8. Die Dialektik von Arbeit und Zeit
Marx verbindet also bei der Entfaltung des Kapitalbegriffes die historische
Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft sowie die industrielle Produktionsform
mit der Struktur abstrakter Herrschaft, die durch die Arbeit, sofern sie
sowohl produktive Tätigkeit als auch gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit
ist, konstituiert wird. Ich werde dieses Verhältnis nun spezifizieren, indem
ich der Frage nachgehe, in welcher Weise bei Marx die grundlegenden
gesellschaftlichen
Formen des Kapitalismus den Charakter dieser historischen Dynamik und dieser
Produktionsform prägen. Statt aber die Marxsche Analyse der Produktionssphäre
direkt anzugehen, seien nur die hervorstechendsten strukturellen Merkmale
dieser Sphäre diskutiert, wozu ich zunächst gewissermaßen ›einen Schritt
zurück‹ gehen werde, um von hier aus die Implikationen der
Ausgangskategorien
der Marxschen Analyse eingehender zu untersuchen. Das wird gewisse wichtige
Charakteristika der Kapitalform verdeutlichen, die möglicherweise nicht zutage
treten würden, wenn die Produktionssphäre unmittelbar zum Gegenstand gemacht
wird. Dies wird es mir insbesondere ermöglichen, die zentrale Bedeutung der
zeitlichen Dimension des Werts für die Marxsche Analyse herauszuarbeiten.
Eine solche Vorgehensweise wird die Besonderheit der Dynamik des Kapitals
erhellen und die Grundlagen für eine Verdeutlichung des Marxschen Verständnisses
der gesellschaftlichen Konstitution des Produktionsprozesses legen. Vor dem
Hintergrund der in dieser Weise bestimmten Dynamik werde ich im folgenden
Kapitel erneut auf einige zentrale Aspekte der Marxschen Behandlung der
Produktionssphäre
zu sprechen kommen.
Indem sie zunächst die Implikationen
der Marxschen Ausgangskategorien für eine Analyse der Dynamik des Kapitals
und des Produktionsprozesses erörtert, wird die in diesem Kapitel präsentierte
Interpretation es ermöglichen, den Grundwiderspruch der kapitalistischen
Gesellschaft – und mithin die Möglichkeit von Gesellschaftskritik und
praktischer
Opposition – eindeutig in den durch die Marxschen Kategorien erfaßten
zweiseitigen
gesellschaftlichen Formen anzusiedeln, statt zwischen den gesellschaftlichen
Formen einerseits und der ›Arbeit‹ andererseits.
Dabei wird
klar werden, inwiefern meine erneuerte Interpretation der Marxschen
Basiskategorien
eine begriffliche Neubestimmung des Wesens des Kapitalismus, insbesondere
seiner widersprüchlichen Dynamik, begründet, und zwar in der Weise, daß
Erörterungen
über den Markt und das Privateigentum an Produktionsmitteln nicht im Vordergrund
stehen. Dies bietet eine Grundlage für die Analyse der inneren Beziehung
zwischen Kapital und Industrieproduktion sowie dem möglichen Zusammenhang
zwischen der Entwicklung des Kapitals und dem Charakter wie auch der Entwicklung
anderer bürokratischer Großinstitutionen und organisationen der postliberalen
kapitalistischen Gesellschaft.1
Die immanente Dynamik
Bisher habe ich mich auf die Zentralität der Marxschen Konzeption des
Doppelcharakters
der gesellschaftlichen Grundformen der kapitalistischen Gesellschaft
konzentriert
und versucht, das Wesen der Wertdimension der Formen (abstrakte Arbeit, Wert,
abstrakte Zeit) und das ihrer Gebrauchswertdimension (konkrete Arbeit,
stofflicher
Reichtum, konkrete Zeit) zu verdeutlichen und den Unterschied zwischen beiden
zu klären. An diesem Punkt angelangt kann ich ihre Wechselbeziehungen
untersuchen.
Ihre Nicht-Identität ist kein bloß statischer Gegensatz, sondern die beiden
Momente der Arbeit im Kapitalismus – als produktive Tätigkeit auf der
einen
und als gesellschaftlich vermittelnde auf der anderen Seite – bestimmen
sich
wechselseitig in der Weise, daß eine immanente dialektische Dynamik entsteht.
Es sollte festgehalten werden, daß die folgende Untersuchung des dynamischen
Verhältnisses von Produktivität und Wert einen voll entwickelten Kapitalismus
voraussetzt. Dieses Verhältnis ist Kern eines Musters, das erst mit dem
Auftreten
von relativem Mehrwert als dominanter Form vollständig zu sich selbst kommt.
Die Untersuchung des Unterschieds zwischen konkreter und abstrakter Arbeit
als einem zwischen stofflichem Reichtum und Wert hat gezeigt, daß erhöhte
Produktivität (für Marx Attribut der Gebrauchswertdimension der Arbeit) zwar
die Anzahl der Produkte und somit das Quantum stofflichen Reichtums vergrößert,
nicht aber die innerhalb einer gewissen Zeiteinheit erzielte Gesamtwertgröße.
Die Wertgröße scheint also allein eine Funktion von verausgabter abstrakter
Arbeitszeit zu sein, vollkommen unabhängig von der Gebrauchswertdimension
der Arbeit. Hinter diesem Gegensatz steckt jedoch eine dynamische Wechselwirkung
zwischen den beiden Dimensionen warenförmiger Arbeit, deren Evidenz das folgende
Beispiel verdeutlicht:
Nach der Einführung des Dampfwebstuhls
in England z. B. genügte vielleicht halb soviel Arbeit als vorher, um ein
gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber brauchte
zu dieser Verwandlung in der Tat nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber
das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellt jetzt nur noch eine
halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher um die Hälfte seines
frühern Werts. (MEW 23, 53)
Marx führt dieses Beispiel im
1. Kapitel des ersten Bandes des Kapitals ein, um seinen Begriff der
gesellschaftlich
notwendigen Arbeitszeit als Wertmaß zu illustrieren. Sein Beispiel verweist
darauf, daß die Handlungen der Individuen dort, wo die Ware allgemeine
Produktform
ist, eine entfremdete Totalität konstituieren, die sie Zwängen aussetzt und
die sie sich subsumiert. Bezog sich die Marxsche Darstellung des Werts im
ersten Band auf eine allgemeinere Ebene, bezieht sich dieses Beispiel auf
die der gesellschaftlichen Totalität.
Für unsere Zwecke ist
entscheidend, daß diese Ausgangsbestimmung der Wertgröße Dynamik impliziert.
Nehmen wir an, daß der durchschnittliche Handweber vor der Einführung des
Dampfwebstuhls in einer Stunde 20 Yards Gewebe produzierte und dabei einen
Wert von x erzielte. Als der Dampfwebstuhl, der die Produktivität verdoppelte,
eingeführt wurde, wurde fast durchgehend noch von Hand gewebt. Folglich wurde
der Wertstandard – gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit – nach
wie vor
durch das Handweben bestimmt: 20 Yards Gewebe pro Stunde blieben also die
Norm. Somit hatten die 40 Yards Gewebe, die der Dampfwebstuhl in einer Stunde
produzierte, einen Wert von 2 x. Mit der allgemeinen Durchsetzung der neuen
Webmethode jedoch entstand eine neue Norm gesellschaftlich notwendiger
Arbeitszeit:
die normative Arbeitszeit für die Produktion von 40 Yards Gewebe wurde auf
eine Stunde reduziert. Da die erzielte Wert-
größe eine Funktion
der verausgabten (gesellschaftlichen Durchschnitts ) Zeit und nicht der Masse
der produzierten Güter ist, fiel der Wert der mit dem Dampfwebstuhl in einer
Stunde produzierten 40 Yards Gewebe von 2 x auf x. Diejenigen Weber, die
nach wie vor die nun anachronistische ältere Methode benutzen, produzierten
immer noch 20 Yards Gewebe pro Stunde, erhielten für ihre individuelle
Arbeitsstunde
aber nur noch ½ x – den Wert einer gesellschaftlich normativen halben
Stunde.
Obwohl eine Produktivitätssteigerung mehr stofflichen Reichtum zum Ergebnis
hat, wird auf dem neuen Produktivitätsniveau, einmal verallgemeinert, die
gleiche Menge Wert pro Zeiteinheit geschöpft wie vor der Steigerung. Bei
der Erörterung des Unterschieds zwischen Wert und stofflichem Reichtum habe
ich festgestellt, daß der in einer gesellschaftlichen Arbeitsstunde erzielte
Gesamtwert Marx zufolge konstant bleibt: »Dieselbe Arbeit ergibt daher in
denselben Zeiträumen stets dieselbe Wertgröße, wie immer die Produktivkraft
wechsle.« (MEW 23, 61) Obiges Beispiel zeigt jedoch deutlich, daß sich mit
den Veränderungen in der Produktivität durchaus auch etwas ändert: sich
steigernde
Produktivität ergibt nicht nur eine größere Menge an stofflichem Reichtum,
sondern auch eine Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit. Ist
das abstrakte zeitliche Wertmaß gegeben, dann verändert diese Neubestimmung
gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit die Wertgröße der einzelnen
produzierten
Waren, nicht jedoch den pro Zeiteinheit produzierten Gesamtwert. Dieser bleibt
konstant und teilt sich, wenn die Produktivität zunimmt, lediglich unter
einer größeren Menge von Produkten auf. Dies aber impliziert, daß im Kontext
eines durch eine abstrakte zeitliche Form des Reichtums charakterisierten
Systems die Reduktion gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit die normative
gesellschaftliche Arbeitsstunde neu bestimmt. Im vorliegenden Beispiel war
die gesellschaftliche Arbeitsstunde durch das Handweben bei einer Produktion
von 20 Yards Gewebe bestimmt worden; sie erfuhr anschließend eine Neubestimmung
durch den Dampfwebstuhl bei einer Produktion von 40 Yards Gewebe. Obwohl
also eine Veränderung in der allgemeinen gesellschaftlichen Produktivität
die pro abstrakte Zeiteinheit produzierte Gesamtwertmenge unberührt läßt,
verändert sie die Bestimmung dieser Zeiteinheit. Nur die Stunde Arbeitszeit,
in der der allgemeine Standard gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit erreicht
wird, zählt als eine gesellschaftliche Arbeitsstunde. Mit anderen Worten,
die gesellschaftliche Arbeitsstunde wird durch das Produktivitätsniveau
konstituiert.
