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Team Kollektivarbeit der Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland)
Thema Intelligenz im Klassenkampf und andere Schriften ( original )
Status in Arbeit
Letzte Bearbeitung 07/2003
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1. DIE ZUSAMMENBRUCHSTHEORIE DES KAPITALISMUS
1.1. MARX UND ROSA LUXEMBURG
1.2. ROSA LUXEMBURG UND OTTO BAUER
1.3. DAS GROSSMANNSCHE REPRODUKTIONSSCHEMA
1.4. GROSSMANN CONTRA MARX
1.5. DER HISTORISCHE MATERIALISMUS
1.6. DIE NEUE ARBEITERBEWEGUNG
2. DIE INTELLIGENZ IM KLASSENKAMPF
3. DAS WERDEN EINER NEUEN ARBEITERBEWEGUNG
3.1. DIE OHNMACHT
3.2. DIE KLASSE 'AN SICH' UND DIE KLASSE 'FUR SICH'
3.3. DER NATIONALSOZIALISMUS
3.4. DER KAMPF PUR DIE DEMOKRATISCHEN RECHTE
3.5. KLASSENKAMPF UND KOMMUNISMUS
3.6. DIE SELBSTBEWEGUNG DER MASSEN
a) Bedeutung der Massenbewegung
b) Die Ausdehnung
c) Die Beherrschung der Klassenkräfte durch die Arbeiterräte
3.7. DIE NEUE ARBEITERBEWEGUNG
3.8. Partei oder Arbeitsgruppe?
3.9. Die Arbeitsgruppen
3.10. Die 'Kinderkrankheiten'
3.11. ZUSAMMENFASSUNG
4. DIE GEGENSÄTZE ZWISCHEN LUXEMBURG UND LENIN
4.1. GEGEN DEN REFORMISMUS
4.2. DIE NATIONALE FRAGE
4.3. DER ZUSAMMENBRUCH DES KAPITALS
4.4. ZUR FRAGE DER SPONTANEITÄT UND DER ROLLE DER ORGANISATION
5. ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS ZU DEN TEXTEN
5.1. DIE ZUSAMMENBRUCHSTHEORIE DES KAPITALISMUS
5.2. DAS WERDEN EINER NEUEN ARBEITERBEWEGUNG
5.3. DIE GEGENSÄTZE ZWISCHEN LUXEMBURG UND LENIN

1. DIE ZUSAMMENBRUCHSTHEORIE DES KAPITALISMUS

In den ersten Jahren nach der russischen Revolution herrschte die Ansicht, daß der Kapitalismus sich in einer Endkrise, in seiner Todeskrise befinde. Als die revolutionäre Bewegung der Arbeiter in Westeuropa abflaute, gab die 3. Internationale diese Theorie auf.*44 Sie wurde dann aber festgehalten von der Oppositionsbewegung der KAP., die die Anerkennung der Todeskrise zu einem Unterscheidungsmerkmal zwischen dem revolutionären und dem reformistischen Standpunkt machte.*45 Die Frage der Notwendigkeit und Unabwendbarkeit des kapitalistischen Zusammenbruchs, und in welcher Weise dieser zu verstehen sei, ist für die Arbeiterklasse, für ihre Erkenntnis und Taktik, die wichtigste aller Fragen. Rosa Luxemburg hatte sie schon 1912 in ihrem Buch 'Die Akkumulation des Kapitals'*46 behandelt, und sie kam dort zu dem Ergebnis, daß in einem reinen, geschlossenen kapitalistischen System der für Akkumulation dienende Mehrwert nicht realisiert werden könne, daß daher stetige Ausdehnung des Kapitalismus durch Handel mit nichtkapitalistischen Ländern nötig sei. Das bedeutet: Wenn diese Ausbreitung nicht mehr möglich ist, bricht der Kapitalismus zusammen; er kann als wirtschaftliches System nicht mehr weiter bestehen. Auf diese Theorie, die sofort nach ihrem Erscheinen von verschiedenen Seiten bestritten wurde, hat sich die K.A.P. oft berufen. Eine ganz andre Theorie wurde 1929 von Henryk Großmann entwickelt in seinem Werk 'Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems'*47 . Darin weist er nach, daß der Kapitalismus rein ökonomisch zusammenbrechen müsse, indem er, unabhängig von menschlichem Eingreifen, Revolutionen u. dgl., als ökonomisches System unmöglich weiterbeste­hen könne. Die schwere und andauernde Krise, die 1930 einsetzte*48 , hat zweifellos die Geister für eine solche Theorie der Todeskrise emp­fänglicher gemacht. In dem kürzlich erschienenen Manifest der 'United Workers of Ametica' wird Großmanns Theorie zu der theoretischen Basis einer Neuorientierung der Arbeiterbewegung gemacht.*49 Daher ist es notwendig, sie kritisch zu untersuchen. Dazu ist es unvermeidlich, zuerst die Fragestellung bei Marx und die damit verbundenen vorherigen Diskussionen darzulegen.

1.1. MARX UND ROSA LUXEMBURG

Im 2. Teil des 'Kapitals' hat Marx die allgemeinen Bedingungen des Gesamtprozesses der kapitalistischen Produktion behandelt. In dem abstrakten Fall der reinen kapitalistischen Produktion findet alle Produktion für den Markt statt: alle Produkte sind als Waren zu kaufen und zu verkaufen. Der Wert der Produktionsmittel geht auf das Produkt über, und neuer Wert wird durch die Arbeit hinzugefügt. Dieser neue Wert zerfällt in zwei Teile: den Wert der Arbeitskraft, der als Lohn be-

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zahlt und von den Arbeitern zum Kaufen von Lebensmitteln benutzt wird, und den Rest, den Mehrwert, der dem Kapitalisten zufällt. Wird letzterer für Lebens- und Genußmittel verwendet, so findet einfache Reproduktion statt; wird ein Teil akkumuliert zu neuem Kapital, dann hat man eine Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter.
Damit die Kapitalisten die Produktionsmittel, die sie brauchen, auf dem Markt finden, und sie und die Arbeiter gleichfalls die Lebensmittel, die sie brauchen, muß ein bestimmtes Verhältnis zwischen allen Produk­tionsgebieten vorhanden sein. Ein Mathematiker würde dies leicht in algebraischen Formeln zum Ausdruck bringen. Marx hat statt dessen Zahlenbeispiele gegeben, phantasierte Fälle mit dazu gewählten Zahlen, die als Illustration dienen, um diese Verhältnisse zum Ausdruck zu bringen. Er unterscheidet zwei Sphären oder Hauptgebiete der Produk­tion, diejenige der Produktionsmittel (1) und diejenige der Konsumtionsmittel (II). In jedem wird ein bestimmter Wert der gebrauchten Produktionsmittel auf das Produkt ungeändert übertragen (konstantes Kapital, c). Von dem neu hinzugefügten Wert wird ein bestimmter Teil für die Arbeitskraft bezahlt (variables Kapital, v), und der andre Teil ist der Mehrwert (m). Setzt man im Zahlenbeispiel, daß das konstante Kapital 4 mal das variable ist (mit der Entwicklung der Technik, steigt. diese Zahl) und daß der Mehrwert gleich dem variablen Kapital ist (das wird bestimmt durch die Ausbeutungsrate), so genügen im Fall der einfachen Reproduktion die folgenden Zahlen diesen Bedingungen.
14000 c plus 1000 v plus 1000 m = 6000 (Produkt)
112000 c plus 500 v plus 500 m = 3000 (Produkt)
Jede Zeile genügt den Bedingungen. Weil v plus m, die für Konsumtionsmittel verwendet werden, zusammen die Hälfte sind von c, dem Wert der Produktionsmittel, muß in der 2. Sphäre halb soviel an Wert produziert werden wie in der 1. Sphäre. Dann ist das richtige Verhältnis getroffen: die 6ooo produzierten Produktionsmittel sind gerade nötig, um für die folgende Umschlagsperiode 4000 c für die erste und 2000 c für die 2. Sphäre zu liefern; und die 3000 in II produzierten Lebensmittel reichen genau, um 1000 plus 500 für die Arbeiter und 1000 plus 500 für die Kapitalisten bereitzustellen.
Um den Fall der Kapitalakkumulation in ähnlicher Weise zu illustrieren, muß man angeben, welcher Teil des Mehrwerts der Akkumulation dient; dieser Teil wird im nächsten Jahr (der Einfachheit wegen nimmt man eine Produktionsperiode von jedesmal einem Jahre) zum Kapital geschlagen, so daß dann ein größeres Kapital in jeder Produktionssphäre verwandt wird. Wir nehmen in unserem Beispiel an, daß die Hälfte des Mehrwerts akkumuliert (also für neues c und v verwandt) und die andre Hälfte verzehrt wird (Konsum k). Die Berechnung des Verhältnisses von I zu II wird nun etwas verwickelter, aber es läßt sich natürlich finden. Es stellt sich heraus, daß bei den gegebenen Annahmen das Verhältnis 11 zu 4 ist, wie sich in den folgenden Zahlen zeigt.

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I 4400 c plus 1100 v plus 1100 m
(= 550 k plus 550 akk (= 440 c plus 110 v ) ) = 6600

II 1600 c plus 400 V plus 400 m
(= 200 k plus 200 akk (= 160 c plus 40 v ) ) = 2400
Die Kapitalisten brauchen 4400 plus 1600 zur Erneuerung, 440 plus 160 zur Erweiterung ihrer Produktionsmittel, und sie finden in der Tat 66oo an Produktionsmitteln auf dem Markt. Die Kapitalisten brauchen 550 plus 200 für ihren Konsum, die alten Arbeiter 1100 plus 400, die neu eingestellten 110 plus 40 für Lebensmittel; was zusammen den tatsächlich an Lebensmitteln produzierten 2400 gleich ist. Im nächsten Jahre findet dann alles auf einer um 10% erweiterten Stufenleiter statt:
I 4840 c plus 1210 V plus 1210 m
(= 605 k plus 484 c plus 121 v) = 7260

II 1760 c plus 440 v plus 440 m
(= 220 k plus 176 c plus 44 v) = 2640
So kann dann, jedes Jahr in derselben Proportion steigend, weiter produziert werden.
Natürlich bildet dies einen ungeheuer vereinfachten Fall. Man kann es verwickelter und damit der Wirklichkeit ähnlicher machen, wenn man für die Gebiete I und II eine verschiedene organische Zusammensetzung (Verhältnis c zu v) annimmt, oder auch eine verschiedene Akkumulationsrate, oder wenn man das Verhältnis c zu v allmählich zunehmen läßt, wobei auch das Verhältnis von I zu II jedes Jahr anders wird. In allen diesen Fällen wird die Rechnung komplizierter, aber sie läßt sich durchführen; immer kann eine unbekannte Zahl (das Verhältnis von I zu II) aus der Bedingung berechnet werden, so daß Nachfrage und Angebot sich decken. Solche Beispiele sind in der Literatur zu finden. In der Wirklichkeit findet natürlich nie ein völliger Ausgleich in einer Periode statt; Waren werden für Geld verkauft, und erst nachher wird das Geld zum Kauf verwendet, wobei eine Schatzbildung als Puffer und Reservoir dient. Auch bleiben Waren unverkauft liegen; außerdem wird mit nicht kapitalistischen Gebieten Handel getrieben. Aber das Wesentliche, worauf es ankommt, ist an diesen Reproduktionsschemata klar zu sehen:
Damit die Produktion, sich erweiternd, ihren stetigen Fortgang nimmt, müssen bestimmte Verhältnisse zwischen den Produktionsgebieten gegeben sein, und diese Verhältnisse hängen von folgenden Daten ab: organische Zusammensetzung des Kapitals, Ausbeutungsrate, akkumulierter Teil des Mehrwerts.
Marx hatte keine Gelegenheit, diese Beispiele alle fein sauber auszu­arbeiten (vgl. Engels? Einleitung zu Bd. II des 'Kapitals')*50 . Das war wohl die Ursache, daß Rosa Luxemburg glaubte, hier eine Lücke zu finden ? ein Problem, das Marx nicht gesehen und daher ungelöst gelassen habe und zu dessen Lösung sie die dann ihr Werk 'Die Akkumulation des Kapitals' (1912) abgefaßt hat. Das Problem schien offen, wer die Produkte kaufen muß, in denen der Mehrwert enthalten sei. Wenn die

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Abteilungen I und II sich gegenseitig immer mehr Produktionsmittel und Lebensmittel verkaufen, so wäre das ein zweckloses Sich-im-Kreis-Drehen, wobei nichts herauskommt. Die Lösung liege darin, daß außerhalb des Kapitalismus stehende Käufer auftreten, fremde überseeische Märkte, deren Eroberung daher eine Lebensfrage für den Kapitalismus sei. Dies sei die wirtschaftliche Grundlage des Imperialismus.
Nach dem Obenstehenden ist wohl klar, daß Rosa Luxemburg sich hier geirrt hat. An dem Schema als Beispiel ist unzweideutig die Tatsache zu erkennen, daß alle Produkte innerhalb des Kapitalismus selbst verkauft werden könnten. Nicht nur die übertragenen Wertteile 4400 plus 1600, sondern auch die 440 plus 160, in denen der akkumulierte Mehrwert enthalten ist, werden als körperliche Produktionsmittel von den Kapitalisten gekauft, die im nächsten Jahr nun mit im ganzen 6600 an Produktionsmitteln anfangen wollen. Und ähnlich werden die 110 plus 40 aus dem Mehrwert tatsächlich von den hinzukommenden Arbeitern gekauft. Zwecklos ist auch nichts daran: produzieren, einander verkaufen, konsumieren, akkumulieren, mehr produzieren ist der ganze Inhalt des Kapitalismus, also der Zweck des Lebens der Menschen in dieser Produktionsweise. Ein ungelöstes Problem, das Marx nicht gesehen haben sollte, ist hier nicht vorhanden.

1.2. ROSA LUXEMBURG UND OTTO BAUER

Bald nach dem Erscheinen des Buches von Rosa Luxemburg ist daher von verschiedener Seite Kritik gekommen. So hat auch in einem Artikel in der 'Neuen Zeit' (7. - 14. März 1913) Otto Bauer eine Kritik verfaßt. Natürlich wird darin, wie bei jeder anderen Kritik, gezeigt, daß Produktion und Abnahme zueinander stimmen können. Aber hier hat die Kritik die besondre Form, daß die Akkumulation mit dem Bevölkerungswachstum in Zusammenhang gebracht wird. Otto Bauer setzt zuerst eine sozialistische Gesellschaft voraus, wo die Bevölkerung jährlich um 5% wächst; daher muß auch die Produktion von Lebensmitteln in demselben Verhältnis wachsen, wobei, durch den Fortschritt der Technik, die Produktionsmittel stärker zunehmen müssen. Ähnlich muß im Kapitalismus, aber hier nicht durch planmäßige Regelung, sondern durch Akkumulation von Kapital, diese Erweiterung stattfinden. Deshalb wird als Zahlenbeispiel ein Schema aufgestellt, das diesen Bedingungen in einfachster Weise genügt: eine jährliche Zunahme des variablen Kapitals um 5%, des konstanten Kapitals um 10% und eine Ausbeutungsrate von 100% (m = v). Durch diese Bedingungen ist dann zugleich festgelegt, welcher Teil des Mehrwerts akkumuliert wird, um gerade die angenommene Zunahme des Kapitals zu ergeben, und welcher Teil verzehrt wird. Es erfordert keine schwere Berechnung, ein Schema aufzustellen, das von Jahr zu Jahr die richtige Zunahme aufweist.

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1. Jahr 200 000 c plus 100000 v plus 100 000 m (= 20000 c plus 100000 m plus 75 000 k)
2. Jahr 220 000 c plus 105 000 v plus 105 000 m (= 22000 c plus 5250 m plus 77750 k)
3. Jahr 242 000 c plus 110 250 v plus 110 250 m (= 24200 c plus 5512 m plus 80538 k)
Bauer führt dies für 4 Jahre durch und berechnet auch die Zahlen für die Produktsgebiete I und II gesondert. Für den Zweck, daß kein Problem im Sinne Rosa Luxemburgs vorlag, war das ausreichend.
Aber der Charakter dieser Kritik mußte selbst Kritik hervorrufen. Bauers Grundgedanke erhellt schon aus der Einführung des ?Bevölkerungszuwachses bei einer sozialistischen Gesellschaft". Der Kapitalismus erscheint hier als ein noch nicht geregelter Sozialismus, als ein noch nicht gebändigtes, noch wild um sich schlagendes Füllen, das nur der zähmenden Hand des sozialistischen Dompteurs bedarf. Die Akkumulation dient hier nur der durch den Bevölkerungszuwachs nötigen Erweiterung der Produktion, wie der Kapitalismus überhaupt allein der Versorgung der Menschheit mit Lebensmitteln dient; beides findet aber, durch den Mangel an Planmäßigkeit, schlecht, unregelmäßig, bald zu viel, bald zu wenig, in Katastrophen statt. Nun mag auch die zahme Zunahme von 5% jährlich passen für eine sozialistische Gesellschaft, wo alles Menschtum sauber einrangiert ist. Aber als Beispiel für den Kapitalismus, wie er war und ist, paßt dies schlecht. Seine ganze Geschichte ist ein Vorwärtsstürmen, eine gewaltige Ausbreitung, weit über die Grenzen des Bevölkerungszuwachses hinaus. Die treibende Kraft war der Akkumulationstrieb: möglichst viel von dem Mehrwert wurde als neues Kapital angelegt, und zu seiner Verwertung wurden stets größere Kreise der Bevölkerung in den Prozeß hineingezogen. Es war ja, und es ist noch ein großer Überschuß an Menschen vorhanden, die noch außerhalb oder halbwegs außerhalb als Reserve stehen und - je nach dem Bedürfnis aufgesogen oder abgestoßen - für das Verwertungsbedürfnis des akkumulierten Kapitals bereit stehen. Dieser wesentliche Grundcharakter des Kapitalismus wurde in der Bauerschen Darstellung völlig verkannt.
Es war selbstverständlich, daß Rosa Luxemburg dies zum Zielpunkt ihrer Gegenkritik nahm. Gegen den Nachweis, daß in den Marxschen Schemata kein Problem in ihrem Sinne lag, konnte sie nicht viel andres vorbringen als den höhnenden Ausruf, daß in künstlichen Zahlenbeispielen doch alles schön zum Klappen gebracht werden könne. Aber die Verbindung mit dem Wachstum der Bevölkerung als dem regulierenden Prinzip der Akkumulation war dem Geiste der Marxscheh Lehren so völlig zuwider, daß hier der Nebentitel ihrer Antikritik paßte: 'Was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben'.*51 Es handelt sich hier nicht einfach um einen wissenschaftlichen Irrtum (wie bei Rosa Luxemburg selbst), es spiegelt sich darin der praktisch-politische Standpunkt der damaligen Sozialdemokraten (des sog. Zentrums).*52 Sie fühl-

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ten sich als die künftigen Staatsmänner, die an die Stelle der herrschenden Politiker tretend die Organisation der Produktion durchführen würden und die daher im Kapitalismus nicht den völligen Gegensatz zu einer -durch Revolution zu verwirklichenden - proletarischen Diktatur sahen, sondern vielmehr eine noch ungeregelte, verbesserungsfähige Form der Lebensmittelbeschaffung.

1.3. DAS GROSSMANNSCHE REPRODUKTIONSSCHEMA

An das von Otto Bauer aufgestellte Reproduktionsschema knüpft Henryk Großmann an. Er hat bemerkt, daß es sich nicht unbeschränkt fortsetzen läßt, sondern bei längerer Fortsetzung auf Widersprüche stößt. Das ist sehr leicht einzusehen. Otto Bauer setzt ein konstantes Kapital von 200 000 voraus, das jedes Jahr um 10% zunimmt, und ein variables Kapital von 100 000, das jedes Jahr um 5% zunimmt; die Mehrwertsrate wird mit 100% angesetzt, d. h. der Mehrwert ist in jedem Jahre gleich dem variablen Kapital. Eine Größe, die jedes Jahr um 10% zunimmt, hat sich, den Regeln der Mathematik gemäß, nach 7 Jahren verdoppelt, nach 14 Jahren vervierfacht, nach 23 Jahren verzehnfacht, nach 46 Jahren verhundertfacht. Eine Größe, die jedes Jahr um 5 % zunimmt, hat sich nach 46 Jahren nur verzehnfacht. Das variable Kapital und der Mehrwert, die im ersten Jahr halb so groß wie das konstante Kapital waren, sind nach 46 Jahren nur noch der zwanzigste Teil des viel kolossaler gewachsenen konstanten Kapitals. Der Mehrwert reicht also gar nicht für den 10-prozentigen Zuwachs des konstanten Kapitals aus.
Das liegt nicht einfach an den von Bauer gewählten Zuwachsraten von 10% und 5%. Denn tatsächlich nimmt der Mehrwert im Kapitalismus weniger rasch zu als das konstante Kapital. Daß dadurch die Profitrate in der Entwicklung des Kapitalismus fortwährend abnehmen muß, ist eine bekannte Tatsache, und Marx widmet diesem Fallen der Profitrate mehrere Kapitel. Wenn die Profitrate auf 5%, fällt, kann das konstante Kapital nicht mehr um 10% vergrößert werden, denn die Vergrößerung des Kapitals aus akkumuliertem Mehrwert ist notwendig kleiner als dieser Mehrwert selbst. Die Akkumulationsrate hat selbstverständlich die Profitrate als obere Grenze (vgl. Marx, Das Kapital III, MEW 25, S. 234, wo er sagt, daß mit der Profitrate die Rate der Akkumulation falle). Die Benutzung einer festen Zahl von 10%, die für ein paar Jahre, wie bei Bauer, zulässig ist, wird unzulässig, wenn man das Reproduktionsschema auf längere Zeit fortsetzt.
Großmann führt jedoch das Bauersche Schema unbekümmert von Jahr zu Jahr weiter und glaubt damit den wirklichen Kapitalismus wiederzugeben. Er findet dann die folgenden Werte für konstantes und vanables Kapital, für den Mehrwert (für Akkumulation nötiger und für den Konsum der Kapitalisten übrig bleibender Betrag - alles auf Tausende abgerundet):

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Konst. Kap.Var. Kap. Mehrw.AkkumulationKonsum
anfangs200 100 100 20 plus 5 = 25 75
nach 20 Jahren 1222 253 253 122 plus13 = 135118
nach 30Jahren 3170 412 412 371plus 21=338 74
nach 34 Jahren 4641 500 500 464 plus 25 = 489 11
nach 35 Jahren 5106 525 525 510 plus 26 = 536-11
Nach dem 21. Jahr nimmt der für den Konsum übrigbleibende Teil des Mehrwerts ab; im 34. Jahr verschwindet er nahezu, und im 35. Jahr ist sogar ein Defizit vorhanden; der Shylock*53 des konstanten Kapitals fordert unerbittlich sein Pfund Fleisch, es will um 10% zunehmen, während die armen Kapitalisten hungernd daneben stehen und nichts zum eignen Konsum behalten.
" Vom 35. Jahre an könnte somit die Akkumulation nicht mit dem Bevölkerungszuwachs -auf Basis des jeweiligen technischen Fortschritts - Schritt halten. Die Akkumulation wäre zu klein, es würde notwendig eine Reservearmee entstehen, die mit jedem Jahr anwachsen müßte. " (Großmann, a. a. 0., S. 126)
Unter solchen Umständen werden die Kapitalisten nicht an die Fortführung der Produktion denken. Und sollten sie, sie können es nicht; denn wegen eines Fehlbetrags von 11 an Akkumulationskapital müssen sie die Produktion einschränken. (Tatsächlich hätten sie das schon früher tun müssen, wegen ihrer Konsumausgaben.) Damit wird ein Teil der Arbeiter arbeitslos; dann ist ein Teil des Kapitals unbeschäftigt, und der produzierte Mehrwert wird weniger, die massa des Mehrwerts sinkt, und ein noch größeres Defizit bei der Akkumulation tritt auf - mit noch mehr zunehmender Arbeitslosigkeit. Das ist dann der ökonomische Zusammenbruch des Kapitalismus. Er ist wirtschaftlich unmöglich geworden. Damit ist die Aufgabe gelöst, die Großmann auf S. 79 sich stellt:
"Wie, auf welche Weise kann die Akkumulation die kapitalistische Produktion zum Zusammenbruch bringen?"
Hier findet also statt, was in der älteren marxistischen Literatur immer als ein blödes Mißverständnis der Gegner behandelt wurde, für das der Name 'der große Kladeradatsch' gebräuchlich war. Ohne daß eine revolutionäre Klasse da ist, um die Bourgeoisie zu besiegen und zu enteignen, tritt rein wirtschaftlich ein Ende des Kapitalismus ein; die Maschine will sich nicht mehr drehen, sie stockt, die Produktion ist unmöglich geworden. Mit den Worten Großmanns:
" ...trotz aller periodischen Unterbrechungen und Abschwächungen der Zusammenbruchstendenz geht der Gesamtmechanismus mit dem Fortschreiten der Kapitalakkumulation immer mehr seinem Ende notwendig entgegen [...] dann gewinnt die Zusammenbruchstendenz die Oberhand und setzt sich in ihrer absoluten Geltung als 'letzte Krise' durch. " (S. 140)
Und an einer späteren Stelle:
" aus unserer Darstellung [ist] zu ersehen, daß der Zusammenbruch des Kapitalismus, obwohl unter gegebenen Voraussetzungen objektiv notwendig "

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" und in bezug auf den Zeitpunkt seines Eintretens exakt berechenbar, dennoch nicht 'von selbst' automatisch zu dem erwarteten Zeitpunkt zu erfolgen braucht und deshalb bloß passiv abzuwarten sei. " (S. 601)
In diesem Satze, wo man einen Augenblick glauben möchte, daß von der aktiven Rolle des Proletariats als Auctor der Revolution die Rede ist, wird nur über die Änderungen des Lohns und der Arbeitszeit gehandelt, die die zahlenmäßigen Grundlagen und Resultate der Rechnung etwas verschieben. Und in diesem Sinne führt er weiter aus:
" So zeigt es sich, daß der Gedanke eines aus objektiven Gründen notwendigen Zusammenbruchs durchaus nicht im Widerspruch zum Klassenkampf steht, daß vielmehr der Zusammenbruch, trotz seiner objektiv gegebenen Notwendigkeit durch die lebendigen Kräfte der kämpfenden Klassen im starken Maße beeinflußbar ist und für das aktive Eingreifen der Klassen einen gewissen Spielraum läßt. Eben deshalb mündet bei Marx die ganze Analyse des Reproduktionsprozesses in den Klassenkampf aus " (S. 602)
Das 'deshalb' ist köstlich; als ob Klassenkampf bei Marx nur Kampf um Lohnforderungen und Arbeitszeit bedeute. Sehen wir uns die Grundlage dieses Zusammenbruchs etwas näher an. Worauf beruht die notwendige Zunahme des konstanten Kapitals mit jedesmal 10%? In dem oben gegebenen Zitat wird gesagt, daß der technische Fortschritt (bei gegebenem Bevölkerungszuwachs) einen bestimmten jährlichen Zuwachs des konstanten Kapitals vorschreibt. Man könnte dann - ohne den Umweg des Reproduktionsschemas - sagen:Wenn die Profitrate kleiner wird als diese vom technischen Fortschritt geforderte Zuwachsrate, muß der Kapitalismus zugrunde gehen. Abgesehen davon, daß dies nichts mit Marx zu tun hat: was ist der von der Technik geforderte Kapitalzuwachs? Verbesserungen in der Technik werden eingeführt in gegenseitiger Konkurrenz, um den Extraprofit (relativen Mehrwert) zu ergattern; aber das geht nicht weiter, wie die finanziellen Mittel vorhanden sind. Jedermann weiß auch, daß Dutzende von neuen Erfindungen, von technischen Verbesserungen, nicht eingeführt und oft absichtlich von den Unternehmern unterdrückt werden, damit nicht der vorhandene technische Apparat entwertet wird. Die Notwendigkeit des technischen Fortschritts wirkt nicht als äußerer Zwang; sie wirkt mittels der Menschen, und für diese gilt das Müssen nicht weiter als ihr Können.
Aber nehmen wir an, daß es richtig ist und daß infolge des technischen Fortschritts das konstante Kapital sich nach dem Schema veränderlich verhalten muß: im 30. Jahre wie 3170 zu 412, im 34. wie 4641 zu 500, im 35. wie 5106 zu 525 im 36. wie 5616 zu 551. Der Mehrwert im 35. Jahr ist nur 525 000 und reicht nicht aus, 510 000 zum konstanten und 26000 zum variablen Kapital hinzuzufügen. Großmann läßt das konstante Kapital um 510 000 wachsen und behält dann bloß 15 000 als Zuwachs des variablen Kapitals: 11 000 zu wenig. Er sagt dazu:

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" 111 509 Arbeiter bleiben arbeitslos, es bildet sich die Reservearmee. Und weil nicht die ganze Arbeiterbevölkerung in den Produktionsprozeß eintritt, so wird nicht die ganze Summe des zusätzlichen konstanten Kapitals (51 0563 ac) Zum Ankauf von Produktionsmitteln erforderlich sein. Sollte bei einer Bevölkerung von 5511 584 ein konstantes Kapital von 5 616 200 angewendet werden, so muß bei einer Bevölkerung von 540 075 ein konstantes Kapital von nur 5 499 015 angewendet werden. Somit verbleibt ein Kapitaliiberschuß von 117 185 ohne Anlagemöglichkeit. So zeigt uns das Schema ein Schulbeispiel für den Tatbestand, an den Marx dachte, als er den entsprechenden Abschnitt des 3. Bandes des 'Kapital' mit der Überschrift versah: 'Überfluß an Kapital bei Überfluß an Bevölkerung'. " (S. 126)
Großmann hat offenbar nicht bemerkt, daß diese 11 000 nur deshalb arbeitslos werden, weil er, ganz willkürlich, ohne einen Grund anzugeben, das Defizit ganz auf das variable Kapital abwälzt und das konstante Kapital ruhig 10% zunehmen läßt, als ob nichts los sei; als er dann aber inne wird, daß für all diese Maschinen keine Arbeiter da sind, oder richtiger, kein Geld da ist, ihnen Löhne zu zahlen, läßt er auch diese Maschinen lieber nicht bauen und muß nun Kapital unbenutzt liegen lassen. Nur durch diesen Schnitzer gerät er in das 'Schulbeispiel' für eine Erscheinung, die bei den gewöhnlichen kapitalistischen Krisen auftritt. In Wirklichkeit werden die Unternehmer ihre Produktion nur um so viel erweitern können, wie ihr Kapital - für Maschinen und Lohn zusammen - reicht. Ist im ganzen zu wenig Mehrwert da, so wird er (bei dem angenommenen technischen Zwang) proportional auf die Bestandteile des Kapitals verteilt werden; die Rechnung zeigt, daß von dem 525 3119 betragenden Mehrwert 500 409 zu dem konstanten, 24 910 zu dem variablen Kapital geschlagen werden muß, um das richtige, dem technischen Fortschritt entsprechende Verhältnis zu haben; nicht 11 000, sondern 11356 Arbeiter werden freigesetzt, und von einem überschussigen Kapital ist keine Rede. Führt man das Schema in dieser richtigen Weise weiter, so findet statt einer katastrophalen eine sehr langsam zunehmende Freisetzung von Arbeitern statt.
Wie ist es nun möglich, diesen angeblichen Zusammenbruch auf das Konto von Marx zu schieben und durch viele Kapitel hindurch Dutzende von Zitaten aus Marx dazu zu bringen? Diese Zitate beziehen sich alle auf die wirtschaftlichen Krisen, auf den Konjunkturwechsel von Aufschwung und Niedergang. Während das Schema dazu dienen sollte, einen nach 35 Jahren einsetzenden endgültigen ökonomischen Zusammenbruch zu zeigen, heißt es 2 Seiten weiter:
" Die hier zur Darstellung gelangte Marx'sche Theorie des Wirtschaftszyklus. " (S. 123)
Nur dadurch, daß er fortwährend Sätze von Marx, die über die periodischen Krisen handeln, durch seine Ausführungen streut, kann Großmann den Anschein erwecken, er stelle eine Theorie von Marx dar. Bei Marx findet sich aber nichts von einem endgültigen Zusammenbruch nach Art des Großmannschen Schemas. Allerdings: ein paar Zitate führt Großmann an, die nicht über die Krisen handeln. So schreibt er S. 263:

