Kapital
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Team |
Fred E. Schrader |
Thema |
Editorisches Vorwort zum Nachdruck der Erstausgabe des 'Kapitals' von Karl Marx (1867)
( orginal )
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Status |
1980 - Gerstenberg Verlag |
Letzte Bearbeitung |
06/2004 |
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1. Editorisches Vorwort zum Nachdruck der Erstausgabe des ´Kapitals´ von Karl Marx (1867)
1. Editorisches Vorwort zum Nachdruck der Erstausgabe des ´Kapitals´ von Karl Marx (1867)
Der erste Band des Kapitals von Karl Marx wird ausschließlich nach den 1883 und
1890 von Engels bearbeiteten dritten und vierten Ausgaben verbreitet. Die Erstausgabe von 1867 hingegen ist, obwohl sie sich
von allen späteren Fassungen im Text durchgehend unterscheidet, selbst in der
Marxforschung kaum bekannt und auch in großen Bibliotheken nur selten
verfügbar. Zum einen mag dies auf die kleine
Auflage zurückzuführen sein. Doch zum anderen
äußert sich im Desinteresse ein populäres Vorurteil, wonach die letzte
Publikation eines Forschers dessen "reifstes Werk" darstelle und
alle seine früheren Arbeiten aufhebe. Dementsprechend werden in der Literatur zu
Marx nicht nur seine Quellen, sondern auch sein Forschungsprozeß fast völlig
ausgeblendet.
Zu den Vorarbeiten des Kapitals gehören zunächst die umfangreichen, bislang
unveröffentlichten Exzerpthefte erster und zweiter Ordnung sowie ergänzende
Hefte, welche Marx in der Periode 18501858 anlegte. Auf dieser Grundlage verfaßte er, zusammen mit einer Einleitung,
in sieben Heften den Rohentwurf der Kritik der politischen Ökonomie
(1857/58), die unmittelbare Vorarbeit für die
zwei Kapitel umfassende erste Lieferung von "Zur Kritik der politischen
Oekonomie". Im August 1861 begann Marx,
gestützt auf einen ersten Planentwurf, mit der
Niederschrift der geplanten zweiten Lieferung von Zur Kritik, dem dritten
Kapitel "Das Capital im Allgemeinen". In den insgesamt fünf Heften bezog er sich insbesondere auf Ende
Februar 1859 begonnene Exzerpte und ein alle Exzerpthefte systematisch
verarbeitendes "Citatenheft".
Weitergehende Überlegungen im dritten Kapitel mündeten Ende März 1862 in eine
Untersuchung der "Theorien über den Mehrwerth", die im Juli 1863
abgeschlossen wurde.
Inzwischen hatte Marx seine Publikationspläne geändert. Statt einer Fortsetzung
von "Zur Kritik" beabsichtigte er jetzt eine neue selbständige
Veröffentlichung, Das Kapital. Ein im August 1863 begonnenes Manuskript, worin
er das Manuskript von 1861 - 1863 auswertete, sollte bereits eine druckfertige
Fassung abgeben. Tatsächlich stellte das Ende 1865 abgeschlossene Manuskript
aber nur eine Rohschrift der ersten drei Teile des Kapitals dar
(Produktionsprozeß des Kapitals, Zirkulationsprozeß des Kapitals, Gestaltung des
Gesamtprozesses). Im Januar 1866 begann Marx
mit der "Stilisierung" des ersten Buchs, die er, von quälender
Krankheit behindert, erst im März des folgenden Jahres beenden konnte.
Schon auf den ersten Blick unterscheidet sich das erste Kapitel von den
entsprechenden beiden Kapiteln in "Zur Kritik". Zum einen wird im
Kapital die Geldform logisch bereits von der einfachen Form der Ware aus
entwickelt, zum anderen existieren im selben
Band zwei verschiedene Fassungen der Warenanalyse: Als Marx Anfang Mai 1867 in
Hannover die ersten Korrekturbögen erhielt, überzeugte ihn sein Freund und
Gastgeber Ludwig Kugelmann, "daß für die meisten Leser eine nachträgliche,
mehr didaktische Auseinandersetzung der Wertform nötig sei". Daraufhin verfaßte Marx im Juni den Anhang "Die
Werthform". Engels stand der doppelten
Neufassung der Warenanalyse recht skeptisch gegenüber; zwar sei die dialektische
Ableitung schärfer, doch habe ihm in Zur Kritik einiges besser gefallen. Mit
Sicherheit dachte er hier an die "historische Unterlage" des
logischen Ausdrucks, welche Marx in die Fußnoten verbannt hatte, und schlug
einen entsprechenden geschichtlichen Anhang sowie eine Gliederung des ersten
Kapitels nach Art der Hegelschen Enzyklopädie vor. Marx folgte dem Ratschlag
aber lediglich in bezug auf die Unterteilung der Warenanalyse im
Anhang.