(Es ist festzuhalten, daß diese Bestimmung nicht in abstrakter Zeit ausgedrückt
werden kann. Nicht die Menge an Zeit, die einen Wert von x ergibt, hat sich
verändert, sondern der Standard dessen, was diese Zeitmenge konstituiert.)
Produktivität – die Gebrauchswertdimension der Arbeit – verändert
also nicht
den pro abstrakte Zeiteinheit erzielten Gesamtwert, bestimmt aber die
Zeiteinheit
selbst. Wir stehen vor einem scheinbaren Paradox: die Wertgröße ist allein
eine Funktion der durch eine unabhängige Variable (abstrakte Zeit) gemessenen
Verausgabung von Arbeit, doch die konstante Zeiteinheit selbst ist eine
abhängige
Variable, die durch Veränderungen in der Produktivität neu bestimmt wird.
Abstrakte Zeit wird also nicht nur als eine qualitativ bestimmte Zeitform
gesellschaftlich konstituiert, sondern ebenso quantitativ: das, was eine
gesellschaftliche Arbeitsstunde konstituiert, wird durch das allgemeine
Produktivitätsniveau,
die Gebrauchswertdimension, bestimmt. Doch obwohl die gesellschaftliche
Arbeitsstunde
neu bestimmt wird, bleibt sie als Einheit abstrakter Zeit konstant.
Auf die zeitliche Dimension dieses Paradoxons werde ich weiter unten eingehen.
Hier ist festzuhalten, daß das Marxsche Beispiel auf die Wechselwirkung beider
Dimensionen der Warenform verweist. Einerseits bestimmt eine Steigerung der
Produktivität die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit neu und verändert
dadurch die Bestimmungen der gesellschaftlichen Arbeitsstunde. Die den Wert
bestimmende abstrakte Zeitkonstante wird also ihrerseits durch die
Gebrauchswertdimension,
das Produktivitätsniveau, bestimmt. Andererseits bleibt der in der
gesellschaftlichen
Arbeitsstunde erzielte Gesamtwert unabhängig vom Produktivitätsniveau konstant,
obwohl diese Stunde durch die allgemeine Produktivität konkreter Arbeit bestimmt
wird. Daraus ergibt sich, daß jedes neue Produktivitätsniveau, sobald es
gesellschaftlich-allgemein geworden ist, nicht nur die gesellschaftliche
Arbeitsstunde neu bestimmt, sondern seinerseits durch diese Stunde als
›Basisniveau‹
der Produktivität neu bestimmt wird. Die auf dem neuen Produktivitätsniveau
pro abstrakte Zeiteinheit erzielte Wertmenge ist derjenigen, die auf dem
vorherigen Produktivitätsniveau erzielt wurde, gleich. In diesem Sinne wird
das Produktivitätsniveau, die Gebrauchswertdimension, auch durch die
Wertdimension
(als dem neuen Basisniveau) bestimmt.
Dieser Prozeß der wechselseitigen
Bestimmung der zwei Dimensionen gesellschaftlicher Arbeit im Kapitalismus
findet auf gesamtgesellschaftlicher Ebene statt. Er spielt sich im Herzen
einer dialektischen Dynamik ab, die der durch warenförmige Arbeit konstituierten
gesellschaftlichen Totalität innewohnt. Die Eigentümlichkeit dieser Dynamik
– und dies ist entscheidend – besteht in ihrem Tretmühleneffekt.
Zunehmende
Produktivität vergrößert die pro Zeiteinheit produzierte Wertmenge – bis
diese Produktivität verallgemeinert wird. An diesem Punkt fällt die in dieser
Zeitperiode erzielte Wertgröße wegen ihrer abstrakten und allgemeinen zeitlichen
Bestimmung auf ihr vorheriges Niveau zurück. Das Ergebnis ist eine neue
Bestimmung
der gesellschaftlichen Arbeitsstunde sowie ein neues Basisniveau der
Produktivität.
Es entsteht so eine Dialektik von Transformation und Rekonstitution: die
allgemeinen gesellschaftlichen Produktivitätsniveaus und die quantitativen
Bestimmungen gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit verändern sich, jedoch
rekonstituieren diese Veränderungen den Ausgangspunkt, das heißt die
gesellschaftliche
Arbeitsstunde und das Basisniveau der Produktivität.
Dieser
Tretmühleneffekt unterstellt, schon auf der abstrakt logischen Ebene des
Problems der Wertgröße – anders gesagt: schon bevor die Kategorie Mehrwert
und das Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital eingeführt worden ist
– eine Gesellschaft, die richtungsgebunden dynamisch ist, was sich im
Drang
nach ständig erhöhten Produktivitätsniveaus ausdrückt. Wie wir gesehen haben,
resultiert eine Produktivitätssteigerung in kurzfristigen Zunahmen der pro
Zeiteinheit erzielten Wertgrößen, was die allgemeine Übernahme der neueren
Produktionsmethoden induziert.2 Haben sich diese Methoden jedoch allgemein
durchgesetzt, kehrt der pro Zeiteinheit erzielte Wert auf sein vorangegangenes
Niveau zurück. Infolgedessen sehen sich diejenigen Produzenten, die diese
neuen Methoden noch nicht übernommen haben, nun dazu gezwungen, das zu tun.
Die Einführung immer neuerer Methoden der Produktivitätssteigerung bewirkt
weitere kurzfristige Wertzunahmen. Eine Konsequenz der Messung von Reichtum
durch Arbeitszeit besteht also darin, daß die Neubestimmung der zeitlichen
Konstante durch die Produktivitätszunahme ihrerseits noch größere Produktivität
induziert. Das Ergebnis ist eine richtungsgebundene Dynamik, in der sich
die beiden Dimensionen, konkrete Arbeit und abstrakte Arbeit, Produktivität
und das abstrakte zeitliche Wertmaß fortwährend gegenseitig neu bestimmen.
Da wir in diesem Stadium der Analyse noch nicht erklären können, weshalb
das Kapital notwendigerweise fortwährend akkumulieren muß, repräsentiert
die hier umrissene Dynamik nicht die voll entwickelte immanente historische
Logik des Kapitalismus. Sie stellt indes die Ausgangsbestimmung dieser Logik
bereit und skizziert die Form, welche das Wachstum im Kontext
arbeitsvermittelter
Gesellschaftsverhältnisse annehmen muß.
Der reziproken Neubestimmung
von Produktivitätssteigerung und gesellschaftlicher Arbeitsstunde eignet
eine objektive, gesetzmäßige Qualität, die keineswegs bloße Illusion oder
Mystifizierung ist. Obwohl gesellschaftlich, ist sie unabhängig von menschlichem
Willen. Insoweit man von einem Marxschen ›Wertgesetz‹ sprechen kann,
ist
die erwähnte Tretmühlendynamik dessen Ausgangsbestimmung: wie wir sehen werden,
beschreibt es ein Muster fortwährender gesellschaftlicher Transformation
und Rekonstitution als charakteristisch für die kapitalistische Gesellschaft.
Das Wertgesetz ist also dynamisch und kann als Theorie des Marktgleichgewichts
nicht adäquat begriffen werden. Hat man sich erst einmal die zeitliche Dimension
des Werts – verstanden als spezifische, von stofflichem Reichtum
verschiedene
Form von Reichtum – vor Augen geführt, so wird evident, daß die Wertform
die oben geschilderte Dynamik als von vornherein gegeben unterstellt.
Es ist festzuhalten, daß die über den Markt vermittelte Zirkulationsweise
kein wesentliches Moment dieser Dynamik darstellt. Wesentlich für die Dynamik
des vollständig konstituierten Kapitalismus ist der Tretmühleneffekt, der
allein in der zeitlichen Dimension der Wertform des Reichtums begründet liegt.
Wenn die über den Markt vermittelte Zirkulationsweise eine Rolle bei dieser
Dynamik spielt, dann als untergeordnetes Moment einer komplexen Entwicklung
– zum Beispiel als die Art und Weise, wie das Produktivitätsniveau
verallgemeinert
wird.3 Daß eine solche Verallgemeinerung eine Rückkehr der Wertmenge auf
ihr ursprüngliches Niveau zur Folge hat, ist jedoch keine Funktion des Marktes,
sondern eine des Werts als einer Form des Reichtums und ist dem Wesen nach
unabhängig davon, auf welche Art und Weise jede Neubestimmung des abstrakten
Zeitrahmens verallgemeinert wird. Wie wir sehen werden, ist dieses Muster
ein zentrales Moment der Form von Wachstum, die Marx mit der Kategorie des
Mehrwerts verbindet. Sich ausschließlich auf die Zirkulationsweise zu
konzentrieren
bedeutet, von bedeutsamen Implikationen der Warenform für die Verlaufsform
der kapitalistischen Entwicklung in der Marxschen kritischen Theorie
abzulenken.