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" Es zeigt sich, 'daß die kapitalistische Produktionsweise an der Entwicklung der Produktivkräfte eine Schranke findet...' " (Marx, Kapital III/1, MEW, S. 252)
Schlägt man aber Das Kapital III/1, S. 252, auf, so liest man dort:
" Das Wichtige aber in ihrem [d. h. Ricardos und der anderen Ökonomen] Horror vor der fallenden Profitrate ist das Gefühl, daß die kapitalistische Produktionsweise an der Entwicklung der Produktivkräfte eine Schranke findet. "
*54
Das ist wohl etwas anderes. Und auf S.79 zitiert er, um nachzuweisen, daß sogar das Wort Zusammenbruch von Marx stammt:
" Dieser Prozeß würde bald die kapitalistische Produktion zum Zusammenbruch bringen, wenn nicht widerstrebende Tendenzen beständig wieder dezentralisierend neben der zentripetalen Kraft wirkten. " (Marx, Kapital III/1, a. a. O. S., S. 256)
Diese widerstrebenden Tendenzen, das betont Großmann mit Recht, beziehen sich auf das 'bald', so daß der Prozeß mit ihnen eben langsamer stattfindet. Spricht Marx hier nun von einem rein wirtschaftlichen Zusammenbruch? Lesen wir den vorhergehenden Satz bei Marx:
" Es ist diese Scheidung zwischen Arbeitsbedingungen hier und Produzenten dort, die den Begriff des Kapitals bildet, die mit der ursprünglichen Akkumulation sich eröffnet, dann als beständiger Prozeß in der Akkumulation und Konzentration des Kapitals erscheint, und hier endlich sich als Zentralisation schon vorhandner Kapitale in weniger Händen und Entkapitahisierung (dahin verändert sich nun die Expropriation) vieler ausdrückt. "
Es ist hiernach wohl klar, daß der dann folgende Zusammenbruch, wie so oft bei Marx, einfach für das Ende des Kapitalismus durch den Sozialismus steht.
Mit den Marx-Zitaten ist es also nichts: aus ihnen ist eine wirtschaftliche Endkatastrophe ebensowenig herauszulesen, wie sie aus dem Reproduktionsschema abzuleiten ist. Kann es dann aber zur Darstellung und Erklärung der periodischen Krisen dienen? Großmann sucht beides zu einer festen Einheit zu vereinigen:
" Die Marx'sche Zusammenbruchstheorie ist zugleich eine Krisentheorie, "
lautet die Überschrift des 8. Kapitels (S. 137). Aber als Nachweis gibt er nichts als eine Figur (S. 141), in der eine schief emporlaufende 'Akkumulationslinje' in kleinere Stücke zerschnitten wird. Nach dem Schema soll aber erst nach 35 Jahren der Zusammenbruch beginnen, während nach 5 oder 7 Jahren doch jedesmal die Krise einsetzt, wobei in dem Schema alles noch in schönster Ordnung ist. Will man einen rascheren Zusammenbruch bekommen, so geht das, wenn der jährliche Zuwachs des konstanten Kapitals nicht 10%, sondern viel größer ist. Tatsächlich findet bei steigender Konjunktur in dem Wirtschaftszyklus ein viel rascheres Wachstum des Kapitals statt, der dann aber nichts mit dem technischen Fortschritt zu tun hat; der Produktionsumfang wird sprunghaft erweitert. Allerdings nimmt dabei auch das variable Kapital rasch und sprunghaft zu. Woher dann nach 5 oder 7 Jahren ein Zusammen-

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bruch kommen muß, bleibt dunkel. Das heißt: die wirklichen Ursachen, die die rasch steigende und dann zusammenbrechende Konjunktur bewirken, sind ganz anderer Natur als das, was in dem Großmann'schen Reproduktionsschema steht.
Marx spricht von Überakkumulation, die die Krise einleitet, einem Zuviel an akkumuliertem Mehrwert, das keine Anlage findet und den Profit drückt; Großmanns Zusammenbruch entsteht durch ein Zuwenig an akkumuliertem Mehrwert.
Marx spricht von Überakkumulation, die die Krise einleitet, einem Zuviel an akkumuliertem Mehrwert, das keine Anlage findet und den Profit drückt; Großmanns Zusammenbruch entsteht durch ein Zuwenig an akkumuliertem Mehrwert.
Gleichzeitiger Überfluß an unbeschäftigtem Kapital und an unbeschäftigten Arbeitern ist eine typische Krisenerscheinung; Großmanns Schema führt zu einem Mangel an Kapital, der nur durch den schon erwähnten Fehler Großmanns zu einem Kapitalüberfluß umkonstruiert werden kann. Also: wie das Großmann'sche Schema einen endgültigen Zusammenbruch nicht beweisen kann, so paßt es auch nicht auf die wirklichen Zusammenbruchserscheinungen, die Krisen.
Es mag noch hinzugefügt werden, daß es, seinem Ursprunge nach, an dem Fehler Otto Bauers leidet: das wirkliche stürmische Vorwärtsdrängen des Kapitalismus über die Welt, immer mehr Völker in seine Gewalt bringend, wird hier durch eine zahme regelmäßige Bevölkerungszunahme von 5% jährlich dargestellt, als wäre der Kapitalismus in eine geschlossene Staatswirtschaft eingepfercht.

1.4. GROSSMANN CONTRA MARX

Großmann brüstet sich damit, daß er hier zum ersten Male die Theorie von Marx wieder richtiggestellt habe gegenüber den Entstehungen der Sozialdemokraten.
" Eine dieser neu gewonnenen Erkenntnisse», sagt er stolz im Anfang der Einleitung, «ist die nachfolgende Zusammenbruchstheorie, die tragende Säule im ökonomischen Gedankensystem von Karl Marx. " (S. V)
Wie wenig dasjenige, was er als Zusammenbruchstheorie ansieht, mit Marx zu tun hat, haben wir gesehen. Immerhin konnte er bei seiner besondren Interpretation doch glauben, mit Marx in Übereinstimmung zu sein. Aber es gibt andre Punkte, wo das nicht gilt. Weil er sein Schema für ein richtiges Bild der kapitalistischen Entwicklung hält, leitet er aus ihm zu verschiedenen Punkten Erklärungen ab, die, wie er zum Teil selbst bemerkt hat, den im 'Kapital' entwickelten Anschauungen widersprechen.
Das gilt, erstens, für die industrielle Reservearmee. Nach dem Großmann'schen Schema muß vom 35. Jahre an eine Anzahl Arbeiter arbeitslos werden, eine Reservearmee entstehen.
" Die Entstehung der Reservearmee, d. h. die Freisetzung der Arbeiter, von der hier gesprochen wird, muß streng von der Freisetzung der Arbeiter durch die Maschine unterschieden werden. Die Verdrängung der Arbeiter durch die Maschine, die Marx im empirischen Teil des I. Bandes des 'Kapital' beschreibt "
" (13. Kapitel), ist eine technische Tatsache.. . " (S. 128-129)

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" Aber die Freisetzung der Arbeiter, die Entstehung der Reservearmee, von der Marx im Akkumulationskapitel (Kap. 23) spricht, ist - das wurde bisher in der Literatur gänzlich außer Acht gelassen - nicht durch die technische Tatsache der Einführung von Maschinen verursacht, sondern durch die mangelnde Verwertung... " (S. 130)
Das kommt auf den Tiefsinn hinaus: daß die Spatzen davonflogen, kam nicht durch den Flintenschuß, sondern durch ihre Schreckhaftigkeit. Die Arbeiter werden durch die Maschinen verdrängt; durch Erweiterung der Produktion finden sie teilweise wieder Arbeit; in diesem Gehen und Kommen bleibt ein Teil unterwegs oder draußen. Soll nun die Tatsache, daß sie noch nicht wieder eingestellt sind, als die Ursache ihrer Arbeitslosigkeit gelten? Liest man das 23. Kapitel des ' Kapital' [Bd. 1], so handelt es sich dort immer um die Verdrängung durch die Maschine als Ursache der Reservearmee, die je nach der Konjunktur teilweise aufgesogen oder aufs neue freigesetzt wird und sich selbst auch als Überbevölkerung reproduziert. Großmann bemüht sich einige Seiten lang um den Nachweis, daß hier das ökonomische Verhältnis c : v und nicht das technische Verhältnis Pm : A wirkt; tatsächlich sind beide identisch. Aber die Bildung der Reservearmee nach Marx, die von Anfang des Kapitalismus an immerfort und überall stattfindet, wo Arbeiter durch Maschinen ersetzt werden, ist nicht identisch mit der angeblichen Bildung der Reservearmee nach Großmann, die erst als Folge der Überakkumulation nach 34 Jahren technischen Fortschritts eintritt.
Ähnliches gilt für den Kapitalexport. In langen Ausführungen werden nacheinander alle marxistischen Autoren abgeschlachtet, Varga, Bucharin, Nachimson, Hilferding, Otto Bauer, Rosa Luxemburg, weil sie alle die Ansicht bekunden, daß der Kapitalexport wegen des größeren Profits stattfindet. Mit den Worten Vargas:
" Nicht weil es absolut unmöglich wäre, Kapital im Inlande zu akkumulieren. . . sondern weil Aussicht auf höheren Profit besteht, wird Kapital ausgeführt. " (Vgl. Großmann, S. 498)
Diese Auffassung bekämpft Großmann als unrichtig und als unmarxistisch:
" Nicht der höhere Profit des Auslandes, sondern der Mangel an Anlagemöglichkeiten im Inland ist der letzte Grund des Kapitalexports. " (S. 561)
Er bringt dann viele Zitate von Marx über die Überakkumulation und verweist auf sein Schema, in dem nach dem 35. Jahr die steigenden Kapitalmassen keine Verwendung im Inlande mehr finden; deshalb müssen sie exportiert werden.
Wir erinnern daran, daß nach dem Schema jedoch zu wenig Kapital vorhanden war für die vorhandene Bevölkerung und der Überfluß an Kapital bei ihm nur ein Rechnungsfehler war. Übrigens hat er bei all

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seinen Marxzitaten vergessen, dasjenige anzuführen, wo Marx selbst über den Kapitalexport spricht:
" Wird Kapital ins Ausland geschickt, so geschieht es nicht, weil es absolut nicht im Inland beschäftigt werden könnte. Es geschieht, weil es zu höherer Profitrate im Auslande beschäftigt werden kann. " (Marx, Kapital III/1, a.a.O.S., S. 266)
Das Fahlen der Profitrate ist einer der wichtigsten Teile der Kapitaltheorie bei Marx; er hat es zuerst theoretisch erklärt und nachgewiesen, wie in dieser Falltendenz, die sich periodisch in den Krisen durchsetzt, die Vergänglichkeit des Kapitalismus verkörpert ist. Bei Großmann ist es ein andres Phänomen, das hervortritt: nach dem 35. Jahr werden Arbeiter massenhaft freigesetzt und es wird zugleich Kapital überflüssig gemacht; dadurch wird das Defizit an Mehrwert im nächsten Jahr schlimmer, werden also noch mehr Arbeiter und wird noch mehr Kapital stillgelegt; mit der Abnahme der Arbeiterzahl nimmt die Masse des produzierten Mehrwerts ab, und so sinkt der Kapitalismus immer tiefer in die Katastrophe hinein. Hat Großmann da selbst nicht den Widerspruch bemerkt? Ja.doch; und so macht er sich in dem Kapitel 'Die Ursachen der Verkennung der Marx'schen Akkumulation- und Zusammenbruchstheorie', nach einer einleitenden Betrachtung, ans Werk:
" So ist die Zeit für die Rekonstruktion der Marx'schen Zusammenbruchslehre herangereift. " (S. 195)
"Äußerlich mochte der Umstand den Anlaß zum Mißverständnis ... gegeben haben", daß das 3. Kapitel von Bd. III, wie Engels im Vorwort sagte, "in einer Reihe unvollständiger mathematischer Bearbeitungen" vorlag.
Engels nahm bei ihrer Bearbeitung die Hilfe seines Freundes, des Mathematikers Samuel Moore, in Anspruch.*55
" Aber Moore war kein Nationalökonom... Die Entstehungsweise dieses TeiIes des Werkes also macht es schon im voraus glaubhaft, daß hier zu Mißverständnissen und Irrtümern reichlich Gelegenheit bestand und daß diese Irrtümer dann auch auf das Kapitel von dem tendenziellen Fall der Profitrate... leicht übertragen werden konnten. "
(Nota bene: diese Kapitel lagen von Marx fertig vor!)
" Die Wahrscheinlichkeit des Irrtums erhebt sich fast zur Gewißheit, wenn wir erwägen, daß es sich dabei um ein Wort handelt, das aber unglücklicherweise den Sinn der ganzen Darstellung vollständig entstellt: das unvermeidliche Ende des Kapitalismus wird dem relativen Fall der Profitrate, statt -masse, zugeschrieben. Hier hat sich Engels oder Moore sicher verschrieben. " (S. 195)
So sieht also die Rekonstruktion der Marx'schen Lehre aus! Und in einer Note wird noch ein Zitat angeführt und gesagt:
" Bei den in Klammern gesetzten Worten hat sich Engels oder Marx selbst verschrieben; es sollte richtigerweise heißen >und zugleich eine Profitmasse, welche relativ fällt " (Marx, Kapital III ,MEW 25, S. 229)
*56
Nun ist es Marx selbst schon, der sich verschreibt! Und es handelt sich hier um eine Stehle, wo der Sinn unzweideutig klar ist, wie der Wortlaut im 'Kapital' sie gibt. Die ganze Darlegung bei Marx, die mit jenem

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änderungsbedürftigen Satz endet, dient als Fortsetzung eines Satzes, wo Marx erklärt:
" die Masse des von ihm produzierten Mehrwerts, daher die absolute Masse des von ihm produzierten Profit», kann also wachsen, trotz des progressiven Falls der Profitrate. ... Dies kann nicht nur der Fall sein; es muß der Fall sein - vorübergehende Schwankungen abgerechnet - auf Basis der kapitalistischen Produktion. " (Marx, Kapital III, a.a.O.S., S. 228)
Dann folgt eine Darlegung, weshalb die Profitmasse wachsen muß, und wieder heißt es:
" Im Fortschritt des Produktions- und Akkumulationsprozesses muß also die Masse der aneignungsfähigen und angeeigneten Mehrarbeit, und daher die absolute Masse des vom Gesellschaftskapital angeeigneten Profit wachsen. " (Marx, Kapital III, a.a.O.S., S. 229)
Also das völlige Gegenteil zu den von Großmann ausgedachten Zusammenbruchserscheinungen. Und auf den folgenden Seiten wird das noch öfters wiederholt; das ganze 13. Kapitel besteht aus einer Darlegung über:
" Das Gesetz, daß der durch die Entwicklung der Produktivkraft verursachte Fall der Profitrate begleitet, ist von einer Zunahme in der Profitmasse.. " (Marx, Kapital III, a.a.O.S., S. 236)
Es kann also nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, daß Marx genau sagen will, was dort gedruckt steht, und sich durchaus nicht verschrieben hat. Und wenn Großmann schreibt:
" Der Zusammenbruch kann indessen durch den Fall der Profitrate nicht erfolgen. Wie könnte ein prozentuales Verhältnis, wie die Profitrate, eine reine Zahl, den Zusammenbruch eines realen Systems herbeiführen!, " (S. 196)
so spricht er damit noch einmal aus, daß er vom ganzen Marx nichts verstanden hat und daß sein Zusammenbruch sich in völligem Widerspruch zu Marx befindet.
Dies ist die Stelle, wo er sich von der Haltlosigkeit seiner Konstruktion hätte überzeugen lassen können. Hätte er sich aber hier von Marx belehren lassen, dann wäre seine ganze Theorie hinfällig und sein Buch ungeschrieben geblieben.
Das Großmann'sche Werk kann man am richtigsten bezeichnen als eine Zusammenstoppelung von Hunderten von Zitaten aus Marx, unrichtig angewandt und zusammengeleimt durch eine selbstkonstruierte Theorie. Jedesmal, wenn eine Beweisführung nötig wäre, wird ein Marx-Zitat angeführt, das dazu nicht paßt, und die Richtigkeit der Marx'schen Aussagen muß dem Leser den Eindruck der Richtigkeit der Theorie vortäuschen.

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1.5. DER HISTORISCHE MATERIALISMUS

Die Frage verdient schließlich Beachtung, wie ein Nationalökonom, der glaubt die Anschauungen von Marx richtig wiederzugeben, ja sogar mit naiver Selbstsicherheit erklärt, als erster die richtige Interpretation zu geben, so völlig daneben hauen kann und sich so in völligem Widerspruch zu Marx befindet. Die Ursache liegt in dem Mangel an historisch-materialistischer Einsicht. Die Marx'sche Ökonomie ist gar nicht zu verstehen, wenn man sich nicht die historisch-materialistische Denkweise zu eigen gemacht hat.
Für Marx wird die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft - also auch die wirtschaftliche Entwicklung des Kapitalismus - durch feste Notwendigkeit wie durch ein Naturgesetz bestimmt. Aber zugleich ist sie das Werk der Menschen, die darin ihre Rolle spielen, indem jeder mit Bewußtsein und Absicht - obgleich nicht mit Bewußtsein vorh gesellschaftlichen Ganzen - seine Taten bestimmt. Für die bürgerliche Anschauungsweise liegt darin ein Widerspruch; entweder das Geschehen hängt von menschlicher Willkür ab; oder, wenn es durch feste Gesetze beherrscht wird, wirken diese als ein außermenschlicher, mechanischer Zwang. Für Marx setzt sich alle gesellschaftliche Notwendigkeit mittels der Menschen durch; das bedeutet, daß das menschliche Denken, Wollen und Handeln - obgleich es dem eignen Bewußtsein als Willkür erscheint - durch die Wirkungen der Umwelt völlig bestimmt wird; und nur durch die Gesamtheit dieser hauptsächlich durch gesellschaftliche Kräfte bestimmten menschlichen Taten setzt sich in der gesellschaftlichen Entwicklung Gesetzmäßigkeit durch.
Die gesellschaftlichen Kräfte, die die Entwicklung bestimmen, sind daher nicht nur die rein ökonomischen, sondern auch die dadurch bestimmten allgemein-politischen Taten, die der Produktion die nötigen Rechtsnormen verschaffen müssen. Die kapitalistische Gesetzmäßigkeit liegt nicht nur in der Wirkung der Konkurrenz, die die Preise und Profite ausgleicht und die Kapitalien konzentriert, sondern auch in der Durchsetzung der freien Konkurrenz, der freien Produktion durch die bürgerlichen Revolutionen. Nicht nur in der Bewegung der Löhne, in der Ausdehnung und dem Zusammenschrumpfen der Produktion - in Prosperität und Krise - in dem Schließen der Fabriken und dem Entlassen von Arbeitern, sondern auch in der Empörung, dem Kampf der Arbeiter, in ihrer Eroberung der Herrschaft über Gesellschaft und Produktion zur Durchführung neuer Rechtsnormen verwirklichen sich die gesellschaftlichen Gesetze. Die Ökonomie, als Totalität der für ihre Lebensnotwendigkeit arbeitenden und strebenden Menschen, und die Politik (im weitesten Sinne), als das Wirken und Kämpfen dieser Menschen für ihre Lebensnotwendigkeit als gesamte Klasse, bilden ein einheitliches Gebiet gesetzmäßiger Entwicklung. Die Kapitalakkumulation, die Krisen, die Verelendung, die proletarische Revolution, die Besitzergreifung der Herrschaft durch die Arbeiterklasse bilden zusammen eine wie die Naturgesetze wirkende, untrennbare Einheit. Diese führt zum

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Zusammenbruch des Kapitalismus.
Die bürgerliche Denkweise, die diese Einheit nicht erfaßt, hat nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Arbeiterbewegung immer eine große Rolle gespielt. In der alten radikalen Sozialdemokratie galt die — aus den historischen Umständen verständliche - fatalistische Anschauung, die Revolution werde naturnotwendig einmal kommen, aber jetzt sollten die Arbeiter keine gefährlichen Aktionen versuchen. Der Reformismus bezweifelte die Notwendigkeit der 'gewaltsamen' Revolution und glaubte, die Vernunft der Staatsmänner und Führer werde durch Reform und Organisation das Kapital bändigen. Andre glaubten, das Proletariat müsse durch moralische Predigten zu revolutionärer Tugend erzogen werden. Immer fehlte das Bewußtsein, daß diese Tugend nur durch die ökonomischen Kräfte, die Revolution nur durch die geistigen Kräfte der Menschen ihre Naturnotwendigkeit finden. Jetzt treten andere Anschauungen auf. Der Kapitalismus hat sich einerseits gegen allen Reformismus mächtig und unangreifbar gezeigt. Alle Führerkunst und alle Revolutionsversuche: lächerlich unbedeutend erscheint dies alles gegen seine gewaltige Kraft. Aber zugleich tritt in furchtbaren Krisen seine innere Unhaltbarkeit hervor. Und wer jetzt Marx zur Hand nimmt und studiert, erfährt tief die unabwendbare Gesetzmäßigkeit des Zusammenbruchs und nimmt begeistert diesen Gedanken in sich auf.
Wenn aber seine tiefste Denkweise bürgerlich ist, kann er diese Notwendigkeit nicht anders verstehen als wie eine außermenschhiche Macht. Der Kapitalismus ist für ihn ein mechanisches System, in welchem die Menschen als Wirtschaftspersonen, Kapitalisten, Käufer, Verkäufer, Lohnempfänger etc. mitspielen, sonst aber einfach passiv zu erleiden haben, was der Mechanismus, kraft seiner inneren Struktur, über sie verhängt.
Diese mechanistische Auffassung kann man auch in den Darlegungen Großmann» über den Arbeitslohn erkennen, wo er heftig gegen Rosa Luxemburg losfährt:
" Überall begegnet man einer unglaublichen, barbarischen Verstümmelung der grundlegendsten Elemente der Marx'schen Lohntheorie. " (S. 586)
Gerade dort kritisiert er sie, wo sie vollkommen richtig den Wert der Arbeitskraft als eine mit der gewonnenen Lebenshaltung selbst dehnbare Größe behandelt. Für Großmann ist der Wert der Arbeitskraft "keine elastische, sondern eine fixe Größe" (S. 586).
Solche Willkürlichkeiten wie der Kampf der Arbeiter können keinen Einfluß darauf haben; nur bei einer größeren Intensität der Arbeit muß mehr verausgabte Arbeitskraft ersetzt werden, nur deshalb muß der Lohn steigen.
Es ist hier die gleiche maschinenmäßige Auffassung: ein Mechanismus bestimmt die ökonomischen Größen, während die kämpfenden und handelnden Menschen außerhalb dieses Zusammenhanges stehen. Er beruft sich dabei wieder auf Marx, wo dieser über den Wert der Arbeitskraft sagt:

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" Für ein bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben. " (Kapital 1, MEW 23, S. 185)
Aber er hat leider wieder übersehen, daß bei Marx dem Satz unmittelbar vorangeht:
" Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. "
Von seiner bürgerlichen Denkweise aus sagt daher Großmann in seiner Kritik verschiedener sozialdemokratischer Auffassungen:
" Wir sehen: der Zusammenbruch des Kapitalismus wurde entweder geleugnet, oder aber voluntaristisch mit politischen, außerökonomischen Momenten begründet. Ein ökonomischer Nachweis der Notwendigkeit des Zusammenbruchs des Kapitalismus wurde nicht erbracht. " (S. 58-59)
Und er zitiert zustimmend Tugan-Baranowsky*57 , daß zuerst ein strenger Beweis zu liefern sei für die Unmöglichkeit des Portbestehens des Kapitalismus und daß damit erst die Notwendigkeit der Verwandlung des Kapitalismus in sein Gegenteil bewiesen sei. Tugan selbst verneint diese Unmöglichkeit und will dem Sozialismus eine ethische Begründung geben. Daß Großmann sich diesen liberalen russischen Ökonomen, der bekanntlich dem Marxismus immer völlig fremd gegenüberstand, als Schwurzeugen wählt, zeigt, wie sehr er ihm, trotz entgegengesetztem praktischen Standpunkt, im Grunde des Denkens verwandt ist. (Vgl. auch Großmann 5. io8) Die Marx'sche Auffassung dagegen, daß der Zusammenbruch des Kapitalismus die Tat der Arbeiterklasse sein wird, also eine politische Tat ist (in der weitesten Bedeutung dieses Wortes: allgemein-gesellschaftlich, was von der Besitzergreifung der ökonomischen Herrschaft untrennbar ist), kann er nur verstehen als "voluntaristisch", d. h. dem freien Willen, der Willkür der Menschen anheim gegeben.
Der Zusammenbruch des Kapitalismus bei Marx hängt in der Tat von dem Willen der Arbeiterklasse ab; aber dieser Wille ist nicht Willkür, nicht frei, sondern selbst bestimmt durch die ökonomische Entwicklung. Die Widersprüche der kapitalistischen Ökonomie, die in der Arbeitslosigkeit, in den Krisen, in den Kriegen, in den Klassenkämpfen immer aufs neue hervortreten, bestimmen den Willen des Proletariats immer aufs neue zur Revolution. Nicht weil der Kapitalismus ökonomisch zusammenbricht und deshalb die Menschen - Arbeiter und andere - durch die Notwendigkeit gezwungen, eine neue Organisation schaffen, kommt der Sozialismus. Sondern weil der Kapitalismus, wie er lebt und wächst, für die Arbeiter stets unerträglicher wird und sie in den Kampf treibt, immer wieder, bis in ihnen der Wille und die Kraft gewachsen ist, die Kapitalherrschaft zu stürzen und eine neue Organisation aufzubauen, bricht der Kapitalismus zusammen. Nicht weil diese Unerträglichkeit von außen demonstriert, sondern weil sie spontan als solche empfunden wird, treibt sie zur Tat. Die Marx'sche Theorie - als

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Ökonomie - zeigt, wie jene Krisenerscheinungen unabwendbar immer stärker auftreten, und als Historischer Materialismus zeigt sie, daß aus den Krisen notwendig der revolutionäre Wille und die revolutionäre Tat entstehen.

1.6. DIE NEUE ARBEITERBEWEGUNG

Daß das Buch Großmanns bei den Wortführern der neuen Arbeiterbewegung einige Beachtung gefunden hat, ist verständlich, weil er sich gegen dieselben Gegner wendet wie sie. Sie hat die Sozialdemokratie und den Parteikommunismus der 3. Internationale - zwei Äste desselben Stammes - zu bekämpfen, weil diese die Arbeiterklasse an dem Kapitalismus anpassen. Großmann wirft den Theoretikern jener Richtungen vor, daß sie die Marx'schen Lehren verunstaltet und verfälscht haben, und er betont daher den notwendigen Zusammenbruch des Kapitalismus. Seine Schlußfolgerungen klingen ähnlich wie die unsrigen - Sinn und Wesen sind jedoch völlig verschieden. Wir sind auch der Meinung, daß die sozialdemokratischen Theoretiker, so gute Kenner der Theorie sie oft waren, doch die Marx'sche Lehre verunstaltet haben; aber ihr Irrtum war ein historischer, war der zur Theorie geronnene Niederschlag einer früheren Kampfperiode des Proletariats. Großmanns Irrtum ist der eines bürgerlichen Nationalökonomen, der den Kampf des Proletariats praktisch nie kannte und daher dem Wesen des Marxismus verständnislos gegenübersteht.
Ein Beispiel, wie seine Schlußfolgerungen scheinbar mit den Anschauungen der neuen Arbeiterbewegung übereinstimmen, aber im Wesen völlig entgegengesetzt sind, finden wir in seiner Lohntheorie. Nach seinem Schema tritt nach dem 35. Jahre im Zusammenbruch eine rasch steigende Arbeitslosigkeit ein. Dadurch wird der Arbeitslohn tief unter den Wert der Arbeitskraft sinken, ohne daß ein wirksamer Widerstand möglich wäre.
" Hier ist die objektive Grenze der gewerkschaftlichen Aktion gegeben. "
So bekannt dies klingt, so ist doch die Grundlage verschieden. Die schon lange eingetretene Machtlosigkeit der gewerkschaftlichen Aktion ist nicht einem ökonomischen Zusammenbruch, sondern einer gesellschaftlichen Machtverschiebung zuzuschreiben. Jedermann weiß, wie die gestiegene Macht der Unternehmerverbände des konzentrierten Großkapitals die Arbeiterklasse relativ machtloser macht. Hierzu kommt jetzt die Wirkung einer schweren Krise, die die Löhne herunterdrückt, wie das in jeder früheren Krise geschehen ist.
Der rein wirtschaftliche Zusammenbruch des Kapitalismus, den Großmann konstruiert, bedeutet nicht eine völlige Passivität des Proletariats. Penn wenn dieser Zusammenbruch stattfindet, dann muß eben die Arbeiterklasse aufstehen, um die Produktion auf neuer Grundlage wieder zu errichten.

