ist, wird er durch offene gesellschaftliche Beziehungen >bewertet< und verteilt - aufgrund traditioneller gesellschaftlicher Bindungen, Machtverhältnissen, bewußter Entscheidungen, Nützlichkeitserwägungen und anderem mehr. Die Dominanz stofflichen Reichtums als der gesellschaftlichen Form des Reichtums ist mit einer manifesten gesellschaftlichen Form der Vermittlung verbunden. " (S. 290)
 
[Vorkapitalistische Verteilung des Reichtums]
" Wenn die Arbeit selbst als das allgemeine, quasi-objektive Mittel zur Vermittlung der Produkte agiert, konstituiert sich ein allgemeines, quasi-objektives Maß des Reichtums, das von der Besonderheit der Produkte und somit von manifesten gesellschaftlichen Bindungen und Zusammenhängen unabhängig ist. Marx zufolge ist dieses Maß die gesellschaftlich notwendige Verausgabung menschlicher Arbeitszeit. Wie wir sehen werden, handelt es sich dabei um eine bestimmte, >abstrakte< Form der Zeit. Wegen des vermittelnden Charakters der Arbeit im Kapitalismus hat auch deren Maß einen gesellschaftlich vermittelnden Charakter. Die Form des Reichtums (Wert) und sein Maß (abstrakte Zeit) werden durch Arbeit im Kapitalismus als >objektive< gesellschaftliche Vermittlungen konstituiert.[Herv v. P.H.] " (S. 291)
 
[Allgemeines quasi-objektives Mass - abstrakte Zeit]
" In ähnlicher Weise bezieht sich die Kategorie der Wertgröße zugleich auf eine Abstraktion von den physischen Quantitäten der ausgetauschten Produkte wie auf die Reduktion auf einen nicht-manifesten gemeinsamen Nenner - die für ihre Produktion aufgewandte Arbeitszeit. Im vierten Kapital wurden einige erkenntnistheoretische Implikationen der Marxschen Warenformanalyse angesprochen, die ich als Analyse strukturierter Formen von Alltagspraxis verstehe und die einen fortwährenden Prozeß der Abstraktion von der konkreten Besonderheit von Gegenständen, Tätigkeiten und Individuen sowie deren Reduktion auf einen allgemeinen, >wesentlichen< gemeinsamen Nenner beinhalten. " (S. 292)
 
[Abstraktionsprozeß als Alltagspraxis auf wesentlich gemeinsamen Nenner]
" An dieser Stelle ist wichtig, festzuhalten, daß Marx im 1. Kapitel des Kapitals seine Behauptung, die Verausgabung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit sei das Maß des Werts, nicht vollständig ausführt. " (S. 292)

{ Dem muß in dieser Abstraktheit vehement widersprochen werden, die Vermittlung ist als Durchschnittsbewegung angegeben. (d.V.)}

" Wie im 4. Kapitel dieser Studie dargelegt, ist die Argumentation im Kapital der Darstellungsweise, das heißt der vollen Entfaltung der Kategorien immanent. Darin soll, was entfaltet wird, rückwirkend rechtfertigen, was ihm voranging und aus dem es logisch entwickelt wurde. Wir werden sehen, daß Marx seine Behauptung, die Wertgröße sei durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt, rückwirkend stützt, wenn er - auf der Grundlage seiner Ausgangsbestimmungen des Werts und dessen Maß - den kapitalistischen Produktionsprozeß und die Verlaufsform seiner Entwicklung analysiert. Seine Argumentation zielt dabei darauf, die zeitliche Bestimmung der Wertgröße als eine kategoriale Bestimmung sowohl der Produktion als auch der Dynamik des Ganzen zu rechtfertigen, und nicht nur - wie es zunächst scheinen mag - als eine Bestimmung allein der Steuerung des Tauschs. " (S. 292)
 
[Rückwirkend stützende Entwicklung der Kategorien]

5.2 Abstrakte Zeit und gesellschaftliche Notwendigkeit(» K)

" Weil abstrakt menschliche Arbeit eine allgemeine gesellschaftliche Vermittlung konstituiert, ist in der Marxschen Analyse die Arbeitszeit, die dem Wert als Maß dient, nicht individuell und kontingent, sondern gesellschaftlich und notwendig:... " (S. 293)
" Marx definiert gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit folgendermaßen: Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad an Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen. (MEW 23, 53) " (S. 293)
" Die Bestimmung der Wertgröße einer Ware durch die gesellschaftlich notwendige oder durchschnittliche Arbeitszeit zeigt an, daß der Bezugspunkt die Gesellschaft als ganze ist. Das Problem, wie dieser Durchschnitt konstituiert wird - er wird durch »einen gesellschaftlichen Prozeß hinter dem Rücken der Produzenten festgesetzt... und (scheint) ihnen daher durch das Herkommen gegeben« (MEW 23, 59) - soll hier nicht erörtert werden, aber bemerkt werden soll doch, daß dieser »gesellschaftliche Prozeß« eine gesellschaftlich-allgemeine Vermittlung individueller Handlungen beinhaltet. Infolge dieser individuellen Handlungen konstituiert sich eine allgemeine äußerliche Norm, die reflexiv auf jedes Individuum einwirkt. " [Herv. v. P.H.] (S. 293)

{ Gerade diese Konstitution des Durchschnitts ist der Kern und wird im dritten Band bis zur Oberfläche der Kategorien hin geleistet. Bemerkenswert, dass der Durchschnitt in Folge völlig aus dem Blickfeld gerät, wobei selbstverständlich die Hervorhebung des gesellschaftlich speziphischen der Form notwendig ist. (d.V.)}

 
[Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als Durchschnitt und überindividuelle Norm]
" Auf den ersten Blick scheint diese Notwendigkeit bloß den durchschnittlichen Zeitaufwand, der zur Produktion einer bestimmten Ware benötigt wird, zu beschreiben. Eine eingehendere Betrachtung zeigt jedoch, daß diese Kategorie eine weitere Bestimmung der durch warenförmige Arbeit konstituierten Form gesellschaftlicher Herrschaft darstellt - eine Notwendigkeit, die ich eine >historisch bestimmte<, gesellschaftliche Notwendigkeit genannt habe, im Gegensatz zu einer transhistorischen, >naturgegebenen<. " (S. 294)
" Die für die Produktion einer bestimmten Ware verausgabte Zeit wird auf gesellschaftlich-allgemeine Weise vermittelt und in einen Durchschnitt umgewandelt, der die Wertgröße des Produkts bestimmt. Somit drückt die Kategorie der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit eine allgemeine zeitliche Norm aus, die aus den Handlungen der Produzenten resultiert und nach der diese sich zu richten haben. Wer überleben will, ist nicht nur gezwungen, Waren zu produzieren und auszutauschen, sondern diese Zeit muß darüber hinaus auch - wenn man den >vollen Wert< seiner Arbeitszeit erhalten will - mit der zeitlichen Norm übereinstimmen, die als gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ausgedrückt wird. Als Kategorie der Totalität bringt die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit eine quasi-objektive gesellschaftliche Notwendigkeit zum Ausdruck, die den Produzenten gegenübertritt. Es ist die der abstrakten Herrschaft innewohnende Zeitdimension, welche die Strukturen entfremdeter gesellschaftlicher Beziehungen im Kapitalismus kennzeichnet. Die von der Arbeit als objektive allgemeine Vermittlung konstituierte gesellschaftliche Totalität ist durch eine Zeitlichkeit charakterisiert, worin Zeit zur Notwendigkeit wird. [Herv. v. P.H.] " (S. 195)
 
[Durchschnitt als Normzwang, Ausdruck der Totalität und quasi-objektive gesellschaftliche Notwendigkeit]
" Obwohl der Wert durch die Produktion besonderer Waren konstituiert wird, leitet sich, reflexiv gesehen, ihre Wertgröße aus einer vorausgesetzten, allgemein gesellschaftlichen Norm ab. Mit anderen Worten, der Wert einer Ware stellt ein individuiertes Moment einer allgemeinen gesellschaftlichen Vermittlung dar. Seine Größe hängt nicht von der für die Produktion einer bestimmten Ware tatsächlich benötigten Arbeitszeit ab, sondern von der allgemeinen gesellschaftlichen Vermittlung, die in der Kategorie der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ihren Ausdruck findet. Anders als das Maß des stofflichen Reichtums, das von der Quantität und der Qualität besonderer Güter abhängt, drückt das Maß des Werts ein bestimmtes Verhältnis aus - ein Verhältnis zwischen dem Besonderen und dem Abstrakt-Allgemeinen, das die Form eines Verhältnisses zwischen einem Einzelmoment und der Totalität hat. Beide Seiten dieses Verhältnisses werden durch Arbeit konstituiert, die als produktive und als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit fungiert. Dieser Doppelcharakter der Arbeit liegt dem quasi-objektiven, abstrakt zeitlichen Maß gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus zugrunde. In ihm entsteht der Gegensatz zwischen dem Spektrum der besonderen Produkte (beziehungsweise Arbeiten) auf der einen Seite und der abstrakt allgemeinen Dimension, die durch diese besonderen Arbeiten konstituiert wird (und die wiederum diese konstituiert), auf der anderen. " (S. 294f)
 
[Wert einer Ware als individuelles Moment einer allg. gesell. Vermittlung - Besonderes//abstr. Allg.]
" Wo Arbeit gesellschaftliche Verhältnisse vermittelt und konstituiert, wird sie zum zentralen Element einer Totalität, die die Individuen beherrscht - die nichtsdestotrotz frei sind von persönlichen Herrschaftsverhältnissen: »Die Arbeit, die so gemessen ist durch die Zeit, erscheint in der Tat nicht als Arbeit verschiedener Subjekte, sondern die verschiedenen arbeitenden Individuen erscheinen vielmehr als bloße Organe der Arbeit.« (MEW 13, 18) " (S. 295)
" Totalität in der Marxschen Analyse der Warenform verweist auf die später folgende kritische Untersuchung des kapitalistischen Produktionsprozesses als konkrete Materialisierung dieser Subsumtion. " (S. 296)

5.3 Wert und stofflicher Reichtum(» K)

" Mit der Unterscheidung zwischen Wert und stofflichem Reichtum habe ich den Wert als Form des Reichtums analysiert, die auch ein objektiviertes gesellschaftliches Verhältnis darstellt, das sich selbst gesellschaftlich vermittelt. Dagegen unterstellt die Existenz stofflichen Reichtums als dominanter Form des Reichtums die Existenz manifester gesellschaftlicher Verhältnisse, die ihn vermitteln. " (S. 296)
" Wie wir gesehen haben, werden diese beiden Formen gesellschaftlichen Reichtums unterschiedlich gemessen: die Wertgröße ist eine abhängige Variable der Verausgabung abstrakter Arbeitszeit, während stofflicher Reichtum im Bezug auf die Quantität und die Qualität der geschaffenen Produkte gemessen wird. Dieser Unterschied hat erhebliche Konsequenzen für die Beziehung zwischen Wert und Arbeitsproduktivität sowie schließlich für den Charakter des Grundwiderspruchs des Kapitalismus. " (S. 296f)
" Wie angemerkt ist die Wertgröße einer individuellen Ware von der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit abhängig, die zu ihrer Produktion erforderlich ist. Eine Erhöhung der durchschnittlichen Produktivität zieht eine Erhöhung der durchschnittlichen Menge der pro Zeiteinheit produzierten Waren nach sich. Dadurch verringert sie die Menge der für die Produktion einer einzelnen Ware erforderlichen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit und somit den Wert einer jeden Ware. Im Allgemeinen wechselt die »Wertgröße einer Ware also direkt wie das Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der sich in ihr verwirklichenden Arbeit« (MEW 23, 55). " (S. 297)
" Erhöhte Produktivität führt zu einer Abnahme des Werts jeder produzierten Ware, da weniger gesellschaftlich notwendige Arbeit verausgabt wird. Daraus folgt, daß der in einer bestimmten Zeitspanne (zum Beispiel in einer Stunde) erzielte Gesamtwert konstant bleibt. Die umgekehrt proportionale Beziehung zwischen der durchschnittlichen Produktivität und der Wertgröße einer einzelnen Ware ist eine Funktion des Umstands, daß die Größe des produzierten Gesamtwerts allein von der Menge der verausgabten abstrakt menschlichen Arbeitszeit abhängt. Veränderungen der durchschnittlichen Produktivität lassen den in den gleichen Zeitperioden geschaffenen Gesamtwert unverändert. " (S. 297)
 
[Konstanz des Gesamtwertes bzgl. der Zeit(einheiten)]
" Die einzige Determinante des Gesamtwerts ist die in konstanten Zeiteinheiten gemessene Menge verausgabter abstrakter Arbeitszeit. Sie ist deshalb von Veränderungen der Produktivität unabhängig: Dieselbe Arbeit ergibt daher in denselben Zeiträumen stets dieselbe Wertgröße, wie immer die Produktivkraft wechsle. Aber sie liefert in derselben Zeitspanne verschiedene Quanta Gebrauchswerte, mehr, wenn die Produktivkraft steigt, weniger, wenn sie sinkt. (MEW 23, 61) " (S. 297)
" Doch dürfte klar geworden sein, daß die Marxsche Kategorie Wert nicht bloß den stofflichen Reichtum darstellt, der im Kapitalismus über den Markt vermittelt wird. Qualitativ und quantitativ sind Wert und stofflicher Reichtum vielmehr zwei vollkommen verschiedene Formen des Reichtums, Formen, die sogar im Gegensatz zueinander stehen können: Ein größres Quantum Gebrauchswert bildet an und für sich größren stofflichen Reichtum, zwei Röcke mehr als einer. Mit zwei Röcken kann man zwei Menschen kleiden, mit einem Rock nur einen Menschen usw. Dennoch kann der steigenden Masse des stofflichen Reichtums ein gleichzeitiger Fall seiner Wertgröße entsprechen. (MFW 23, 60) " (S. 298)
 
[Verhältnis stofflichem Reichtum und Wert]
" Diese Untersuchung der Kategorie Wert hat gezeigt, daß die vorherrschende Form gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus nicht-stofflich ist - auch wenn dieser Reichtum in der Ware als ihrem stofflichen »Träger« (MEW 23, 50) ausgedrückt werden muß. Wert ist keine unmittelbare Funktion der Gebrauchswertdimension also keine der stofflichen Menge oder Qualität von Gütern-, sondern eine der Verausgabung von Arbeitszeit. " (S. 298)
" Stofflicher Reichtum im Kapitalismus ist letzten Endes nur erscheinender Reichtum. " (S. 298)
" Stofflicher Reichtum entsteht aus der Interaktion der Menschen mit der Natur, die sich über nützliche Arbeit vermitteln (MEW 19, 15). Wie wir gesehen haben, ist sein Maß abhängig von der Quantität und der Qualität dessen, was durch konkrete Arbeit vergegenständlicht wird, und nicht von der zeitlichen Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit. Folglich ist die Schaffung stofflichen Reichtums nicht notwendigerweise an eine solche Verausgabung von Arbeitszeit gebunden. Erhöhte Produktivität resultiert in wachsendem stofflichen Reichtum, unabhängig davon, ob das Quantum verausgabter Arbeitszeit ebenfalls zunimmt oder nicht. " (S. 299)
" Anders gesagt hat die konkrete Dimension der Arbeit einen gesellschaftlichen Charakter, der durch die gesellschaftliche Organisation und das gesellschaftliche Wissen geprägt wird und Aspekte davon enthält - was ich den >gesellschaftlichen Charakter der Arbeit als produktive Tätigkeit< genannt habe - und beschränkt sich nicht auf die Verausgabung unmittelbarer Arbeit. Produktivität ist bei Marx Ausdruck dieses gesellschaftlichen Charakters, Ausdruck der erworbenen produktiven Fähigkeiten der Menschheit. Sie hängt von der konkreten gesellschaftlichen Dimension der Arbeit ab, und nicht von Arbeit, insofern diese eine historisch spezifische Vermittlung konstituiert. " (S. 299)
 
[Gesell. Charakter der konkreten Arbeit]
" Das Eigentümliche am Wert ist, daß er, obwohl eine Form des Reichtums, nicht unmittelbar die Beziehung des Menschen zur Natur ausdrückt, sondern das Verhältnis der Menschen unter einander, so wie es durch Arbeit vermittelt wird. Marx zufolge hat die Natur an der Konstitution des Werts unmittelbar gar keinen Anteil (MEW 23, 62). Als gesellschaftliche Vermittlung wird Wert allein durch (abstrakte) Arbeit konstituiert: er ist eine Vergegenständlichung der historisch spezifischen Gesellschaftlichkeit der Arbeit im Kapitalismus als gesellschaftlich vermittelnder Tätigkeit, als >Substanz< entfremdeter Verhältnisse. Seine Größe ist demnach kein unmittelbarer Ausdruck des erzeugten Produktquantums oder der dabei genutzten Naturkräfte, sondern er ist allein eine Funktion abstrakter Arbeitszeit. Mit anderen Worten: Obwohl steigende Produktivität einen Zuwachs an stofflichem Reichtum zeitigt, erbringt sie keinen Zuwachs an Wert pro Zeiteinheit. " (S. 299f)
 
[Wert als gesellschaftliche Vermittlung]
" Wenn Wert allein durch Arbeit konstituiert wird, und unmittelbare Arbeitszeit der einzige Maßstab für Wert ist, so folgt daraus, daß die Produktion von Wert, anders als die von stofflichem Reichtum, notwendig an die Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit gebunden ist. " (S. 300)
" Der Unterschied zwischen Wert und stofflichem Reichtum, als Ausdrücke der zwei Dimensionen der Arbeit, betrifft das Problem des Verhältnisses zwischen Wert beziehungsweise Technologie und dem Grundwiderspruch des Kapitalismus. Die Marxsche Auseinandersetzung mit der Maschinerie sollte im Kontext seiner Analyse des Werts als einer historisch spezifischen, von stofflichem Reichtum verschiedenen Form des Reichtums gesehen werden. Obwohl Marx zufolge Maschinen den stofflichen Reichtum vermehren, schaffen sie keinen neuen Wert. Sie übertragen nur die in ihre Produktion eingegangene Wertmenge (die unmittelbare Arbeitszeit) auf die mit ihnen produzierten Waren oder vermindern indirekt den Wert der Arbeitskraft (indem sie den Wert der Waren verringern, die die Arbeiter konsumieren) und vermehren dadurch die Wertmasse, die sich die Kapitalisten als Mehrwert aneignen können. (MEW 42, 597 f) Daß Maschinen keinen neuen Wert schaffen, ist weder ein Paradox noch Indiz eines reduktionistischen Beharrens von Marx auf dem Primat unmittelbarer menschlicher Arbeit als dem wesentlichen, von technischen Fntwicklungen unabhängigen gesellschaftlichen Konstituens des Reichtums. Dies basiert vielmehr auf dem Unterschied zwischen stofflichem Reichtum und Wert, einem Unterschied, der dem zugrundeliegt, was Marx als wachsenden Widerspruch zwischen den beiden, durch die Warenform ausgedrückten gesellschaftlichen Dimensionen analysiert. " (S. 301)
 
[Maschinen schaffen keinen Wert]
" (Fussnote 3) Es wäre zu zeigen, wie Menschen, die auf der Grundlage von Erscheinungsformen handeln, die die zugrundeliegenden wesentlichen Strukturen des Kapitalismus verdecken, eben diese Strukturen rekonstituieren. Diese Darstellung würde zeigen, wie diese Strukturen, als durch ihre Erscheinungsformen vermittelte, nicht nur Praxisformen konstituieren, die gesellschaftlich konstitutiv sind, sondern dies auch auf eine Weise, die der Gesellschaft als ganzer eine bestimmte Dynamik und spezifische Zwänge auferlegt. " (S. 301)
 
[Handeln auf Erscheinungseben reproduziert die Wesensebene]

{ Dies angewandt auf die gesellschaftliche Reproduktion bedeutet, dass obwohl es scheinbar Produktion um der Produktion willen ist, trotzdem die Gesamtreproduktion gewährleistet werden muß. Dass dies real mit unglaublicher Verschwendung, Not und Elend einhergeht ist genauso wahr, wie es verdeckt, dass trotzdessen die Gesellschaft sich produktiv weiterentwickelt, bzw. noch schlimmer. Not und Elend sind unter dieser geschichtlich besonderen Form der Gesellschaft notwendige Voraussetzung der Weiterentwicklung. Dynamik im Kapitalimus heißt nämlich, die Reproduktion des Kapitals ist schon Akkumulation, dh Weiterentwicklung ('Kapital' Bd.I) (d.V.)}

" Tatsächlich kann man den in den Grundrissen dargestellten Grundwiderspruch aus der Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen des Reichtums ebenso ableiten wie aus der komplexen Beziehung von Wert. Produktivität und stofflichem Reichtum. " (S. 302)
" Wie festgestellt bringt Produktivitätszuwachs nicht auch eine größere Wertmasse pro Zeiteinheit hervor. Aus diesem Grund erhöhen alle Mittel, die die Produktivität steigen lassen, etwa angewandte Wissenschaft und Technologie - nicht die pro Zeiteinheit erzielte Wertmenge, wohl aber vermehren sie erheblich die Menge des produzierten stofflichen Reichtums.4 Der zentrale Widerspruch des Kapita " (S. 302)
 
[Absolute Zuspitzung des Widerspruchs der Reichtumsform Wert zur Produktivität der Gesellschaft - konstante Wertmasse//gigantischer Warenmasse]
" Dieser Interpretation zufolge ist es nicht Marx, der eine, von technologischen Entwicklungen unabhängige, notwendige Verbindung zwischen unmittelbarer menschlicher Arbeit und gesellschaftlichem Reichtum herstellt. Vielmehr folgt aus seiner immanenten Kritik, daß der Kapitalismus selbst diese Verbindung besorgt. " (S. 303)
" Der Widerspruch des Kapitalismus, den Marx in den Grundrissen skizziert, kann somit als wachsender Widerspruch zwischen Wert und stofflichem Reichtum verstanden werden jedoch als einer, der nicht als solcher erscheint, da der Unterschied zwischen diesen beiden Formen von Reichtum auf der >Oberfläche< der Gesellschaft, der Ebene der unmittelbaren Erscheinung, verschwimmt. Letztlich kann man das sollte nun klar sein - die Marxsche Analyse dieses Widerspruchs nur erfassen, wenn man den Wert als eine historisch spezifische Form des Reichtums versteht, die mittels der Verausgabung menschlicher Arbeitszeit gemessen wird. [Herv. v. P.H.] " (S. 303)

{ Dies ist ein wichtiger Punkt, der zum Beispiel den Wertwissenschaftlern total ab geht und zeigt, dass diese im Gegensatz zu M.P. an der Oberfläche kleben bleiben, bzw. Marx versuchen an diese zu zerren. (d.V.)}

" Auch zeigt sich in ihr nicht, daß diese transhistorische >Wahrheit< im Kapitalismus durch alle möglichen Mystifikationen verschleiert, und ebenfalls nicht, daß diese >Wahrheit< menschlicher Existenz im Sozialismus offen zutage treten werde. Was Marx tatsächlich zeigen will ist, daß unter der Oberfläche der Erscheinungen die dominante gesellschaftliche Form des Reichtums im Kapitalismus allein durch (abstrakte) Arbeit konstituiert wird - diese >wesentliche< Form selbst, und nicht einfach die Oberflächenformen, die sie verhüllen, ist Gegenstand seiner Kritik. " (S. 304)
" Weil die Kategorie Wert häufig mit der des gesellschaftlichen Reichtums im allgemeinen gleichgesetzt wurde, herrschten zwei Meinungen vor: entweder wurde argumentiert, die Arbeit sei grundsätzlich die einzige gesellschaftliche Quelle des Reichtums - womit der stoffliche Reichtum dem Wert subsumiert wird, oder es wurde der Wert nicht als Funktion allein der Arbeit verstanden, sondern so, als könne er unmittelbar durch die Anwendung von Wissenschaft und Technologie erzeugt werden - womit der Wert dem stofflichen Reichtum subsumiert wird. " (S. 304)
" Wird die Marxsche Kategorie des Werts als transhistorisch gültige Kategorie für Reichtum oder, umgekehrt, ihr zunehmend anachronistischer Charakter als Indiz für ihre theoretische Unzulänglichkeit interpretiert, dann wird Wert mit stofflichem Reichtum in eins gesetzt. Diese Interpretationen verkürzen die Marxsche Kategorie um ihre historische Besonderheit und können daher seine Konzeption des widersprüchlichen Charakters der fundamentalen gesellschaftlichen Formen nicht erfassen. " (S. 305)
" Die Marxsche Analyse des Unterschiedes zwischen Wert und stofflichem Reichtum ist für seine Konzeption des widersprüchlichen Charakters der kapitalistischen Gesellschaft zentral. Er zeigt auf, daß der Wert tatsächlich dem Reichtum schaffenden Potential von Wissenschaft und Technologie nicht adäquat ist, er im Kapitalismus aber dennoch die Grundbestimmung des Reichtums und der gesellschaftlichen Verhältnissen bleibt. Dieser Widerspruch verdankt sich letztlich dem Doppelcharakter der Arbeit im Kapitalismus. Er strukturiert eine wachsende innere Spannung, die ein breites Spektrum historischer Entwicklungen und gesellschaftlicher Phänomene im Kapitalismus prägt. " (S. 306)
" Die Dynamik des Kapitalismus werde ich im Sinne einer Dialektik von Arbeit und Zeit interpretieren, die im Doppeleharakter der diese Gesellschaft strukturierenden Formen angelegt sind. Dazu sind jedoch zunächst die mit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit verbundene abstrakte Form der Zeit sowie die gesellschaftlichen Implikationen von Erkenntnis zu untersuchen, die meiner Diskussion der zeitlichen Dimension der Marxschen Kategorien zugrundeliegen. " (S. 307)

5.4 Abstrakte Zeit(» K)

" Aber um welche Art von Zeit handelt es sich hier?
...
Ich werde unterschiedliche Formen von Zeit (und von Zeitvorstellungen) erörtern und sie auf andere Weise unterscheiden - nämlich vor allem in bezug darauf, ob Zeit als abhängige oder unabhängige Variable vorgestellt wird , um so die Beziehung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit zum Wesen der Zeit in der modernen kapitalistischen Gesellschaft sowie dem historisch dynamischen Charakter dieser Gesellschaft untersuchen zu können. "
(S. 308)
" Als >konkret< bezeichnen werde ich die verschiedenen Arten von Zeit, die von Ereignissen abhängen: sie beziehen sich auf naturgegebene Zyklen und Periodizitäten des menschlichen Lebens sowie auf besondere Aufgaben oder Prozesse (etwa die Zeit, die man zum Reiskochen benötigt, oder um ein Vaterunser aufzusagen) und werden durch diese verstanden (Thompson 1980, 36)6. " (S. 195)
 
[Konkrete Zeit, als von Ereignissen abhängig - eine anhängige Variable]

{ Meine Zeitvorstellung ist dann nur konkret, wir können Zeiten nur in Referenz auf parallele Prozesse messen. Somit gibt es keine von Ereignissen unabhängige Zeit. Hier lauert wieder ein Logizismus, der Zeit nicht als Bewegungsform der Materie begreifen kann. Sie ist objektiv, also relativ unabhängig, aber eben nur in der Bewegung, als deren Form existent. M.P. begreift sie dagegen wohl eher als Erkenntnisform gleich Kant. Sonst könnte er nich fragen, wann die abstrakte Zeit entstanden wäre, vor allem wann eine Zeit entstanden ist. Zeit und die sich wandelnden Vorstellungen von ihr durchmischen sich einfach. (d.V.)}

" >Abstrakte Zeit< dagegen, unter der ich gleichförmige, kontinuierliche, homogene, >leere< Zeit verstehe, ist unabhängig von Ereignissen. Die Vorstellung von abstrakter Zeit, die sich in Westeuropa zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert zunehmend durchsetzte, fand am eindringlichsten seinen Ausdruck in der Newtonschen Formulierung von der »absoluten, wahren und mathematischen Zeit, [die] ohne jede Beziehung zu irgendetwas Äußerem völlig gleich fließt« (Isaac Newton>). Abstrakte Zeit ist eine unabhängige Variable. Sie konstituiert einen unabhängigen Rahmen, in dem Bewegung, Ereignisse und Handlungen auftreten. Diese Zeit ist in gleiche, konstante, nicht-qualitative Einheiten aufteilbar. " (S. 309f)
 
[Abstrakte Zeit, als von Ereignissen abhängig - eine unanhängige Variable]
" Abstrakte Zeit ist also historisch einzigartig - aber unter welchen Bedingungen ist sie entstanden?
...
Die Ursprünge abstrakter Zeit sollten in der Vorgeschichte des Kapitalismus, im Spätmittelalter gesucht werden.
...
Spezifischer ausgedrückt sollten die historischen Ursprünge der Vorstellung von abstrakter Zeit auf die Konstitution der gesellschaftlichen Wirklichkeit einer solchen Zeit im Verlauf der Ausbreitung der Warenförmigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse bezogen werden. "
(S. 310)
" Der historische Übergang von einer auf variablen zu einer auf konstanten Stunden beruhenden Zeitmessung markiert die Entstehung abstrakter Zeit von Zeit als einer unabhängigen Variablen. " (S. 311)
 
[Abstrakte Zeit entsteht als Vorstellung, als Erfindung auf Grund der Organisation der Gesellschaft]
" Doch kann das Auftreten abstrakter Zeit nicht allein als Folge einer technischen Entwicklung wie der Erfindung der mechanischen Uhr erklärt werden. Vielmehr ist diese Erfindung selbst als soziokultureller Prozeß zu verstehen, auf den sie ihrerseits verstärkend zurückwirkte. " (S. 311f)
" Worin aber lag dann die Bedeutung der in China gebräuchlichen konstanten >Doppelstunden<? Auch wenn eine vollständige Diskussion dieses Problems den für diese Arbeit vorgegebenen Rahmen überschreitet, ist festzuhalten, daß diese Zeiteinheiton nicht in Folge durchnumeriert waren, sondern Namen trugen (Landes 1983,2). Dies bedeutete nicht nur, daß es keine eindeutigen Mittel gab, jede Stunde anzuzeigen (zum Beispiel durch Trommel oder Gong), sondern verweist auch darauf daß diese Zeiteinheiten zwar gleich lang, aber nicht abstrakt waren - also nicht vergleich- und austauschbar. " (S. 314)
" Der Ursprung abstrakter Zeit scheint also mit der Organisation der gesellschaftlichen Zeit zusammenzuhängen. Abstrakte Zeit läßt sich offenbar so wenig allein im Sinne unveränderlicher Zeiteinheiten verstehen, wie ihr Ursprung technischen Apparaturen zugeschrieben werden kann. " (S. 315)
" Das doppelte Problem des Ursprungs der Zeit - einmal als unabhängige Variable und zum anderen in Form der Entwicklung der mechanischen Uhr - leitet so zur Untersuchung der Umstände über, unter denen konstante, unveränderliche Stunden sinnvolle Formen der Organisation des gesellschaftlichen Lebens wurden. " (S. 316)
" Dies unterstellt, daß das System konstanter Stunden aus einer technischen Innovation resultierte, statt aus gesellschaftlichen Zwängen. Wie ich jedoch festgestellt habe, existierten die technischen Mittel für die Messung konstanter Stunden aber schon lange vor dem 14. Jahrhundert. Und die bloße Abwesenheit von Gründen, konstante Stunden nicht zu übernehmen, dürfte wohl kaum hinreichend erklären, warum sie schließlich übernommen wurden. " (S. 318)
" Aufbauend auf Le Goffs Untersuchung soll kurz die bedeutende Rolle diskutiert werden, die die Arbeitsglocken bei der Entstehung eines Systems konstanter Zeiteinheiten und, damit zusammenhängend, der mechanischen Uhr gespielt haben dürften. Die Arbeitsglocken selbst waren Ausdruck einer neuen Gesellschaftsform, die besonders in der mittelalterlichen Tuchindustrie zu entstehen begann. Diese Industrie produzierte, im Gegensatz zu den meisten mittelalterlichen >Industrien<, nicht vornehmlich für den lokalen Markt, sondern war, neben der Metallindustrie, die erste, die im großen Umfang ihre Produkte exportierte (Pirenne 1915, 92). " (S. 320)
" Das Ziel des Händlers, der Profit, hing zumindest zum Teil von der Differenz zwischen dem Wert der produzierten Kleidung und den Löhnen ab, die er zahlte - und das heißt von der Produktivität der von ihm gemieteten Arbeit. Damit wurde in der Tuchindustrie des mittelalterlichen Westeuropa Produktivität - die nach Landes in China (im Gegensatz zur >Geschäftigkeit<) eine unbekannte Kategorie war (Landes 1983, 73 f.) - zumindest de facto als wichtige gesellschaftliche Kategorie konstituiert. " (S. 321)
" Es scheint, als hätten zunächst die Arbeiter zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Verlängerung des Arbeitstages gefordert: um ihre Löhne zu erhöhen, die in der Folge der Krise an realem Wert verloren hatten. Sehr schnell aber nahmen die Händler diesen Streit um die Dauer des Arbeitstages zum Vorwand und versuchten, ihn zu ihrem Vorteil zu wenden, indem sie ihn genauer regelten. (Le Goff 1984, 33) " (S. 321)
" Der Arbeitstag wurde nunmehr in Begriffen einer Zeitlichkeit definiert, die keine abhängige Variable der jahreszeitlich bedingten Unterschiede in der Länge von Tageslicht und Dunkelheit mehr war. Darin liegt die Bedeutung dessen. daß die Dauer des Arbeitstages im Brennpunkt der Arbeiterkämpfe des 14. Jahrhunderts lag. (Le Goff 1984, 35) " (S. 322)
" Der Kampf um die Länge des Arbeitstages ist nicht nur, wie Anthony Giddens feststellt, »der direkte ste Ausdruck des Klassenkonflikts in der kapitalistischen Ökonomie« (1981, 120), sondern auch ein Ausdruck der (und ein Beitrag zur) gesellschaftlichen Konstitution von Zeit als abstraktem Maßstab für Tätigkeit. " (S. 322)
" Anders gesagt entstand mit dem Aufkommen frühkapitalistischer Formen gesellschaftlicher Verhältnisse in den tuchproduzierenden städtischen Kommunen Westeuropas eine Form von Zeit, die Maßstab und schließlich Zwangsnorm für Tätigkeit war. " (S. 322f)
" Ich behaupte also, daß das Aufkommen einer solchen neuen Zeitform mit der Entwicklung der Warenförmigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse zusammenhängt. Dieses hat seinen Grund nicht nur in der Sphäre der Warenproduktion, sondern ebenso in der der Warenzirkulation. Mit der Organisation von Handelsnetzen um das Mittelmeer und auf dem Herrschaftsgebiet der Hanse wurde Zeit als Maßstab zunehmend bedeutsamer. Dies, weil die Arbeitszeitdauer in der Produktion zur entscheidenden Frage wurde und weil es zunehmend wichtiger wurde, Faktoren wie die Dauer einer Handelsreise oder die Fluktuation der Preise im Verlauf einer kommerziellen Transaktion zu messen. (Le Goff 1977, 402; Piesowicz 1980, 477) " (S. 323)
 
[Gesellschaftliche Notwendigkeit bringt abstrakte(s) Zeit(verständnis) hervor]
" Unserer Darstellung liegt jedoch die Annahme zugrunde, daß die Ursprünge eines derartigen Zeitsystems und schließlich die Entstehung eines abstrakt mathematischen Zeitverständnisses nicht der Entstehung und Verbreitung mechanischer Uhren zugeschrieben werden können. Vielmehr muß diese technische Erfindung selbst, ebenso wie das abstrakte Zeitverständnis, im Sinne einer >praktischen< Konstitution einer solchen Zeit verstanden werden, also in bezug auf eine allmählich entstehende Form gesellschaftlicher Verhältnisse, die konstante Zeiteinheiten und somit abstrakte Zeit als gesellschaftlich >real< und als sinnvoll hervorbrachte. " (S. 323)

{ Wenn schon soviel Mühe auf die geschichtliche Darstellung verwendet wird, so wäre wichtig, dass die Bestimmung der Breitengrade, bei anschwellendem Handel und Kollonialisierung immer wichtiger wurde und bares Geld versprach. Für diese navigatorische Leistung, waren lange genau gehende Chronometer unabdingbar. Die britische Gesellschaft schrieb darauf hin einen wohl dotierten Wettbewerb aus, den insbesondere auch das Militär sehr interessierte. So gebahr die gesellschaftliche Notwendigkeit die technologische Lösung. (d.V.)}

" Die Gleichheit und Teilbarkeit konstanter, von der sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit wie Licht, Dunkelheit oder den Jahreszeiten abstrahierenden Zeiteinheiten wurden ebenso zu einem Merkmal des täglichen Lebens in den Städten (auch wenn dies sich nicht auf alle Bewohner gleichermaßen aus wirkte) wie die damit verbundene Gleichheit und Teilbarkeit des in der Geldform ausgedrückten und von der sinnlichen Wirklichkeit verschiedenartiger Produkte abstrahierten Werts. " (S. 324f)
 
[Abstraktheit und gleichförmige Teilbarkeit der Zeit, des Wertes in Form des Geldes]
" Die neue Zeit, die die - häufig vis à vis den Glockentürmen der Kirchen errichteten - Uhrtürme verkündeten, war die Zeit, die mit einer neuen gesellschaftlichen Ordnung assoziiert war; beherrscht von der Bourgeoisie, einer Klasse, die die Städte nicht nur politisch und gesellschaftlich kontrollierte, sondern auch schon damit begonnen hatte, der Kirche die kulturelle Hegemonie zu entwinden (Le Goff 1984, 36; Bilfinger 1892, 160ff.; Gurjevich 1976, 241). Anders als die konkrete Zeit der Kirche, einer manifest von einer gesellschaftlichen Institution kontrollierte Zeitform, kommt der abstrakten Zeit, wie auch anderen Aspekten der Herrschaft in der kapitalistischen Gesellschaft, ein >objektiver< Charakter zu. " (S. 326)
 
[Objektiver Charakter der abstrakten Zeit als REALER gesellschaftliche Zwangsnormierung]
" Aber sie half auch, diese Interessen historisch zu konstituieren (ja sogar die Kategorie >Interesse< selbst), und sie drückt eine Form von Herrschaft aus, die über die der herrschenden Klasse hinausgeht. Wie ich zeigen werde, führen die gesellschaftlichen Zeitformen ein Eigenleben und sind für alle Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft bindend - wenn auch auf eine Art und Weise, die der bürgerlichen Klasse materiell nützt. Obwohl gesellschaftlich konstituiert, übt Zeit im Kapitalismus eine abstrakte Form von Zwang aus. " (S. 326)
" Anders gesagt wird, als Resultat allgemeiner gesellschaftlicher Vermittlung, die Verausgabung von Arbeitszeit in eine zeitliche Norm verwandelt, die von jeder individuellen Handlung nicht nur abstrahiert ist, sondern auch über ihr steht und sie bestimmt. Genau wie die Arbeit aus einer Handlung von Individuen zu einem entfremdeten allgemeinen Prinzip der Totalität umgewandelt wird, dem die Individuen subsumiert werden, wird die Zeitverausgabung aus einem Resultat von Tätigkeiten verwandelt zu einem normativen Maßstab für Tätigkeiten. " (S. 327)
" Obwohl das Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit, wie wir sehen werden, eine abhängige Variable der Gesellschaft als ganzer ist, stellt sie im Hinblick auf die Tätigkeit des Individuums eine unabhängige Variable dar. Dieser Prozeß, in dessen Verlauf eine konkrete, abhängige Variable menschlicher Tätigkeit zu einer abstrakten, unabhängigen Variablen wird, die diese Tätigkeit beherrscht, ist real - und nicht illusorisch. Er ist dem Prozeß der durch Arbeit bewirkten entfremdeten gesellschaftlichen Konstitution immanent. " (S. 372)
 
[Bzgl. Individuum unabhängig ABER bzgl Gesellschaft abhängige Variable]
" Nicht nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit wird als >objektive< zeitliche Norm konstituiert, die einen äußeren Zwang auf die Produzenten ausübt, auch die Zeit selbst ist als absolute und abstrakte Zeit konstituiert worden. Das Zeitquantum, das die Wertgröße einer einzelnen Ware bestimmt, ist eine abhängige Variable. Die Zeit selbst jedoch ist von Tätigkeit unabhängig geworden - sei diese individuell, gesellschaftlich oder von der Natur bestimmt. Sie ist zu einer unabhängigen Variablen geworden, gemessen in konstanten, kontinuierlichen, vergleichbaren und austauschbaren, per Konvention festgelegten Einheiten (Stunden, Minuten, Sekunden), die als absoluter Maßstab von Bewegung und Arbeit qua Verausgabung dient. " (S. 372)
" Die durch die Formen von Ware und Kapital konstituierte Herrschaft der Zeit ist nicht auf den Produktionsprozeß beschränkt, sondern weitet sich auf alle Lebensbereiche aus. " (S. 328)
" Wenn ich dagegen von konkreter und abstrakter Zeit spreche, dann um zu betonen, daß wir es mit zwei verschiedenen Arten von Zeit zu tun haben und nicht bloß mit zwei verschiedenen Arten, Zeit zu messen. Zudem ist die abstrakte Zeit, wie ich im 8. Kapitel ausführen werde, nicht die einzige in der kapitalistischen Gesellschaft konstituierte Zeitform, denn hier wird auch eine eigentümliche Form konkreter Zeit konstituiert. Wir werden sehen, daß die Dialektik kapitalistischer Entwicklung - auf einer logischen Ebene - eine Dialektik zweier, in der kapitalistischen Gesellschaft konstituierter Zeitformen ist und deshalb im Sinne der Ablösung aller Formen konkreter Zeit durch abstrakte Zeit nicht adäquat verstanden werden kann. " (S. 329)
 
[Nich zwei versch. Arten des Zeitmessens, sondern Zeitformen selbst]

5.5 Formen gesellschaftlicher Vermittlung und des Bewußtseins(» K)

" Die Marxsche Bestimmung der Wertgröße wird hier so interpretiert, daß die Zeit in ihr als unabhängige Variable, als homogene, absolute mathematische Zeit, die in unserer Gesellschaft viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens organisiert, gesellschaftlich konstituiert wurde. Die abstrakte mathematische Zeit und den Begriff von ihr mit der Warenförmigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse zusammen zu bringen, ist ein Beispiel für die in dieser Studie vorgelegte sozio-historischen Erkenntnis- und Subjektivitätstheorie. Diese analysiert sowohl Objektivität wie auch Subjektivität als durch historisch spezifisch strukturierte Praxisformen gesellschaftlich konstituiert. Eine solche Theorie transformiert das klassische erkenntnistheoretische Problem des Subjekt-Objekt-Verhältnisses und führt zu einer Neuformulierung und Kritik dieses Problems selbst. [Herv. v. P.H.] " (S. 330)
 
[Obj. wie Subj. als durch Praxisform konstituiert]
" Kant versteht Konstitution im Sinne der konstituierenden Rolle des Subjekts. Er argumentiert, daß die Wirklichkeit an sich, das Noumenon, sich der menschlichen Erkenntnis entziehe, und behauptet, daß unsere Erkenntnis der Dinge eine Funktion der transzendentalen Kategorien a priori sei, welche die Wahrnehmung organisieren. Das heißt in dem Maß, in dem unsere Erkenntnis und Wahrnehmung durch diese subjektiven Kategorien organisiert sind, tragen wir zu Konstituierung der Phänomene bei, die wir wahrnehmen. Dieser Konstitutionsprozeß sei jedoch keine Funktion von Handlungen und beziehe sich nicht auf das Objekt. Er sei vielmehr eine Funktion der subjektiven Erkenntnisstrukturen. Zeit und Raum sind Kant zufolge solche transzendentale Kategorien a priori. " (S. 195)
 
[Kants subj. Konstitutionsprozess]
Zu Hegel
" Ich habe schon dargelegt, wie er die gesamte Wirklichkeit, einschließlich der Natur, als durch Praxis konstituiert behandelt - als Entäußerung, als Produkt und Ausdruck des weltgeschichtlichen Subjekts: des Geistes, der im Laufe seiner Entfaltung objektive Wirklichkeit als eine bestimmte Vergegenständlichung des Selbst konstituiert, was reflexiv bestimmte Entwicklungen im Selbstbewußtsein erzeugt. " (S. 331)
 
[Hegels Verschränktheit der Prozesse]
" Hegels Begriff des identischen Subjekt-Objekts soll das erkenntnistheoretische Problem der möglichen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, Bewußtsein und Wirklichkeit lösen. Er steht im Zentrum einer Theorie der Konstitution von Objektivität und Subjektivität, die das Dilemma, das Erkenntnisvermögen vor der Erkenntnis erkennen zu müssen, vermeiden soll. " (S. 331)
" Die Marxsche Theorie der Konstitution durch Praxis ist zwar gesellschaftlich, aber nicht in dem Sinn, daß in ihr die Welt gesellschaftlicher Objektivität durch ein menschliches historisches Subjekt konstituiert wäre. Sie ist vielmehr eine Theorie des Verfahrens, in dem Menschen Strukturen gesellschaftlicher Vermittlung konstituieren, die ihrerseits Formen gesellschaftlicher Praxis konstituieren. " (S. 331)
 
[Marx: Subj. und Obj. konstituieren sich in gesell. Praxis, sind innerlich verschränkt]
" Sein Vorgehen analysiert gesellschaftliche Objektivität und Subjektivität nicht als zwei ontologisch verschiedene Sphären, die es aufeinander zu beziehen gelte, sondern als im Inneren verschränkte Dimensionen jener Formen gesellschaftlichen Lebens, die mittels seiner Kategorien erfaßt werden. Indem sie die Art und Weise transformiert, in der Konstitution und konstituierende Praxis verstanden werden, verwandelt diese Verschiebung des Fokus das Problem der Erkenntnis in ein Problem der Gesellschaftstheorie. " (S. 332)
" Es wurde beispielsweise gezeigt, daß die Marxsche Bestimmung der Wertgröße eine soziohistorische Theorie der Entstehung absoluter mathematischer Zeit als gesellschaftliche Wirklichkeit und als Begriff unterstellt. Mit anderen Worten ist hier die Ebene strukturierter Vorerkenntnis, die für Kant eine Bedingung a priori der Erkenntnis ist, als gesellschaftlich konstituierte behandelt. " (S. 332)
" Diese soziohistorische Erkenntnistheorie beschränkt sich dabei nicht auf die Untersuchung der geseschaftlichen und historischen Determinanten subjektiver Bedingungen von Wahrnehmung und Erkenntnis. Auch wenn die Marxsche kritische Theorie die Möglichkeit absoluter Erkenntnis verwirft, kann sie nicht als gesellschaftlich und historisch relativierte Art Kantscher Erkenntnistheorie verstanden werden, denn sie will die Konstitution der Formen gesellschaftlicher Objektivität zusammen mit den damit verbundenen Formen von Subjektivität begreifen. " (S. 332f)
Formen der Subjektivität und Objektivität konstituieren sich zusammen.
" Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus... ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur in der Form des Objekts, oder der Anschauung, gefaßt wird; aber nicht als sinnlich menschliche Tätigkeit, Praxis; nicht subjektiv.

Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zugeschrieben werden kann ist keine theoretische, sondern eine praktische Frage.

Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch. (MEW 3, 5ff.) "
(S. 334)
" Die durch die Kategorien der Marxschen Kritik erfaßten Formen gesellschaftlichen Lebens werden durch Arbeit konstituiert. Diese gesellschaftlich konstituierende Praxis ist aber als Arbeit schlechthin, das heißt als konkrete Arbeit im allgemeinen, nicht adäquat zu verstehen. Es ist nicht die konkrete Arbeit allein, welche die von Marx analysierte Welt schafft, sondern die Arbeit in ihrer Eigenschaft als Vermittlerin, welche entfremdete gesellschaftliche Verhältnisse hervorbringt, die gleichzeitig auch wenn diese Arbeit im Kapitalismus sich selbstredend weiterhin in Produkten vergegenständlicht - außerdem durch die Antinomie einer abstrakten, allgemeinen, objektiven Dimension und einer konkreten, besonderen charakterisiert sind. Diese Dualität läßt so etwas wie ein vereinheitlichtes Feld gesellschaftlichen Seins im Kapitalismus entstehen. Es existiert ein identisches Subjekt-Objekt (Kapital) als totalisierendes historisches Subjekt und dieses kann Marx zufolge aus einer einzigen Kategorie entfaltet werden, da im Kapitalismus zwei Dimensionen gesellschaftlichen Lebens - die Beziehungen zwischen den Menschen und die Beziehung zwischen ihnen und der Natur - insofern verquickt werden, als beide durch Arbeit vermittelt sind. " (S. 334f)
" Die Theorie gesellschaftlicher Praxis im Kapitalismus im Spätwerk von Marx ist also eine Theorie durch Arbeit konstituierter gesellschaftlicher Formen, die die Beziehungen der Menschen untereinander und mit der Natur vermitteln und gleichzeitig Seins- und Bewußtseinsformen darstellen. Bei ihr handelt es sich sowohl um eine Theorie der gesellschaftlichen und historischen Konstitution bestimmter, strukturierter Formen gesellschaftlicher Praxis als auch eine Theorie der die Handlungen prägenden gesellschaftlichen Erkenntnis, Normen und Bedürfnisse. " (S. 335)
 
[Arbeit konstituiert Formen als Seins- und Bewußtseinsformen im Kapitalismus]

{ Was sind die Inhalte. Er insistiert zu Recht auf der Form und der historischen speziellen Konstitution, aber der Produktionsprozeß tut dies wegen der besonderen Rolle nur im Kapitalismus. (d.V.)}

" Anders gesagt erhält die Arbeit nicht an und für sich als produktive Tätigkeit einen Sinn, sondern aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, in die sie eingebettet ist. Wenn diese gesellschaftlichen Verhältnisse durch sie selbst konstituiert werden, existiert Arbeit in >säkularer< Form und kann als instrumentelle Handlung analysiert werden. " (S. 336)
" Es ist vorstellbar, daß in einer anderen Gesellschaft, in der die Produktion und die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht durch ein einziges strukturierendes Prinzip als totalisierende Sphäre gesellschaftlicher Objektivität konstituiert werden, die Vorstellung einer einzigen Form konstituierender Praxis zu modifizieren und die Beziehung zwischen den Bewußtseins- und gesellschaftlichen Seinsformen anders zu begreifen wäre. " (S. 337)
" Die fälschlicherweise Marx zugeschriebene traditionelle Vorstellung, Arbeit sei einzig kraft ihrer Funktion als produktive Tätigkeit gesellschaftlich konstituierend, kann mittels der Marxschen Kritik selbst erklärt werden durch die Spezifik der gesellschaftlichen Formen im Kapitalismus. Obwohl, wie wir gesehen haben, warenförmige Arbeit durch eine eigentümliche, historisch spezifische Dimension gekennzeichnet ist, kann sie sowohl dem Theoretiker als auch dem gesellschaftlichen Akteur als >Arbeit< erscheinen. " (S. 337f)
" Dies gilt auch für die erkenntnistheoretische Dimension der Arbeit als gesellschaftlicher Praxis. So habe ich behauptet, daß zwei Momente der menschlichen Beziehung zur Natur unterschieden werden müssen: die Transformation von Natur, Materie und Umwelt als Ergebnis gesellschaftlicher Arbeit einerseits, und die menschlichen Vorstellungen vom Charakter natürlicher Wirklichkeit andererseits. Letzteres, so behauptete ich, könne nicht als eine unmittelbare Konsequenz des ersteren, das heißt der durch Arbeit vermittelten Interaktion der Menschen mit der Natur, allein erklärt werden, sondern sei auch mit Bezug auf die Formen gesellschaftlicher Verhältnisse, innerhalb derer solche Interaktion stattfinden, zu betrachten. Im Kapitalismus aber werden beide Momente der menschlichen Beziehung zur Natur von der Arbeit bestimmt: die Umgestaltung der Natur vermittels konkreter gesellschaftlicher Arbeit kann deshalb so erscheinen, als konditioniere sie die Vorstellungen, die die Menschen von der Wirklichkeit haben, erscheint so, als ob Sinn nur der durch Arbeit vermittelten Interaktion mit der Natur entspringe. " (S. 338)
 
[Vorstellungen werden von der gesellschaftlichen Form bestimmt]
" Das Marxsche Vorgehen, so wie ich es präsentiere, will aber diesen Gegensatz nicht auflösen. Vielmehr transformiert es die Begriffe, in denen das Problem sich ausdrückt, indem es das Verhältnis von Objektivität und Subjektivität gesellschaftlich in der Form analysiert, daß die Prämissen der klassischen Problematik selbst - der Gegensatz zwischen einer äußeren, gesetzmäßigen Sphäre von Objektivität und dem einzelnen, sich selbst bestimmenden Subjekts - in den gesellschaftlichen Formen der modernen kapitalistischen Gesellschaft begründet werden. " (S. 338f)
 
[Subj//Obj-Problem wird in der gesell. Form Kapitalismus begründet]

{ Die Frage ist, warum sich die alten Griechen dann dieses Problems so angenommen haben, als würden sie schon in selbigen Verhältnissen leben. Hier tritt die Verkürzung von M.P. auf die Formen im Kap. schlagend im Gegensatz zur geschichtlichen Wirklichkeit hervor. Da sagt dann Hilferding wohl etwas wahres über den transhistorischen Charakter und M.P. über die relative Formiertheit der Vorstellungen durch Praxis. (d.V.)}

" Hilferding faßt >Arbeit< als Regulierungsprinzip der menschlichen Gesellschaft, das im Kapitalismus verschleiert sei und im Sozialismus transparent als das kausale Prinzip menschlichen Lebens erscheinen werde. Insofern die >Arbeit< so das konstante Substrat von Gesellschaft bleibe, könne die Form, in der sie im Kapitalismus erscheint, von ihrem Inhalt, also von der >Arbeit< selbst, abgetrennt werden. " (S. 339)

{

Unter Eigentum im allgemeinen versteht Marx übrigens das Sich-Verhalten des Menschen zu seinen Existenzbedingungen als den seinen, was nichts mit kapitalistischem Eigentum in eines fällt, sondern letzteres ist eine historisch speziphische Form des anderen, wobei allerdings die Form auf den Inhalt übergreift.
Als formiert oder konstituiert die Form ihren Inhalt neu. So wird die Produktion als Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse zu einer Produktion zur Befriedigung kapitalistischer bedürfnisse, also Produktion für Mehrwert und läßt viele Bedürfnisträger verhungern. Diesen Umstand der Dialektik, dass die Form auf den Inhalt übergreift, wird von der kritischen Theorie hier nicht verstanden. Die Hinwendung zum Inhalt wird als Ontologie verteufelt, obwohl diese "Rückformierung" ja gerade wieder die historische Spezifik des Inhaltes real zeigt. Indem aus dem abstrakten 'Bedürfnis' das kaufkräftige Bedürfnis, auf Grund der Formbestimmtheit der gesellschaftlichen Produktion über den Doppelcharakter der Arbeit, wird.
Diese Dialektik von Form und Inhalt garantiert einerseits nicht hinter die kritische Theorie auf einen Wesensstandpunkt oder einer subjektivistische Ontologie zurückzufallen und andererseits aber auch die transhistorischen Momente nicht abzuschneiden, sondern die historische Besonderheit ihrer in der Erscheinungsform gerade zu finden.
(d.V.)}

 
[Form übergreift auf den Inhalt]
" In der von mir präsentierten Interpretation drücken die Kategorien der Marxschen Kritik nicht den >Austausch< des Subjektiven durch das Objektive aus, sondern die Konstitution einer jeden dieser Dimensionen. Bezogen auf die abstrakte Zeit wurde gezeigt, daß bestimmte subjektive Formen, zusammen mit der von ihnen erfaßten Objektivität, von bestimmten entfremdeten Formen gesellschaftlicher Verhältnisse konstituiert werden: es handelt sich hierbei nicht um schon präexistente, universelle Formen, die, weil entfremdet, als objektive Eigenschaften von Dingen erscheinen. " (S. 340)

{ Das Problem ist hier, das objektiv und gesellschaftlich objektiv in eins geworfen werden, wie sie vorher als objektiv und quasi-objektiv getrennt sind. Gesellschaft konstituiert wohl ihre eigenen Verhältnisse, die sie bestimmen, also im gesellschaftlichen Sein eine Form der Objektivität. Aber zb Raum und Zeit als nicht dem gesellschaftlichen Sein zugehörig werden auch nicht gesellschaftlich konstituiert, sondern nur die entsprechenden Vorstellungen über diese. So gesehen gibt es eine Menge "präexistenter" Objektivität. (d.V.)}

 
[Nichtgesellschaftlichen Objektivität wird nicht gesellschaftlich konstituiert]
" Aus dieser Sicht bedeutet die Aufhebung der Entfremdung die Abschaffung des sich selbst begründenden, sich selbst bewegenden Subjekts (Kapital) und jener Form von Arbeit, die Entfremdungsstrukturen konstituiert und durch sie konstituiert wird. Dies würde der Menschheit gestatten, sich das anzueignen, was bereits in entfremdeter Form konstituiert worden war. Die Aufhebung des historischen Subjekts würde den Menschen zum ersten Mal gestatten, Subjekte ihrer eigenen gesellschaftlichen Praxis zu werden. " (S. 341)
" Eine adäquate Ausarbeitung der Marxschen Theorie der Konstitution kapitalistischer Subjektivitäts- und Objektivitätsformen würde die Interaktion von Struktur und Praxis als widersprüchliche Dynamik der Totalität analysieren. " (S. 341f)
" Eine solche Theorie der Konstitution von Bewußtsein und gesellschaftlichem Sein hat wenig gemein mit Interpretationen, in denen die >Arbeit< oder die Ökonomie die >Basis< der Gesellschaft bilden, und Denken ein Element des >Überbaus< darstellt. Es handelt sich dabei um eine nicht-funktionalistische Gesellschaftstheorie, die letztlich auf einer Analyse der Formen gesellschaftlicher Verhältnisse beruht, statt auf Betrachtungen zu gesellschaftlicher Stellung und der gesellschaftlichen Interessen beziehungsweise der Klassenlage und -interessen. " (S. 342)
" Erstere liefert den allgemeinen, sich historisch verändernden Rahmen der Bewußtseinsformen, in dem letztere untersucht werden können. Sie geht davon aus, daß, wenn gesellschaftlicher Sinn und gesellschaftliche Struktur miteinander verbunden sind, auch die Kategorien, die das begreifen wollen, im Inneren aufeinander bezogen sein müssen. Mit anderen Worten: die weit verbreitete theoretische Dichotomie materieller und kultureller Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens kann nicht von außen überwunden werden, nicht auf der Grundlage von Begriffen, die in sich bereits diesen Gegensatz enthalten. " (S. 342)
 
[Abgrenzung gegen Basis//Überbau]
" Die Marxsche Theorie dagegen zielt gerade darauf ab. Sie faßt Sinn durchweg weder reduktiv-materialistisch als epiphänomenalen Reflex einer physikalisch-materiellen Basis, und erst recht nicht idealistisch als sich selbst begründende, vollständig autonome Sphäre. Statt dessen sucht sie das gesellschaftliche Leben in Kategorien zu erfassen, die es ihr gestatten, die Sinnstruktur als ein der konstituierten und konstituierenden Struktur gesellschaftlicher Verhältnisse innewohnendes Moment zu behandeln. " (S. 243)

III Zur Rekonstruktion der Marxschen Kritik. Das Kapital(» K)

8. Die Dialektik von Arbeit und Zeit(» K)

{ Zur Originaldatei als Spiegelung von ca ira (d.V.)}

" Ich werde dieses Verhältnis nun spezifizieren, indem ich der Frage nachgehe, in welcher Weise bei Marx die grundlegenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus den Charakter dieser historischen Dynamik und dieser Produktionsform prägen. Statt aber die Marxsche Analyse der Produktionssphäre direkt anzugehen, seien nur die hervorstechendsten strukturellen Merkmale dieser Sphäre diskutiert, wozu ich zunächst gewissermaßen >einen Schritt zurück< gehen werde, um von hier aus die Implikationen der Ausgangskategorien der Marxschen Analyse eingehender zu untersuchen. " (S. 431)
" Dies wird es mir insbesondere ermöglichen, die zentrale Bedeutung der zeitlichen Dimension des Werts für die Marxsche Analyse herauszuarbeiten. Eine solche Vorgehensweise wird die Besonderheit der Dynamik des Kapitals erhellen und die Grundlagen für eine Verdeutlichung des Marxschen Verständnisses der gesellschaftlichen Konstitution des Produktionsprozesses legen. " (S. 431)
" Dabei wird klar werden, inwiefern meine erneuerte Interpretation der Marxschen Basiskategorien eine begriffliche Neubestimmung des Wesens des Kapitalismus, insbesondere seiner widersprüchlichen Dynamik, begründet, und zwar in der Weise, daß Erörterungen über den Markt und das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht im Vordergrund stehen. " (S. 195)
 
[Eigentum an PM nicht im Vordergrund]

8.1 Die immanente Dynamik(» K)

" Bisher habe ich mich auf die Zentralität der Marxschen Konzeption des Doppelcharakters der gesellschaftlichen Grundformen der kapitalistischen Gesellschaft konzentriert und versucht, das Wesen der Wertdimension der Formen (abstrakte Arbeit, Wert, abstrakte Zeit) und das ihrer Gebrauchswertdimension (konkrete Arbeit, stofflicher Reichtum, konkrete Zeit) zu verdeutlichen und den Unterschied zwischen beiden zu klären. An diesem Punkt angelangt kann ich ihre Wechselbeziehungen untersuchen. Ihre Nicht-Identität ist kein bloß statischer Gegensatz, sondern die beiden Momente der Arbeit im Kapitalismus - als produktive Tätigkeit auf der einen und als gesellschaftlich vermittelnde auf der anderen Seite - bestimmen sich wechselseitig in der Weise, daß eine immanente dialektische Dynamik entsteht. Es sollte festgehalten werden, daß die folgende Untersuchung des dynamischen Verhältnisses von Produktivität und Wert einen voll entwickelten Kapitalismus voraussetzt. " (S. 432)
 
[Untersuchung der Vermittlung abstr.//konkret]
" Die Untersuchung des Unterschieds zwischen konkreter und abstrakter Arbeit als einem zwischen stofflichem Reichtum und Wert hat gezeigt, daß erhöhte Produktivität (für Marx Attribut der Gebrauchswertdimension der Arbeit) zwar die Anzahl der Produkte und somit das Quantum stofflichen Reichtums vergrößert, nicht aber die innerhalb einer gewissen Zeiteinheit erzielte Gesamtwertgröße. Die Wertgröße scheint also allein eine Funktion von verausgabter abstrakter Arbeitszeit zu sein, vollkommen unabhängig von der Gebrauchswertdimension der Arbeit. Hinter diesem Gegensatz steckt jedoch eine dynamische Wechselwirkung zwischen den beiden Dimensionen warenförmiger Arbeit,... " (S. 433)
" Sein Beispiel verweist darauf, daß die Handlungen der Individuen dort, wo die Ware allgemeine Produktform ist, eine entfremdete Totalität konstituieren, die sie Zwängen aussetzt und die sie sich subsumiert. Bezog sich die Marxsche Darstellung des Werts im ersten Band auf eine allgemeinere Ebene, bezieht sich dieses Beispiel auf die der gesellschaftlichen Totalität.

Für unsere Zwecke ist entscheidend, daß diese Ausgangsbestimmung der Wertgröße Dynamik impliziert. "
(S. 433)
 
[Gesellschaftliche Totalität und Dynamik des Gegensatzes Wert//stofflicher Reichtum]
" Obwohl eine Produktivitätssteigerung mehr stofflichen Reichtum zum Ergebnis hat, wird auf dem neuen Produktivitätsniveau, einmal verallgemeinert, die gleiche Menge Wert pro Zeiteinheit geschöpft wie vor der Steigerung. Bei der Erörterung des Unterschieds zwischen Wert und stofflichem Reichtum habe ich festgestellt, daß der in einer gesellschaftlichen Arbeitsstunde erzielte Gesamtwert Marx zufolge konstant bleibt: »Dieselbe Arbeit ergibt daher in denselben Zeiträumen stets dieselbe Wertgröße, wie immer die Produktivkraft wechsle.« (MEW 23, 61) " (S. 434)
 
[Konstanz des Wertes pro Zeiteinheit und Durchsetzungsbewegung]
" Ist das abstrakte zeitliche Wertmaß gegeben, dann verändert diese Neubestimmung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit die Wertgröße der einzelnen produzierten Waren, nicht jedoch den pro Zeiteinheit produzierten Gesamtwert. Dieser bleibt konstant und teilt sich, wenn die Produktivität zunimmt, lediglich unter einer größeren Menge von Produkten auf. Dies aber impliziert, daß im Kontext eines durch eine abstrakte zeitliche Form des Reichtums charakterisierten Systems die Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit die normative gesellschaftliche Arbeitsstunde neu bestimmt. " (S. 434)
 
[Abstrakte normative Zeit bleibt gleich, die konkrete normative Zeit verkleinert sich]
" Obwohl also eine Veränderung in der allgemeinen gesellschaftlichen Produktivität die pro abstrakte Zeiteinheit produzierte Gesamtwertmenge unberührt läßt, verändert sie die Bestimmung dieser Zeiteinheit. Nur die Stunde Arbeitszeit, in der der allgemeine Standard gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit erreicht wird, zählt als eine gesellschaftliche Arbeitsstunde. Mit anderen Worten, die gesellschaftliche Arbeitsstunde wird durch das Produktivitätsniveau konstituiert. (Es ist festzuhalten, daß diese Bestimmung nicht in abstrakter Zeit ausgedrückt werden kann. Nicht die Menge an Zeit, die einen Wert von x ergibt, hat sich verändert, sondern der Standard dessen, was diese Zeitmenge konstituiert.) " (S. 335)
" Produktivität - die Gebrauchswertdimension der Arbeit ? verändert also nicht den pro abstrakte Zeiteinheit erzielten Gesamtwert, bestimmt aber die Zeiteinheit selbst. Wir stehen vor einem scheinbaren Paradox: die Wertgröße ist allein eine Funktion der durch eine unabhängige Variable (abstrakte Zeit) gemessenen Verausgabung von Arbeit, doch die konstante Zeiteinheit selbst ist eine abhängige Variable, die durch Veränderungen in der Produktivität neu bestimmt wird. Abstrakte Zeit wird also nicht nur als eine qualitativ bestimmte Zeitform gesellschaftlich konstituiert, sondern ebenso quantitativ: das, was eine gesellschaftliche Arbeitsstunde konstituiert, wird durch das allgemeine Produktivitätsniveau, die Gebrauchswertdimension, bestimmt. Doch obwohl die gesellschaftliche Arbeitsstunde neu bestimmt wird, bleibt sie als Einheit abstrakter Zeit konstant.[Herv. v. P.H.] " (S. 335)
 
[Paradoxon abstrakte Zeit konstant//von GW-Seite verändert]
" Andererseits bleibt der in der gesellschaftlichen Arbeitsstunde erzielte Gesamtwert unabhängig vom Produktivitätsniveau konstant, obwohl diese Stunde durch die allgemeine Produktivität konkreter Arbeit bestimmt wird. Daraus ergibt sich, daß jedes neue Produktivitätsniveau, sobald es gesellschaftlich-allgemein geworden ist, nicht nur die gesellschaftliche Arbeitsstunde neu bestimmt, sondern seinerseits durch diese Stunde als >Basisniveau< der Produktivität neu bestimmt wird. Die auf dem neuen Produktivitätsniveau pro abstrakte Zeiteinheit erzielte Wertmenge ist derjenigen, die auf dem vorherigen Produktivitätsniveau erzielt wurde, gleich. In diesem Sinne wird das Produktivitätsniveau, die Gebrauchswertdimension, auch durch die Wertdimension (als dem neuen Basisniveau) bestimmt. " (S. 435f)
" Dieser Prozeß der wechselseitigen Bestimmung der zwei Dimensionen gesellschaftlicher Arbeit im Kapitalismus findet auf gesamt-gesellschaftlicher Ebene statt. Er spielt sich im Herzen einer dialektischen Dynamik ab, die der durch warenförmige Arbeit konstituierten gesellschaftlichen Totalität innewohnt. Die Eigentümlichkeit dieser Dynamik - und dies ist entscheidend - besteht in ihrem Tretmühleneffekt. Zunehmende Produktivität vergrößert die pro Zeiteinheit produzierte Wertmenge - bis diese Produktivität verallgemeinert wird. An diesem Punkt fällt die in dieser Zeitperiode erzielte Wertgröße wegen ihrer abstrakten und allgemeinen zeitlichen Bestimmung auf ihr vorheriges Niveau zurück. Das Ergebnis ist eine neue Bestimmung der gesellschaftlichen Arbeitsstunde sowie ein neues Basisniveau der Produktivität. Es entsteht so eine Dialektik von Transformation und Rekonstitution: die allgemeinen gesellschaftlichen Produktivitätsniveaus und die quantitativen Bestimmungen gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit verändern sich,jedoch rekonstituieren diese Veränderungen den Ausgangspunkt, das heißt die gesellschaftliche Arbeitsstunde und das Basisniveau der Produktivität. " (S. 436)
 
[Wechselwirkung ist gesamtgesellschaftlich - Tretmühleneffekt]
" Die Einführung immer neuerer Methoden der Produktivitätssteigerung bewirkt weitere kurzfristige Wertzunahmen. Eine Konsequenz der Messung von Reichtum durch Arbeitszeit besteht also darin, daß die Neubestimmung der zeitlichen Konstante durch die Produktivitätszunahme ihrerseits noch größere Produktivität induziert. Das Ergebnis ist eine richtungsgebundene Dynamik, in der sich die beiden Dimensionen, konkrete Arbeit und abstrakte Arbeit, Produktivität und das abstrakte zeitliche Wertmaß fortwährend gegenseitig neu bestimmen. " (S. 437)
 
[Richtungsgebundene Dynamik]
" Da wir in diesem Stadium der Analyse noch nicht erklären können, weshalb das Kapital notwendigerweise fortwährend akkumulieren muß, repräsentiert die hier umrissene Dynamik nicht die voll entwickelte immanente historische Logik des Kapitalismus. Sie stellt indes die Ausgangsbestimmung dieser Logik bereit und skizziert die Form, welche das Wachstum im Kontext arbeitsvermittelter Gesellschaftsverhältnisse annehmen muß. " (S. 437)
" Der reziproken Neubestimmung von Produktivitätssteigerung und gesellschaftlicher Arbeitsstunde eignet eine objektive, gesetzmäßige Qualität, die keineswegs bloße Illusion oder Mystifizierung ist. Obwohl gesellschaftlich, ist sie unabhängig von menschlichem Willen. " (S. 437)
 
[Objektive gesetzmäßige Qualität dieser Dynamik]
" Hat man sich erst einmal die zeitliche Dimension des Werts - verstanden als spezifische, von stofflichem Reichtum verschiedene Form von Reichtum - vor Augen geführt, so wird evident, daß die Wertform die oben geschilderte Dynamik als von vornherein gegeben unterstellt. " (S. 437f)
" Es ist festzuhalten, daß die über den Markt vermittelte Zirkulationsweise kein wesentliches Moment dieser Dynamik darstellt. Wesentlich für die Dynamik des vollständig konstituierten Kapitalismus ist der Tretmühleneffekt, der allein in der zeitlichen Dimension der Wertform des Reichtums begründet liegt. Wenn die über den Markt vermittelte Zirkulationsweise eine Rolle bei dieser Dynamik spielt, dann als untergeordnetes Moment einer komplexen Entwicklung - zum Beispiel als die Art und Weise, wie das Produktivitätsniveau verallgemeinert wird.
...
Sich ausschließlich auf die Zirkulationsweise zu konzentrieren bedeutet, von bedeutsamen Implikationen der Warenform für die Verlaufsform der kapitalistischen Entwicklung in der Marxschen kritischen Theorie abzulenken. "
(S. 438)
 
[Tretmühleneffekt als wesentliches Moment entgegen der Zirkulation]
" Diese Untersuchung der abstrakten Bestimmungen der Dynamik des Kapitalismus legt nahe, daß die über den Markt vermittelte Zirkulationsweise zwar für die historische Entstehung der Ware als totalisierender gesellschaftlicher Form notwendig gewesen sein mag, sie aber für diese Form nicht wesentlich bleiben muß. Es ist vorstellbar, daß eine andere Weise von Koordination und Verallgemeinerung - zum Beispiel eine administrative - für diese widersprüchliche Gesellschaftsform die gleiche Funktion ausüben könnte. Oder anders: Das Wertgesetz könnte, einmal etabliert, auch politisch vermittelt werden. Die Abschaffung der über den Markt vermittelten Koordinationsweise und die Überwindung des Werts sind also nicht identisch. " (S. 438)

8.2 Abstrakte Zeit und historische Zeit(» K)

" Bisher habe ich untersucht, wie die dialektische Wechselwirkung zwischen der Gebrauchswertdimension gesellschaftlicher Arbeit im Kapitalismus und ihrer Wertdimension eine historische Dynamik erzeugt. Die Wechselwirkung zwischen den beiden Dimensionen der Warenform kann auch zeitlich, hinsichtlich des Gegensatzes zwischen abstrakter Zeit und einer dem Kapitalismus eigentümlichen Form konkreter Zeit analysiert werden. Um die Bedeutung dieses Gegensatzes zu erklären, werde ich seine Implikationen auf eine gesellschaftlich konkretere Ebene extrapolieren. " (S. 439)
" Trotz der Konstanz dieses abstrakten zeitlichen Wertmaßes hat dieses Maß einen sich wandelnden gesellschaftlichen Inhalt, der jedoch verborgen bleibt: nicht jede Stunde ist hier eine Stunde - in anderen Worten: nicht jede Stunde Arbeitszeit zählt als eine die Gesamtwertgröße bestimmende gesellschaftliche Arbeitstunde. Die abstrakt-zeitliche Konstante ist also zugleich konstant und nicht konstant. Abstrakt zeitlich gesehen konstant bleibt die gesellschaftliche Arbeitsstunde als Maß des produzierten Gesamtwerts. Konkret ausgedrückt jedoch verändert sie sich entsprechend den Veränderungen der Produktivität. Weil dennoch die abstrakte Zeiteinheit das Wertmaß bleibt, drückt sich deren konkrete Neubestimmung nicht in der Zeiteinheit als solcher aus. Produktivitätszuwachs, um das klarzustellen, drückt sich in der proportionalen Wertabnahme jeder produzierten Einzelware aus - nicht aber im pro Stunde produzierten Gesamtwert. [Herv. v. P.H.]" (S. 439f)
 
[Konstant und doch veränderter gesellschaftlicher Inhalt]

{ Endlich kommt er mal auf den gesellschaftlichen Inhalt. Er löst das Paradoxon zwischen konstanten abstrakten Zeiteinheiten und ihrem veränderten Inhalt damit, dass diese Zeit sich selbst in der Zeit verschiebt. Also muß M.P. die Zeit, dh die abstrakte Zeit als konstanten Rahmen, da Wert pro Zeiteinheit gleich bleibt, sich selbst bewegen lassen, um dass Dilemma der fehlenden Durchschnittsvermittlung zu lösen. So vermittelt nicht der Durchschnitt zwischen abstrakter und konkreter Zeit, sondern die historische Zeit. Diese ist wieder eine konkrete Zeit, dh nach M.P., sie hängt von Ereignissen ab und steht diesen nicht unabhängig gegenüber. Diese Ereignisse sind im Kern die Veränderung der Produktivität. (d.V.)}

" Veränderungen in der Produktivität bewegen die Bestimmung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit in gewissem Sinne entlang einer Achse abstrakter Zeit: gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit nimmt mit erhöhter Produktivität ab. Doch obgleich die gesellschaftliche Arbeitsstunde dadurch neu bestimmt wird, bewegt sie sich nicht entlang dieser Achse - denn sie ist diese Koordinatenachse selbst, der Bezugsrahmen, an dem die Veränderung gemessen wird. Die Stunde ist eine konstante Einheit abstrakter Zeit; abstrakt zeitlich gesehen muß sie feststehen. Daher wird jedes neue Produktivitätsniveau >rückwirkend< neu als niveau bestimmt und erzielt die gleiche Wertrate. Dennoch ist tatsächlich ein neues Produktivitätsniveau erreicht worden, selbst wenn es als dasselbe Basisniveau neu bestimmt worden ist. Vermag diese substantielle Entwicklung die abstrakte Zeiteinheit in bezug auf die abstrakte Zeit selbst nicht zu ändern, so verändert sie doch die >Position< dieser Einheit. Die gesamte abstrakte zeitliche Achse, oder der Bezugsrahmen, wird mit jedem gesellschaftlich-allgemeinen Produktivitätszuwachs bewegt sowohl die gesellschaftliche Arbeitsstunde als auch das Basisniveau der Produktion werden >zeitlich vorwärts< bewegt. Basis " (S. 440f)
 
[Neues Basisniveau wird zeitlich nach vorne verschoben]
" Diese aus der substantiellen Neubestimmung abstrakter Zeit resultierende Bewegung kann in abstrakt-zeitlichen Begriffen nicht ausgedrückt werden; sie verlangt einen anderen Bezugsrahmen. Diesen kann man sich als einen Modus konkreter Zeit vorstellen." (S. 441)

{ Hier könnte er auf den Durchschnitt eingehen, dass die abstrakte Zeit als Durchschnitt konkreter Arbeitszeiten mit einem Zeitversatz vermittelt ist. Das tut er aber nicht. (d.V.)}

" Produktivität gründet Marx zufolge im gesellschaftlichen Charakter der Gebrauchswertdimension der Arbeit (MFW 23, 60f.). Somit ist diese Bewegung der Zeit eine Funktion der Gebrauchswertdimension der Arbeit in ihrer Wechselwirkung mit dem Wertrahmen und kann als eine Art konkreter Zeit verstanden werden. Bei der Untersuchung der Interaktion von konkreter und abstrakter Arbeit, die den Kern der Marxschen Analyse des Kapitals ausmacht, haben wir gezeigt, daß ein Wesenszug des Kapitalismus in einem (konkreten) Zeitmodus liegt, der die (abstrakte) Zeitbewegung ausdrückt. " (S. 441)
 
[Konkrete Zeit drückt abstrakte Zeitbewegung aus]
" Die Dialektik der beiden Dimensionen der Arbeit im Kapitalismus kann also auch zeitlich verstanden werden, als Dialektik von zwei Zeitformen Wie wir gesehen haben, bringt die Dialektik konkreter und abstrakter Arbeit eine innere Dynamik hervor, die durch ein eigentümliches Tretmühlenmuster charakterisiert ist. Da jedes neue Produktivitätsniveau als neues Basisniveau bestimmt wird, tendiert diese Dynamik zur Dauerhaftigkeit und ist durch ständig gesteigerte Produktivitätsniveaus gekennzeichnet. Zeitlich gesehen eignet dieser inneren Dynamik des Kapitals mit ihrem Tretmühlenmuster eine fortwährende richtungsbebundene Bewegung der Zeit, ein >Fließen der Geschichte<. " (S. 441)
 
[Dialektik zweier Zeitformen]
" Mit anderen Worten, der von uns behandelte konkrete Zeitmodus kann als historische Zeit, so wie sie in der kapitalistischen Gesellschaft konstituiert wird, angesehen werden. " (S. 442)
 
[Diese konkrete Zeit ist die historische Zeit]
" Ich habe dargelegt, daß abstrakte Zeit, definiert als ein abstrakter unabhängiger Rahmen, innerhalb dessen Ereignisse und Handlungen stattfinden, dadurch entsteht, daß die Ergebnisse individueller Tätigkeit über eine gesamtgesellschaftlichen Vermittlung in eine abstrakte Zeitnorm für diese Tätigkeit verwandelt werden. Obwohl die Zeit das Wertmaß darstellt, ist die durch »gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit« ausgedrückte totalisierende Vermittlung keine Bewegung von Zeit, sondern eine Metamorphose substantieller Zeit in abstrakte Zeit im Raum, sozusagen, vom Besonderen zum Allgemeinen und wieder zurück (Lukács (1968b, 264f.). Diese Vermittlung im Raum konstituiert einen abstrakten, homogenen Zeitrahmen, der unveränderlich ist und als Maß für Bewegung dient. Individuelle Tätigkeit findet also in abstrakter Zeit statt und wird in Beziehung auf sie gemessen, kann diese Zeit aber nicht verändern. " (S. 442)
 
[Abstrakte Zeit ist der abstrakt unabh. Rahmen]
" Der gesamte Rahmen wird rekonstituiert, ohne diese Rekonstituierung jedoch selbst auszudrücken: die Bewegung des Rahmens reflektiert sich nicht direkt in Wertbegriffen. " (S. 442)
" Historische Zeit ist gemäß dieser Interpretation kein abstraktes Kontinuum, in dem Ereignisse stattfinden und dessen Fluß unabhängig von menschlicher Tätigkeit wäre, sondern ist die Bewegung der Zeit, im Gegensatz zur Bewegung in der Zeit. " (S. 442)
 
[Historische Zeit ist Bewegung DER Zeit.]
" Allgemeiner gesehen hat die historische Bewegung der gesellschaftlichen Totalität fortwährende, massive Transformationen der gesellschaftlichen Lebensweise der Mehrheit der Bevölkerung zur Folge - in gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensmustern, in der Klassenstruktur und -aufteilung, im Wesen von Staat und Politik, in der Familienform, der Ausgestaltung des Bildungs- und Erziehungswesens, der Formen von Verkehr und Kommunikation usw. (MEW 23, 309ff.; 416ff.; 470ff.) Darüber hinaus zeitigt der dialektische Prozeß im Herzen der dem Kapitalismus immanenten Dynamik die Konstitution, Ausbreitung und fortwährende Transformation historisch bestimmter Formen von Subjektivität, Interaktion und gesellschaftlichen Werten. " (S. 443)
" Historische Zeit im Kapitalismus kann also als eine Form konkreter Zeit angesehen werden, die gesellschaftlich konstituiert wird und eine fortwährende qualitative Transformation von Arbeit und Produktion, des gesellschaftlichen Lebens im allgemeineren sowie von Bewußtseins-, Wert- und Bedürfnisformen zum Ausdruck bringt. Anders als der >Fluß< der abstrakten Zeit ist diese Bewegung nicht gleichförmig, sondern verändert sich und kann sich sogar beschleunigen. " (S. 195)
" Ein Charakteristikum des Kapitalismus ist also die gesellschaftliche Konstitution zweier Zeitformen - abstrakter Zeit und historischer Zeit -, die in sich verschränkt sind. Die auf Wert, auf abstrakter Zeit beruhende Gesellschaft ist, wenn voll entwickelt, durch eine fortwährende historische Dynamik (und, damit zusammenhängend, durch die Ausbreitung historischen Bewußtseins) gekennzeichnet. Anders gesagt erhellt und begründet die Marxsche Analyse den historisch dynamischen Charakter der kapitalistischen Gesellschaft gesellschaftlich aus einer Dialektik der beiden Dimensionen der Warenform, die sich als eine Dialektik von abstrakter und historischer Zeit begreifen läßt. " (S. 444)
 
[Charakteristik des Kap. die Konstitution und Verschränkung zweier Zeitformen: abstrakt//historisch]
" Historische Zeit ist also nicht einfach der Fluß von Zeit, in dem Ereignisse stattfinden, sondern wird als Form konkreter Zeit konstituiert. Sie wird nicht durch die wertbestimmte Zeitform als eine abstrakte Konstante, wird nicht als >mathematische< Zeit ausgedrückt. Wir haben gesehen, daß die gesellschaftliche Arbeitsstunde innerhalb einer Dimension historischer Zeit, die konkret ist und nicht gleichförmig fließt, bewegt wird doch die abstrakte Zeiteinheit läßt ihre historische Neubestimmung nicht manifest zutage treten: sie behält ihre konstante Form als Gegenwartszeit. Somit existiert der historische Fluß hinter dem Rahmen abstrakter Zeit, erscheint aber nicht in ihm. Der historische >Inhalt< der abstrakten Zeiteinheit bleibt genauso verborgen wie der gesellschaftliche >Inhalt< der Ware.[Herv. v. P.H.] " (S. 444)
 
[Historischer Inhalt der abstrakten Zeit]
" Im Gegensatz zu Lukács - der Kapitalismus mit statischen bürgerlichen Verhältnissen gleichsetzt und die dynamische Totalität, die historische Dialektik, als den Standpunkt der Kapitalismuskritik setzt (1968b, 322ff.)- zeigt die hier entwickelte Position, daß die Existenz selbst eines fortdauernden, >automatischen< historischen Flusses aus sich heraus mit der gesellschaftlichen Herrschaft abstrakter Zeit verschränkt ist. Beide Zeitformen sind Ausdruck entfremdeter Verhältnisse. " (S. 444f)
" Wie wir gesehen haben, bleibt der innerlich mit der Wertdimension verschränkte abstrakte Zeitrahmen bei steigender Produktivität konstant. Die gesellschaftliche Arbeitsstunde, in der die Produktion von 20 Yards Gewebe einen Gesamtwert von x ergibt, ist das abstrakte zeitliche Äquivalent der gesellschaftlichen Arbeitsstunde, in der die Produktion von 40 Yards Gewebe denselben Gesamtwert von x ergibt: es sind gleiche Einheiten abstrakter Zeit und sie bestimmen, da sie normativ sind, eine konstante Wertgröße. Sicherlich gibt es einen konkreten Unterschied zwischen den beiden, der aus der historischen Entwicklung der Produktivität resultiert. Eine solche historische Entwicklung führt jedoch zu einer Neubestimmung der Kriterien dessen, was eine gesellschaftliche Arbeitsstunde konstituiert und reflektiert sich nicht in der Stunde selbst. In diesem Sinne also ist der Wert ein Ausdruck von Zeit als der Gegenwart. Er ist Maß und eine zwingende Norm für die Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit, ungeachtet de " (S. 445)
 