Neben der Arbeit an einer in vielen Punkten völlig eigenständigen französischen
Fassung des Kapitals besorgte Marx noch
selbst die zweite deutsche Ausgabe von 1873. Im Nachwort verweist er auf die
wichtigsten Veränderungen zur Erstausgabe: Das erste Kapitel sei
"wissenschaftlich strenger" ausgeführt, womit der Anhang entfalle;
das dritte Kapitel enthalte Verbesserungen, was die Funktion des Geldes als Maß
der Werte betreffe; die zweite Hälfte des siebten Kapitels sei bedeutend
umgearbeitet; die Textveränderung beziehe sich jedoch grundsätzlich auf den
ganzen Band. Die französische Neufassung des
Kapitals wollte Marx noch für eine dritte deutsche Ausgabe verwerten. Nach
seinem Tod versuchte Engels in der dritten und vierten Ausgabe, diese Pläne für
"eine möglichst endgültige Feststellung des Textes" zu
rekonstruieren.
Doch zwischen den verschiedenen Marxschen Versionen der Kritik der politischen
Ökonomie nimmt die Erstausgabe des Kapitals einen eigenen Platz ein. Sie
dokumentiert nämlich den Einschnitt im Arbeitsprozeß Marxens, wo dieser sich
eindeutig für eine strenge dialektische Darstellungslogik insbesondere der
Waren- und Geldanalyse entschied. Zwar hatte er eine erste Analogiebildung zur
Hegelschen Logik im Rohentwurf von 1857/58 für "Zur Kritik" wieder
fallengelassen. Im Kapital aber löste er die
theorie-geschichtlichen Exkurse auf und griff in der Warenanalyse partiell
wieder auf den Rohentwurfzurück. Hieraus
ergibt sich die Frage nach der Intention dieses Vorgehens Marxens.
Die Antwort kann nicht in der Versicherung liegen, es handele sich bei Marx um
eine immanent notwendige begriffliche Entwicklung von der Ware zum Kapital. Zum
einen nämlich stellt er Ware und Äquivalenttausch bloß als Bedingungen der
Möglichkeit des Kapitals dar, was logisch wie historisch noch keineswegs ein
hinreichender Grund für dessen Entwicklung ist. Zum anderen erklärt Marx nachdrücklich, daß erst unter der
gesellschaftlichen Voraussetzung der Herrschaft des Kapitals die Ware zur
ökonomischen Zellenform wird. Denn für sich
allein sind die Formen der Ware, der vereinzelten Person, des Privateigentums
und des Äquivalenttauschs sozial funktionslos. Diese gesellschaftlichen Organisationsformen sind erst auf der
Basis eines besonderen Falls des Äquivalenttauschs sinnvolle Funktionen: wenn
der Arbeiter generell sein Arbeitsvermögen als Ware gegen einen Geldlohn
verkaufen muß, wonach der Kapitalist sich das gesamte Wertprodukt des Arbeiters
aneignet, welches über das Lohnäquivalent hinausgeht.