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" So drängt die Entwicklung zur Entfaltung und zur Zuspitzung der inneren Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit, bis die Lösung nur durch den Kampf beider herbeigeführt werden kann. "
Und dieser Endkampf steht auch mit dem Lohnkampf im Zusammenhang, weil (wie schon oben erwähnt) bei Drückung des Lohnes die Katastrophe etwas aufgeschoben, bei Lohnsteigerung dagegen beschleunigt wird. Aber die ökonomische Katastrophe ist nach Großmann doch das wesentliche Moment, und die Neuregelung wird den Menschen zwangsweise aufgenötigt. Zwar werden die Arbeiter als Bevölkerungsmasse die wuchtige Kraft der Revolution ausmachen, genauso wie sie in früheren bürgerlichen Revolutionen die Massenkraft der Aktion bildeten; dies ist aber, wie bei einer Hungerrevolte, unabhängig von ihrer revolutionären Reife, von ihrer Fähigkeit, selbst die Herrschaft über die Gesellschaft in die Hand zu nehmen und zu behalten. Das bedeutet, daß eine revolutionäre Gruppe, eine Partei mit sozialistischen Zielen, als neue Herrschaft an die Stelle der alten treten muß, um irgendeine Planwirtschaft einzuführen. Diese Theorie der ökonomischen Katastrophe paßt also gerade für Intelligenzler, die die Unhaltbarkeit des Kapitalismus erkennen und eine Planwirtschaft wollen, welche durch fähige Ökonomen und Führer aufgebaut werden muß. Und man wird damit rechnen müssen, daß noch manche ähnliche Theorie aus diesen Kreisen aufkommen oder dort Beifall finden wird.
Auch auf revolutionäre Arbeiter wird die Theorie von der notwendigen Katastrophe eine gewisse Anziehungskraft ausüben. Sie sehen die übergroßen Massen des Proletariats noch an den alten Organisationen, den alten Führern, den alten Methoden hängen, blind für die Aufgaben, die die neue Entwicklung ihnen auferlegt, passiv, unbeweglich, ohne Anzeichen revolutionärer Tatkraft. Und die wenigen Revolutionäre, die die Entwicklung erkennen, möchten den dumpfen Massen eine tüchtige wirtschaftliche Katastrophe wünschen, damit sie endlich aus dem Schlaf erwachen und in Aktion treten. Auch gäbe die Theorie, daß der Kapitalismus jetzt in eine Endkrise getreten sei, eine schlagende und einfache Widerlegung des Reformismus und all der Parteiprogramme, die die Parlamentsarbeit und Gewerkschaftsbewegung voranstellen. [...] Aber so einfach und bequem ist nun einmal der Kampf nicht, auch nicht der theoretische Kampf [...]
Der Reformismus ist nicht nur in der Krise, sondern auch schon während der Prosperität eine falsche Taktik, die das Proletariat schwächt. Parlamentarismus und Gewerkschaftstaktik haben sich nicht nur in dieser Krise, sondern schon während einiger Jahrzehnte als unfähig erwiesen. Nicht wegen des ökonomischen Zusammenbruchs des Kapitalismus, sondern wegen seiner ungeheuren Machtentfaltung, seiner Ausdehnung über die ganze Erde, seiner Zuspitzung der politischen Gegensätze, seiner gewaltigen Stärkung der inneren Macht muß das Proletariat zu Massenaktionen greifen, die Kraft der ganzen Klasse aufbieten. In dieser gesellschaftlichen Machtverschiebung liegt der Grund für die Neuorientierung der Arbeiterbewegung.

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Nicht eine Endkatastrophe, aber viele Katastrophen hat die Arbeiterklasse zu erwarten, politische - wie die Kriege - und ökonomische - wie die Krisen - die periodisch bald regelmäßig, bald unregelmäßig auftreten, aber im ganzen mit dem zunehmenden Umfang des Kapitalismus immer verheerender werden. Dadurch werden die Illusionen und die Ruhetendenzen des Proletariats immer wieder zusammenbrechen, werden immer schärfere und tiefere Klassenkämpfe ausbrechen. Es erscheint als Widerspruch, daß die heutige Krise - so tief und so verheerend wie keine zuvor - nichts von einer erwachenden proletarischen Revolution zeigt. Aber die Beseitigung alter Illusionen ist ihre erste große Aufgabe:
einerseits der Illusion, durch sozialdemokratische Parlamentspolitik und gewerkschaftliche Aktion, durch Reformen den Kapitalismus erträglich zu machen; andererseits der Illusion, mittels einer sich revolutionär gebärdenden kommunistischen Partei als Führerin den Kapitalismus in einem Sturmlauf überrennen zu können. Die Arbeiterklasse selbst, als Masse, hat den Kampf zu führen, und sie hat sich noch in den neuen Kampfformen zurechtzufinden, während die Bourgeoisie ihre Macht immer fester ausbaut. Schwere Kämpfe können nicht ausbleiben. Und mag diese Krise auch abflauen, neue Krisen werden kommen und neue Kämpfe. In diesen Kämpfen wird die Arbeiterklasse ihre Kampfkraft entwikkeln, ihre Ziele herausfinden, sich schulen, sich selbständig machen und lernen, die eigenen Geschicke, d. h. die gesellschaftliche Produktion, selbst in die Hand zu nehmen. In diesem Prozeß vollzieht sich der Untergang des Kapitalismus. Die Selbstbefreiung des Proletariats ist der Zusammenbruch des Kapitalismus.

2. DIE INTELLIGENZ IM KLASSENKAMPF

Die faschistische oder nationalsozialistische Bewegung wird zumeist als Revolte des Kleinbürgertums und als neue Herrschaftsform des Großkapitals behandelt. Sie hat aber noch eine andere Seite, die Klarheit über ihr Wesen geben kann und die die Aufmerksamkeit der Arbeiter erfordert: das ist ihr Charakter als Bewegung der Intelligenz.
Die Intelligenz, die neue Mittelklasse, die Klasse der im kapitalistischen Produktionsprozeß auftretenden Zwischenschichten zwischen Bourgeoisie und Proletariat, trägt einen ganz anderen Charakter als die alte selbständige Mittelklasse, das Kleinbürgertum. Das Kleinbürgertum ist eine untergehende Klasse. Mögen auch immer wieder neue Kleinbetriebe im Kapitalismus emporschießen, oft aus neuen Bedürfnissen der Gesellschaft entstehend, wie Reparaturwerkstätten und Ladengeschäfte, sie stehen außerhalb der eigentlichen Produktion und sind oft sogar nur parasitär. Die Bedeutung dieser Klasse liegt in der Vergangenheit, ihr Blick ist nach rückwärts gerichtet. Die Rolle, die sie in den Klassenkämpfen und Revolutionen des 19. Jahrhunderts spielte, wird immer bedeutungsloser; ihre selbständige Kraft verschwindet immer mehr. Die Intelligenz dagegen ist eine neu emporkommende Klasse, deren Bedeutung mit der Entwicklung des Kapitalismus zunimmt, eine Klasse, die vorwärts blickt und ihre Kraft wachsen fühlt. Daher ist eine Betrachtung ihrer gesellschaftlichen Rolle wichtig für die Arbeiterklasse.
Formal sind die Mitglieder dieser Klasse mit den Arbeitern vergleichbar: sie verkaufen ihre Arbeitskraft und empfangen Lohn. Aber diese formale Seite entscheidet nicht über das Wesen. Die alten selbständigen Mittelständler und Handwerker waren ja oft in Wirklichkeit ausgebeutete Proletarier, obwohl sie juristisch Besitzer von Produktionsmitteln waren. In Wirklichkeit sind auch in dem neuen Mittelstand alle Zwischenschichten und Übergangsstufen zwischen Bourgeoisie und Proletariat vorhanden, angefangen bei den gelernten Arbeitern bis hin zu den Fabrikdirektoren. Die unteren Schichten sind auch im Wesen Verkäufer ihrer Arbeitskraft, einer Arbeitskraft freilich, die etwas mehr an Ausbildung gekostet hat; die oberen Schichten sind durch Abstammung, Verwandtschaft und Lebensweise mit der Bourgeoisie verflochten. Sie sind die Träger des geistigen Elements im Produktionsprozeß; sie sind die Akademiker, die Theoretiker, die Spezialisten der Kopfarbeit. In ihren Händen ruht die technische und geistige Leitung der Produktion; und auch in der politischen Führung sind sie die Sachverständigen, die die Regierungsarbeit für die Bourgeoisie, schon seit sie regiert, besorgen. Und ihre Bedeutung wächst; so wie die kapitalistischen Betriebe in der Weltökonomie ausgedehnter und verschlungener werden, die Anwendung der Wissenschaft auf Technik und Produktion tiefer und breiter wird, nimmt die Wichtigkeit ihrer Arbeit für die Gesellschaft zu. Das ist nicht nur qualitativ der Fall; auch quantitativ wird es in dem raschen relativen Wachstum ihrer Zahl deutlich.
In Deutschland stieg von 1895 bis 1907 die Zahl der Arbeiter in der

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Industrie von 6,5 Millionen auf 9,4 Millionen (also um 48 Prozent), die der Angestellten in der Industrie von 500 000 auf 1 037 000 (also um 107 Prozent). Ähnlich in anderen Ländern; und in den folgenden Jahren der zunehmenden Rationalisierung hat sich diese Entwicklung noch beschleunigt.
Es gab eine Zeit, da es schien, als ob die emporkommende Arbeiterbewegung auch die Intelligenz mit sich ziehen würde. Viele unter ihr erkannten die Richtigkeit der sozialistischen Kritik am Kapitalismus. Sie sahen nicht nur die unerträgliche Lage der Arbeiter, sondern sie sahen auch die Hilflosigkeit der Kapitalisten bei der Verteidigung des Bestehenden. Wenn die Bourgeoisie sich als die geistig führende Klasse über den unwissenden Massen aufspielen wollte, so wußte die Intelligenz nur zu gut, daß diese geistige Führung bezahlten Kräften überlassen wurde und daß der Kapitalist selbst immer mehr zum reinen Kuponschneider und Börsenjobber wurde, ohne nützliche gesellschaftliche Funktion. Sie sahen auch die junge Begeisterung für die emporkommenden Ideen des Sozialismus und Kommunismus. Der revolutionäre Idealismus der proletarischen Vorhut erhielt eine große Anzahl Sympathisierender in der Intelligenz, und eine kleinere Anzahl wurde Mitkämpfer, die sich den Zielen des Proletariats unterordneten. Allerdings die Mehrheit blieb den kapitalistischen Herren treu, hielt sich abseits vom Felde des gesellschaftlichen Kampfes, nur auf das eigene Fortkommen bedacht oder von seiner Fachspezialität ganz absorbiert. In der längeren Prosperitätszeit, die dann einsetzte, von dem wachsenden Reichtum auch ihnen wertvolle Brocken zuteilte und glänzende Ausblikke eröffnete, wuchs in der Intelligenz die bürgerlich-nationale Ideologie, die sie der sozialistischen Ideologie der Arbeiter gegenüberstellte, als Ausdruck des zurückgekehrten Selbstvertrauens der Bourgeoisie. Zur gleichen Zeit verlegte die Arbeiterbewegung sich ganz auf Reformen; sie wurde praktisch und verlor den revolutionären Idealismus, der früher die Außenstehenden anziehen konnte. Sie verlor ihre innere Kraft; und als der Kapitalismus nach dem Krieg in Niedergang und Krise geriet, war das Proletariat zu schwach, um die Herrschaft zu erobern.
Damit waren die Bedingungen für eine selbständige Klassenbewegung der Intelligenzler gegeben. Sehen wir zuerst, welche Anschauungen und Ziele ihrer Klassenlage entsprechen. Sie sehen die Zeichen der Auflösung des kapitalistischen Systems; sie fühlen am eigenen Leibe die schwere Krise; sie erkennen mehr oder weniger klar, daß der Kapitalismus keine unbeschränkte Zukunft vor sich hat, und sie ahnen, daß aus diesem Zustand gewaltige und gefährliche Konflikte hervorkommen können. Weil sie sich zugleich als geistige Führer der Gesellschaft, als die Pächter des Intellekts fühlen, als die Spezialisten des Denkens, liegt hier eine besondre Aufgabe für sie. Sie sind die Techniker, die die Arbeit, die Produktion zur höchsten Vollkommenheit emporführen. -Aber durch Kräfte, die außerhalb ihres Einflusses liegen, bricht die Produktion jämmerlich zusammen. Sie sehen nur allzu klar die Unfähigkeit des Kapitalismus: einerseits die gehirnlose Anarchie der Produktion,

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die auch ihnen selbst Arbeitslosigkeit und Armut bringt, andererseits die ungeheure Vergeudung von Arbeitskraft in technisch rückständiger Zwergarbeit.
Sie wünschen Ordnung, Organisation, Produktivität und Vernunft im gesellschaftlichen Arbeitsprozeß. Sie fühlen sich als die Gehirnmenschen die geistige Elite, die fähig und dazu bestimmt ist, durch sachgemäße wissenschaftliche Leitung die Produktion zu regeln und damit enorm zu steigern. In Amerika ist schon eine Strömung unter den Technikern und Ingenieuren aufgekommen, die mit der Losung 'Technokratie' zum Ausdruck bringt, daß die technischen Fachleute die Herrschaft über die Produktion aus den unfähigen Händen von Börsenleuten, Juristen und Politikern nehmen sollen. Eine vollständig durchgeführte Organisation der Produktion, unter allgemeiner zentraler Leitung, die dem einzelnen Kapitalisten die Macht zum Handeln nach eigener Willkür nimmt, ist eine staatssozialistische Ordnung.
So muß das naturgemäße Klassenziel der Intelligenz beschaffen sein. Es ist eine Art Sozialismus; aber es ist deshalb noch nicht gegen die Kapitalisten gerichtet. Es beabsichtigt nicht, die Kapitalisten zu expropriieren oder ihnen die Profite zu nehmen. Umgekehrt, indem es der wahnwitzigen Vergeudung und Zerstörung durch die unfähigen Privatunternehmer ein Ende bereitet, wird es die Gewinne steigern. Es soll nicht die Ausbeutung der Arbeiter, sondern nur die Anarchie der Produktion aufheben. Aber selbstverständlich wird es auch den Arbeitern dabei wohlergehen; durch die größere Produktivität der Planwirtschaft werden die Löhne höher sein können, nominell und reell, während doch zugleich höherer Mehrwert für das Kapital übrigbleibt. Wenn dann Hunger und Mangel verschwinden, wird damit zugleich - ein zweites Interesse der Bourgeoisie - der Anlaß zu Revolten und Revolutionen verschwinden.
Das Ziel ist in der Tat eine sozialistische Ordnung; nicht ein Sozialismus durch die Arbeiter, sondern ein Sozialismus für die Arbeiter. Durch die höhere Einsicht der technischen Führer wird die Welt für die Arbeiter besser gemacht. Also beileibe kein demokratischer Sozialismus; von einer Demokratie, die die Herrschaft in die Hände der unwissenden Massen legen würde, kann hierbei natürlich keine Rede sein. Die Arbeiterklasse soll nicht glauben, selbst über die Produktion herrschen und das Wirtschaftsgetriebe regeln zu können; sie hat, wie die ganze Gesellschaft, das Heil von der überlegenen Wissenschaft einer auserwählten Minorität, einer Klasse von Intelligenzlern, zu erwarten, innerhalb deren die fähigsten Leute durch ihre Fähigkeit an die Spitze geraten.
Der Sozialismus, den die Arbeiterklasse als ihr Ziel aufstellte, ist international, weil sie die Produktion und die Arbeit als Welteinheit und den Klassenkampf als eine Weltangelegenhejt sieht. Es gibt mehrere Gründe, weshalb der Sozialismus der Intelligenz national sein muß. Die Bourgeoisie ist national und sucht die nationale Einheit fest auszubauen, und die Intelligenz beabsichtigt zunächst nicht, ihre Ziele als eine der Bourgeoisie feindliche Maßnahme durchzusetzen. Die Machtorgane, die

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eventuell zur Durchführung nötig sind, bestehen auch nur als nationale Organe. Die ganze Ideologie der Intelligenz ist bürgerlich und daher national, weil sie eben diese Ideologie als eine nur-ideologische Denkweise betrachtet, ohne ihre wirtschaftliche Grundlage zu erkennen. So muß sie national-sozialistisch werden.
Der Nationalsozialismus in Deutschland ist nur eine erste primitive und rohe Form dieser Bewegung, die an eine wirkliche sozialistische Ordnung noch gar nicht denkt. Hier floß die Revolte der Intelligenz gegen die Demokratie zusammen mit den anderen kleinbürgerlichen und groß-kapitalistischen Quellen der Bewegung. Es ist bekannt, wie in Deutschland die Universitäten, die Hochschulen, die Akademiker die besten Stützpunkte des Antisemitismus und die eifrigsten Agitatoren Hitlers waren. Hier hat die Klassenbewegung der Intelligenz eine so große innere Kraft entwickelt, daß sie sogar die Masse der jüngeren Arbeiter mit sich riß. Das war nur möglich, weil durch die innere Entartung der Arbeiterbewegung in SPD und KPD die Arbeiterjugend keinen eigenen festen Klassenstandpunkt kannte. Daher schloß sie sich leicht den Zielen des Nationalsozialismus an: Organisation der Gesellschaft, Aufhebung des Parteienkampfes, Gleichschaltung der Klassen, Allmacht des Staates zum Zwecke der Ordnung der Produktion.
In der heutigen nationalsozialistischen Bewegung kann das, was oben als Klassenziel der Intelligenz dargelegt wurde, noch nicht mehr als eine Phrase sein, oder eine kaum bewußte Stimmung hinter der Phrase. Ob es mehr werden kann, wird von den Machtverhältnissen abhängen. Aber eine Macht gegen das Kapital kann die Intelligenz, sogar wenn sie sich mit dem Kleinbürgertum und dem rückständigen Teil des Proletariats verbindet, nicht sein. Die Bourgeoisie ist in Westeuropa und Amerika noch so mächtig, daß sie eine Ordnung der Wirtschaft nicht weiter zuläßt, als es das Kapital für seine Interessen zulässig erachtet. Nur wenn durch innere oder äußere Bedrängnisse, Arbeiterrevolten oder Weltkrieg, das Kapital sich stark bedroht fühlt und sich innerlich spaltet, wären die Bedingungen für eine ernsthafte sozialistische Umwälzung im nationalen Rahmen gegeben.
Anders liegt die Sache, wenn in Zukunft, gegen den Druck des faschistischen Monopolkapitals, die Arbeiterklasse sich zu neuem Kampfe erhebt und sich in siegreichen revolutionären Erhebungen durchsetzt. Dann ist das Kräfteverhältnis wieder umgekehrt: das Proletariat schleppt alle Zwischenschichten mit und die Intelligenz wird sich zu ihm fügen und mitmachen. Aber nur, weil sie diese Revolution in ihrem eignen Sinne deutet, und nur um darin ihre eigenen Ziele zu verwirklichen. Dann wird sich zeigen, daß trotz der gleichen Losungen: gegen den Kapitalismus, für Sozialismus oder Kommunismus, ein tiefer Gegensatz zwischen dem Klassenziel des Proletariats und dem Klassenziel der Intelligenz besteht. Das Proletariat hat die Wirtschaft von unten aufzubauen, durch seine unmittelbare Gewalt über Werkstatt und Produktion; es wird, unter völliger Ausschaltung und Aufhebung der Bourgeoisie mittels des Rätesystems, die demokratische Organisation der Gesamtwirtschaft und

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der Gesellschaft durchführen. Das ist die Diktatur des Proletariats. Die Intelligenz dagegen will die Revolution in einen organisierten Staatssozialismus ausmünden lassen; sie wird sich dabei stützen auf die sozialdemokratischen und parteikommunistischen Lehren, sie wird viele Arbeiterführer dieser Richtungen als Bundesgenossen an ihrer Seite finden; sie wird sich stützen auf die Macht, welche die bürgerliche Ideologie über die rückständigen Arbeiterschichten hat, die um so mehr, als sie durch langjährige Krisen demoralisiert sind, noch vor den radikalsten Zielen der kommunistischen Freiheit zurückschrecken. So wird sich ein Block bilden, der unter der Fahne des 'Sozialismus' noch einmal die Herrschaft einer herrschenden Klasse über die proletarische Masse aufrechtzuerhalten sucht. Der Kampf der Arbeiterklasse für den Kommunismus, für die völlige Herrschaft über Gesellschaft und Wirtschaft, wird dann der Kampf um die Leitung der Produktion, gegen diesen Staatssozialismus sein. *58

3. DAS WERDEN EINER NEUEN ARBEITERBEWEGUNG

3.1. DIE OHNMACHT

Die Arbeiterbewegung zeigt ein Bild der größten Verwirrung. Zahlreiche Organisationen und Strömungen bekämpfen einander, während die Hungerpeitsche der besitzenden Klassen die breiten Massen immer aufs neue geißelt. Und nach jedem Peitschenschlag steigt die Verwirrung im Lager der Arbeiter. Einheitsapostel beschwören die Arbeiter, den Bruderstreit zu beenden und gemeinschaftlich den Kampf gegen die besitzenden Klassen aufzunehmen. Sie begreifen nicht das Geringste von der ganzen Situation. Sie meinen, daß die Arbeiterklasse machtlos sei durch ihre Gespaltenheit, während in Wirklichkeit die noch stets zunehmende Zersplitterung durch die immer deutlicher werdende Ohnmacht entsteht. Bei jedem neuen Peitschenhieb demonstriert die besitzende Klasse den Arbeitermassen, daß die in den letzten 50 Jahren in mühevollen aufopfernden Kämpfen aufgebaute Arbeiterbewegung als Waffe dem Kapital gegenüber ohne jeden Wert ist. Die alte Arbeiterbewegung erweist sich - um mit H. Gorter*59 zu sprechen - als ein Schwert aus Pappe gegen einen stählernen Harnisch.
Wie kommt es nun, daß die alte Arbeiterbewegung der kapitalistischen Klasse nicht gewachsen ist? Wodurch entsteht die Ohnmacht der alten Bewegung? Wir weisen in diesem Zusammenhang zuerst auf zwei Ursachen hin. Erstens ist die alte Bewegung völlig auf die schrittweise Verbesserung der Lebenslage im Rahmen des Kapitalismus gerichtet. Das Fatale dabei ist, daß von einer Verbesserung keine Rede mehr sein kann, wenn die Kapitale nicht genügend Profit abwerfen, welcher Zustand bekanntlich in der Krisis allgemein wird. Dann entsteht die Ohnmacht nicht aus der Schwäche der Arbeiterbewegung, sondern aus der 'natürlichen' Unmöglichkeit, etwas holen zu wollen, wo nichts ist. Die zweite Ursache liegt auf anderem Gebiet; es ist die gewaltige Macht des Kapitals.
Das war nicht immer so. Früher waren die Kapitalisten in viel geringerem Maße organisiert. Darum konnten die Arbeiter auch etwas gegen die Unternehmer ausrichten, wenn sie in ihrem Berufe die Arbeit niederlegten. Dadurch waren es fast immer kleine Gruppen, die im Kampfe standen, und darum waren auch die Gewerkschaften und Berufsvereine die geeigneten Führer dieser Bewegungen. Auch wenn bei weitem nicht alle Arbeiter in den Gewerkschaften organisiert waren, so wurde doch die Führung der Gewerkschaften als eine Selbstverständlichkeit anerkannt. Die 'Bewegung der Arbeiter', d. h. der Streik von Organisierten, Unorganisierten, Christlichen usw. stellte sich unter die Führung der 'Organisierten Arbeiterbewegung'. Die 'Bewegung der Arbeiter' und die 'Arbeiterbewegung' fallen hier zusammen.
Aber im Laufe der Zeit wird das anders. Die Unternehmer vereinigen sich in Unternehmerverbänden, die Kleinbetriebe werden zu Großbetrie-

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ben, und diese verbinden sich wieder zu größeren Wirtschaftsorganisationen, wie Syndikaten, Trusts, Kartellen und Monopolen. Das Kapital bildet dadurch einen so mächtigen Block, daß die auf einzelne Berufe beschränkten Streiks der Arbeiter dagegen wirkungslos abprallten. Die Gewerkschaften trachteten. darum die Streiks zu vermeiden; sie sahen mehr und mehr ihre Aufgabe in Verhandlungen und Zusammenarbeit mit den Unternehmerverbänden, was sich schließlich zur 'Arbeitsgemeinschaft' verdichtete. Sie mußten diesen Weg wohl gehen, weil mit der alten Kampfesweise auf der Basis des Berufes nichts mehr auszurichten war.
Doch die 'Arbeitsgemeinschaft' zwischen Kapital und Arbeit kann auf die Dauer nur zur Folge haben, daß der Lebensstandard der Arbeiter den Kapitalsinteressen zum Opfer gebracht wird. Und weil die Gewerkschaftsführer, als tatsächliche Besitzer der Gewerkschaftsorganisation, überhaupt nicht imstande waren, der Macht des Kapitals etwas Gleichwertiges entgegenzustellen, mußten sie in allem zustimmen. Aber wenn die Arbeiter sich nicht an die Verträge und Abmachungen der 'Arbeitsgemeinschaft' hielten und durch wilde Streiks den Kampf selbst aufnahmen, folgte ebenso sicher die Niederlage. Die Ursache dieser Niederlagen ist darin zu suchen, daß eine Berufsgruppe viel zu schwach ist, um das Kapital niederzuringen.
Von einer Machtentfaltung gegenüber dem Kapital kann erst dann die Rede sein, wenn die Streikenden den Versuch machen, ihre beschrankte Berufsfront zu durchbrechen, wenn sie die Bewegung ausdehnen, ohne Rücksicht zu nehmen auf Berufs- oder Organisationsgrenzen, -wenn sie die ganze Arbeiterklasse mit in den Kampf hineinziehen. Erst wenn sie sich von der 'Berufsfront' zur 'Klassenfront' entwickeln, dann entfalten sie Macht.

3.2. DIE KLASSE 'AN SICH' UND DIE KLASSE 'FUR SICH'

In der kommenden Entwicklung wird die Klassenfront wachsen. Oder anders gesagt: in der Zukunft werden die Arbeiter, getrieben durch die Verhältnisse, erst in Wahrheit ihre Bindung, ihre Bewußtwerdung als Klasse finden. Denn wenn wir die Dinge sehen wollen, wie sie tatsächlich sind, dann müssen wir uns darüber klar sein, daß allerdings die Arbeiter gegenüber dem Kapital eine Klasse bilden; die Besitzenden behandeln die Arbeiter ohne Frage als totale Klasse. Die Arbeiter sind insofern eine Klasse als solche, sie bilden eine Klasse 'an sich'. Aber sie sind sich dessen nicht bewußt; es ist noch nicht tief genug durchgedrungen, daß sie als Klasse gemeinsame Interessen und Aufgaben haben. Sie bilden noch keine Klasse 'für sich'. Zwar ist schon ein unbestimmtes Gefühl von Kiassenzusammengehörigkeit vorhanden, aber es wird noch überschattet von dem Gruppengefühl; man fühlt sich mit der Berufsgruppe enger verbunden als mit der Klasse im allgemeinen.
Die revolutionären Arbeiter sind gar leicht geneigt, von der ganzen

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Klasse anzunehmen, daß sie dem revolutionären Teil gleiche. Wenn sie in Versammlungen ihre eigenen Auffassungen formulieren, dann geschieht das in der Weise: Die Arbeiterklasse wolle dieses oder jenes, sie stelle sich auf diesen oder jenen Standpunkt, sie sage dies oder das. -Aber in Wirklichkeit sagt die Arbeiterklasse nichts, sie tut nichts und stellt sich auf keinen Standpunkt. Sie ist nicht 'für' und nicht 'gegen'. Als aktive Klasse besteht sie nicht. Sie besteht wie jedes tote Ding, also passiv. Als lebendes, aktives Wesen besteht sie erst, wenn sie in Bewegung und zum Bewußtsein ihrer selbst kommt.
Ein vollkommener, unüberbrückbarer Gegensatz zwischen der Klasse 'an sich' und der Klasse 'für sich' besteht natürlich nicht. Man wird mit Recht bemerken, daß die Arbeiterklasse im verflossenen Jahrhundert mehrere Male als Klasse 'für sich' aufgetreten ist. Daß die Arbeiterklasse tatsächlich etwas dachte und etwas sagte, daß sie wohl einen Standpunkt eingenommen hat. So äußerte sich das Klassenbewußtsein in der parlamentarischen Periode im Kampf um demokratische Rechte und soziale Verbesserungen; es zeigte sich aktiv in Massenversammlungen, Demonstrationen und politischen Streiks (Massenstreiks für allgemeines Wahlrecht in Belgien, blutige Demonstrationen gegen das Dreiklassenwahlrecht in Preußen u.a.)*60
So gesehen hat es den Anschein, als ob sich die Arbeiterklasse zurückentwickelt habe und ein Klassenbewußtsein nicht mehr vorhanden sei. Doch dem ist nicht so. Auch eine Klasse kann ihre Ziele nur nach -den erreichbaren Aufgaben richten, Aufgaben, deren Durchführung im Bereich ihrer Kräfte liegt. Was für jeden Menschen im besonderen gilt, das gilt in diesem Sinne auch für die ganze Klasse. [...] Ein Arbeiter kann seine 'Ziele' nur innerhalb des Erreichbaren setzen. So steht es auch mit der Arbeiterklasse. Wenn große Teile der Arbeiterschaft in Aktion treten, dann beginnen sie diese Bewegung nicht mit dem Ziel, den Kapitalismus zu Fall zu bringen und das kommunistische Wirtschaftsleben einzuführen, weil sie nur zu gut wissen, daß das weit außerhalb der gegenwärtigen Klassenkräfte liegt. Die Arbeiterklasse handelt nicht, um die eine oder andere Theorie zu verwirklichen, sondern um diese oder jene Mißstände, die unerträglich geworden sind, aus dem Wege zu räumen. Sie kann sich darum nur begrenzte Ziele setzen, die im Rahmen ihrer jeweiligen Klassenkräfte bleiben. Wenn die Amsteriaamer Arbeiter bei den Unruhen im Jahre 1934 nicht weiter gingen, als daß sie die Polizei aus ihrem Stadtteil vertrieben, dann war daran nicht als Mangel an Klassenbewußtsein schuld, sondern ein Mangel an Kräften, die ein Weitergehen nicht zuließen.*61 Wäre diese Bewegung durch größere Streiks unterstützt worden, dann hätte sich zugleich das Ziel erweitert. Größere Kräfte machen ein weiter gestecktes Ziel möglich. Das Ziel ist nicht etwas Feststehendes, keine abgesteckte Fahrstraße, wodurch sich der Strom der Geschehnisse zu richten hat, sondern es wächst mit den Kräften. Das Ziel im Kampf ist eine Funktion der Kraftentfaltung.
Und mit den Mitteln, die die Massen im Kampf anwenden, verhält es