Diese Untersuchung der abstrakten Bestimmungen der Dynamik des Kapitalismus
legt nahe, daß die über den Markt vermittelte Zirkulationsweise zwar für
die historische Entstehung der Ware als totalisierender gesellschaftlicher
Form notwendig gewesen sein mag, sie aber für diese Form nicht wesentlich
bleiben muß. Es ist vorstellbar, daß eine andere Weise von Koordination und
Verallgemeinerung – zum Beispiel eine administrative – für diese
widersprüchliche
Gesellschaftsform die gleiche Funktion ausüben könnte. Oder anders: Das
Wertgesetz
könnte, einmal etabliert, auch politisch vermittelt werden. Die Abschaffung
der über den Markt vermittelten Koordinationsweise und die Überwindung des
Werts sind also nicht identisch.
Wir beschrieben oben die
Kategorie des Kapitals als eine dynamische gesellschaftliche Form. Nun haben
wir damit begonnen, das Wesen ihres dynamischen Charakters genauer zu
untersuchen
und aufzuzeigen, wie sie letztlich in der Wechselwirkung von Wert und
stofflichem
Reichtum, abstrakter und konkreter Arbeit – das heißt der Wechselwirkung
der beiden Dimensionen der Warenform – begründet liegt. Diese Dynamik
repräsentiert
die ersten Umrisse jener immanenten historischen Logik des Kapitalismus,
die aus dem entfremdeten Charakter und der zeitlichen Bestimmung der
arbeitsvermittelten
gesellschaftlichen Verhältnisse resultiert. Abstrakt wirft sie bereits einen
Schatten auf ein zentrales Charakteristikum des Kapitals: nämlich daß es
fortwährend akkumulieren muß, um zu existieren. Werden ist die Bedingung
seines Seins.
Abstrakte Zeit und historische Zeit
Bisher habe ich untersucht, wie die dialektische Wechselwirkung zwischen
der Gebrauchswertdimension gesellschaftlicher Arbeit im Kapitalismus und
ihrer Wertdimension eine historische Dynamik erzeugt. Die Wechselwirkung
zwischen den beiden Dimensionen der Warenform kann auch zeitlich, hinsichtlich
des Gegensatzes zwischen abstrakter Zeit und einer dem Kapitalismus
eigentümlichen
Form konkreter Zeit analysiert werden. Um die Bedeutung dieses Gegensatzes
zu erklären, werde ich seine Implikationen auf eine gesellschaftlich konkretere
Ebene extrapolieren.
Wie wir gesehen haben, verlangt die
Wechselwirkung der beiden Dimensionen der Warenform, daß eine abstrakte
zeitliche
Konstante substantiell neu zu bestimmen ist. Trotz der Konstanz dieses
abstrakten
zeitlichen Wertmaßes hat dieses Maß einen sich wandelnden gesellschaftlichen
Inhalt, der jedoch verborgen bleibt: nicht jede Stunde ist hier eine Stunde
– in anderen Worten: nicht jede Stunde Arbeitszeit zählt als eine die
Gesamtwertgröße
bestimmende gesellschaftliche Arbeitstunde. Die abstrakt-zeitliche Konstante
ist also zugleich konstant und nicht konstant. Abstrakt zeitlich gesehen
konstant bleibt die gesellschaftliche Arbeitsstunde als Maß des produzierten
Gesamtwerts. Konkret ausgedrückt jedoch verändert sie sich entsprechend den
Veränderungen der Produktivität. Weil dennoch die abstrakte Zeiteinheit das
Wertmaß bleibt, drückt sich deren konkrete Neubestimmung nicht in der
Zeiteinheit
als solcher aus. Produktivitätszuwachs, um das klarzustellen, drückt sich
in der proportionalen Wertabnahme jeder produzierten Einzelware aus –
nicht
aber im pro Stunde produzierten Gesamtwert. Dennoch beeinflußt das historische
Produktivitätsniveau auch den produzierten Gesamtwert, wenn auch nur indirekt:
es bestimmt die für die Produktion einer Ware erforderliche gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit, und diese zeitliche Norm wiederum bestimmt, was eine
Arbeitsstunde konstituiert. Es dürfte deutlich geworden sein, daß die
Zeiteinheit
mit zunehmender Produktivität, bezogen auf die Produktion von Gütern,
›dichter‹
wird. Diese ›Dichte‹ ist aber in der Sphäre der abstrakten
Zeitlichkeit,
der Wertsphäre, nicht manifest: die abstrakte Zeiteinheit – die Stunde
–
und der produzierte Gesamtwert bleiben konstant.
Daß der
abstrakte Zeitrahmen konstant bleibt, obwohl er substantiell neu bestimmt
wird, ist ein scheinbares Paradox, auf das ich bereits hingewiesen habe.
Dieses Paradox kann auf der Grundlage abstrakter Newtonscher Zeit nicht
aufgelöst
werden. Vielmehr verweist es auf eine andere, übergeordnete Art von Zeit.
Wie wir gesehen haben, erscheint der Prozeß, in dem die konstante Stunde
›dichter‹ wird – das heißt die durch die
Gebrauchswertdimension bewirkte
substantielle Veränderung – nicht manifest im abstrakten Zeitrahmen des
Werts.
Er kann aber mit einer zeitlichen Begrifflichkeit, im Bezug auf eine Form
konkreter Zeitlichkeit, ausgedrückt werden.
Um den Charakter
dieser anderen Art von Zeit herauszuarbeiten, ist die Interaktion zwischen
den Wert- und Gebrauchswertdimensionen der Arbeit im Kapitalismus zu
untersuchen.
Veränderungen in der Produktivität bewegen die Bestimmung gesellschaftlich
notwendiger Arbeitszeit in gewissem Sinne entlang einer Achse abstrakter
Zeit: gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit nimmt mit erhöhter Produktivität
ab. Doch obgleich die gesellschaftliche Arbeitsstunde dadurch neu bestimmt
wird, bewegt sie sich nicht entlang dieser Achse – denn sie ist diese
Koordinatenachse
selbst, der Bezugsrahmen, an dem die Veränderung gemessen wird. Die Stunde
ist eine konstante Einheit abstrakter Zeit; abstrakt zeitlich gesehen muß
sie feststehen. Daher wird jedes neue Produktivitätsniveau
›rückwirkend‹
neu als Basisniveau bestimmt und erzielt die gleiche Wertrate. Dennoch ist
tatsächlich ein neues Produktivitätsniveau erreicht worden, selbst wenn es
als dasselbe Basisniveau neu bestimmt worden ist. Vermag diese substantielle
Entwicklung die abstrakte Zeiteinheit in bezug auf die abstrakte Zeit selbst
nicht zu ändern, so verändert sie doch die ›Position‹ dieser
Einheit. Die
gesamte abstrakte zeitliche Achse, oder der Bezugsrahmen, wird mit jedem
gesellschaftlich-allgemeinen Produktivitätszuwachs bewegt – sowohl die
gesellschaftliche
Arbeitsstunde als auch das Basisniveau der Produktion werden ›zeitlich
vorwärts‹
bewegt.
Diese aus der substantiellen Neubestimmung abstrakter
Zeit resultierende Bewegung kann in abstrakt-zeitlichen Begriffen nicht
ausgedrückt
werden; sie verlangt einen anderen Bezugsrahmen. Diesen kann man sich als
einen Modus konkreter Zeit vorstellen. Weiter oben wurde konkrete Zeit definiert
als jede Art Zeit, die eine abhängige Variable – eine Funktion von Ereignissen
oder Handlungen – ist. Wir haben gesehen, daß die Interaktion zwischen den
beiden Dimensionen warenförmiger Arbeit in der Weise wirkt, daß die gesellschaftlich-allgemeinen
Produktivitätssteigerungen die abstrakte Zeiteinheit ›zeitlich vorwärts‹
bewegen. Produktivität gründet Marx zufolge im gesellschaftlichen Charakter
der Gebrauchswertdimension der Arbeit (MEW 23, 60 f.). Somit ist diese Bewegung
der Zeit eine Funktion der Gebrauchswertdimension der Arbeit in ihrer Wechselwirkung
mit dem Wertrahmen und kann als eine Art konkreter Zeit verstanden werden.
Bei der Untersuchung der Interaktion von konkreter und abstrakter Arbeit,
die den Kern der Marxschen Analyse des Kapitals ausmacht, haben wir gezeigt,
daß ein Wesenszug des Kapitalismus in einem (konkreten) Zeitmodus liegt,
der die (abstrakte) Zeitbewegung ausdrückt.
Die Dialektik
der beiden Dimensionen der Arbeit im Kapitalismus kann also auch zeitlich
verstanden werden, als Dialektik von zwei Zeitformen. Wie wir gesehen haben,
bringt die Dialektik konkreter und abstrakter Arbeit eine innere Dynamik
hervor, die durch ein eigentümliches Tretmühlenmuster charakterisiert ist.
Da jedes neue Produktivitätsniveau als neues Basisniveau bestimmt wird, tendiert
diese Dynamik zur Dauerhaftigkeit und ist durch ständig gesteigerte Produktivitätsniveaus
gekennzeichnet. Zeitlich gesehen eignet dieser inneren Dynamik des Kapitals
mit ihrem Tretmühlenmuster eine fortwährende richtungsbebundene Bewegung
der Zeit, ein ›Fließen der Geschichte‹. Mit anderen Worten, der von uns behandelte
konkrete Zeitmodus kann als historische Zeit, so wie sie in der kapitalistischen
Gesellschaft konstituiert wird, angesehen werden.
Die historische
Zeit, auf die ich mich beziehe, unterscheidet sich deutlich von abstrakter
Zeit, obwohl beide mit der Entwicklung der Ware als einer totalisierenden
Form gesellschaftlich konstituiert werden. Ich habe dargelegt, daß abstrakte
Zeit, definiert als ein abstrakter unabhängiger Rahmen, innerhalb dessen
Ereignisse und Handlungen stattfinden, dadurch entsteht, daß die Ergebnisse
individueller Tätigkeit über eine gesamtgesellschaftlichen Vermittlung in
eine abstrakte Zeitnorm für diese Tätigkeit verwandelt werden. Obwohl die
Zeit das Wertmaß darstellt, ist die durch »gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit«
ausgedrückte totalisierende Vermittlung keine Bewegung von Zeit, sondern
eine Metamorphose substantieller Zeit in abstrakte Zeit im Raum, sozusagen,
vom Besonderen zum Allgemeinen und wieder zurück (Lukács (1968 b, 264 f.).
