Da die Menschheit sich durch ihre Arbeit reproduziert, so wird die Arbeit unter allen Bedingungen der Menschenordnung als die Reproduktionstätigkeit derselben definiert. Der menschliche Reproduktionsprozeß schließt - im Gegensatz zu dem physiologischen - die Produktion, die Konsumtion sowie die Vermittlung zwischen den beiden Seiten jenes Prozesses, welche in der Distribution realisiert wird, in sich ein. Die Distribution ferner konkretisiert sich in unserer bürgerlichen Gesellschaft im Tausch- und Warenhandelsprozeß, und letzterer umfaßt die Kapital- und Geldzirkulation als seinen wesentlichen und unerläßlichen Bestandteil. In der Durchführung des Arbeitsprozesses geht der Mensch, wie Hegel das treffend ausgedrückt hatte, vermittelnd zu Werke, um seine Bedürfnisse zu befriedigen und sie aufzureiben. Die Vermittlungstätigkeit entsteht also nicht nur in dem Verhältnis zwischen der Produktion, dem Produkt und seiner Verzehrung, sondern auch in dem Verhältnis zwischen den Arbeitern und ihrer innerlichen und äußerlichen Umwelt im allgemeinen. Die Arbeit besteht aus einem materiellen Element, indem die Menschheit die Materie der Innen- und Außenwelt umwandelt, um ihr Leben fortzusetzen und sich zu reproduzieren, und einem immateriellen Element, indem sie die Arbeit durch die Vorbereitung im Gedanken organisiert, kombiniert und teilt. Vieles wird über die menschliche Arbeitsteilung geschrieben, welche die Verbindung zwischen Mensch und materieller Welt, die Differenzierung zwischen den so Verbundenen und den Nexus zwischen den Differenzierten, die vermittelnde und vermittelte Auseinandersetzung zwischen Mensch und Umwelt sowie die Organisation, die Kombination und die Teilung der Arbeit voraussetzt. So steht die Arbeitsteilung nicht ganz alleine, sondern erscheint als ein Bestandteil eines Größeren, nämlich des Arbeitsprozesses. Man kann nur das teilen, was vorher zusammengefaßt, -geklebt oder -genommen wurde. So wird die Arbeit erst dann geteilt, wenn sie früher, sei es gemeinschaftlich oder gesellschaftlich kombiniert wurde. In der Arbeitsorganisation der modernen Fabrik ist die Kombination der Arbeit die Voraussetzung ihrer Teilung. Im historischen sowie im systematischen Prozeß der Arbeitsorganisation stellt sich die Technik als ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit dar, der materiellen wie der immateriellen, sodaß diese im allgemeinen wie jene im besonderen ihre konkreten und abstrakten Verhältnisse entwickelt. Die Technik als Konkretum wird als das Verhältnis der Arbeiter zu den Produk- [X] tions-, Konsumtions- und Distributionsmitteln im menschlichen Reproduktionsprozeß, in der Praxis als das Verhältnis derselben zu dem Arbeitsinstrument und Werkzeug definiert. Die Technik als Abstraktum ist das gesamte Geschick, die Fähigkeit, Vorbereitung, Kunst und Kraft der Arbeiter in ihrer Beziehung zu den menschlichen Reproduktionsmitteln. Der abstrakten Seite der Technik entspricht die Herkunft des aus dem Altgriechischen stammenden Wortes
"techne" mit der Bedeutung Geschicklichkeit, Kunst, Gewerbe und ebenso der aus dem Lateinischen stammenden Form
"ars" mit derselben Bedeutung. Die praktische Seite der Etymologien ist also mit der theoretischen und abstrakteren der alten Form eng verbunden.