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sich ebenso. Die Massen sind nicht frei in der Wahl ihrer Kampfmittel, sondern sie sind an die Kraftverhältnisse der Klasse gebunden. Das Wachsen der Kräfte bei den Arbeitern hat auch ein Wachsen der anzuwendenden Mittel im Gefolge. Kraft, Mittel und Ziel stehen zueinander in Wechselbeziehung und sind in diesem Sinne untrennbar miteinander verbunden.
Dieses Verbundensein von Kraft, Mittel und Ziel muß bei allen Fragen im Auge behalten werden. Für den gegenwärtigen Zustand erklärt es das scheinbare Zurückweichen der Arbeiterklasse, das scheinbare Zurückfallen in einen Zustand ohne Klassenbewußtsein und die Zurückentwicklung von einer Klasse 'für sich' zu einer Klasse 'an sich'. Das Zurückfallen in die Passivität, die scheinbar endlose Geduld, womit alle Unterdrückung und Ausbeutung getragen wird, kann nur erklärt werden durch die Unzulänglichkeit der bis dahin im Klassenkampf angewandten Mittel; aber auch dadurch, daß die Klassenkräfte für andere Mittel noch nicht groß genug sind. Die Lösung der für die Arbeitermassen brennenden Fragen ist noch nicht im Bereich ihrer Kräfte, darum haben sie jetzt auch kein 'Ziel'. Aber dies ist kein Zurückfallen in einen Zustand ohne Klassenbewußtse.in, es ist die Vorbereitung neuer Kräfte-bildung auf neuer Grundlage, um die Lösung der Fragen in den Bereich ihrer Kräfte zu bringen. Die hoffnungslose Verwirrung und Gespaltenheit der Arbeiterklasse, der Zusammenbruch der alten Arbeiterbewegung ist in Wirklichkeit nur die Vorbereitung zu einem neuen Sprung zur Entfaltung der Klassenkräfte. Und damit wird die Arbeiterklasse wieder eine Klasse 'für sich'.
Die Arbeiter werden in der kommenden Entwicklungsperiode von einer Klasse 'an sich' zu einer Klasse 'für sich' wachsen. Nicht durch die Propaganda der Revolutionäre, sondern durch die harte Praxis des Lebens. Die besitzende Klasse macht in Zukunft stets mehr und direkt, und für die Massen sichtbarer, die Staatsmacht zum Ausbeutungsapparat. Dabei nimmt der unschuldigste Widerstand der Arbeiter unmittelbar die Form eines Kampfes gegen den Staat an und tritt dieser gegen sie auf, als ob sie schon wirkliche Revolutionäre, als ob sie klassenbewußte Arbeiter wären. Wenn die meuternden Matrosen auf dem Panzerschiff 'De zeven Provincien' in ihrer Naivität bei der Annäherung des Flugzeuges lachend an Deck standen, dann wurde ihnen durch eine fallende Bombe deutlich gemacht, daß die herrschende Klasse in solchen Dingen keinen Spaß versteht.*62 Und wenn die Bewohner des Amsterdamer Stadtteils Jordaan bei einer unschuldigen Demonstration gegen die Herabsetzung der Erwerbslosenunterstützung mit Tanks und Maschinengewehren bearbeitet werden, dann werden sie nicht behandelt als eine Gruppe von Arbeitern, die nur gegen bestimmte Maßnahmen der Regierung protestieren, sondern als ein Teil der revolutionären Klasse, die das ganze kapitalistische System zu Fall bringen will.
Das Wesentliche der kommenden Periode ist, daß die herrschenden Klassen jeden wirklichen Widerstand von seiten der Arbeiter im Blut ersticken müssen. Belagerungszustand, Aufhebung der Vereins- und

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Versammlungsfreiheit, Verbot von Zeitungen und Schriften; Tanks, Maschinengewehre, Gasbomben und Handgranaten werden die gebräuchlichen Mittel um die 'Ordnung' aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen
Die Ursache aber fur das gewalttätige Auftreten der herrschenden Klassen die den Betrug mit den demokratischen Scheinrechten fahrenläßt liegt in der zugespitzten Situation selbst. Die Bourgeoisie fühlt sehr gut, daß für die Arbeiter Grund genug vorhanden ist, um aufständisch zu werden Sie fürchtet die Revolution mehr, als die Arbeiter denken. So kommt bei dem kleinsten Widerstand sofort die Furcht zum Durchbruch, daß er größeren Umfang annehmen könne. Es gibt für sie dann nur die eine Möglichkeit, selbst den kleinsten Beginn im Keim zu ersticken. Das Wissen von der eigenen, innerlich morschen Position macht sie gegenüber jedem, noch so bedeutungslosem Widerstand mißtrauisch.
Das hilft ihr auch im Beginn. Die verschärfte Machtentfaltung der Bourgeoisie erzeugt bei den Arbeitern ein Gefühl von Ohnmacht. Sie können dem gewaltigen Machtapparat der Bourgeoisie nichts gegenüberstellen; sie fühlen nur die Unzulänglichkeit der bis jetzt angewandten Mittel. Darum fühlen sie sich schwach und machtlos. Nur Einzelne geben sich dann Rechenschaft von den neuen Verhältnissen und kommen dabei zu der Überzeugung, daß neue Mittel und Auffassungen nötig sind In verschwommenen Formen wächst dann auch bei den Massen ein derartiges Bewußtsein. Aber erst spontane, durch schweren Druck und unerträgliches Elend verursachte revolutionäre Ausbrüche zeigen den Massen ihre eigene Kraft, und das Vertrauen in diese Kraft beginnt erneut zu wachsen.
Die Bourgeoisie macht aus jedem Widerstand einen politischen Machtkampf Aber damit bringt sie selbst den Kampf auf eine viel breitere Front Denn während es zuerst um die Interessen dieser oder jener Arbeitergruppe ging, zieht sie nun selbst durch ihre politischen und militärischen Maßnahmen andere Gruppen in den Konflikt hinein. Die Bourgeoisie bringt den Kampf von der Berufsfront zur Klassenfront. Sie schweißt die Arbeiter von einer Klasse 'an sich' zusammen zur Klasse 'für sich'.
Dieses Auftreten der besitzenden Klasse geschieht keineswegs aus 'freiem Willen'. Was sie treibt, das ist der Zustand des Kapitalismus selbst Die kapitalistische Produktion, und damit auch das Gesellschaftsleben kann nur funktionieren, wenn sie genügend Profit abwirft. Fehlen die nötigen Profite, dann kommt ein größerer Teil der Produktion zum Erliegen. Die Schaffung neuer Profitbasen ist darum die erste Forderung der besitzenden Klasse. Dabei werden die Interessen des Großkapitals in erster Linie berücksichtigt, weil sie den wichtigsten Teil des gesellschaftlichen Lebens bestreiten. Darum wird auch die Führung des Gesellschaftslebens dem Großkapital übertragen. Oder anders gesagt: Die Konzentration des Wirtschaftslebens findet ihren politischen Ausdruck in der Konzentration der politischen Macht in der Hand Einzelner. Und neben der Konzentration der politischen Macht in der Hand einzel-

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ner mächtiger Kapitalgruppen, die den Staat beherrschen, erscheint die Notwendigkeit, die Lebenslage der Arbeitermassen herabzudrücken, um die Rentabilität des Kapitals wiederherzustellen. Diese Entwicklung ist die Entwicklung zum Faschismus und Nationalsozialismus;. sie ist unvermeidlich im Gefolge des Monopolkapitals. Sie ist gleichbedeutend mit dem Ende der demokratischen Entwicklung der Gesellschaft. Die 'demokratischen Rechte' - Wahlrecht, Organisationsrecht, Versammlungsfreiheit usw. - können nicht mehr geduldet werden. Es sind Rechte, die nur Organisationen, Gruppen oder Personen zugestanden werden, die sich bedingungslos der Politik des Monopol-Kapitals unterwerfen.

3.3. DER NATIONALSOZIALISMUS

Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob sich die Arbeiter dem Drang zur unverhüllten Diktatur des Großkapitals entgegenstellen. Doch ist das nicht so. Es ist umgekehrt sehr wahrscheinlich, daß große Teile der Arbeiter in West-Europa und Amerika diese Entwicklung kräftig unterstützen. Die Massen denken im großen und ganzen noch vollkommen bürgerlich, weil eben die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander in bürgerlich-kapitalistischen Formen ablaufen. Erst wenn diese Gesellschaftsordnung sich in den notwendig kommenden Zusammenstößen auflöst, wenn sich die bürgerlich-kapitalistische Ordnung als absolut unfähig erweist, die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu regeln, dann wird sich auch das Denken der Massen verändern. Solange aber noch die besitzende Klasse unter der Führung des Großkapitals den Konkurrenzkampf fortsetzt, so lange ist sie in ihrem Lebenselement und reißt auch die Massen in diesem Kampfe mit sich fort. Der tiefere, ökonomische Sinn des Nationalsozialismus ist doch nur, daß er die Ordnung, die Organisation schafft, mit welcher das Monopol-Kapital den Konkurrenzkampf auf erhöhter Stufe fortsetzt. Die Einheit der Nation, die 'Volksgemeinschaft', wird so zu dem 'erhabenen Ziel', dem sich alle besonderen Gruppen- und Klasseninteressen unterzuordnen haben. Sie wird das Instrument, mit dem das Monopol-Kapital seine ökonomischen und schließlich auch seine militärischen Kämpfe führt. Von jedem Einzelnen wird verlangt, daß er am Aufbau des Wirtschaftslebens mitarbeitet, um 'Brot und Arbeit für alle zu schaffen'. Die Besitzenden müssen ebenso ihre Interessen dem 'Volksganzen' unterordnen, nicht ihre besonderen Interessen im Auge haben (hinter dieser Phrase versteckt sich der Kampf des Großkapitals gegen die kleineren Kapitale). Daß auch die Arbeiter ihre besonderen Gruppen-Interessen zugunsten des 'Volksganzen' fahrenlassen müssen, versteht sich von selbst, denn: "Wenn es der Gesamtwirtschaft gut geht, kann es dem Arbeiter nicht schlecht gehen." Und schließlich muß dann, um den Aufbau einer solchen 'Volksgemeinschaft' sicherzustellen, jede Propaganda, die dagegen gerichtet ist, unterdrückt werden (Aufhebung der Demokratie).

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Diese Phraseologie knüpft offensichtlich an das Denken breiter Massen an. Die Arbeiter, die unter dem Einfluß der christlichen und neutra- len Gewerkschaften stehen, hatten schon immer die 'Volksgemeinschaft' als ideologische Grundlage. Die Sozialdemokratie und die sogen. freien Gewerkschaften andererseits hatten wohl eine Sprache, die dem Marxismus — der Wissenschaft des KIassenkampfes — entlehnt war, aber ihre ganze Theorie und Praxis hatte schließlich doch die 'Volksgemeinschaft' als zentralen Punkt.*63 Alle bis dahin bekannt gewordenen Sozialisierungspläne -auch der 'Plan de Man' der belgischen Arbeiterpartei - haben 'die Volksgemeinschaft' zur Basis.*64 Man sagt sicher nicht zu viel, wenn man konstatiert, daß dergleichen Auffassungen über die Volksgemeinschaft das Denken großer Massen in West-Europa und Amerika beherrschen. Nur insofern die Bourgeoisie bei der Durchführung der neuen Ordnung die Demokratie aufhebt, stößt sie auf Widerstand, aber in der Praxis wird sich zeigen, daß dieser nicht sehr groß sein wird. Die jetzt lebende junge Generation hat von der Demokratie noch nicht viel Gutes gesehen und wird zu ihrer Verteidigung auch wohl kaum eine Hand erheben. Sie verlangt die Lösung der täglichen Probleme; wenn es möglich ist, mit der Demokratie, wenn es besser ohne diese geht, dann sind sie damit auch zufrieden.

3.4. DER KAMPF PUR DIE DEMOKRATISCHEN RECHTE

Wie müssen sich nun die revolutionären Arbeiter zu der Aufhebung der bürgerlich-demokratischen Rechte verhalten? Ist es 'harte revolutionäre Pflicht', die politische Rechte bis zum äußersten zu verteidigen, wie die 'Fakkel' vom i. Februar schrieb (Organ der O.S.P.)?*65 Wir sagen nein! Wir sind der Ansicht, daß, wer für die 'demokratischen Rechte' kämpft, eine verlorene Sache verteidigt. Die Demokratie ist in einer Gesellschaft, in der das Kapital in wenigen Händen konzentriert ist, nicht am Platze. Die Demokratie gehört in eine Gesellschaft, wo der Kleinbesitz vorherrscht, der auf diesem Wege seine gegensätzlichen Interessen vertritt. Aber wenn die Konzentration im Wirtschaftsleben sich durchsetzt, dann muß dieser Prozeß notwendigerweise auch auf politischem Gebiet folgen. Es ist eine bekannte marxistische Regel, daß die Entwicklung in der materiellen Grundlage der Gesellschaft sich auch in ihrer Politik widerspiegelt. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die politische Herrschaft des Monopolkapitals ein notwendiges Geschehen. Bei der Herrschaft des Großkapitals ist ein 'Zurück' zur Demokratie unmöglich, ebenso wie im Augenblick ein Zurückgehen zum Kleinbetrieb unmöglich ist. Wer heute für demokratische Rechte kämpft, versucht das Rad der Geschichte zurückzudrehen, ebenso wie die Handweber vor hundert Jahren, als sie die Fabriken stürmten, um die Maschinen zu vernichten. Oder auch wie die Hafenarbeiter, die streikten, um die Einführung der Getreide-Elevatoren zu verhindern. Man könnte ebensogut einen Verein zur Verhinderung von Sonnenfinsternissen errichten.

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Eine vorwärtsstrebende Klasse kann sich nur Ziele, die im Zuge der Entwicklung liegen, setzen. Die neue Arbeiterbewegung muß den Blick nach vorne richten. Sie hat keine Ursache, der verlorenen guten alten Zeit nachzutrauern; die neuen Verhältnisse sind für sie richtunggebend. Es darf bei ihr kein Zweifel darüber bestehen, daß die bürgerlich-demokratische Periode endgültig vorbei ist, weil sie mit der Konzentration der Wirtschaft nicht übereinstimmt. Eine neue Arbeiterbewegung kann erst dort beginnen, wo erkannt wird, daß die bürgerliche Demokratie wirtschaftlich, und darum auch politisch, unmöglich geworden ist und daß die Arbeiterklasse eine andere Demokratie erobern muß, und zwar die Demokratie der Arbeiterklasse.
Die Entwicklung zur absoluten Herrschaft des Monopolkapitals ist eine Tatsache, und die Aufhebung der Demokratie ist es nicht weniger, wenn auch bei der Art und Weise, wie dieses geschieht, verschiedene Möglichkeiten offenstehen. Die Groß-Bourgeoisie hat die Demokratie als eine für ihre Zwecke unbrauchbare Waffe zur Seite gelegt, um sie später wahrscheinlich noch einmal aus der Rumpelkammer hervorzuholen. Sie wird danach greifen, wenn die Arbeiter in Massenbewegungen aufmarschieren und den Kapitalismus ernsthaft bedrohen. Dann kann die Demokratie noch einmal ihre Dienste erweisen, indem sie die Arbeiter verwirrt und spaltet, um so der drohenden Revolution zu begegnen. Dann wird die bürgerliche Demokratie für die Arbeiter erneut von Bedeutung, aber nicht indem sie sich für ihre Wiederherstellung einsetzen, sondern indem sie dieselbe bekämpfen. Die proletarische Revolution muß die bürgerliche Demokratie ebenso überwinden wie die absolute Herrschaft des Monopolkapitals; sie kann nur siegen unter der Herrschaft der Arbeiterräte, unter der Demokratie der Arbeiterklasse.
Der Kampf für die demokratischen Rechte unter den heutigen Verhältnissen trägt utopischen Charakter. Aber nicht nur das: er ist auch offensichtlich unmöglich. Welchen Sinn hat es, eine Faust machen zu wollen, wenn man nicht einmal eine Hand dazu hat? Vor Großsprecherei in Versammlungen, operettenhaften Massendemonstrationen oder einem Streik hier und dort, womit man die Rechte der Demokratie verteidigen will, weicht die Bourgeoisie keinen Schritt zurück. Für die Niederkämpfung der Groß-Bourgeoisie sind andere Kräfte nötig.
Wir müssen der bitteren Wahrheit ins Gesicht sehen, daß die Massen die neue, ihnen eigene Form des Kampfes noch finden müssen. Die alten Methoden des Kampfes — die Wahlen, die Demonstration, die Protestversammlung, die Petitionen, der auf Berufe beschränkte Streik - mit oder ohne Führung der Gewerkschaften - der örtliche Aufstand von einzelnen, bewaffneten Gruppen, wie heroisch dieser auch ausgefochten sein mag -, es ist ihnen alles wie ein gebrochenes Schwert aus der Hand geschlagen. Sie haben keine größere Wirkung wie eine Revolverkugel gegen eine 40 mm-Panzerplatte. Die große Masse der Arbeiter weiß dies sehr gut, und darum ist auch von irgendwelchem Widerstand nichts zu bemerken, während doch der Hungerriemen immer enger geschnallt werden muß.

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Nicht weniger wahr ist, daß im Klassenkampf der Gegenwart und Zukunft Hunderttausende, ja Millionen aufmarschieren müssen, um den Machtapparat der besitzenden Klasse zu erschüttern. Auch dies weiß die große Masse sehr gut, und sie weiß ebensogut, daß noch kein geistiges Band, kein Lebensprinzip vorhanden ist, wodurch die Millionen im Kampf vereint werden.
Hier liegt der wesentliche Unterschied zwischen dem Kampf in der zu Ende gehenden Periode und dem, der jetzt beginnt. Bis jetzt kämpften die Arbeitergruppen jede für sich, und was sie trieb, das war die Wahrnehmung ihrer Berufsinteressen als Metallarbeiter, Hafenarbeiter, Transportarbeiter usw. Es waren keine allgemeinen Klasseninteressen, und dazu hatten sie auch kein großes, sie zur Einheit verbindendes Prinzip nötig. Ein organisatorischer Apparat genügte, um den Kampf zu führen und ihm Richtung zu geben.
Aber der Führung des Kampfes der Millionen, die jetzt auftreten müssen, ist kein organisatorischer Apparat gewachsen. Und doch müssen sich die Millionen in einer Richtung bewegen, in ein gemeinschaftliches Strombett geleitet werden, wenn sie zum gemeinschaftlichen Handeln kommen sollen. Und weil ein organisatorischer Apparat dazu nicht imstande ist, muß durch etwas anderes diese Funktion verrichtet werden. Das geschieht, wenn in und durch den Kampf ein neues Lebensprinzip in den Massen erwächst. Es entsteht nicht durch Predigen, man kann es nicht von außen den Massen aufdrängen oder wie eine Flüssigkeit in ein leeres Faß hineingießen. Die große Einheit der gleichgerichteten Klassenkräfte wächst im Kampf und durch den Kampf, und sie kann sich nur festigen und von Dauer bleiben, wenn sich das Selbsthandeln von unten auf, in neuen organisatorischen Formen bahnbricht, wenn sich die Organisationen durchsetzen, die im Befreiungskampf das Selbsthandeln zur ganzen Tat vereinen, die Bindeglieder sind im Kampfe um die Freiheit, und hierbei erwächst ein Bewußtsein, das diese Freiheit, dieses Herr-Sein über die eigene Arbeit, über die Arbeitsmittel, über die gesellschaftliche Produktion überhaupt, zum Inhalt hat. Es ist die Umwälzung der Gedankenwelt der unterdrückten Klasse zum Kommunismus. Alle Erfahrung des Kampfes, die auf die Beherrschung der Klassenkraft gerichtet ist, findet in den Massen ihren Niederschlag als Klasseneinheit, Freiheitskampf, Kommunismus. Es wird so ein neues Lebensprinzip, wodurch die Massen fester verbunden, zu größerer Aufopferung und größerem Mut getrieben werden, mehr Disziplin und Solidarität zu üben wissen, als eine feste, formelle Organisation jemals von ihnen verlangen konnte.
Der Kommunismus ist, so gesehen, nichts anderes als die Selbstbefreiung der Massen, sie müssen selbstbewußt, d. h. in diesem Sinne kommunistisch sein. Hier unterscheiden sich die russischen Kommunisten und die von ihnen beeinflußte dritte Internationale von dem Kampf der ‘Arbeiterklasse um den Kommunismus. Sie sind der Ansicht, daß es ge~iüge, wenn die Masse die kommunistische Partei zur Regierungspartei macht, und daß diese, einmal im Besitz der politischen Macht, den Kom-

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munismus aufbaut. Die Massen sind ihnen das Werkzeug, das von der Partei angewandt wird. Wer so den Kommunismus auffaßt, kann damit auch die Lohnarbeit verbinden und findet auch noch kein Haar in der Suppe, wenn die dritte Internationale mit Charakterlosigkeit und Betrug gegenüber den eigenen Genossen zusammengekittet ist. Die neue, revolutionäre Arbeiterbewegung aber muß den Kommunismus wieder mit der Hingabe für die Klasse verbinden. Sie hat die Treue und die Kameradschaft nötig; sie muß helfen bei der Überwindung der Lohnarbeit, indem sie die Beherrschung des gesellschaftlichen Lebens durch die große breite Masse selbst befördert. Dann erst ist schließlich sowohl die Diktatur als auch die 'Demokratie' einer herrschenden Schicht gegenstandslos geworden.

3.5. KLASSENKAMPF UND KOMMUNISMUS

Eine neue Arbeiterbewegung wird in ihrer Propaganda das Wort Kommunismus kaum mehr nötig haben, und zwar, weil der allgemeine Begriff 'Kommunismus' konkretere Formen annimmt. Die allgemeine Formulierung, daß er ein neues ökonomisches System ist, in dem das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist, genügt nicht mehr. Das 'neue ökonomische System' der Theorie war bis dahin ein leeres Gefäß, es lebte nicht. Es beginnt jetzt im Klassenkampf, wo es darum geht, die gesellschaftlichen Kräfte durch die Menschen selbst zu beherrschen, mit konkreten Dingen, mit Leben zu füllen. Wenn wir uns bis dahin vom Kommunismus als einem ökonomischen System eine Vorstellung gemacht haben, dann sehen wir jetzt schon, daß wir nur eine Seite im Auge hatten, nur einen schwachen Abglanz von den Problemen sahen. So wie die Naturwissenschaft auf dem Wege der Technik für die Gesellschaft die Naturkräfte unterworfen hat, so muß die Menschheit die gesellschaftlichen Kräfte leiten und beherrschen. Die Menschheit muß diese gesellschaftlichen Kräfte, die sie selbst erzeugt und wovon sie heimgesucht wird wie von blinden Naturprozessen, erkennen lernen und unterwerfen. Die Menschen selbst müssen alle gesellschaftlichen Kräfte leiten und beherrschen. Dazu aber ist es notwendig, daß alle Funktionen im gesellschaftlichen Leben von den Massen unmittelbar ausgeübt werden; die Organe - von den Massen dazu geschaffen - sind nicht mehr als besondere Herrschaftsorgane von ihnen zu trennen. Sie können nur das Instrument sein, womit die Massen verwirklichen, was sie in gemeinschaftlicher Beratung beschlossen haben. Das erst ist der eigentliche Inhalt der Arbeiterräte. Darum ist auch die Durchführung des Kommunismus zugleich die Durchführung der Arbeiter-Demokratie. Die Verwaltung der ökonomisch-gesellschaftlichen Kräfte erscheint in diesem Zusammenhang wohl als die materielle Unterlage der Gesellschaft, aber doch nur als ein Teil der kommunistischen Gesellschaft, die als Ganzes weit darüber hinaus geht.
So gesehen beginnt die Entwicklung des Kommunismus nicht erst

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dann, wenn die Arbeiter die Macht in der Gesellschaft erobert haben und eme neue Ordnung im Wirtschaftsleben durchführen. Sie beginnt schon jetzt, heute schon, wenn die Arbeiter im Klassenkampf ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen und ihre Kämpfe selbst führen. Dort wird die Arbeiter-Demokratie geboren, die die gesellschaftlichen Kräfte beherrscht. So wächst in der Selbstbewegung der Massen der Kommunismus heran; es ist ein Entwicklungsprozeß, in dem die Massen ihre eigenen Klassenkräfte führen und zielbewußt anwenden lernen. Und erst dann, wenn die Arbeiterklasse ihre eigenen Klassenkräfte in der Hand hat, dann erst ist sie imstande, auch die wirtschaftlichen Kräfte der Gesellschaft zu leiten und zu verwalten. In diesem Sinne wird auch der Ausspruch von Karl Marx zur Wahrheit, daß die neue Gesellschaft im Schoße der alten geboren wird.
Hiermit ist für den Kommunismus die einfachste, aber auch zugleich wesentlichste Formel gefunden. Sie kann von jedem Arbeiter ohne weiteres begriffen werden, wenn er auch ihre praktische Durchführung noch so sehr anzweifelt. Zugleich wird damit deutlich, daß die sogenannte Diktatur des Proletariats, wovor bürgerliche Trabanten die Arbeiter graulich machen, in Wahrheit nichts anderes ist als die Demokratie der Arbeiter. Aber jeder Arbeiter begreift auch, daß diese Arbeiter-Demokratie nichts mit dem Wahlrecht zu bürgerlichen Parlamenten zu tun hat. Die Verteidigung des allgemeinen Wahlrechtes als eine Verteidigung der demokratischen Rechte der Arbeiterklasse zu propagieren bedeutet daher auch nichts anderes, als dem Erkennen wirklicher demokratischer Rechte entgegenzuarbeiten.
Die Beherrschung der eigenen Klassenkräfte durch die Masse wird nicht durch Propaganda hervorgerufen; die harte Praxis des Lebens drängt die Massen in diese Richtung. Die demokratische Periode ist praktisch international abgeschlossen. Legale Organisationen können nur noch versuchen, beginnende Klassenaktionen so schnell wie möglich einzudämmen. In einer Reihe von Niederlagen befreit sich die Arbeiter-Masse von dieser Führung.
Unter diesen Bedingungen entsteht die neue Arbeiterbewegung mit völlig neuen Prinzipien. Es sind kleine illegale Gruppen, die das Wesentliche des Befreiungskampfes in der selbständigen Bewegung der Massen sehen. Darum erstreben sie auch nicht die Macht für ihre Partei oder Gruppe; nicht ihre Organisation soll stark werden, sondern die Klasse.
Das Werden der Selbständigkeit der Massen ist ein langwieriger Prozeß, der sich in einer wahren Hölle vollzieht. Denn noch niemals in der Geschichte der Menschheit stand eine unterdrückte Klasse einem so mächtigen Feinde gegenüber, noch niemals einer solch mörderischen Macht; noch niemals zuvor war eine solche umfangreiche, alles umfassende Aufgabe, wie die Beherrschung der gesellschaftlichen Kräfte der Welt, zu lösen. Und doch muß die Arbeiterklasse diesen gewaltigen Streit aus-fechten, weil er nicht zu umgehen ist und es keine andere Macht gibt, die es kann. Denn die entfesselten Kräfte der kapitalistischen Gesellschaft bedrohen die ganze Menschheit mit Vernichtung. Die ganze

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Menschheit sieht mit Angst und Beben dem näherkommenden Massenmord des Krieges mit vergifteten Gasen und Pestbazillen entgegen dem Resultat der durch die kapitalistische Produktion entfesselten, unbeherrschten gesellschaftlichen Kräfte. Niemand will diesen Massenmord, und doch ist jeder davon überzeugt, daß er schon in beängstigender Nähe ist und schließlich wie ein unabwendbares Unwetter losbrechen wird. Es ist ein Wahnsinn, den niemand will und der doch mit der Sicherheit einer Naturkatastrophe über die Welt heult. Und weil dies so ist, muß um die Beherrschung der gesellschaftlichen Kräfte gekämpft werden. Auch wenn in einem zweiten Weltkrieg ganze Völker vernichtet sind, dann bleibt noch immer die Beherrschung der gesellschaftlichen Kräfte als Problem, das noch nicht gelöst ist. Neue, noch schrecklichere Katastrophen tauchen am Horizont auf. Darum ist die Beherrschung der gesellschaftlichen Kräfte durch die Massen selbst das Problem von heute und auch der kommenden Zeit.
Allein die Arbeiterklasse mit ihrer Millionenmacht kann diese Aufgabe erfüllen. Sie ist die produktive Klasse im Kapitalismus, und sie ist als solche allein imstande, die gesellschaftlichen Produktivkräfte zu beherrschen. Das aber ist der wichtigste Teil der Aufgabe, denn die Produktivkräfte sind der Bronn, aus dem alle anderen gesellschaftlichen Kräfte gespeist werden.
Die Arbeiterklasse ist hierbei auf sich allein angewiesen. Sozialdemokraten und III. Internationale rufen die Intellektuellen und den Mittelstand zu Hilfe, um die Produktivkräfte zu zähmen. Sie suchen Hilfe dort, wo keine zu finden ist. Der Versuch zur Beherrschung der Produktivkräfte durch Intellektuelle und Mittelschichten nimmt die Form der nationalen Beherrschung der Arbeiterklasse an, er endet im Nationalsozialismus. Nicht die Produktivkräfte werden gezähmt, sondern die einzige Kraft, die dazu imstande ist, wird unterworfen, und dadurch werden die Gegensätze im internationalen Maßstabe verschärft. Das Her-aufziehen neuer Weltkatastrophen wird dadurch beschleunigt.
Die Arbeiterklasse, die den Mehrwert erzeugt, kann auch einzig und allein die Quelle des Mehrwertes zum Versiegen bringen, indem sie die Lohnarbeit unmöglich macht und neue Bewegungsgesetze für die gesellschaftliche Produktion durchsetzt. Natürlich werden auch die Mittel-schichten und die Intellektuellen durch die unbeherrschten gesellschaftlichen Kräfte mit dem Untergang bedroht. Aber sie können als Klasse, die vom Mehrwert zehrt, dort keinen Hilfstrupp bilden, wo mit der Durchführung neuer Bewegungsgesetze für die gesellschaftliche Produktion die Quelle des Mehrwertes selbst aufgehoben wird. Die Existenz der Intellektuellen und Mittelschichten als einer besonderen Schicht basiert auf der Lohnarbeit für die Arbeiterklasse, sie können dort kein Bundgenosse sein, wo es darum geht, die Lohnarbeit abzuschaffen. Die erste Vorbedingung dazu ist, daß die Arbeiterklasse selbst ein Machtfaktor wird. Wenn gewaltige Arbeitermassen kämpfend auftreten und sich die neue, alles überwindende Kraft der Arbeiterklasse offenbart, dann wird sie auch zu dem Magnet, der die zerstreuten revolutionären

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Kräfte aus allen anderen Schichten der Bevölkerung zu sich heranzieht. Nicht eher. Die Suche nach dem Anschluß an die Mittelschichten oder die Intellektuellen führt zum Gegenteil von dem, was man beabsichtigt. Die Arbeiterklasse hat stolz auf ihre Fahne zu schreiben: Nur die Arbeiterklasse und nur die Arbeiterklasse allein! Damit werden dann die Voraussetzungen geschaffen für das Überlaufen wichtiger Gruppen aus den Intellektuellen- und Mittelschichten. Klassenmacht brauchen wir! Klassenmacht!