Diese Vermittlung im Raum konstituiert einen abstrakten, homogenen Zeitrahmen,
der unveränderlich ist und als Maß für Bewegung dient. Individuelle Tätigkeit
findet also in abstrakter Zeit statt und wird in Beziehung auf sie gemessen,
kann diese Zeit aber nicht verändern. Obwohl Produktivitätsveränderungen
die abstrakte Zeiteinheit historisch bewegen, reflektiert sich diese historische
Bewegung nicht in abstrakter Zeit. Abstrakte Zeit drückt die Bewegung der
Zeit nicht aus, sondern konstituiert einen scheinbar absoluten Bewegungsrahmen,
ihr homogener konstanter ›Fluß‹ ist tatsächlich statisch. Folglich bleibt
die pro Zeiteinheit erzielte Wertmenge, als Funktion dieser Zeit, ungeachtet
der Veränderungen in der Produktivität, konstant. Der gesamte Rahmen wird
rekonstituiert, ohne diese Rekonstituierung jedoch selbst auszudrücken: die
Bewegung des Rahmens reflektiert sich nicht direkt in Wertbegriffen.
Historische Zeit ist gemäß dieser Interpretation kein abstraktes Kontinuum,
in dem Ereignisse stattfinden und dessen Fluß unabhängig von menschlicher
Tätigkeit wäre, sondern ist die Bewegung der Zeit, im Gegensatz zur Bewegung
in der Zeit. Die durch historische Zeit ausgedrückte Dynamik der gesellschaftlichen
Totalität ist ein konstituierter und konstituierender Prozeß gesellschaftlicher
Entwicklung und Transformation, der richtungsgebunden ist, und dessen Fluß,
der letztlich in der Dualität der durch Arbeit vermittelten gesellschaftlichen
Verhältnisse angelegt ist, ist eine Funktion gesellschaftlicher Praxis.
Dieser historische Prozeß hat viele Aspekte. Ich werde nur einige grundsätzliche
Bestimmungen dieses Prozesses erörtern. Sie alle implizieren die von Marx
analysierte Dynamik und bereiten den Boden für deren konkretere Aspekte.
Zunächst hat, wie bereits festgestellt, die Dynamik der Totalität die fortwährende
Entwicklung der Produktivität zur Folge, eine Entwicklung, die Marx zufolge
den Kapitalismus von anderen Gesellschaften unterscheidet (MEW 23, 386).
Dies beinhaltet fortwährende Veränderungen im Wesen der Arbeit, der Produktion
und der Technologie sowie die Akkumulation der damit zusammenhängenden Formen
von Wissen. Allgemeiner gesehen hat die historische Bewegung der gesellschaftlichen
Totalität fortwährende, massive Transformationen der gesellschaftlichen Lebensweise
der Mehrheit der Bevölkerung zur Folge – in gesellschaftlichen Arbeits- und
Lebensmustern, in der Klassenstruktur und aufteilung, im Wesen von Staat
und Politik, in der Familienform, der Ausgestaltung des Bildungs- und Erziehungswesens,
der Formen von Verkehr und Kommunikation usw. (MEW 23, 309 ff.; 416 ff.;
470 ff.) Darüber hinaus zeitigt der dialektische Prozeß im Herzen der dem
Kapitalismus immanenten Dynamik die Konstitution, Ausbreitung und fortwährende
Transformation historisch bestimmter Formen von Subjektivität, Interaktion
und gesellschaftlichen Werten. (Dies ist im Marxschen Verständnis der Kategorien
als Bestimmungen von Formen gesellschaftlicher Existenz, die gesellschaftliche
Objektivität und Subjektivität in ihrer inneren Verschränktheit erfassen,
impliziert.) Historische Zeit im Kapitalismus kann also als eine Form konkreter
Zeit angesehen werden, die gesellschaftlich konstituiert wird und eine fortwährende
qualitative Transformation von Arbeit und Produktion, des gesellschaftlichen
Lebens im allgemeineren sowie von Bewußtseins-, Wert- und Bedürfnisformen
zum Ausdruck bringt. Anders als der ›Fluß‹ der abstrakten Zeit ist diese
Bewegung nicht gleichförmig, sondern verändert sich und kann sich sogar beschleunigen.4
Ein Charakteristikum des Kapitalismus ist also die gesellschaftliche Konstitution
zweier Zeitformen – abstrakter Zeit und historischer Zeit –, die in sich
verschränkt sind. Die auf Wert, auf abstrakter Zeit beruhende Gesellschaft
ist, wenn voll entwickelt, durch eine fortwährende historische Dynamik (und,
damit zusammenhängend, durch die Ausbreitung historischen Bewußtseins) gekennzeichnet.
Anders gesagt erhellt und begründet die Marxsche Analyse den historisch dynamischen
Charakter der kapitalistischen Gesellschaft gesellschaftlich aus einer Dialektik
der beiden Dimensionen der Warenform, die sich als eine Dialektik von abstrakter
und historischer Zeit begreifen läßt. Er analysiert diese Gesellschaft im
Hinblick auf bestimmte gesellschaftliche Formen, die einen historischen Prozeß
fortwährender gesellschaftlicher Transformation konstituieren. Die grundlegenden
gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus sind Marx zufolge derart beschaffen,
daß die Menschen hier zwar ihre eigene Geschichte – im Sinne eines fortwährenden,
richtungsgebundenen Prozesses gesellschaftlicher Transformation – machen.
Wegen des entfremdeten Charakters dieser Formen entzieht sich die von ihnen
konstituierte Geschichte jedoch ihrer Kontrolle.
Historische
Zeit ist also nicht einfach der Fluß von Zeit, in dem Ereignisse stattfinden,
sondern wird als Form konkreter Zeit konstituiert. Sie wird nicht durch die
wertbestimmte Zeitform als eine abstrakte Konstante, wird nicht als ›mathematische‹
Zeit ausgedrückt. Wir haben gesehen, daß die gesellschaftliche Arbeitsstunde
innerhalb einer Dimension historischer Zeit, die konkret ist und nicht gleichförmig
fließt, bewegt wird – doch die abstrakte Zeiteinheit läßt ihre historische
Neubestimmung nicht manifest zutage treten: sie behält ihre konstante Form
als Gegenwartszeit. Somit existiert der historische Fluß hinter dem Rahmen
abstrakter Zeit, erscheint aber nicht in ihm. Der historische ›Inhalt‹ der
abstrakten Zeiteinheit bleibt genauso verborgen wie der gesellschaftliche
›Inhalt‹ der Ware.
Ebenso wie dieser gesellschaftliche ›Inhalt‹
repräsentiert jedoch die historische Dimension der abstrakten Zeiteinheit
kein nicht-kapitalistisches Moment. Sie konstituiert nicht an und für sich
den Standpunkt einer Kritik, die über diese Gesellschaftsformation hinauswiese.
Im Gegensatz zu Lukács – der Kapitalismus mit statischen bürgerlichen Verhältnissen
gleichsetzt und die dynamische Totalität, die historische Dialektik, als
den Standpunkt der Kapitalismuskritik setzt (1968 b, 322 ff.) – zeigt die
hier entwickelte Position, daß die Existenz selbst eines fortdauernden, ›automatischen‹
historischen Flusses aus sich heraus mit der gesellschaftlichen Herrschaft
abstrakter Zeit verschränkt ist. Beide Zeitformen sind Ausdruck entfremdeter
Verhältnisse. Ich habe dargelegt, daß die für den Kapitalismus charakteristische
Struktur gesellschaftlicher Verhältnisse die Form eines quasi-natürlichen
Gegensatzes zwischen einer abstrakt-universellen Dimension und einer der
›dinglichen‹ Natur annimmt. Auch das zeitliche Moment dieser Struktur hat
die Form eines scheinbar nicht-gesellschaftlichen und nicht-historischen
Gegensatzes zwischen einer abstrakt-formalen und einer konkret-prozessualen
Dimension. Diese Gegensätze sind aber keine zwischen kapitalistischen und
nicht-kapitalistischen Momenten, sondern verbleiben, wie der damit zusammenhängende
Gegensatz zwischen positiv-rationalen und romantischen Denkformen, gänzlich
im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse.
Bevor ich näher
auf die Interaktion der beiden Zeitformen im Kapitalismus eingehe, werde
ich zunächst damit fortfahren, ihre Unterschiede zu untersuchen – insbesondere
die zwischen historischer Zeit und abstraktem Zeitrahmen, die auf dem Unterschied
zwischen stofflichem Reichtum und Wert beruhen. Wie wir gesehen haben, bleibt
der innerlich mit der Wertdimension verschränkte abstrakte Zeitrahmen bei
steigender Produktivität konstant. Die gesellschaftliche Arbeitsstunde, in
der die Produktion von 20 Yards Gewebe einen Gesamtwert von x ergibt, ist
das abstrakte zeitliche Äquivalent der gesellschaftlichen Arbeitsstunde,
in der die Produktion von 40 Yards Gewebe denselben Gesamtwert von x ergibt:
es sind gleiche Einheiten abstrakter Zeit und sie bestimmen, da sie normativ
sind, eine konstante Wertgröße. Sicherlich gibt es einen konkreten Unterschied
zwischen den beiden, der aus der historischen Entwicklung der Produktivität
resultiert. Eine solche historische Entwicklung führt jedoch zu einer Neubestimmung
der Kriterien dessen, was eine gesellschaftliche Arbeitsstunde konstituiert
und reflektiert sich nicht in der Stunde selbst. In diesem Sinne also ist
der Wert ein Ausdruck von Zeit als der Gegenwart. Er ist Maß und eine zwingende
Norm für die Verausgabung unmittelbarer Arbeitszeit, ungeachtet des historischen
Produktivitätsniveaus.