[Wert als Norm der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit]

{

Mit dem Wert normiert schon vergangene konkrete Arbeitszeit materialisiert im Produkt noch zu verausgabende konkrete Arbeitszeit. Diese Norm als abstrakte Arbeitszeit ist als Durchschnittsbewegung von der Menge der konkreten Arbeitszeiten konstituiert und dies nur im Kapitalismus in dieser Form und Zwanghaftigkeit, die als objektives Zwangsgesetz zugleich Entfremdung und Fetisch ausdrückt. Der Umweg über das Messen mittels abstrakter Zeit ist notwendig wegen der notwendigen Vermittlung des Widerspruches privater Produktion eines gesellschaftlichen Produkts, es kann so nicht unmittelbar geschehen, es ist ein unbewußter Regulationsmechanismus. Der zweite Grund ist die Ungleichzeitigkeit, dass schon vergangene noch zu verausgabende Arbeitszeit bestimmt und dies in der Gegenwart im Marktaugenblick des Verkaufs geschieht, auch noch einmal vermittelt über die Erscheinung des Preises.
Bei bewußter gesellschaftlicher Planung im Kommunismus wären daß die Produktionszahlen (Vergangenheit) die verteilten Mengen (im Augenblick) und die Prognose (die Zukunft). Wobei die Prognose auch die Abschätzung der Entwicklung der Produktivkräft beinhaltet, wie einen Reservefond für unerwartet Ereignisse, gleich der Geldmenge von Versicherungen.
(d.V.)}

 
[Vermittlung: Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft]
" Wir werden sehen, daß sich in der Marxschen Darstellung das Kapital historisch in der Weise entfaltet, daß das Produktivitätsniveau zunehmend von der unmittelbaren Arbeit der Arbeiter unabhängiger wird. Dieser Prozeß hat die Entwicklung gesellschaftlich-allgemeiner Formen von Wissen und Erfahrung in entfremdeter Form zur Folge, die von den Fertigkeiten und dem Wissen der unmittelbaren Produzenten nicht direkt abhängig sind und nicht auf diese reduziert werden können (z.B. MEW 23, 341 ff.; 382; 408; 445). Die von uns erörterte dialektische Bewegung der Zeit repräsentiert die Ausgangsbestimmungen der Marxschen Analyse der historischen Entfaltung des Kapitals. " (S. 446)
" Die im Laufe der Produktionsentwicklung eintretenden Veränderungen dieser konkreten Produktionszeit reflektieren die historische Bewegung der Zeit. Hervorgebracht wird diese Bewegung von einem gesellschaftlichen Konstitutionsprozeß, der mit der fortwährenden Akkumulation von technischer, organisatorischer und wissenschaftlicher Erkenntnis und Erfahrung in entfremdeter Form verbunden ist. (MEW 23, 382; 408 f) " (S. 447)
" Seine grundsätzlichen Kategorien implizieren, daß mit der Entfaltung dieser letztlich durch die Warenförmigkeit der Verhältnisse angetriebenen Dynamik eine wachsende Disparität entsteht zwischen Entwicklungen in der Produktivkraft der Arbeit (die nicht notwendigerweise von der unmittelbaren Arbeit der Arbeiter abhängt) einerseits und dem Wertrahmen andererseits, in dem solche Entwicklungen zum Ausdruck kommen (und der an solche Arbeit gebunden ist). Die Disparität zwischen der Akkumulation historischer Zeit und der Objektivierung unmittelbarer Arbeitszeit wird mit der zunehmenden Materialisierung wissenschaftlicher Erkenntnis in der Produktion immer krasser. " (S. 447f)
" Die Dynamik des Kapitalismus, wie sie von den Marxschen Kategorien erfaßt wird, ist so konzipiert, daß in dieser Akkumulation historischer Zeit sich eine wachsende Disparität bezüglich der Bedingungen der Produktion stofflichen Reichtums und denen der Wertschöpfung ergibt. Hinsichtlich der Gebrauchswertdimension der Arbeit (das heißt der Schaffung von stofflichem Reichtum) wird die Produktion zusehends weniger ein Prozeß der materiellen Objektivierung von Fertigkeiten und Wissen der individuellen Produzenten oder auch nur der unmittelbar involvierten Klasse. Vielmehr wird sie immer mehr eine Objektivierung des akkumulierten allgemeinen Wissens der Gattung, der Menschheit -die mit der Akkumulation historischer Zeit selbst als Kategorie konstituiert wird. " (S. 448)

8.3 Die Dialektik von Transformation und Rekonstitution(» K)

" Die für die kapitalistische Gesellschaft charakteristische historische Dynamik ist der Marxschen Analyse zufolge nicht linear, sondern widersprüchlich. Sie weist über sich selbst hinaus, hebt sich aber nicht selbst auf. Ich habe auf einer abstrakten und vorläufigen Ebene gewisse Unterschiede zwischen der Produktion, die auf der Objektivierung unmittelbarer Arbeit, und solcher, die auf historischer Zeit beruht, untersucht. Ohne diesen Doppelcharakter der gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus ließe sich die Entwicklung der Produktion durchaus als einfache technische Entwicklung verstehen, in der eine Produktionsweise durch eine andere linear ersetzt wird und die einem historischen Muster entspricht, demgemäß im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung eine auf Wissen, Geschick und Arbeit der unmittelbaren Produzenten beruhende Produktionsform eine andere, auf dem akkumulierten Wissen und der Erfahrung der Menschheit beruhende Form hervorbringe. Mit der Akkumulation historischer Zeit werde die gesell " (S. 449)
" Der Marxschen Analyse gemäß wäre eine derartige evolutionäre Entwicklung nur dann möglich, wenn Wert und stofflicher Reichtum nicht äußerst verschiedene Formen des Reichtums wären. Doch aufgrund des Doppelcharakters der den Kapitalismus strukturierenden Formen repräsentiert diese evolutionäre Entwicklung nur eine Tendenz innerhalb einer weitaus komplexeren, dialektischen historischen Dynamik. " (S. 449)
" Marx analysiert vielmehr die Produktion im Kapitalismus ausgehend von den Unterscheidungen zwischen Wert und stofflichem Reichtum, abstrakter und konkreter Arbeit (und, implizit, abstrakter und konkreter Zeit) als widersprüchlichen gesellschaftlichen Prozeß, der durch eine Dialektik der beiden Dimensionen der Warenform konstituiert wird. " (S. 450)
" Die Interaktion dieser beiden Dimensionen vollzieht sich in der Weise, daß nicht einfach der Wert durch die Akkumulation historischer Zeit ersetzt wird, sondern indem er als wesentliche Determinante der Gesellschaftsformation kontinuierlich rekonstituiert wird. Dieser Prozeß der Rekonstitution, der die Bewahrung des Werts und der mit ihm verbundenen Formen abstrakter Herrschaft beinhaltet, ist trotz der Entwicklung der Gebrauchswertdimension den grundlegenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus strukturell inhärent. " (S. 195)
 
[Rekonstitution des Werts, damit der abstrakten Herrschaft, der Struktur]
" Durch Produktivitätszuwachs bewirkte Veränderungen in der konkreten Zeit werden durch die gesellschaftliche Totalität in der Weise vermittelt, daß sie in neue Normen abstrakter Zeit (gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit) verwandelt werden, welche ihrerseits die gesellschaftlich konstante Arbeitsstunde neu bestimmen. Es sei darauf verwiesen, daß in dem Maße wie die Produktivitätsentwicklung die gesellschaftliche Arbeitsstunde neu bestimmt, diese Entwicklung die mit der abstrakten Zeiteinheit verbundene Form von Notwendigkeit nicht ersetzt, sondern rekonstituiert. Jedes neue Produktivitätsniveau wird strukturell in die konkrete Voraussetzung der gesellschaftlichen Arbeitsstunde verwandelt - wobei die pro Zeiteinheit produzierte Wertmenge konstant bleibt. In diesem Sinne wird die Bewegung der Zeit kontinuierlich in Gegenwartszeit umgewandelt. " (S. 450)
 
[Bewegung der Zeit in Gegenwartszeit verwandelt]
" Gegenwärtige Notwendigkeit wird nicht ?automatisch? negiert, sondern paradoxerweise verstärkt. Sie wird zeitlich vorangetrieben als fortwährende Gegenwart, als scheinbar ewige Notwendigkeit. " (S. 451)
" Sie beinhaltet ständig steigende Produktivitätsniveaus, doch der Wertrahmen wird fortwährend aufs Neue rekonstituiert. Eine Konsequenz dieser eigentümlichen Dialektik besteht darin, daß die soziohistorische Wirklichkeit zunehmend auf zwei sehr verschiedenen Ebenen konstituiert wird. Einerseits ist der Kapitalismus, wie ausgeführt, mit einer fortdauernden Transformation des gesellschaftlichen Lebens verbunden -
...
Zum anderen schließt die Entfaltung des Kapitals die fortdauernde Rekonstitution seiner eigenen Grundbedingung als einem unveränderlichen Merkmal des gesellschaftlichen Lebens ein - nämlich, daß die gesellschaftliche Vermittlung letztlich durch Arbeit bewirkt wird. Beide Momente - die fortwährende Transformation der Welt und die Rekonstitution des wertförmigen Rahmens - bedingen einander gegenseitig und sind in sich verschränkt: beide wurzeln in den für den Kapitalismus konstitutiven entfremdeten Verhältnissen, und zusammen definieren sie diese Gesellschaft. "
(S. 451)
 
[Ständige Rekonstitution der eigenen Grundbedingungen]
" Auf dieser sehr grundsätzlichen Ebene stellt der Marxsche Kapitalbegriff den Versuch dar, Wesen und Entwicklung der modernen kapitalistischen Gesellschaft hinsichtlich beider zeitlicher Momente zu erfassen, das heißt den Kapitalismus als eine dynamische Gesellschaft zu analysieren, die sich in konstantem Fluß befindet und doch die ihr zugrundeliegende Identität beibehält. Vor diesem Hintergrund ist es ein Paradox des Kapitalismus, daß er im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformationen eine immanente historische Dynamik besitzt. Diese Dynamik ist durch die konstante Übersetzung historischer Zeit in Gegebenheiten der Gegenwart charakterisiert, wodurch diese Gegenwart verstärkt wird. " (S. 451f)
 
[Kapital als Flußbegriff, Dynamik]
" Die moderne kapitalistische Gesellschaft als die Herrschaft des Werts (und somit die Herrschaft des Kapitals) zu analysieren, bedeutet, sie hinsichtlich zweier scheinbar entgegengesetzter Formen abstrakter gesellschaftlicher Herrschaft zu analysieren: die Herrschaft abstrakter Zeit als der Gegenwart und als einen notwendigen Prozeß fortwährender Transformation. Beide Formen abstrakter Herrschaft wie auch ihr innerer Zusammenhang werden durch das Marxsche >Wertgesetz< erfaßt.
...
Es enthüllt den Kapitalismus als eine Gesellschaft, die durch eine zeitliche Dualität gekennzeichnet ist - einem fortwährenden, sich beschleunigenden Fließen der Geschichte einerseits und einer fortdauernden Umwandlung dieser Bewegung der Zeit in eine konstante Gegenwart auf der anderen. Obwohl gesellschaftlich konstituiert, entziehen sich beide zeitlichen Dimensionen der Kontrolle der sie konstituierenden Akteure und beherrschen diese. "
(S. 452)
 
[Abstrakte Zeit als Gegenwart UND ständige Transformation]
" Diese kurze Untersuchung der Dialektik der beiden Dimensionen der grundlegenden Formen der kapitalistischen Gesellschaft hat gezeigt, wie der Marxschen Analyse zufolge die auf der Verausgabung abstrakter Gegenwartszeit und die auf der Aneignung historischer Zeit beruhende Produktion im Kapitalismus (wobei die historische die abstrakte allmählich ersetzt) keine deutlich unterschiedenen Produktionsweisen sind. Vielmehr sind sie Momente des entwickelten kapitalistischen Produktionsprozesses, deren Interaktion diesen Prozeß konstituiert. Folglich entwickelt sich die Produktion im Kapitalismus nicht linear. " (S. 453)
" Die dialektische Dynamik läßt jedoch die historische Möglichkeit entstehen, daß auf historischer Zeit beruhende Produktion getrennt von der auf abstrakter Gegenwartszeit beruhenden konstituiert werden kann - und daß somit die für den Kapitalismus charakteristische entfremdete Interaktion von Vergangenheit und Gegenwart aufgehoben werden kann. Es ist diese mögliche zukünftige Trennung, die es gestattet, zwischen den beiden Momenten der Produktionssphäre schon in der Gegenwart, das heißt in der kapitalistischen Gesellschaft, zu unterscheiden. " (S. 453)
 
[Trennung von historisch und abstrakter Zeit als Mögl. d. Aufhebung]
" An diesem Punkt kann ich mich erneut der Kategorie der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zuwenden. Wir haben gesehen, daß diese Kategorie die Transformation von konkreter Zeit in abstrakte Zeit im Kapitalismus darstellt, und als solche einen zeitlich normativen Zwang ausdrückt. Meine vorläufige Untersuchung der dem Kapitalismus immanenten Dynamik hat gezeigt, daß dieser auf die Individuen ausgeübte objektive, unpersönliche Zwang nicht statisch ist, sondern selbst fortwährend historisch rekonstituiert wird. Die Produzenten sind nicht nur gezwungen, gemäß einer abstrakten Zeitnorm zu produzieren, sie müssen dies auch auf eine historisch angemessene Art und Weise tun: sie sind dazu gezwungen, »mit der Zeit Schritt zu halten«. Die Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft sehen sich einer historisch determinierten Form abstrakter gesellschaftlicher Notwendigkeit gegenüber, deren Bestimmungen sich historisch verändern - das heißt sie sind konfrontiert mit einer gesellschaftlich konstituierten Form historischer Notwendigkeit. " (S. 453)
" Wenn der Wert die Form gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus ist, sollte gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in einem zusätzlichen Sinne als gesellschaftlich notwendig verstanden werden: sie bezieht sich implizit auf Arbeitszeit, die für das Kapital und somit für die Gesellschaft, so lange sie kapitalistisch ist, notwendig ist, das heißt solange sie durch den Wert als einer Form des Reichtums und den Mehrwert als Produktionsziel strukturiert wird. Diese Arbeitszeit ist demgemäß der Ausdruck einer übergeordneten Form von Notwendigkeit für die kapitalistische Gesellschaft als Ganze ebenso wie für die Individuen, und sollte nicht mit der Form von Notwendigkeit verwechselt werden, auf die sich Marx mit seiner Unterscheidung zwischen »notwendiger« und »Mehr«-Arbeitszeit bezieht.
...
In diesem Sinne sind sowohl >notwendige< als auch >Mehr<-Arbeitszeit der »gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit« in all ihren Verzweigungen subsumiert. "
(S. 454f)
 
[Mehrarbeitszeit ist auch notwendige Arbeitszeit]
" Die Kategorie des Werts, in ihrem Gegensatz zu der des stofflichen Reichtums, bedeutet also, daß die Arbeitszeit der Stoff ist, aus dem im Kapitalismus Reichtum und gesellschaftliche Verhältnisse gemacht sind. Sie bezieht sich auf eine Form gesellschaftlichen Lebens, in der die Menschen von ihrer eigenen Arbeit beherrscht werden und gezwungen sind, diese Herrschaft aufrechtzuerhalten. " (S. 455)
" Marx zufolge sind diese historisch spezifischen Imperative der entscheidende Grund dafür, daß die Arbeit, in ihrem Doppelcharakter als produktive Tätigkeit und historisch spezifische, gesellschaftliche >Substanz<, die Identität des Kapitalismus konstituiert. " (S. 455)
 
[Arbeit im Doppelcharakter konstituiert die Identität des Kapitalismus]

{ Das ist wohl wieder auf Adorno gemünzt. (d.V.)}

" Es dürfte nun klar sein, daß die von mir untersuchte komplexe Dynamik den Kern der Marxschen Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Kapitalismus bildet. Meine Lesart verweist erstens darauf, daß diese Dialektik im Doppelcharakter der die kapitalistische Gesellschaft konstituierenden gesellschaftlichen Formen begründet liegt - in den Wert- und Gebrauchswertdimensionen von Arbeit und gesellschaftlich konstituierter Zeit. Und zweitens, daß sie den abstrakten Zwang zeitlicher Notwendigkeit sowohl in ihren statischen als auch in ihren dynamischen Dimensionen verewigt. Indem ich die grundlegenden Merkmale dieser Dialektik auf einer derartig abstrakten logischen Ebene begründet habe, konnte ich zeigen, daß sie in der Marxschen Analyse weder in einem vermeintlich grundsätzlichen Widerspruch zwischen Produktion und Verteilung angelegt sind, noch im Privateigentum an den Produktionsmitteln - das heißt im Klassenkonflikt. Sie resultiert vielmehr aus den durch die Arbeit im Kapitalismus konstituierten typischen gesellschaftlichen Formen, die diesen Konflikt konstituieren. " (S. 455)
 
[Widerspruch PK//PV nich auf PE an PM beruhend]

{

Er glaubt wirklich es gezeigt zu haben, dabei beruht der Doppelcharakter der Arbeit selbst auf dem Widerspruch privater Produktion und gesellschaftlichem Produkt und somit klar und deutlich auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln. Er versucht hier den klassischen ML auszuhebeln und verschleiert aber selbst diese Grundlegung in einer Art Doppelcharaktermysthik einer selbstreproduzierten Praxisform. Aber die materielle Bedingung dieser Form sind gerade die durch die Eigentumsverhältnisse bestimmten Produktionsverhältnisse. Diese Eigetumsverhältnisse nun wieder stehen im direkten Zusammenhang mit den Klassenverhältnisse, welche so zur Grundlage des Widerspruches werden, im Gegensatz zur Aussage von M.P.. (siehe auch Bohnefeld 'Das Kapital als Subjekt und die Existenz der Arbeit')
Diese andere Sicht auf diesen Widerspruch zwischen PK und PV identifiziert er mit einer Sicht, welche ihn zwischen Produktion und Verteilung sieht. Dies ist aber nicht richtig.
(d.V.)}

" In der Marxschen Analyse liegt der Grund für den widersprüchlichen Charakter des Kapitalismus eben in dem Umstand, daß diese beiden Dimensionen, so verschieden sie auch sein mögen, dennoch als zwei Momente einer einzigen (historisch spezifischen) gesellschaftlichen Form miteinander verbunden sind. Das Ergebnis ist eine dynamische Interaktion, in der sich diese beiden Momente gegenseitig auf eine Weise neu bestimmen, daß ihr Unterschied sich zu einem zunehmend größer werdenden Gegensatz ausweitet. " (S. 456)
" Der Widerspruch zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen wird deshalb als einer zwischen Produktion und Verteilung angesehen, das heißt zwischen bestehenden gesellschaftlichen >Institutionen< und Sphären. In der von mir einwickelten Konzeption liegt dieser Widerspruch jedoch innerhalb dieser >Institutionen<, Sphären und Prozesse. " (S. 457)
" Es ist demnach die Nicht-Identität der beiden Dimensionen der die Basis des Kapitalismus strukturierenden Formen, die eine innere dialektische Dynamik der Gesellschaftsformation beinhaltet und sich als sein Grundwiderspruch entfaltet. Dieser Widerspruch prägt die gesellschaftlichen Prozesse und die Institutionen der kapitalistischen Gesellschaft und begründet immanent die Möglichkeit ihrer geschichtlichen Negation. " (S. 457)
" In seinem Verständnis ist der grundlegende Widerspruch des Kapitalismus nicht der zwischen einer bestehenden Gesellschaftsstruktur oder gesellschaftlichen Gruppierung und einer anderen. Er gründet vielmehr in der kapitalistischen Produktionssphäre selbst, im Doppelcharakter der Produktionssphäre einer Gesellschaft, deren wesentliche Verhältnisse durch Arbeit konstituiert werden. " (S. 457)
" Der grundlegende Widerspruch des Kapitalismus liegt also zwischen den beiden Dimensionen von Arbeit und Zeit. Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchung kann ich diesen Widerspruch beschreiben als einen zwischen dem allgemein-gesellschaftlich Wissen und den Fertigkeiten, deren Akkumulation durch die über Arbeit vermittelte Form gesellschaftlicher Verhältnisse induziert wird, einerseits und dieser Vermittlungsform selbst andererseits. Obwohl die Wertgrundlage der Gegenwart und damit die durch gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ausgedrückte abstrakte Notwendigkeit niemals automatisch überwunden wird, gerät sie zunehmend in Konflikt mit den Möglichkeiten, die der von ihr verursachten Entwicklung innewohnen. " (S. 457)
" Sie hilft auch, drei Formen dialektischer Wechselwirkung zu unterscheiden, die in der Marxschen Analyse miteinander verwoben sind. Die erste, bekannteste und die, auf die sich am häufigsten bezogen wird, ließe sich als Dialektik reflexiver Konstitution durch Objektivierung charakterisieren.
...
Mit anderen Worten, für Marx schließt der Prozeß der Selbstkonstitution einen Prozeß der Externalisierung ein, und zwar sowohl für die Menschheit als auch für die Individuen. Fertigkeiten und Fähigkeiten werden praktisch konstituiert - durch ihre Anwendung.
...
Meine Diskussion des doppelseitigen Charakters der gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus hat jedoch gezeigt, daß dieser Prozeß der Selbstkonstitution durch Arbeit, selbst wenn diese umfassend als jedwede Form veräußerlichender Tätigkeit verstanden wird, nicht zwangsläufig eine historische Entwicklung zur Folge hat. Die materiellen Wechselwirkungen der Menschheit mit der Natur beispielsweise sind nicht unbedingt richtungsgebunden dynamisch. Die Behauptung, daß die reflexiven Auswirkungen der Objektivierung konkreter Arbeit richtungsgebunden sein müßten, entbehrt sowohl theoretischer Begründung als auch historischer Evidenz. Die Arten immanenter Notwendigkeit und richtungsgebundener Logik für die von mir untersuchte dialektische Entwicklung wohnen der Interaktion eines wissenden Subjekts mit seinen Objektivierungen nicht inne - ob diese nun individuell verstanden wird oder als die der Menschheit mit der Natur. Anders gesagt weisen diejenigen Tätigkeiten, die man Formen konkreter Arbeit nennen könnte, in sich keine richtungsgebundene Logik auf. "
(S. 458f)
" In den Spätwerken von Marx gibt es eine zweite dialektische Wechselwirkung der gegenseitigen Konstitution bestimmter Formen gesellschaftlicher Praxis und Struktur. Wie ich bereits festgestellt habe, beginnt Marx im Kapital mit der Entwicklung einer komplexen Dialektik von Tiefenstruktur und Praxis, die durch die Erscheinungsformen der ersteren als auch durch die subjektiven Dimensionen der unterschiedlichen gesellschaftlichen Formen vermittelt ist. Eine derartige Analyse erlaubt es, objektivistische und subjektivistische Interpretationen des gesellschaftlichen Lebens theoretisch zu überwinden, um so deren gültige Momente als auch deren verzerrte Aspekte in beiden Interpretationen aufzuzeigen. " (S. 459)
" Diese beiden dialektischen Wechselwirkungen können in dieser oder jener Form in verschiedenen Gesellschaften existieren. Was Marx zufolge den Kapitalismus von anderen Formen unterscheidet, ist, daß in ihm beide Wechselwirkungen richtungsgebunden dynamisch werden, weil sie in einen inhärent dynamischen Rahmen objektivierter gesellschaftlicher Verhältnisse eingebettet und mit ihm verwoben sind, und der durch eine dritte Art dialektischer Wechselwirkung konstituiert wird - eine Dialektik, die im Doppelcharakter der zugrundeliegenden gesellschaftlichen Formen begründet liegt. " (S. 459)
" Meine Untersuchung der Implikationen der zeitlichen Dimension des Werts hat also gezeigt, daß die Marxsche Analyse die Grundlage einer dialektischen Entwicklungslogik in historisch spezifischen gesellschaftlichen Formen enthüllt. Seine Analyse zeigt, daß es tatsächlich eine Form von Logik in der Geschichte gibt, von historischer Notwendigkeit, aber daß diese nur der kapitalistischen Gesellschaftsformation immanent ist und nicht der menschlichen Geschichte als ganzer. Dies impliziert, daß Marxens späte kritische Gesellschaftstheorie Geschichte nicht als eine Art von Kraft hypostasiert, die alle menschlichen Gesellschaften bewegt. Sie setzt nicht voraus, daß es eine richtungsgebundene Dynamik der Geschichte im allgemeinen gibt. " (S. 459)
 
[Logik der Geschichte gibt es, aber NUR im Kap.]
" Diese Analyse impliziert, daß jede Theorie, die eine immanente Logik der Geschichte als solcher behauptet - ob nun dialektisch oder evolutionär -, ohne diese Logik in einem bestimmten Prozeß gesellschaftlicher Konstitution zu begründen (was einen kaum einlösbaren Anspruch darstellt), die dem Kapitalismus spezifischen Eigenschaften in die Menschheitsgeschichte projiziert. Diese Projektion verdunkelt zwangsläufig die wirkliche gesellschaftliche Grundlage einer richtungsgebundenen Dynamik der Geschichte. Der historische Prozeß wird dadurch vom Gegenstand der Gesellschaftsanalyse zu deren quasi-metaphysischer Voraussetzung. " (S. 459f)
 
[Logik in der Gesch. als solche ist Metaphysik]

9. Der Entwicklungsverlauf der Produktion(» K)

" Der Marxschen Konzeption des Wesens der kapitalistischen Gesellschaft habe ich mich genähert, indem ich die Implikationen seiner Warenanalyse als Analyse der grundlegenden gesellschaftlichen Form des Kapitalismus untersuchte. Auf diese Weise konnten die Ausgangsbestimmungen der inneren historischen Dynamik aufgedeckt werden, die im Doppelcharakter der warenförmigen Arbeit und der zeitlichen Dimension des Werts impliziert sind. Somit konnte begonnen werden, den Marxschen Begriff des Kapitals als eine Kategorie zu bestimmen, die auf eine widersprüchliche und dynamische Struktur entfremdeter gesellschaftlicher Verhältnisse bezogen ist, welche durch Arbeit konstituiert werden. Die Ausführungen dazu haben meine Argumentation, daß die Marxsche Theorie der Zentralität der Arbeit für die kapitalistische Gesellschaft die kritische Theorie einer bestimmten Weise gesellschaftlicher Vermittlung ist, erhärtet und weiter präzisiert: Arbeit im Kapitalismus hat in dieser Theorie gesellschaftliche Bedeutung, die nicht adäquat erfaßt werden kann, wenn Arbeit nur als produktive Tätigkeit verstanden wird, die Menschheit und Natur vermittelt. " (S. 463)

9.1 Mehrwert und >Wirtschaftswachstum<(» K)

" Die Kategorie selbst bezieht sich, wie wir gesehen haben, auf den durch Mehrarbeitszeit erzielten Wert, das heißt die Arbeitszeit, die von den Arbeitern über die zur Erzeugung der für ihre eigene Reproduktion notwendigen Wertmenge benötigten Zeit (notwendige Arbeitszeit) hinaus aufgewendet wird. Die Kategorie des Mehrwerts wurde gewöhnlich so verstanden, daß das gesellschaftliche Mehrprodukt im Kapitalismus nicht aus mehreren >Produktionsfaktoren< resultiert, sondern aus Arbeit allein. Eine solche Interpretation macht geltend, daß diese einzigartige Rolle der Arbeit aufgrund des vertraglichen Charakter der Beziehungen zwischen besitzlosen Produzenten und nicht-produzierenden Besitzern im Kapitalismus verschleiert wird. " (S. 463f)
 
[Kategorie Mehrwert]
" Dieser Wertunterschied tritt nicht offen in Erscheinung. In anderen Worten: weil Ausbeutung im Kapitalismus aufgrund eines derartigen Austausches ausgeübt werde, erscheine sie anders als zum Beispiel die Enteignung des Mehrprodukts in der Feudalgesellschaft - nicht offen. Die Kategorie des Mehrwerts wird verstanden, als enthülle sich in ihr der nicht-manifeste Ausbeutungscharakter des Kapitalismus. " (S. 464)
" Diese Interpretation erfaßt zwar eine bedeutende Dimension der Kategorie, ist aber einseitig, denn sie konzentriert sich sozusagen ausschließlich auf die Enteignung des Mehrwerts, ohne die Implikationen des Mehrwerts ausreichend zu beachten. " (S. 464)
" Seine Analyse setzt sich nicht nur mit der Quelle des Mehrprodukts auseinander, sondern auch mit der Form des produzierten Reichtumsüberschusses. Wie festgestellt, ist Wert eine Kategorie einer dynamischen Totalität. Dieser Dynamik wohnt eine Dialektik von Transformation und Rekonstitution inne, die aus dem Doppelcharakter der Warenform und den beiden strukturellen Imperativen der Wertform des Reichtums resultiert - dem Drang, immer höhere Produktivitätsniveaus zu erreichen und die gleichzeitig notwendige Beibehaltung unmittelbarer menschlicher Arbeit in der Produktion. " (S. 464)
 
[Mehrprodukt in FORM des Mehrwerts]
" Wenn Wert die Form des Reichtums ist, ist das Produktionsziel notwendigerweise Mehrwert. Das heißt das Ziel kapitalistischer Produktion ist nicht einfach Wert, sondern die ständige Vermehrung des Mehrwerts. (MEW 23, 593ff; 605ff) " (S. 465)
 
[Ziel ist nicht Wert sondern Vermehrung des Mehrwerts]
" Es ist deutlich geworden, daß seine Kritik des für den Kapitalismus typischen Prozesses der Akkumulation um der Akkumulation willen (MEW 23, 621) nicht nur die Verteilung, mithin nicht nur die Tatsache kritisiert, daß gesellschaftlicher Reichtum nicht zum Wohle aller genutzt wird. Es handelt sich auch nicht um eine produktivistische Kritik - denn ihre Stoßrichtung ist nicht, darauf hinzuweisen, daß das Problem des Kapitalismus darin besteht, daß der Gesamtertrag an Mehrwert nicht kontinuierlich maximiert werde. Diese Kritik steht nicht auf einem Standpunkt, der eine derartige Maximierung befürwortet. Vielmehr handelt es sich um eine Kritik gerade des Wesens des dem Kapital immanenten Wachstums; um eine Kritik also des Entwicklungsverlaufs der Dynamik selbst. " (S. 465)
 
[Kern der Marxschen Kritik ist die des Entwicklungsverlaufs der Dynamik]
" Betrachtungen der Arbeitsintensität an dieser Stelle einmal beiseitegelassen, »stellt sich der Arbeitstag von gegebner Größe stets in demselben Wertprodukt dar, wie auch die Produktivität der Arbeit, mit ihr die Produktenmasse und daher der Preis der einzelnen Ware wechsle« (MEW 23, 543). In Anbetracht dieser zeitlichen Bestimmung des Werts kann die Vermehrung von Mehrwert - das heißt das systematische Produktionsziel im Kapitalismus - nur erreicht werden, wenn sieht das Verhältnis von Mehrarbeitszeit zur notwendigen Arbeitszeit verändert. " (S. 466)
 
[Notw. Steigerung des relativen Mehrwerts]
" Zwar vermehrt ein gesellschaftlich-allgemeiner Produktivitätszuwachs den innerhalb einer bestimmten Zeitspanne erzeugten Wert nicht, aber er senkt den Wert der für die Reproduktion der Arbeiter benötigten Waren. Anders gesagt, er verringert notwendige Arbeitszeit und läßt dadurch die Mehrarbeitszeit ansteigen. (MEW 23, 331 ff) Als Ergebnis sowohl dieser Beziehung zwischen Produktivität und Steigerung des relativen Mehrwerts als auch der kurzfristigen Wertsteigerung pro Zeiteinheit aufgrund von Produktivitätssteigerung trägt das Kapital Marx zufolge »einen immanenten Trieb und die beständige Tendenz, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern« (MEW 23, 338) in sich. " (S. 467)
" Diese Arbeitszeit erscheint jetzt eindeutig als Ausgangsbestimmung der dem Kapitalismus eigentümlichen Dynamik, als Ausgangspunkt für den Marxschen Versuch, diese Dynamik zu erfassen und zu erklären. Obwohl die Steigerung der Produktivität zu einer direkt proportionalen Zunahme stofflichen Reichtums führt, läßt sie, ist der Arbeitstag erst einmal begrenzt, den Mehrwert nur indirekt durch eine Senkung der notwendigen Arbeitszeit steigen. Sie resultiert nicht in unmittelbar korrelierenden Zuwächsen an Reichtum, der gesellschaftlich angeeignet werden könnte, oder in einer Verkürzung der Arbeitszeit (was der Fall sein könnte, wenn stofflicher Reichtum die dominante gesellschaftliche Form des Reichtums wäre). " (S. 467)
" Da der pro Zeiteinheit erzielte Gesamtwert darüber hinaus nicht mit den gesellschaftlich-allgemeinen Zuwächsen der Produktivität ansteigt, stellt er eine Grenze für die Vermehrung des Mehrwerts dar: die pro Zeiteinheit erzielte Mehrwertmasse kann diese Summe nie überschreiten, unabhängig von der erreichten Stufe der Produktivität. Tatsächlich kann noch nicht einmal diese Grenze selbst erreicht werden, da, auf einer allgemeinen gesellschaftlichen Ebene betrachtet, das Kapital die notwendige Arbeitszeit niemals vollständig überflüssig machen kann. " (S. 467)
 
[GW-Grenze der MW-Produktion]
" Mit anderen Worten, er argumentiert, daß, je näher die erzielte Menge an Mehrwert an die Grenze des pro Zeiteinheit erzielten Gesamtwerts herankommt, es desto schwieriger wird, notwendige Arbeitszeit weiterhin mittels zunehmender Produktivität zu senken und dadurch eine Steigerung des Mehrwerts zu erzielen. Dies aber bedeutet: je höher die allgemeine Stufe der Mehrarbeitszeit und damit zusammenhängend der Produktivität ist, desto höher muß die Produktivität steigen, um eine bestimmte Zunahme der Mehrwertmasse pro bestimmtem Kapitalanteil zu realisieren. " (S. 468)
" Sie weist zusätzlich daraufhin, daß die Wertform des Mehrprodukts nicht nur dauerhaft Produktivitätssteigerungen verursacht, sondern daß die für das Kapital notwendige Ausweitung des Mehrwerts auch eine Tendenz zu beschleunigten Zuwachsraten in der Produktivität impliziert. Kapital tendiert dazu, eine konstante Beschleunigung des Produktivitätswachstums zu erzeugen. Es sollte festgehalten werden, daß dieser Analyse zufolge die Produktivität genau deshalb so enorm steigt, weil höhere Produktivitätsniveaus den Mehrwert nur indirekt ansteigen lassen. Bezogen auf die Produktivität bedeutet der Unterschied zwischen den beiden Formen des Reichtums, daß einerseits die durch die Kapitalakkumulation verursachte, ständig ansteigende Produktivität direkt damit korrespondierende Zuwächse bezüglich der Menge der produzierten Produkte und der in der Produktion verbrauchten Rohmaterialien zur Folge haben. Andererseits, da das gesellschaftliche Mehrprodukt im Kapitalismus Wert und nicht stofflicher Reichtum ist, kommt es im Ergebnis - entgegen dem Anschein - nicht zu einem entsprechenden Zuwachs beim Mehrprodukt. Die ständig steigenden Mengen des unter dem Kapitalismus produzierten stofflichen Reichtums korrespondieren nicht mit entsprechenden Niveaus wertförmigen gesellschaftlichen Reichtums. " (S. 468f)
 
[Tendenz des beschleunigten Zuwachses]
" Für Marx hat dieses Wachstumsrnuster zwei Seiten: es bewirkt zum einen die beständige Erweiterung der produktiven Fähigkeiten der Menschheit. Doch diese Erweiterung hat, da sie an eine entfremdete dynamische gesellschaftliche Struktur gebunden ist, zum anderen eine beschleunigende, grenzenlose, flüchtige Form, die die Menschen nicht unter Kontrolle haben. " (S. 470)
" Nach Marx leitet sich die wachsende Zerstörung der Natur im Kapitalismus nicht einfach daraus ab, daß die Natur für die Menschheit zum Objekt geworden sei; vielmehr ist sie zuerst ein Ergebnis der Art von Objekt, zu dem die Natur geworden ist. Marx zufolge sind Rohmaterialien und Produkte im Kapitalismus nicht nur konstitutiv für den stofflichen Reichtum, sondern auch Träger von Wert. Das Kapital produziert stofflichen Reichtum als ein Mittel, um Wert zu erzeugen. Folglich verbraucht es gegenständliche Natur nicht nur als Grundstoff von stofflichem Reichtum, sondern auch als Mittel, seine eigene Selbstexpansion mit Energie zu versorgen - das heißt als ein Mittel, um aus der arbeitenden Bevölkerungsoviel Mehrarbeitszeit wie möglich heraus zu pressen und zu absorbieren. " (S. 470)
 
[Zerstörung als kapitalismusspeziphisch nicht transhistorisch]
" Es erlangt die Form einer beschleunigten Transformation von qualitativ besonderen Rohmaterialien zu »Sachen«, zu qualitativ homogenen Trägern objektivierter Zeit. " (S. 471)
" Das Problem der Kapitalakkumulation besteht nicht nur darin, daß sie ungleichgewichtig und krisenhaft ist, sondern auch darin, daß die ihr zugrundeliegende Wachstumsform durch eine aus dem Ruder geratene Produktivität gekennzeichnet ist, die weder von den Produzenten kontrolliert wird noch direkt deren Nutzen dient. Diese besondere Art von Wachstum wohnt einer Gesellschaft, die auf Wert beruht, inne und kann nicht allein aus fehlgeleiteten Ansichten oder falsch gesetzten Prioritäten erklärt werden. " (S. 471)
" In der Marxschen Analyse hängen die notwendige Kapitalakkumulation und die Schaffung des Reichtums der kapitalistischen Gesellschaft ihrem Wesen nach miteinander zusammen. Darüber hinaus und dieses Thema kann ich hier nur streifen - bleiben die Lohnarbeiter, da Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft notwendiges Mittel zur individuellen Reproduktion ist, abhängig vorn >Wachstum< des Kapitals, selbst wenn die Folgen ihrer Arbeit, ökologische oder ander weitige, für sie selbst und andere schädlich sind. Das Spannungsverhältnis zwischen den Erfordernissen der Warenform und den ökologischen Notwendigkeiten verschärft sich, wenn die Produktivität steigt, und stellt insbesondere während ökonomischer Krisen und Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein schweres Dilemma dar. Dieses Dilemma und die Spannung, in der es seine Ursache hat, sind dem Kapitalismus immanent. Eine endgültige Lösung wird es, solange der Wert die bestimmende Form gesellschaftlichen Reichtums bleibt, nicht geben. " (S. 471f)
 
[Immanentes Dilemma der Wertproduktion]
" Vielmehr analysiert er diesen Prozeß und diese Muster als ihrem Wesen nach gesellschaftlich, strukturiert durch die gesellschaftlichen Vermittlungsformen und ausgedrückt in den Kategorien von Ware und Kapital. " (S. 472)
" In dieser Hinsicht sollte festgehalten werden, daß die Konkurrenz unter den Kapitalien zwar zur Erklärung der Existenz von Wachstum herangezogen werden kann (Mandel 1972, 25), daß es in der Marxschen Analyse aber die zeitliche Bestimmung des Werts ist, die der Form dieses Wachstums zugrundeliegt. Das besondere Verhältnis zwischen Produktivitätssteigerung und Vermehrung des Mehrwerts prägt den zugrundeliegenden Entwicklungsverlauf des Wachstums im Kapitalismus. Dieser Entwicklungsverlauf kann im Rückgriff auf Markt und Privateigentum schon deshalb nicht hinreichend erklärt werden, weil sich aus ihm ergibt, daß ökonomisches Wachstum auch bei einer Abwesenheit von Markt und Privateigentum notwendigerweise die Form annehmen würde, die durch Produktivitätssteigerungen, die viel größer sind als die sie bewirkenden Zuwächse an gesellschaftlichem Reichtum, gekennzeichnet ist - und dies gilt so lange, wie gesellschaftlicher Reichtum letztlich eine Funktion der Verausgabung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit bleibt. " (S. 472)
" Der Marxschen kritischen Theorie zufolge wäre zur Abschaffung sowohl des beschleunigten, blinden Prozesses ökonomischen >Wachstums< als auch des dem Kapitalismus eigenen sozioökonomischen Wandels sowie seines krisenhaften Charakters die Abschaffung des Werts unabdingbar. Die Aufhebung dieser entfremdeter Formen würde notwendigerweise die Errichtung einer Gesellschaft erfordern, die auf stofflichem Reichtum beruht und in der ein Zuwachs an Produktivität einen damit korrespondierenden Zuwachs an gesellschaftlichem Reichtum zur Folge hätte. Eine derartige Gesellschaft könnte durch eine Wachstumsform charakterisiert sein, die sich vom kapitalistischen Wachstum erheblich unterscheidet.
...
Insoweit seine Analyse des Werts als der bestimmenden Form des Reichtums und der gesellschaftlichen Vermittlung in der kapitalistischen Gesellschaft zutrifft, verweist sie auf die Möglichkeit der Aufhebung dieses Gegensatzes. "
(S. 473)
 
[Aufhebung dieser Dynamik = notw. Aufhebung des Wertes]

9.2 Die Klassen und die Dynamik des Kapitalismus(» K)

" Die bisher entwickelten Bestimmungen geben auch dem Problem der Klassen und des Klassenkonflikts, wie es im Marxschen Spätwerk behandelt worden ist, eine den gängigen Interpretationen gegenüber veränderte Bedeutung. Meine Erörterung hat deutlich gemacht, daß sich die dem Kapitalismus innewohnenden Dynamik gesellschaftlicher Verhältnisse, ausgedrückt in den Kategorien von Wert und Mehrwert, für Marx auf objektivierte Formen gesellschaftlicher Vermittlung bezieht und nicht ausschließlich im Sinne ausbeutender Klassenverhältnisse verstanden werden kann. Dennoch spielen hinsichtlich der historischen Entfaltung dieser Gesellschaft Klassenverhältnisse auch für Marx eine sehr bedeutende Rolle. " (S. 473f)
 