3.6. DIE SELBSTBEWEGUNG DER MASSEN

a) Bedeutung der Massenbewegung

Die besitzende Klasse wird durch die direkte Aktion in der Form der Massenbewegung unmittelbar bedroht. Vorläufig noch nicht durch ihre Kraft oder ihren Umfang, denn die Massen ringen noch mit der Tradition, sie machen sich nur langsam von der Partei- und Gewerkschaftspolitik frei. Darum kann die besitzende Klasse die kommenden Bewegungen auch noch ziemlich leicht unterdrücken. Die Gefahr besteht für sie denn auch nicht darin, daß die Macht der Besitzenden direkt bedroht] wird, sondern daß keine selbständige Bewegung der Arbeiter möglich ist ohne Überschreitung der gesetzlichen Schranken. - Die selbständige; Bewegung der Arbeiter entwickelt ihre eigenen Gesetze, wonach sie sich richtet und handelt, und diese haben die ausgesprochene Tendenz, die gellschaftlichen Produktivkräfte in eigene Verwaltung zu nehmen. Weil sich in der Massenbewegung zeigt, daß die Massen, wenn sie ihre Klassenkraft bewußt anwenden, dies tun, um sich der gesellschaftlichen Produktivkräfte zu bemächtigen, weil die Beherrschung der Klassenkräfte die Verwaltung der Produktivkräfte einschließt, darum bleibt der besitzenden Klasse keine Wahl. Sie muß diese Bewegungen sofort mit den schärfsten Mitteln unterdrücken.
Sobald hier oder dort eine selbständige Streikbewegung entsteht, antwortet die Bourgeoisie darauf ohne weiteres mit dem Belagerungszustand. Zeitungen, Organisationen, Versammlungen werden verboten, Wenn sie nicht schon vorher unterdrückt sind. Aber wenn eine Bewegung sich entwickelt, dann widersetzt sie sich solcher Unterdrückung. Es werden doch Versammlungen abgehalten und Zeitungen herausgegeben. Das aber bedeutet, den Kampf gegen die Staatsmacht aufzunehmen. Schrecken die Arbeiter vor diesem Kampf zurück, dann ist auch die Bewegung mit Erfolg von der herrschenden Klasse unterdrückt. Aber sobald Widerstand geboten wird, setzt sich auch die Eigengesetzlichkeit der Bewegung durch. Im Streikgebiet, wo die Arbeiter etwas zu sagen haben, gilt ein anderes Gesetz als außerhalb. - Diese andere Gesetzlichkeit offenbart sich unter anderem darin, daß im Streikgebiet die Gesetze zum Schutze des Privateigentums keine Gültigkeit mehr haben können. Und zwar nicht, weil die kämpfenden Arbeiter bewußte Kornmunisten sind, die sich leiten lassen von dem Gedanken, die gesellschaft-

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lichen Produktivkräfte in den Dienst der Arbeiterklasse zu stellen, sondern weil es nicht anders geht, weil der Kampf selbst es notwendig macht. Der erwähnte, ziemlich unschuldige Jordaan-Konflikt im Juli 1934 in Amsterdam ist in dieser Hinsicht sehr lehrreich. Im Kampf gegen Polizei und bewaffnete Macht zogen die Arbeiter Brücken hoch, errichteten Barrikaden und Hindernisse, um den Polizei-Autos das Fahren unmöglich zu machen, an den Straßenecken begossen sie die Straße mit Maschinenöl, so daß die schnell fahrenden Autos ausglitten. Hier zeigte sich die Kraft der Klasse in Aktion. Aber sie konnte nicht handelnd auftreten, ohne die Grenzen des Pnivatbesitzes zu durchbrechen. Es waren Schaufeln, Stacheldraht usw. nötig für die Errichtung der Barrikaden, sie wurden aus einem Eisenwarengeschäft genommen. Das Maschinenöl wurde einigen Garagen entnommen. Außerdem wurden ein paar Geschäfte geplündert zur größten Entrüstung der Kommunistischen Partei, die der Meinung war, daß der 'Mittelstand' nicht geschädigt werden dürfe.
Wie begrenzt, stümperhaft und unreif diese Bewegung auch war, sie läßt trotzdem die wichtigsten Kennzeichen einer Massenbewegung erkennen. Schon im Vorhergehenden wiesen wir auf den innigen Zusammenhang zwischen Kräften, Mitteln und Ziel hin. Wären die Kräfte größer gewesen, hätten z. B. größere Streiks sie unterstützt -dann hätte mit dem Wachsen der Kräfte zugleich ein Wachsen der angewandten Mittel stattgefunden. Man hätte dann mehr nehmen müssen, z. B. Versammlungslokale, Druckereien, Frachtautos usw. Und dauert eine solche Bewegung etwas länger, dann muß vor allem für die Ernährung des Streikgebiets gesorgt werden, so daß die Beschlagnahmung von Lebensmitteln nur selbstverständlich wird. Ja, es wird selbst notwendig sein, verschiedene Industriezweige für die revolutionäre Bewegung arbeiten zu lassen (Asturien/Spanien 1934, Ruhrgebiet 1920). Damit aber ist gesagt, daß eine Massenbewegung sich nur entwickeln kann, indem sie die Gesetze zum Schutze des Privatbesitzes durchbricht und einen Teil des Wirtschaftslebens in eigene Leitung nimmt. In den Massenbewegungen zeigt sich im Prinzip, was später einmal in der ganzen Gesellschaft Wirklichkeit werden wird. Es offenbart sich in ihnen, daß die Massen mit ihrer Klassenkraft nichts beginnen können, wenn sie nicht zugleich die Produktivkräfte sich dienstbar machen. Beides gehört zusammen.
Solange die Massenbewegungen noch klein sind und noch an der Oberfläche bleiben, so lange tritt die Tendenz nach der Beherrschung aller gesellschaftlichen Kräfte nicht so deutlich in Erscheinung. Aber werden diese Bewegungen größer, dann werden auch stets neue Funktionen von den kämpfenden Massen übernommen, ihr Wirkungsbereich dehnt sich aus. Und in dieser kämpfenden Masse vollziehen sich dann vollkommen neue Beziehungen zwischen den Menschen und dem Produktionsprozeß. Es entwickelt sich eine neue 'Ordnung'. Das sind die wesentlichen Kennzeichen der selbständigen Klassenbewegungen, und sie sind denn auch der Schrecken der Bourgeoisie.
Die Entwicklung der Massenbewegung ist deshalb eine Entwicklung zur allmählichen Beherrschung der Klassenkräfte und damit auch des ge-

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sellschaftlichen Lebens. Aber dieses 'nach und nach', dies schrittweise Werden, geschieht so, daß das einmal Erreichte bleibt, um darauf weiterzubauen. Was an direkten Erfolgen erreicht wird, bricht immer wieder in sich zusammen. Was bleibt, das ist die Erfahrung. Jede Massenbewegung entwickelt sich von neuem auf der Erfahrung der vorhergehenden Bewegungen. So entstehen verschiedene Kampfmaßnahmen zur Ausdehnung der Bewegungen, für die Beschaffung von benötigtem Material, zur Organisierung der Verteidigung, für die Verteilung von Lebensmitteln usw., die als eine Selbstverständlichkeit angesehen werden. Es sind Dinge, über die man dann nicht mehr diskutiert, weil sie durch die Erfahrung, durch die wiederholte Anwendung zum natürlichen Gedanken-Inhalt der Massen geworden sind. So, wie heute keine großen Debatten mehr geführt werden, wenn es gilt, bei einem Streik Posten aufzustellen, um die Streikbrecher abzufangen, weil es sich 'von selbst' versteht, so ziehen die Massen dann alle Funktionen des gesellschaftlichen Lebens an -sich, ohne lange darüber zu beraten.
Die Unterdrückung einer Massenbewegung ist darum auch nur eine teilweise Niederlage der Arbeiterklasse. Denn eine solche Niederlage offenbart neben der augenblicklichen Ohnmacht auch die wachsende Macht; es ist nur die Niederlage des jungen Riesen, der noch nicht ausgereiften Kraft.

b) Die Ausdehnung

Eine der ersten Aufgaben der kämpfenden Massen ist die Ausdehnung ihrer Bewegung. Heute wird diese Frage noch kräftig umstritten, aber die Machtverhältnisse bringen Klarheit hierin. Denn eine Bewegung wächst entweder sehr schnell zur wirklichen Massenbewegung, oder sie wird schon im Anfangsstadium unterdrückt.
Die alte Arbeiterbewegung kennt zwei Methoden, wie eine Bewegung ausgedehnt wird. Entweder entscheidet die Gewerkschaftsführung darüber, ob und in welchem Maße es geschehen soll, und setzt dafür den organisatorischen Apparat in Bewegung, oder aber verschiedene Parteien rufen durch Flugblätter usw. die Arbeiter anderer Betriebe und Betriebszweige zur Solidarität auf. Jedenfalls ist die Ausdehnung hier keine Funktion der streikenden Arbeiter, sondern der 'Arbeiterbewegung'.
Eine kämpfende Masse, die selbsthandelnd auftritt, ist zuerst auf die Übernahme dieser Aufgabe bedacht. Und dann nicht in dem Sinne, daß eine 'selbstgewählte' Streikleitung sich mit einem Aufruf an die anderen Betriebsgruppen wendet, sondern indem die streikende Masse selbst die anderen Betriebe aufsucht, um ihre Klassengenossen zur Solidarität aufzufordern.
In der belgischen Streikbewegung vom Jahre 1932 zeigte sich dies Prinzip besonders deutlich, wenn es sich auch noch nicht konsequent durchsetzte. Schon sehr bald verlangten die Streikenden, daß die Gewerkschaften den Streik weiter ausdehnen sollten, aber es ist kaum anzunehmen, daß die Arbeiter ihre Zuflucht bei der alten Bewegung aus Unkenntnis über die zu ergreifenden Maßnahmen suchten. Wahrschein-

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lich ist, daß die Ausdehnung der Bewegung durch die Massen selbst ihre Grenze erreicht hatte, als die Eisenbahner noch zu wenig Klassensolidarität besaßen, dafür aber um so mehr Gewerkschaftsdisziplin zeigten. Deshalb verlangten die Streikenden die Ausdehnung durch die Gewerkschaften. Als sich zeigte, daß die Klassenkraft noch zu schwach war, rief man die 'Instanzen' zu Hilfe und rief natürlich vergeblich.
In Amsterdam 1934 (Jordaan) waren die eigenen Klassenkräfte noch so schwach, daß die kämpfenden Arbeiter die Ausdehnung der Bewegung als eine eigene Aufgabe noch völlig unbeachtet ließen. Man war der Meinung, daß es nur ein Kampf der Erwerbslosen sei und von ihnen allein ausgefochten werden müsse. Im Jordaan und in der unmittelbaren Nähe liegen verschiedene Betriebe, und doch wurde von den kämpfenden Erwerbslosen kein einziger Versuch unternommen, diese in den Kampf hineinzuziehen.
Die 'wilde' Streikbewegung der Textilarbeiter in Twente (Nordholland, 1931) zeigte kaum merkbare Tendenzen zur selbstvollzogenen Ausdehnung. Die Streikenden verlangten von ihren Gewerkschaften, daß diese die Führung des Konfliktes übernehmen sollten. Damit ging die Aufgabe der Ausdehnung des Konfliktes natürlich auf die Gewerkschaften über. Diese aber hatten nichts Eiligeres zu tun, als die Bewegung auf ihren Herd zu beschränken und selbst Textilbetriebe, die außerhalb dieses Bezirks lagen, zurückzuhalten. Nur einige kleine Gewerkschaften (N.A.S. und N.S.V.), die K.P.H.*66 und verschiedene kleine politische Gruppierungen bemühten sich, auch die anderen Textilbetriebe mit in die Bewegung hineinzuziehen. - Aber auch hier siegte die Gewerkschaftsdisziplin über die Klassenzusammengehörigkeit.
Es ist übrigens leicht begreiflich, daß die noch im Betrieb stehenden Arbeiter den Aufrufen anderer Organisationen nicht folgen. Die Organisationen führen fortwährend einen heftigen gegenseitigen Kampf, sie konkurrieren miteinander, weil jede Organisation ein Anwachsen der eigenen Organisation auf Kosten der anderen erstrebt. Der gegenseitige Kampf der Organisationen wurzelt darum nicht nur in der verschiedenen Auffassung über die anzuwendende Taktik, sondern wird auch geführt aus Organisationsinteressen. Das weiß schließlich jeder Arbeiter, und darum finden auch die Parolen anderer Organisationen bei ihm kein Gehör.
Aber wenn die streikenden Arbeiter selbst aufmarschieren und an die Solidarität der anderen Arbeiter appellieren, dann bekommt die Sache ein anderes Ansehen. Dann nimmt der Konflikt zwischen der Organisations-Disziplin und der Klassen-Zusammengehörigkeit für jeden einzelnen Arbeiter eine viel schärfere Form an und die 'Gefahr' einer Verbrüderung wird wahrscheinlicher. Die herrschende Klasse wird darum alles in Bewegung setzen, um diese Verbrüderung zu verhindern, auf jeden Versuch der Massen, die Ausdehnung selbst durchzuführen, wird sie mit strengen militärischen Gewaltmaßnahmen antworten. Vorläufig kann eine Streikbewegung gegen diese militärische Macht überhaupt

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nichts ausrichten, so daß es sinnlos erscheint, die Ausdehnung auf diesem Wege zu versuchen.
Und doch ist es nicht sinnlos. Denn die Arbeiter, die dann noch nicht an der Bewegung teilnehmen, sind gezwungen, unter militärischem Schutze zu arbeiten. Die von ihnen gehaßte militärische Staatsmacht muß sie gegen ihre eigenen Klassengenossen in Schutz nehmen. Dadurch wird der psychische Konflikt zwischen der Gewerkschaftsdisziplin und der Klassensolidarität verschärft und werden neue Möglichkeiten für die Ausdehnung gewonnen.
In dem erwähnten Streik der Textilarbeiter, und auch sonst fast überall, war davon, wie gesagt, noch wenig zu bemerken. Die Denkweise der Arbeiter ist, trotz aller üblen Erfahrung, noch viel zu sehr mit ihren alten Organisationen verbunden, weshalb denn auch eine intensive Propaganda, gerade in dieser Frage, zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Arbeiterbewegung gehört. Heute schon, also in 'normaler Zeit', wo kein Wölkchen von aktivem Auftreten der Arbeiter zu sehen ist, muß bei allen Fragen die Funktion der Ausdehnung der Bewegung durch die Arbeiter selbst auf die Tagesordnung gesetzt werden. Wo Arbeiter zusammenkommen, überall und an jedem Ort, muß dieses Prinzip in den Mittelpunkt gestellt werden. Oberflächlich gesehen, hat dies keinen direkten, praktischen Sinn. Tatsächlich ist auch nicht direkt festzustellen, in welchem Maße dieses Prinzip einen Widerhall findet; das kann nur in der Praxis bewiesen werden. Aber ein intensives Vorarbeiten, Vorbereiten kann die praktische Anwendung des neuen Prinzips nur erleichtern.
Eine wirklich revolutionäre Propaganda besteht darum nicht in den immer erneuten Aufrufen zur 'Revolution' oder in dem 'Auslösen' von allen möglichen Konflikten.- Sie besteht in dem stetigen, unablässigen Vorbereiten der Ausdehnungsmöglichkeiten, so daß die unvermeidlich kommenden Klassenkonflikte eine möglichst große Ausdehnung bekommen.

c) Die Beherrschung der Klassenkräfte durch die Arbeiterräte

Die zweite, von den Massen selbst durchzuführende Funktion ist die organische Beherrschung der Klassenkräfte - die 'eigene Führung'. Bis jetzt fiel die 'Bewegung der Arbeiter' mit der 'Arbeiterbewegung' zusammen; die alten Organisationen waren ohne weiteres die Führer der Bewegungen. Dieses Verhältnis zwischen 'Masse und Führer' wurde zwar verschiedentlich von den kämpfenden Arbeitern bei revolutionären Massenbewegungen durchbrochen, doch man sah darin noch kein neues Prinzip,das aus der Praxis des Klassenkampfes geboren wird, sondern nur eine 'Abweichung' vom gewöhnlichen Gang der Dinge, die sich eben aus dieser oder jener besonderen Situation ergab. - Die 'Abweichung' aber bestand darin, daß die Arbeiter ohne - und vielfach gegen den Willlen der alten Organisationen den Kampf aufnahmen, sich von der alten Führung frei machten und unter eigener Führung ein Massenziel ver-
wirklichten, das sich ohne und gegen die alte Führung bei den Massen selbst gebildet hatte. Und diese 'Abweichung' wächst sich nun aus zu der gebräuchlichen Form für die kämpfende Masse, wenn sie sich für eigene Klassenziele in Bewegung setzt.

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Die Bedingungen, an welche der Klassenkampf in der gegenwärtigen Zeit gebunden ist, lassen keine andere Wahl. Gerade weil jede Bewegung der Arbeiter unmittelbar mit der Staatsmacht in Konflikt gerät und den vorgeschriebenen gesetzlichen Weg verläßt, weil jeder einzelne Kampf so geführt werden muß, als ob es direkt um die Befreiung der Arbeiterklasse ging, darum muß jede Führung über die Arbeiter versagen, und es bewährt sich nur, was unmittelbar von den kämpfenden Arbeitern selbst ausgeht. Daran wird auch nichts geändert, wenn vorläufig noch Parteien und Organisationen ihre Führung den Bewegungen, die ohne sie und gegen ihren Willen entstanden sind, aufdrängen können. Denn wenn ihnen das gelingt, so wird damit nur bewiesen, daß eine solche Bewegung zu schwach ist, um sich selbständig weiterzuentf alten -sie befindet sich auf dem Rückzug. Diese 'Führung' hat dann die Aufgabe, die Bewegung in 'geordnete Bahnen' zu bringen, das heißt: sie wird so 'geführt', daß sie nicht mit den Gesetzen und der Staatsmacht, die dahinter steht, in Konflikt gerät. Es ist darum notwendig, daß das Prinzip der 'eigenen Führung der Massen' zum zentralen Punkt der Klassenbewegung wird.
Dieses Prinzip. ist bis jetzt nur schwach vertreten. Die Tradition, daß Klassenbewegungen durch Organisationen beherrscht und geleitet werden müssen, sitzt noch so tief, daß noch fortwährend neue Gruppen entstehen, die sich diese Führung zur Aufgabe stellen. Wenn die alten Organisationen den Klassenkampf nicht führen können und wollen, dann wollen sie neue Organisationen errichten, die dazu imstande sind.
Natürlich steckt in der alten überlieferten Auffassung ein Kern von Wahrheit, und zwar, daß die Klassenkräfte beherrscht und geführt werden müssen. Denn wenn eine proletarische Massenbewegung nur in spontanen Ausbrüchen besteht, dann sind wohl die Klassenkräfte entfesselt, aber wenn diese Kräfte unbeherrscht sind, noch nicht bewußt gerichtet werden, dann wirken sie wie ein Gewitter, das sich entlädt - ohne weitere Folgen. Die Beherrschung von Kräften aber meint ihre zielbewußte Anwendung. Und darum müssen diese Kräfte gerichtet und organisiert werden. Dies ist heute noch ebenso wahr wie vor 50 Jahren und nicht veraltet. Die neue Auffassung besteht in der Überzeugung, daß diese Kräfte nicht durch eine Organisation beherrscht und geführt werden können. Die Funktionen, die von den Arbeitern bei größeren Massenbewegungen erfüllt werden müssen, sind so zahlreich und umfangreich, sie erstrecken sich schließlich auf das ganze Gebiet des gesellschaftlichen Lebens, daß keine Partei imstande ist, die Führung aller dieser Funktionen auf sich zu nehmen. Das kann schließlich nur durch diejenigen geschehen, die diese Funktionen selbst ausüben müssen, und das sind die Arbeiter selbst. Darin besteht eben die gewaltige Schwierigkeit des Entwicklungspro-

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esses, daß die Kräfte, solange sie sich chaotisch, ohne inneren Zusammenhang entladen, auch mit Leichtigkeit niedergeschlagen werden. Aber aus der Erfahrung in diesen Kämpfen wächst die Verbindung und die 'Gleichschaltung' der Kräfte. Die einen übernehmen diese, die anderen jene Aufgaben, es entsteht daraus eine bewußte Kräfte- und Arbeitsverteilung, d. h. die Kräfte werden beherrscht und organisiert.
Soweit unsere Erfahrung reicht, haben wir gesehen, daß diese Gleichschaltung sich in der Form von Aktionsausschüssen vollzog, die in der revolutionären Bewegung von Rußland und Deutschland seit 1917 als Arbeiterräte bekannt geworden sind. Für die Durchführung von Kampfmaßnahmen allgemeiner Art entsteht ein allgemeiner Arbeiterrat. So er kennen wir in der Geschichte z. B. den 'Großen Arbeiterrat' von Hamburg, den 'Allgemeinen Arbeiterrat' von Berlin, von Petersburg. Der 'Zentrale Arbeiterrat für das Ruhrgebiet' z. B. beschlagnahmte (1920) die Banken, um die Lohnzahlung während des Generalstreiks sicherzustellen. Der Hamburger Arbeiterrat ergriff Maßnahmen, um die Versorgung des ganzen Stadtgebietes mit Lebensmitteln zu regeln, und versuchte auch den Widerstand gegen die zentrale Staatsmacht zu organisieren.*67
Die Beherrschung der Klassenkräfte findet darum unter den heutigen Verhältnissen ihre praktische Form im Rätesystem. Als Klasse können wir unsere Kräfte nur in dem Maße bewußt anwenden, wie wir es verstanden haben, sie in den Arbeiterräten zu kristallisieren.
Die Beherrschung der Klassenkräfte findet darum unter den heutigen Verhältnissen ihre praktische Form im Rätesystem. Als Klasse können wir unsere Kräfte nur in dem Maße bewußt anwenden, wie wir es verstanden haben, sie in den Arbeiterräten zu kristallisieren. In jeder Massenbewegung nimmt die organisatorische Zusammenfassung und Gleichschaltung der Kräfte und ihre bewußte Anwendung festere Formen an. In dieser Linie liegt auch die Aufgabe der Revolutionäre deren Streben es nur sein kann, jede Massenbewegung immer mehr zur Ratebewegung zu machen.
Das Wachsen der Massenbewegung zur Rätebewegung zeigt uns, in welchem Maße wir lernen, unsere Klassenkräfte bewußt anzuwenden.
Aber ist es nun wohl so sicher, daß Massenbewegungen zur Rätebewegung auswachsen? Hat der Nationalsozialismus in Deutschland und der Faschismus in Italien nicht die Massen in Bewegung gebracht und bei keinen Rätecharakter getragen, vielmehr ein ihm entgegengesetztes Prinzip, nämlich die Herrschaft des 'Führers' über die Massen, durchgeetzt? Und eine zweite Frage erhebt sich: Wird die wachsende wirtschaftliche Not, die immer schärfere Ausbeutung durch die herrschende Klasse, zu einem Kampf um die Produktionsmittel, zu einem Kampf um die Beherrschung der Produktivkräfte durch die Arbeiter führen? Hat die Erfahrung in Deutschland und Italien gezeigt, daß die anhaltende Verschlechterung der Lage der Arbeiter die Massen nicht nach links, sondern nach rechts getrieben hat? Ist nicht eine Welle von Nationalismus und Militarismus, von Vernichtungswut gegen alles, was an Arbeiterbewegung erinnert, über die Massen gekommen? Kurz, ist nicht die Gedankenwelt der Arbeitermassen mehr als zuvor kapitalistisch orientiert? Und müssen wir nicht alle feststellen, daß in den faschistischen

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Ländern die Arbeitermassen alle Kräfte einsetzen, um die kapitalistische Wirtschaft zu retten?
In der Tat! Wir machen uns keine falschen Vorstellungen, daß die Arbeiterklasse sich in gerader Linie auf die Beherrschung ihrer eigenen Kräfte hin bewegt (s. o.). Aber wir wissen auch, daß dies kein dauernder Zustand sein kann, daß dadurch das endgültige Emporsteigen unserer Klasse nicht verhindert wird. Wir nehmen dieses Wissen aus der Wissenschaft von den Bewegungs-Gesetzen der kapitalistischen Gesellschaft, die uns sagt, daß der Kapitalismus sich nur am Leben erhalten kann, wenn er die breiten Massen fortwährend mehr verelendet.
Welche Vorstellungen über eine 'Regelung' der kapitalistischen Wirtschaft auch in den Massen vorhanden sein mögen, sie ändern nichts daran, daß diese 'Ordnung' von den Interessen des mächtigen Großkapitals diktiert wird.
Die großen Kapitale, die im modernen Kapitalismus die bewegende Kraft in der Wirtschaft bilden, müssen Profit abwerfen, wenn nicht das ganze Wirtschaftsleben zum Stillstand kommen soll. Sie können nur noch leben vorn Sterben der Massen. Das Kernproblem in unserer heutigen Gesellschaft ist eben, daß die Produktivkräfte nicht nur Produktionsmittel und Arbeitskraft sind, sondern zugleich Kapitalbesitz, und daß sie nur produzieren, wenn sie als Kapitalbesitz für diese besitzende Klasse genügend Profit erzeugen. Das wird versucht durch ständig verschärfte Ausbeutung, diese führt zur absoluten Verelendung der breiten Massen und stößt doch schließlich auf seine natürlichen Schranken.
Das Problem ist darum nicht eine 'Ordnung' des Kapitalismus, sondern seine Aufhebung. Daß die Produktivkräfte zugleich Kapitalbesitz sind und als solche Profite machen müssen, wird in immer ausgedehnterem Maße zum Hindernis für ihre Anwendung. Darum muß im Interesse der breiten Masse das Wirtschaftsleben funktionieren, auch ohne Profit für den Kapitalbesitz abzuwerfen. Damit aber ist gesagt, daß die Produktionsmittel nicht mehr als Kapital erscheinen und daß die Kapitalisten sich nicht mehr die Arbeit des Arbeiters durch den Kauf seiner Arbeitskraft aneignen können. Sind die Produktionsmittel ihres Kapitalcharakters entkleidet, dann sind sie nur noch Werkzeuge, mit denen die freien Arbeiter Güter erzeugen, um den Bedarf der hungernden Masse zu befriedigen.
Die vollkommene Umwälzung aller ökonomischen Verhältnisse ist darum das Problem unserer Zeit. Das Verhältnis der Menschen zu den Produktionsmitteln, das heute gekennzeichnet wird durch die Lohnarbeit, das Verhältnis der Menschen zu dem in der Gesellschaft vorhandenen Güterreichtum, an dem die Arbeiter nur teilhaben können, indem sie ihre Arbeitskraft verkaufen -das Verhältnis des einen Menschen zum andern, insofern sie verschiedenen Klassen angehören und das in der Form von Herr und Knecht, von Aneigner und Enteignetem, von Käufer und Gekauftem erscheint -alle diese Verhältnisse erfahren eine vollkommene und gründliche Umwandlung. Denn mit dem Ausschalten des Profitstrebens und damit auch des Kapitalcharakters der Produktiv-

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kräfte wird der ganze gesellschaftliche Güterumlauf in andere Bahnen gebracht, während alle Verhältnisse der Menschen untereinander neue Formen annehmen.*1_
Der Faschismus kann und will dieses Problem nicht lösen und wird darum, nachdem er auch in dieser entscheidenden Frage sein wahres Gesicht gezeigt hat, von den Massen selbst überwunden werden. Die Lösung gerade dieses Problems wird immer dringender, und darum sind auch Massenbewegungen, die die Produktion für und durch die Arbeitermasse in Bewegung bringen wollen, unvermeidlich.
Das Entscheidende hierbei ist, daß es geschehen muß - der Wille zu wird aus der Notwendigkeit geboren - während die Arbeiterklasse es nur kann, wenn sie sich dazu in den Arbeiterräten formiert. Die Eroberung der Macht in einem bestimmten Gebiet wird dann nicht die größte Schwierigkeit sein. Viel wichtiger noch wird es sein, ob es ihnen gelingt, die Produktion zu beherrschen, d. h. das Verhältnis von Herr und Knecht aufzuheben und durch die Verbindung der einzelnen Betriebe die gesellschaftliche Regelung der Produktion durchzuführen. - Das ist nur möglich durch die Arbeiterräte. Und sie müssen auch die Lebensmittelversorgung der breiten Masse sichern, indem sie die private Aneignung der Arbeitsprodukte unmöglich machen durch die gesellschaftliche Regelung ihrer Verteilung. Auch dies ist nur möglich, wenn die Arbeitermassen in Räten organisiert sind.
Darum ist das Wachsen der Massenbewegung als Rätebewegung der Maßstab, mit dem die bewußte Anwendung der Klassenkräfte gemessen werden kann. Die Auffassung, daß die Arbeiterräte nur in der Revolution selbst erstehen, muß darum als falsch zurückgewiesen werden. Bei jeder Bewegung, die aus der Arbeiterklasse hervorgeht, muß die Herausbildung von Arbeiterräten zum Kernpunkt der Bewegung werden. Die Bedeutung einer Massenbewegung ergibt sich nicht so sehr daraus, welche materiellen Erfolge sie erreicht, sondern ob und in welchem Maße es ihr gelingt, die Klassenkräfte durch ihre Räte anzuwenden.

3.7. DIE NEUE ARBEITERBEWEGUNG

Wenn wir bisher feststellen konnten, daß die 'Bewegung der Arbeiter' in den Arbeiterräten die Form annimmt, wodurch sie imstande ist, die gesellschaftlichen Kräfte zu beherrschen, so richten wir jetzt den Blick auf die neue 'Arbeiterbewegung', auf die organisatorische Zusammenfassung der noch verhältnismäßig kleinen Zahl revolutionärer Arbeiter, die sich bewußt auf den Standpunkt der Arbeiterräte gestellt haben. Dabei ist es zuerst nötig, eine scharfe Grenze zu ziehen zwischen Organisationen, die sich revolutionär nennen, in Wahrheit aber noch zu der alten 'Arbeiterbewegung' gehören, und solchen, die sich in der Rich-


*1_
Siehe: Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung (Neuer Arbeiter Verlag, Berlin 1930). [Verf.]

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tung zum Neuen entwickeln. Alle Organisationen, die die Führung der Kämpfe für sich beanspruchen, die zum 'Generalstab' der Arbeiterklasse werden wollen, stehen auf der anderen Seite, wenn ihre Geburtsstunde auch noch so jungen Datums ist. Dagegen rechnen wir alle Organisationen, die nicht die Macht an sich reißen wollen, sondern die Selbstbewegung der Massen durch die Arbeiterräte zum Prinzip erheben, zu der neuen Arbeiterbewegung.
Diese neue Arbeiterbewegung ist bereits vorhanden, aber noch in den ersten Anfängen, so daß von einer ausgebildeten organisatorischen Struktur noch kaum gesprochen werden kann. Vorläufig erscheint sie noch in der Form von kleinen illegalen Propagandagruppen, die hier und dort auftauchen, in vielerlei praktischen und theoretischen Fragen verschiedener Meinung sind und auch wohl noch fürs erste bleiben werden. Aber so wie sie sind, sind sie doch die Organe, wodurch die Klasse um ihr Selbstverständnis ringt. In diesen Gruppen, die in der Masse verwurzelt bleiben, offenbart sich die Neuorientierung des Denkens der Klasse. Zuerst noch spontan, hier und dort, bilden sich Gruppen ohne viel Zusammenhang und darum auch noch mit auseinandergehenden Auffassungen. Aber je mehr sich diese Gruppenbildung durchsetzt zur allgemeinen Regel und schließlich als notwendige Schulung der Arbeiterklasse erkannt wird, um so mehr werden auch die auseinandergehenden Auffassungen zur Einheit verschmelzen.