Andererseits wiederum bringt historische
Zeit im Kapitalismus einen einzigartigen Prozeß fortwährender gesellschaftlicher
Transformation hervor und ist mit ständigen Veränderungen des historischen
Produktivitätsniveaus verbunden: sie ist direkt abhängig von der Entwicklung
der Gebrauchswertdimension der Arbeit im Zusammenhang mit der warenförmigen
gesellschaftlichen Totalität. Es ist bezeichnend, daß Marx Produktivität
in bezug auf die Gebrauchswertdimension der Arbeit (das heißt den gesellschaftlichen
Charakter konkreter Arbeit) folgendermaßen analysiert:
Die
Produktivkraft der Arbeit ist ... bestimmt unter anderem durch den Durchschnittsgrad
des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer
technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses,
den Umfang und die Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhältnisse.
(MEW 23, 54)
Dies bedeutet, daß die Produktivkraft der Arbeit
nicht notwendigerweise von der unmittelbaren Arbeit der Arbeiter abhängig
ist. Sie hängt ebenfalls von wissenschaftlicher, technischer und organisatorischer
Erkenntnis und Erfahrung ab, die Marx als – gesellschaftlich-allgemeine –
Produkte der menschlichen Entwicklung ansieht (Marx 1969, 50; 79). Wie werden
sehen, daß sich in der Marxschen Darstellung das Kapital historisch in der
Weise entfaltet, daß das Produktivitätsniveau zunehmend von der unmittelbaren
Arbeit der Arbeiter unabhängiger wird. Dieser Prozeß hat die Entwicklung
gesellschaftlich-allgemeiner Formen von Wissen und Erfahrung in entfremdeter
Form zur Folge, die von den Fertigkeiten und dem Wissen der unmittelbaren
Produzenten nicht direkt abhängig sind und nicht auf diese reduziert werden
können (z. B. MEW 23, 341 ff.; 382; 408; 445). Die von uns erörterte dialektische
Bewegung der Zeit repräsentiert die Ausgangsbestimmungen der Marxschen Analyse
der historischen Entfaltung des Kapitals.
Wird die Gebrauchswertdimension
der Arbeit gemessen, so wird sie – anders als die Wertdimension – gemäß ihrer
Produkte gemessen, nach der Menge des von ihr produzierten stofflichen Reichtums.
Da sie nicht von der unmittelbaren Arbeit abhängt, wird sie nicht durch die
Verausgabung abstrakter Arbeitszeit gemessen. Auch das Maß stofflichen Reichtums
kann einen zeitlichen Aspekt haben, aber in Abwesenheit der mit der Wertdimension
verbundenen Form zeitlicher Notwendigkeit ist diese Zeitlichkeit substantiell
abhängig von der Produktion – von der effektiv zur Produktion eines bestimmten
Produkts benötigten Zeitmenge. Diese Zeit ist eine Funktion der Objektivierung
und keine Norm für Verausgabung. Die im Laufe der Produktionsentwicklung
eintretenden Veränderungen dieser konkreten Produktionszeit reflektieren
die historische Bewegung der Zeit. Hervorgebracht wird diese Bewegung von
einem gesellschaftlichen Konstitutionsprozeß, der mit der fortwährenden Akkumulation
von technischer, organisatorischer und wissenschaftlicher Erkenntnis und
Erfahrung in entfremdeter Form verbunden ist. (MEW 23, 382; 408 f.) Die bisherige
Diskussion hat gezeigt, daß aufgrund der Marxschen Analyse bestimmte Konsequenzen
dieser Akkumulation – das heißt Konsequenzen der gesellschaftlichen, intellektuellen
und kulturellen Entwicklungen, die die Bewegung der Zeit begründen – tatsächlich
gemessen werden können, etwa in bezug auf Veränderungen der pro Zeiteinheit
produzierten Gütermenge oder der zur Produktion eines bestimmten Produkts
benötigten Zeitmenge. Die historischen Entwicklungen selbst können jedoch
nicht gemessen werden: sie lassen sich nicht als abhängige Variablen abstrakter
Zeitlichkeit (das heißt in Wertbegriffen) quantifizieren, auch wenn die Erfordernisse
der gesellschaftlichen Wertform die konkrete Produktionsform prägen, in der
sich die Akkumulation von Wissen, Erfahrung und Arbeit objektiviert. Die
geschichtliche Bewegung kann also durch Zeit als einer abhängigen Variablen
indirekt ausgedrückt werden; als zeitliche Bewegung kann sie jedoch nicht
durch statische, abstrakte Zeit erfaßt werden.
Ein wichtiger
Aspekt der Marxschen Konzeption der Verlaufsform der historischen Dynamik
der kapitalistischen Gesellschaft ist schon in diesem Anfangsstadium der
Untersuchung deutlich zutage getreten. Seine grundsätzlichen Kategorien implizieren,
daß mit der Entfaltung dieser letztlich durch die Warenförmigkeit der Verhältnisse
angetriebenen Dynamik eine wachsende Disparität entsteht zwischen Entwicklungen
in der Produktivkraft der Arbeit (die nicht notwendigerweise von der unmittelbaren
Arbeit der Arbeiter abhängt) einerseits und dem Wertrahmen andererseits,
in dem solche Entwicklungen zum Ausdruck kommen (und der an solche Arbeit
gebunden ist). Die Disparität zwischen der Akkumulation historischer Zeit
und der Objektivierung unmittelbarer Arbeitszeit wird mit der zunehmenden
Materialisierung wissenschaftlicher Erkenntnis in der Produktion immer krasser.
Ausgehend von der Marxschen Unterscheidung zwischen Wert und stofflichem
Reichtum lassen sich die durch Wissenschaft und fortgeschrittene Technologie
bewirkten Produktivitätssteigerungen nicht adäquat und konsistent mit der
Verausgabung abstrakter Arbeitszeit, sei sie geistig oder körperlich, erklären
– ebensowenig wie mit der Zeit, die für Forschung und Entwicklung oder der,
die für die Ingenieurs- und Facharbeiterausbildung benötigt wird.
Verstehen läßt sich diese Entwicklung, wenn auf die Kategorie historischer
Zeit bezug genommen wird. Wie wir bei der Erörterung des Entwicklungsverlaufs
der Produktion sehen werden, drückt sich mit der Entwicklung von wissenschaftlich
und technologisch fortgeschrittener Produktion in den Produktivitätssteigerungen
auch die Akkumulation allgemein-gesellschaftlich vergangener Erfahrung und
Arbeit aus, ebenso wie die häufig diskontinuierliche Zunahme allgemeinen
Wissens, zu der es auf der Grundlage dieser aufbewahrten Vergangenheit kommt
(MEW 23, 402 ff.). Die Dynamik des Kapitalismus, wie sie von den Marxschen
Kategorien erfaßt wird, ist so konzipiert, daß in dieser Akkumulation historischer
Zeit sich eine wachsende Disparität bezüglich der Bedingungen der Produktion
stofflichen Reichtums und denen der Wertschöpfung ergibt. Hinsichtlich der
Gebrauchswertdimension der Arbeit (das heißt der Schaffung von stofflichem
Reichtum) wird die Produktion zusehends weniger ein Prozeß der materiellen
Objektivierung von Fertigkeiten und Wissen der individuellen Produzenten
oder auch nur der unmittelbar involvierten Klasse. Vielmehr wird sie immer
mehr eine Objektivierung des akkumulierten allgemeinen Wissens der Gattung,
der Menschheit – die mit der Akkumulation historischer Zeit selbst als Kategorie
konstituiert wird. Hinsichtlich der Gebrauchswertdimension wird die Produktion
also im Laufe der vollständigen Ausbildung des Kapitalismus zunehmend zu
einem Prozeß der Objektivierung historischer Zeit statt von unmittelbarer
Arbeitszeit. Marx zufolge bleibt der Wert jedoch notwendig ein Ausdruck dieser
letzteren Objektivierung.
Die Dialektik von Transformation und Rekonstitution
Die für die kapitalistische Gesellschaft charakteristische historische Dynamik
ist der Marxschen Analyse zufolge nicht linear, sondern widersprüchlich.
Sie weist über sich selbst hinaus, hebt sich aber nicht selbst auf. Ich habe
auf einer abstrakten und vorläufigen Ebene gewisse Unterschiede zwischen
der Produktion, die auf der Objektivierung unmittelbarer Arbeit, und solcher,
die auf historischer Zeit beruht, untersucht. Ohne diesen Doppelcharakter
der gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus ließe sich die Entwicklung
der Produktion durchaus als einfache technische Entwicklung verstehen, in
der eine Produktionsweise durch eine andere linear ersetzt wird und die einem
historischen Muster entspricht, demgemäß im Verlauf der kapitalistischen
Entwicklung eine auf Wissen, Geschick und Arbeit der unmittelbaren Produzenten
beruhende Produktionsform eine andere, auf dem akkumulierten Wissen und der
Erfahrung der Menschheit beruhende Form hervorbringe. Mit der Akkumulation
historischer Zeit werde die gesellschaftliche Notwendigkeit für die Verausgabung
unmittelbarer menschlicher Arbeit in der Produktion nach und nach geringer.
Die auf der Gegenwart, auf der Verausgabung abstrakter Arbeitszeit beruhende
Produktion erzeuge so ihre eigene Negation – die Objektivierung historischer
Zeit.