Denselben Gedanken drückt Marx auch als Umschlag des ursprünglichen
Aneignungsrechts auf das Wertprodukt der persönlichen Arbeit aus und stellt sich damit in bewußten Gegensatz zur
Naturrechtstradition in der westeuropäischen sozialen Bewegung. Zwar erwähnt er
im Kapital lediglich Proudhon, weiß aber aus
seinen Studien genau, daß auch in der seit 1820 autonomen englischen
Arbeiterbewegung die Losungen vom Recht auf den unverkürzten Arbeitsertrag und
auf den gerechten Austausch zum ideellen Allgemeingut gehörten. In der deutschen Arbeiterschaft fanden solche
Gedanken in Anlehnung an Lassalle eine vergleichbare Popularität. Daß es sich bei solchen Vorstellungen bloß um
virtuelle Bilder der kapitalistisch strukturierten Gesellschaft handelt, genau
dies will Marx in wissenschaftlich-aufklärerischer Absicht mit seiner
systematischen Konstruktion von der Ware zum Umschlag des Aquivalenttauschs und
zugleich des Aneignungsrechts logisch zwingend nachweisen. Wie aber noch das
Gothaer Vereinigungsprogramm von 1875 zeigt, hat sich auch die deutsche
Arbeiterbewegung davon kaum beeinflussen lassen. Mit der erst zögernd einsetzenden Rezeption des Kapitals durch
sozialdemokratische Intellektuelle verarmte die Kritik der politischen Ökonomie
vielmehr zur parteilichen Variante der Wirtschaftswissenschaft.
Bereits an diesem Beispiel zeigt sich, daß die bislang in der Marx-Literatur
vernachlässigte genetische Fragestellung dazu beitragen kann, den historischen
Geltungszusammenhang der keineswegs begrifflich reinen Darstellungslogik Marxens
zu erschließen. Auch insofern gehört die Erstausgabe des Kapitals zur
unverzichtbaren Quellenbasis der Marx-Forschung.
Anmerkungen
Seit mehreren Jahren ist lediglich der
Nachdruck der nach der dritten bzw. vierten Ausgabe besorgten Fassung Marx,
Karl, Friedrich Engels, Werke (MEW), Berlin 1962, auf dem Markt, wonach in der
Sekundärliteratur fast ausnahmslos zitiert wird. Karl Korsch hatte einen
Nachdruck der zweiten Ausgabe besorgt, Berlin 1932. (cf. Frankfurt/M.
1970).
Der japanische Reprint der Erstausgabe von
1959 gehört mittlerweile selbst schon zu den bibliophilen Raritäten.
Von der Erstausgabe wurden 1000, von den
beiden folgenden Ausgaben je 3000, von den zwei französischen 10 000 und 15 000
gedruckt; cf. Urojewa, Anna W., "Das Kapital" erobert sich den
Weltball. Zur internationalen Verbreitung des Marxschen Hauptwerkes bis 1895,
in: . . . unsrer Partei einen Sieg erringen. Studien zur Entwicklungs- und
Wirkungsgeschichte des "Kapitals" von Karl Marx, Berlin 1978, p. 190.
Cf. zu diesem Komplex erstmals Schrader, Fred
E., Restauration und Revolution. Die Vorarbeiten zum "Kapital" von
Karl Marx in seinen Studienheften 1850-1858, Hildesheim 1980.
abgedruckt in Marx, Karl, Grundrisse der
Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1953.
verlegt bei Franz Duncker, Berlin;
bearbeiteter Nachdruck in MEW 13.
in der Sprache des Originals erstmals
veröffentlicht in Marx, Karl, Friedrich Engels, Gesamtausgabe (MEGA2), II/3. 1.,
Berlin 1976.
noch unveröffentlicht: aufbewahrt im
Marx-Engels-Nachlaß des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte in
Amsterdam (IISG), Sign. A 40/49 und A 41/52.
MEW 26. 1. - 26. 3.; historisch-kritische
Ausgabe in MEGA2 II/3. 2. - 3. 6., Berlin 1977 sqq.
Das Manuskript von 1863 - 1865 ist nur
unvollständig überliefert. Das sechste Kapitel des ersten Buchs, "Resultate
des unmittelbaren Productionsprocesses", wurde 1933 im Marx-Engels-Archiv
publiziert (Nachdruck Frankfurt/Main 1969). - Neuerdings diskutiert i. A.
Boldyrew die Möglichkeit, daß Marx 1863 - 1865 lediglich das dritte Buch
ausgearbeitet und sich bei der Niederschrift des ersten Buchs ab 1866
unmittelbar auf das Manuskript von 1861 - 1863 gestützt habe; cf. Galander,
Ehrenfried, Ulrike Galander, Probleme der Marxschen politischen Ökonomie, in:
DZPh 10/1979, p. 1260.
cf. Marx an Kugelmann vom 13. Oktober 1866,
MEW 31, p. 534; Marx an Engels vom 22. Juni 1867, MEW 31, p. 306.