[Dynamik nicht ausschließlich auf Klassen begründet]
" die Kategorie Klasse beschreibt ein modernes gesellschaftliches Verhältnis, das quasi-objektiv durch Arbeit vermittelt wird. Der Klassenkonflikt im Kapitalismus ist der Kritik der politischen Ökonomie zufolge durch die gesellschaftlichen Formen der Ware und des Kapitals strukturiert und in sie eingebettet. " (S. 474)
 
[Klassenverhältnis in die Form der Ware und Kapital eingebettet]
" Marx führt Klassenverhältnisse im ersten Band des Kapitals im Verlauf der Analyse der Kategorie des Mehrwerts ein, und zwar bei der Darstellung der Beziehung zwischen der Kapitalisten- und der Arbeiterklasse. So wie sie jedoch dargestellt wird, ist der theoretische Status dieser Beziehung keineswegs aus sich heraus verständlich. Die betreffende Passage wurde häufig als eine Beschreibung der Struktur gesellschaftlicher Gruppierungen in der kapitalistischen Gesellschaft gelesen oder, alternativ, als Beschreibung einer historischen Tendenz, derzufolge die Bevölkerung in zwei gesellschaftliche Gruppierungen, eine kleine Kapitalisten- und eine große Proletarierklasse, aufgespalten werde. " (S. 474)
" Auch die zweite Interpretation - die Behandlung der Klasse im ersten Band des Kapitals sei die Beschreibung einer historischen Tendenz - ist im Licht der jüngsten gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen, insbesondere der Abnahme der relativen Größe der Industriearbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften und dem Anwachsen der neuen Mitteiklassen aus Gehaltsempfängern, zunehmend kritisiert worden. " (S. 474)
" Dennoch bestand seine grundsätzliche Absicht im Kapital nicht darin, ein vollständiges Bild der soziologischen Struktur der kapitalistischen Gesellschaft zu entwerfen, sei es ein statisches oder eines, das die Entwicklung nachzeichnet. Vielmehr muß die Bedeutung des Klassenverhältnisses, wie von Marx im ersten Band des Kapitals dargestellt, auch im Sinne der Hauptstoßrichtung seiner Argumentation verstanden werden. " (S. 476)
" Das Klassenverhältnis wurde, in anderen Worten, als das grundlegendste gesellschaftliche Verhältnis des Kapitalismus verstanden. Wie in der vorliegenden Studie dargelegt, begreift Marx die grundlegenden Verhältnisse im Kapitalismus aber von einer logisch tieferen Analyseebene aus. Er beschäftigt sich damit, wie die gesellschaftliche Vermittlung in dieser Gesellschaft konstituiert wird. Dies wirft die Frage auf, welche Beziehung in seiner Analyse zwischen dem Begriff der Klasse und dem spezifischen Charakter der gesellschaftlichen Vermittlung besteht. " (S. 476)
" Weiteren Aufschluß bringt die Untersuchung, auf welche Art und Weise Marx den Begriff des Klassenkonflikts im Kapital einführt. Dieser Begriff kann sich auf eine große Bandbreite kollektiver sozialer Kämpfe beziehen: zum Beispiel auf revolutionäres Handeln oder zumindest auf hochpolitisiertes gesellschaftliches Handeln, das darauf zielt, politische, soziale und ökonomische Ziele mittels Massenmobilisierungen, Streiks, politische Kampagnen usw. durchzusetzen. Daneben gibt es jedoch auch eine >Alltags-< Ebene des Klassenkonflikts. Es ist genau diese Ebene, die Marx in seiner Analyse der Mehrwertformen zuerst dem Kapitalismus inhärent einführt. " (S. 477)

{ Nicht die Warenform konstituiert die Klassen, sondern das Privateigentum die Klassen und die Warenform. (d.V.)}

" Mit anderen Worten, Klassenkonflikt und ein durch Warenaustausch strukturiertes System beruhen nicht auf entgegengesetzten Prinzipien. Ein derartiger Konflikt stellt keine Störung in einem ansonsten harmonischen System dar. Im Gegenteil ist er einer durch die Ware als einer totalisierenden und totalisierten Form konstituierten Gesellschaft inhärent. " (S. 478)
" Die Beziehung zwischen Arbeitern und Kapitalisten ist durch eine ihr inhärente Unbestimmtheit gekennzeichnet, zum Beispiel hinsichtlich der Länge des Arbeitstages, dem Wert der Arbeitskraft und dem Verhältnis zwischen notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit. Da solche Bestimmungen der Beziehung nicht >vorgegeben< sind und deshalb jederzeit Gegenstand von Verhandlung und Kampf sein können, beruht die Beziehung zwischen den Produzenten des gesellschaftlichen Mehrprodukts und dessen Aneignern im Kapitalismus im wesentlichen nicht auf direkt ausgeübtem Zwang oder auf festen traditionellen Mustern. Vielmehr wird sie letztlich auf ganz andere Art und Weise konstituiert - Marx zufolge durch die Warenform gesellschaftlicher Vermittlung. " (S. 478)
" Als die Form einer >objektiven< gesellschaftlichen Antinomie ist sie auch eine Bestimmung des Selbstverständnisses der betroffenen Parteien. Sie denken sich selbst als Besitzer von Rechten - haben also eine Vorstellung von sich selbst, die für den Charakter der damit verbundenen Kämpfe konstitutiv ist. Der Klassenkonflikt zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern ist auch in der spezifischen Art und Weise angelegt, wie Bedürfnisse und Ansprüche in einem durch die Ware strukturierten gesellschaftlichen Kontext verstanden und artikuliert werden - das heißt in den verschiedenen Formen gesellschaftlicher Selbst- und Rechtsvorstellungen, die mit einer so strukturierten Beziehung zusammenhängen. Diese Selbstvorstellungen entstehen nicht automatisch, sondern werden historisch konstituiert. Ihre Inhalte sind auch nicht bloß zufällig, sondern die Warenförmigkeit der gesellschaftlichen Vermittlungsweise ist ihnen vorausgesetzt. " (S. 479)
 
[Gesellschaftlichen Antinomie - Selbstverständnis wird von Warenform konstituiert]
" Wie bereits bei der Behandlung der Arbeitskraft als einer Ware festgestellt, kann die durch die Warenform konstituierte Beziehung nicht vollständig begriffen werden, wenn sie als eine Beziehung allein zwischen Individuen verstanden wird. Nur durch kollektives Handeln können Arbeiter eine gewisse wirksame Kontrolle über ihre Ware -das heißt effektiven Warenbesitz erlangen. " (S. 479)
" In der Marxschen Analyse bezieht sich also die Kategorie der Ware, wie sie in der Kapitalform entfaltet ist, nicht nur auf die quasi-objektiven Zusammenhänge atomisierter Individuen, sondern auch auf große kollektive gesellschaftliche Strukturen und Institutionen. Umgekehrt steht die Entwicklung kollektiver Formen nicht an und für sich in einem Gegensatz oder Spannungsverhältnis zu den strukturierenden gesellschaftlichen Verhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft. Anders gesagt: die Marxsche Kapitaltheorie beschränkt sich nicht auf den liberalen Kapitalismus. " (S. 479f)
" Innerhalb eben dieses dynamischen Gefüges tritt der dem Klassenverhältnis implizite Antagonismus in der Form fortwährender Konflikte in Erscheinung, die ihrerseits zu Momenten der Entwicklung der Totalität werden. Diese Konflikte bleiben nicht auf Fragen von Arbeitsstunden und Löhnen beschränkt, sondern drehen sich um ein breites Spektrum von Streitpunkten, wie Beschaffenheit und Intensität des Arbeitsprozesses, Einsatz von Maschinen, Arbeitsbedingungen, soziale Leistungen und Rechte der Arbeiter. Sie werden zu wesentlichen Aspekten des alltäglichen Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft. " (S. 480)
" Derartige Konflikte wirken sich unmittelbar auf das Verhältnis von notwendiger Arbeitszeit zu Mehrarbeitszeit aus und spielen deshalb in der Dialektik von Arbeit und Zeit, wie sie hier bereits untersucht wurde, eine bedeutende Rolle. Da solche Konflikte überdies durch eine totalisierende Form vermittelt werden, ist ihre Bedeutung nicht lokal begrenzt: Produktion und Zirkulation des Kapitals wirken in der Weise, daß Konflikte, die in einem Sektor oder geographischen Gebiet auftreten, auch andere Sektoren oder Gebiete beeinflussen. " (S. 480)
 
[Klassenverhältnis im Zus. mit Dialektik Arbeit und Zeit]
" Der Konflikt wird zu einem fortwährenden Merkmal dieser Beziehung. Andererseits wird der Klassenkonflikt zu einem wichtigen Faktor in der räumlichen und zeitlichen Weiterentwicklung des Kapitals, nämlich bei der zunehmend globalisierten Distribution und Kapitalbewegung sowie bei der dialektischen Dynamik der Kapitalform. Der Klassenkonflikt wird zu einem treibenden Element der historischen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft. " (S. 481)
 
[Klassenverhältnis als treibendes Moment der histor. Entw.]
Und hier gleich die Einschränkung:
" Zwar spielt der Klassenkonflikt bei der Ausdehnung und Dynamik des Kapitalismus eine wesentliche Rolle, er erzeugt aber weder die Totalität noch läßt er dessen Entwicklungsverlauf entstehen. Wir haben gesehen, daß es der Marxschen Analyse zufolge nur an der spezifischen, quasi-objektiven und zeitlich dynamischen Form gesellschaftlicher Vermittlung liegt, daß die kapitalistische Gesellschaft als eine Totalität existiert und über eine inhärente, richtungsgebundene Dynamik (deren Ausgangsbestimmungen hier als Dialektik von Transformation und Rekonstruktion erfaßt wurden) verfügt. Diese Charakteristika der kapitalistischen Gesellschaft können nicht aus den Kämpfen der Produzenten und Aneigner selbst begründet werden. Die Kämpfe besitzen die Rolle, die sie spielen, wegen der für diese Gesellschaft spezifischen Vermittlungsform. Das bedeutet, daß der Klassenkonflikt nur deswegen eine treibende Kraft der historischen Entwicklung im Kapitalismus ist, weil er durch die gesellschaftlichen Formen von War " (S. 481)
 
[Klassenkonflikt erzeugt nicht die Totalität sondern die histor. Vermittlungsform im Kap.]

{ Hier mit wird ganz klar der treibenden Kraft der Klassengegensätze in der Geschichte - als Geschichte der Klassenkämpfe (Marx) - eine Absage erteilt. Wieder findet die Einschränkung auf die dem Kapitalismus immanente Form statt und selbst hier nur auf Grund der Warenförmigkeit des Gesamtzusammenhanges. Aber jede Gesellschaft ist in ihrem Produktionszusammenhang eine Totalität der Gesamtarbeit. (d.V.)}

" So gefaßt gründet die Idee, der Klassenkampf sei die treibende Kraft der Geschichte, in den Begriffen historisch bestimmter Vermittlungsformen, wobei zugleich der Begriff der Klasse selbst spezifiziert werden soll. Selbstredend ist Klasse in der Marxschen Theorie eine relationale Kategorie - Klassen werden schließlich in ihrem Verhältnis zu anderen bestimmt. Der Antagonismus zwischen produzierenden und aneignenden gesellschaftlichen Gruppierungen, der durch deren bestimmtes Verhältnis zu den Produktionsmitteln strukturiert wird, ist für die Marxsche Klassenanalyse zentral. Unter Bezugnahme auf die Formen gesellschaftlicher Vermittlung, wie von mir analysiert, kann jedoch der Begriff der Klasse noch weiter spezifiziert werden. " (S. 482f)
" In der Marxschen Analyse ist die dialektische Struktur kapitalistischer gesellschaftlicher Beziehungen von zentraler Bedeutung. Sie totalisiert die antagonistische Beziehung zwischen Arbeitern und Kapitalisten und verleiht ihr Dynamik, wodurch sie als Klassenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital konstituiert wird. Dieser Konflikt wiederum ist ein konstituierendes Moment des dynamischen Entwicklungsverlaufs des gesellschaftlichen Ganzen. Genau genommen sind Klassen relationale Kategorien der modernen Gesellschaft. Sie sind durch bestimmte Formen gesellschaftlicher Vermittlung als antagonistische Momente einer dynamischen Totalität strukturiert, und werden folglich in ihrem Konflikt dynamisiert und totalisiert. " (S. 483)
 
[Klassenkonflikt als Moment einer totalisierenden Dynamik - relationale Kategorie]
" Der Klassenkonflikt zwischen Arbeitern und Kapitalisten, wie er im ersten Band des Kapitals entwickelt wird, ist also ein Moment der fortwährenden, totalisierenden Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft. Er ist durch die gesellschaftliche Totalität strukturiert und konstituiert sie. Die beteiligten Klassen sind keine Entitäten, sondern strukturierte und strukturierende Elemente des gesellschaftlichen Handelns und Bewußtseins, die, im Verhältnis zur Produktion von Mehrwert, antagonistisch organisiert sind: sie werden durch die dialektischen Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft konstituiert und treiben deren Entwicklung - die Entfaltung ihres grundsätzlichen Widerspruchs ? voran. " (S. 483)
 
[Dialekische Struktur der Gesell. konstituiert diese Klassen]
" Die Ebene, auf der der Klassenkonflikt in der Marxschen Analyse eine zentrale Rolle spielt, ist die des historischen Entwicklungsverlaufs der kapitalistischen Gesellschaftsformation als ganzer. " (S. 483)
" Die Bestimmungen von Klasse zum Beispiel das Proletariat als die Eigentümer der Ware Arbeitskraft und als Objekte des Verwertungsprozesses - sind nicht einfach >Standort<-Bestimmungen, sondern Bestimmungen sowohl gesellschaftlicher Objektivität als auch von Subjektivität. Daraus ergibt sich eine Kritik an Theorien, die Klasse zunächst >objektiv< definieren - als Standort in einer gesellschaftlichen Struktur - und anschließend die Frage aufwerfen, wie sich die Klasse >subjektiv< selbst konstituiert. Normalerweise folgt daraus, daß Objektivität und Subjektivität nur äußerlich, vermittels des Begriffs >Interesse<, verbunden werden. " (S. 484)
 
[Sowohl obj. als auch subj. Bestimmungen der Klassen]
" Wenn die Ausgangsbestimmung von Klasse bei Marx nicht die eines objektiven Standorts, sondern eine von Objektivität und Subjektivität ist, muß die Frage nach der subjektiven Dimension einer besonderen Klassenbestimmung von der Frage nach den Bedingungen, unter denen viele Menschen als Mitglieder einer Klasse handeln, unterschieden werden. Letzteres kann ich hier nicht ansprechen, was aber ersteres betrifft, so kann die subjektive Dimension von Klasse - selbst auf der Ebene ihrer Ausgangsbestimmung - nicht allein in bezug auf das Bewußtsein von den kollektiven Interessen verstanden werden, sondern die jeweiligen Vorstellungen von diesen Interessen, wie auch der Begriff des Interesses selbst, sind zuvor auch als gesellschaftliche und historische zu erfassen. " (S. 484f)
" Ich habe versucht zu zeigen, warum den Marxschen Kategorien gemäß Bewußtsein kein bloßer Reflex objektiver Bedingungen ist, sondern die Kategorien, soweit sie die für den Kapitalismus charakteristischen, grundlegenden gesellschaftlichen Vermittlungen ausdrücken, Bewußtseinsformen als innere Momente der Formen gesellschaftlichen Seins ausweisen. Deshalb umfassen Klassenbestimmungen für Marx gesellschaftlich und historisch bestimmte Subjektivitätsformen - zum Beispiel Sichtweisen auf die Gesellschaft und das Selbst, Wertesysteme, Handlungsverständnisse, Vorstellungen über den Ursprung gesellschaftlicher Mißstände und mögliche Wege, diese abzustellen -, die in den Formen gesellschaftlicher Vermittlung, wie sie eine bestimmte Klasse jeweils unterschiedlich konstituieren, angelegt sind. In diesem Sinne ist die Kategorie der Klasse Moment eines Vorgehens, das versucht, die historische und gesellschaftliche Bestimmtheit verschiedener gesellschaftlicher Vorstellungen und Forderungen sowie von Handlungsformen zu erfassen. " (S. 486)
 
[Marxsche Kategorien als INNERE Momente der Formen des gesell. Seins]
" Die Klasse, die durch die gesellschaftlichen Formen strukturiert wird und als solche ein Bewegungsmoment der kapitalistischen gesellschaftlichen Totalität bildet, ist also auch eine Sinn und gesellschaftliches Bewußtsein strukturierende Kategorie. " (S. 486)
" Der Charakter gesellschaftlicher und politischer Forderungen oder die bestimmten Formen der mit diesen Forderungen verbundenen Kämpfe beispielsweise können also gesellschaftlich und historisch mithilfe des Klassenbegriffs verstanden und erklärt wurde - vorausgesetzt allerdings, daß dieser auf die kategorialen Formen bezogen wird. " (S. 486)
" Dieser über Klassen als strukturierten und strukturierenden Bestimmungen vermittelte, die Formen gesellschaftlicher Verhältnisse noch übergreifende Zugang zur Subjektivität, ist also ein Versuch, Subjektivitätsformen gesellschaftlich und historisch zu erfassen. Weil damit - und das ist entscheidend - darüber hinaus Formen der Subjektivität im Kapitalismus und die dynamische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft mit den gleichen Kategorien analysiert werden, können auch Denkformen hinsichtlich der Angemessenheit ihres Selbstverständnisses und ihres Verständnisses der Gesellschaft kritisch betrachtet werden.6 Der Standpunkt einer solchen Kritik bleibt ihrem Gegenstand immanent (wobei, wie gezeigt, eine derartige immanente Kritik nicht die Ideale einer Gesellschaft ihrer Wirklichkeit entgegen halten sollte). Vor dem Hintergrund einer derartigen Analyse der kategorialen Bestimmungen von Klasse - als gesellschaftliche und historische Bestimmungen des gesellschaftlichen Seins und Bewußtseins - wären Fragen hinsichtlich der konkreteren gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Konstitution einer Klasse, nach kollektivem Handeln und dem Selbstverständnis zu stellen. Ich kann jedoch kaum mehr tun, als auf diese komplexen Themen hinzuweisen und werde sie in dieser Arbeit nicht weiter entwickeln. " (S. 486f)
" (Fussnote 6) Die von mir hier skizzierte Vorgehensweise verweist auf ein Verständnis kollektiver gesellschaftlicher und politischer Handlungen, das weder von einer Vorstellung eines kollektiven Subjekts noch von gesellschaftlich, historisch und kulturell aus dem Kontext gerissenen Individuen ausgeht, die auf der Grundlage von Interessen handelten. Er unterscheidet sich von dieserart klassenzentrierten Interpretationen, die versuchen, soziologischen Klassenhintergrund und politisches Handeln in eine direkte Wechselbeziehung zu bringen. Derartige Interpretationen schreiben der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppierung genau die Art von quasi-objektivem Charakter zu, den Marx als Charakteristikum der entfremdeten Formen der gesellschaftlichen Vermittlung im Kapitalismus ansieht. " (S. 488)
" Die hier präsentierte Interpretation modifiziert die zentrale Bedeutung, die den Klassenverhältnissen als Verhältnis von Ausbeutung und Konflikt traditionell zugeschrieben wird, tiefgreifend. Ich habe gezeigt, daß der Klassenkonflikt in der späten Marxschen Analyse nur wegen des inneren dynamischen Charakters der gesellschaftlichen Verhältnisse, die diese Gesellschaft konstituieren, ein treibendes Element der historischen Entwicklung des Kapitalismus ist. Der Antagonismus zwischen unmittelbaren Produzenten und Eigentümern der Produktionsmittel erzeugt nicht aus sich selbst heraus eine derartige fortdauernde Dynamik. " (S. 488f)
 
[Klassenkonflikt erzeugt nicht die Dynamik, ist nur ihr Ausdruck und Moment]

{ Aber gerade der transhistorische Begriff der gesellschaftlichen Verhältnisse begründet den transhistorischen Begriff der Klassen in der Gesellschaft entsprechend den verschiedene Eigentumsformen, von denen das kapitalistische Privateigentum nun wieder auch nur eine spezielle historische Form darstellt. (d.V.)}

" Die Marxsche Analyse des Entwicklungsverlaufs des kapitalistischen Produktionsprozesses verweist jedoch nicht auf die zukünftige Möglichkeit einer Affirmation des Proletariats und der von ihm verrichteten Arbeit. Ganz im Gegenteil verweist sie auf die Möglichkeit der Abschaffung dieser Arbeit. Anders gesagt widerspricht die Marxsche Darstellung implizit der Vorstellung, das Verhältnis zwischen der Kapitalisten- und der Arbeiterklasse komme dem zwischen Kapitalismus und Sozialismus gleich, der mögliche Übergang zum Sozialismus würde durch den Sieg des Proletariats im Klassenkampf(im Sinne seiner Selbstaffirmation als einer arbeitenden Klasse) bewirkt und Sozialismus bedeute die Selbstverwirklichung des Proletariats. " (S. 489)
 
[Sozialismus ist nicht Selbstverwirklichung des Proletariats]

{ Wohl aber die Selbstaufhebung seiner als Klasse, negativ die Aufhebung des Privilegs der Aneignung fremder Arbeit über Kapital und Ausbeutung. Es ist die Aufhebung aller Warenformen: Ware, Geld, Kapital, Lohnarbeit. Wobei seine Kritik am Staatssozialismus uneingeschränkt zu teilen wäre. (d.V.)}

" (Fussnote 7) Orthodoxe Varianten des traditionellen Marxismus können im Sinne meiner Erörterung als Denkformen verstanden werden, in deren Vision einer zukünftigen Gesellschaft alle zu Mitgliedern der Arbeiterklasse werden würden eine Vision, die notwendigerweise die institutionalisierte Universalisierung des Kapitals (zum Beispiel in der Form des Staates) impliziert. " (S. 489)
 
[Kritik: Sozialismus = alle sind Arbeiter -> Staat]

9.3 Produktion und Verwertung(» K)

" Die Rekonstruktion der grundlegendsten Kategorien der Marxschen Kritik und die konsequente Neuinterpretation der dynamischen Wechselwirkungen der beiden Dimensionen der Warenform wirft auch ein neues Licht auf die Marxsche Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses. Auf der Grundlage des bisher Entwickelten werde ich nun die Marxsche Behandlung des Arbeitsprozesses im Kapitalismus betrachten. Dabei verfolge ich zwei Ziele: erstens geht es mir um eine Erklärung wichtiger Dimensionen seines Kapitalbegriffes, die noch nicht erörtert wurden, und zweitens um die Stützung meiner Auffassung, daß die argumentative Stoßrichtung seiner Darstellung impliziert, daß die Aufhebung des Kapitalismus nicht die Selbstverwirklichung des Proletariats bedeuten würde: Der Logik der Marxschen Darstellung liegt keineswegs die Vorstellung vom Proletariat als revolutionärem Subjekt zugrunde. " (S. 490)
 
[Proletariat nicht als revolutionäres Subjekt]
" Dies geschieht, indem er den Produktionsprozeß gleichermaßen als Arbeitsprozeß (als Prozeß der Produktion stofflichen Reichtums) analysiert wie als Verwertungsprozeß (als Prozeß der Schaffung von Mehrwert). Mit der Einführung dieser beiden Dimensionen des Produktionsprozesses zeigt er, wie die Bedeutung der verschiedenen Elemente des Arbeitsprozesses sich wandeln, sobald man sie vom Standpunkt des Verwertungsprozesses aus betrachtet. Als Arbeitsprozeß scheint Arbeit eine zielgerichtete Tätigkeit zu sein, die mittels Werkzeugen Rohmaterialien auf bestimmte Zwecke hin zurichtet. Vom Verwertungsprozeß aus liegt die Bedeutung der Arbeit jedoch darin, daß sie - ungeachtet ihres Zwecks, ihrer qualitativen Besonderheit, der Eigenart der verwendeten Rohmaterialien und der erzeugten Produkte - Quelle des Mehrwerts ist. Arbeit wird von ihrem konkreten Zweck abgetrennt und wird Mittel zu einem Zweck, der von den durch die >abstrakte< Arbeit selbst konstituierten, entfremdeten Strukturen vorgegeben ist. So gesehen ist Arbeit in Wirklichkeit gar nicht Mittel, sondern selbst Zweck der Produktion. " (S. 490f)
 
[Arbeits- und Verwertungsprozess]
" Er zeigt, daß der Arbeitsprozeß anfänglich nur deshalb kapitalistisch ist, weil er dem Zweck der Verwertung dient - der Verwertungsprozeß bleibt dem Arbeitsprozeß selbst zunächst äußerlich. Mit der Weiterentwicklung des Kapitalismus wird der Arbeitsprozeß jedoch zunehmend von innen heraus vom Verwertungsprozeß bestimmt. (MEW 23, 341; 386; 454) Industrielle, maschinelle Produktion ist die Form des Arbeitsprozesses, die der Produktion von relativem Mehrwert entspricht (MEW 23, 533).

Diese Materialisierung des Verwertungsprozesses ist - ähnlich wie die eigentümliche historische Dynamik, die in der Kategorie des Mehrwerts erfaßt wird - letztlich strukturell in der Dialektik der beiden Dimensionen der Warenform angelegt. Diese These ausarbeitend werde ich zeigen, daß ebenso wie die Bedeutung der Mehrwertkategorie nicht vollständig verstanden werden kann, wenn sie nur auf die Ausbeutung bezogen wird, also nur auf die Aneignung des Mehrprodukts durch eine Klasse von Privatbesitzem, auch der kapitalistische Arbeitsprozeß nicht als technischer Prozeß aufzufassen ist, der im Interesse einer Klasse von privaten Aneignern angewendet werde. "
(S. 491)
" Wie ich im Verlauf der Erörterung abstrakter und historischer Zeit festgestellt habe, ist die - in entfremdeter Form sich vollziehende Entwicklung bestimmter Formen gesellschaftlich-allgemeiner Kenntnisse und Erfahrungen, die sich nicht direkt den Fertigkeiten und dem Wissen der unmittelbaren Produzenten verdanken, ein wichtiger Aspekt der historischen Entfaltung des Kapitals. Diese Entwicklung steht im Mittelpunkt meiner Untersuchung der Marxschen Auseinandersetzung mit dem Arbeitsprozeß: sie dient als Ausgangspunkt für meine Interpretation des Kapitalbegriffs als dem Schnittpunkt zwischen den beiden gesellschaftlichen Dimensionen der Arbeit im Kapitalismus und sie bildet die Grundlage meiner Auffassung, daß die Marxsche Auffassung von Sozialismus nichts mit der Selbstverwirklichung des Proletariats zu tun hat. " (S. 492)

9.3.1 Kooperation(» K)

" Marx vertritt die Auffassung, daß die kapitalistische Produktion in ihren frühen Stadien keine qualitative Veränderung der Produktionsweise mit sich brächte, sondern nur eine quantitative Zunahme bei der Größe der Produktionseinheiten, also bei der Zahl der Arbeiter, die gleichzeitig durch dasselbe Einzelkapital beschäftigt wurden (MEW 23, 341). Deshalb beginnt er seine Analyse der Entwicklung des Arbeitsprozesses im Kapitalismus mit der Kooperation im allgemeinen, also ohne nähere Bestimmungen - anders gesagt, mit der Produktion, in der eine große Anzahl von Arbeitern im gleichen Prozeß oder in miteinander zusammenhängenden Prozessen zusammenarbeiten (MEW 23, 341; 345). " (S. 492f)
" Wir werden sehen, daß für Marx die abstrakt zeitliche Dimension des Werts im Zuge der vollständigen Entwicklung des Kapitalismus die Produktion in ihrem Inneren strukturiert: Wert wird zu einer Bestimmung einer besonderen Form der Organisierung und Disziplinierung der Arbeit innerhalb großer Organisationen. Unter diesem Vorzeichen erlangt das Wertgesetz erst Gültigkeit. " (S. 493)
 
[Zeitliche Dim d. Werts strukturiert die kapitalistische Produktion im Inneren]
" Hiervon ausgehend betrachtet er die aus der Kooperation resultierende gesteigerte Produktivität unter dem Gesichtspunk der Gebrauchswertdimension der Arbeit, das heißt dem des gesellschaftlichen Charakter der Arbeit als produktiver Tätigkeit:
Die spezifische Produktivkraft des kombinierten Arbeitstags ist unter allen Umständen die gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus der Kooperation selbst. Im planmäßigen Zusammenwirken mit andern streift der Arbeiter seine individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermögen. (MEW 23, 349)
Demnach ist die Produktivkraft, die als Resultat von Kooperation entsteht, in der Marxschen Analyse abhängig von der gesellschaftlichen Dimension der konkreten Arbeit. Diese Kraft ist jedoch nicht nur in dem Sinne gesellschaftlich, daß sie kollektiv ist, sondern auch in dem, daß sie größer ist als die Summe der Produktivkräfte der unmittelbar beteiligten Individuen - sie kann nicht auf das produktive Vermögen der sie konstituierenden Individuen reduziert werden. (MEW 23, 345) Dieser Aspekt der gesellschaftlichen Dimension der konkreten Arbeit ist für die Marxsche Analyse von entscheidender Bedeutung. "
(S. 493f)
 
[Kooperation als Qualitätssprung der Quantität - Produktivität]
" Folglich entwickelt sich ihre kollektive Produktivkraft wie ein >freies Geschenk< an das Kapital (so, als ob es diese von Natur aus besitzt) (MEW 23, 353; Zusatz in Klammern v. d. Ü.). Es ist wichtig festzuhalten, daß dieses >freie Geschenk< die Produktivkraft der Gebrauchswertdimension der Arbeit ist, die, wie bereits festgestellt, sich nach der Menge produzierten stofflichen Reichtums und nicht nach der Verausgabung abstrakter Arbeitszeit bemißt. " (S. 494)
 
[Produktivkrafterhöhung als Gebrauchswerteigenschaft und als ''freies'' Geschenk der Arbeiter an den Kapitalisten]
" Der Prozeß, in dem die Produktivkräfte der Arbeit zu denen des Kapitals werden, ist ein Prozeß der Entfremdung und nimmt in der Marxschen Analyse einen zentralen Platz ein. Entfremdung ist oben im Hinblick auf die abstrakte Dimension der Arbeit als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit analysiert worden. Nun beziehe ich mich auf die Entfremdung der gesellschaftlichen Dimension der konkreten Arbeit als produktiver Tätigkeit. Beide Prozesse sind für das Kapital konstitutiv. " (S. 495)
" Dieser Entfremdungsprozeß der Produktivkräfte gesellschaftlicher Arbeit hat eine historische Bedeutung, die weit über die Frage der privaten Aneignung des gesellschaftlichen Mehrprodukts durch die Kapitalistenklasse hinausgeht: wie wir sehen werden, setzt Entfremdung einen Prozeß der historischen Konstitution von gesellschaftlich-allgemeinen Formen von Wissen und Erfahrung in Gang, die umfassender sind als die Fertigkeiten und das Wissen der unmittelbaren Produzenten. Diese Entwicklung hat auf den Charakter eines großen Teils der unmittelbaren Arbeit äußerst negative Auswirkungen, und kann dennoch die Befreiung der Menschen vom Bann ihrer eigenen Arbeit und die Wiederaneignung des gesellschaftlich-allgemeinem Wissens und der Potenzen, die historisch zunächst in entfremdeter Form konstituiert worden sind, ermöglichen. " (S. 495)
 
[Entfremdung schafft gesell.-allg. Formen von Wissen und Erfahrung als eine Gnd der Aufhebung des Kap]
" In diesem Stadium der kategorialen Entfaltung ist es also möglich, sich hypothetisch die Abschaffung des Kapitalismus - die Aufhebung der Aneignung der Produktivkräfte gesellschaftlicher Arbeit durch das Kapital - als die bloße Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln vorzustellen. Die Arbeiter könnten dann gemeinsam die kollektive gesellschaftliche Kraft, die sie konstituieren, >besitzen<, und den gleichen Arbeitsprozeß, wie er unter den Bedingungen des Privateigentums existierte, kooperativ in eigene Regie nehmen. Oder anders: der kapitalistische Charakter der Produktion erscheint an diesem Punkt als dem Arbeitsprozeß noch äußerlich. " (S. 495f)
 
[Abschaffung erscheint als Aneignung durch Proletariat]
" Diese zusammenfassende Skizze geht davon aus, daß das Kapital als eine gesellschaftliche Form seinem inneren Wesen gemäß mit der Arbeitsteilung zusammenhängt und daß seine Produktivkraft, sobald es sich in dieser kategorialen Form entfaltet, nicht mehr ausschließlich auf die diese Produktivkraft unmittelbar konstituieren Individuen bezogen werden kann. Vielmehr kommt es dazu, daß die Potenzen des Kapitals die entfremdeten Potenzen der Gesellschaft in einem allgemeineren Sinne verkörpern. Mithin kann Emanzipation, also die Wiederaneignung dessen, was entfremdet wurde, nicht weiterhin als die Abschaffung allein des Privateigentums begriffen werden. " (S. 496f)
 
[Nich alleine Abschaffung des Privateigentums]

9.3.2 Manufaktur(» K)

" Im Anschluß an seine Erörterung der einfachen Kooperation analysiert Marx die Manufaktur als die für den kapitalistischen Produktionsprozeß in Europa von der Mitte des 16. bis zum späten 18. Jahrhundert spezifische Kooperationsform (MEW 23, 356). Während die einfache Kooperation die Arbeitsweise der einzelnen Individuen weitgehend unverändert läßt, revolutioniert die Manufaktur den Arbeitsprozeß selbst (MEW 23, 381). " (S. 497)
" Die Manufaktur ist dadurch charakterisiert, daß der Arbeitsprozeß auf der Zergliederung handwerklicher Arbeitsvorgänge beruht, die von spezialisierten Arbeitern unter Verwendung von Spezialwerkzeugen ausgeführt werden (MEW 23, 358; 386). Diese Form der Arbeitsteilung fesselt die Arbeiter an einzelne, repetitive, vereinfachte Aufgaben, die dann eng miteinander verzahnt und untereinander koordiniert werden (MEW 23, 365). Indem sie die Spezialisierung jedes Arbeiters vorantreibt und die Menge der zur Warenproduktion notwendigen Zeit erheblich reduziert, sorgt sie für eine enorme Zunahme der Arbeitsproduktivität (MEW 23, 359ff) und erhöht auf diesem Weg den Mehrwert. Darüber hinaus befördert sie die Selbstverwertung des Kapitals auch insofern, als die Vereinfachung und fortschreitende Vereinseitigung der Arbeitsaufgaben den Wert der Arbeitskraft direkt vermindern (MEW 23, 371). " (S. 497)
" Anders gesagt behandelt Marx die Manufaktur als einen Arbeitsprozeß, der insofern seinem Wesen nach kapitalistisch ist, als er materiell durch den Verwertungsprozeß geprägt ist. " (S. 498)
 
[Manufaktur eine speziphisch kap. Form d. Produktion]
" Die materielle Form des Produktionsprozesses in der Manufaktur ist Marx zufolge ein Ergebnis des den Kapitalismus kennzeichnenden, fortwährenden Drangs nach Produktivitätssteigerung. Er sieht diesen Drang in der Warenform angelegt sowohl in den >objektiven< Zwängen wie in den mit dieser Form einhergehenden kulturellen Werten und Weltsichten, die zu immer neuen Anläufen führen, den Arbeitsprozeß so effizient wie möglich zu gestalten. Marx stellt historisch die Betonung von Qualität und Gebrauchswert, wie sie schon bei Autoren der klassischen Antike ihren Ausdruck findet, der Betonung von Quantität und Tauschwert gegenüber, wie sie Gegenstand der modernen Theorien politischer Ökonomie ist und sich in der materiellen Form der Manufaktur verkörpert. (MEW 23, 386ff.) " (S. 498)
" Das Ergebnis ist Marx zufolge die Schaffung einer >Maschine< besonderer Art, die die Besonderheit der Manufakturperiode kennzeichnet - nämlich einen Gesamtarbeiter, der sich in der Kombination mehrerer individuell spezialisierter Arbeiter herausbildet. (MEW23, 369) Die individuellen Arbeiter werden zu Organen dieses Ganzen (MEW 23, 369f.). " (S. 499)
 
[Schaffung des Gesamtarbeiters]
" Wie schon bei der einfachen Kooperation ist das Ganze - in der Manufaktur also der kollektive Arbeitsorganismus - eine Existenzform des Kapitals. Die Produktivkraft der Gebrauchswertdimension der Arbeit, die von hier aus der Kombination verschiedener Arten von Arbeit resultiert - anders gesagt, die hohe Steigerung der Produktivität, die durch die extreme Arbeitsteilung bewirkt wird - ist die Produktivkraft des Kapitals (MEW 23, 381). In der Manufaktur wird der Gegensatz zwischen Arbeitern und Kapital - als ein Gegensatz zwischen individuellen, fragmentierten Teilen und einem Ganzen, das unmittelbar gesellschaftlich ist zunehmend der materiellen Produktionsform selbst einverleibt. " (S. 499)
" Sie beruht auf einem Prozeß, der »den Arbeiter in eine Abnormität verkrüppelt, indem sie sein Detailgeschick... fördert durch Unterdrückung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen« (MEW 23, 381; 383). Mit der Manufaktur wird »das Individuum selbst geteilt (und) in das automatische Triebwerk einer Teilarbeit verwandelt« (MEW 23, 381). " (S. 499)
 
[Verkrüppelung des Teilarbeiters]
" Die Manufaktur hat also die Form eines Produktionsmechanismus, dessen Bestandteile Menschen sind (MEW 23,358). Sie repräsentiert eine unmittelbar gesellschaftliche Produktionsform in dem Sinne, daß die Arbeiter nur als Teil eines Ganzen arbeiten können. " (S. 500)
" Die konkrete Form dieses Arbeitsprozesses wird, wie festgestellt, von Marx in der Ökonomie der Zeit begründet (MEW 23, 365). Die Analyse der Manufaktur fährt fort, Wert als strukturierende Kategorie der Produktionsorganisation zu behandeln (womit Marx bei der Erörterung der Kooperation bereits begonnen hatte), und weist einmal mehr darauf hin, daß Wert nicht nur als Marktkategorie zu sehen ist. Das Gebot, daß die für die Herstellung einer Ware aufgewandte Arbeitszeit nicht die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit überschreiten sollte, hat sich Marx zufolge nicht einfach von außen, als von der Konkurrenz bewirkter Zwang entwickelt, sondern in der Manufaktur wird dieses Gebot zu »einem technischen Gesetz des Produktionsprozesses selbst« (MEW 23, 366). An diesem Punkt seiner Darstellung zeigt Marx also retrospektiv, daß die Bestimmung der Wertgröße, mit der er seine kategoriale Untersuchung des Kapitalismus begonnen hatte, eine kritische Bestimmung sowohl der Produktionsweise als auch der Distributionsweise ist. Die daraus resultierende Organisation der Produktionsweise - die auf der größtmöglichen Effizienz der Vernutzung menschlicher Arbeit beruht, indem diese zunehmend spezialisiert und fragmentiert wird - ist despotisch und hierarchisch. (MEW 23, 376; 381) " (S. 500)
 
[Wert nicht nur durch Konkurrenz sondern als 'technisches Gesetz der Produktion selbst']
" Wert ist also ein strukturierendes Prinzip beider Formen der Arbeitsteilung in der kapitalistischen Gesellschaft. Hier strukturiert er nicht nur die gesellschaftliche Arbeitsteilung, sondern auch die Arbeitsteilung in den Werkstätten:
Die bei der Teilung der Arbeit im Innern der Werkstatt a priori... befolgte Regel wirkt bei der Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft nur a posterion als... im Barometerwechsel der Marktpreise wahmehmbare... überwältigende Naturnotwendigkeit. (MEW 23, 377; Hervorhebungen M.P.) "
(S. 500f)
" Statt die Distributionssphäre im Kapitalismus vom Standpunkt der Produktionssphäre aus zu kritisieren, analysiert Marx sie als miteinander zusammenhängend: In der Gesellschaft der kapitalistischen Produktionsweise bedingen »die Anarchie der gesellschaftlichen und die Despotie der manufakturmäßigen Arbeitsteilung einander« (MEW 23, 377). " (S. 501)
" Es ist klar, daß Marx die >geplante< Produktionsstruktur und die über den Markt vermittelte Distributionsweise im Kapitalismus kritisiert. Er lokalisiert beide in der Warenform, wie sie sich in der Form des Kapitals entfaltet hat, und er charakterisiert den Kapitalismus daher als Gegensatz zwischen den Polen eines scheinbar aus dem Zusammenhang gerissenen, atomisierten Individuums und dem kollektiven Ganzen, in dem die Individuen nur als bloße Rädchen im Getriebe funktionieren. " (S. 195)
 
[Marx Kritik an geplanter Produktion UND anarchischer Distribution]
" Seine Vorstellung von der Aufhebung des Kapitalismus kann deshalb nicht so verstanden werden, als bezöge sie sich allein auf die Aufhebung des Marktes oder die Ausweitung der in den Werkstätten vorherrschenden, auf Planung beruhenden Ordnung auf die gesamte Gesellschaft. Diese Ordnung beschreibt Marx als die vollständige Unterordnung des Arbeiters unter das Kapital (letzteres verstanden nicht als Privateigentum, sondern als eine Organisationsform der Arbeit zum Zwecke der Steigerung ihrer Produktivkraft). (MEW 23, 377) Statt dessen impliziert seine Analyse, daß die Aufhebung des Kapitalismus sowohl die Aufhebung des in der Produktionssphäre geschaffenen >geplanten<, organisierten, bürokratischen Despotismus als auch der Anarchie der Distributionssphäre erfordern würde, wobei der ersteren das Primat zukommt. " (S. 501f)
 