Einige Theorien der Moderne – zum Beispiel die der
›postindustriellen Gesellschaft‹ – basieren auf einem derartigen Verständnis
der Produktionsentwicklung. Derartige Auffassungen werden jedoch dem nicht-linearen
Charakter der historischen Entwicklung der kapitalistischen Produktion nicht
gerecht. Sie setzen voraus, daß die Form des produzierten Reichtums konstant
bleibt und nur die Methode seiner ausschließlich im technischen Sinne verstandenen
Produktion sich verändert. Der Marxschen Analyse gemäß wäre eine derartige
evolutionäre Entwicklung nur dann möglich, wenn Wert und stofflicher Reichtum
nicht äußerst verschiedene Formen des Reichtums wären. Doch aufgrund des
Doppelcharakters der den Kapitalismus strukturierenden Formen repräsentiert
diese evolutionäre Entwicklung nur eine Tendenz innerhalb einer weitaus komplexeren,
dialektischen historischen Dynamik. Die Marxsche Analyse des Werts als strukturierender
gesellschaftlicher Kategorie behandelt die Produktionsentwicklung weder als
bloß technische Entwicklung – in der eine hauptsächlich auf menschlicher
Arbeit beruhende Produktionsweise durch eine ersetzt wird, die auf Wissenschaft
und Technologie beruht –, noch übersieht sie die tiefgreifenden, durch Wissenschaft
und Technologie bewirkten Veränderungen. Marx analysiert vielmehr die Produktion
im Kapitalismus ausgehend von den Unterscheidungen zwischen Wert und stofflichem
Reichtum, abstrakter und konkreter Arbeit (und, implizit, abstrakter und
konkreter Zeit) als widersprüchlichen gesellschaftlichen Prozeß, der durch
eine Dialektik der beiden Dimensionen der Warenform konstituiert wird.
Die Interaktion dieser beiden Dimensionen vollzieht sich in der Weise, daß
nicht einfach der Wert durch die Akkumulation historischer Zeit ersetzt wird,
sondern indem er als wesentliche Determinante der Gesellschaftsformation
kontinuierlich rekonstituiert wird. Dieser Prozeß der Rekonstitution, der
die Bewahrung des Werts und der mit ihm verbundenen Formen abstrakter Herrschaft
beinhaltet, ist trotz der Entwicklung der Gebrauchswertdimension den grundlegenden
gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus strukturell inhärent. Bei der
Untersuchung der abstraktesten Bestimmungen der Dynamik der kapitalistischen
Gesellschaft hinsichtlich der Interaktion dieser beiden Dimensionen haben
wir gesehen, wie jedes neue Produktivitätsniveau sowohl die gesellschaftliche
Arbeitsstunde neu bestimmt, als auch selbst durch den abstrakten Zeitrahmen
wiederum als Basisniveau der Produktivität neu bestimmt wird. Durch Produktivitätszuwachs
bewirkte Veränderungen in der konkreten Zeit werden durch die gesellschaftliche
Totalität in der Weise vermittelt, daß sie in neue Normen abstrakter Zeit
(gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit) verwandelt werden, welche ihrerseits
die gesellschaftlich konstante Arbeitsstunde neu bestimmen. Es sei darauf
verwiesen, daß in dem Maße wie die Produktivitätsentwicklung die gesellschaftliche
Arbeitsstunde neu bestimmt, diese Entwicklung die mit der abstrakten Zeiteinheit
verbundene Form von Notwendigkeit nicht ersetzt, sondern rekonstituiert.
Jedes neue Produktivitätsniveau wird strukturell in die konkrete Voraussetzung
der gesellschaftlichen Arbeitsstunde verwandelt – wobei die pro Zeiteinheit
produzierte Wertmenge konstant bleibt. In diesem Sinne wird die Bewegung
der Zeit kontinuierlich in Gegenwartszeit umgewandelt. In der Marxschen Analyse
ist die Grundstruktur der gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus also
derart beschaffen, daß die Akkumulation historischer Zeit an und für sich
die durch den Wert repräsentierte Notwendigkeit, das heißt die der Gegenwart,
nicht untergräbt; vielmehr verwandelt sie die konkrete Voraussetzung dieser
Gegenwart und konstituiert dadurch deren Notwendigkeit neu. Gegenwärtige
Notwendigkeit wird nicht ›automatisch‹ negiert, sondern paradoxerweise verstärkt.
Sie wird zeitlich vorangetrieben als fortwährende Gegenwart, als scheinbar
ewige Notwendigkeit.
Für Marx ist die historische Dynamik
des Kapitalismus also alles andere als linear und evolutionär. Die Entwicklung
– die ich auf einer sehr abstrakten logischen Ebene im Doppelcharakter der
Arbeit im Kapitalismus begründet habe – ist dynamisch und statisch zugleich.
Sie beinhaltet ständig steigende Produktivitätsniveaus, doch der Wertrahmen
wird fortwährend aufs Neue rekonstituiert. Eine Konsequenz dieser eigentümlichen
Dialektik besteht darin, daß die soziohistorische Wirklichkeit zunehmend
auf zwei sehr verschiedenen Ebenen konstituiert wird. Einerseits ist der
Kapitalismus, wie ausgeführt, mit einer fortdauernden Transformation des
gesellschaftlichen Lebens verbunden – Transformationen des Charakters, der
Struktur und der Interaktion zwischen den Klassen und anderen Gruppierungen
aber auch des Charakters der Produktion, des Verkehrswesens, der Zirkulation,
der Lebensweisen, Familienformen usw. Zum anderen schließt die Entfaltung
des Kapitals die fortdauernde Rekonstitution seiner eigenen Grundbedingung
als einem unveränderlichen Merkmal des gesellschaftlichen Lebens ein – nämlich,
daß die gesellschaftliche Vermittlung letztlich durch Arbeit bewirkt wird.
Beide Momente – die fortwährende Transformation der Welt und die Rekonstitution
des wertförmigen Rahmens – bedingen einander gegenseitig und sind in sich
verschränkt: beide wurzeln in den für den Kapitalismus konstitutiven entfremdeten
Verhältnissen, und zusammen definieren sie diese Gesellschaft.
Auf dieser sehr grundsätzlichen Ebene stellt der Marxsche Kapitalbegriff
den Versuch dar, Wesen und Entwicklung der modernen kapitalistischen Gesellschaft
hinsichtlich beider zeitlicher Momente zu erfassen, das heißt den Kapitalismus
als eine dynamische Gesellschaft zu analysieren, die sich in konstantem Fluß
befindet und doch die ihr zugrundeliegende Identität beibehält. Vor diesem
Hintergrund ist es ein Paradox des Kapitalismus, daß er im Gegensatz zu anderen
Gesellschaftsformationen eine immanente historische Dynamik besitzt. Diese
Dynamik ist durch die konstante Übersetzung historischer Zeit in Gegebenheiten
der Gegenwart charakterisiert, wodurch diese Gegenwart verstärkt wird.
Die moderne kapitalistische Gesellschaft als die Herrschaft des Werts (und
somit die Herrschaft des Kapitals) zu analysieren, bedeutet, sie hinsichtlich
zweier scheinbar entgegengesetzter Formen abstrakter gesellschaftlicher Herrschaft
zu analysieren: die Herrschaft abstrakter Zeit als der Gegenwart und als
einen notwendigen Prozeß fortwährender Transformation. Beide Formen abstrakter
Herrschaft wie auch ihr innerer Zusammenhang werden durch das Marxsche ›Wertgesetz‹
erfaßt. Ich habe darauf hingewiesen, daß dieses ›Gesetz‹ dynamisch ist und
als Gesetz des Marktes allein nicht adäquat begriffen werden kann. An diesem
Punkt kann ich nun hinzufügen, daß es kategorial den Drang zu ständig steigenden
Produktivitätsniveaus, die fortwährende Transformation gesellschaftlichen
Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft sowie die andauernde Rekonstitution
ihrer grundlegenden gesellschaftlichen Formen erfaßt. Es enthüllt den Kapitalismus
als eine Gesellschaft, die durch eine zeitliche Dualität gekennzeichnet ist
– einem fortwährenden, sich beschleunigenden Fließen der Geschichte einerseits
und einer fortdauernden Umwandlung dieser Bewegung der Zeit in eine konstante
Gegenwart auf der anderen. Obwohl gesellschaftlich konstituiert, entziehen
sich beide zeitlichen Dimensionen der Kontrolle der sie konstituierenden
Akteure und beherrschen diese. Weit davon entfernt, ein Gesetz statischen
Gleichgewichts zu sein, erfaßt das Marxsche Wertgesetz also die für den Kapitalismus
charakteristische dialektische Dynamik von Transformation und Rekonstitution
als ein von der Geschichte bestimmtes ›Gesetz‹.
Die Analyse
des Kapitalismus hinsichtlich dieser beiden Momente gesellschaftlicher Wirklichkeit
verweist jedoch darauf, daß es sehr schwierig sein kann, beide gleichzeitig
zu erfassen. Da so viele Aspekte des gesellschaftlichen Lebens mit der Entwicklung
des Kapitalismus immer rascher transformiert werden, können die sich nicht
verändernden, zugrundeliegenden Strukturen dieser Gesellschaft – zum Beispiel
die Tatsache, daß Arbeit für die Individuen ein indirektes Mittel zum Lebenserhalt
ist – für ewige, gesellschaftlich ›natürliche‹ Aspekte des Mensch-Seins gehalten
werden. Infolgedessen wird die Möglichkeit einer von der modernen Gesellschaft
qualitativ verschiedenen Zukunft verschleiert.