3.8. Partei oder Arbeitsgruppe?

Nun gilt es die Frage zu beantworten, ob diese Propaganda- oder Arbeitsgruppen auch als eine neue Partei angesehen werden müssen. Denn diese Gruppen haben, ebenso wie die Parteien, ein politisches Programm; sie sind Gruppen mit mehr oder weniger feste Meinungen, formulierten, von anderen Auffassungen abgegrenzten Richtlinien sowohl für die eigene Tätigkeit als auch für den Klassenkampf überhaupt. So scheint es dann, daß sie sich, ebenso wie die bis dahin bekannten Parteiauffassungen, von der Masse abgrenzen, sich über diese erheben und schließlich doch wieder die Herrschaft über die Masse anstreben. Aber wer so urteilt, sieht nicht, daß die von den neuen Arbeitsgruppen propagierten Auffassungen über den Weg, den die Arbeiterklasse zu ihrer Befreiung gehen muß, auf die Überwindung jeder Herrschaft gerichtet sind. Der Inhalt ihrer Propaganda macht die Gruppen nicht zu Herrschaftsorganen über die Masse, sondern zu Organen, wodurch sich die Klasse selbst das nötige Wissen aneignet und dadurch fähig wird, jede Herrschaft abzuschütteln.
Anders die bis heute bekannten politischen Parteien. Diese wollen zuerst die Staatsmacht erobern und dann, im Besitze der Regierungsgewalt, auf dem Wege von Dekreten, Verordnungen, Gesetzen und Regierungsmaßnahmen ihr politisches Programm durchführen. Es ist der in der bürgerlichen Klassengesellschaft übliche Weg. Aber eine solche Politik hat einmal die Klassengegensätze in der Gesellschaft zur Vor-

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ussetzung und ist zugleich daran gebunden. Sie kann nur zum Inhalt haben, die Gegensätze zu mildern, zu 'überbrücken' oder 'auszugleichen'. Aber man kann den Gegensatz zwischen Herr und Knecht noch so sehr 'ausgIeichen', es bleiben trotzdem immer noch Herr und Knecht. Dieser Gegensatz, auf dem das ganze Gefüge der heutigen Gesellschaft aufgebaut ist - und damit auch ihre Regierung - kann nicht ausgeglichen werden auch nicht durch die Politik einer Regierung, die sich kommunitisch nennt. Er kann nur aufgehoben werden, indem die Arbeiter durch ihre Räte direkt und unmittelbar die Macht ergreifen, selbst alle politijchen, d. h. gesellschaftlichen Maßnahmen vollziehen und in kollektiver Vereinigung über die Bedingungen der Produktion ihres eigenen Lebens !verfügen. Das aber kann nicht durch die Politik einer Regierung vollzogen werden, sondern geschieht nur im Verlaufe eines revolutionären Prozesses, in dem die Arbeitermassen selbst mündig werden und emporsteigen zur gesellschaftlichen Macht.
Weil mit dem Begriff 'Partei' der spezifische Herrschaftscharakter der Partei verbunden ist, die neuen Arbeitsgruppen aber gerade dagegen ihre Propaganda richten und auch - insofern sie ein politisches Programm haben - sich im völligen Gegensatz zu den bekannten Parteifassungen befinden, haben die neuen Arbeitsgruppen mit dem, was unter 'Partei' versteht, so gut wie nichts gemein. Sie sind davon wesentlich verschieden und können darum nicht als Parteien angesehen werden. Wir nennen sie vorläufig Arbeitsgruppen und müssen es der weiteren Entwicklung überlassen, welchen Namen sie schließlich erhalten.

3.9. Die Arbeitsgruppen

Die Aufgabe der Arbeitsgruppen ist äußerlich gesehen sehr bescheiden. Die revolutionäre Phrase, glänzende Reden von großen Parteiführern, Tamtam-Propaganda und Parteireklame haben hier allen Sinn verloren. Aber doch ist ihre Bedeutung viel größer, als die gewaltigste Parteipropaganda jemals sein könnte. Solange nur einzelne Gruppen, und nur sporadisch hier und dort, daran gehen, durch ernstes Studium die Beweg der gesellschaftlichen Kräfte kennenzulernen, so lange fällt die Bedeutung dieser Arbeit nicht direkt ins Auge. Aber sobald sie mehr gemein werden, wenn sie eine bewußt verbreitete Bewegung bilden, überall und an jedem Ort als Arbeitsgruppen entsteht, um den Arbeitern wahre, d.h. wissenschaftliche Einsicht in den gesellschaftlichen Lebensprozeß vermitteln, dann ändert sich das Bild. Ihre Aufgabe ist dann nicht mehr klein und bescheiden, sondern riesengroß und alles beherrschend. In den Arbeitsgruppen hat sich dann die Arbeiterklasse das Instrument geschaffen, mit dem sie sich die Wissenschaft von den gesellschaftlichen Kräften zu eigen macht.
Die Zeit dafür ist reif, und mehr noch, -wenn nicht alle Zeichen trügen, dann drängt die Entwicklung in diese Richtung. Was z. B. in Deutschland von der vernichteten alten Arbeiterbewegung übriggeblieben ist, sind kleine illegale Diskussionsgruppen, in denen die Arbeiter ver

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suchen, sich in den neu geschaffenen Verhältnissen zurechtzufinden. Ja, eine selbständige Arbeiterbewegung ist unter den heutigen Verhältnissen dort überhaupt nicht anders möglich als eben in solch kleinen Diskussionsgruppen. Und was heute schon in Deutschland zur Wirklichkeit geworden ist, wird in nicht ferner Zeit auch in den anderen kapitalistischen Ländern seinen Einzug halten. Dann ist auch dort der Zeitpunkt eingetreten, wo mit dem sichtbaren Zusammenbruch der alten Arbeiterbewegung die neue Form der illegalen Diskussions- und Propagandagruppen, oder wie wir sie nennen wollen, der Arbeitsgruppen, notwendig wird.
Bis jetzt entstehen solche Arbeitsgruppen, indem sich einzelne Arbeiter zusammenfinden, um über ihre Klassenlage zu diskutieren. Sie sind noch schwach und unsicher und noch nicht imstande, selbständig auf zutreten. Es ist noch zu wenig Wissen und ein Mangel an Geschicklichkeit, um als Einheit zu funktionieren, von der die neuen Prinzipien ausgehen können. Das alles muß in mühsamer, ernster Arbeit an sich selbst und an der Gruppe nachgeholt werden. Dazu ist aber zuerst nötig, daß sie die eminente Bedeutung ihrer Arbeit für den Befreiungskampf des Proletariats begreifen. Wird den Arbeitern erst deutlich, daß sie hier selbst praktisch und aktiv an dem Mündig-Werden der ganzen Klasse arbeiten können, jeder an seinem Ort und jede Gruppe als das Rädchen, das in dem großen Gefüge der Arbeiterklasse nicht fehlen darf, wenn die Klasse schlagfertig werden soll - dann werden sie sich auch mit voller Hingabe dieser Aufgabe widmen. Dann wird aber auch zur Selbstverständlichkeit, was heute vielen noch als unmöglich erscheint! Darum müssen die Arbeitsgruppen, die auf diesem Wege vorangegangen sind und die, fußend auf der marxistischen Gesellschaftslehre, die ganze Breite und Tiefe des Problems - der Mündigwerdung des Proletariats -erkannt haben, ihre Klassengenossen auffordern, überall ihrem Beispiel zu folgen. Sie müssen darauf hinweisen, daß es nötig ist, daß jede Gruppe eine selbständige Einheit bildet, die imstande ist, selbst zu denken und selbst ihr Propagandamaterial herzustellen. Jede neue Arbeitsgruppe muß zum Ausstrahlungspunkt des Selbständigkeitsgedankens und der Anstoß zu immer neuen Gruppen werden. - Hier liegt ein Arbeitsfeld von so gewaltigem Ausmaß brach, daß nicht Kräfte genug sein werden, um es zu beackern. Aber diese Arbeit, einmal in größerem Umfang begonnen, macht so viele neue Kräfte frei, daß sie schließlich die ganze Klasse in Begeisterung mitreißt.
In den Arbeitsgruppen der neuen Arbeiterbewegung wird der Boden bereitet, auf dem unsere Kenntnis und unsere Einsicht in die Bewegung der gesellschaftlichen Kräfte erwächst. Was der Einzelne auf sich allein gestellt nicht kann, das ist sehr gut möglich im kollektiven Gedankenaustausch - zuerst in der Arbeitsgruppe und dann in der Verbindung der Gruppen miteinander, die schließlich das geistige Band innerhalb der ganzen Klasse herstellen. - Die Analyse der stets wechselnden gesellschaftlichen Erscheinungen - in der alten Bewegung das Monopol

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der Intellektuellen und Führer - wird hier von den Arbeitern selbst vollzogen.
Die viel verbreitete Meinung, daß die Arbeiter dazu nicht imstande seien, ist völlig verkehrt. Umgekehrt: Die Intellektuellen und Führer der alten Arbeiterbewegung sind nicht imstande, für das revolutionäre Proletariat eine Analyse der gesellschaftlichen Geschehnisse zu geben. je sehen die Erscheinungen anders als die revolutionären Arbeiter, weil ihr Ziel anders ist, - sie spielen heute eine Führerrolle und wollen diese auch in der Zukunft behalten. Ihr Denken kann nicht anders sein als die Funktion, die sie in dieser Gesellschaft ausüben. Sie bilden eine besondre bevorrechtete Schicht, deren Funktion sich auf der Lohnarbeit, der wirtschaftlichen Enteignung und Entrechtung der Arbeiterklasse aufbaut. Sie kämpfen um die Erhaltung dieser Funktion, und darum muß ihnen auch die Aufhebung der Lohnarbeit und die Herrschaft der Arbeiterklasse selbst als Utopie erscheinen. Den Arbeitern aber steht nichts im Wege, sich die Erkenntnisse zu eigen zu machen, die durch wissenschaftliche Forschung auf gesellschaftlichem Gebiet in großer Fülle vorhanden sind. Diese Erkenntnisse, die in den großen Werken des wissenschaftlichen Sozialismus zu gesellschaftlichen Bewegungsgesetzen formuliert sind und deren Richtigkeit durch den Entwicklungsgang unserer heutigen Gesellschaft tausendfach bewiesen ist und gerade jetzt immer mehr erhärtet wird, sie können nur von den Arbeitern verstanden werden. Denn diese Erkenntnisse sagen uns, daß die kapitalistische Ordnung unserer Gesellschaft mit den immer gewaltiger werdenden Produktiväften in stets gesteigerte Konflikte gerät, die von ihr zuletzt nicht mehr bewältigt werden können. Sie sagen uns, daß nur die Arbeiterklasse imstande ist, dem ein Ende zu machen, indem sie sich aus der Lohnknechtaft befreit. Nur die wissenschaftliche Forschung lehrt uns die Gesamtgesellschaft kennen. Die Methode der Gesellschaftsforschung, die historisch-materialistische, die sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts entwickelt hat und von Marx, Engels, Dietzgen*68 u. a. in ihren Werken dargelegt worden ist, muß jetzt von den Arbeitern angewandt, in die Praxis eingebracht werden.
Diese Aufgabe aber kann nur von der ganzen Klasse gelöst werden. Sie beginnt überall dort, wo sich Gruppen bilden, die sich die Analyse der gesellschaftlichen Geschehnisse zur Aufgabe stellen; sie entwickeln schließlich zum allgemeinen Denkorgan, mit dem die Klasse denkt, wenn überall Gruppen entstanden sind, die durch das Band der gleichen Denkweise verbunden sind. Die Aufgabe ist gewaltig groß, aber sie wird eh schließlich von der unerschöpflichen Energie der Arbeitermassen bewältigt werden, denn nur so wird der Weg frei gemacht, der zur Befreiung der Arbeiterklasse führt.

3.10. Die 'Kinderkrankheiten'

Die so werdende neue Arbeiterbewegung hat natürlich ihre 'Kinderkrankheiten'. Diese haben vielfach so gefährlichen Charakter, daß vor-

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erst die meisten der neu entstandenen Gruppen daran zugrunde gehen. Allein in den letzten 5 Jahren entstanden dergleichen Gruppen immer wieder von neuem, um, ebenso wie sie gekommen, auch wieder zu verschwinden. Die Ursachen davon sind doppelter Art. Die wesentlichste Ursache ist, daß sie keine genügende theoretische Grundlage hatten; es war noch viel zu sehr ein Durcheinander von überlieferten alten Gedanken und unausgegorenem Neuem. Daran gehen sie unwiderruflich zugrunde. Die zweite Ursache liegt darin, daß unter den neuen Verhältnissen die Zusammenarbeit in den Gruppen einen ganz anderen Charakter als in der alten Arbeiterbewegung haben muß. Die dafür nötigen geistigen Eigenschaften sind nicht ohne weiteres vorhanden, sie müssen erst im Kampfe erlernt und erworben werden. Durch diese zwei Ursachen ist das Problem der Gruppenbildung auch viel schwieriger, als es auf den ersten Blick erscheint.
Die ungenügende theoretische Grundlage wird gerade darum für neue Gruppen so gefährlich, weil sie zu unbesonnenen Handlungen und zwecklosen Aktionen führt. Wenn die Ungeduld, und nicht die Einsicht, zum Ratgeber für das Handeln wird, dann versucht man die anderen Arbeiter in alle möglichen Aktionen hineinzutreiben und erwartet, durch das künstliche Auslösen von Aktionen werde ihnen schon der Fuhrer glaube ausgetrieben. Dies wird zuletzt zu einer bewußt angewandten Methode, um die Arbeiterklasse zu 'revolutionieren' und zum Klassenkampf zu 'erziehen'.
Darum ist ihre Sprache furchtbar 'revolutionär', ihre Beschreibung der herrschenden Klasse schreckenerregend, und sie enden stereotyp mit der Alternative: Revolution oder Untergang in Barbarei. Man fühlt sich dabei sehr revolutionär und ist überzeugt, ein Vorkämpfer der proletarischen Revolution zu sein. Aber es wird damit nur erreicht, daß sich die revolutionäre Ungeduld in starken Worten entlädt und wie loses Pulver - unschädlich für die herrschende Klasse - verpufft. Eine weitere Auswirkung hat dies nicht. Und wenn doch hier und dort einzelne kleine Gruppen sich auf diese Weise in eine 'Aktion' hineintreiben lassen, dann liefern sie dadurch nur den Beweis, wie lächerlich eine solche 'Taktik' ist. Die revolutionärste Sprache kann nicht ersetzen, was der Klasse an in Einsicht fehlt; der Versuch, auf diesem Wege das Proletariat 'reif' zur Revolution zu machen, liefert nur den Beweis, daß gerade bei diesen 'Vorkämpfern' noch die elementarste Einsicht in die Bedingungen des Befreiungskampfes fehlt..
Die andere 'Kinderkrankheit' besteht darin, daß die Arbeit in den Gruppen erst gelernt werden muß, daß die Zusammenarbeit in den Gruppen noch nicht die den neuen Aufgaben entsprechende Form gefunden hat und daß auch die Arbeiter, die in den Gruppen zusammen arbeiten, sich erst neue und den neuen Verhältnissen angepaßte geistige Eigenschaften zu eigen machen müssen. Der wesentlichste Charakterzug bei den alten Organisationen ist, daß ihre Mitglieder, die sich auf Grund bestimmter Prinzipien ihr angeschlossen haben, durch die Organisation selbst beherrscht werden. Der Einzelne will sich damit den für richtig ge-

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haltenen Prinzipien unterwerfen; in Wirklichkeit unterwirft er sich dem organisatorischen Apparat, der seinerseits die Prinzipien aufstellt, sie verändert, bestimmt, inwieweit sie in diesem oder jenem Falle gültig sind u. s. f., ja, der schließlich auch feststellt, wie die Mitglieder nach diesen Prinzipien handeln müssen. Das einzelne Mitglied, das durch seinen Eintritt ein Teil der Organisation wird, unterwirft sich damit der 'Führung' Organisation. Diese 'Führung' wird geregelt, abgegrenzt und umschrieben von Reglements und Statuten, in denen die Rechte und Pflichten des Einzelnen gegenüber der Organisation und umgekehrt festgelegt sind. Wer auf irgendeine Weise sündigt, wird an Hand dieser Organisationsgesetze zur Ordnung gerufen. Die demokratische Verfassung der Organisation sollte dafür Sorge tragen, daß diese Führung von den Mitgliedern bestimmend beeinflußt wird, aber je mehr die alten Organisationen sich zu einem -schließlich rein bürokratischem - Apparat auswuchsen, um so mehr wurde diese Beeinflussung auf ein Minimum beschränkt und schließlich gänzlich über Bord geworfen.
Die Arbeiterorganisationen sind so ein getreues Spiegelbild der politischen Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft im allgemeinen. Die nationalsozialistische Partei hat den Schlußstrich unter diese Entwicklung gezogen, indem sie die Selbstherrlichkeit der Führung als Prinzip erhob, eine Führung, die nur noch ihrem 'Gott' und dem 'eigenen Gewissen' verantwortlich ist. Aber ob nun auf demokratischem Wege oder durch bürokratische Verordnung oder schließlich gar durch den 'von Gott erleuchteten' Führer, - die organisatorischen Regeln und Gesetze sind doch die Grundlage, auf welcher die Tätigkeit der Einzelnen in der Organisation zu einem Ganzen verbunden wird. Dadurch können sie zusammenarbeiten, obwohl sie sich gegenseitig nicht über den Weg trauen und sie jederzeit bereit sind, ihren Nächsten zu Fall zu bringen, wenn er ihnen in der Organisation im Wege steht.
In den letzten Jahren haben wir verschiedene Gruppen kennengelernt, die diese Mentalität aus der alten Bewegung behalten hatten und die ebenso schnell wieder verschwunden sind, wie sie gekommen waren. Man versuchte zuerst auch die gegenseitigen Unterschiede durch den Aufbau eines organisatorischen Apparats zu überbrücken. Aber das ist in kleinen Gruppen so gut wie unmöglich: das gegenseitige Mißtrauen löst dann sehr bald jedes organisatorische Band auf. Die erste Lehre, die daraus gezogen werden kann, ist, daß kleine Gruppen nur arbeitsfähig sind, wenn ihre Mitglieder eine wenigstens nahezu vollständig gleiche Auffassung von ihrer Aufgabe haben.
Gruppen, die heute noch 'groß' werden wollen - groß in dem Sinne, daß die Organisation groß und mächtig werde - befinden sich auf demselben Wege, den die alte Arbeiterbewegung gegangen ist. Sie tragen noch die Kennzeichen der alten Arbeiterbewegung, wo die Organisation als Apparat 'führt' und das einzelne Mitglied sich dieser Führung unterwirft. Sie können nur die Großen in Miniatur wiederholen. Darum können sich heute in kleinen Gruppen nur Gleichgesinnte vereinen. Es ist besser, daß revolutionäre Arbeiter in tausenden von kleinen

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Gruppierungen an der Bewußtwerdung der Klasse arbeiten, als daß ihre Tätigkeit in einer großen Organisation dem Herrschaftsstreben ihrer Führung unterworfen wird. Das schließt die Zusammenarbeit der Gruppen untereinander nicht aus, sondern macht sie vielmehr notwendig. Zeigt sich in der Praxis, daß sich diese Zusammenarbeit mit Erfolg vollzogen hat, dann ist in Wirklichkeit die Zusammenschmelzung zu einer großen Organisation von Gleichgesinnten schon erfolgt. Aber dieses Zusammenschmelzen zur organischen Einheit kann nur das Resultat eines Entwicklungsprozesses sein.
Die Gruppen, die Ausgangspunkt der neuen Arbeiterbewegung werden sollen, müssen nicht nur aus Mitgliedern mit gleichen Auffassungen über ihre Aufgabe bestehen. Diese Auffassungen selbst müssen sich wesentlich von denen der alten Arbeiterbewegung unterscheiden. Die erste und wichtigste handelt von der Tätigkeit des Mitgliedes in der Organisation. Sie muß sich unterscheiden von der alten Auffassung, indem sie uns lehrt, daß das Mitglied sich nicht einer Führung unterwirft, sondern daß es sich in kollektiver kameradschaftlicher Weise mit Gleichgesinnten verbindet, um eine 'Führung', der man sich unterwerfen muß, überflüssig zu machen. Die Führung und auch die Regeln, wonach das Zusammenarbeiten in der Gruppe erfolgt, kann kein fremder, über die Mitglieder herrschender Apparat sein, sondern muß stets aufs neue aus der Hingabe der Mitglieder erwachsen. Sie selbst machen stets aufs neue die Führung aus und weben das Band, das sie zum gemeinsamen Handeln in der Gruppe verbindet. Dieses Band ist der alles überragende Wille, die persönlichen Interessen außer acht zu lassen, wenn es die Erfüllung der gemeinsamen Aufgabe verlangt.

3.11. ZUSAMMENFASSUNG

Wenn wir einige allgemeine Gesichtspunkte über die neue Arbeiterbewegung zusammenfassen, dann zeigt sich, daß die Zielsetzung eine vollkommen neue ist. Die alte Bewegung will auf dem Wege der Aktion durch die Gewerkschaften und durch soziale Gesetzgebung Verbesserungen auf dem Boden des Kapitalismus erreichen. Die neue Arbeiterbewegung dagegen richtet ihre Tätigkeit auf einen gesellschaftlichen Zustand, der die Aufhebung der kapitalistischen Ordnung zur Voraussetzung hat. In der Massenbewegung will sie die Masse zur Selbstorganisation in Arbeiterräten bringen, die alle Funktionen der gesetzgebenden und ausführenden Macht vollziehen und alle Funktionen in Produktion und Distribution selbst durchführen können. Die revolutionären Arbeiter, die sich die Propaganda für die Selbstbewegung der Arbeitermassen zur Aufgabe machen, vereinen sich in Arbeitsgruppen, die in allem was sie tun, völlig selbständig bleiben: selbständige Organisation der Arbeitermassen in den Arbeiterräten und selbständige Organisation der revolutionären Arbeiter in frei arbeitenden Arbeitsgruppen.
Die Arbeitsgruppen haben nicht nur die Aufgabe der Propaganda

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nach außen, wesentlich ist zugleich die eigene Schulung. Die Arbeiterklasse ist erst dann imstande, die gesellschaftlichen Kräfte zu beherrschehen, wenn sie dieselben durch die Wissenschaft kennengelernt hat. Die Arbeiter, die sich zu Arbeitsgruppen verbinden, müssen durchdrungen sein von der Notwendigkeit, die Bewegung der gesellschaftlichen Kräfte als eine zwangsläufige, gesetzmäßige Entwicklung kennenzulernen. Dieses Wissen aber kann nur durch mühsame und harte Arbeit an sich selbst erworben werden. Erkenntnis fehlt der Arbeiterklasse, und Wissen ist notwendig.
Nur die Arbeiterklasse kann dies erreichen. Alle bürgerlichen Professoren, auch wenn sie zum 'Denktrust' (braintrust) vereinigt sind, können nicht den alles beherrschenden Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit aus der Welt schaffen. Sie können nicht die wesentliche Ursache der stets größer werdenden gesellschaftlichen Katastrophen aufdecken; denn die Lohnarbeit ist zugleich die Basis für ihre bevorrechtete Funktion in der Gesellschaft. Nur die Arbeiterklasse ist dazu imstande, weil sie es muß, wenn sie nicht immer tiefer hinabgedrückt werden will. Darum wachst unsere Klasse auch im Denken über alle anderen hinaus.
Das zentrale Problem, das immer dringender nach seiner Lösung schreit besteht in der gewaltigen Entwicklung der Produktivkräfte und in der Unmöglichkeit, sie anzuwenden. Der Kapitalismus hält sich nur noch aufrecht, indem er stets aufs neue Produktivkräfte vernichtet oder außer Tätigkeit setzt. Dieses Problem steht heute im Mittelpunkt aller Gedanken, es beginnt jeden Einzelnen zu verfolgen, -ihm kann nicht ausgewichen werden. Darum müssen wir dieses Problem zu der zentralen Achse unserer Selbstschulung und Propaganda machen. Bis die Theorie die Massen ergreift: dann wird die Theorie zur materiellen Macht. Und dann erst lernen wir die volle Bedeutung der Worte kennen:
DIE BEFREIUNG DER ARBEITERKLASSE KANN NUR
DAS WERK DER ARBEITER SELBST SEIN.

4. DIE GEGENSÄTZE ZWISCHEN LUXEMBURG UND LENIN

Rosa Luxemburg und Lenin sind aus der Sozialdemokratie hervorgegangen. Beide spielten in ihr eine bedeutende Rolle; ihre Arbeit beeinflußte nicht nur die russische, polnische und deutsche Arbeiterbewegung, sie war von internationaler Bedeutung. In beiden symbolisierte sich die Oppositionsbewegung zum Revisionismus der Zweiten Internationale. Was beide verband, war der gemeinsame Kampf gegen den Reformismus der Vorkriegszeit und gegen den Chauvinismus der Sozialdemokratie während des Krieges. Aber dieser Kampf wurde begleitet von den Auseinandersetzungen zwischen Luxemburg und Lenin über den Weg der Revolution; und da sich die Taktik nicht vom Prinzip trennen läßt, war es letzten Endes auch eine prinzipielle Auseinandersetzung zwischen Luxemburg und Lenin über Inhalt und Form der neuen Arbeiterbewegung, über die Revolution und die Diktatur des Proletariats.
Wenn es auch bekannt ist, daß Luxemburg und Lenin Todfeinde des Revisionismus waren, so ist es heute doch äußerst schwierig, sich ein wirkliches Bild von den Differenzen zwischen beiden zu machen. Wohl hat während des letzten Jahrzehnts die Dritte Internationale bei ihren inneren politischen Krisen Rosa Luxemburgs Namen oft gebraucht und mißbraucht, speziell in den Kampagnen gegen den 'konterrevolutionären Luxemburgismus'*69 , aber weder ist dadurch das Werk Luxemburgs bekannter geworden, noch wurden die Differenzen, die sie mit Lenin hatte, wirklich bloßgelegt. Allgemein hält man es für besser, die Vergangenheit zu begraben. Und wie einst die deutsche Sozialdemokratie die Publizierung der Arbeiten Rosa Luxemburgs 'aus Geldmangel' verweigerte, so hat auch die Dritte Internationale das durch Clara Zetkin*70 gegebene Versprechen, ihr Werk zu verbreiten, gebrochen. Wo immer sich der Dritten Internationalen Konkurrenz entgegensetzt, da liebt man es, sich auf Rosa Luxemburg zu beziehen. Sogar die Sozialdemokratie ist oft geschmacklos genug, mit Liebe und Wehmut von der 'irrenden' Revolutionärin zu sprechen, die mehr als ein Opfer ihres 'heißen Temperaments' als das der viehischen Brutalität der Landsknechte des Parteigenossen Noske bedauert wird. Und selbst bei der von Trotzki beeinflußten Bewegung, wo man nach den Erfahrungen mit den beiden Internationalen sich angeblich bemüht, nicht nur eine wirklich revolutionäre Bewegung aufzubauen, sondern auch die Lehren der Vergangenheit zu verwerten, reicht die Beschäftigung mit Luxemburg und Lenin auch nicht zu mehr als zur Reduzierung ihrer Gegensätze auf den Streit um die nationale Frage und hier noch speziell fast ausschließlich auf die taktischen Probleme, welche die polnische Unabhängigkeit berühren. Dabei bemüht man sich noch, diesem Gegensatz seine Schärfe zu nehmen, ihn zu isolieren und mit der allen Tatsachen widersprechenden Behauptung abzuschließen, daß Lenin aus diesem Streit als Sieger hervorgegangen sei.*71
Der Streit zwischen Luxemburg und Lenin über die nationale Frage

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kann nicht von den anderen Problemen, die beide trennten, gelöst werden. Diese Frage ist mit allen anderen der Weltrevolution aufs engste verknüpft, und sie ist nur eine der Illustrationen des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen Luxemburg und Lenin, oder des Unterschiedes zwischen der jakobinischen*72 und der wirklich proletarischen Vorstellung von der Weltrevolution. Stellt man z. B. die Auffassung Luxemburgs den nationalistischen Abenteuern der Stalinperiode der Dritten Internationale gegenüber, so muß man sie auch gegen Lenin wenden. So sehr sich die Politik der Dritten Internationale seit dem Tode Lenins auch geändert haben mag, in der nationalen Frage ist sie echt leninistisch geblieben. Ein Leninist muß mit Notwendigkeit gegen Luxemburg Stellung nehmen, er ist nicht nur ihr theoretischer Gegner, sondern ihr Todfeind. Die luxemburgische Einstellung schließt in sich die Vernichtung des leninistischen Bolschewismus, und deshalb kann niemand, der sich auf Lenin beruft, gleichzeitig Luxemburg für sich in Anspruch nehmen.