[Aufhebung von Org. in Produktion und Verteilung]
" Auf der einen Seite ist, wie wir gesehen haben, der kapitalistische Charakter der Produktion in der Manufaktur dem Arbeitsprozeß nicht mehr äußerlich - weshalb die Abschaffung des Kapitals nicht länger allein als die Abschaffung des Privateigentums begriffen werden kann, wie das im Fall der einfachen Kooperation noch möglich war. " (S. 502)
" Marxens kritische Kommentare zur Arbeitsteilung setzen eindeutig voraus, daß seine Vorstellung von Emanzipation auch die historische Aufhebung des Arbeitsprozesses, wie er durch das Kapital geformt wurde, beinhaltet. Auf der anderen Seite ist jedoch die Möglichkeit, daß dieser Arbeitsprozeß tatsächlich aufgehoben werden kann, in diesem Stadium seiner Darstellung noch nicht sichtbar. Trotz der Unterschiede zwischen Manufaktur und einfacher Kooperation teilen beide ein gemeinsames Charakteristikum: das entfremdete Ganze (Kapital) ist größer als die Summe seiner Teile, wird jedoch immer noch von den unmittelbaren Produzenten konstituiert. " (S. 502)
" Um diesen Punkt zu klären, möchte ich das folgende hypothetische Szenario entwerfen, das den historischen Charakter der möglichen Negation des Kapitalismus unterstreicht und für eine Betrachtung des ehemaligen >real existierenden Sozialismus< relevant ist: Dort wurde der Versuch unternommen, auf der Grundlage der Produktionsform, die die Manufaktur charakterisiert, eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen. Nicht nur kapitalistisches Privateigentum wurde abgeschafft, sondern auch der Wert als die Form gesellschaftlichen Reichtums durch stofflichen Reichtum ersetzt. Das Ziel gesteigerter Produktivität war nicht mehr, die Verausgabung von Mehrarbeitszeit zu erhöhen, sondern das, in größerem Umfang stofflichen Reichtum zur Bedürfnisbefriedigung zu erzeugen. Dennoch hatte diese Veränderung des Produktionsziels keine grundsätzliche Transformation des Arbeitsprozesses zur Folge. " (S. 502f)
 
[Kritik: Realsozialismus ändert Ziel aber NICHT Form der Produktion als Manufaktur(!)produktion]
" So lange menschliche Arbeit die wesentliche Produktivkraft von stofflichem Reichtum bleibt, bedeutet also Produktion zum Zwecke der Schaffung von stofflichem Reichtum auf einer hohen Produktivitätsstufe notwendigerweise die gleiche Form des Arbeitsprozesses, als wäre das Ziel der Produktion eine Steigerung des Mehrwerts. Der Unterschied zwischen den beiden Formen des Reichtums ist hier von untergeordneter Bedeutung: in beiden Fällen beruht der Arbeitsprozeß auf der extremen Arbeitsteilung, wie sie in der kapitalistischen Manufaktur entwickelt wurde. " (S. 503)
" Dennoch sind in diesem Stadium der Marxschen Darstellung die Bedingungen der Möglichkeit einer historischen Aufhebung des Arbeitsprozesses - in der die Arbeitsteilung abgeschafft werden könnte, während ein hohes Produktivitätsniveau aufrechterhalten wird - noch nicht greifbar. " (S. 504)
" Es ist klar geworden, daß es ein zentrales Ziel der kategorialen Analyse von Marx ist, die sich herausbildende Möglichkeit für genau eine solche Aufhebung des kapitalistischen Arbeitsprozesses zu bestimmen. Diese Möglichkeit folgt aus den Kategorien seiner Analyse, wobei diese aber, wie ich dargelegt habe, als Kategorien des vollständig entwickelten Kapitalismus verstanden werden sollten. Obwohl der Arbeitsprozeß der Manufaktur schon durch das Kapital geprägt wird, zeigt das obige hypothetische Beispiel, daß der für die Marxsche kategoriale Analyse des entwickelten Kapitalismus so zentrale Unterschied zwischen Wert und stofflichem Reichtum für diese Produktionsform noch nicht praktisch relevant geworden ist. " (S. 504)
 
[Möglichkeit der Aufhebung als zentrales Ziel]
" Ich habe bereits festgestellt, daß Arbeit, betrachtet man sie hinsichtlich der Ausgangsbestimmungen des Arbeitsprozesses, wie eine aktive Produktivkraft fungiert, welche Materie umwandelt, um stofflichen Reichtum zu erzeugen; jedoch - als Objekt des Verwertungsprozesses - das >tatsächliche< Rohmaterial abgibt. " (S. 504)
 
[Zwei Aspekte: Arbeits- und Verwertungsprozess]
" Ganz ähnlich wird die Produktivkraft der Gebrauchswertdimension der Arbeit - Wissen und Erfahrung in gesellschaftlich-allgemeiner Form - noch nicht in einer Weise ausgedrückt, die potentiell von unmittelbarer menschlicher Arbeit unabhängig werden könnte. Folglich ist der Doppelcharakter des Kapitals in diesem Stadium der Darstellung noch nicht offenbar, und der Widerspruch innerhalb der kapitalistischen Produktion hat sich noch nicht entfaltet. In diesem Stadium der Marxschen Darstellung verkörpert der kapitalistische Produktionsprozeß also noch nicht die Möglichkeit seiner eigenen Negation. " (S. 505)

9.3.2 Große Industrie(» K)

" Marx zufolge kommt das Kapital mit der Ausbreitung großangelegter Industrieproduktion zu sich selbst. Er analysiert diese Produktionsweise als die dem Kapital adäquate Materialisierung des Verwertungsprozesses, als die Verkörperung des doppelseitigen Charakters der zugrundeliegenden gesellschaftlichen Strukturen des Kapitalismus, und so als den angemessenen Ausdruck des spezifischen, in sich widersprüchlichen Drangs des Kapitals zu ständig steigenden Produktivitätsniveaus. Umgekehrt impliziert dies, daß die ganze Tragweite der Marxschen Darstellung des Doppelcharakters der kapitalistischen Produktion erst mit seiner Analyse der industriellen Produktion zum Vorschein kommt. " (S. 506)
 
[In Industrie kommt Kapital erst zu sich selbst]
" Die Wertform des gesellschaftlichen Mehrprodukts mag tatsächlich einen fortwährenden Drang nach steigender Produktivität erzeugen, doch ein Arbeitsprozeß, dessen Zweck stofflicher Reichtum ist, kann noch nicht von demjenigen unterschieden werden, dessen Zweck der Wert ist. Somit kann noch nicht vollständig erkannt werden, daß Produktion kein technischer Prozeß ist, der von einer Klasse privater Aneigner in ihrem Interesse angewandt werde und von den Arbeitern in ihrem Interesse genutzt werden könnte. " (S. 506)
" Er will zeigen, daß die Form des industriellen Arbeitsprozesses als technischer Prozeß, als Vorgang, der lediglich den Erfordernissen hoher Produktivitätsniveaus genüge tut, nicht zureichend erfaßt wird, daß diese Form aber, unter Bezug auf die Doppelseitigkeit der grundlegenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus, gesellschaftlich erklärt werden kann. " (S. 507)
" Das Charakteristische der Gebrauchswertdimension der Arbeit in der Industrieproduktion ist Marx zufolge, daß sie sich in einer Form konstituiert, die zunehmend von der Arbeit der unmittelbaren Produzenten unabhängig wird. " (S. 507)
 
[Stofflicher Reichtum wird von unmittelbarem Produzenten unabhängiger]
" Das Maschinensystem aber ist >objektiv<: der Produktionsprozeß wird mit Hilfe der Naturwissenschaften und ohne Rücksicht auf frühere, >arbeiterzentrierte< Prinzipien der Arbeitsteilung in seine ihn konstituierenden Elemente zerlegt (MEW 23, 401; 408). Ein weiterer Schritt in diesem historischen Prozeß der Aufhebung der Zentralität unmittelbarer menschlicher Arbeit im Arbeitsprozeß ist die Produktion von Maschinen durch Maschinen, die der Großen Industrie die »adäquate technische Unterlage« schuf (MEW 23, 405). " (S. 507f)
" So charakterisiert er die aus Kooperation und Arbeitsteilung resultierenden Produktivkräfte als »Naturkräfte gesellschaftlicher Arbeit«, und stellt fest, daß sie - gleich Naturkräften wie Dampf und Wasser - nichts kosten (MEW 23, 407). In dieser Hinsicht beobachtet er, daß auch die Wissenschaft wie eine Naturkraft genutzt wird - ist ein wissenschaftliches Prinzip einmal entdeckt, kostet es nichts (MEW 23, 407). Schließlich stellt Marx bei seiner Erörterung der objektivierten Produktionsmittel fest, daß Maschinen und Werkzeuge, abgesehen von den Abschreibungskosten und den Verbrauchsmitteln (Öl, Kohle usw.), ihre Arbeit kostenlos verrichten. " (S. 509)
" Eine Seite der Entwicklung der Großen Industrie hat also die historische Konstitution gesellschaftlich-allgemeiner produktiver Fähigkeiten und Formen von wissenschaftlichem, technischem und organisatorischem Wissen zur Folge, die nicht direkt von der Kraft, dem Wissen und der Erfahrung des Arbeiters abhängig sind und nicht auf sie reduziert werden können. Genauso beinhaltet sie die fortwährende Akkumulation gesellschaftlich-allgemeiner vergangener Arbeit und Erfahrung. Dieser historisch konstituierte Aspekt der Gebrauchswertdimension der Arbeit im Kapitalismus gleicht insofern einer >Naturkraft<, als er von unmittelbarer Arbeit unabhängig ist, nichts kostet und zunehmend die menschliche Mühsal ersetzt, die den zentralen gesellschaftlichen Umstand bei der Umwandlung von Rohstoffen in nützliche Dinge, bei dem gesellschaftlichen »Stoffwechsel« der Menschheit mit der Natur als notwendiger Bedingung gesellschaftlichen Lebens ausmacht. " (S. 509)
 
[Entwicklung allgemein-gesellschaftlicher Produktivkräfte - Wissenschaft,...]
" Die Produktion stofflichen Reichtums wird zunehmend eine Funktion der Objektivierung historischer Zeit. " (S. 509)
 
[Objektivierung der historischen Zeit]
" Diese historische Entwicklung des gesellschaftlichen Charakters konkreter Arbeit unterscheidet die Große Industrie grundsätzlich von der Manufaktur. Sie steigert nicht nur die Produktivität der Arbeit enorm, sondern sie untergräbt auch - in dem Maß wie sie die Produktion stofflichen Reichtums wesentlich von der Aufwendung unmittelbarer menschlicher Arbeitszeit unabhängig macht - die technische Notwendigkeit für die manufakturmäßige Arbeitsteilung sowohl innerhalb der Arbeitsstätte als auch der Gesellschaft (MEW 23, 442ff.; 485 f). Anders gesagt verweist die historische Entwicklung implizit auf die Möglichkeit einer anderen gesellschaftlichen Organisation der Arbeit. " (S. 510)
 
[Fundamentaler Unterschied Manufaktur zur Industrie - Möglichkeit anderer gesell. Org. d. Arbeit]
" Diese Möglichkeit ist in der Großen Industrie jedoch nicht realisiert. Tatsächlich unterscheidet sich die wirkliche Struktur der industriellen Produktion erheblich von der Möglichkeit, die sich einer allein abstrakten Erörterung der Entwicklung der Gebrauchswertdimension der Arbeit erschließt. " (S. 510)
" Allgemein hat die wirkliche Form der maschinellen Produktion extrem negative Konsequenzen: die Arbeit wird weiter fragmentiert, Frauen und Kinder werden in eintönigen, schlecht bezahlten Jobs beschäftigt, das intellektuelle Niveau der Arbeit sinkt und entweder wird der Arbeitstag verlängert oder die Intensität der Arbeit wird gesteigert (MEW23, 417ff.; 432). " (S. 510)
" Der in dieser Studie entwickelte Ansatz könnte meiner Ansicht nach als ein fruchtbarer Ausgangspunkt für eine Untersuchung des in der kapitalistischen Gesellschaft sich historisch verändernden Charakters der Strukturierung von Familie, Arbeit und ihrer Wechselbeziehungen (wie auch der Auswirkungen auf die Strukturierung von Gender) dienen. Mit ihm könnten diese Themen hinsichtlich der Entwicklung der durch Arbeit konstituierten, quasi-objektiven Vermittlung erörtert werden. " (S. 511)
" Diese »monströse« Arbeitsteilung ist ein zentraler Punkt der Marxschen Analyse. Einerseits weisen seine Untersuchung der Entwicklung der Gebrauchswertdimension der Arbeit und der Gegensatz, den er zwischen ihrer tatsächlichen und potentiellen Form feststellt, deutlich darauf hin, daß die Arbeitsteilung in der Großen Industrie anders als die in der Manufaktur keine notwendige technische Begleiterscheinung gesteigerter Produktivität ist. Aus diesem Grund kritisiert er diejenigen, die - bedingt durch ein rein technisches Verständnis der industriellen Produktion und der daraus resultierenden Unfähigkeit, zwischen »der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie« und der »Maschinerie selbst« zu unterscheiden - sich keinen anderen Gebrauch der Maschinerie als die kapitalistische vorstellen können und die deshalb alle Kritiker des kapitalistischen Systems der industriellen Produktion als Feinde des technischen Fortschritts herabsetzen, scharf als »ökonomische Apologeten« (MEW 23, 465). " (S. 512)
 
[Kapitalistische und nichtkapitalistische Maschinerie]
" Obwohl diese Dualität Marx zufolge auch frühere Formen der kapitalistischen Produktion charakterisiert, werden die Unterschiede zwischen Wert und stofflichem Reichtum, abstrakter und konkreter Arbeit erst mit der Großen Industrie bedeutsam und zu Konstituenten des Arbeitsprozesses selbst. Die Stoßrichtung der Marxschen Analyse der industriellen Produktion liegt also darin zu zeigen, daß die für die Große Industrie charakteristische Arbeitsteilung weder in technischen Notwendigkeiten gründet noch zufällig ist, sondern Ausdruck des ihr inhärenten kapitalistischen Charakters. " (S. 512)
 
[Erst in der Industrie Arbeitsteilung als Ausdruck des kapitalistischen Charakters und nicht technischer Notwendigkeit]
" Bevor ich fortfahre, ist festzuhalten, daß vom Standpunkt einer solchen gesellschaftlichen Produktionsanalyse Theorien, die die kapitalistische Industrieproduktion nur in technischen Begriffen erfassen, denen vergleichbar sind, die Arbeit im Kapitalismus nur als Interaktion der Menschen mit der Natur verstehen. In beiden Fällen wird die konkrete Dimension nicht als die materialisierte Form der gesellschaftlichen Vermittlung verstanden, sondern die fetischisierte Erscheinungsform der gesellschaftlichen Vermittlung wird für bare Münze genommen. " (S. 513)
 
[Arbeit im Kapitalismus ist weder nur technisch noch nur Interaktion mit Natur]
" Im Zuge der Entfaltung der Marxschen Kategorien haben wir gesehen, daß seine zeitliche Bestimmung der Wertgröße erst mit der Einführung der Kategorie des relativen Mehrwerts ihre volle Bedeutung erhält. Ähnlich wird erst mit seiner Analyse der Großen Industrie die volle Bedeutung seiner Bestimmung des Werts als Objektivierung (abstrakter) menschlicher Arbeit deutlich. Da das Ziel der kapitalistischen Produktion Mehrwert ist, bewirkt dies einen beständigen Drang zur Steigerung der Produktivität, der schließlich zur Ablösung unmittelbarer menschlicher Arbeit durch die Produktivkraft des gesellschaftlich-allgemeinen Wissens als der vornehmlichen gesellschaftlichen Quelle stofflichen Reichtums führt. Gleichzeitig - und das ist entscheidend - ist und bleibt die Verausgabung menschlicher Arbeitszeit die Grundlage kapitalistischer Produktion genau deshalb, weil ihr Ziel der Mehrwert ist. " (S. 513)
 
[Mehrwert erst in Industrie seine volle Bedeutung]
" Die Große Industrie wird durch die Entstehung von Produktivkräften definiert, die nicht länger eine Funktion unmittelbarer menschlicher Arbeit sind - dies jedoch im Kontext der fortgesetzten Bedeutung solcher Arbeit. Mit der Entwicklung dieser Produktionsweise hört lebendige Arbeit nach und nach auf die aktive, regulierende Produktivkraft zu sein. " (S. 514)
" Und genau dann, wenn die Produktion stofflichen Reichtums aufhört, von unmittelbarer menschlicher Arbeit abzuhängen, auch wenn solche Arbeit ein integraler Bestandteil des Produktionsprozesses bleibt, kommt es dazu, daß diese Funktion der menschlichen Arbeit als bloße Quelle objektivierter Arbeitszeit ihren Ausdruck in der Form des Arbeitsprozesses selbst findet:
...
"
(S. 514)
" Die Maschine findet als Ganzes in den Arbeitsprozeß Eingang und erzeugt große Mengen stofflichen Reichtums; in den Verwertungsprozeß geht sie aber nur insoweit ein, als sie entweder den Produkten allmählich den Wert überträgt, der in ihre Erzeugung einging, oder das Verhältnis von Mehrarbeitszeit zu notwendiger Arbeitszeit verändert, indem sie die zur Reproduktion der Arbeiter notwendige Arbeitszeit reduziert (MEW 23, 392; 401). " (S. 515)
" Die durch die Entwicklung der Produktivkräfte bewirkte zunehmende Disparität zwischen dem Zuwachs an stofflichem Reichtum und an Mehrwert ist ein Ausdruck der wachsenden Nicht-Übereinstimmung zwischen den Produktivkräften der Gebrauchswertdimension der Arbeit und denjenigen lebendiger Arbeit. " (S. 515)
 
[Zunehmende Divergenz Gebrauchswert//Wert]
" Der kapitalistische Produktionsprozeß löst Marx zufolge die historische Entwicklung mächtiger, gesellschaftlich-allgemeiner Produktivkräfte aus; dieser Prozeß historischer Konstitution - der oben als Akkumulation historischer Zeit beschrieben wurde - vollzieht sich jedoch als ein Prozeß der Entfremdung. Jene Potenzen entstehen historisch in entfremdeter Form, als Potenzen des Kapitals, als die des »Meisters«. " (S. 516)
 
[Entfremdete Form der Akkumulation historischer Zeit]
" Anders als in der Manufaktur drücken die Potenzen des gesellschaftlichen Ganzen nicht mehr das Wissen, die Fähigkeiten und die Arbeit des Gesamtarbeiters aus, sondern vielmehr das akkumulierte kollektive Wissen und die Potenzen der Menschheit, der Gattung. " (S. 516)
" Ein anderer Aspekt dieser Entwicklung ist die Abnahme der Fähigkeiten und Potenzen des individuellen Arbeiters wie auch - und das ist entscheidend - des Gesamtarbeiters. Während die Produktion stofflichen Reichtums zunehmend eine Funktion des gesellschaftlich-allgemeinen technischen, organisatorischen und wissenschaftlichen Wissens statt der Fertigkeiten, des Wissens und der Arbeit der unmittelbaren Produzenten wird, hört die kombinierte Arbeit der Arbeiter auf, die Arbeit eines >Superhandwerkers< zu sein, wie es in der Manufaktur noch der Fall war. " (S. 516)
" Somit gibt es einen strukturellen Antagonismus zwischen den entfremdeten Produktivkräften und der lebendigen Arbeit, wobei die ersteren mehr entwickelt werden, während letztere zunehmend entleert und fragmentiert wird: »Selbst die Erleichterung der Arbeit wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den Arbeiter von der Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt«. (MEW 23,445 f) " (S. 517)
" An diesem Punkt kann ich hinzufügen, daß Arbeit damit zunehmend inhaltslos wird, und sie kaum mehr darstellt als die schlichte Verausgabung von Energie. " (S. 518)
 
[Inhaltlosigkeit der Arbeit]

{ Dies kann ich so nicht nachvollziehen und erinnert mich stark an abstrakte Arbeit als Abstraktion vom Inhalt, was M.P. aber nicht meint. Warum sagt er nicht einfach Durchschnittsarbeit? Alles reduziert sich in der Tendenz auf einfache Arbeit. (d.V.)}

" Anders gesagt beschreibt Marx die industrielle Fabrik in den gleichen Begriffen, die er zuvor gebraucht hat, um das Kapital zu beschreiben, und unterstellt damit, daß die Fabrik als physischer Ausdruck des Kapitals betrachtet werden sollte. Mit dieser Analyse der Großen Industrie versucht Marx ein System gesellschaftlich zu verstehen, das durch enorme Produktivkräfte einerseits und fragmentierte, entleerte, unmittelbare menschliche Arbeit andererseits charakterisiert ist. Das Wesen der Arbeit und die Arbeitsteilung im industriellen Kapitalismus sind Marx zufolge keine notwendigen, wenn auch bedauerlichen Nebenprodukte irgendeiner technologisch fortgeschrittenen Methode der Reichtumsproduktion, sondern Ausdrücke eines Arbeitsprozesses, der durch den Verwertungsprozeß geformt wird. " (S. 518f)
" An diesem Punkt werde ich kurz zu einer Betrachtung dieser Dialektik zurückkehren, die, wie bereits festgestellt, letztlich in der zeitlichen Bestimmung der Wertgröße begründet liegt. Bei der Untersuchung der Wechselwirkung der beiden Dimensionen der Warenform haben wir gesehen, daß steigende Produktivität die in einer gesellschaftlichen Arbeitsstunde produzierte Wertmenge nicht anwachsen läßt, sondern statt dessen diese Stunde historisch neu bestimmt. Die mit dem Wert verbundenen Formen von Notwendigkeit werden dabei rekonstituiert anstatt überwunden. Das heißt die Dialektik der beiden Dimensionen von Arbeit und Zeit im Kapitalismus besteht darin, daß der Wert als eine immerwährende Gegenwart rekonstituiert wird, obwohl er historisch in der Zeit fortbewegt wird. " (S. 519f)
 
[Dialektik Arbeit//Zeit]
" Die Rekonstitution des abstrakten Zeitrahmens durch die Entwicklung der Produktivität gesellschaftlicher Arbeit bedeutet so die strukturelle Rekonstitution der Notwendigkeit, solche Arbeitszeit zu verausgaben. In anderen Worten besteht die Dialektik von Transformation und Rekonstitution, die in den grundlegenden strukturierenden Formen des Kapitalismus begründet liegt, darin, daß die Verausgabung menschlicher Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß notwendig bleibt; unabhängig vom Grad der erreichten Produktivität. " (S. 520)
 
[Verausgabung menschlicher Arbeit bleibt NOTWENDIG unabh. vom Grad der Produktivität]
" Die Rekonstitution des Werts und die Neubestimmung der gesellschaftlichen Produktivität als Folge der von mir umrissenen Dialektik stellen die grundlegendsten Bestimmungen der beständigen Reproduktion der Beziehung zwischen Lohnarbeit und Kapital dar - als Prozeß, der sowohl statisch als auch dynamisch ist. " (S. 520)
" Dieser Reproduktionsprozeß, so wie er von Marx analysiert wurde, wird letztlich von der Wertform bewirkt und würde dort, wo stofflicher Reichtum die bestimmende Form des Reichtums ist, nicht existieren. Wie wir gesehen haben, ist er eine Erscheinungsform der notwendigen Tretmühlendynamik, in der zunehmende Produktivität weder in einem korrespondierenden Zuwachs an gesellschaftlichem Reichtum noch einer korrespondierenden Abnahme der Arbeitszeit resultiert, sondern in der Konstitution eines neuen Basisniveaus der Produktivität - was zu immer weiterer Steigerung der Produktivität führt. Selbst auf dieser sehr abstrakten logischen Ebene kann man aus den Implikationen dieser Dialektik einige Merkmale des industriellen Arbeitsprozesses und der proletarischen Arbeit ableiten. " (S. 521)
" Abstrakt und von einer gesamtgesellschaftlichen Ebene aus betrachtet besteht die Auswirkung gesteigerter Produktivität auf die unmittelbare menschliche Arbeit - innerhalb der durch die strukturelle Beibehaltung derartiger Arbeit in der Produktion charakterisierten Bedingungen - darin, daß Arbeit einförmiger und reduzierter, ihre Verausgabung aber intensiviert wird. Dies verleiht menschlicher Arbeit eine konkrete Form, die beginnt, den anfänglichen Bestimmungen ihrer fetischisierten gesellschaftlichen Form (abstrakte Arbeit) zu gleichen - die Aufwendung von Muskeln, Nerven usw. " (S. 521)
 
[Lohnarbeit gleicht immer mehr ihrer Fetischform - abstrakter Arbeit - inhaltsleer]

{ Gleicht sie als Durchschnittsarbeit, denn ihre Konkretheit bleibt bestehen. Alles andere ist subjektives Verhalten gegen die Arbeit als 'reinem Job', Arbeit für Geld "wegen" des Geldes, das gleichgültige Verhalten zu seiner Arbeit und das gleichgültige Verhalten des Kapitalisten zu ihm als Ingredienz seines ihm gehörigen, weil gekauften, Arbeitsprozesses. (d.V.)}

" Die Entwicklung ungeheurer gesellschaftlicher Potenzen in einer Form, die den Arbeitern als fremde gegenüberstehen und sie beherrschen, und die damit verbundene langfristige Tendenz, daß proletarische Arbeit einseitig und entleert wird, sind die entscheidenden Gründe für die Marxsche Feststellung, daß »im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß« (MEW 23, 675; Hervorhebung M. P.). " (S. 521)
" Diese Entwicklungen ergeben sich in der Marxschen Analyse offensichtlich nicht nur aus dem Privateigentum an Produktionsmitteln, sondern sind in den Tiefenstrukturen der gesellschaftlichen Verhältnisse, die ich untersucht habe, angelegt. " (S. 522)
 
[Nicht PE an PM sondern die Tiefenstrukturen entscheiden]

{ Meines Erachtens liegt das PE an PM "unter" diesen Tiefenstrukturen, als deren Grund (Hegel), sie begründen den Doppelcharakter der Arbeit erst durch die Exklusivität der PM und damit der Produkte als private. (d.V.)}

" Dieser Produktionsprozeß ist sowohl ein Prozeß der Produktion stofflichen Reichtums, der zunehmend auf gesellschaftlich-allgemeinem Wissen, als auch ein Prozeß der Wertproduktion, der auf der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit beruht. Seine konkrete Form zu analysieren, verlangt somit eine Produktionsweise zu untersuchen, die bereits auf einer tiefen Ebene die widersprüchlichen strukturellen Zwänge, immer höhere Produktivitätsniveaus zu erreichen und Mehrwert zu produzieren, verkörpert. Historische Veränderungen in der konkreten Form der vollständig entwickelten kapitalistischen Produktion können, diesen Vorgaben entsprechend, als das durch die beiden zunehmend entgegengesetzten Zwänge erzeugte, immer weitere >Auseinanderklaffen einer Schere< erfaßt werden. " (S. 522)
 
[Auseinanderklaffen einer Schere]
" Große Industrie ist kein technischer Prozeß, der für Zwecke der Klassenherrschaft angewandt wird und Marx zufolge in zunehmenden Widerspruch mit dieser Herrschaftsform geriet; vielmehr ist sie, da historisch konstituiert, der materialisierte Ausdruck einer abstrakten Form gesellschaftlicher Herrschaft - die objektivierte Form der Beherrschung der Menschen durch ihre eigene Arbeit. " (S. 195)
 
[Industrie als materialisierte abstrakte Form]

9.4 Substantielle Totalität(» K)

9.4.1 Kapital(» K)

" Im Zuge der Untersuchung der Marxschen Analyse der industriellen Produktion als Materialisierung des die kapitalistische Gesellschaft charakterisierenden doppelseitigen Charakters der gesellschaftlichen Verhältnisse habe ich auch seinen Kapitalbegriff erläutert. Wir haben gesehen, daß die Marxsche Kategorie Kapital weder mit >materiellen< Begriffen allein, das heißt in bezug auf die >Produktionsfaktoren<, die von den Kapitalisten kontrolliert werden, zu verstehen ist, noch als gesellschaftliche Beziehung zwischen der Kapitalisten- und der Arbeiterklasse, die durch das Privateigentum an Produktionsmitteln strukturiert und durch den Markt vermittelt werde. Vielmehr bezieht sich der Kapitalbegriff auf eine eigentümliche Form gesellschaftlicher Beziehung, auf eine dynamische, totale und widersprüchliche Gesellschaftsform, die durch die Arbeit in ihrer Verdopplung als einer Tätigkeit, die sowohl die Verhältnisse der Menschen untereinander als auch die mit der Natur vermittelt, konstituiert wird. " (S. 523f)
 
[Kapital nicht vom PE an PM strukturiert]
" Doch ist sein Kapitalbegriff nicht in seiner vollen Bedeutung erfaßt, wenn der Blick sich ausschließlich auf die Wertdimension richtet, da, wie gezeigt, dann übersehen wird, daß die Gebrauchswertdimension der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft historisch als Attribut des Kapitals konstituiert wurde. " (S. 195)
 
[Gebrauchswertdimension des Kapitals]
" Die Marxsche Analyse erweist jedoch, daß das Privateigentum in diesem Entfremdungsprozeß bei der historischen Entstehung des Kapitalismus zwar eine zentrale Rolle gespielt haben mag, es aber mit der Entwicklung der Großen Industrie keine strukturell zentrale Rolle mehr einnimmt. Unter den Bedingungen dieser Großen Industrie sind die gesellschaftlichen Produktivkräfte der konkreten Arbeit, die durch das Kapital angeeignet werden, nicht mehr die der unmittelbaren Produzenten; es handelt sich nicht um Potenzen, die den Arbeitern gehören und ihnen genommen würden. Vielmehr geht es hier um gesellschaftlich-allgemeine Produktivkräfte, deren entfremdeter Charakter dem Prozeß ihrer eigenen Konstitution inhärent ist - und tatsächlich liegt die Bedingung für ihr Entstehen historisch genau darin, daß sie in einer Form konstituiert werden, die von den unmittelbaren Produzenten getrennt und ihnen entgegengesetzt ist. Es sollte nun deutlich sein, daß es eben diese Form ist, die Marx in der Kategorie Kapital zu erfassen sucht. " (S. 195)
Weil also mit der Grossen Industrie angeblich die gesell. Produktivkräft nicht mehr die der konkreten Arbeit, sondern zb der Wiss. sind, spielt das Privateigentum nicht mehr die strukturierende Quelle. Das halte ich für absurd. Er verschieb den Grund der Verhältnisse in die Struktur selbst, zb den Doppelcharakter der Arbeit und die richtungsgebundene Dynamik, ohne zu sehen, dass sie ihrerseits begründet sind und strukturiert werden durch das Privateigentum.
Hier hat M.P. eine zentrale Schwäche. Die Form, in der die allgemein-gesellschaftlichen Produktivkräfte hervorgetrieben werden, macht er zu einer inhaltlichen Bestimmung und versucht sich so vom Privateigentum als Primat der Bestimmtheit zu lösen, obwohl er Form sagt, schlägt sein Argument um, sobald er auf das Privateigentum kommt. (Mir ist nicht immer klar, warum er das tut.)
Wenn alles letztendlich in der Warenform begründet strukturiert ist, was auch weitestgehend stimmt, was begründet aber dann bitte die Warenform selbst. An dieser Stelle sollte man um das Privateigentum nicht herumkommen, wenn man die Warenform nicht abstraktifizieren oder als strukturelle "Logik" in die Metaphysik schieben möchte. "Logisch" muß dieses sonst dem realen Privateigentum an Produktionsmitteln vorgängig sein, was M.P. auch anschließend behaupten wird. Ausschließlich der Doppelcharakter der Arbeit, die Arbeit selbst in ihrer Form, konstituiert die Entfremdung und letztendlich die Verhältnisse.
Das die wissenschaftliche Dynamik scheinbar die Stellung der konreten Arbeit verdrängt ist eben ein Schein, dem M.P. aufsitzt. Zwar ist dies Gewaltigkeit der Dynamik unbestritten und dass sie die Form der Produktion vollständig prägt und dass auch diese Form auf den Inhalt übergreift. Aber sie ist nicht der Inhalt der Verhältnisse, der überhistorisch die gesellschaftliche und insbesondere stoffliche Reproduktion ist und in der kapitalistischen Form, und hier greift Form auf Inhalt über, die Mehrwertproduktion.
Unbenommen hat er recht, wenn die Industrie erst die der Mehrwertproduktion, zumal insbesondere des relativen Mehrwerts, die gemäße Form gibt. Aber Mehrwertproduktion bleibt in dieser Form ihre inhaltliche Bestimmung und damit auch direkt die private Aneignung gesellschaftlichen Produkts auf Grundlage des kapitalistischen Privateigentums, denn nichts anderes ist der Mehrwert als Profit und Zins und wie auch immer.
Auch unbestritten ist, dass die Industrieproduktion nicht kapitalistisch als solche ist, sondern eine besonders effiziente Form der Lösung der überhistorischen Ökonomie der Zeit. Aber wie er richtig sagt, hat sie in der kapitalistischen Form ihre Inhumanität, Entfremdung und so weiter. Aber dies liegt an der Form der Industrieproduktion als Mehrwertproduktion und nicht an ihr selbst, was M.P. auch sagt. Wobei er wieder vollkommen recht hat:
" Kapital ist nicht die mystifizierte Form von Potenzen, die >eigentlich< diejenigen der Arbeiter wären, vielmehr ist es die reale Existenzform des >Gattungsvermögens<, das historisch in entfremdeter Form als gesellschaftlich-allgemeines konstituiert ist. " (S. 524)
 
[Gattungsvermögen = allg. gesell. Produktivkräfte]
" Statt dessen dienen diese Produktivkräfte, da die gesteigerte Produktivität strukturell die Wertbestimmungen rekonstituiert, dazu, die auf die Produzenten ausgeübten abstrakten Zwänge zu verstärken. Sie erhöhen deren Ausmaß und die Intensität der abverlangten Leistung und führen zur weiteren Frag-mentierung der Arbeit. In diesem Sinne fungieren sie als Eigenschaften der abstrakten Dimension der Arbeit und sind zu Mitteln geworden, die die Produzenten beherrschen. Dieser Prozeß gründet strukturell im Doppelcharakter der Warenform selbst, wie ich ihn entfaltet habe. " (S. 225)
" Diese strukturelle Aneignung der Gebrauchswertdimension der Arbeit durch ihre abstrakte Dimension macht die grundlegende Enteignung der kapitalistischen Gesellschaftsformation aus. Sie geht logisch der konkreten gesellschaftlichen Enteignung, die mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln zusammenhängt, voraus, ist also nicht etwa deren Resultat. " (S. 525f)
 
[Logisch geht 'abstrakte Enteignung' vor dem Privateigentum]
" Indem ich erstens festgestellt habe, daß sich der Marxsche Kapitalbegriff auf die entfremdete Totalität bezieht, die durch die vermittelnde Funktion der Arbeit im Kapitalismus konstituiert wird, und zweitens, daß die entfremdete Totalität als >sich selbst verwertender Wert< den gesellschaftlichen Charakter produktiver Tätigkeit als ihr Attribut >sich aneignet<, habe ich gezeigt, daß Marx zufolge das Kapital ebenso wie die Ware einen doppelten Charakter hat: sowohl eine abstrakte Dimension (sich selbst verwertender Wert) als auch eine konkrete oder substantielle gesellschaftliche Dimension (der gesellschaftliche Charakter der Arbeit als produktive Tätigkeit). Kapital ist die enfremdete Form beider Dimensionen gesellschaftlicher Arbeit im Kapitalismus, das sich den Individuen als ein fremdes, totales Anderes gegenüber stellt: "Das Kapital ist kein Ding, sondern ein bestimmtes, gesellschaftliches, einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis, das sich an einem Ding darstellt und diesem Ding einen spezifischen gesellschaftlichen Charakter gibt... Das Kapital, das sind die in Kapital verwandelten Produktionsmittel, die an sich sowenig Kapital sind, wie Gold oder Silber an sich Geld ist. Es sind die von einem bestimmten Teil der Gesellschaft monopolisierten Produktionsmittel, die der lebendigen Arbeitskraft gegenüber verselbständigten Produkte und Betätigungsbedingungen eben dieser Arbeitskraft, die durch diesen Gegensatz im Kapital personifiziert werden. Es sind nicht nur die, in selbständige Mächte verwandelten Produkte der Arbeiter, die Produkte als Beherrscher und Käufer ihrer Produzenten, sondern es sind auch die zukünftige [die gesellschaftlichen Kräfte und zusammenhängende] Form dieser Arbeit, die als Eigenschaften ihres Produkts ihnen gegenübertreten. (MEW 25, 822 f.; Hervorhebungen M. P.)" " (S. 256)
 
[Entfremdete Totalität]

{ Im Marxzitat vom M.P. ist das, was ich sagen wollte klar ausgedrückt: " Es sind die von einem bestimmten Teil der Gesellschaft monopolisierten Produktionsmittel, die der lebendigen Arbeitskraft gegenüber verselbständigten Produkte und Betätigungsbedingungen eben dieser Arbeitskraft, die durch diesen Gegensatz im Kapital personifiziert werden." Im Kern steht das Klassenmonopol der Bourgeoisie an den Produktionsmitteln. (d.V.)}

" Als die entfremdete Form sowohl des durch Arbeit konstituierten abstrakten gesellschaftlichen Bandes als auch der historisch konstituierten Produktivkräfte der Menschheit ist das Kapital als eine Totalität sowohl abstrakt als auch konkret - und darüber hinaus ist jede seiner Dimensionen allgemein. " (S. 256)
 
[Kapital als abstrakte UND konkrete Totalität]
" Auf einer anderen Ebene kann Kapital auch als die objektivierte Dualität abstrakter und historischer Zeit erfaßt werden, als Totalität, in der historische Zeit in einer entfremdeten Form akkumuliert wird, die die lebendige unterdrückt. Kapital ist die Struktur der Geschichte der modernen Gesellschaft, einer konstituierenden gesellschaftlichen Form, die derart beschaffen ist, daß die »Tradition aller toten Geschlechter wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden (lastet)« (MEW 8, 115). " (S. 257)
 
[Kapital als objektivierte Dualität abstrakter und historischer Zeit]
" Weit davon entfernt, lediglich die Produktionsmittel zu bezeichnen, die einer Klasse privater Ausbeuter gehören, bezieht sich der Marxsche Kapitalbegriff auf eine entfremdete, dualistische Struktur arbeitsvermittelter Verhältnisse, mittels der das eigentümliche Gefüge der modernen Gesellschaft, ihre abstrakte Herrschaftsform, ihre historische Dynamik und ihre charakteristischen Formen von Produktion und Arbeit systematisch verstanden werden können. Für Marx ist das Kapital, als entfaltete Warenform, die zentrale, totalisierende Kategorie des modernen Lebens. " (S. 527)

{ Da hat er wieder recht, betont aber in folge wieder zu stark, das Industrie kapitalistisch ist, an statt sie auch an der Ökonomie der Zeit zu messen. Dies wäre aber sicher für ihn dann wieder ökonomistisch verkürzt, wiewohl es nur die überhistorische Bestimmtheit der Industrie nennt. (d.V.)}

" Industrielle Produktion ist die Materialisierung des Kapitals und als solche die Materialisierung sowohl der Produktivkräfte als auch der Produktionsverhältnisse in ihrer dynamischen Wechselwirkung. Diese Analyse hebt sich deutlich von dem traditionellen marxistischen Verständnis der Produktivkräfte und der Produktionsverhältnisse im Kapitalismus und ihrem Widerspruch ab. " (S. 528)
" Vielmehr ist die Gebrauchswertdimension durch die abstrakte Wertdimension und die zwischen beiden Dimensionen bestehende Wechselwirkung geprägt. Dies setzt einerseits voraus, daß die Totalität, wenn auch notwendig entfremdet, so doch nicht eindimensional ist, sondern einen Doppelcharakter hat. Das totalisierte Ganze ist keine widerspruchsfreie Einheit. Andererseits weist es daraufhin, daß die Form, in der die Gebrauchswertdimension historisch konstituiert wurde, nicht vom Kapital unabhängig ist und nicht als Ort der Emanzipation angesehen werden sollte. " (S. 528)
" Im Gegensatz zu den Annahmen des produktivistischen Marxismus, denen Habermas entgegentrat, stellt die Entwicklung von Wissenschaft und Technologie für Marx keinen linearen Fortschritt dar, der sich im Sozialismus einfach fortsetzen würde. " (S. 528)
" Ganz im Gegenteil sind die im Kapitalismus entwickelten Formen gesellschaftlich-allgemeinen Wissens und die Produktivkräfte gesellschaftlich geformt und als Attribute des Kapitals in den Produktionsprozeß eingebettet. Sie verstärken die Herrschaft abstrakter Zeit, und fungieren dabei als Momente eines dialektischen Prozesses, der die unmittelbare menschliche Arbeit in der Produktion beibehält, während er sie konkret entleert und zeitlich verdichtet. Oder anders: Die >Befreiung< der allgemeinen menschlichen produktiven Fähigkeiten aus den Grenzen individueller Fertigkeit und Erfahrung geschieht im industriellen Kapitalismus auf Kosten des Individuums. " (S. 529)
 
[Historisch vom Kapital geprägte Form des Wissens]
" Die Vorstellung, daß Elemente der historisch konstituierten substantiellen gesellschaftlichen Dimension also bestimmte Formen gesellschaftlich-allgemeiner wissenschaftlicher, technischer und organisatorischer Kenntnisse und Praxis - durch die Dimension des Werts geprägt sind, ist für eine kritische Theorie, die die postliberale moderne Gesellschaft als kapitalistisch analysiert, von zentraler Bedeutung. " (S. 529)
" Sobald das Ziel der Produktion Mehrwert ist, ist sie nicht mehr Mittel zu einem substantiellen Zweck, sondern Mittel zu einem Zweck, der seinerseits ein Mittel ist - und somit zielt diese Produktion allein auf Quantität. Folglich ist Produktion im Kapitalismus Produktion um der Produktion willen. Der Produktionsprozeß, welchen Produkts auch immer, ist nur ein Moment in einem unendlichen Prozeß der Vermehrung von Mehrwert.
...
Dieses Ziel formt das Wesen der Produktion selbst.
...
Diese wird so organisiert, daß der Gebrauch menschlicher Arbeit der größtmöglichen Effizienz entspricht, weshalb diese Arbeit für zunehmend spezialisierte und fragmentierte Aufgaben eingesetzt wird, um das Ziel höherer Produktivität zu erreichen. Anders gesagt wird die Gebrauchswertdimension der Arbeit durch den Wert strukturiert. "
(S. 530)
 
[Wert strukturiert die Gebrauchswertseite]

{ Diese Effizienz hat aber eine überhistorische Bedeutung als Ökonomie der Zeit, wie auch die Teilung der Arbeit im Kommunismus eher noch größer werden wird, wiewohl die Zuschreibung und Zurichtung des Individuums auf eben diese Teilung der Arbeit aufgehoben wird, aber nicht die Teilung der Arbeit selbst, nur ihre historische verelendende, abstrakte, entfremdete Form. (d.V.)}