Diese kurze
Untersuchung der Dialektik der beiden Dimensionen der grundlegenden Formen
der kapitalistischen Gesellschaft hat gezeigt, wie der Marxschen Analyse
zufolge die auf der Verausgabung abstrakter Gegenwartszeit und die auf der
Aneignung historischer Zeit beruhende Produktion im Kapitalismus (wobei die
historische die abstrakte allmählich ersetzt) keine deutlich unterschiedenen
Produktionsweisen sind. Vielmehr sind sie Momente des entwickelten kapitalistischen
Produktionsprozesses, deren Interaktion diesen Prozeß konstituiert. Folglich
entwickelt sich die Produktion im Kapitalismus nicht linear. Die dialektische
Dynamik läßt jedoch die historische Möglichkeit entstehen, daß auf historischer
Zeit beruhende Produktion getrennt von der auf abstrakter Gegenwartszeit
beruhenden konstituiert werden kann – und daß somit die für den Kapitalismus
charakteristische entfremdete Interaktion von Vergangenheit und Gegenwart
aufgehoben werden kann. Es ist diese mögliche zukünftige Trennung, die es
gestattet, zwischen den beiden Momenten der Produktionssphäre schon in der
Gegenwart, das heißt in der kapitalistischen Gesellschaft, zu unterscheiden.
An diesem Punkt kann ich mich erneut der Kategorie der gesellschaftlich notwendigen
Arbeitszeit zuwenden. Wir haben gesehen, daß diese Kategorie die Transformation
von konkreter Zeit in abstrakte Zeit im Kapitalismus darstellt, und als solche
einen zeitlich normativen Zwang ausdrückt. Meine vorläufige Untersuchung
der dem Kapitalismus immanenten Dynamik hat gezeigt, daß dieser auf die Individuen
ausgeübte objektive, unpersönliche Zwang nicht statisch ist, sondern selbst
fortwährend historisch rekonstituiert wird. Die Produzenten sind nicht nur
gezwungen, gemäß einer abstrakten Zeitnorm zu produzieren, sie müssen dies
auch auf eine historisch angemessene Art und Weise tun: sie sind dazu gezwungen,
»mit der Zeit Schritt zu halten«. Die Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft
sehen sich einer historisch determinierten Form abstrakter gesellschaftlicher
Notwendigkeit gegenüber, deren Bestimmungen sich historisch verändern – das
heißt sie sind konfrontiert mit einer gesellschaftlich konstituierten Form
historischer Notwendigkeit. Der gängige Begriff der historischen Notwendigkeit
hat natürlich eine andere Bedeutung – die, daß sich Geschichte notwendigerweise
auf eine bestimmte Art bewege. Die Erörterung der Marxschen Ausgangskategorien
hat nun gezeigt, daß seiner Analyse zufolge diese beiden Aspekte historischer
Notwendigkeit – der sich verändernde Zwang, dem sich die Individuen gegenüber
sehen, und die innere Logik, die die Totalität einzwängt – miteinander zusammenhängende
Ausdrücke der gleichen Form gesellschaftlichen Lebens sind.5
Weiterhin impliziert diese Untersuchung, daß die Kategorie gesellschaftlich
notwendiger Arbeitszeit noch eine andere Dimension hat. Wenn der Wert die
Form gesellschaftlichen Reichtums im Kapitalismus ist, sollte gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit in einem zusätzlichen Sinne als gesellschaftlich notwendig
verstanden werden: sie bezieht sich implizit auf Arbeitszeit, die für das
Kapital und somit für die Gesellschaft, so lange sie kapitalistisch ist,
notwendig ist, das heißt solange sie durch den Wert als einer Form des Reichtums
und den Mehrwert als Produktionsziel strukturiert wird. Diese Arbeitszeit
ist demgemäß der Ausdruck einer übergeordneten Form von Notwendigkeit für
die kapitalistische Gesellschaft als Ganze ebenso wie für die Individuen,
und sollte nicht mit der Form von Notwendigkeit verwechselt werden, auf die
sich Marx mit seiner Unterscheidung zwischen »notwendiger« und »Mehr«-Arbeitszeit
bezieht. Wie wir gesehen haben, ist dies eine Unterscheidung zwischen dem
Teil des Arbeitstags, in dem die Arbeiter für ihre eigene Reproduktion arbeiten
(›notwendige‹ Arbeitszeit) und dem Teil, den sich die Repräsentanten des
Kapitals aneignen (›Mehr‹-Arbeitszeit). (MEW 23, 230 f.) In diesem Sinne
sind sowohl ›notwendige‹ als auch ›Mehr‹-Arbeitszeit der »gesellschaftlich
notwendigen Arbeitszeit« in all ihren Verzweigungen subsumiert.
Die Kategorie des Werts, in ihrem Gegensatz zu der des stofflichen Reichtums,
bedeutet also, daß die Arbeitszeit der Stoff ist, aus dem im Kapitalismus
Reichtum und gesellschaftliche Verhältnisse gemacht sind. Sie bezieht sich
auf eine Form gesellschaftlichen Lebens, in der die Menschen von ihrer eigenen
Arbeit beherrscht werden und gezwungen sind, diese Herrschaft aufrechtzuerhalten.
Die in dieser gesellschaftlichen Form begründeten Imperative erzwingen, wie
ich noch ausführen werde, ein rasantes Anwachsen der technologischen Entwicklung
und ein Muster notwendigen fortdauernden ›Wachstums‹: sie verewigen jedoch
auch die Notwendigkeit unmittelbarer menschlicher Arbeit im Produktionsprozeß,
ungeachtet des Grads der technologischen Entwicklung und der Akkumulation
stofflichen Reichtums. Marx zufolge sind diese historisch spezifischen Imperative
der entscheidende Grund dafür, daß die Arbeit, in ihrem Doppelcharakter als
produktive Tätigkeit und historisch spezifische, gesellschaftliche ›Substanz‹,
die Identität des Kapitalismus konstituiert.
Es dürfte nun
klar sein, daß die von mir untersuchte komplexe Dynamik den Kern der Marxschen
Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen im Kapitalismus
bildet. Meine Lesart verweist erstens darauf, daß diese Dialektik im Doppelcharakter
der die kapitalistische Gesellschaft konstituierenden gesellschaftlichen
Formen begründet liegt – in den Wert- und Gebrauchswertdimensionen von Arbeit
und gesellschaftlich konstituierter Zeit. Und zweitens, daß sie den abstrakten
Zwang zeitlicher Notwendigkeit sowohl in ihren statischen als auch in ihren
dynamischen Dimensionen verewigt. Indem ich die grundlegenden Merkmale dieser
Dialektik auf einer derartig abstrakten logischen Ebene begründet habe, konnte
ich zeigen, daß sie in der Marxschen Analyse weder in einem vermeintlich
grundsätzlichen Widerspruch zwischen Produktion und Verteilung angelegt sind,
noch im Privateigentum an den Produktionsmitteln – das heißt im Klassenkonflikt.
Sie resultiert vielmehr aus den durch die Arbeit im Kapitalismus konstituierten
typischen gesellschaftlichen Formen, die diesen Konflikt konstituieren. Ein
solches Verständnis des Entwicklungsmusters und der möglichen Negation der
kapitalistischen Gesellschaft unterscheidet sich erheblich von dem, das von
der Vorstellung von ›Arbeit‹ ausgeht und das die widersprüchliche Dialektik
des Kapitalismus in traditionellen Begriffen definiert.
Wir
haben – wenn auch zunächst auf einer vorläufigen logischen Ebene – gesehen,
wie sich die beiden Dimensionen gesellschaftlicher Arbeit gegenseitig dynamisch
neu bestimmen und einander verstärken. Neben den Unterschieden zwischen der
auf Aneignung historischer Zeit und der auf Verausgabung abstrakter Gegenwartszeit
beruhenden Produktion habe ich auch den fundamental verschiedenen Charakter
beider Dimensionen aufgezeigt. In der Marxschen Analyse liegt der Grund für
den widersprüchlichen Charakter des Kapitalismus eben in dem Umstand, daß
diese beiden Dimensionen, so verschieden sie auch sein mögen, dennoch als
zwei Momente einer einzigen (historisch spezifischen) gesellschaftlichen
Form miteinander verbunden sind. Das Ergebnis ist eine dynamische Interaktion,
in der sich diese beiden Momente gegenseitig auf eine Weise neu bestimmen,
daß ihr Unterschied sich zu einem zunehmend größer werdenden Gegensatz ausweitet.
Dieser sich verschärfende Gegensatz – innerhalb eines gemeinsamen Rahmens
– bringt, wie ich auf einer sehr abstrakten Ebene gezeigt habe, keine linear-evolutionäre
Entwicklung hervor, in deren Verlauf die der Gegenwart zugrundeliegende Basis
quasi-automatisch überwunden und ersetzt werden würde. Selbst auf dieser
Ebene kann man schon sehen, daß er vielmehr aus einer im Inneren wachsenden
strukturellen Spannung resultiert.
In der traditionellen
Interpretation bleiben kapitalistische Produktionsverhältnisse dem durch
›Arbeit‹ konstituierten Produktionsprozeß äußerlich. Der Widerspruch zwischen
den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen wird deshalb als einer
zwischen Produktion und Verteilung angesehen, das heißt zwischen bestehenden
gesellschaftlichen ›Institutionen‹ und Sphären. In der von mir einwickelten
Konzeption liegt dieser Widerspruch jedoch innerhalb dieser ›Institutionen‹,
Sphären und Prozesse. Dies legt nahe, daß zum Beispiel der kapitalistische
Produktionsprozeß sowohl in gesellschaftlichen als auch in technischen Begriffen
verstanden werden muß. Ich werde noch ausarbeiten, daß selbst die materielle
Form dieses Prozesses sich gesellschaftlich als wachsende strukturelle Spannung
im Inneren analysieren läßt, die daraus resultiert, daß die Schere zwischen
den beiden strukturellen Imperativen der Dialektik von Transformation und
Rekonstitution immer weiter auseinanderklafft – und dabei ständig höhere
Produktivitätsniveaus erreicht und ein Mehr an Wert produziert.