Die Technik, wie die Arbeitsorganisation im allgemeinen, ist nicht statisch, sondern dynamisch und wird im Zusammenhang mit dem Gegensatz zwischen dem Überlieferten und der Neuerung des Überlieferten je nach den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen und in den in den verschiedenen Epochen ihres Geschichtsverlaufs eingebetteten Verhältnissen der gegebenen Gesellschaft fortgesetzt. Marx hat die Aufmerksamkeit auf die Rolle der Erfindung in der Entwicklung der Technik gelenkt und dabei über den Persönlichkeitskultus in diesem Zusammenhang gelacht. Da alles im vergangenen Jahrhundert vereinzelnd und vereinzelt aufgegriffen und ausgedrückt wurde, also als
"Robinsonade" in seiner Terminologie, hatte er entschieden gegen die Auffassung der Erfindung als Erzeugnis eines individuellen Erfinders Front gemacht. Die Erfindung ist, wie wir sehen, ein Teil eines umfassenden Prozesses der Technik, genau so wie die Technik sich als Bestandteil eines Größeren, dem der gesellschaftlichen Arbeit, erweist. In der Praxis ist die Erfindung ein Teil des Neuerungsprozesses, die Neuerung ein Teil des Gegensatzes zwischen der Überlieferung und ihrer Variierung, Umarbeitung und Umwandlung im menschlichen Reproduktionsprozeß.
Alles ist im Wandel und nichts bleibt fest, wie der alte Heraklit sagte, doch wandelt und variiert sich die Technik, obwohl der gesellschaftlichen Arbeit unterstellt, mit einer anderen Geschwindigkeit und anderem historischem Tempo als diese im menschlichen Reproduktionsprozeß und macht also nicht einfach mit. Die Technik und ihr Wandel als materielle Prozesse sind zweifelsohne augenfälliger als die abstrakten Verhältnisse im menschlichen Geschichtsverlauf, doch sind jene keineswegs der bestimmende Faktor in diesem Prozeß. Die Wandlungen in der Technik werden durch die Wandlungen und Umwandlungen in den Verhältnissen zwischen Menschen in der [XI] Arbeitsorganisation bestimmt, ob gemeinschaftlich oder gesellschaftlich, und in dem zweiten Fall machen die gegensätzlichen Verhältnisse zwischen den gesellschaftlichen Klassen den bestimmenden Faktor und Motor der Geschichte aus. Nichtsdestoweniger fungiert die Technik als das unmittelbare Verhältnis der Arbeiter zu den Arbeitsmitteln und nimmt an der Wandlung in all den anderen Prozessen teil. Wenn im Paläolithikum die Wandlungsperioden der Techniken in zehntausenden von Jahren zu messen sind, so hatte sich in der Geschichte der chinesischen Technik und Wissenschaft im Altertum die Auswirkungszeit einer Neuerung, materiellen Erfindung oder Entdeckung über Jahrtausende erstreckt, was den Eindruck eines stagnierenden Prozesses erweckt. Im Gegenteil ist festzustellen, daß das menschliche Leben in den archaischen, primitiven Zuständen oder im Verlauf der Geschichte der asiatischen Produktionsweise im stetigen Wandel sich entwickelt hatte und keineswegs stagnierte, wie die Geschichte der Technik aufzeigt, obwohl diese Prozesse in ihrer Auswirkung sich langsamer fortsetzen als dies in unserer unmittelbaren geschichtlichen Erfahrung erscheint. Diejenigen Forscher, welche sich mit der Geschichte der Technik und der Wissenschaft im alten China beschäftigen, sind bemüht zu zeigen, wie dieses Land in der Praxis einen Vorsprung gegenüber dem Abendland genoß. Das mag wohl alles richtig sein, da der Menschengeist unter allen möglichen Bedingungen sich als wach und werktätig vorstellt. Doch haben die Gelehrten auf diesem Gebiet die Frage unpräzise gestellt und haben Schein und Oberfläche für den tieferen Faktor genommen. Die Wandlung und Umwandlung in der gesellschaftlichen Arbeit und in der Gesellschaft im allgemeinen sind nicht durch die Wandlungen in der Technik und Wissenschaft bestimmt, welche die Theorie der Technik konstituieren, sondern umgekehrt, die Wandlungen im Arbeitsprozeß bestimmen die Auswirkung einer Erfindung oder Entdeckung auf dem Gebiet der Technik und der Wissenschaft. In diesem Zusammenhang ist zweierlei zu bemerken.