" Dies weist also darauf hin, daß die dialektische Wechselwirkung der beiden Dimensionen der Arbeit im Kapitalismus die substantielle Dimension mehr und mehr von innen heraus gemäß den Charakteristika der Wertdimension strukturiert. " (S. 531)
" ... - die substantielle Dimension der Arbeit und des gesellschaftlichem Leben in sich aufnimmt, sah Horkheimer den Ursprung dieses Prozesses in der Arbeit als solcher. Letzter Grund für diese substantielle Entwicklung ist jedoch nicht die konkrete Dimension der Arbeit, sondern ihre Wertdimension. " (S. 531)
" Letzter Grund für diese substantielle Entwicklung ist jedoch nicht die konkrete Dimension der Arbeit, sondern ihre Wertdimension. Obwohl die letztere die erstere nach ihrem Bilde formt, hat meine Analyse gezeigt, daß die beiden nicht identisch sind. Diese Nicht-Identität der beiden Dimensionen des Kapitals bildet die Grundlage für den fundamentalen Widerspruch, der seiner dialektischen Dynamik zugrundeliegt: in ihr entsteht die Möglichkeit einer zukünftigen Trennung dieser beiden Dimensionen und es ergibt sich somit historisch die Möglichkeit einer Transformation der im Kapitalismus entwickelten Formen gesellschaftlich-allgemein konstituierter Kenntnisse und Potenzen. In diesem Prozeß könnten sie zu Mitteln werden, die den Menschen zur Verfügung stehen, statt gesellschaftlich konstituierte Mittel abstrakter Herrschaft zu sein. " (S. 531)
 
[Möglichkeit der Aufhebung]

9.4.2 Das Proletariat(» K)

" Mit meiner Konzentration auf seine Analyse der für den Kapitalismus konstitutiven strukturierenden Formen gesellschaftlicher Vermittlung habe ich zeigen können, daß nicht der Klassenkonflikt an und für sich die historische Dynamik des Kapitalismus erzeugt, und daß er nur deshalb ein treibendes Element dieser Entwicklung ist, weil er durch gesellschaftliche Formen strukturiert ist, die eine Dynamik aus sich heraus besitzen. Wie festgestellt, widerspricht die Marxsche Analyse der Auffassung, der Kampf zwischen der Kapitalistenklasse und dem Proletariat sei einer zwischen der herrschenden Klasse im Kapitalismus und einer, die den Sozialismus verkörpere, und der Sozialismus bedeute deshalb die Selbstverwirklichung des Proletariats. " (S. 532)
 
[Sozialismus nicht Selbstverwirklichung des Proletariats]
" Dabei wird jede der beiden großen Klassen des Kapitalismus mit einer Seite dieses angenommenen Widerspruchs identifiziert und der Antagonismus zwischen Arbeitern und Kapitalisten als gesellschaftlicher Ausdruck des strukturellen Widerspruchs zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen interpretiert. Diese gesamte Konzeption beharrt auf einem Begriff von >Arbeit< als transhistorischer Quelle gesellschaftlichen Reichtums und als dem konstituierenden Element gesellschaftlichen Lebens. [Herv. v. P.H.] " (S. 532f)

{ Erstens hängt er selbst alles an den konstituierenden Charakter der Arbeit im Kapitalismus, und gerade nur hier. Weiterhin ist es nach Marx self evident, dass die Arbeit also die Produktion überhistorisch die besagt Quelle ist. (siehe Kugelmannbrief) Es gibt um eine Kritik der Form, wie M.P. richtig betont, der Produktion und nicht der Produktion als solcher selbst, das ist lächerlich. Das kann man nur mit Umbenennungen tun, sie als "Tätigkeit" firmieren zu lassen oder ähnlicher kläglicher Versuche. (d.V.)}

" Weit davon entfernt lediglich die Materialisierung der Produktivkräfte darzustellen, die strukturell im Widerspruch zum Kapital stehen, ist die auf dem Proletariat basierende industrielle Produktion ihrem inneren Wesen nach durch das Kapital geformt. Sie ist die materialisierte Form sowohl der Produktivkräfte als auch der Produktionsverhältnisse. Deshalb kann sie nicht als eine Art und Weise des Produzierens aufgefaßt werden, die unverändert dem Sozialismus als Grundlage dienen könnte. Die historische Negation des Kapitalismus in der späten Marxschen Kritik kann nicht verstanden werden, wenn sie den Bedingungen einer Transformation der Distributionsweise gemäß formuliert sind, die der industriellen, im Kapitalismus entwickelten Produktionsweise entsprechen. " (S. 533)
" Die logische Stoßrichtung der Marxschen Entfaltung des Kapitalbegriffs, also seiner Analyse der industriellen Produktion, steht im vollkommenen Widerspruch zu den traditionellen Annahmen vom Proletariat als revolutionärem Subjekt. Für Marx ist die kapitalistische Produktion durch eine enorme Ausdehnung der gesellschaftlichen Produktivkräfte und des gesellschaftlichen Wissens charakterisiert, die sich unter den vom Wert bestimmten Bedingungen konstituiert und deshalb in entfremdeter Form als Kapital existiert. [Herv. v. mir] " (S. 533)
 
[Proletariat ist NICHT das revolutionäre Subjekt]

{ Und schwubs haben wir wieder die Logik. Fragt sich andersherum, wer denn die Aufhebung machen soll, wenn nicht die direkten Produzenten selbst. Selbstredend muß sich das Proletariat selbst abschaffen. Aber wer redet im ernst von Lohnarbeit im Kommunismus? Die Erfahrungen sind "größer" als die des Gesamtarbeiters, was für ein Schmarren. Er sollte mal sagen, was für ihn Proletariat ist, das vermisse ich. Die Begründung ist,

(d.V.)}

" Mit der vollständigen Entwicklung der industriellen Produktion werden diese Produktivkräfte des gesellschaftlichen Ganzen größer als die kombinierten Fähigkeiten, größer als die Arbeit und die Erfahrung des Gesamtarbeiters. Sie sind gesellschaftlich-allgemein und repräsentieren die akkumulierten Erfahrungen und Potenzen der Menschheit, die sich als solche selbst in entfremdeter Form konstituieren. Als die objektivierten Potenzen des Proletariats können sie jedenfalls nicht adäquat verstanden werden. »Tote Arbeit«, um Marxens Begriff zu gebrauchen, ist nicht mehr nur die Vergegenständlichung »lebendiger Arbeit« - sie wurde zur Vergegenständlichung historischer Zeit. " (S. 534)
" Marx zufolge wird die Erzeugung von stofflichem Reichtum mit der Entwicklung der kapitalistischen industriellen Produktion immer weniger von der Verausgabung unmittelbarer menschlicher Arbeit in der Produktion abhängig. Dennoch spielt solche Arbeit auch weiterhin insofern eine notwendige Rolle, als die Produktion von (Mehr) Wert notwendig von ihr abhängt. " (S. 534)
" Es ist in dieser Hinsicht von Bedeutung, daß Marx bei der Erörterung der politökonomischen Kategorie der >produktiven Arbeit< diese nicht als eine gesellschaftliche Tätigkeit behandelt, die Gesellschaft und Reichtum im allgemeinen konstituiert - anders gesagt, er behandelt sie nicht als >Arbeit<. Vielmehr definiert er produktive Arbeit im Kapitalismus als Arbeit, die Mehrwert produziert, was gleichbedeutend damit ist, daß sie zur Selbstverwertung des Kapitals beiträgt. (MEW 23, 532) Dadurch verwandelt er eine ehemals transhistorische und affirmative Kategorie der politischen Ökonomie in eine, die historisch spezifisch und kritisch ist, darin erfassend, was für den Kapitalismus zentral ist. " (S. 534)

{

Und deshalb geht es um eine Kritik der Form, die den Inhalt nicht vergißt und mit der Ablehnung des transhistorischen der Bürgerlichen, nicht das transhistorische als solches über Bord wirft. Das ist die crux und Grundsätzliche Beschränkung der kritischen Theorie in ihrem kantischen bzw. skeptischen und politisch pessimistischen Moment.
Das Proletariat ist sowohl Inventar des Kapital und Ingredienz, immanent,... als auch in ständigem Widerspruch mit dem Kapital und im ständigen Kampf um seine Lebensbedingungen. Es ist sowohl Grundlage des Kapitalismus, als auch als Gesamtarbeiter überhistorische Grundlage der Produktion als solcher. Letzeres aber gerade nicht in seiner Form als Proletariat, sondern als produzierendes Subjekt. So gesehen ist sehr richtig bei M.P. das Proletariat das Objekt der Geschichte, wie es das Subjekt der Geschichte ist aber als bewußtes Subjekt der Geschichte (Lukacs) noch im Werden ist.
Der Klassenkampf und der Klassenkompromiß tauchen bei M.P. gar nicht auf. Stillschweigend wird vom ewigen Kompromiß ausgegangen. Die überschießenden Momente dieser Dialektik bleiben ihm verschlossen, wobei gerade Marx betont, dass das Neue erst im Schoße des alten gereift sein muß, ehe es übergreifend und in eigener Form hervortritt. Solange ist es in der verkehrten Form(Marx) und verweist nur in die Zukunft.
(d.V.)}

" Anders gesagt: produktive Arbeit ist die strukturelle Quelle ihrer eigenen Beherrschung. " (S. 535)
" In der Marxschen Analyse kommt dem Proletariat also weiterhin eine strukturell wichtige Funktion für den Kapitalismus zu: Quelle des Werts zu sein, nicht jedoch Quelle des stofflichen Reichtums. Dies ist dem traditionellen Verständnis vom Proletariat diametral entgegengesetzt. Weit davon entfernt, die vergesellschafteten Produktivkräfte darzustellen, die in Widerspruch mit den kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnissen geraten und dadurch auf die Möglichkeit einer postkapitalistischen Zukunft verweisen, ist die Arbeiterklasse für Marx das wesentliche, konstituierende Element dieser Verhältnisse selbst. Sowohl Arbeiterklasse als auch Kapitalistenklasse bleiben an das Kapital gebunden, die erstere jedoch um einiges mehr: das Kapital. " (S. 535)
" Der Logik der Marxschen Analyse zufolge ist die Arbeiterklasse, statt eine mögliche zukünftige Gesellschaft zu verkörpern, die notwendige Grundlage derjenigen, unter der sie leidet: der gegenwärtigen. Sie ist an die bestehende Ordnung auf eine Art und Weise gebunden, die sie zum Objekt der Geschichte macht. " (S. 536)
" Kurz gesagt weist die Marxsche Analyse des Entwicklungsverlaufs des Kapitals in keiner Weise auf die mögliche Selbstverwirklichung des Proletariats - als dem wahren Subjekt der Geschichte im Sozialismus hin. Ganz im Gegenteil verweist sie, als Bedingung für Emanzipation, auf die mögliche Abschaffung des Proletariats und der von ihm verrichteten Arbeit. " (S. 536)

{ Das Proletariat ist das Subjekt im Werden und damit sowohl noch nicht als auch schon Subjekt. In der Produktion ist es eh immer Subjekt als zwecksetzendes Objekt, wenn auch der oberflächliche Zweck der Lohn ist, ist es doch die stoffliche Reproduktion der Gesamtgesellschaft. Sie wissen es nicht, aber sie tun es.(Marx) Der Übergang vom Kapitalismus ist auch als Übergang in den Kategorien zu fassen. (d.V.)}

" (Fußnote 13) Wie ich im folgenden Abschnitt ausarbeiten werde, impliziert die Marxsche Analyse im Gegenteil, daß die Möglichkeit einer qualitativ anderen zukünftigen Gesellschaft im Potential der >toten Arbeit< angelegt ist. " (S. 536)

9.2.3 Widerspruch und bestimmte Negation(» K)

" Meine Untersuchung der Marxschen Auseinandersetzung mit der industriellen Produktion im Kapital steht in deutlichem Gegensatz zur traditionellen Interpretation seiner Auffassung vom grundlegenden Widerspruch des Kapitalismus und des Verhältnisses des Proletariats zu Kapitalismus und Sozialismus. Sie hat gezeigt, daß industrielle Produktion für Marx die materialisierte Form des Kapitals ist und daß das Proletariat keine mögliche Zukunft jenseits der Herrschaft des Kapitals repräsentiert, sondern die notwendige Voraussetzung dieser Herrschaft ist. Die Untersuchung hat dabei im nachhinein die Bedeutung der Unterschiede zwischen einer Kritik, die auf der Vorstellung der >Arbeit< beruht, und einer, in deren kritischem Zentrum der historisch spezifische Charakter von Arbeit im Kapitalismus steht, bestätigt. " (S. 537)
 
[Nicht Widerspruch Kapital//unabh. Dimension]
" Der grundsätzliche Widerspruch des Kapitalismus ist, der Logik der Marxschen Darstellung zufolge, in seinen grundlegenden strukturierenden gesellschaftlichen Formen angelegt. " (S. 537)
" Die Marxsche Vorstellung vom strukturellen Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft - der notwendigerweise einer ist zwischen den historisch-spezifischen Momenten dieser Gesellschaft und dem, was über sie hinaus weist - meint nicht einen Widerspruch zwischen dem Kapital und den angeblich von ihm unabhängigen Dimensionen des gesellschaftlichen Lebens. Meine Untersuchung der Dialektik der beiden Dimensionen sowohl von Arbeit als auch von Zeit im Kapitalismus hat gezeigt, daß die konkrete Dimension gesellschaftlicher Arbeit als eine Eigenschaft der Wertdimension konstituiert wird. Sowohl die konkrete als auch die abstrakte gesellschaftliche Dimension der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft sind Marx zufolge Dimensionen des Kapitals - keine von beiden repräsentiert in ihrer bestehenden Form die Zukunft. " (S. 538)
 
[Konkrete als auch abstrakte Seite der Arbeit sind vom Kapital abhängig]
" Obwohl keine bestehende gesellschaftliche Form die bestimmte Negation des Kapitalismus repräsentiert, deutet die Marxsche Darlegung doch auf die Möglichkeit einer solchen Negation. Der von ihm aufgezeigte Entwicklungsverlauf schließt eine wachsende Spannung zwischen den zwei Dimensionen der grundlegenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus ein: das heißt zwischen den gesellschaftlich-allgemeinen Kenntnissen und Fähigkeiten, die in entfremdeter Form von der durch Arbeit gebildeten Form gesellschaftlicher Vermittlung akkumuliert werden einerseits und jener Vermittlungsform selbst andererseits. " (S. 538)

{ Aber die organisatorische Seite wie Teilung der Arbeit als solcher und die Verteilung der Arbeitszeit sind nicht vom Kapitalismus, sondern von der Produktivität abhängig. Und so greift er auch zu kurz: (d.V.)}

" Insoweit man von >Fesseln< für die Produktivkräfte sprechen will, bezieht sich dieser Begriff jedoch nicht primär auf den Markt oder das Privateigentum, die die volle Entwicklung der Industrieproduktion behinderten. " (S. 538f)
" Dieser systemische Zwang resultiert in bestimmten Formen des >Wachstums< und der Produktion. Folglich sollten die Fesseln, welche die kapitalistischen Produktionsverhältnisse der Produktion anlegen, als diesen Formen inhärent angesehen werden und nicht als äußere Faktoren, die ihre Entwicklung behinderten. " (S. 539)
" Die Marxsche Darstellung weist darauf hin, daß im Verlauf der kapitalistischen industriellen Entwicklung sich eine wachsende Kluft zwischen dem gesellschaftlich-allgemeinen Produktivvermögen, das als Kapital konstituiert wird, und der Wertbasis der Totalität auftut. Jedoch bedeutet diese Kluft nicht die lineare Ablösung der bestehenden Form durch eine neue. Die Dialektik der wechselseitigen Transformation und Rekonstitution der beiden Dimensionen der strukturierenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus wird oder kann diese Gesellschaft nicht auf quasi-automatische Weise in eine fundamental andere Form von Gesellschaft entwickeln. Ebensowenig kann eine solche Gesellschaft automatisch aus irgendeiner Art Zusammenbruch des gegenwärtigen Systems hervorgehen. " (S. 539)
" Indem proletarische Arbeit vom Standpunkt der Produktion stofflichen Reichtums aus gesehen potentiell anachronistisch wird, wird der Wert selbst potentiell anachronistisch.
...
Offenbar schließt die Marxsche Darstellung der Entwicklung der kapitalistischen Produktion die Möglichkeit der Abschaffung von Wert und proletarischer Arbeit ein. (Letztere wird im Sinne des Potentials der Gebrauchswertdimension zunehmend überflüssig, obwohl sie für den Wert konstitutiv bleibt.) "
(S. 540)
 
[Verschwinden der proletarischen Arbeit - Abschaffen des Werts]
" Gewiß wird die Gebrauchswertdimension in einer durch das Kapital geprägten Form konstituiert; anders als der Wert jedoch ist sie nicht notwendigerweise an das Kapital gebunden. Die Logik der Marxschen Darstellung verweist auf die Möglichkeit, daß mit der Abschaffung des Werts das, was als die entfremdete Gebrauchswertdimension der gesellschaftlichen Arbeit konstituiert wurde, in anderer Form weiterbestehen könnte. Anders gesagt läuft die logische Stoßrichtung der Marxschen Darstellung darauf hinaus, daß die historische Zeit in entfremdeter Form akkumuliert, einer Form, die die Gegenwart als Notwendigkeit rekonstituiert. Gleichzeitig läßt sie darauf schließen, daß diese Akkumulation auch das notwendige Moment der Gegenwart, zu deren Rekonstruktion sie beiträgt, unterminiert, und damit die historische Möglichkeit eröffnet, die Organisation des gesellschaftlichen Lebens grundlegend zu transformieren. " (S. 540)
 
[GW nicht notwendig an Kapital gebunden]
" Es ist zu vermuten, daß die Marxsche Auffassung des Grundwiderspruchs des Kapitalismus letztlich die eines Widerspruchs zwischen dem Potential des akkumulierten allgemeinen Gattungsvermögens und ihrer existierenden, entfremdeten Form, wie sie durch die Dialektik der zwei Dimensionen von Arbeit und Zeit konstituiert wurde, ist. Das Verhältnis zwischen dem Bestehenden und dem in ihm enthaltenen Potential ist zentral für die Marxsche Vorstellung von der Möglichkeit einer Aufhebung des Kapitalismus. [Herv v. P.H.] " (S. 540f)
" Gesellschaftliche Notwendigkeit läßt sich so historisch unterteilen in das für den Kapitalismus Notwendige und das, was gesellschaftlich notwendig wäre, gäbe es keinen Kapitalismus. " (S. 541)
" Die Marxsche Kritik ist also nicht >positiv<. Ihr grundsätzlicher Standpunkt ist nicht der einer bestehenden gesellschaftlichen Struktur oder Gruppierung, die für vom Kapitalismus unabhängig gehalten wird. In Wirklichkeit ist er kein Ausdruck irgendeiner Seite des kapitalistischen Grundwiderspruchs, wie auch immer man diesen interpretiert. " (S. 541)
 
[Marxsche Kritik ist nicht >positiv<]
" Wir haben gesehen, daß die Marxsche Darstellung die allgemeine historische Emanzipation nicht auf der möglichen vollständigen Verwirklichung der schon bestehenden Produktionsform autbaut, sondern vielmehr auf der Möglichkeit ihrer Aufhebung. Diese Kritik ist nicht angelegt in dem, was ist, sondern in dem, was möglich geworden ist -aber innerhalb der bestehenden Strukturen des gesellschaftlichen Lebens nicht verwirklicht werden kann. " (S. 541)
" Es handelt sich aber auch nicht um eine historisch unbestimmte Möglichkeit. Vielmehr beinhaltet sie die bestimmte Negation der bestehenden Ordnung die Schaffung neuer Strukturen, die sich als historische Möglichkeiten aufgetan haben, aber die Abschaffung der Grundlage der kapitalistischen Ordnung als Bedingung ihrer realen, faktischen gesellschaftlichen Existenz erfordern. " (S. 542)
 
[Bestimmtheit der Negation]
" Der Standpunkt der Marxschen >negativen< Kritik ist also eine bestimmte Möglichkeit, die historisch vom widersprüchlichen Charakter der bestehenden Ordnung hervorgebracht wird und nicht mit der existierenden Form irgendeiner der Dimensionen dieser Ordnung identifiziert werden sollte. In diesem Sinne geht die Kritik eher von einem zeitlichen als räumlichen Standpunkt aus. " (S. 542)
" In der traditionellen Interpretation beinhaltet die Aufhebung des kapitalistischen Grundwiderspruchs die offene Verwirklichung der Zentralität der Arbeit für das gesellschaftliche Leben. Ich habe, dem vollkommen entgegengesetzt, argumentiert, daß nach Marx die konstitutive Zentralität der Arbeit das gesellschaftliche Leben den Kapitalismus charakterisiert und die entscheidende Grundlage seiner abstrakten Herrschaftsweise bildet. " (S. 542)
 
[Zentralität der Arbeit nur im Kapitalismus]

{ Zentralität bzw. Existenz in der Form der Lohnarbeit nur im Kapitalismus. Arbeit als solche ist immer die Grundlage der Gesellschaft - self evident (Marx). (d.V.)}

" Dieses Vorgehen interpretiert die Marxsche Auffassung vom Grundwiderspruchs des Kapitalismus im Sinne einer zunehmenden Spannung zwischen einer Form gesellschaftlichen Lebens, die im wesentlichen durch Arbeit vermittelt wird, und der historisch sich ergebenden Möglichkeit einer Lebensweise, in der Arbeit keine gesellschaftlich vermittelnde Rolle spielt. " (S. 542)

{

Lächerlich. Arbeit spiel nach Marx als Vermittlung zwischen Mensch und Natur, Mensch und Mensch immer eine notwendig zentrale und vermittelnde Rolle. Aber sicher nicht die Lohnarbeit. Arbeit macht erst den Menschen in seiner bewußtheit aus, in der Arbeit als Praxis notwendig zwischen Subjekt und Objekt, wobei das Objekt auch das Subjekt und umgekehrt sein kann, vermittelt.
Aber hier wird klar, warum die Arbeit ihren Stellenwert verlieren muß, damit man sich eine Gesellschaft "ohne" Arbeit vorstellen kann, oder wie sich M.P. vorsichtig ausdrückt, ohne ihre vermittelnde Rolle. Er spricht auch immer mehr nur von der Marxschen Logik und übersieht den politischen Marx oder den Bezug zur gesellschaftlichen Praxis völlig. Da ist Lukács ein gutes Stück näher dran.
Hier vergisst er die Formunterscheidung. Es geht nicht um die Zentralität der Arbeit, bei welcher er undialektisch festhält, sondern die Zentralität der Form der Arbeit, welcher eine Form der gesellschaftlichen Vermittlung entspricht. Es geht nicht um die Abschaffung oder Aufhebung der gesellschaftlich Vermittelnden Rolle der Arbeit als solcher, sondern um die Aufhebung der gesellschaftlich Vermittelnden Rolle der Arbeit im Kapitalismus, also der Arbeit, welche den Doppelcharakter trägt u.s.w.
Wenn hier die Formbestimmtheit anstatt einer von ihm selbst kritisierten, aber an eigener zentralen Stelle falsch benutzten überhistorischen Arbeit, kritisiert würde, dann hätte er Marx gefaßt. So entgleitet ihm gerade hier das entscheidende Moment und er muß die Arbeit als solche aufheben lassen und sitzt selbst dem Schein der Arbeit als solcher auf. Das wäre der Kern meiner Kritik.
Alles, was er später Potential und latent in der Arbeit liegend beschreibt, ist nichts anderes als das wirklich transhistorische der Arbeit, wie ihm auch klar ist, dass es nicht um ein Ende der Teilung der Arbeit als solcher geht, die ist nämlich technologisch durch den Produktionsprozeß objektiv (ohne Tüddelchen) vorgeschrieben. Sondern es geht um die gesellschaftliche Form der Teilung der Arbeit, bei dem der Einzelne an einer der Stellen dieser Teilung festgeschmiedet wird. (das kommt später bei ihm)
(d.V.)}

 
[Gesellschaft ohne Arbeit]

{

Ein weiterer kritischer Gedanke wäre, dass Postone das Proletariat einseitig als Ingredienz des Kapitalismus begreift. Er sieht nicht, dass es so widersprüchlich ist, wie der Kapitalismus selbst. So ist es einerseits ein Objekt im Produktionsprozeß, wie auch in actu gleichzeitig ein bewußtes Subjekt im Arbeitsprozeß. Es ist verbürgerlicht im Denken, wie die Wirklichkeit seines Alltags es immer wieder der Absurdität und Unhaltbarkeit bewußt werden läßt.
Nicht nur die Kategorien sind also solches des Prozesses und des Überganges, sondern die von ihnen erfaßte Realität ist dies und bring diese Kategorien ursächlich auch erst als solche hervor. So muß das Proletariat selbstverständlich sich selbst als Klasse aufheben, um den Übergang zu schaffen als sich selbst bewußtes gesellschaftliches Subjekt der Geschichte.(Lukács). Also was er später als das darüberhinausweisende Bezeichnet, ist im Widerspruch des Proletariats selbst ursächlich. Dies ist das das Problem des Klassenbewußtseins und seiner objektiven Möglichkeit.(Lukács)
Um in der Diktion von M.P. zu sprechen, ist das Proletariat selbstverständlich von dem Widerspruch konstituiert, der in der Arbeit im Kapitalismus liegt, dessen Träger ja nun dieses Proletariat ist. Diese Arbeit reproduziert mit jeder Ware ja das Kapitalverhältnis selbst, also reproduziert sich jeden Tag nicht nur der Arbeiter biologisch, sondern gleichfalls als Arbeiter, die Klassenverhältnisse werden in den Waren reproduziert.(z.B. 'Kapital' Bd.I, MEW Bd.23, S.597ff)
" Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet oder als Reproduktionsprozeß, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der andren den Lohnarbeiter. " (MEW Band 23, S. 605)
Dies bedeutet aber auch, wenn M.P. der Marxschen Kritik und verweile er auch bei der "Logik", die Eigenschaft zubilligt, dass sie die Möglichkeit des jenseits des Kapitalismus belegt, so muß dies sicherlich auch für das Proletariat und die Arbeit gelten. Der Arbeiter und die Arbeit werden ihrer längst überfälligen historischen Formen als Lohnarbeiter und Lohnarbeit sprengen müssen, zu einer neuen Beziehung zwischen Arbeit-Spiel-Muße und notwendiger bzw. freier Arbeit.
(d.V.)}

 
[Widerspruch im Proletarier und den Kategorien ist vorrangig eine Formfrage]

{

So bleibt festzuhalten, hier Handwerkszeug zu haben bedeutet, Form und Inhalt scheiden zu können, Wesen und Erscheinung und zu begreifen, dass es zuerst um eine Kritik der Form geht, zb der Lohnarbeit und Wert, und dann, nach Aufhebung dieser Form, um die praktische Konstitution der neuen Form und damit auch der praktischen Neubestimmung des Inhalts. So wird sicher die Teilung der Arbeit und die Industrieproduktion im Übergang bestehen bleiben, aber dann selbst durch die Form verändert werden. Z.B. die Gebrauchswertdimension wird von der neuen Form derart neubestimmt, dass dieser ganze überflüssige Dreck, der heute produziert wird, einfach nicht mehr hergestellt wird oder seine Qualitäten, z.B. Haltbarkeit, signifikant verändert. In dieser Form ist der Inhalt der Produktion, der Gebrauchswert auch wieder das unmittelbare Ziel der Produktion und nicht nur das mittelbare. Hierauf geht M.P. auch richtigerweise ein.
(d.V.)}

 
[Aufhebung der Form - Neukonstitution einer Form und Inhalt]
" Ich habe gezeigt, daß die Logik der historischen Entwicklung, wie Marx sie umreißt, auf die mögliche historische Aufhebung des Werts deutet und somit die Aufhebung der objektiven, quantifizierbaren Form der durch Arbeit konstituierten gesellschaftlicher Vermittlung. Das würde auch die Aufhebung der Form gesellschaftlicher Herrschaft mit sich bringen, die im Kern des Kapitalismus angelegt ist, eben jene abstrakten, objektiven Zwänge, die die kapitalistisch notwendigen Muster von Wachstum und Produktionsweise kennzeichnen. " (S. 542f)
" Die Verlaufsform der kapitalistischen Entwicklung impliziert eine mögliche bestimmte historische Negation, die die Konstituierung einer anderen, nicht->objektiven< Form gesellschaftlicher Vermittlung zulassen würde, eine andere Form des Wachstums und eine technologisch fortschrittliche Produktionsweise, die nicht länger durch die Imperative des Werts geformt werden. Die Menschen könnten dann, anstatt von ihrem eigenen gesellschaftlich-allgemeinen Produktivvermögen beherrscht und subsumiert zu werden, zu ihrem eigenen Nutzen Gebrauch davon machen. " (S. 543)
 
[Nicht-objektive Form gesellschaftlicher Vermittlung]

{ Wir nähern uns dem Kern, der konkreten Negation. (d.V.)}

" Ein Aspekt dieser bestimmten Negation des Kapitalismus ist es also, daß gesellschaftliches Leben nicht länger >quasi-objektiv< durch die Strukturen, die wir untersucht haben, sondern in einer manifesten gesellschaftlichen und politischen Art vermittelt werden könnte. In einer solchen Gesellschaft könnte eine politische öffentliche Sphäre eine zentralere Rolle als im Kapitalismus spielen, denn sie wäre nicht nur frei von den verzerrenden Effekten der gewaltigen Ungleichverteilungen von Reichtum und Macht, die Klassengesellschaften charakterisieren, sondern auch frei von einer Reihe grundlegender Zwänge, die Marx als Erscheinungen des Kapitalismus analysierte (und nicht bloß als solche der >Wirtschaft<). " (S. 543)
" Zum Beispiel schließt die logische Ausrichtung der Marxschen Darstellung mit ein, daß, sollte die Wertbasis der Produktion abgeschafft werden, stofflicher Reichtum nicht länger als Träger von Wert produziert würde, sondern selbst die vorherrschende gesellschaftliche Form des Reichtums unter Beibehaltung der technologisch fortgeschrittenen Produktivvermögens wäre. " (S. 543)
 
[Beibehaltung der technologischen Basis]
" Vielmehr würde sie sich in einer direkten Vermehrung gesellschaftlichen Reichtums ausdrücken. In einer solchen Konstellation gäbe es keine Kluft zwischen der Menge produzierten stofflichen und der Menge gesellschaftlichen Reichtums. Dies würde auf der systemischen Ebene nicht nur die bedeutendste Ursache für die Existenz von Armut (im Sinne der Wertförmigkeit des gesellschaftlichen >Reichtums<) inmitten augenscheinlicher Fülle (der Masse produzierter Güter) überwinden. Und es würde eine Form ökonomischen Wachstums ermöglichen, die den langfristigen ökologischen Interessen der Menschheit nicht notwendigerweise diametral entgegengesetzt ist. " (S. 544)
" Der logische Verlauf der Marxschen kategorialen Analyse zielt, auf einer allgemeinen gesellschaftlichen Ebene betrachtet, auch auf die Möglichkeit einer Transformation der Produktionsstruktur. " (S. 544)
 
[Möglichkeit der Transformation der Produktionsstruktur]
" Die einer solchen Analyse entsprechende Abschaffung des Werts würde die Abschaffung der zwei Imperative der Verwertung mit einbeziehen - die Notwendigkeit ständig steigender Produktivität und die strukturelle Notwendigkeit der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit in der Produktion. Das würde sowohl einen großen quantitativen Wandel der gesellschaftlichen Organisation erlauben - das heißt eine gesellschaftlich-allgemeine Reduktion der Arbeitszeit - als auch einen grundsätzlichen qualitativen Wandel der Struktur gesellschaftlicher Produktion und des Charakters individueller Arbeit. " (S. 544)
" Im Ergebnis könnte ein großer Teil der Arbeit, der als Quelle von Wert zunehmend entleert und fragmentiert wurde, abgeschafft werden; verbleibende einseitige Aufgaben könnten gesellschaftlich turnusmäßig abwechselnd erledigt werden. Das heißt in der Marxschen Analyse ist impliziert, daß die Abschaffung des Werts eine gesellschaftlich-allgemeine Transformation der Produktion erlauben würde, die die Abschaffung der proletarischen Arbeit mit sich brächte - sowohl durch die Veränderung des Charakters eines großen Teils der Arbeit im industriellen Kapitalismus als auch durch die Abschaffung eines Systems, in dem die Menschen einen großen Teil ihres Erwachsenenlebens hindurch an solche Arbeit gefesselt sind - und dennoch ein hohes Produktivitätsniveau aufrechterhalten bliebe. Dies würde eine Produktionsform ermöglichen, die direkt auf der Aneignung historischer Zeit basiert. [Herv. v. P.H.] " (S. 545)
 
[Abschaffen des Werts und Beibehalten der techn. Teilung der Arbeit]

{ Das ist konkret genug und dem stimme ich voll zu, das Proletariat schafft sich selbst ab, wer sonst, und eine neue Form der Produktion und Auswirkung der Produktivität auf die Gesellschaft. Marx traut sich sogar von der bewußten Planung zu sprechen, was für ein "Wagnis". (d.V.)}

" Die kritische Analyse der Industrieproduktion durch Marx deutet also die mögliche Abschaffung eines großen Teils der einseitigen Arbeit wie auch die Möglichkeit an, daß Arbeit neu definiert und umstrukturiert werden könnte, so daß sie interessanter und ihrem Wesen nach befriedigender würde.
...
Seine Analyse zeigt in die Richtung einer möglichen Schaffung von Formen individueller Arbeit, die, befreit von den Zwängen der Fragmentierung, für die Einzelnen erfüllender und vielfältiger sein könnten. Darüber hinaus könnte Arbeit auch abwechslungsreicher werden; die Menschen würden nicht notwendigerweise für den größten Teil ihres Erwachsenenlebens an eine bestimmte Art der Arbeit gebunden bleiben. "
(S. 545)
" Die Aufhebung des antagonistischen Gegensatzes zwischen Individuen und Gesellschaft bringt also nicht die Subsumtion ersterer unter letztere mit sich. Im Gegenteil zeigt Marx in seiner Analyse, daß genau diese Subsumtion bereits existiert - als Charakteristikum des Kapitals. Die Aufhebung dieses antagonistischen Gegensatzes erfordert die Aufhebung einer konkreten Struktur der Arbeit, in der die >Armut< individueller Arbeit die Voraussetzung gesellschaftlichen Reichtums ist; sie erfordert eine neue Struktur der Arbeit, in der der Reichtum der Gesellschaft und die >Reichtum schaffende< Möglichkeit der Arbeit in bezug auf die Individuen sich entsprechen und nicht gegeneinander stehen. " (S. 546)
 
[Aufhebung von Antagonismus Individuum//Gesellschaft]
" Die Möglichkeit, daß gesellschaftliche Arbeit in einer postkapitalistischen Gesellschaft interessanter und erfüllender sein könnte, bedeutet jedoch kein Utopia der Arbeit. Sie ist nicht an die Auffassung von der Zentralität der Arbeit für das gesellschaftliche Leben gebunden. Sie beruht vielmehr auf der historischen Negation der gesellschaftlich konstituierenden Rolle, die die Arbeit im Kapitalismus innehat. Darüber hinaus kann die Marxsche Analyse der vermittelnden Rolle der Arbeit für die Strukturierung von Arbeit und Produktion im Kapitalismus auf die Strukturierung von Spiel, Freizeit und ihrem Verhältnis zur Arbeit, ebenso wie auf das Verhältnis von öffentlichem Leben und Arbeit einerseits und dem Privatleben andererseits, ausgeweitet werden. Dies schließt ein, daß die Aufhebung dieser historisch spezifischen Form von Vermittlung nicht nur eine neue Strukturierung von Arbeit ermöglichen würde, sondern auch eine grundsätzliche Umstrukturierung und einen Bedeutungswandel des gesellschaftlichen Lebens im allgemeinen - nicht nur für die wenigen Begünstigten, sondern für die Mehrheit. " (S. 546)

{ Immer wenn M.P. Arbeit negativ benutzt, muß man nur Form der Arbeit oder Lohnarbeit sagen, um die Aussagen geradezuziehen. (d.V.)}

" Diese Analyse schließt aber auch die Möglichkeit einer grundsätzlichen Transformation und Umstrukturierung der wissenschaftlichen Erkenntnis und des technischen Wissens ein, wie diese sich im Kontext der entfremdeten gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus entwickelt haben. Allgemeiner gesagt, ermöglicht die Marxsche Kritik des Kapitalismus einen Standpunkt, der weder wissenschaftliche Erkenntnis und technisches Wissen in ihren bestehenden Formen als emanzipatorisch affirmiert, noch implizit ihre abstrakte Negation einfordert. Indem sie das emanzipatorische Potential des historisch in entfremdeter Form Konstituierten analysiert, strebt die Marxsche Kritik vielmehr danach, das Bestehende auf eine Weise kritisch zu erfassen, die historisch darüber hinaus weist. " (S. 547)
 
[Überschießende Elemente]

{ Dagegen siehe Adorno. (d.V.)}

" Ein Strang der Marxschen Analyse kann also wie folgt zusammengefaßt werden: Die Dynamik des Kapitals generiert die Entwicklung der Produktivität in einer konkreten Form, die ein Instrument der Herrschaft darstellt. Doch ihr wachsendes Potential bildet die Grundlage für eine mögliche Transformation der Gesellschaft - der gesellschaftlichen Vermittlung und der gesellschaftlichen Organisation der Produktion - auf eine Weise, die sowohl die Struktur wie auch das Ziel der Produktion grundsätzlich ändern würde. " (S. 547f)
" Die Möglichkeit dieser reflexiven Transformation der Produktionssphäre bietet die Grundlage für eine Gesellschaftskritik, die über die Antinomie zweier Arten gesellschaftlicher Kritik hinausgehen kann. Die erste besteht in einer Kritik entfremdeter Arbeit und der Entfremdung der Menschen von der Natur und weist die industrielle Technologie überhaupt zurück in der historisch nicht einlösbaren Hoffnung einer Rückkehr zu einer vorindustriellen Gesellschaft. Die zweite kritisiert die unfaire und ungerechte Verteilung der gesellschaftlichen Macht und der großen Masse der kapitalistisch produzierten Güter und Dienstleistungen und akzeptiert das lineare Fortbestehen der kapitalbestimmten Produktion als notwendig. " (S. 548)
 
[Die zwei antinomischen Kritiken]
" An diesem Punkt wäre jedoch anzumerken, daß die Marxsche kategoriale Analyse der Entwicklung der kapitalistischen Produktion auch auf die mögliche Abschaffung des anderen Aspekts der Lohnarbeit verweist, nämlich die des Verteilungssystems, das auf dem Austausch von Arbeitskraft gegen Lohn zum Erwerb von Konsumgütern basiert.
...
Das Lohnsystem, vom Standpunkt des stofflichen Reichtums aus betrachtet, wird zu einer Form gesellschaftlich-allgemeiner Verteilung und drückt nur noch scheinbar die Vergütung für verausgabte Arbeitszeit aus. Es hat keine Grundlage mehr in der Produktion stofflichen Reichtums; seine systemische Aufrechterhaltung verdankt sich allein noch der Wertdimension "
(S. 548f)
 
[Veränderung der Verteilung]
" Folglich ist ein zentraler Aspekt der Verwirklichung des Potentials der akkumulierten Gebrauchswertdimension der Arbeit, daß, sobald sie von den Zwängen des Werts befreit ist, der gesellschaftliche Überschuß nicht länger das Produkt unmittelbarer Arbeit einer Klasse von Menschen sein müßte, die dem Produktionsprozeß subsumiert ist; die Arbeit der Menschen wäre also nicht länger ein quasi-objektives Mittel für den Erwerb von Konsummitteln. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Marxschen Auffassung von der sozialistischen Gesellschaft als Aufhebung der menschlichen Vorgeschichte. " (S. 549)
 
[Aufhebung der Klassengesellschaft]
" Eine solche Transformation würde die Abschaffung der Klasse einschließen, deren unmittelbare Arbeit in der Produktion die Quelle des Mehrprodukts ist. Sollte diese Transformation ausbleiben, würde die Klassengesellschaft weiter existieren, ungeachtet dessen, ob die Aneigner des Mehrprodukts als Klasse im traditionellen marxistischen Sinne zu betrachten wären oder nicht. " (S. 549f)

{ Sehr treffend gegen die realsozialistische Bürokratie als Klasse im Werden. (d.V.)}

9.2.4 Formen der Universalität(» K)

" Dieser Zugang zur möglichen Transformation der bestehenden gesellschaftlichen Formen, wie er in der Marxschen kritischen Analyse des Doppelcharakters der strukturierenden Verhältnisse des Kapitalismus angelegt ist, hat auch Auswirkungen auf das Verhältnis bestimmter Formen der Universalität zum Kapitalismus und seiner möglichen historischen Negation. " (S. 550)
" Wir haben gesehen, daß die Marxsche Analyse der Ware als einem grundlegenden Strukturprinzip gesellschaftlichen Handelns und Denkens in der modernen kapitalistischen Gesellschaft einen Ausgangspunkt für eine kritische soziohistorische Auseinandersetzung mit dem Charakter moderner Universalität und Gleichheit bereit stellt. Mit dem historischen Auftreten des Kapitals - der Ware als der totalisierenden gesellschaftlichen Form entsteht eine gesellschaftliche Vermittlungsform, die abstrakt, homogen und allgemein ist: jeder Aspekt dieser Vermittlung (das heißt jede Ware als Wert betrachtet) ist nicht qualitativ bestimmt, sondern Moment der Totalität. " (S. 550)
 
[Ware als Strukturprinzip der Universalität und dem Denken und Handeln]
" Eine solche Analyse vermeidet es, die Form von Universalität, die in der kapitalistischen Gesellschaft vorherrschend geworden ist, quasi-metaphysisch als Universalität überhaupt zu behandeln, und begreift sie stattdessen als gesellschaftlich konstituierte, historisch spezifische Form von Universalität, die in transhistorischer Form als das Universelle erscheint. " (S. 551)
" Eine solche Analyse, welche die moderne, abstrakte Form der Universalität mit der Wertdimension der Warenform in Beziehung setzt, bedeutet nicht notwendigerweise auch ein Verwerfen dieser Form von Universalität, aber ermöglicht eine gesellschaftliche Analyse ihres ambivalenten Charakters - der, wie festgestellt, darin besteht, daß diese Form von Universalität positive politische und gesellschaftliche Konsequenzen hatte, und dennoch, da sie im Gegensatz zu jeglicher Besonderheit steht, auch Ausdruck abstrakter gesellschaftlicher Herrschaft ist. " (S. 551)
 
[Durch Wert strukturiert => Ambivalenz der Universalität]
" Indem sie universelle Formen in gesellschaftlicher und historischer Hinsicht analysiert, betrachtet die Marxsche Analyse nicht alle Formen der Universalität als notwendigerweise an den Wert gebunden. Basierend auf der Unterscheidung zwischen Wert und Gebrauchswert weist sie auch auf die historische Konstituierung einer parallelen Form von Universalität hin, die nicht abstrakt und homogen ist und nicht notwendigerweise im Gegensatz zur Besonderheit steht. " (S. 551)
 