Es ist demnach die Nicht-Identität der beiden Dimensionen der die Basis des
Kapitalismus strukturierenden Formen, die eine innere dialektische Dynamik
der Gesellschaftsformation beinhaltet und sich als sein Grundwiderspruch
entfaltet. Dieser Widerspruch prägt die gesellschaftlichen Prozesse und die
Institutionen der kapitalistischen Gesellschaft und begründet immanent die
Möglichkeit ihrer geschichtlichen Negation.
Meine Analyse
der Dialektik von Arbeit und Zeit hat deutlich gemacht, daß Marx – weit davon
entfernt, Arbeit und Produktion als den Standpunkt einer historischen Kapitalismuskritik
zu übernehmen – seine kritische Analyse genau auf die gesellschaftlich konstitutive
Rolle konzentriert, welche die Arbeit in dieser Gesellschaft spielt. Somit
erfaßt die Marxsche Vorstellung, der widersprüchliche Charakter des Kapitalismus
bringe eine wachsende Spannung zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte,
hervor, nicht die industrielle Produktion und das Proletariat als die Elemente
einer postkapitalistischen Zukunft. In seinem Verständnis ist der grundlegende
Widerspruch des Kapitalismus nicht der zwischen einer bestehenden Gesellschaftsstruktur
oder gesellschaftlichen Gruppierung und einer anderen. Er gründet vielmehr
in der kapitalistischen Produktionssphäre selbst, im Doppelcharakter der
Produktionssphäre einer Gesellschaft, deren wesentliche Verhältnisse durch
Arbeit konstituiert werden.
Der grundlegende Widerspruch
des Kapitalismus liegt also zwischen den beiden Dimensionen von Arbeit und
Zeit. Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchung kann ich diesen Widerspruch
beschreiben als einen zwischen dem allgemein-gesellschaftlich Wissen und
den Fertigkeiten, deren Akkumulation durch die über Arbeit vermittelte Form
gesellschaftlicher Verhältnisse induziert wird, einerseits und dieser Vermittlungsform
selbst andererseits. Obwohl die Wertgrundlage der Gegenwart und damit die
durch gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ausgedrückte abstrakte Notwendigkeit
niemals automatisch überwunden wird, gerät sie zunehmend in Konflikt mit
den Möglichkeiten, die der von ihr verursachten Entwicklung innewohnen.
Diesem Widerspruch werde ich weiter unten nachgehen. Zunächst werde ich erneut
auf die historische Dialektik zurückkommen. Die von mir vorgelegte Deutung
weitet den Horizont dieser Dialektik über die Laissez-faire-Epoche des Kapitalismus
hinaus aus, beschränkt sie aber auch auf die kapitalistische Gesellschaftsformation.
Meine Analyse der Marxschen Ausgangskategorien hat, wenn auch nur abstrakt,
gezeigt, daß seine Auffassung vom Doppelcharakter der den Kapitalismus strukturierenden
gesellschaftlichen Formen eine historische Dialektik impliziert. Indem die
richtungsgebundene dialektische Dynamik auf eine Weise gesellschaftlich begründet
wird, die sie historisch als ein Merkmal der kapitalistischen Gesellschaft
spezifiziert, bekräftigt diese Untersuchung meine Behauptung hinsichtlich
der historischen Bestimmtheit der Marxschen Kategorien und bezüglich seiner
Auffassung einer der Geschichte immanenten Logik.
Sie hilft
auch, drei Formen dialektischer Wechselwirkung zu unterscheiden, die in der
Marxschen Analyse miteinander verwoben sind. Die erste, bekannteste und die,
auf die sich am häufigsten bezogen wird, ließe sich als Dialektik reflexiver
Konstitution durch Objektivierung charakterisieren. Sie findet ihren Ausdruck
beispielsweise in der Marxschen Feststellung zu Beginn seiner Erörterung
des Arbeitsprozesses im Kapital, daß die Menschen, indem sie auf die äußere
Natur einwirken und sie verändern, sich selbst verändern (MEW 23, 192). Mit
anderen Worten, für Marx schließt der Prozeß der Selbstkonstitution einen
Prozeß der Externalisierung ein, und zwar sowohl für die Menschheit als auch
für die Individuen. Fertigkeiten und Fähigkeiten werden praktisch konstituiert
– durch ihre Anwendung. Die Marxsche Geschichtsauffassung ist oft im Sinne
eines solchen Prozesses verstanden worden.6 Meine Diskussion des doppelseitigen
Charakters der gesellschaftlichen Formen des Kapitalismus hat jedoch gezeigt,
daß dieser Prozeß der Selbstkonstitution durch Arbeit, selbst wenn diese
umfassend als jedwede Form veräußerlichender Tätigkeit verstanden wird, nicht
zwangsläufig eine historische Entwicklung zur Folge hat. Die materiellen
Wechselwirkungen der Menschheit mit der Natur beispielsweise sind nicht unbedingt
richtungsgebunden dynamisch. Die Behauptung, daß die reflexiven Auswirkungen
der Objektivierung konkreter Arbeit richtungsgebunden sein müßten, entbehrt
sowohl theoretischer Begründung als auch historischer Evidenz. Die Arten
immanenter Notwendigkeit und richtungsgebundener Logik für die von mir untersuchte
dialektische Entwicklung wohnen der Interaktion eines wissenden Subjekts
mit seinen Objektivierungen nicht inne – ob diese nun individuell verstanden
wird oder als die der Menschheit mit der Natur. Anders gesagt weisen diejenigen
Tätigkeiten, die man Formen konkreter Arbeit nennen könnte, in sich keine
richtungsgebundene Logik auf.
In den Spätwerken von Marx
gibt es eine zweite dialektische Wechselwirkung der gegenseitigen Konstitution
bestimmter Formen gesellschaftlicher Praxis und Struktur. Wie ich bereits
festgestellt habe, beginnt Marx im Kapital mit der Entwicklung einer komplexen
Dialektik von Tiefenstruktur und Praxis, die durch die Erscheinungsformen
der ersteren als auch durch die subjektiven Dimensionen der unterschiedlichen
gesellschaftlichen Formen vermittelt ist. Eine derartige Analyse erlaubt
es, objektivistische und subjektivistische Interpretationen des gesellschaftlichen
Lebens theoretisch zu überwinden, um so deren gültige Momente als auch deren
verzerrte Aspekte in beiden Interpretationen aufzuzeigen.7 Dennoch ist auch
diese Art Dialektik nicht notwendigerweise richtungsgebunden; sie kann die
Reproduktion einer Form gesellschaftlichen Lebens umfassen, die über keine
innere historische Dynamik verfügt.8
Diese beiden dialektischen
Wechselwirkungen können in dieser oder jener Form in verschiedenen Gesellschaften
existieren. Was Marx zufolge den Kapitalismus von anderen Formen unterscheidet,
ist, daß in ihm beide Wechselwirkungen richtungsgebunden dynamisch werden,
weil sie in einen inhärent dynamischen Rahmen objektivierter gesellschaftlicher
Verhältnisse eingebettet und mit ihm verwoben sind, und der durch eine dritte
Art dialektischer Wechselwirkung konstituiert wird – eine Dialektik, die
im Doppelcharakter der zugrundeliegenden gesellschaftlichen Formen begründet
liegt. Infolgedessen sind die gesellschaftlichen Strukturen des Kapitalismus,
die gesellschaftliche Praxis konstituieren und durch sie konstituiert werden,
dynamisch. Da zudem die den Kapitalismus kennzeichnenden inhärent dynamischen
Verhältnisse durch Arbeit vermittelt sind, erlangt die Interaktion der Menschheit
mit der Natur im Kapitalismus tatsächlich eine richtungsgebundene Dynamik.
Was jedoch letztlich diese historische Dynamik hervorbringt, ist der Doppelcharakter
der Arbeit im Kapitalismus – und nicht die ›Arbeit‹. Diese richtungsgebundene
dynamische Struktur totalisiert auch den Antagonismus zwischen produzierenden
und expropriierenden gesellschaftlichen Gruppierungen und verleiht ihm Dynamik.
Mit anderen Worten, sie konstituiert einen solchen Antagonismus als Klassenkonflikt.
Meine Untersuchung der Implikationen der zeitlichen Dimension des Werts hat
also gezeigt, daß die Marxsche Analyse die Grundlage einer dialektischen
Entwicklungslogik in historisch spezifischen gesellschaftlichen Formen enthüllt.
Seine Analyse zeigt, daß es tatsächlich eine Form von Logik in der Geschichte
gibt, von historischer Notwendigkeit, aber daß diese nur der kapitalistischen
Gesellschaftsformation immanent ist und nicht der menschlichen Geschichte
als ganzer. Dies impliziert, daß Marxens späte kritische Gesellschaftstheorie
Geschichte nicht als eine Art von Kraft hypostasiert, die alle menschlichen
Gesellschaften bewegt. Sie setzt nicht voraus, daß es eine richtungsgebundene
Dynamik der Geschichte im allgemeinen gibt. Statt dessen sucht sie die Existenz
jener Art fortdauernder richtungsgebundener Dynamik zu erklären, die die
moderne Gesellschaft definiert, und zwar in bezug auf historisch bestimmte
gesellschaftliche Formen, die durch Arbeit in einem Entfremdungsprozeß konstituiert
werden.9 Diese Analyse impliziert, daß jede Theorie, die eine immanente Logik
der Geschichte als solcher behauptet – ob nun dialektisch oder evolutionär
–, ohne diese Logik in einem bestimmten Prozeß gesellschaftlicher Konstitution
zu begründen (was einen kaum einlösbaren Anspruch darstellt), die dem Kapitalismus
spezifischen Eigenschaften in die Menschheitsgeschichte projiziert. Diese
Projektion verdunkelt zwangsläufig die wirkliche gesellschaftliche Grundlage
einer richtungsgebundenen Dynamik der Geschichte. Der historische Prozeß
wird dadurch vom Gegenstand der Gesellschaftsanalyse zu deren quasi-metaphysischer
Voraussetzung.