- Der gesellschaftliche Arbeitsprozeß ist als Kategorie ein Komplex von bestimmenden Faktoren in der Menschengeschichte, wie oben angedeutet wurde.
- Die Technik und die Wissenschaft sind in diesen Bestimmungskomplex einbezogen und nicht zu übersehen.
Es ist nicht zu bewundern, daß die alten Chinesen große Fortschritte in Wissenschaft und Technik gemacht hatten; denn schon Aristoteles hatte die Fortschritte der alten Ägypter in der Mathematik mit großer Bewunderung angeschaut. Der größere Fortschritt in Technik und [XII] Wissenschaft, den die kapitalistische Gesellschaft Europas ein- und durchgeführt hatte, läßt sich nicht dadurch erklären, daß die Europäer die Chinesen überholt hatten, was der einfache ciculus vitiosus wäre. Er ist vielmehr nur dadurch erklärbar, daß die Europäer dieser Zeit, obwohl mit einem weniger fortgeschrittenen technischen und wissenschaftlichen Zustand beginnend, durch die gesellschaftliche Entwicklung einer intensiveren sowie extensiveren Verbindung und Auswirkung der Produktions-, Distributions- und Tauschverhältnisse auf dieser Grundlage die Potentialität verwirklichten, die Verbindung und Auswirkung der ökonomischen Verhältnisse der Waren- und Ausbeutungsbedingungen der Kapitalreproduktion in Gang zu setzen und dabei die Errungenschaften ihrer chinesischen Zeitgenossen in Technik und Wissenschaft sich einzuverleiben und zu übertreffen. Die verhältnismäßig erhöhte Geschwindigkeit der Verbindung und Auswirkung der Produktions- etc. -verhältnisse jener Zeit wurde durch die Veränderungen im damaligen Arbeits- und Reproduktionsprozeß bestimmt, so daß der Philosoph Leibniz, der für die Geistesentwicklung subjektiv eher zu einem
"chinesischen" Modell als zu einem
"europäischen" neigte, schon den sogenannten chinesischen Vorsprung auf den erwähnten Gebieten nach seiner gegenständlichen Einschätzung in Frage gestellt hatte. Zu Beginn des kapitalistischen Zeitalters und der entsprechenden Epoche der modernen bürgerlichen Gesellschaft setzten sich die Entwicklungen in Technik und Wissenschaft mit einer steigenden Beschleunigungsrate durch, die noch keineswegs abgenommen hat, wie sich in der Kriegs- (
"Verteidigungs-")industrie sowie in der Petrochemie und in der Elektronik widerspiegelt. Zur Zeit von Hans Sachs, Agricola und Mercator wurde der Neuerungsprozeß relativ langsam im Vergleich zu unserem Jahrhundert fortgesetzt, so daß die Auswirkung einer Erfindung oder Entdeckung in Jahrhunderten oder Jahrzehnten zu messen ist. Es gab jedoch Ausnahmen damals, z. B. in der Druckindustrie. Im Zeitalter von Marx würde man die Auswirkungen in der Fabrikation von Eisen und Stahl am Beispiel von Powers und Co., im Kreditwesen wie z. B. Credit mobilier und in der Dynamo- oder Generatorenindustrie wie z. B. Siemens - um innerhalb des Marxschen Arbeitsfeldes zu bleiben - in menschlichen Generationen messen. In unserem Zeitalter dagegen würden wir eine Generation in der Computertechnik in Monaten und Wochen messen. Was die Zukunft derselben Prozesse beinhalten wird, läßt sich klar voraussehen.