[Universalität nicht notwendig wertbestimmt]
" Tätigkeiten und Produkte, die in anderen Gesellschaften möglicherweise nicht als gleichartig betrachtet würden, werden im Kapitalismus gesellschaftlich als gleichartig Organisiert und so klassifiziert - zum Beispiel als Unterarten (konkreter) Arbeit oder als spezifische Gebrauchswerte. Diese Allgemeinheit ist jedoch keine Totalität, sondern ein Ganzes, das sich aus Besonderheiten zusammensetzt. Diese Form der Allgemeinheit ist auch bei der Marxschen Auffassung von der Entwicklung des allgemeinen Gattungsvermögens, also allgemeiner Formen von Wissen und Fähigkeiten, wie sie im Verlauf der Kapitalentwicklung konstituiert werden, evident. Weil diese substantiell allgemeine Dimension innerhalb der durch den Wert bestimmten Bedingungen entsteht, ist sie dementsprechend strukturiert: sie wird Teil der abstrakten, rationalisierten, technisch-administrativen Welt, die vom Kapital konstituiert wird. " (S. 551f)
" Andererseits ist diese substantiell allgemeine Dimension, wenn man der Marxschen Analyse folgt, mit dem Wert und folglich mit der abstrakten, homogenen Universalität nicht identisch - obgleich sie, als konkrete Dimension des Kapitals, durch den Wert geformt ist. Folglich kann die wachsende Spannung zwischen dem Potential der Gebrauchswertdimension der Arbeit im Kapitalismus und der durch den Wert konstituierten Wirklichkeit der Welt auf einer bestimmten logischen Ebene auch so gesehen werden, daß sie eine mögliche Trennung der beiden Formen von Allgemeinheit zuläßt. Die Marxsche kritische Theorie setzt auf einer ersten, vorläufigen Ebene die historische Konstituierung zweier Formen von Allgemeinheit voraus. Die eine ist eine abstrakte, homogene Art... " (S. 552)
" Die zweite Form ist eine andere Art von Allgemeinheit, eine, die nicht homogen ist. Obwohl letztere in entfremdeter Form konstituiert wurde, verweist die Marxsche Analyse darauf, daß sie in einer postkapitalistischen Gesellschaft in einer Form existieren könnte, die von der Strukturierung durch den Wert befreit ist und folglich sich nicht notwendigerweise in Gegensatz zur Besonderheit stellt - eine Form, die mit der Entwicklung eines neuen Verständnisses von Menschheit als allgemein und dennoch mannigfaltig verknüpft sein könnte. " (S. 552)
 
[Die neue Form im Alten]
" Für Marx hat die Aufhebung des Kapitalismus weder die Abschaffung aller Formen technologisch fortgeschrittener Produktion noch die Verwirklichung der im Kapitalismus entwickelten Form von Industrieproduktion zur Folge. Gleichermaßen bringt sie weder die Auslöschung von Universalität mit sich noch kann sie adäquat im Sinne der tatsächlichen Ausdehnung der abstrakten, homogenen Form von Universalität, wie sie sich als Moment der durch die Ware strukturierten gesellschaftlichen Lebensweise entwickelt hat, auf alle Menschen verstanden werden. " (S. 553)
 
[Kein Abschaffung aller Technologie]
" In der marxistischen Tradition wurde das Proletariat häufig als universelle Klasse gesehen und auf dieser Grundlage der Kapitalistenklasse gegenübergestellt, deren Interessen partikular seien, da sie nicht mit denen der Gesellschaft als ganzer übereinstimmten (oder diesen gar entgegengesetzt seien). Aufgrund dieses universellen Charakters ist dem Proletariat die Rolle des Repräsentanten einer zukünftig möglichen Gesellschaft zugeschrieben worden. Die Beschäftigung mit der in der Marxschen Analyse angelegten Gesellschaftlichkeit der Formen von Universalität zeigt jedoch, daß das Verhältnis des Kapitalismus zu seiner historisch möglichen Negation nicht im Sinne eines solchen Gegensatzes zwischen Besonderheit und Universalität verstanden werden sollte, denn dieser Gegensatz selbst ist für die gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus charakteristisch. Vielmehr sollte das Verhältnis des Kapitalismus zur Möglichkeit seiner Negation im Hinblick auf unterschiedlich vorherrschende Formen von Universalität verstanden werden sollte, denn dieser Gegensatz selbst ist für die gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus charakteristisch. Vielmehr sollte das Verhältnis des Kapitalismus zur Möglichkeit seiner Negation im Hinblick auf unterschiedlich vorherrschende Formen von Universalität gesehen werden. " (S. 554)
 
[Rolle des Proletariats]
" So gesehen stellt die vom Proletariat repräsentierte Universalität in letzter Instanz die des Werts dar, wie immer die Form dieser Universalität auch beschaffen sein mag: die Individuen in sich enthaltend oder sie zusammenfassend. Weit davon entfernt, die Negation des Werts zu repräsentieren, konstituiert das Proletariat wesentlich diese abstrakte, homogene Form des Reichtums, die gesellschaftliche Vermittlung, deren Allgemeinheit der qualitativen Besonderheit entgegengesetzt ist. " (S. 554)
" Darüber hinaus habe ich auch gezeigt, daß in der Marxschen Behandlung der Arbeiter als Subjekte und Objekte der Produktion sich ihr Subjektstatus daraus ergibt, daß sie (kollektive) Warenbesitzer sind. Diese vorläufigen Bestimmungen implizieren, daß die Ausdehnung der universalistischen Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft auf weite Teile der Bevölkerung - also die Verwirklichung dieser Prinzipien-, die teils durch die Arbeiterbewegungen teils durch jene Strömungen der Frauen- und Minderheitenbewegungen, die für gleiche Rechte eintraten, erkämpft wurden, nicht als Entwicklung verstanden werden sollten, die über die kapitalistische Gesellschaft hinaus wiesen. " (S. 554)
 
[Nicht nur Arbeiter, sondern alle möglichen Bewegungen]
" Wenn der Grundwiderspruch des Kapitalismus nicht im gesellschaftlichen Gegensatz der Arbeiter- zur Kapitalistenklasse besteht und wenn die Aufhebung des Kapitalismus nicht die Verwirklichung der mit dieser Gesellschaft verbundenen abstrakten Form von Universalität mit sich bringt, dann muß die Frage nach dem Wesen und der Entstehung historisch konstituierter Formen von Subjektivität, die über die bestehende Ordnung hinaus weisen, neu verhandelt werden. " (S. 554f)
 
[Grundwiderspruch ist NICHT Arbeiter//Kapitalist]
" Nichtsdestoweniger sollten die Spannungen, die Marx im Doppelcharakter der dem Kapitalismus zugrundeliegenden Formen angelegt sieht, nicht nur im >objektiven< zum Beispiel im ökonomischen und gesellschaftlichen Sinne, sondern auch im >subjektiven< Sinne im Hinblick auf sich verändernde Formen des Denkens und Empfindens verstanden werden. Eine ausführlichere Untersuchung der kapitalistischen Gesellschaft im Hinblick auf diese Themen würde natürlich eine konkretere Ebene der Analyse erfordern. " (S. 555)
" Die von mir vorgelegte Interpretation besagt allein, daß die Marxsche Analyse auch einen Ansatz für qualitative historische Veränderungen der Formen von Subjektivität und der Bedürfnisstrukturen beinhaltet, der solcbe Veränderungen nicht nur in bezug auf den gesellschaftlichen Hintergrund der beteiligten Akteure, sondern auch als durch die Entwicklung der gesellschaftlichen Formen im Inneren des Kapitalismus selbst konstituierte Möglichkeiten erklärt. Oder anders: die Marxsche Analyse enthält eine Gesellschaftstheorie der Subjektivität, die historisch ist. " (S. 555)
 
[Historische Subjektivität bei Marx]
" ...Widerspruch zwischen Notwendigkeit und Nicht-Notwendigkeit wertproduzierender Arbeit sein müßte, also die Einsicht, daß genau das, was die Gesellschaftsformation konstituiert und für diese notwendig ist - Arbeit, die als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit fungiert - zunehmend, ganz im Sinne des von ihr hervorgebrachten Potentials, unnötig wird. Dies weist seinerseits auf eine wachsende Kluft zwischen der Art von Arbeit hin, die die Menschen in einer durch Arbeit vermittelten Gesellschaft weiterhin leisten, und der Art von Arbeit, die sie ausführen könnten, gäbe es nicht diese durch den Kapitalismus bedingte >Notwendigkeit<. " (S. 556)
" Diese Herangehensweise könnte auch dazu beitragen, die Veränderungen von Definitionen und Beziehungen zwischen öffentlichen, privaten und intimen Sphären des modernen gesellschaftlichen Lebens ebenso zu beleuchten wie ein neues Phänomen, das von so unterschiedlichen Theoretikern wie Daniel Bell und André Gorz aufgezeigt wurde - nämlich die wachsende Bedeutung des Konsums für die Selbstidentität. Letzteres sollte nicht nur im Sinne wachsender Abhängigkeit des Kapitalismus von der Massenkonsumtion verstanden werden (eine Position, die häufig einen solchen Konsum als bloß durch Werbung erzeugt und manipuliert betrachtet), noch sollte eine solche Studie den Konsum auf eine kulturalistische Weise als Ort der Identität und des Widerstandes verdinglichen, analog der traditionellen marxistischen Verdinglichung der Produktion. " (S. 556)
" Wir haben gesehen, daß der Marxschen Analyse zufolge das Proletariat ein wesentliches Element der wertbestimmten Produktionsverhältnisse ist und als solches mit der Entwicklung des Kapitalismus ebenfalls anachronistisch wird. Die Aufhebung des Kapitalismus muß auch im Sinne der Abschaffung der proletarischen Arbeit verstanden werden und folglich auch der im Sinne der Abschaffung des Proletariats. Das gestaltet die Frage nach dem Verhältnis des gesellschaftlichen und politischen Handelns der Arbeiterklasse zur möglichen Abschaffung des Kapitalismus äußerst schwierig. " (S. 557)
 
[Abschaffung des Proletariats mit der proletarischen Arbeit]
" Es impliziert, daß solches Handeln und das, was gewöhnlich als Klassenbewußtsein der Arbeiter bezeichnet wird, innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Gesellschaftsformation verbleibt - und zwar nicht notwendigerweise deshalb, weil die Arbeiter materiell und geistig korrumpiert würden, sondern weil proletarische Arbeit dem Kapital nicht grundlegend widerspricht. " (S. 557)
 
[Proletarische Arbeit widerspricht NICHT dem Kapitalismus]
" Wie militant auch immer die Aktionen und die mit der Selbstbehauptung des Proletariats verbundenen Subjektivitätsformen gewesen sind, sie weisen dennoch nicht in die Richtung einer Aufhebung des Kapitalismus. Sie stellen eher kapitalkonstituierende denn über das Kapital hinaus weisende Formen von Handeln und Bewußtsein dar. Das wäre selbst dann der Fall, wenn die Struktur der Lohnarbeit wirklich global würde was im Zuge der gegenwärtigen Form der Globalisierung des Kapitals auch erreicht werden dürfte -, und sich die Arbeiter entsprechend organisierten. " (S. 558)
 
[Proletarische Subjektivitätsformen bleibt kapitalimmanent]

{

Das halte ich für ein typisches Gerücht kritischer Theorie und es vergisst die gesamte Geschichte von der Pariser Kommune ab, wie sie z.B. Marx im 'Bürgerkrieg in Frankreich' beschreibt. Alle Revolutionen und Versuche der Arbeiterklasse selbst werden in den Skat gedrückt, weil sie es bis heute nicht geschafft haben. Da müssen sie doch nicht ganz so helle sein und brauchen der intellektuellen Begleitung durch eine Avantgarde.
Da arbeitet sich Lukács näher heran und geht auf die widersprüchlichen Konstitutionsbedingungen und die objektiven Möglichkeiten proletarischen Klassenbewußtseins explizit ein. Was für ein Argument, der Esel im Joch kann ohne es nicht Esel sein, zum Ochsen gehört das Fellgerben.
(d.V.)}

" Es geht vielmehr darum, daß das Kapital letztlich auf proletarischer Arbeit beruht - daher kann die Aufhebung des Kapitals nicht auf der Selbstbehauptung der Arbeiterklasse basieren. " (S. 558)

{ Kann nur der Akademiker oder der gebildete die Abschaffung des Privateigentums fordern, in der Form der bewußten gesellschaftlichen Planung der gesellschaftlichen Reproduktion? (D.h. die Kommune.) Das was folgt, ist fast schon banal, da dies Dilemma der Alltag ist. (d.V.)}

" Jedoch beleuchtet diese Interpretation auch ein Dilemma in bezug auf das mögliche Verhältnis der Organisationen der Arbeiterklasse zur Aufhebung des Kapitalismus. Sie unterstellt, daß es keine lineare Beziehung oder direkte Kontinuität gibt zwischen den mit der Selbstbehauptung der Arbeiterklasse verbundenen Aktionen und politischen Orientierungen (wie radikal oder millitant sie immer sein mögen) auf der einen Seite und Aktionen und politischen Orientierungen, die über den Kapitalismus hinaus weisen würden, auf der anderen. " (S. 558)
" Dies unterstellt, daß eine den Arbeitern verpflichtete Bewegung, die über den Kapitalismus hinaus gehen wollte, sowohl Arbeiterinteressen zu verteidigen hätte als auch an deren Transformation mitwirken müßte zum Beispiel, indem sie die gegebene Struktur der Arbeit infrage stellt, Menschen nicht länger nur im Sinne dieser Struktur kategorisiert und sich an der kritischen Reflexion dieser Jnteressen beteiligt. Mehr, als diese Themen und Probleme zu erwähnen, kann ich jedoch nicht leisten. " (S. 558)
 
[Aufgaben der Transformationsorganisation]
" Das Begreifen der verschiedenen Formen gesellschaftlich konstituierter Universalität, wie es der Marxschen Analyse der Entwicklung der strukturierenden Formen der Gesellschaftsform implizit ist, könnte als Grundlage für eine soziohistorische Untersuchung einiger Strömungen neuer sozialer Bewegungen - zum Beispiel der feministischen - dienen, die eine neue Form von Universalität jenseits des Gegensatzes homogener Universalität und Partikularität zu formulieren versuchen. " (S. 559)
" Diese verschiedenen Beispiele sind jedoch lediglich als Vorschläge gedacht; auf der in der vorliegendenden Studie darzustellenden logischen Ausgangsebene kann ich keine vollständige Untersuchung derartiger Implikationen meiner Interpretation vornehmen. " (S. 559)
" Um meine Erörterung der in der Marxschen Kritik enthaltenen bestimmten Negation des Kapitalismus zusammenzufassen: Diese Negation kann in keiner Weise im Sinne einer Transformation der bürgerlichen Distributionsweise allein begriffen werden. Sozialismus schließt nach Marx auch eine andere Produktionsweise ein, eine, die nicht als wesentlich auf unmittelbarer menschlicher Arbeit basierende Metamaschine organisiert ist. " (S. 560)

{

Dazu Feuerbachthesen. Wir versuchen unbedingt die Arbeit loszuwerden und es rettet uns das Wörtchen 'unmittelbar'. Die Vorstellung ist fast schon ökonomistisch, da sie die Tendenz hat: Sozialismus ist erst möglich als Gesellschaft ohne 'unmittelbare Arbeit'. Auf diesem abstrakten Niveau kann man sogar noch weiter gehen und seine Aussage völlig in Frage stellen.
Aber jede Arbeit ist mittelbare Arbeit, da der Mensch zwischen sich als Naturkraft andere Hebel schiebt, um das Einwirken von Naturkräften auf Naturkräfte zu steuer. Das betrifft jedes Werkzeug, sei es noch so primitiv - the toolmaking animal.
Ebenso ist jede Arbeit auch unmittelbare Arbeit im Sinne der Verausgabe von Hirn, Nerv und Muskel, als Aufwendung von Lebenszeit, Vorstellung und Kraft.
(d.V.)}

 
[Unmittelbare und mittelbare Arbeit]
" Deshalb würde sie neue Formen individueller Arbeit und Tätigkeit ermöglichen, die inhaltsreicher und befriedigender wären, sowie ein anderes Verhältnis der Arbeit zu anderen Bereichen des Lebens. Die Möglichkeit dieser Transformation beruht letztlich auf der Möglichkeit einer bestimmten historischen Negation der Abschaffung einer objektiven gesellschaftlichen Vermittlungsform und den damit verbundenen abstrakten Zwängen, einer Vermittlungsform, die letztlich durch Arbeit konstituiert wird und die die quasi-automatische richtungsgebundene Dynamik der kapitalistischen Gesellschaftsformation und ihre Produktionsform konstituiert. " (S. 560)
" Die Befreiung der Produktivkräfte von den Zwängen, die ihnen durch die auf unmittelbarer Verausgabung von Arbeitszeit beruhende Form des Reichtums auferlegt sind, bringt die Befreiung des menschlichen Lebens von der Produktion mit sich. Im Lichte der traditionellen Interpretation betrachtet ist es schon eine Ironie, daß die Marxsche Analyse impliziert, daß die Arbeit für die meisten Menschen nur dann befriedigender und selbstbestimmter werden kann, wenn sie nicht länger die Gesellschaft konstituiert. " (S. 560)

{ Hier hat er im Sinne der Lohnarbeit vollkommen recht. Die Notwendigkeit, die außer der Kapitalreproduktion übrig bleibt, ist die nackte Notwendigkeit der insbesondere stofflichen Reproduktion der Gesellschaft. Im Zuge der wiss.-techn. Revolution wird der Hebel zwischen "Mensch und Natur" relativ gewaltig und erlaubt tatsächlich ein immer geringeres Maß an durch die Produktion im engeren Sinne gebundenen gesellschaftlichen Arbeitszeit. Je höher die Entwicklung um so geringer die Abhängigkeit zb vom Wetter oder anderem, je größer die relative Freiheit. ABER, natürlich stellt sich dann die Frage nach der Notwendigkeit von Arbeit neu, welches ich mit 'im engeren Sinne' auf seine Basis reduziert beschrieben habe. (d.V.)}

 
[Notwendige Arbeit]
" Das Marxsche Verständnis von der Abschaffung der kapitalistischen Form von Arbeit und Produktion bezieht sich also nicht auf die Produktion im engeren Sinne, sondern auf das strukturierende Prinzip unserer Form gesellschaftlichen Lebens selbst. Entsprechend ist seine Kritik des Kapitalismus keine der sozialen Vermittlung überhaupt, sondern der spezifischen Form von Vermittlung, die durch die Arbeit konstituiert wird. Wert ist eine sich selbst vermittelnde Form von Reichtum, stofflicher Reichtum ist er jedoch nicht. " (S. 560f)
" Die Abschaffung der ersteren Form zieht notwendigerweise die Konstituierung neuer Formen gesellschaftlicher Vermittlung nach sich, von denen viele vermutlich politischen Charakter haben werden (was keinesfalls notwendigerweise eine hierarchische, staatszentrierte Form der Verwaltung bedeutet). " [Herv. v. P.H.] (S. 561)
" Zentral für die Marxsche Auffassung der Aufhebung des Kapitalismus ist seine Vorstellung von der Wiederaneignung der historisch als Kapital konstituierten gesellschaftlich-allgemeinen Kenntnisse und Fähigkeiten durch die Menschen. Wir haben gesehen, daß Marx zufolge diese Kenntnisse und Fähigkeiten als Kapital die Menschen beherrschen; diese Wiederaneignung geht also mit der Aufhebung der für die kapitalistische Gesellschaft charakteristischen Herrschaftsform, die letztlich auf der historisch spezifischen Rolle der Arbeit als gesellschaftlich vermittelnder Tätigkeit beruht, einher. Folglich steht die historisch entstandene Möglichkeit, daß die Menschen damit beginnen könnten, das zu beherrschen, was sie erschaffen, anstatt davon beherrscht zu werden, im Zentrum seiner Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft. " (S. 561)
 
[Zusammenfassung]

9.2.5 Die Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Zeit(» K)

" Zu Beginn dieser Studie habe ich behauptet, daß die historische Spezifik des Werts, die Marx in den Grundrissen entwickelt, einen Schlüssel für die Interpretation seiner späten Kritik der politischen Ökonomie liefert. Ich habe gezeigt, daß diese Vorstellung tatsächlich den Kern der Marxschen Analyse des Wesens der modernen kapitalistischen Gesellschaft und der Möglichkeit ihrer bestimmten Negation im Kapital ausmacht. Nun werde ich kurz rekapitulieren, was ich in diesem Kapitel schon entwickelt habe, um die Kontinuität der Marxschen Auffassung durch beide Texte hindurch noch einmal nachzuweisen, indem ich die Vorstellung vorn Entwicklungsverlauf der kapitalistischen Produktion im Kapital mittels der von Marx in den Grundrissen eingeführten zeitlichen Kategorien zusammenfasse - das heißt im Sinne der Entwicklung dessen, was ich die >gesellschaftliche Teilung der Zeit< nenne. " (S. 561)
" Wie wir gesehen haben, ist die zunehmende historische Nicht-Notwendigkeit wertbildender Arbeit also der notwendigen Voraussetzung des Kapitalismus und dem Konstituens seiner charakteristischen Form abstrakter gesellschaftlicher Notwendigkeit -wesentlich für das Marxsche Verständnis des kapitalistischen Grundwiderspruchs als einem zwischen dem, was ist, und dem in ihm enthaltenen Potential (der eher als Widerspruch zwischen dem, was ist, und dem, was ebenfalls ist, zu bezeichnen wäre). " (S. 562)
 
[Nochmal Grundwiderspruch - Nicht-Notwendigkeit der wertbildenden Arbeit]

{ Solche Sätze sollten jeden Wertkritiker freuen. Aber was ist bitte 'überflüssige Arbeitszeit'? Im übrigen stimmt es nicht, sondern eher, dass sich die Mehrarbeitszeit als Konstituenz des Mehrwertes also des Kapitals als gesamtgesellschaftlichem Totalverhältnis ganz natürlich auf dieser Ebene bewegt und beileibe keinen ausschließlichen Bezug auf die unmittelbaren Produzenten darstellt, sondern im Gegenteil. (d.V.)}

" Meine Untersuchung des Kapitals erlaubt es uns nun, diese zeitlichen Kategorien zu erfassen. Der Marxsche Gegensatz von >notwendiger< und >überflüssiger< Arbeitszeit ist nicht identisch mit dem zwischen >notwendiger< und >Mehrarbeitszeit<. Der erste Gegensatz bezieht sich auf die Gesellschaft als ganzer, der letztere auf die Klasse der unmittelbaren Produzenten. " (S. 562)
" In der Marxschen Theorie ist die Mehrproduktion - also die Produktion über das hinaus, was notwendig ist, die unmittelbaren Bedürfnisse der Produzenten zu befriedigen - Bedingung aller >historischen< Formen gesellschaftlichen Lebens. Man kann in jeder historischen Form unterscheiden zwischen der Produktionsmenge, die erforderlich ist, die arbeitende Bevölkerung zu reproduzieren, und einer durch nicht-arbeitende Klassen angeeigneten zusätzlichen, die für die Gesellschaft als ganzer >notwendig< ist. " (S. 562)
 
[Überhistorisches Mehrprodukt]
" Wird nun zwischen Wert und stofflichem Reichtum unterschieden, dann können sowohl >notwendige< als auch >Mehrarbeitszeit< so lange die Produktion stofflichen Reichtums weitgehend von der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit abhängt - als gesellschaftlich notwendig angesehen werden. " (S. 562f)
" Dies ist jedoch dann nicht mehr der Fall, wenn die Produktion stofflichen Reichtums eher auf gesellschaftlich-allgemeinem Wissen und gesellschaftlichen Produktivkräften basiert als auf unmittelbarer menschlicher Arbeit. Unter solchen Bedingungen hängt die Produktion stofflichen Reichtums in einem so geringen Maße von der Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit ab, daß die Gesamtmenge gesellschaftlich notwendiger Arbeit seinen beiden Bestimmungen nach (für die individuelle Reproduktion und für die Gesellschaft im allgemeinen) erheblich reduziert werden könnte. " (S. 563)

{ Jetzt wird diese ominöse Unmittelbarkeit historisch. (d.V.)}

" Meine Untersuchung der Dialektik der zwei Dimensionen der dem Kapitalismus zugrundeliegenden Formen hat jedoch gezeigt, daß eine allgemeine Reduktion der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, die vollständig mit dem im Kapitalismus entwickelten Produktivvermögen im Einklang stünde, nicht stattfinden kann, solange Wert die Quelle des Reichtums ist. Die Differenz zwischen der Gesamtarbeitszeit, die durch das Kapital als gesellschaftlich notwendig bestimmt wird, einerseits, und der Menge an Arbeit, die angesichts der Entwicklung gesellschaftlich-allgemeiner Produktivkräfte notwendig sein würde, wenn stofflicher Reichtum die gesellschaftliche Form des Reichtums darstellte, andererseits, bezeichnet Marx in den Grundrissen als »überflüssige« Arbeitszeit. Diese Kategorie kann sowohl quantitativ, als auch qualitativ verstanden werden, da sie sich sowohl auf die Dauer der Arbeit als auch auf die Produktionsstruktur und das bloße Vorhandensein eines großen Teils der Arbeit selbst in der kapitalistischen Gesellschaft bezieht. " (S. 563)
 
[Überflüssige Arbeitszeit - Grundrisse]
" Bis in diese historische Phase des Kapitalismus hinein definierte gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit in ihren zwei Bestimmungen die Zeit der arbeitenden Massen, füllte sie aus und ließ Nicht-Arbeitszeit für wenige zu. " (S. 564)
" Mit der fortgeschrittenen industriekapitalistischen Produktion steigt das Produktivkraftpotential derart an, daß eine neue historische Kategorie der >Extrazeit< für die Vielen in Erscheinung tritt und eine drastische Reduzierung beider Aspekte der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, als auch eine Transformation der Struktur der Arbeit und des Verhältnisses der Arbeit zu anderen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens zuläßt. " (S. 564)
 
[Extrazeit]
" Es sollte deutlich geworden sein, daß >überflüssig< keine unhistorische Kategorie der Beurteilung ist, die von einem vorgeblich außerhalb der Gesellschaft befindlichen Standpunkt aus entwickelt würde. Es handelt sich vielmehr um eine immanente kritische Kategorie, die im wachsenden Widerspruch zwischen dem Potential der entwickelten Produktivkräfte und der bestehenden Gesellschaftsform angelegt ist. " (S. 564)
" So verstanden ist >überflüssig< der historisch erzeugte, unmittelbare Gegensatz zu >notwendig<, und diese Kategorie des Widerspruchs drückt die wachsende historische Möglichkeit aus, Gesellschaft von ihrer kapitalistischen Form zu unterscheiden und folglich diese bislang notwendige Ver- bindung aufzulösen. " (S. 564f)
" Das Verständnis der bestimmten Negation des Kapitalismus, das in der Entfaltung der Marxschen Kategorien im Kapital impliziert ist, entspricht dem, das er in den Grundrissen darlegt. Dort charakterisiert er eine mögliche postkapitalistische Gesellschaft mittels der Kategorie von >verfügbarer< Zeit:
...
"
(S. 565)
" Sie setzt die Abschaffung der Wertform der gesellschaftlichen Vermittlung voraus: nur dann können Marx zufolge (nicht-entfremdete) Arbeitszeit und verfügbare Arbeitszeit einander positiv ergänzen und konstitutiv sein für das gesellschaftliche Individuum. Die Aufhebung des Kapitalismus würde also nicht nur die Transformation der Struktur und des Charakters der gesellschaftlichen Arbeit, sondern auch der Nicht-Arbeitszeit und ihres Verhältnisses zueinander mit sich bringen. " (S. 565f)
" Der Entwicklungsverlauf der kapitalistischen Produktion, wie er von Marx dargestellt wird, kann folglich im Sinne der Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Zeit betrachtet werden - von gesellschaftlich notwendiger Zeit (also individuell notwendiger Zeit sowie Mehrprodukt) über gesellschaftlich notwendige und überflüssige bis hin zur Möglichkeit gesellschaftlich notwendiger und verfügbarer Zeit (was die Aufhebung der älteren Formen der Notwendigkeit mit sich bringen würde). Dieser Entwicklungsverlauf ist Ausdruck der dialektischen Entwicklung des Kapitalismus, einer entfremdeten Form von Gesellschaft, die als mannigfaltig entwickelte Totalität auf Kosten der Individuen konstituiert wird, und die die Möglichkeit ihrer eigenen Negation hervorbringt, einer neuen Form von Gesellschaft, in der die Menschen sich einzeln und kollektiv das allgemeine Gattungsvermögen aneignen können, das in entfremdeter Form als Attribut des Subjekts konstituiert wurde. " (S. 566)
 
[Dialektische Aufeinanderfolge von Formen der Teilung der Zeit]
" Marx bricht mit jeglicher Vorstellung von einer einzigen transhistorischen menschlichen Geschichte, das einem immanenten Entwicklungsprinzip folge, indem er zeigt, daß die richtungsgebundene Dynamik des Kapitalismus im Doppelcharakter der Grundstrukturen dieser Gesellschaft angelegt ist. Ferner zeigt er, daß diese richtungsgebundene Dynamik nicht als selbstverständlich genommen werden kann, sondern selbst durch eine Theorie gesellschaftlicher Konstituierung begründet werden muß. " (S. 566f)

{ Bliebe die Frage nach der Ökonomie der Zeit und ihrer Aufhebung in stagnierenden Formen in der Geschichte, bzw. technologisch und gesellschaftlich durch den Kommunismus, als transhistorischem Problem und Antrieb der Entwicklung menschlicher Produktion und damit auch des Menschen selbst. Diese Interpretation kann die Entstehung des Kapitalismus in seinem Aufstieg und der vollen Entfaltung der Warenform als eine immer weniger dem Zufall unterliegende Entwicklung erfassen - jedoch nicht als Ausdruck eines immanenten Prinzips, das sich mit Notwendigkeit entfaltet. (d.V.)}

" Jedoch besteht die Dialektik seiner zugrundeliegenden gesellschaftlichen Formen darin, daß der Kapitalismus über sich selbst hinaus auf die Möglichkeit einer zukünftigen Gesellschaft verweist, die auf einer anderen Form gesellschaftlichen Vermittlung beruht, einer, die weder quasi-objektiv konstituiert, noch traditionell vorgegeben wäre. Die Marxsche Analyse bezieht mit ein, daß eine so beschaffene Gesellschaft den Menschen größere Freiheit in der Gestaltung ihres Lebens sowohl individuell als auch kollektiv einräumen würde und daß dies als Zustand historischer Freiheit betrachtet werden könnte. " (S. 567)
" Im Kapitalismus wird objektivierte historische Zeit in entfremdeter Form akkumuliert, verfestigt hierdurch die Gegenwart und beherrscht als solche das Lebendige. Jedoch erlaubt sie auch durch Unterminierung ihres eigenen Moments von Notwendigkeit die Befreiung des Menschen aus der Gegenwart und ermöglicht dadurch die Zukunft - die Aneignung der Geschichte in der Form, daß die älteren Verhältnisse umgestoßen und transzendiert werden. Anstelle einer Gesellschaftsform, die durch die Gegenwart, durch abstrakte Arbeitszeit strukturiert wird, ist eine Gesellschaftsform möglich, die auf der vollen Nutzbarmachung einer nicht länger entfremdeten Geschichte sowohl für die Gesellschaft im allgemeinen als auch das Individuum beruht. " (S. 567f)
 
[Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft]
" Für Marx kann also die historische Bewegung des Kapitalismus, die durch gesellschaftliche Konflikte vorangetrieben wird und durch die Dialektik von Arbeit und Zeit strukturiert ist, im Sinne der Entwicklung der gesellschaftlichen Teilung der Zeit ausgedrückt werden, woraus die Möglichkeit folgt, daß die gesellschaftliche Bedeutung von Zeit transformiert wird: »Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time [verfügbare Zeit] das Maß des Reichtums.« (MEW 42, 604) " (S. 568)
 
[Wandel der Gesellschaftlichen Bedeutung der Zeit]

9.2.6 Das Reich der Notwendigkeit(» K)

" Ich habe gezeigt, daß die Marxsche späte kritische Theorie sich auf die Analyse der historisch spezifischen Rolle der Arbeit im Kapitalismus gründet, welche die eigentümliche, quasi-objektive Form der gesellschaftlichen Vermittlung konstituiert, die diese Gesellschaft strukturiert. Einige häufig zitierte Stellen aus dem dritten Band des Kapitals scheinen jedoch mehreren für meine hier dargelegte Interpretation zentralen Auffassungen zu widersprechen - insbesondere der, daß die Aufhebung des Kapitalismus die Aufhebung des Werts als einer sich selbst vermittelnden Form von Reichtum und dementsprechend auch die Aufhebung der entfremdeten Arbeit erfordern würde. Ich werde deshalb dieses Kapitel und damit diese Ebene der Untersuchung damit schließen, jene Stellen vor dem Hintergrund des bisher Entwickelten zu betrachten, um zu zeigen, daß sie in Wirklichkeit mit meiner Interpretation konform gehen. " (S. 568f)
" Im dritten Band des Kapitals scheint es jedoch, als ob Marx behaupte, daß selbst nach der Aufhebung des Kapitalismus eine solche zeitliche Bestimmung von Reichtum beibehalten würde:

Zweitens bleibt, nach Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise, aber mit Beibehaltung gesellschaftlicher Produktion, die Wertbestimmung vorherrschend in dem Sinn, daß die Regelung der Arbeitszeit und die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter die verschiednen Produktionsgruppen, endlich die Buchführung hierüber, wesentlicher denn je wird. (MEW 25, 859) "
(S. 569)
 
[Proportionale Verteilung der Arbeitszeit]

{ In der Tat ist diese Marsche Stelle zentral und deutet die Wichtigkeit der Proportionalen Verteilung der Arbeitszeit an, welche solange als Ökonomie der Zeit die Zentrale Planung der Produktion bestimmt, solange die Ökonomie der Zeit nicht aufgehoben ist. Dies kann aber nach meiner Ansicht eine Folge der gewaltigen Steigerung der Arbeitsproduktivität sein, die der Kapitalismus vorbereitet und die auch M.P. als zentrales widerspruchstreibendes Moment benennt. (d.V.)}

" Obwohl Marx an dieser Stelle in seinem posthum veröffentlichten Manuskript den Begriff >Wert< gebraucht, sollte seine Äußerung, die Regelung der Arbeitszeit bleibe in einer (technologisch entwickelten, global verflochtenen) postkapitalistischen Gesellschaft bedeutsam, von der Auffassung, daß der Wert die Form des Reichtums bliebe, unterschieden werden. " (S. 569)

{ Das glaube ich auch. Hier würde die Unterscheidung von Form und Inhalt des Wertes, bzw. von Wert als einer historischen Form, sehr hilfreich sein. Aber in seiner folgenden Unterscheidung muß man M.P. vollkommen zustimmen. (d.V.)}

" Ich kann beginnen, diese Unterscheidung zu klären, indem ich mich der Stelle aus den Grundrissen zuwende, wo er diese Frage nach der Rolle der Regulierung der Arbeitszeitverausgabung in einer postkapitalistischen Gesellschaft anspricht:

Ökonomie der Zeit, sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiednen Zweige der Produktion, bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion. Es wird sogar in viel höherem Grade Gesetz. Dies ist jedoch wesentlich verschieden vom Messen der Tauschwerte (Arbeiten oder Arbeitsprodukte) durch die Arbeitszeit. Die Arbeiten der Einzelnen in demselben Arbeitszweig, und die verschiednen Arten der Arbeit, sind nicht nur quantitativ sondern qualitativ verschieden. Was setzt der nur quantitavie Unterschied von Dingen voraus? Die Dieselbigkeit ihrer Qualität. Also das quantitative Messen der Arbeiten die Ebenbürtigkeit, die Dieselbigkeit ihrer Qualität. (MEW 42, 105) "
[Herv. v. P.H.] (S. 569)
 
[Ökonomie der Zeit und Wert]
" Der Unterschied zwischen diesen beiden ist, daß die Form des Reichtums, der auf Verausgabung von Arbeitszeit basiert, Marx zufolge mit einer quasi-objektiven Form gesellschaftlicher Vermittlung in einem inneren Zusammenhang steht. In dieser Sachlage ist die Zeit kein beschreibendes Maß, sondern zu einer quasi-unabhängigen objektiven Norm geworden. Dies begründet die Dialektik von Arbeit und Zeit und folglich die Logik der Entwicklung und der Form stofflicher Produktion, die den Kapitalismus in der Marxschen Analyse charakterisiert. " (S. 570)
" Diese Dialektik und die Formen abstrakter gesellschaftlicher Notwendigkeit, die damit einhergehen, leiten sich nicht aus einer Zeitökonomie als solcher ab, sondern aus einer zeitlich bestimmten Form von Reichtum. Und ebenso stellt nicht jede Ökonomie der Zeit auch eine sich selbst vermittelnde Form des Reichtums dar; Marx unterscheidet die beiden scharf. " [Herv. v. P.H.] (S. 570)
" Die Marxsche Aussage, daß Erwägungen zur Arbeitszeit in einer postkapitalistischen Gesellschaft weiterhin von Bedeutung wären, bedeutet deshalb nicht, daß die Form des Reichtums zeitliche statt stoffliche Form hätte. Im Gegenteil ist sie ein anderes Beispiel für seine These, daß das, was historisch in entfremdeter Form konstituiert wurde und die Menschen beherrscht in diesem Fall die Ökonomie der Zeit - von den Menschen zu ihrem Nutzen transformiert und kontrolliert werden könnte, wenn der durch Arbeit konstituierte Vermittlungsmodus abgeschafft wäre. Obige Zitate widersprechen also nicht meiner Auffassung, daß die Unterscheidung zwischen Wert und stofflichem Reichtum sowie die Vorstellung, daß die Aufhebung des Kapitalismus die Abschaffung der bisherigen Form von Reichtums und ihre Ersetzung durch stofflichen Reichtum erfordert, im Mittelpunkt der Marxschen kritischen Analyse stehen. " [Herv. v. P.H.] (S. 570)
 
[Transformation und Konktrolle der Ökonomie der Zeit]

{

Das der Reichtum nur stofflicher Art sein wird, widerspricht, dass Marx die disponible Zeit als Reichtum im Kommunismus benennt. Diese ist dann nämlich die Zeit, die jeder hat, sich zu entfalten jenseits des unmittelbaren Produktionsprozesses. M.P. sollte eigentlich begreifen, das die ÖdZ nicht "beschreibend" ist, sondern die objektiven Notwendigkeiten des Produktionsprozesses selbst ausdrückt. Dh, sie kann als solche nicht aufgehoben werden, sondern ist in ihrer bewußten Durchführung gerade der Kernbestand der kommunistischen Produktion - Planung der Gesamtarbeit ist ÖdZ.
M.P. versäumt es, die Dialektik, dh den inneren Zusammenhang, zwischen Ökonomie der Zeit - stofflichem Reichtum - zeitlichem Reichtum im Kommunismus zu entwickeln.
(d.V.)}

 
[Zusammenhang stofflicher - zeitlicher Reichtum im Kommunismus]
" Im dritten Band des Kapitals, einige Seiten vor der oben zitierten Passage merkt Marx an:

Sodann aber hängt es von der Produktivität der Arbeit ab, wieviel Gebrauchswert in bestimmter Zeit, also auch in bestimmter Mehrarbeitszeit hergestellt wird. Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt also nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.(MEW 25, 828)

Dieses Zitat zeigt deutlich, daß Marx davon ausging, daß die Form des Reichtums in einer postkapitalistischen Gesellschaft stofflicher Reichtum sein würde. Zwar bliebe eine Ökonomie der Zeit von Bedeutung, würde aber vermutlich beschreibenden Charakter haben. Die Unterschiede zwischen einer solchen sozioökonomischen Ordnung und einer Ordnung, in der zeitliche Formen des Reichtums vorherrschen, wären beträchtlich. "
[Herv. v. P.H.] (S. 570f)
 
[Vermutlich beschreibender Charakter der Ökonomie der Zeit]
" In der postkapitalistischen Gesellschaft, so sie als eine bestimmte Möglichkeit durch den Entwicklungsverlauf des Kapitals konstituiert wird, könnten Steigerungen gesellschaftlichen Reichtums Steigerungen der Produktivität direkt proportional sein folglich könnte die Beziehung zwischen Erwägungen zur Verausgabung von Zeit und solchen zur Produktion von Reichtum eine wesentlich andere sein als dort, wo der Wert die gesellschaftliche Form des Reichtums ist. " (S. 571)
 
[Parallelität gesell. Reichtum und Produktivität]
" Die Marxsche Vorstellung von einer möglichen postkapitalistischen Ökonomie der Zeit und seine Analyse des Kapitalismus als einer zeitlichen Form des Reichtums sind deshalb nicht identisch und sollten unterschieden werden. " (S. 571f)
 
[Postkapitalistische Ökonomie der Zeit]
" Kurz gesagt, und wie bereits von Paul Mattick festgestellt, dort wo sich Marx in der zu Beginn dieses Abschnitts zitierten Stelle aus dem dritten Band auf den Wert bezieht, »ist in dieser Verbindung der Ausdruck Wert eine bloße Redeweise« (1971, 40). " (S. 572)
" Genauso wie man in der späten Marxschen Theorie zwischen einer Ökonomie der Zeit und der Herrschaft von Zeit unterscheiden muß, muß man auch bei der Betrachtung des Verhältnisses von Arbeit zur gesellschaftlichen Notwendigkeit zwischen transhistorischer, gesellschaftlicher Notwendigkeit und historisch bestimmter, gesellschaftlicher Notwendigkeit unterscheiden. " (S. 572)
 
[Unterschied Ökonomie der Zeit//Herrschaft von Zeit]

{ Menschen beherrschen Menschen, die Zeit ist kein Subjekt, sonst beherrscht die Natur uns auch mit der Schwerkraft. (d.V.)}

" Ein Beispiel für erstere Art von Notwendigkeit ist für Marx, daß irgendeine Form konkreter Arbeit, wie auch immer bestimmt, notwendig ist, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur und folglich die Aufrechterhaltung menschlichen gesellschaftlichen Lebens zu vermitteln. Eine solche Tätigkeit ist nach Marx eine notwendige Bedingung der menschlichen Existenz in allen Gesellschaftsformen. (MEW 23, 57) " (S. 572)
 
[Transhistorische Notwendigkeit]
" Die der Marxschen Auffassung implizite andere Art von Notwendigkeit bezieht sich, folgt man meiner Interpretation, auf die verschiedenen abstrakten, unpersönlichen Zwänge, die durch die objektivierten, entfremdeten Formen gesellschaftlicher Beziehungen - letztlich konstituiert durch die Arbeit als einer gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit - ausgeübt werden. " (S. 572)
 