4.1. GEGEN DEN REFORMISMUS

Die Entwicklung des Weltkapitalismus - die imperialistische Entfaltung, die fortschreitende Monopolisierung der Wirtschaft und die damit verbundenen Überprofite - gestatteten die vorübergehende Bildung einer Oberschicht innerhalb der Arbeiterklasse, die Durchführung sozialer Gesetzgebungen und die allgemeine Verbesserung des Lebensstandards der Arbeiter, was alles zur Entfaltung des Revisionismus und zur Herausbildung des Reformismus in der Arbeiterbewegung führte. Der revolutionare Marxismus wurde verworfen, da er den Tatsachen der kapitalistischen Entwicklung widerspreche, und dafür wurde die Theorie des langsamen Hineinwachsens in den Sozialismus auf dem Wege der -Demokratie angenommen. Mit dem unter diesen Umständen möglichen Wachstum der legalen Arbeiterbewegung wurden größere Teile des Kleinbürgertums für sie gewonnen, die bald die geistige Führung in ihr übernahmen und sich die materiellen Vorteile der bezahlten Posten innerhalb der Bewegung mit den Arbeiteremporkömmlingen teilten. Um die Jahrhundertwende hatte sich der Reformismus auf der ganzen Linie durchgesetzt. Der Widerstand gegen diese Entwicklung der sozialistischen Bewegung durch die sogenannten 'orthodoxen' Marxisten, mit Kautsky an der Spitze, der stets nur einer der Phrase war, wurde auch phraseologisch bald aufgegeben. Von den bekannteren Theoretikern jener Zeit waren Luxemburg und Lenin die bedeutendsten, sie führten den Kampf rücksichtslos, und bald auch gegen die 'Orthodoxen', zu Ende im Interesse einer wirklich revolutionären Arbeiterbewegung.
Von allen Angriffen gegen den Revisionismus waren wohl diejenigen Rosa Luxemburgs die stärksten. In ihrer gegen Bernstein gerichteten Polemik 'Sozialreform oder Revolution' wies sie gegen den Unsinn des reinen Legalismus darauf hin, daß die Ausbeutung der Arbeiterklasse

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als ein ökonomischer Prozeß nicht durch gesetzliche Bestimmungen im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft abgeschafft oder gemildert werden könne. Die Sozialreform, betonte sie, bilde nicht einen Eingriff in die kapitalistische Ausbeutung, sondern eine Normierung, eine Ordnung dieser Ausbeutung im Interesse der kapitalistischen Gesellschaft selbst. "Das Kapital", sagt Rosa Luxemburg, "drängt nicht zum Sozialismus, sondern zum Zusammenbruch, und auf diesen Zusammenbruch ist die Arbeiterschaft einzustellen; nicht auf die Reform, sondern auf die Revolution."*73 Deshalb brauche man jedoch nicht auf die Gegenwartsfragen zu verzichten, auch der revolutionäre Marxismus kämpfe für die Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft. Im Gegensatz zum Revisionismus jedoch interessiere ihn bei weitem mehr, wie gekämpft wird, als um was gekämpft wird. Für den Marxismus gehe es in den gewerkschaftlichen und politischen Kämpfen um die Entwicklung der subjektiven Faktoren der Arbeiterrevolution, um die Förderung des revolutionären Klassenbewußtseins. Die schroffe Gegenüberstellung: Reform oder Revolution sei falsch, diese Gegensätze müßten in die Gesamtheit des gesellschaftlichen Prozesses eingeordnet werden. Das Endziel, die proletarische Revolution, dürfe nicht durch den Kampf um Tagesforderungen erstickt werden. In ähnlicher Weise attackierte etwas später auch Lenin den Revisionismus; auch für ihn waren die Reformen nur Nebenprodukte des auf die Eroberung der politischen Macht gerichteten Kampfes. Beide waren sich im allgemeinen einig in ihrem Kampf gegen die Entartung der marxistischen Bewegung und stellten sich auf den Boden des revolutionären Kampfes um die Macht. Sie traten sich zum erstenmal als Gegner gegenüber, als die russischen Zustände vor, während und nach der Revolution von 1905 den revolutionären Kampf um die Macht selbst zu einer brennenden und aktuellen Frage machten, die konkret zu beantworten war. Der Streit, der zwischen Luxemburg und Lenin entbrannte, drehte sich so zuerst um taktische Probleme, um Fragen der Organisation und um die nationale Frage.*74

4.2. DIE NATIONALE FRAGE

Lenin, stark von Kautsky beeinflußt, glaubte wie dieser, daß die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen als fortschrittlich anzusehen seien, weil der nationale Staat die besten Bedingungen für die Entwicklung des Kapitalismus garantiere.*75 In seiner Polemik gegen Rosa Luxemburg in bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen behauptet er, daß die Forderung des Selbstbestimmungsrechtes deshalb revolutionär sei, weil diese Forderung eine demokratische sei, die sich in nichts von den übrigen demokratischen Forderungen unterscheide. Ja, "jeder bürgerliche Nationalismus einer unterdrückten Nation", behauptet er, "hat einen allgemein demokratischen Inhalt, der sich gegen die Unterdrükkung richtet, und diesen Inhalt unterstützen wir unbedingt."*76

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Die Stellung Lenins zum Selbstbestimmungsrecht war - wie auch aus anderen Schriften ersichtlich - dieselbe wie die zur Demokratie. In seinen Thesen über 'Die Sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen' führt er aus: "Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, daß der Kampf um die Demokratie imstande wäre, das Proletariat von der sozialistischen Revolution abzulenken... Im Gegenteil, wie der siegreiche Sozialismus, der nicht die volle Demokratie verwirklicht, unmöglich ist, so kann das Proletariat, das den in jeder Hinsicht konsequenten, revolutionären Kampf um die Demokratie nicht führt, sich nicht zum Siege über die Bourgeoisie vorbereiten."*77 So sind für Lenin die nationalen Bewegungen und Kriege nichts anderes als Bewegungen und Kriege um die Demokratie, an denen das Proletariat sich zu beteiligen hat; denn für ihn war ja der Kampf um die Demokratie die notwendige Voraussetzung des Kampfes um den Sozialismus. Wenn der Kampf um die Demokratie möglich sei, schreibt er, so sei auch der Krieg um die Demokratie möglich. Und so sind ihm denn auch in einem wirklichen nationalen Krieg die Worte 'Verteidigung des Vaterlands' durchaus kein Betrug, und Lenin ist in einem solchen Falle für die Verteidigung. Sofern die Bourgeoisie der unterdrückten Nation gegen die unterdrückende kämpfe, schreibt er, seien sie immer in allen Fällen und entschiedener als alle dafür, weil sie die unerschrockenen und die konsequenten Feinde jeder Unterdrückung seien.
Dieser Einstellung sind Lenin - bis zuletzt - und der Leninismus -bis heute - treu geblieben -solange sie nicht die bolschewistische Parteiherrschaft selbst in Frage stellte. Nur eine kleine Änderung wurde vorgenommen. Waren für Lenin vor der russischen Revolution die nationalen Befreiungskriege und -bewegungen ein Teil der allgemeinen demokratischen Bewegung, so wurden sie nach der Revolution ein Teil des proletarischen weltrevolutionären Prozesses.
Diese hier zusammengefaßte Einstellung Lenins erschien Rosa Luxemburg als völlig falsch. In ihrer während des Krieges erschienenen 'Juniusbroschüre' faßt sie ihren eigenen Standpunkt wie folgt zusammen:
"Solange kapitalistische Staaten bestehen, namentlich solange die imperialistische Weltpolitik das innere und äußere Leben der Staaten bestimmt und gestaltet, hat das nationale Selbstbestimmungsrecht mit ihrer Praxis im Frieden wie im Kriege nicht das geringste gemein. [. . . In dem heutigen imperialistischen Milieu kann es überhaupt keine nationalen Verteidigungskriege mehr geben, und jede sozialistische Politik, die von diesem bestimmenden historischen Niveau absieht, die sich - mitten im Weltstrudel nur von den isolierten Gesichtspunkten eines Landes leiten lassen will, ist von vornherein auf Sand gebaut."*78 An dieser Auffassung hielt Rosa Luxemburg bis zuletzt fest, außerstande, sich Lenin gegenüber zur geringsten Konzession zu verstehen; und nach der russischen Revolution und bei der aktuellen Durchführung der Politik des Selbstbestimmungsrechts der Nationen fragt sie erneut in ihrer Arbeit über die 'Russische Revolution', weshalb wohl die Bolschewiki mit solcher Hartnäckigkeit und starren Konsequenz an der Parole des

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Selbstbestimmungsrechtes festhielten, da dies doch "in krassem Widerspruch zu ihrem sonstigen ausgesprochenen Zentralismus der Politik wie auch der Haltung steht, die sie den sonstigen demokratischen Grundsätzen gegenüber eingenommen haben. [...] Der Widerspruch, der hier klafft, ist um so unverständlicher, als es sich bei den demokratischen Formen des politischen Lebens in jedem Lande [. ..] tatsächlich um höchst wertvolle, ja unentbehrliche Grundlagen der sozialistischen Politik handelt, während das famose 'Selbstbestimmungsrecht der Nationen' nichts als hohle kleinbürgerliche Phraseologie und Humbug ist."*79
Rosa Luxemburg erklärt sich diese falsche Nationalitätenpolitik Lenins als eine "Art Opportunitätspolitik", um "die vielen fremden Nationalitäten im Schoße des russischen Reiches an die Sache der Revolution [...] zu fesseln", ähnlich dem Opportunismus den Bauern gegenüber, "deren Landhunger durch die Parole der direkten Besitzergreifung des adligen Grund und Bodens befriedigt wurde und die dadurch an die Fahne der Revolution [. . .] gefesselt werden sollten." (ebd. S. 89) In beiden Fällen ist ihrer Ansicht nach "die Berechnung leider gänzlich fehlgeschlagen". Umgekehrt, als die Bolschewiki es erwarteten, benutzte eine nach der anderen der (befreiten) 'Nationen' die frisch geschenkte Freiheit dazu, sich als Todfeindin der russischen Revolution gegen sie mit dem deutschen Imperialismus zu verbinden und unter seinem Schutze die Fahne der Konterrevolution nach Rußland selbst zu tragen. [...] Freilich, es sind nicht die 'Nationen', die jene reaktionäre Politik betätigten, sondern nur die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Klassen, die [...] das 'nationale Selbstbestimmungsrecht' zu einem Werkzeug ihrer konterrevolutionären Klassenpolitik verkehrten. Aber [...] darin liegt eben der utopisch-kleinbürgerliche Charakter dieser nationalistischen Phrase, daß sie in der rauhen Wirklichkeit der Klassengesellschaft [...] sich einfach in ein Mittel der bürgerlichen Klassengesellschaft verwandelt." (ebd. S.93). Daß die Bolschewiken die Frage der nationalen Bestrebungen und Sondertendenzen mitten in den revolutionären Kampf warfen, hat nach Rosa Luxemburg "die größte Verwirrung in die Reihen des Sozialismus getragen... Aber die Bolschewiki haben die Ideologie geliefert, die den Feldzug der Konterrevolution maskiert hat, sie haben die Position der Bourgeoisie gestärkt und die der Proletarier geschwächt." (S. 95) "Den Bolschewiken war es beschieden, mit der Phrase von der Selbstbestimmung der Nationen Wasser auf die Mühlen der Konterrevolution zu liefern und damit eine Ideologie nicht nur für die Erdrosselung der russischen Revolution selbst, sondern für die geplante konterrevolutionäre Liquidierung des ganzen Weltkrieges zu liefern." (S. 96)
Weshalb versteifte sich Lenin - um mit Rosa Luxemburg erneut zu fragen - mit solcher Hartnäckigkeit auf die Parole der Selbstbestimmung der Nationen und auf die der Befreiung der unterdrückten Völker? Ohne Zweifel widerspricht diese Parole der Forderung nach der Weltrevolution, und wie Luxemburg war auch Lenin an der Auslösung der Weltrevolution interessiert, da er, wie alle Marxisten jener Zeit,

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nicht daran glaubte, daß Rußland, auf sich selbst beschränkt, sich revolutionär behaupten könne. In Übereinstimmung mit Engels' Ausspruch:
nicht daran glaubte, daß Rußland, auf sich selbst beschränkt, sich revolutionär behaupten könne. In Übereinstimmung mit Engels' Ausspruch: "Wenn eine russische Revolution zugleich eine europäische proletarische Revolution hervorruft, dann kann das heutige russische Gemeineigentum zum Ausgangspunkt einer kommunistischen Entwicklung dienen"*80 , war es für Lenin nicht nur klar, daß die Bolschewiken in Rußland die Macht zu erobern hätten, sondern auch, daß die russische Revolution zur europäischen und damit zur Weltrevolution werden müsse, sollte sie zum Sozialismus führen. In der durch den Weltkrieg gegebenen, objektiven Situation konnte sich Lenin sowenig wie Rosa Luxemburg vorstellen, daß Rußland sich gegen die kapitalistischen Mächte halten könne, fände die Revolution nicht ihre Fortsetzung in Westeuropa. Es war für Luxemburg sehr unwahrscheinlich, daß "die Russen sich in diesem Hexensabbath werden halten können", und dies nicht nur auf Grund ihrer Erfahrungen mit - und ihres Mißtrauens gegen Leute wie Lenin und Trotzki und deren alberne Phraseologie vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen, ihrer Konzessionspolitik den Bauern gegenüber usw., nicht nur wegen der imperialistischen Attacken gegen die russische Revolution und noch viel weniger im Sinne einer These, welche die Sozialdemokratie propagierte (die statistisch nachwies, daß die rückständige ökonomische Entwicklung Rußlands weder die Revolution rechtfertige noch den Sozialismus zulasse), sondern an erster Stelle, wie sie aus dem Gefängnis schrieb, "weil die Sozialdemokratie in dem hochentwickelten Westen aus hundsjämmerlichen Feiglingen besteht und die Russen, ruhig zusehend, sich wird verbluten lassen."*81 Sie ist für die bolschewistische Revolution, sosehr sie die Bolschewiken auch vom Gesichtspunkt der weltrevolutionären Notwendigkeiten kritisiert, und sie versucht, deren Rückzüge stets auf das Versagen des westeuropäischen Proletariats zurückzuführen. Sie schreibt in einem Brief an Luise Kautsky: "natürlich machen [es] mir [die Bolschewiken] jetzt auch nicht recht in ihrem Friedensfanatismus. [Brest Litowsk]*82 Aber schließlich - sie sind nicht schuld. Sie sind in einer Zwangslage, haben nur die Wahl zwischen zwei Tracht Prügeln und wählen die kleinere. Verantwortlich sind andere, daß aus der russischen Revolution der Teufel profitiert."*83 Und in ihrer Arbeit 'Die Russische Revolution' rechtfertigt sie die Bolschewiken erneut: "Mögen die deutschen Regierungssozialisten schreien, die Herrschaft der Bolschewiki in Rußland sei ein Zerrbild der Diktatur des Proletariats. Wenn sie es war oder ist, so nur, weil sie eben ein Produkt der Haltung des deutschen Proletariats war, die ein Zerrbild auf sozialistischen Klassenkampf war."*84
Rosa Luxemburg starb zu früh, um zu sehen, daß die bolschewistische Politik doch imstande war, die Herrschaft der Bolschewiki, allerdings nur im Rahmen des Staatskapitalismus, zu sichern. "Bleibt die deutsche Revolution aus", schrieb Liebknecht aus dem Gefängnis ('Nachlaß') im Einklang mit Rosa Luxemburg, "so bleibt für die russische Revolution die Alternative: revolutionärer Untergang oder schimpfliches Schein- und Trugleben."*85 Die Bolschewiken wählten das letztere. "Es

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gibt in Rußland Kommunisten", schrieb Eugen Varga 1921, in seinem Buch über 'Die wirtschaftspolitischen Probleme der proletarischen Diktatur', "die, des langen Wartens auf die europäische Revolution überdrüssig geworden, sich endgültig auf eine Isoliertheit Rußlands einrichten wollen. [...] Mit einem Rußland, welches die soziale Revolution der anderen Länder als eine ihm fremde Angelegenheit betrachten würde, ... .1 würden die kapitalistischen Länder dann allerdings in friedlicher Nachbarschaft leben können [...] eine solche Einkapselung des revolutionären Rußlands [...] würde den Gang der Weltrevolution 'verlangsamen'."*86
Die Nationalitätenpolitik Lenins hat die Herrschaft der Bolschewiki nicht gefährdet. Wohl wurden große Gebiete von Rußland abgetrennt und zu reaktionären Staaten gemacht, aber fester denn je ist die Macht des bolschewistischen Staates. Scheinbar hat sich die leninistische Linie als für Rußland richtig herausgestellt, scheinbar waren Rosa Luxemburgs Warnungen unbegründet. Dies jedoch nur insoweit, als es sich um die machtvolle Position des bolschewistischen Staatsapparates handelt, auf keinen Fall jedoch vom Standpunkt der Weltrevolution aus gesehen. [...] Wohl besteht das bolschewistische Rußland noch, aber nicht als das, als was es begann: nicht als Ausgangspunkt der Weltrevolution, sondern als ein gegen sie gerichtetes Bollwerk. Das Rußland, das Rosa Luxemburg und jeder Revolutionär mit ihr gefeiert hatte, ist vor die Hunde gegangen; was geblieben ist, ist ein Rußland, von dem Rosa Luxemburg in den 'Spartakusbriefen' schon 1918 befürchten konnte:
Die Nationalitätenpolitik Lenins hat die Herrschaft der Bolschewiki nicht gefährdet. Wohl wurden große Gebiete von Rußland abgetrennt und zu reaktionären Staaten gemacht, aber fester denn je ist die Macht des bolschewistischen Staates. Scheinbar hat sich die leninistische Linie als für Rußland richtig herausgestellt, scheinbar waren Rosa Luxemburgs Warnungen unbegründet. Dies jedoch nur insoweit, als es sich um die machtvolle Position des bolschewistischen Staatsapparates handelt, auf keinen Fall jedoch vom Standpunkt der Weltrevolution aus gesehen. [...] Wohl besteht das bolschewistische Rußland noch, aber nicht als das, als was es begann: nicht als Ausgangspunkt der Weltrevolution, sondern als ein gegen sie gerichtetes Bollwerk. Das Rußland, das Rosa Luxemburg und jeder Revolutionär mit ihr gefeiert hatte, ist vor die Hunde gegangen; was geblieben ist, ist ein Rußland, von dem Rosa Luxemburg in den 'Spartakusbriefen' schon 1918 befürchten konnte: "Wie ein unheimliches Gespenst nähert sich — ein Bündnis der Bolschewiki mit Deutschland. Eine Allianz der Bolschewiki mit dem deutschen Imperialismus wäre der furchtbarste moralische Schlag für den internationalen Sozialismus. [. . .1 Mit der grotesken 'Paarung' zwischen Lenin und Hindenburg wäre die moralische Lichtquelle im Osten verlöscht. [...] Sozialistische Revolution [. . .] unter der Schirmvogtei des deutschen Imperialismus -das wäre das Ungeheuerlichste, was wir noch erleben könnten. Und obendrein war es -reine Utopie. [...] Jeder politische Untergang der Bolschewiki im ehrlichen Kampfe gegen die Übermacht und Ungunst der geschichtlichen Situation wäre diesem moralischen Untergang vorzuziehen."*87 Ist die lange Freundschaft des leninistischen Rußland mit dem Hindenburg-Deutschland auch vorübergehend getrübt worden, zieht es die bolschewistische Diktatur heute vor, sich auf die französischen Bajonette im besonderen und den Völkerbund im allgemeinen zu stützen, so praktiziert sie heute doch offen, wofür sie im Prinzip schon immer eintrat und was Bucharin auf dem vierten Weltkongreß der Komintern folgendermaßen klar ausdrückte: "Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied zwischen einer Anleihe und einem militärischen Bündnis. Wir sind bereits so gewachsen, daß wir ein militärisches Bündnis mit einer anderen Bourgeoisie schließen können, um mittels dieses bürgerlichen Staates ein anderes Bürgertum niederzuschmettern. Bei dieser Form einer Landesverteidigung, des militärischen Bündnisses mit bürgerlichen Staaten, ist es die Pflicht der Genossen eines Landes, die-

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sem Block zum Siege zu verhelfen."*88 In der grotesken Paarung zwischen Lenin und Hindenburg, den kapitalistischen Interessen und den Interessen der bolschewistischen Machthaber, illustriert sich denn auch der Niedergang der weltrevolutionären Welle, der heute noch nicht abgeschlossen ist. Die sich um Lenins Namen scharende Arbeiterbewegung ist ein Spielball kapitalistischer Politik, zu jeder revolutionären Handlung absolut unfähig. Lenins Taktik -die Ausnützung der nationalen Bewegungen zu weltrevolutionären Zwecken - hat sich geschichtlich als verfehlt erwiesen. Die Warnungen Rosa Luxemburgs waren berechtigter, als ihr jemals hätte lieb sein können.
Die 'befreiten' Nationen bilden einen faschistischen Gürtel um Rußland. Die 'befreite' Türkei schlachtet, mit den ihr von Rußland gelieferten Waffen, die Kommunisten ab. Das in seinem nationalen Freiheitskampf von Rußland und der Dritten Internationale unterstützte China würgt seine Arbeiterbewegung nach dem Muster der Pariser Kommune ab.*89 Abertausende von Arbeiterleichen bestätigen Rosa Luxemburgs Auffassung, daß die Phrase vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen nichts als "kleinbürgerlicher Humbug" ist. Wie sehr der Kampf um die nationale Befreiung ein Kampf um die Demokratie ist, zeigen wohl die nationalistischen Abenteuer der Dritten Internationale in Deutschland, die mit zu den Voraussetzungen des faschistischen Sieges gehören. Man hat die Arbeiter selbst zu Faschisten erzogen, indem man zehn Jahre lang mit Hitler um den 'wirklichen Nationalismus' konkurrierte. Und Litwinow feierte im Völkerbund den Sieg des Leninschen Gedankens der Selbstbestimmung der Völker anläßlich der Saar-Abstimmung.*90
Die Haltung Lenins zur nationalen Frage und dem mit ihr verbundenen Problem des Krieges ist - neben ihrer durch den Opportunismus bestimmten Inkonsequenz - zugleich durchaus widerspruchsvoll. Während eines imperialistischen Krieges muß, nach Lenin, das Proletariat für die Niederlage des eigenen Landes sein. Ist sie erfolgt, dann muß die Arbeiterschaft wiederum ihre Bourgeoisie in ihrem Kampfe um die nationale Befreiung unterstützen. Und wenn dann die 'unterjochte Nation' mit Hilfe des Proletariats wieder zu einer gleichberechtigten Nation geworden ist, dann hat die Arbeiterschaft erneut die Landesverteidigung abzulehnen. So waren denn Lenin und die Bolschewiken 1914 - 1918 in ihrer Haltung gegenüber Deutschland gegen die Vaterlandsverteidigung. 1919 -1923 waren sie für die Vaterlandsverteidigung und die nationale Befreiung Deutschlands. Hätte, wo Deutschland dank der Hilfe des Proletariats wieder zur imperialistischen Macht geworden ist, sind sie erneut gegen die Vaterlandsverteidigung in Deutschland - und für diese in Frankreich und in den anderen - im Moment mit Rußland sympathisierenden - Ländern. Und morgen - wogegen oder wofür sie morgen sein werden, hängt von der Mächtekonstellation für den nächsten Weltkrieg ab, der Rußland als Verbündeten dieser oder jener Mächtegruppe sehen wird. Daß dies nichts mit marxistischem Klassenkampf zu tun hat, bemühte sich Rosa Luxemburg aufzuzeigen.
Lenin war ein praktischer Politiker. Wesentlich unterschied er sich

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von den Theoretikern der Zweiten Internationale nur als Taktiker. Was die einen auf demokratischem Wege erreichen wollten, versuchte er auf revolutionärem Wege zu erringen; nicht mit dem Maul im Parlament, sondern mit der Gewalt auf dem realen Felde des Klassenkampfes wollte er für die Arbeiter den Sozialismus erkämpfen. Mittels seiner Partei wollte er die Revolution für die Massen machen, indem die Partei die Massen für sich gewann. Die Macht mußte in die Hände der Bolschewiki kommen, damit die russischen Ausgebeuteten befreit werden konnten. Die Macht mußte in den Händen der Bolschewiki sein, um den Weltkapitalismus revolutionär zu überwinden. Die Aneignung der politischen Macht durch die Partei war Anfang und Ende der Leninschen Politik. Seine fälschlich als geschickt und flexibel gefeierte, in Wirklichkeit jedoch rein opportunistische Politik galt zu allererst der Eroberung der Macht für die bolschewistische Partei.
Das russische Bürgertum war beim Ausbruch der russischen Revolution außerstande, die übernommene Macht zu halten, da es außerstande war, die Agrarfrage revolutionär zu lösen. Dies blieb den Bolschewi ken überlassen. "Wir haben wie niemand sonst die bürgerlich-demokra tische Revolution bis zu Ende durchgeführt", erklärte Lenin zum Vierten Jahrestag der Oktoberrevolution, und diese Revolution wurde mit Hilfe der Bauern durchgeführt. Die Bolschewiki hatten die Macht und balancierten die Gegensätze zwischen den Arbeitern und Bauern stets so aus, daß sie die Macht behalten konnten. Im Interesse der Machterhaltung wurde eine Zick-Zack-Politik im russischen wie im internationalen Maßstabe durchgeführt, die aus der Geschichte der Dritten International eine Geschichte der Krisen und ihres Unterganges machte. Die erste Konzessionen an die Bauern genügten Luxemburg bereits, die notwendige Entwicklung Rußlands in groben Umrissen vorauszusehen; wenn nicht die Weltrevolution diesem 'Sündenfall' die rückwirkende Kraft nähme. "Die Parole nun [...]: sofortige Besitzergreifung und Aufteilung des Grund und Bodens durch die Bauern", schrieb Rosa Luxemburg, "mußte geradezu nach der entgegengesetzten Richtung wirken. Sie ist nicht nur keine sozialistische Maßnahme, sondern sie schneidet den Weg zu einer solchen ab.»*91 Rosa Luxemburg wußte nicht, (sie saß damals im Gefängnis), daß die Bauern das Land verteilten, noch ehe die Bolschewiken die Parole dazu ausgaben, und daß diese nur legalisierten, was praktisch schon durchgeführt war. Die Spontaneität der Bauernmassen war auch hier schneller als die Parole der 'Träger des revolutionären Bewußtseins', als welche sich die Bolschewiken ansahen.
Die Bolschewiken wollten die bürgerliche Revolution jedoch konsequent zu Ende führen, und dazu gehört auch die Umwandlung der Bau ern in ländliche Lohnarbeiter, die Kapitalisierung der Landwirtschaft. Dieser Prozeß ist noch im vollen Gange und wird als Kollektivierung in der Welt gefeiert; er ist noch nicht abgeschlossen und kann wohl nie ohne neue gesellschaftliche Erschütterungen abgeschlossen werden. Scheinbar jedoch können die Leninisten gegen Luxemburg beweisen, daß sie im Unrecht war, als sie annahm, daß ohne Weltrevolution der Bo-

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schewismus an der Bauernfrage zugrunde gehen muß. Doch müßte dieser Beweis zugleich aufzeigen, daß der Bolschewismus tatsächlich zum Sozialismus geführt habe. Was jedoch in Rußland besteht, ist der Staatskapitalismus. Mag man ihn auch Sozialismus nennen, er bleibt doch Lohnarbeit, ausbeutender Staatskapitalismus, und damit hat sich die Luxemburgische Befürchtung, wie sehr auch immer modifiziert, doch bestätigt.
Die Bauernbewegungen in den ersten Jahren der russischen Revolution zwangen den Bolschewiken - wollten sie an der Macht bleiben -einen Kurs auf, der die Weltrevolution behindern mußte und der in Rußland nichts weiter erlaubte als einen Staatskapitalismus, der vom Proletariat revolutionär gestürzt werden muß, will es endlich zum Sozialismus gelangen. An dieser Stelle interessiert uns jedoch nur, daß die Bolschewiken mit Hilfe der Bauernbewegung zur Macht kommen konnten. Und weiter, daß sie glaubten, es genüge, im Besitze der politischen und wirtschaftlichen Kommandohöhen zu sein, um mit einer richtigen Politik zum Sozialismus zu kommen. Was durch rückständige Zustände den Bolschewiken aufgezwungen wurde - die weitgehende Zentralisierung aller Gewalt und die Konzessionen an die Bauern - das erschien ihnen als ihre eigene, kluge, erfolgreiche Politik, die sie auch auf internationalem Boden vertraten. Lenin hatte die Bewegungsgesetze der russischen Revolution lange vor ihrem Ausbruch mit großer Deutlichkeit vorausgesehen, und seine gesamte Theorie und Praxis war auf den russischen Zustand zugeschnitten. Deshalb sein überspitzter Zentralismus, seine Auffassung von der Rolle der Partei, die Akzeptierung der Hilferdingschen Sozialisierungsideen und auch seine Stellung zur nationalen Frage. Konnte auch Rosa Luxemburg, als Kennerin der russischen Zustände, die Politik Lenins gut verstehen und den Grund dazu ausgezeichnet marxistisch analysieren, und konnte sie, solange die Bolschewiken tatsächlich als weltrevolutionäre Kraft auftraten, all dies als unvermeidlich in Kauf nehmen, so wandte sie sich doch mit aller Macht dagegen, daß man aus dieser speziellen russischen Situation ein Rezept zur Lösung der weltrevolutionären Aufgaben der Arbeiterschaft machen wollte. "Das Gefährliche beginnt dort", sagt sie über die Politik Lenins, wo [die Bolschewiken] aus der Not die Tugend machen und ihre von diesen fatalen Bedingungen aufgezwungene Taktik nunmehr theoretisch in allen Stükken fixieren und dem internationalen Proletariat als das Muster der sozialistischen Taktik zur Nachahmung empfehlen wollen." (Die Russische Revolution) *93

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Hatte das Bündnis zwischen Bauern und Arbeitern, wie Lenin es erwartet hatte, den Bolschewiken tatsächlich die Macht in die Hände gespielt, so stellte er sich auch den Verlauf der Weltrevolution als einen ähnlichen Prozeß vor, wenn auch in größerem Maßstab. Die unterdrückten Völker sind in erster Linie agrarische Nationen, und die Kommunistische Internationale versuchte in ihrer Bauernpolitik tatsächlich, die agrarische Interessen mit den Arbeiterinteressen -im Weltmaßstabe -zusammenzufassen, um sie gegen das Kapital (dem russischen Muster
folgend) zu richten, um es - im Weltmaßstabe - zu besiegen. Die nationalen Freiheitsbewegungen in den Kolonien und die der nationalen Minderheiten in den kapitalistischen Ländern zu unterstützen, war ebenfalls wertvoll für die Bolschewiken, weil dadurch die imperialistische Intervention der kapitalistischen Länder in Rußland geschwächt wurde. Jedoch die Weltrevolution ließ sich nicht wie eine vergrößerte Kopie der russischen Revolution behandeln. Die Abenteuer der Kommunistischen Internationale in ihren Versuchen, aus sich eine Arbeiter- und Bauerninternationale*94 zu machen, sind als Fehlschläge bekannt; sie förderten nichts, aber sie zersetzten die revolutionäre Bewegung gegen den Kapitalismus. Alles, was dabei erreicht werden konnte, war die Sicherung der bolschewistischen Staatsmacht in Rußland durch die Gewinnung einer langen geschichtlichen Atempause, die zur Entwicklung der russischen und internationalen Situation führte, wie sie sich uns heute prasentiert.