Marx steht in der Mitte dieser geschichtlichen Entwicklung, sachlich [XIII] sowie geistig. Manche Sachverhalte hatte er bis zum Ende durchgearbeitet, andere nicht endgültig ausgearbeitet. So hatte er den Unterschied zwischen der Geschichte, die wir machen und nicht machen, von G. Vico, wie dieser sie vorgestellt hatte, übernommen und umformuliert. In der weiteren Ausarbeitung desselben Gedankengangs unterscheiden wir zwischen den vererbten Anpassungen der gegebenen Art mit Bezug auf ihre Umwelt auf der einen Seite und der Kumulation und Akkumulation von menschlichem Geschick und Arbeitskraft auf der anderen. In der heutigen Entwicklung der ökologischen Wissenschaft wird der Unterschied zwischen Art und Umwelt als ein gegenseitiger Anpassungsprozeß betrachtet. Der Kumulations- und Akkumulationsprozeß ist gegenseitig in einem anderen Sinne als der vorhergehende, nämlich als vermittelndes und vermitteltes Verhältnis zwischen Arbeitern im gegensätzlichen Neuerungs- und Stabilisierungsprozeß der Menschenordnung. Daher werden die organischen Prozesse der materiellen Naturordnung von denen der in dieser Ordnung reproduzierten und reproduzierenden Menschenordnung und denen des erzeugten und erzeugenden Menschengeschlechts getrennt. Diese Überlegung zeigt, daß man vermittelst der damals herrschenden (Darwinschen) Theorie nur bis zu einem gewissen Punkt die materialistische Welt- und Geschichtsauffassung entwickeln konnte. Der Unterschied zwischen Natur- und Menschenordnung war Aristoteles klar, jedoch fehlte jener Epoche eine Theorie der organischen Entwicklung, welche beide Ordnungen übergreifend umfaßt. Diese Theorie der organischen Artenevolution wurde von Darwin, Wallace u. a. in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts ausgearbeitet. Die Materialisten jener Zeit hatten diese Theorie übernommen. Die Fortsetzung der Erarbeitung dieser beiden Seiten ist die Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft. Die Ansätze dieser Erarbeitung werden dem deutschen Publikum in den beiden Büchern
"Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft" und
"Traktat über die gesellschaftliche Arbeit"* mit deren Übertragung der Verfasser des vorliegenden Werkes sich brüderlich und kollegial beschäftigt, vorgestellt.
Die Technik wurde im vergangenen Jahrhundert als historischer Prozeß verstanden, indes die Ausarbeitung ihrer Systematik, darunter ihre Definition, der Zukunft überlassen. Durch die weiteren Untersu- [XIV] chungen im Bereich der Theorie und Geschichte wird die Aufmerksamkeit auf die Systematik der Wissenschaft der Arbeit und Technik gelenkt. Die großen Vorgänger haben diese theoretische Seite durch ihre Mitteilungen zum Arbeitsprozeß und zur Theorie der Arbeit ermöglicht. In der Geschichte des Marxismus haben manche selbstangekündigten Marxisten die technische Seite des Arbeitsprozesses und damit die technologische Seite der materialistischen Geschichtsauffassung übertrieben und überschätzt. Eine nicht unbedeutsame Leistung des vorliegenden Werkes liegt darin, daß jetzt die Beziehung der Technik zum Arbeitsprozeß besser verstanden werden kann.
Das hiermit herausgegebene Werk hat die exzerpierenden Arbeiten Marxens auf dem Gebiet des Technologiestudiums zugänglich gemacht vermittelst der Transkribierung, Edition und Kommentierung derselben. Die Arbeit des Herausgebers ist zuverlässig, hat viel Mühe gekostet und beweist, daß sie die Mühe wert ist. In diesem Werk, das mit dem von Hans-Peter Müller parallel erscheint, wird ein wesentlicher Beitrag nicht nur auf dem Gebiet der Marx-Forschung, sondern auch zum Verständnis der Technologie des vergangenen Jahrhunderts geleistet.
Berlin, im November 1981
* Lawrence Krader: Dialectic of Civil Society, Assen 1976; ders.: A Treatise of Social Labor, Assen 1979