Marx, Nachwort zur zweiten Ausgabe des
"Kapitals", MEW 23, p. 18
cf. Marx, Kapital (Erstausgabe), p. 764
sqq.
Engels an Marx vom 16. Juni 1867, MEW 31, p.
303; Marx an Engels vom 22. Juni 1867,1. c., und vom 27. Juni 1867, MEW 31; p.
314 sqq. Die Differenz besteht schon länger, cf. Engels an Marx vom 9. April
1858, MEW 29, p. 319; hierzu überzeugend Kittsteiner, Heinz-Dieter,
"Logisch" und "Historisch". Über Differenzen des Marxschen
und Engelsschen Systems der Wissenschaft, in: IWK 1/1977.
Le Capital. Traduction de M. J. Roy,
entiérement revisée par lauteur, Paris (1872 - 1875).
Marx, Nachwort zur zweiten Ausgabe des
"Kapitals", 1. c.
cf. die Erklärungen Engels zur dritten und
vierten Ausgabe 1883 und 1890, MEW
23, p. 33 sqq. und p. 41 sqq.
cf. Grundrisse, p. 55 - p. 178
insbesondere auf die systematische
Entwicklung der Geldform aus der Warenform, Grundrisse, p. 60.
Dies wird nicht nur im Kapital, sondern
auch in der Selbstverständigung des Rohentwurfs von 1857/58 deutlich, wenn Marx
den Übergang von der einfachen Zirkulation zum Kapital im Allgemeinen behandelt
und das "Sollen" und "Müssen" dieses Übergangs betont; von
selbst und notwendigerweise kann er sich demnach kaum ergeben. Cf. Grundrisse,
p. 145 sq., wo Marx den Versuch einer rein begrifflichen Entwicklung
macht.
MEW 23, p. 184, Note 41; Kapital
(Erstausgabe), p. 571, Note 23.
cf. Grundrisse, p. 87 sq.; p. 166: "Die
Wiederholung des Prozesses (des Austauschs; FS) von beiden Punkten, Geld oder
Ware, ist nicht in den Bedingungen des Austauschs selbst gesetzt. ( ) Die
Zirkulation trägt daher nicht in sich selbst das Prinzip der Selbsterneuerung.
Die Momente derselben sind ihr vorausgesetzt, nicht von ihr selbst gesetzt. ( )
Sie ist das Phänomen eines hinter ihr vorgehenden Prozesses".
Kapital (Erstausgabe), p. 567 sqq.; cf. die
von Korsch herausgegebene Zweitausgabe, p. 534 sqq., Le Capital, p. 254 sqq.,
und MEW 23, p. 605 sqq. mit den Bearbeitungen Engels.
Kapital (Erstausgabe), p. 571, Note 23,
Kapital (Zweitausgabe, ed. Korsch), p.
538 sq., Note 5, MEW 23, p. 613, Note 24.
1851 hatte Marx in seine Exzerpthefte IX, XI
und XIV u. a. mit Thomas Hodgskin und Piercy Ravenstone maßgebende Theoretiker
der frühen englischen Arbeiterbewegung aufgenommen; Marx-Engels-Nachlaß, IISG,
Sign. B 52/58, B 43/48, B 55/50. Politisch hatte Marx bereits für den direkten
politischen Kampf und gegen die politisch-ökonomische Aktion Partei ergriffen,
versuchte aber, auf die an Owen orientierte Tradition taktisch Rücksichten zu
nehmen.
cf. Naaman, 5., Die Konstituierung der
deutschen Arbeiterbewegung 1862/63, Assen 1975, p. 99.
cf. Marxens Randglossen zum Programm der
deutschen Arbeiterpartei, Beilage eines Briefs an Bracke vom 5. Mai 1875, MEW
19, p. 15 sqq.
Selbstverständlich hat Marx im engen
Zusammenhang mit seiner aufklärerischen Intention auch diesen
positiv-wissenschaftlichen Aspekt seiner Arbeit im Auge gehabt und ihn sogar
besonders gewürdigt wissen wollen. Allerdings ging in der relativ späten
Rezeption genau der eminent praktisch-politische Impuls der Kritik der
politischen Ökonomie verloren.
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