[Historisch-kapitalistische Notwendigkeit]
" Die historische Entwicklung des Kapitalismus - einer Gesellschaft, die auf einer abstrakten, quasi-natürlichen Form gesellschaftlicher Herrschaft basiert - brachte nicht nur die Ersetzung direkter, persönlicher Formen gesellschaftlicher Herrschaft mit sich, sondern auch die teilweise Aufhebung der Beherrschung des Menschen von der Natur. " (S. 572)
" Das sollte nicht vergessen werden, wenn man die folgende, häufig zitierte Stelle aus dem dritten Band des Kapitals erörtert:

Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion... Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, daß der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis auf "
[Herv. v. P.H.] (S. 573)

{ Hier ist die bewußte gesellschaftliche Planung und Regelung einerseits und die Rationalität und der geringste Aufwand, mithin die Ökonomie der Zeit und der Mittel angesprochen, als Inhalt der Ökonomie, deren Zwang man nur mit hoher Arbeitsproduktivität , Kooperation,... also Entwicklung der Produktivkräfte graduell überwinden kann. (d.V.)}

" Dieses Zitat bezieht sich auf zwei verschiedene Arten von Freiheit -auf die Freiheit von der transhistorischen gesellschaftlichen Notwendigkeit und auf die von der historisch bestimmten gesellschaftlichen Notwendigkeit. Das »wahre Reich der Freiheit« bezieht sich auf die erste Form von Freiheit. Freiheit von jeglicher Form von Notwendigkeit muß notwendigerweise außerhalb der Produktionssphäre beginnen. Es kann jedoch Marx zufolge auch eine Form von Freiheit innerhalb dieser Sphäre geben: die assoziierten Produzenten können ihre Arbeit beherrschen, statt von ihr beherrscht zu werden. Im Sinne des bisher von mir Entwickelten dürfte klar sein, daß Marx sich hier nicht auf die Beherrschung über die Produktion in einem engeren Sinne bezieht, sondern auf die Transformation der Struktur der gesellschaftlichen Produktion und die Abschaffung der abstrakten Formen von Herrschaft, die in der warenförmigen Arbeit ihre Ursache haben - das heißt auf die Abschaffung historisch bestimmter gesellschaftlicher Notwendigkeit. Wir haben gesehen, daß für Marx die Aufhebung der Wertförmigkeit gesellschaftlicher Verhältnisse die Aufhebung entfremdeter gesellschaftlicher Notwendigkeit bedeuten würde. " [Herv. v. P.H.] (S. 573f)
 
[Abschaffung histor. spezifischer Notwendigkeit]

{ Hier wird er stark. (d.V.)}

" Mit dem Ausdruck >historische Freiheit< läßt sich die Marxsche Auffassung einer Gesellschaft charakterisieren, in der die Menschen frei sind von fremder gesellschaftlicher Herrschaft -sei ihre Form persönlich oder abstrakt-, und in der es für die assoziierten Individuen möglich wäre, ihre eigene Geschichte zu machen. " (S. 574)
 
[Historische Freiheit]
" Jedoch bringt sie nicht die Freiheit von jeglicher Art von Notwendigkeit auf einer gesamtgesellschaftlichen Ebene mit sich und kann es auch nicht: Gesellschaft kann für Marx nicht auf absoluter Freiheit beruhen. Eine verbleibende Einschränkung ist die Natur. Obwohl die Arbeit der Individuen nicht notwendigerweise Mittel zum Erwerb von Konsummitteln sein muß, ist irgendeine gesellschaftliche Form der Produktion notwendige Vorbedingnng der menschlichen gesellschaftlichen Existenz. Form und Umfang dieser transhistorischen, >natürlichen<, gesellschaftlichen Notwendigkeit können historisch modifiziert werden, die Notwendigkeit selbst läßt sich jedoch nicht abschaffen.
...
Die transhistorische Notwendigkeit hat ihren Grund im menschlichen Leben selbst, in dem Umstand, daß Menschen Teil der Natur sind - wenn auch nur mittelbar, insofern sie ihren >Stoffwechsel< mit der Natur durch Arbeit regeln. "
(S. 573)
 
[Transhistorische Notwendigkeiten]
" Diese Umwandlung von Stoff in Einheiten objektivierter Zeit ist eher eine Einbahnstraße als ein zyklischer Prozeß produktiver Konsumtion. In dieser Hinsicht entspricht kapital-bestimmte Produktion einer Brandrodungslandwirtschaft auf einem >höheren< Niveau; sie verbraucht die Quellen stofflichen Reichtums und zieht weiter.
...
Eine Konsequenz der Wertform also ist, daß das Kapital durch eine Bewegung in Richtung grenzenloser Expansion gekennzeichnet ist. "
(S. 575)
" Diese Abschaffung würde die Abschaffung der Notwendigkeit zur ständigen Steigerung der Produktivität in der oben erläuterten Form mit sich bringen und würde eine andere Arbeitsstruktur ermöglichen sowie einen höheren Grad der Kontrolle der Menschen über ihr Leben und ein bewußter gestaltetes Verhältnis zu ihrer natürlichen Umgebung. Die Marxsche Auffassung, daß eine gewisse Form von Arbeit eine transhistorische, gesellschaftliche Notwendigkeit ist, stellt eine Kritik an der Auffassung dar, die auf absolute Freiheit zielt; ist eine Kritik, die auf der Anerkennung der Gebundenheit der Menschen an die Natur, deren vermittelter Teil sie sind, beruht. Sie unterstellt, daß das Erreichen historischer Freiheit auch einen bewußt geregelten Stoffwechselprozeß mit der Natur, sowie ein Verhältnis zur Natur ermöglichen würde, das weder im Sinne einer romantisierenden >Harmonie<, die als Unterordnung der Menschheit unter die blinden Kräfte der Natur zu verstehen wäre, noch als eine >Freiheit<, die die blinde Unterwerfung der Natur bedeuten würde, aufgefaßt wird. " [Herv. v. P.H.] (S. 576f)
 
[Bestimmte Form v. Arbeit als transhistorische Notwendigkeit]
" Die Marxsche Analyse kann als äußerst fruchtbarer und ausdifferenzierter Versuch verstanden werden zu zeigen, daß mit der Entwicklung der Ware als totaler gesellschaftlicher Form Menschen die Welt bereits >machen<. Dies zeigt rückblickend, daß Menschen auch früher schon ihre Welt schufen: die Form, in der Menschen die Welt unterm Kapitalismus erschaffen, ist jedoch sehr verschieden von früheren Formen gesellschaftlicher Konstitution.
...
Unter diesen Bedingungen ist es also weniger die Frage, ob die Menschen ihre Welt formen sollten - denn sie tun es bereits. Die Frage ist vielmehr, auf welche Weise sie ihre Welt formen und somit den Charakter dieser Welt und ihren Entwicklungsverlauf. "
(S. 577)

10. Abschließende Betrachtungen(» K)

" Ziel dieser Studie war es, die von Marx in seinem Spätwerk entwickelte kritische Theorie vermittels einer genauen Untersuchung ihrer grundlegendsten Kategorien neu zu interpretieren und von hier aus eine begriffliche Neubestimmung des Wesens der kapitalistischen Gesellschaft vorzunehmen. Ein wichtiges Anliegen bestand darin, die erheblichen Unterschiede zwischen der Marxschen Theorie und traditionellen marxistischen Interpretationen herauszuarbeiten. " (S. 577)
" Diese erneuerte Interpretation der Marxschen Analyse ermöglicht, mit anderen Worten, eine Kritik des traditionellen Marxismus, die zugleich eine andere kritische Theorie des Kapitalismus darstellt. Und sie transformiert die Bezüge zwischen Marxscher Theorie und anderen Gesellschaftstheorien. " (S. 578)
 
[Kritik am traditionellen Marxismus]
" Den Schlüssel der hier entwickelten Interpretation der Marxschen Theorie lieferte die Unterscheidung zwischen einer Kapitalismuskritik von einem Standpunkt der >Arbeit< im traditionellen Sinne einerseits, und einer auf der kritischen Analyse des historisch bestimmten Charakters der Arbeit im Kapitalismus basierenden Kritik andererseits. " (S. 578)
" Wir haben gesehen, daß dessen Analyse des historisch einzigartigen Charakters der Arbeit als einer gesellschaftlich vermittelnden Tätigkeit im Kapitalismus für seine Untersuchung der diese Gesellschaft charakterisierenden Verhältnisse und Subjektivitätsformen zentral ist. Nach Marx konstituiert die Doppelfunktion der Arbeit im Kapitalismus als abstrakte Arbeit und als konkrete Arbeit -als einer Tätigkeit, die die Verhältnisse der Menschen untereinander und mit der Natur vermittelt - die grundlegende strukturierende Form des gesellschaftlichen Lebens im Kapitalismus: die Ware. Für ihn ist die Ware eine gesellschaftlich konstituierte Form und zugleich die konstituierende Form gesellschaftlicher Praxis - sowohl auf >subjektiver< als auch >objektiver< Ebene. " [Herv. v. P.H.] (S. 579f)
 
[Nur im Kap. Arbeit als gesell. vermittelnde Tätigkeit - strukturierende Form auf subj. und obj. Ebene]
" Diese Fokussierung auf die gesellschaftliche Vermittlung statt auf die >Arbeit< (oder die Klasse) bedeutet, daß die Marxsche gesellschaftliche Erkenntnistheorie, die Arbeit und Bewußtsein in Beziehung setzt, als Theorie verstanden werden sollte, die Formen gesellschaftlicher Vermittlung (konstituiert durch strukturierte Formen von Praxis) und Subjektivitätsformen als ineinander verschränkt begreift. Eine solche Theorie hat nichts gemein mit einer Wiederspiegelungstheorie oder mit der Auffassung, Denken gehöre dem >Überbau< an. Auch der gängigen Identifizierung einer >materialistischen< Subjektivitätstheorie mit einer auf Interessen reduzierten Theorie läuft sie zuwider. " (S. 580)
" Meine Untersuchung hat gezeigt, daß Marx die grundlegenden Züge der kapitalistischen Gesellschaft ausgehend vom Doppelcharakter der Warenförmigkeit gesellschaftlicher Vermittlung rekonstruiert. Seine kategoriale Analyse charakterisiert das moderne gesellschaftliche Leben hinsichtlich mehrerer heraus ragender Merkmale, die sie in Beziehung zueinander setzt und gesellschaftlich begründet. Zu diesen Merkmalen gehören der quasi-objektive, >notwendige< Charakter gesellschaftlicher Herrschaft - das heißt das unpersönliche, abstrakte und alles durchdringende Wesen einer Form von Macht, die persönlich-real oder institutionell-konkret nicht lokalisiert werden kann -, die ununterbrochene richtungsgebundene Dynamik der modernen Gesellschaft und ihrer durch Arbeit vermittelten Formen sowohl der Interdependenz wie der individuellen materiellen Reproduktion. " [Herv. v. P.H.] (S. 580)
 
[Charakteristische Merkmale des Kapitalismus]
" Folglich ist die Marxsche Analyse der Ware als der widersprüchlichen Einheit von sowohl abstrakter als auch konkreter Arbeit, sowohl Wert als auch stofflichem Reichtum, zentral für seine Auffassung des Kapitalismus und dafür, was dessen Abschaffung mit sich bringen würde. Sie liefert die begriffliche Grundlage für die Dialektik von Transformation und Rekonstitution und gestattet dadurch eine kritische gesellschaftliche und historische Analyse der Form des Wirtschaftswachstums, des Charakters und des Entwicklungsverlaufs von Produktion, Verteilung und Verwaltung sowie des Wesens der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft. " (S. 581)
" Ausgehend von einer Analyse des Kapitals liefert Marx eine fruchtbare Kritik des spezifischen Charakters jenes Gegensatzes, den die kapitalistische Gesellschaft zwischen einer objektivierten allgemeinen, gesellschaftlichen Dimension und den Individuen konstituiert. Er widerspricht dadurch der Auffassung, daß dieser Gegensatz, wie er sich zum Beispiel in der Form kapitalistischer Industrieproduktion materialisiert, eine notwendige Begleiterscheinung jeder auf hochentwickelter gesellschaftlicher Arbeitsteilung beruhenden, technologisch fortgeschrittenen Produktionsweise sei. " (S. 581f)
" Die historische Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft ist für Marx gesellschaftlich konstituiert, nicht-linear und nicht-evolutionär. Sie ist weder kontingent beziehungsweise willkürlich, wie dies für historische Veränderungen in anderen Gesellschaftsformen der Fall gewesen sein mag, noch handelt es sich um eine transhistorisch evolutionäre oder dialektische Entwicklung. Vielmehr haben wir es mit einer historisch spezifischen dialektischen Entwicklung zu tun, die ihren Ursprung in besonderen und kontingenten historischen Umständen hat, dann aber einen abstrakt universellen und notwendigen Charakter annimmt.
...
Es ist für unsere Zwecke wichtig, daran zu erinnern, daß die Dialektik von Transformation und Rekonstitution in der Marxschen Analyse letztlich im Unterschied zwischen Wert und stofflichem Reichtum gründet, also im Doppelcharakter der konstituierenden gesellschaftlichen Vermittlung des Kapitalismus. Mag der Markt auch das Mittel zur Verallgemeinerung dieser Dialektik im bürgerlichen Kapitalismus sein, so kann die Dialektik selbst nicht hinreichend aus den bürgerlichen Distributionsverhältnissen abgeleitet werden. "
(S. 582)
 
[Charakter kapitalistischer Entwicklung]
" In der Marxschen Analyse konstituiert also der Doppelcharakter der Arbeit und nicht etwa der Markt und das Privateigentum an Produktionsmitteln den Kern des Kapitalismus. " (S. 582)
 
[Nicht PE an PM konsittuiert den Kapitalismus]
" Eine >Arbeitstheorie des Reichtums< zum Beispiel mag imstande sein, Klassenausbeutung theoretisch zu erklären; eine Theorie, die betont, daß im Kapitalismus um des Profits und nicht des Nutzens willens produziert wird, mag aufzeigen können, wie dieses Ziel zu technischen Innovationen in der Produktion führt; eine traditionelle marxistische Theorie mag in der Lage sein, den krisengeschüttelten Charakter des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses im Kapitalismus zu erklären. " (S. 582f)
" Wie ich aber gezeigt habe, enthält die Marxsche Theorie auch eine Kritik des Charakters der Form des Wirtschaftswachstums im Kapitalismus sowie des Charakters des Entwicklungsverlaufs des kapitalistischen Produktionsprozesses, also des ihm inhärenten Gegensatzes zwischen objektiviertem allgemeinem, gesellschaftlichen Wissen und lebendiger Arbeit. Diese Kritik, die auch eine Kritik des quasi-objektiven und richtungsgebundenen dynamischen Charakters gesellschaftlichen Zwangs im Kapitalismus und der Strukturierung des Gesellschaftszusammenhanges im Sinne eines Gegensatzes zwischen abstrakten und konkreten Dimensionen ist, basiert letztlich auf der Marxschen kritischen Analyse des Doppelcharakters der Arbeit im Kapitalismus. Sie unterscheidet sich grundlegend von einer Kritik des Kapitalismus vom Standpunkt der transhistorisch verstandenen >Arbeit<. " (S. 583)
 
[Entwicklungsverlauf des Kapitalismus]
" Darüber hinaus behandelt die Marxsche Analyse des Kapitals das Konzept der Totalität auf eine Weise, die im Widerspruch steht sowohl zum traditionellen Marxismus als auch zu zahlreichen aktuellen Kritiken am Marxismus. Wir haben gesehen, daß die Marxsche Theorie das Kapital als gesellschaftliche Totalität analysiert, als entfremdete Form, die letztlich konstituiert wird von der durch Arbeit vermittelten Form gesellschaftlicher Verhältnisse. Sie enthält somit eine Kritik der gesellschaftlichen Totalität. Die Totalität wird von ihr nicht in der Manier des traditionellen Marxismus affirmiert als das im Sozialismus zu Verwirklichende; das also existiert, sobald der Partikularismus der bürgerlichen Gesellschaft erst überwunden ist. " (S. 583)
 
[Totalität des Kapitalismus als entfremdete]
" Die Unterschiede zwischen der Marxschen Kritik und dem traditionellen Marxismus sind also erheblich. Tatsächlich sind die beiden in vielerlei Hinsicht entgegengesetzt: viel von dem, was letzterer affirmiert, wird von Marx kritisiert. So haben wir gesehen, daß die Marxsche Theorie nicht die - durch Privateigentum und Markt strukturierten- Klassenverhältnisse als die den Kapitalismus grundlegenden Verhältnisse erachtet. Ähnlich besteht die kritische Stoßrichtung der Kategorien von Wert und Mehrwert nicht einfach darin, eine Theorie der Ausbeutung zu begründen. Weder affirmiert die Marxsche Theorie den kapitalistischen Produktionsprozeß, um die kapitalistischen Distributionsmuster zu kritisieren, noch impliziert sie, das Proletariat sei das revolutionäre Subjekt, das sich in einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft selbst verwirklichen werde. Für Marx ist der innere Widerspruch der kapitalistischen Gesellschaft weder ein struktureller - zwischen kapitalistischen Verhältnissen und Industrieproduktion -noch ein soziologischer - zwischen Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse-; wobei die jeweils an zweiter Stelle genannten ihrem Wesen nach als vom Kapitalismus unabhängig, auf eine mögliche sozialistische Zukunft verweisend, gesehen würden. Allgemeiner gefaßt: Marx behauptet nicht, daß Arbeit das transhistorische Strukturprinzip des gesellschaftlichen Lebens sei; er begreift die Konstitution gesellschaftlichen Lebens nicht als eine durch (konkrete) Arbeit vermittelte Subjekt-Objekt-Dialektik. Sie liefert keine transhistorische Theorie der Arbeit, der Klasse, der Geschichte oder des Wesens des gesellschaftlichen Lebens selbst. " [Herv. v. P.H.] (S. 583)
 
[Unterschiede zum traditionellen Marxismus]

{ Traditioneller Marxismus ist doch wirklich sehr weit gefaßt. Ontologie des gesellschaftlichen Seins (Luká) oder auch die Formung der Gesellschaft durch die jeweilige Form der Arbeit wäre zu bedenken. M.P.'s Kritik vereinseitig, wo sie differenzieren sollte. (d.V.)}

" Wir haben gesehen, daß Arbeit im Kapitalismus - weit davon entfernt der Standpunkt der Marxschen Kritik zu sein - deren Gegenstand ist. In seiner späten Theorie ist die Kritik der Ausbeutung und des Marktes eingebettet in eine weitaus grundsätzlichere Kritik: in die der konstituierenden Zentralität der Arbeit im Kapitalismus als letzter Grund für die abstrakten Herrschaftsstrukturen, die der zunehmenden Fragmentierung der individuellen Arbeit ... " (S. 584)
 
[Nicht auf dem Standpunkt der Arbeit]
" Diese Kritik analysiert die Arbeiterklasse vielmehr als integralen Bestandteil des Kapitalismus, und nicht als Verkörperung seiner Negation. Indem sie die Aufhebung des Werts als möglich aufzeigt, zielt die Marxsche Kritik auf die Aufhebung der für den Kapitalismus charakteristischen Strukturen abstrakten Zwangs, die mögliche Abschaffung proletarischer Arbeit und die Möglichkeit einer anderen Organisation der Produktion, wobei sie zugleich auf deren inneren Zusammenhang verweist. " (S. 585)
 
[Abschaffung der proletarischen Arbeit]
" Ich habe beispielsweise gezeigt, daß der im Kapital entwickelte Widerspruch zwischen den Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wesentlich keiner zwischen Industrieproduktion und liberalen kapitalistischen Institutionen ist und daß er nicht auf die Verwirklichung der Produktivkräfte hinausläuft. " (S. 585)
" Erinnern wir uns: die Ware wird nur dann totalisiert, wenn die Arbeitskraft zur Ware geworden ist. Realisiert ist die logische Bestimmung der Arbeitskraft als einer Ware historisch indes nur dann, wenn Arbeiter effektiv die Kontrolle über diese Ware ausüben. Sie können das - folgt man der Marxschen Analyse nur als kollektive Warenbesitzer; die Totalisierung des Werts erfordert kollektive Organisationsformen.

Die Marxsche Analyse ist also nicht notwendig an den liberalen Kapitalismus gebunden, sondern impliziert vielmehr, daß die volle Entwicklung der kategorial erfaßten gesellschaftlichen Formen über dessen liberale Phase hinausweist. "
(S. 586)
 
[Totalisierung der Ware]
Er stellt die Frage, ob die Marxsche Theorie auch für die heutigen Formen des Kapitalismus Gültigkeit besitzt und bejaht sie in folge, da Marx die grundsätzlichen Kategorien auch für heute gebildet hat.
" Ich habe auch gezeigt, daß Marx den Wert als gesellschaftliche Form begreift, die nicht manifest ist, aber eine tiefenstrukturelle Ebene des modernen gesellschaftlichen Lebens determiniert und hinter dem Rücken der gesellschaftlichen Akteure wirkt. Wert ist nach Marx konstituierend für Bewußtsein und Handlung und wird doch von den Menschen konstituiert - auch wenn ihnen seine Existenz nicht bewußt ist. Sein Wirken braucht sich deshalb nicht auf die unmittelbare Produktionssphäre, aus der er offenbar hervorgeht, zu beschränken. " (S. 587)
 
[Wert als strukturierend für Bewußtsein und Handeln]
" Meine Untersuchung der Marxschen Analyse des Produktionsprozesses hat gezeigt, daß sein Verständnis des widersprüchlichen Wesens der kapitalistischen Gesellschaft sich stark von der traditionellen Auffassung unterscheidet, die Friedrich Pollocks Versuch prägte, die qualitativen Veränderungen im Kapitalismus des 20. Jahrhunderts zu erfassen. Eine auf der Marxschen Theorie fußende Analyse würde genau jene bedeutenden qualitativen Entwicklungen als kapitalbestimmt und im Kern widersprüchlich begreifen, die für Pollock die Aufhebung des Grundwiderspruchs des Kapitalismus anzeigten, ohne daß die Gesellschaft emanzipatorisch transformiert worden wäre. " (S. 588)
" Sie könnte deshalb als Ausgangspunkt dienen, den möglicherweise neuen Übergang in die Entwicklung des Kapitalismus zu verstehen, der durch eine Schwächung staatszentrierter Formen im Westen und den Zusammenbruch staatskontrollierter Formen im Osten charakterisiert ist - das heißt durch die teilweise Umkehrung des Trends zu wachsender Staatskontrolle, der den Übergang vom liberalen zum organisierten Kapitalismus geprägt hatte. " (S. 589)
" Neu über das Wesen des Kapitalismus nachzudenken bedeutet, dessen Aufhebung neu zu bestimmen. Die Marxsche Theorie, wie sie hier interpretiert wurde, affirmiert weder die bestehenden Formen gesellschaftlicher Produktion und Verwaltung als notwendige Begleiterscheinungen der >Modernität<, noch fordert sie zu deren Abschaffung auf, sondern weist über den Gegensatz dieser zwei Positionen hinaus. Wir haben zum Beispiel gesehen, daß Marx den Produktionsprozeß nicht aus technischer Perspektive behandelt, sondern ihn gesellschaftlich, in bezug auf zwei gesellschaftliche Dimensionen analysiert, die im Kapitalismus zwar ineinander verquickt sind, jedoch konzeptionell getrennt werden können. " (S. 589)
" Dabei blickt sie nicht sehnsüchtig in die Vergangenheit zurück, sondern unterschiedet begrifflich, was auf einer unmittelbaren, praktischen Ebene im Kapitalismus ununterscheidbar ist -nämlich was aufgrund des Kapitals für eine Gesellschaft mit technologisch fortgeschrittener Produktion und einer hochgradig entwickelten, gesellschaftlichen Arbeitsteilung notwendig ist - von dem, was bei Abschaffung des Kapitals für eine solche Gesellschaft notwendig wäre. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie ist eine kritische Theorie der Modernität, deren Standpunkt nicht die vorkapitalistische Vergangenheit ist, sondern jene vom Kapitalismus geschaffenen Möglichkeiten, die über ihn hinaus weisen. " (S. 590)
" Dieses Verständnis des widersprüchlichen Charakters des Kapitalismus ermöglicht die Unterscheidung zwischen drei Hauptformen gesellschaftlich konstituierter Kritik und Opposition im Kapitalismus. Die erste beruht auf dem, was Menschen als traditionelle Formen betrachten, und richtet sich gegen die Zerstörung dieser Formen durch den Kapitalismus. Die zweite gründet sich auf die Kluft zwischen den Idealen der modernen kapitalistischen Gesellschaft und deren Wirklichkeit.
...
Meine Interpretation stellt eine dritte Hauptform von Kritik und möglicher Opposition dar - eine, die auf der wachsenden Kluft zwischen den durch den Kapitalismus geschaffenen Möglichkeiten und seiner Wirklichkeit basiert. Damit könnte für eine Analyse der neuen sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte eine fruchtbare Grundlage geschaffen sein. "
(S. 195)
 
[Drei Hauptformen der Kritik]
" In ihrer hier vorgelegten Form beinhaltet die Marxsche Kritik auch einen Zugang zur Frage nach den Bedingungen von Demokratie in einer postkapitalistischen Gesellschaft, die ich an dieser Stelle allerdings nur streifen kann. Sie liefert jedenfalls die Basis für eine Analyse der gesellschaftlichen Grenzen der Demokratie in der kapitalistischen Gesellschaft, die über die traditionelle Kritik an der Kluft zwischen formaler politischer Gleichheit und konkreter sozialer Ungleichheit hinaus geht. Die traditionelle Position besagt, daß die Minimierung der riesigen Disparitäten von Reichtum und Macht, die in den kapitalistischen Distributionsverhältnissen ihren Grund haben, eine notwendige gesellschaftliche Bedingung für die Realisierung eines demokratischen politischen Systems im wirklichen Sinne sei. " (S. 590f)
 
[Postkapitalistische Demokratie]
" Darüber hinaus sind die in Ware und Kapital angelegten Zwangsformen nicht statisch, sondern dynamisch. Die Abschaffung dieses Aspekts der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist meiner Rekonstruktion der Marxschen Analyse zufolge aber nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, soll die Menschheit sich von einer dynamischen Form gesellschaftlicher Herrschaft befreien, deren Auswirkungen in wachsendem Maße zerstörerisch werden. " (S. 591f)
" Anders als viele traditionelle Interpretationen hat diese Auffassung der gesellschaftlichen Bedingungen für demokratische Selbstbestimmung nicht unbedingt etatistische Implikationen. Wir haben gesehen, daß für Marx die fundamentalen Produktionsverhältnisse des Kapitalismus nicht mit Markt und Privateigentum gleichzusetzen sind. Folglich würde die Ersetzung von Markt und Privateigentums durch den Staat nicht die Aufhebung von Wert und Kapital bedeuten. Tatsächlich läßt sich der Begriff >Staatskapitalismus< - wie ihn Pollock verwendete, ohne ihn begründen zu können - rechtfertigen, wenn es darum geht, eine Gesellschaft zu beschreiben, in der kapitalistische Produktionsverhältnisse weiterhin existieren, während bürgerliche Distributionsverhältnisse durch einen staatsbürokratischen Verwaltungsmodus ersetzt worden sind, der den im Kapital angelegten Zwängen und Einschränkungen unterworfen bleibt. " (S. 592)
 
[Nicht notwendig Staatsform - Pollock]
" Ich habe gezeigt, daß die Marxsche Kritik sich auf eine bestimmte, durch Arbeit konstituierte Form gesellschaftlicher Vermittlung bezieht; sie stellt keine Kritik gesellschaftlicher Vermittlung schlechthin dar. Während der traditionelle Marxismus dazu tendiert, Vermittlung mit Markt gleichzusetzen und auf dessen Ersetzung durch öffentliche Verwaltung zielt, ergibt sich aus der Marxschen Kritik ohne weiteres die Möglichkeit politischer Vermittlunsformen in einer postkapitalistischen Gesellschaft- also die Vorstellung einer politischen, öffentlichen Sphäre im Sozialismus -, die außerhalb des formalen Staatsapparates läge. " (S. 592)
" Es lag jedoch nicht in meiner Absicht, eine vollständige Theorie des Wesens, der Entwicklung und möglichen Aufhebung der fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft oder der >real existierenden sozialistischen< Gesellschaften auszuarbeiten. Diese Studie versteht sich als Vorarbeit, als Beitrag zur theoretischen Klärung und Neuorientierung auf einer grundlegenden logischen Ebene. Mir ging es vornehmlich darum, so kohärent und stringent wie möglich eine neue Interpretation der kategorialen Grundlagen der Marxschen Theorie zu liefern, ihre Unterschiede zum traditionellen Marxismus herauszuarbeiten und zu zeigen, daß sie imstande ist, die Grundlage einer angemessenen kritischen Analyse der heutigen Welt zu liefern. Ich habe dazu den Unterbau einer solchen Analyse beleuchtet - die grundlegenden Kategorien und Orientierungen, vermittels derer der Kapitalismus zu begreifen und in seinem historischen Entwicklungsverlauf zu verstehen wäre. " (S. 592f)
" Diese Frage ist bisher durchweg auf der Basis der traditionellen Interpretation diskutiert worden, das heißt so, als seien ihre Kategorien transhistorische Kategorien einer Gesellschaftskritik vom Standpunkt der >Arbeit< und nicht die einer Kritik der politischen Ökonomie. So haben beispielsweise Diskussionen zur Gültigkeit der Marxschen >Arbeitswerttheorie< diese in den meisten Fällen als eine auf einer transhistorischen Auffassung von >Arbeit< beruhende Preis- oder Ausbeutungstheorie betrachtet. Sie haben dabei Unterscheidungen, die, wie ich gezeigt habe, für Marx fundamental sind wie die zwischen Wert und stoftlichem Reichtum, abstrakter Arbeit und konkreter Arbeit - eingeebnet.(4) Die Frage nach der Gültigkeit einer transhistorischen >Arbeitstheorie des gesellschaftlichen Reichtums< ist jedoch eine völlig andere als die nach der Angemessenheit einer historisch spezifischen >Arbeitswerttheorie<. Die Frage nach der Gültigkeit historisch spezifischer, dynamischer und an eine bestimmte Zeit gebundener Kategorien ist gänzlich verschieden von der nach der Gültigkeit vermeintlich transhistorischer Kategorien. " (S. 593f)
 
[Traditioneller Marxismus - transhistorische Arbeit]

{ Aber gibt es transhistorische Inhalte, zb bezogen auf menschliche Gesellschaft? Darum drückt er sich hier diskret, wiewohl er dies an anderer Stelle bejahen muß, wenn es um Arbeit als Stoffwechsel mit der Natur geht. Dann sind nähmlich deren Bestimmungen auf bestimmte Weise transhistorisch - gebunden an die Notwendigkeit dieses Stoffwechsels und seiner Rolle bei der Bewußtseinsbildung als gesellschaftliche Praxis der Individuen. (d.V.)}

" Die Frage danach, ob die Marxsche Theorie ihrem Gegenstand adäquat ist, muß also im Sinne der darin behaupteten historischen Besonderheit ihrer Kategorien und ihres Gegenstandes formuliert werden. Wir haben gesehen, daß Marx mit seiner kategorialen Analyse die kapitalistische Gesellschaft hinsichtlich einer ihr zugrundeliegenden Form gesellschaftlicher Vermittlung erfassen will, die durch Arbeit konstituiert wird, die einen Doppelcharakter besitzt und die eine komplexe richtungsgebundene Dialektik hervorbringt. " (S. 593)
" Diese Merkmale umfassen die quasi-objektive und dynamische Natur der gesellschaftlichen Notwendigkeit im Kapitalismus, das Wesen und den Entwicklungsverlauf der Industrieproduktion und -arbeit, das spezifische ökonomische Wachstumsmuster und die besondere, für den Kapitalismus charakteristische Form der Ausbeutung (sowie die sich ändernden Formen von Subjektivität). " (S. 594)
 
[Quasi-objektive Dynamik und Ausbeutung]
" Ich habe gezeigt, daß der Wert sich der Marxschen Theorie gemäß strukturell als Kern des Kapitalismus rekonstituiert, selbst wenn er Bedingungen hervorbringt, die ihn anachronistisch werden lassen - und daß die kapitalistische Gesellschaft demnach durch die Dialektik der Wert- und Gebrauchswertdimensionen des Kapitals und die wachsende Spannung zwischen ihnen geprägt wird. In diesem Sinne sollte diese Studie das Wesen und die entscheidenden Umrisse der Marxschen Werttheorie und ihr Verhältnis zu den grundlegenden Merkmalen des Kapitalismus klären. Sie hat dies jedoch nur auf einer einleitenden, logischen Ebene geleistet und müßte demnach erst noch weiterentwickelt werden, bevor man die Frage nach ihrer Tragfähigkeit angemessen stellen kann. " (S. 595)
" Ein wichtiges, noch offenes theoretisches Problem ist das Verhältnis zwischen Struktur und Handlung. Bei meiner Untersuchung der Dialektik von Transformation und Rekonstitution im Zentrum der Marxschen Analyse des Kapitals führte ich aus, daß die Dialektik, so wie sie dort dargestellt wird, nur die zugrundeliegende strukturelle Logik der Dynamik erfaßt. " (S. 595)
 
[Zusammenhang Struktur - Handlung]
" Die Marxsche Analyse unterstellt, daß auch dann ein systematisches Verhältnis zwischen den Strukturformen der kapitalistischen Gesellschaft und den gesellschaftlichen Handlungen besteht, wenn den gesellschaftlich Handelnden diese Formen nicht bewußt sind. Was beide miteinander vermittelt ist, daß die zugrundeliegenden gesellschaftlichen Formen (zum Beispiel der Mehrwert) notwendigerweise in manifesten Formen erscheinen (zum Beispiel als Profit), die sie zugleich ausdrucken und verschleiern - und als Handlungsgrundlage dienen. Wie bereits bemerkt würde eine eingehendere Diskussion dieses Problems bedeuten, das Verhältnis der Marxschen Analyse zwischen dem ersten und dritten Band des Kapitals zu untersuchen. Und zu fragen wäre auch, ob Menschen, die auf der Grundlage der Unmittelbarkeit der manifesten Formen handeln, das rekonstituieren, was für Marx die grundliegenden gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus sind. " [Herv. v. P.H.] (S. 195)
 
[Zugrundeliegende gesellschaftliche Formen für die Handlungen]
" Eine solche Analyse wäre notwendig, um die Tragfähigkeit der Marxschen Kategorien für das Begreifen der zeitlichen und räumlichen Dimensionen der Kapitalexpansion zu prüfen-, das heißt die in wechselseitiger Beziehung zueinander stehenden Prozesse der qualitativen Transformation der kapitalistischen Gesellschaft und des sich wandelnden Charakters der kapitalistischen Globalisierung. Ein wichtiger Ausgangspunkt für ein solches Unterfangen wäre die von mir eingeleitete - Analyse der Marxschen Wertkategorie als strukturierende Kategorie der Organisation von Großproduktion unter den Bedingungen der reelen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital. " (S. 596)
" Eine solche Untersuchung wäre ein wichtiger Schritt hin auf zwei Ziele: erstens, zu bestimmen, ob die Marxsche Theorie tatsächlich die Grundlage für ein Verfahren liefern könnte, das qualitative Veränderungen in Wesen und Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften zu erfassen vermag, und zweitens, ob sie als Grundlage für eine Analyse qualitativer historischer Veränderungen von Subjektivität, von Formen des Denkens und Fühlens dienen könnte. " (S. 596)
" Eine der artige Untersuchung könnte so auch als Ausgangspunkt für die Analyse der oben angesprochenen jüngeren Veränderungen des Kapitalismus dienen und helfen, die neuen sozialen Bewegungen der letzten Jahrzehnte besser zu verstehen. Die von mir umrissene Theorie gesellschaftlicher Vermittlung könnte so auch imstande sein, die Grundlage für eine fruchtbare begriffliche Neubestimmung der gesellschaftlichen Konstitution und historischen Transformation von Gender und Ethnie in der kapitalistischen Gesellschaft zu bilden. " (S. 596f)
" Ich habe argumentiert, daß zwar die Marxsche Theorie des Werts - seine Behauptung, daß trotz aller wissenschaftlichen Entwicklungen und ihrer technischen Anwendungen gesellschaftlicher Reichtum im Kapitalismus eine Funktion der Verausgabung von Arbeitszeit bleibt - auf den ersten Blick höchst unplausibel wirkt, sie aber nur beurteilt werden kann in bezug auf das, was sie zu erklären ersucht. Ich wollte zeigen, daß die Marxsche Werttheorie keine Theorie der Konstitution und Aneignung transhistorischer Formen von Reichtum ist, sondern Merkmale der kapitalistischen Gesellschaft - etwa das Wesen ihrer historischen Dynamik und ihrer Produktionsweise - gesellschaftlich erklären soll. " (S. 597)
 
[Verausgabung von Arbeitszeit bleibt die Basis]
" Im allgemeinen hängt also die Plausibilität der Marxschen Theorie, wie ich sie dargelegt habe, davon ab, ob sie die wesentlichen Merkmale der modernen Gesellschaft in angemessener Weise beschreibt und diese mit ihrer kategorialen Analyse der grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus adäquat erklärt. " (S. 598)
" Diese Frage kann auf einer bestimmten Ebene in bezug auf die Plausibilität der Behauptung aufgeworfen werden, daß Kapitalismus und Sozialismus sich nicht nur durch die Art und Weise unterscheiden, in der gesellschaftlicher Reichtum angeeignet und verteilt wird, sondern auch durch das Wesen dieses Reichtums und seiner Produktionsweise selbst. " (S. 598)
 
[Unterschiedliches Wesen des Reichtums in Soz. und Kap.]
" Sozialismus kann folglich nicht als Gesellschaft mit einer unterschiedlichen Aneignungs- und Distributionsweise derselben Form von gesellschaftlichem Reichtum verstanden werden, die auf derselben Form der Produktion basiert, sondern läßt sich begrifflich als eine Gesellschaft bestimmen, in der gesellschaftlicher Reichtum die Form stofflichen Reichtums hat. Folglich kann er als eine völlig andere Art von Gesellschaft aufgefaßt werden, als eine, die frei ist von der Art gesellschaftlich konstituierter abstrakter Zwänge (in der Form von sowohl abstrakter als auch historischer Zeit), wie sie für den Kapitalismus charakteristisch sind. Dies wiederum schließt die Möglichkeit einer technologisch fortgeschrittenen Produktionsweise und einer hochentwickelten gesellschaftlichen Arbeitsteilung keineswegs aus, sondern wäre nur anders als im Kapitalismus strukturiert. " (S. 598)
 
[Andere Produktionsweise - Soz.]
" Zusammenfassend sollte bemerkt werden, daß die von mir vorgelegte Interpretation nicht nur traditionelle marxistische Theorien infrage stellt, sondern auch für die Gesellschaftstheorie im allgemeinen von Bedeutung ist. Ich habe die Marxsche Theorie als selbstreflexive, historisch bestimmte Theorie vorgestellt, die sich der historischen Besonderheit ihrer Kategorien ebenso bewußt ist, wie ihrer eigenen theoretischen Form. Über ihre historische Bestimmtheit hinaus ist die Marxsche Kritik eine Theorie gesellschaftlicher Konstitution der Konstitution einer historisch bestimmten Form gesellschaftlicher Vermittlung, die im Kern der kapitalistischen Gesellschaft liegt und für Formen gesellschaftlicher Objektivität und Subjektivität konstitutiv ist durch eine bestimmte Form gesellschaftlicher Praxis. " (S. 599)
 
[Konstitution durch ein gesell. Praxisform]
" Einerseits ist sie eine Theorie der gesellschaftlichen Konstitution einer bestimmten richtungsgebundenen Dynamik, die diese als einen Prozeß erklärt, durch den historisch bestimmte, gesellschaftliche Praktiken und historisch spezifische gesellschaftliche Strukturen sich gegenseitig konstituieren. " (S. 599)
" Sie kritisiert dabei ebenso Positionen als einseitig, die von der gesellschaftlichen Wirklichkeit solcher Strukturen ausgehen, ohne sie als gesellschaftlich konstituiert zu begreifen, als auch jene, die den Prozeß der gesellschaftlichen Konstitution auf einer Weise verstehen, die die Vermittlungsstrukturen in der Vielzahl jeweils stattfindender Praxen auflöst. " (S. 599)
" Auf der anderen Seite ist die Marxsche Theorie auch eine Gesellschaftstheorie des Bewußtseins und der Subjektivität, die gesellschaftliche Objektivität und Subjektivität ineinander verschränkt; sie begreift beide als bestimmte Vermittlungsformen, als objektivierte Formen von Praxis. Doch selbst als eine Gesellschaftstheorie des Bewußtseins ist sie historisch spezifisch: Aufgrund ihrer Analyse der Besonderheit der Formen gesellschaftlicher Vermittlung verweist die Marxsche Theorie darauf, daß Bewußtseinsinbalte ebenso wie die Form der gesellschaftlichen Konstitution von Sinn im Kapitalismus historisch spezifisch sind. Sie impliziert, daß Sinn nicht notwendigerweise in allen Gesellschaften auf dieselbe Weise entsteht und stellt damit transhistorische und transkulturelle Theorien der Konstitution von Sinn und folglich der >Kultur< zur Disposition. " (S. 599f)
 
[Marxsche Theorie auch als historische Subjektivitätstheorie]
" Was der Marxschen Theorie der gesellschaftlichen Konstitution ihre Stärke verleiht ist eben ihre historische Bestimmtheit.
...
Allgemeiner gesagt, steht Marx allen transhistorischen Theorien ebenso kritisch gegenüber wie allen Theorien, die Gesellschaftsstrukturen oder gesellschaftliche Praxisformen behandeln, ohne ihre wechselseitigen Beziehungen zu begreifen. "
(S. 600)
 
[Marxsche Theorie als selbst historische Theorie]
" Die Frage nach der Angemessenheit der Marxschen Theorie bezieht sich also nicht nur auf die Tragfähigkeit seiner kategorialen Analyse des Kapitalismus. Sie wirft auch allgemeinere Fragen auf, die den Charakter von Gesellschaftstheorie betreffen. Die kritische Theorie von Marx, die die kapitalistische Gesellschaft mittels einer Theorie der durch Arbeit konstituierten richtungsgebunden-dynamischen, totalisiesenden Vermittlung historisch spezifischen Charakters erfaßt, stellt eine brillante Analyse dieser Gesellschaft dar. Sie ist zugleich ein überzeugendes Argument in der Auseinandersetzung darum, wie eine angemessene Gesellschaftstheorie beschaffen sein muß. " (S. 601)

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