4.3. DER ZUSAMMENBRUCH DES KAPITALS

War Lenins Einstellung zur nationalen Frage einerseits von dem diesbezüglichen, nicht gänzlich überwundenen sozialdemokratischen Standpunkt der Vorkriegszeit bestimmt, und war sie ihm andererseits ein Mittel zur Errichtung und Festigung der bolschewistischen Herrschaft in Rußland und deren eventuellen Ausdehnung im Weltmaßstabe, so hatte sie für Rosa Luxemburg keine andere Bedeutung, als die einer falschen Politik, die sich bitter rächen würde.
Sie stand dort im Gegensatz zu Lenin, wo für ihn -durchaus im Einklang mit seiner Gesamteinstellung - die Organisation und die Eroberung der Macht für die Partei die notwendige Voraussetzung für den Sieg des Sozialismus war [... ] Ihr Augenmerk war auf die Klassennotwendigkeiten des Proletariats gerichtet. War weiterhin Lenins Theorie und Praxis hauptsächlich mit den rückständigen russischen Verhältnissen verbunden, so ging Rosa Luxemburg stets von den kapitalistisch entwickelteren Ländern aus und war so außerstande, in der 'geschichtlichen Mission' der Arbeiterklasse ein Partei- und Führerproblem zu sehen. Mehr Bedeutung als dem Wachsen der Organisation und der Qualität der Führer maß sie den spontanen Massenbewegungen und der Eigeninitiative der Arbeiter in ihren Kämpfen zu. So unterschied sie sich von Lenin grundsätzlich in der Bewertung der Spontaneität in der Geschichte und damit auch in der Frage nach der Rolle der Organisation im Klassenkampf. Bevor wir jedoch auf diese Differenzen eingehen, sei es uns erlaubt, kurz - wie es hier leider nicht anders möglich ist - auf den Unterschied der Auffassungen Luxemburgs und Lenins zur Marxschen Akkumulationstheorie einzugehen, da diese Frage mit allen anderen aufs engste verknüpft ist.
In ihrem Kampf gegen die Revisionisten hatte Rosa Luxemburg schon betont, daß die Arbeiterschaft auf Revolution, nicht auf Reformen ein-

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gestellt werden muß, da der Kapitalismus unvermeidlich seinem Zusammenbruch entgegen treibe. Dem Revisionismus, der sich bemühte, dem Kapitalismus Ewigkeitsdauer zuzuschreiben, hielt sie entgegen, "daß mit der Annahme der ökonomischen Schrankenlosigkeit der kapitalistischen Akkumulation dem Sozialismus der granitene Boden der objektiven historischen Notwendigkeit unter den Füßen verschwindet. Wir verflüchten uns dann in die Nebel der vormarxistischen Systeme und Schulen, die den Sozialismus aus bloßer Ungerechtigkeit und Schlechtigkeit der heutigen Welt und aus der bloßen revolutionären Entschlossenheit der arbeitenden Klasse ableiten wollen." ('Was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben' - Antikritik*95 ) Ihr Hauptwerk 'Die Akkumulation des Kapitals', als ein Teil ihres Kampfes gegen den Reformismus gedacht, galt dem Nachweis einer objektiven Grenze der kapitalistischen Entfaltung und war zugleich eine Kritik der Marxschen Akkumulationstheorie.*96
Marx hatte, ihrer Auffassung nach, die Frage der Akkumulation des Gesamtkapitals nur gestellt, aber nicht mehr beantwortet. Sein 'Kapital' erschien ihr als "unvollständig", als "Torso", es enthalte "Lükken", die es auszufüllen gelte. Marx habe den Akkumulationsprozeß des Kapitals in einer Gesellschaft dargestellt, die lediglich aus Kapitalisten und Arbeitern bestehe, er habe in seinem System den Außenhandel übergangen, und ebenso notwendig wie zugleich unmöglich erscheine deshalb in seinem System die Realisierung des Mehrwerts außerhalb der beiden existierenden Gesellschaftsklassen. Die Akkumulation des Kapitals sei bei Marx "in einen fehlerhaften Zirkel geraten"; ja, sein Werk enthalte "klaffende Widersprüche", die sie zu überwinden sich anschickte.
Sie selbst begründete die Notwendigkeit des kapitalistischen Zusammenbruchs mit dem dialektischen Widerspruch, daß die kapitalistische Akkumulation zu ihrer Bewegung nichtkapitalistischer Formen als ihrer Umgebung bedürfe und nur so lange existieren könne, wie sie dieses Milieu vorfinde. Sie suchte die Schwierigkeiten der Akumulation in der Zirkulationssphäre, in der Absatzfrage und in der der Mehrwertrealisierung, während bei Marx diese Schwierigkeiten bereits in der Produktionssphäre gegeben sind, da für ihn die Akkumulation eine Kapitalverwertungsfrage ist. Die Produktion von Mehrwert, nicht die Realisierung desselben, ist für ihn das wirkliche Problem. Für Rosa Luxemburg konnte ein Teil des Mehrwerts in einem wie von Marx dargestellten Kapitalismus nicht abgesetzt werden; dessen Verwandlung zu neuem Kapital war nur auf dem Wege des Außenhandels mit nichtkapitalistischen Ländern möglich. Sie formulierte dies in der 'Akkumulation des Kapitals' folgendermaßen: "Der Akkumulationsprozeß hat die Bestrebung, überall an Stelle der Naturalwirtschaft die einfache Warenwirtschaft, an Stelle der einfachen Warenwirtschaft die kapitalistische Wirtschaft zu setzen, die Kapitalproduktion als die einzige und ausschließliche Produktionsweise in sämtlichen Ländern und Zweigen zur absoluten Herrschaft zu bringen. [...] Ist das Endresultat einmal erreicht - was jedoch nur theoretische Konstruktion bleibt -, wird die

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Akkumulation zur Unmöglichkeit: die Realisierung und Kapitalisierung des Mehrwerts verwandelt sich in eine unlösbare Aufgabe [...] Die Unmöglichkeit der Akkumulation bedeutet kapitalistisch die Unmöglichkeit der weiteren Entfaltung der Produktivkräfte und damit die objektive geschichtliche Notwendigkeit des Untergangs des Kapitalismus."*97
Diese Gedankengänge Rosa Luxemburgs waren nicht neu, originell war nur die Begründung, die sie ihnen gab. Sie versuchte deren Richtigkeit an dem Marxschen Reproduktionsschema im zweiten Band des 'Kapital' zu beweisen. Nach Marx muß das Kapital akkumulieren. Ein bestimmtes Verhältnis muß zwischen den verschiedenen Produktionsgebieten vorhanden sein, damit die Kapitalisten die Produktionsmittel, die Arbeiter die Lebensmittel für die Reproduktion auf dem Markt vorfinden. Dieses Verhältnis, von den Menschen nicht kontrolliert, setzt sich auf dem Umweg über den Markt blind durch. Marx reduzierte es auf zwei zusammenfassende Produktionsabteilungen: die Produktion von Produktionsmitteln und die Produktion von Konsumtionsmitteln. Mit willkürlich gewählten Zahlen illustrierte er den Austausch zwischen beiden Abteilungen. Auf Grund dieser Marxschen Schemata verläuft die Akkumulation scheinbar ohne Störungen. Der Austausch zwischen beiden Abteilungen geht glatt vonstatten. "Nimmt man das Schema wörtlich [...]", sagt Luxemburg, "dann erweckt es den Anschein, als ob die kapitalistische Produktion ausschließlich selbst ihren gesamten Mehrwert realisierte und den kapitalisierten Mehrwert für die eigenen Bedürfnisse verwendete. Da die kapitalistische Produktion selbst ausschließliche Abnehmerin ihres Mehrproduktes ist, so ist für die Kapitalakkumulation keine Schranke zu finden." (S. 299 f) Unter den Marxschen "Voraussetzungen läßt aber sein Schema keine andere Deutung zu als Produktion um der Produktion willen." (S. 303) Aber das könne, sagt Rosa Luxemburg, doch nicht der "Zweck" der Akkumulation sein; eine solche Produktion, wie sie das Schema suggeriere, sei vom kapitalistischen Standpunkt aus völlig sinnlos. Das Marxsche Schema der Akkumulation gebe auf die Frage, für wen die erweiterte Reproduktion eigentlich stattfinde, keine Antwort. Wohl steige mit der Akkumulation die Konsumtion der Arbeiter wie die der Kapitalisten, doch falle "die persönliche Konsumtion der Kapitalisten [. . .] unter die Gesichtspunkte der einfachen Reproduktion." [... ] Und "für wen produzieren die Kapitalisten, wenn [. . .] sie nicht selbst [den ganzen Mehrwert] konsumieren, sondern 'entsagen', d. h. akkumulieren? Noch weniger kann die Erhaltung einer immer größeren Armee von Arbeitern der Zweck der ununterbrochenen Kapitalakkumulation sein. Die Konsumtion der Arbeiter ist kapitalistisch eine Folge der Akkumulation, niemals ihr Zweck und ihre Voraussetzung" [S. 304] In dem Moment, wo das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion der Wirklichkeit entspreche, zeigt es das Ende der kapitalistischen Produktion an. Aber das reibungslose Austauschverhältnis zwischen den beiden großen Abteilungen der Produktion, deren Gleichgewicht innerhalb der Marxschen Schemata, ist

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nach Luxemburg gar nicht möglich. Die Annahme der wachsenden organischen Zusammensetzung*2_ des Kapitals würde zeigen, daß die Einhaltung der notwendigen quantitativen Proportionen ausgeschlossen sei, d. h. die Unmöglichkeit der Dauerakkumulation lasse sich rein quantitativ schematisch beweisen. Ein Austausch zwischen beiden Abteilungen sei nicht möglich, es bleibe ein unabsetzbarer Rest in der Abteilung der Konsumgüter, eine Überproduktion an unrealisierbarem Mehrwert, der erst in nichtkapitalistischen Ländern realisiert werden könne. ('Die Akkumulation des Kapitals') Mit dieser Theorie erklärte Rosa Luxemburg auch die imperialistischen Notwendigkeiten der kapitalistischen Länder.
Im direkten Gegensatz zu dieser Theorie Rosa Luxemburgs steht die Auffassung Lenins, was aus allen seinen ökonomischen Schriften ersichtlich ist. In vollem Einklang mit Marx suchte er die Widersprüche, die die historische Begrenztheit des Kapitals andeuten, nicht wie Rosa Luxemburg in der Zirkulations-, sondern in der Produktionssphäre. Kritiklos stellte Lenin sich voll und ganz auf den Boden der Marxschen ökonomischen Theorien, da sie sich nicht ergänzen ließen. In seinen eigenen theoretischen Arbeiten beschränkte er sich auf die Anwendung der Marxschen Lehren bei der Untersuchung der Entwicklung des Kapitalismus im allgemeinen und die des russischen im besonderen.
Schon in seinen Schriften gegen die Narodniki*98 , die nicht an eine kapitalistische Entwicklung Rußlands glauben wollten, da die Entwicklung eines Außenmarktes die Hauptbedingung dafür wäre und dieser Außenmarkt für Rußland nicht vorhanden sei, da es zu spät die kapitalistische Bühne betrat, hatte Lenin bereits viele seiner Argumente gegen Rosa Luxemburgs Auffassung vorweggenommen. Die Narodniki behaupteten, daß der innere kapitalistische Markt zur Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaft nicht genüge, ja, daß er sich durch die mit dem Kapitalismus verbundene Verelendung der Massen dauernd vermindere. Ähnlich wie später Rosa Luxemburg bestritten auch sie, daß sich der kapitalistische Mehrwert ohne Außenmärkte realisieren ließe. Die Frage der Realisierung des Mehrwerts hat nach Lenin mit dieser Problemstellung jedoch nichts zu tun; die Einbeziehung des Außenhandels verschiebe das Problem nur, aber es löse es nicht. Die Notwendigkeit des Außenmarktes für ein kapitalistisches Land erkläre sich für ihn, wie er ausführt, überhaupt nicht aus den Gesetzen der Realisierung des gesellschaftlichen Produkts (und des Mehrwerts im besonderen), sondern dadurch, daß der Kapitalismus nur als Resultat einer weit entwikkelten Warenzirkulation auftrete, die die Grenzen des Staates über-


*2_
Organische Zusammensetzung des Kapitals das Verhältnis zwischen dem in Produktionsmittel (konstantes Kapital) und dem in Löhnen (variables Kapital) investierten Kapital. Ausdruck der wachsenden Produktivität der Arbeit im Kapitalismus ist das Wachsen der organischen Zusammensetzung des Kapitals, die schnellere Zunahme des konstanten gegenüber dem variablen Kapital. IVerf.]

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schreite. Der Absatz des Produkts auf dem äußeren Markt erkläre nichts, sondern bedürfe selbst der Erklärung, d. h. das Auffinden seines Äquivalents. Wenn man von den 'Schwierigkeiten' der Realisierung spreche, sagt Lenrn, dann müsse man auch erkennen, daß diese 'Schwierigkeiten' nicht nur möglich, sondern auch unvermeidlich seien, und zwar hinsichtlich aller Teile des kapitalistischen Produkts und nicht des Mehrwerts allein. Die Schwierigkeiten dieser Art, die von der unproportionellen Verteilung der verschiedenen Zweige der Produktion herrührten, entständen dauernd nicht nur bei der Realisierung des Mehrwerts, sondern auch bei der Realisierung des variablen und konstanten Kapitals; nicht nur bei der Realisierung des Produkts in Gestalt von Konsumtionsgütern, sondern auch in Gestalt von Produktionsmitteln. (Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland, a. a. 0. S.35)*99
"Wie bekannt", schreibt Lenin ('Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik')*100 , "besteht das Gesetz der kapitalistischen Produktion darin, daß das konstante Kapital rascher wächst als das variable, d. h. ein immer größerer Teil sich neubildenden Kapitals wendet sich der Abteilung der gesellschaftlichen Produktion zu, die Produktionsmittel herstellt. Folglich muß diese Abteilung unbedingt rascher wachsen als diejenige, die Konsumtionsmittel herstellt. Folglich nehmen die Konsumtionsmittel in der Gesamtmasse der kapitalistischen Produktion immer weniger und weniger Raum ein. Und das entspricht vollkommen der geschichtlichen Mission des Kapitalismus und seiner spezifischen sozialen Struktur: die erste besteht nämlich in der Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft; die letztere schließt die Utilisierung derselben durch die Masse der Bevölkerung aus."*101 Nichts ist für Lenin sinnloser, als aus diesem Widerspruch zwischen Produktion und Konsumtion abzuleiten, daß Marx die Möglichkeiten, den Mehrwert in der kapitalistischen Gesellschaft zu realisieren, bestritten, die Krisen durch ungenügenden Konsum erklärt hätte. Er sagt in seinem Buch über die Entwicklung des russischen Kapitalismus an anderer Stelle: "Die verschiedenen Zweige der Industrie, die einander als 'Markt' dienen, entwickeln sich ungleichmäßig, überholen einander, und die entwickeltere Industrie sucht einen äußeren Markt. Dies bedeutet keineswegs die Unmöglichkeit, für die kapitalistische Nation, den Mehrwert zu realisieren. [...] Dies weist nur auf die Unproportionalität in der Entwicklung der einzelnen Industrien hin. Bei einer anderen Verteilung des nationalen Kapitals könnte die gleiche Produktenmenge im Inneren des Landes realisiert werden."*102
Für Lenin hat Marx mit seinem Reproduktionsschema den Prozeß der Realisierung des Produkts im allgemeinen und des Mehrwerts im besonderen vollständig aufgeklärt und die völlige Unrichtigkeit der Hereinziehung des äußeren Marktes in die Realisierungsfrage aufgedeckt. (a. a. 0. S. 57) Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus und dessen Expansionstendenzen erklären sich für Lenin durch die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der einzelnen Industriezweige. Aus dem Monopolcharakter des Kapitalismus leitet er in seinem Buch über den Imperialismus

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die beständige koloniale Ausdehnung und die imperialistische Aufteilung der Welt ab.*103 Durch den Kapitalexport und die Beherrschung der Rohstoffgebiete verschafft sich die Bourgeoisie der beherrschenden kapitalistischen Länder riesige Extraprofite. Die imperialistische Expansion diene nicht so sehr der Realisierung des Mehrwerts, sondern der Steigerung der Profite.
Ohne Zweifel steht Lenins Auffassung der Marxschen näher als die Rosa Luxemburgs. Wohl hat letztere völlig richtig in der Marxschen Akkumulationstheorie das Zusammenbruchsgesetz des Kapitals erkannt; sie übersah jedoch die Marxsche Begründung dafür und produzierte ihre eigene Realisierungstheorie, die von Lenin mit Recht als unmarxistisch und falsch zurückgewiesen wurde. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch interessant, zu bemerken, daß Lenin in der seiner Marx-Biographie beigefügten Bibliographie auf die Analyse der (Luxemburgischen) falschen Auslegung der Marxschen Theorie durch Otto Bauer in der 'Neuen Zeit' verwies.*104 Bauers Kritik an Rosa Luxemburgs Akkumulationstheorie war von ihr in der Antikritik jedoch mit Recht als eine "Blamage für den derzeitigen offiziellen Marxismus" bezeichnet worden; denn Bauer wiederhole in seinen Angriffen nur die revisionistische Auffassung, daß dem Kapital keine objektiven Schranken gezogen seien. In seiner Auffassung sei der Kapitalismus auch ohne Expansion denkbar. Nicht an der mechanischen Unmöglichkeit, den Mehrwert zu realisieren, scheitere bei ihm der Kapitalismus, sondern an der Empörung, zu der er die Volksmassen treibe... "Er wird gefällt werden von der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse." (Antikritik, a. a. 0. S. 105)
Bauer bemühte sich mit einem von ihm modifizierten Reproduktionsschema, das viele der von Rosa Luxemburg beklagten Mängel der Marxschen Schemata nicht kannte, den Nachweis anzutreten, daß auch bei Annahme der wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals ein reibungsloser Austausch zwischen den beiden Abteilungen im Schema der kapitalistischen Reproduktion möglich sei. Jedoch wies ihm Rosa Luxemburg nach, daß auch in seinem modifizierten Schema ein unabsetzbarer Rest in der Konsumtionsabteilung übrigbleibe, der, um realisiert zu werden, zur Eroberung neuer Märkte dränge. Darauf hatte Bauer nichts mehr zu sagen. Und trotzdem verwies Lenin auf ihn als den Ausleger der falschen Theorie Rosa Luxemburgs.
Nicht nur, daß Bauers Argumentation Rosa Luxemburg überhaupt nicht traf, auch die von ihm aus seinem Schema gezogenen Schlußfolgerungen der schrankenlosen Akkumulation (unabhängig von der Frage des Austauschverhältnisses beider Abteilungen) konnten an diesem selben Schema als völlig falsch bewiesen werden. Henryk Großmann wies nach, daß die Weiterführung des Bauerschen Schemas auf eine längere Periode hinaus nicht die von Bauer abgeleitete reibungslose Entfaltung des Kapitalismus, sondern den Zusammenbruch der Kapitalverwertung ergab. Der Kampf gegen Rosa Luxemburgs Zusammenbruchstheorie hatte nur

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zu einer neuen Zusammenbruchstheorie geführt. (Henryk Großmann, Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, s. oben)
Der Streit zwischen Luxemburg und Bauer [...]war ein Streit um nichts, und es ist wiederum nicht uninteressant festzustellen, daß Lenin die Unsinnigkeit der ganzen Auseinandersetzung nicht bemerkt hat. Die Diskussion drehte sich um die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines reibungslosen Austauschverhältnisses zwischen den beiden Abteilungen des Marxschen Reproduktionsschemas, von der die volle Realisierung des Mehrwerts abhängt. Das Schema war im Marxschen System nur als Hilfsmittel der gedanklichen Analyse gedacht, dem keine objektive Existenz zuzuschreiben ist. In seiner überzeugenden Rekonstruktion des Aufbauplanes des Marxschen 'Kapital', sowie in anderen Arbeiten, hat Henryk Großmann die wirkliche Bedeutung des Reproduktionsschemas aufgezeigt und damit die Diskussion um die Marxsche Akkumulationstheorie auf einen neuen, fruchtbaren Boden gestellt.*105 Der ganzen -auf dem Schema basierenden - Marx-Kritik Rosa Luxemburgs lag die Zumessung einer realen Existenz des Reproduktionsschemas zugrunde, "aber", betont Großmann, "das Schema für sich allein beansprucht nicht, ein Abbild der konkreten kapitalistischen Wirklichkeit zu sein. Es ist nur ein Glied im Marxschen Annäherungsverfahren, das, zusammen mit anderen vereinfachenden Annahmen, die dem Schema zugrunde liegen, und den nachträglichen Modifikationen im Sinne einer progressiven Konkretisierung, ein unzertrennliches Ganzes bilden. Dabei verliert jeder dieser drei Teile für sich allein, ohne die beiden anderen, für die Erkenntnis der Wahrheit jeden Sinn und kann nur ein vorläufiges Erkenntnisstadium, die erste Etappe im Annäherungsverfahren an die konkrete Wirklichkeit bedeuten.» (Großmann a. a. 0. [s. Anm. 104] S. 133)
Das Marxsche Schema beschäftigt sich mit dem Austausch von Werten, aber in Wirklichkeit werden die Waren nicht zu ihren Werten, sondern zu Produktionspreisen ausgetauscht. "In einem auf Werten aufgebauten Schema", führt Großmann in seiner Arbeit über 'Die Wert- und Preis-Transformation'*106 aus, "müssen in jeder Abteilung des Schemas verschiedene Profitraten entstehen. Es besteht aber in der Wirklichkeit die Tendenz der Ausgleichung der Profitraten zur Durchschnittsprofitrate, was schon im Begriff des Produktionspreises eingeschlossen ist. Will man so Kritik oder Bejahung der Möglichkeit der Realisierung des Mehrwerts auf das Schema basieren, so müßte es zu allererst in ein Preisschema verwandelt werden." (S. 6o) Selbst wenn Rosa Luxemburg der Nachweis gelungen wäre, daß im Marxschen Schema der restlose Absatz der Waren nicht möglich ist, daß mit jedem Jahre ein wachsender Überschuß an Konsumtionsmitteln entstehen muß, was hätte sie dann bewiesen: "Lediglich den Umstand, daß der 'unabsetzbare Rest' in der Konsumtionsabteilung innerhalb des Wertschemas entsteht, d. h. unter der Voraussetzung, daß die Waren zu ihren Werten ausgetauscht werden." (ebd.) Aber diese Voraussetzung besteht nicht in der Wirklichkeit.

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Das der Luxemburgischen Analyse zugrunde liegende Wertschema hat in den einzelnen Produktionszweigen verschiedene Profitraten, die nicht zur Durchschnittsprofitrate ausgeglichen werden, da ja im Schema von der Konkurrenz abgesehen wird. Was besagen dann die Schlußfolgerungen Luxemburgs für die Wirklichkeit, wenn sie von einem Schema abgeleitet werden, dem keine Wirklichkeitsgeltung zukommt? "Da infolge der Konkurrenz die Umwandlung der Werte in Produktionspreise und dadurch die Neuverteilung des Mehrwerts unter die einzelnen Industriezweige im Schema stattfindet, wodurch notwendigerweise auch eine Änderung der bisherigen Proportionalitätsverhältnisse der einzelnen Sphären des Schemas erfolgt, so ist es durchaus möglich und wahrscheinlich, daß ein 'Konsumtionsrest' im Wertschema nachher im Produktionsschema verschwindet und umgekehrt ein ursprüngliches Gleichgewicht des Wertschemas sich nachher im Produktionsschema in eine Disproportionalität verwandelt." (ebd.) Die theoretische Verwirrung Rosa Luxemburgs illustriert sich am besten in der Tatsache, daß sie einerseits in der Durchschnittsprofitrate die leitende Macht sieht, die tatsächlich jedes Privatkapital nur als Teil des gesellschaftlichen Gesamtkapitals behandle, ihm den Profit als einen ihm nach Größe zukommenden Teil des in der Gesellschaft herausgepreßten Gesamtmehrwerts ohne Rücksicht auf das von ihm tatsächlich erzielte Quantum zuweise, und daß sie trotzdem die Frage prüft, ob ein restloser Austausch möglich sei - und das an einem Schema, das keine Durchschnittsprofitrate kennt. Berücksichtigt man den Durchschnittsprofit, so verliert das Disproportionalitätsargument Rosa Luxemburgs jeden Wert, da eine Abteilung über, die andere unter den Wert verkauft und auf der Basis der Produktionspreise der unabsetzbare Mehrwertteil verschwinden kann.
Marx' Akkumulationsgesetz entspricht dem Fall der Profitrate: Der Kompensation des Falles der Profitrate durch Wachstum der Profitmasse ist durch den dauernden Akkumulationszwang eine Grenze gesetzt. Nicht aus einem Zuviel des Mehrwerts, der sich nicht realisieren läßt, aus dem Mangel an Mehrwert geht bei Marx das Kapital zugrunde. Rosa Luxemburg übersah die Folgen des Falles der Profitrate vollständig; weshalb sie auch die vom Marxschen Standpunkt sinnlose Frage nach dem 'Zweck' der Akkumulation stellte. "Man sagt, schreibt sie in ihrer 'Antikritik', "der Kapitalismus werde am Falle der Profitrate zugrunde gehen. [...] Dieser Trost wird leider durch einen einzigen Satz von Marx in Dunst aufgelöst, nämlich durch den Hinweis, daß für große Kapitale der Fall der Profitrate durch Masse aufgewogen wird. Es hat also mit dem Untergang des Kapitalismus am Fall der Profitrate noch gute Wege, so etwa bis zum Erlöschen der Sonne." (a. a. 0., S. 6o) Sie übersah, daß diese von Marx dargestellte Tatsache nach Marx ebenfalls ihre Grenzen hat und daß aus dem Fall der Profitrate der Fall der Profitmasse wird, ja, daß der Fall der Profitrate den zuerst relativen und dann absoluten Fall der aktuellen Profitmasse - gemessen an den Akkumulationsnotwendigkeiten des Kapitals - ausdrückt.*117
Wohl hat Lenin "es begreiflich gefunden", wie er es in seiner Marx-

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Biographie ausdrückt, "daß die Profitrate eine Tendenz zum Sinken hat", und er wies darauf hin, daß Marx diese Tendenz und eine Reihe der sie verhüllenden bzw. ihr entgegenwirkenden Umstände analysiert habe, aber die ganze Bedeutung dieses Gesetzes im Marxschen System war ihm ebenfalls nicht klar, was einerseits seine Akzeptierung der Bauerschen Erwiderung auf Rosa Luxemburg, andererseits die Beschränkung seiner eigenen Krisenerklärung auf die disproportionelle Entwicklung der verschiedenen Industriezweige erklärt.*107 Hieraus resultieren wohl auch seine widerspruchsvollen Auffassungen, die einmal ein unabwendbares Ende des Kapitalismus annehmen, ein andermal betonten, daß es keine absolut ausweglosen Lagen für den Kapitalismus gebe. In seinen Werken findet sich keine überzeugende ökonomische Begründung für das Ende des Kapitalismus und doch zugleich die feste Überzeugung, daß das System unabwendbar seinem Untergang entgegengeht. Dies erklärt sich daraus, daß er wohl nicht mit Bauer und der Sozialdemokratie an die Möglichkeit der reformistischen Verwandlung des Kapitalismus zum Sozialismus glaubte, aber dennoch mit Bauer und der Sozialdemokratie annahm, daß die Umwälzung des Kapitalismus ausschließlich eine Frage der Entwicklung der revolutionären Bewegung sei, worunter beide nichts weiter verstanden, als daß die Revolution eine Frage der Organisation und ihrer Führung sei.

4.4. ZUR FRAGE DER SPONTANEITÄT UND DER ROLLE DER ORGANISATION

Wir sahen bisher, daß Rosa Luxemburg mit Recht betonte, daß für Marx das Akkumulationsgesetz zugleich das Zusammenbruchsgesetz des Kapitals war. Ihre Beweisführung war falsch, die Schlußfolgerung dennoch richtig. Wich sie von Marx in der Erklärung des Zusammenbruchsgesetzes vollständig ab, so erkannte sie doch die Existenz desselben. Lenins Argumente gegen Luxemburgs in dieser Frage waren stichhaltig und, soweit wie sie gingen, mit Marx im Einklang, jedoch wich er der Frage aus, ob dem Kapital eine objektive Grenze gesetzt sei. Seine eigene Krisenlehre ist unzureichend und inkonsequent. Seine richtigere Theorie führte nicht zu wirklich revolutionären Schlußfolgerungen. Selbst Rosa Luxemburgs falsche Begründung blieb noch revolutionär. Denn darauf kommt es an: auf die Betonung und den Nachweis der Zusammenbruchsgesetzlichkeit des Kapitalismus.
Lenin, der Sozialdemokratie noch viel näher stehend als Rosa Luxemburg, sah den kapitalistischen Zusammenbruch mehr als einen bewußten politischen Akt, denn als ökonomische Notwendigkeit. [...]
Es war nach Lenin falsch anzunehmen (und dies galt auch für die internationale Szene), daß wir uns im Zeitalter der reinen proletarischen Revolution befinden, ja, eine solche kann es nach Lenin niemals geben. Die wirkliche Revolution ist für ihn das dialektische Umschlagen der bürgerlichen in die proletarische Revolution. Die noch aktuell geblie-

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benen Forderungen der bürgerlichen Revolution können nur noch im Rahmen der proletarischen Revolution verwirklicht werden. Diese proletarische Revolution ist nur proletarisch in der Führung, sie umfaßt alle Unterdrückten, die zu Verbündeten des Proletariats werden müssen: die Bauern, den Mittelstand, die kolonialen Völker, die unterdrückten Nationen usw. Diese wirkliche Revolution findet im Zeitalter des Imperialismus statt, der - durch die Monopolisierung der Wirtschaft entwickelt - für Lenin ein "parasitärer", ein "stagnierender" Kapitalismus ist, "die letzte Stufe der kapitalistischen Entwicklung", unmittelbar vor dem Ausbruch der sozialen Revolution. Der Imperialismus führt nach Lenin "knapp bis zur allseitigen Vergesellschaftung der Produktion, er schleppt sozusagen den Kapitalisten gegen dessen Wollen und Bewußtsein in eine gesellschaftliche Ordnung, die einen Übergang bietet von der vollkommenen Freiheit der Konkurrenz zur völligen Vergesellschaftung."*108
Der Monopolkapitalismus hat nach Lenin die Produktion bereits sozialisierungsreif gemacht; es kommt nur noch darauf an, die Kontrolle über die Wirtschaft aus den Händen der Kapitalisten in die des Staates zu legen und dann auch die Distribution nach sozialistischen Grundsätzen zu regeln. Die ganze Frage des Sozialismus ist eine Frage der Eroberung der politischen Macht für die Partei, die dann den Sozialismus für die Arbeiter verwirklichen würde. Es bestanden zwischen der Sozialdemokratie und Lenin keine Differenzen, soweit es um den sozialistischen Aufbau und dessen Organisationsprobleme ging. Es bestand nur ein Unterschied in der Frage, wie man zur Herrschaft über die Produktion kommen kann: auf parlamentarischem oder auf revolutionärem Wege. Jedoch der Besitz der politischen Macht und die Kontrolle über das komplette Monopol war in beider Auffassungen auch schon die Lösung des Problems der sozialistischen Wirtschaft. Deshalb scheut Lenin auch nicht vor dem Staatskapitalismus zurück, gegen dessen Gegner er auf dem XI. Parteitag der Bolschewiki sagt: "Staatskapitalismus - das ist jener Kapitalismus, den einzuschränken, dessen Grenzen wir festzulegen wissen werden; dieser Staatskapitalismus ist mit dem Staate verbunden, der Staat aber, das sind die Arbeiter, das ist der vorgeschrittenste Teil der Arbeiter, das ist die Avant-Garde, das sind wir. Und es hängt nur von uns ab, wie dieser Staatskapitalismus aussehen wird."*109 *3_ Hing bei Otto Bauer die proletarische Revolution allein von der Haltung der klassenbewußten, organisierten Arbeiterschaft ab, von ihrem politischen Willen (was bei einem einzigen Blick auf die sozialdemokratischen Organisationen, die ihre Mitglieder völlig beherrschen, praktisch bedeutete, daß sie von Otto Bauer und Kumpanei abhing), so hängt hier


*3_
Es ist lustig, sich diese Stufenreihe anzusehen: "...der Staat, das sind die Arbeiter (erste Einschränkung), der vorgeschrittenste Teil (zweite Einschränkung), die Avantgarde (letzte Einschränkung), das sind wir; d. h. die Bolschewiken, die wiederum so abgestuft sind, daß Lenin zuletzt wie jener französische König zu sagen imstande wäre: "Der Staat - das bin ich!" [Verf.]

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bei Lenin das Schicksal des Staatskapitalismus von der Haltung der Partei ab, die wiederum von der Bürokratie bestimmt wird. Und die ganze Geschichte ist erneut die Geschichte des Edelmuts, der Selbstlosigkeit und der Tapferkeit einer Gruppe von Menschen, die von den Alleredelsten in diesen Tugenden ausgebildet werden.
Aber mit dieser Einstellung Lenins zum Staatskapitalismus, der für ihn willensmäßig und nicht von ökonomischen Gesetzen bestimmt ist,; obwohl die ökonomischen Gesetze des Staatskapitalismus prinzipiell nicht andere als die des Monopolkapitalismus sind, war Lenin nur sich selbst treu geblieben, denn letzten Endes hing auch die Revolution für ihn von der Qualität der Partei und ihrer Führung ab. In Übereinstimmung mit Kautsky, für den das für die Revolution unerläßlich notwendige revolutionäre Bewußtsein (das für Kautsky Ideologie und sonst nichts war) nur von außen an die Arbeiterschaft herangetragen werden konnte, weil die Arbeiter außerstande sind, es aus sich selbst heraus zu entwickeln, behauptete auch Lenin, daß die Arbeiterschaft außerstande sei, mehr als ein gewerkschaftliches, sozialreformerisches Bewußtsein zu entwickeln, daß jedoch das revolutionäre Bewußtsein von den Intellektuellen an die Arbeiter herantragen würde. Seine Schrift 'Was tun?'*110 dient allein dem Nachweis, daß die Arbeiter niemals ein politisches Bewußtsein in hinreichendem Maße entwickeln können, was die Notwendigkeit der Partei und deren Führung durch die Intellektuellen erklärt. Damit hatte der Sozialismus erneut aufgehört, das "Werk der Arbeiterklasse" zu sein, wie Marx es sah. Der Sozialismus hing nun von der revolutionären Ideologie der Bourgeoisie ab, und ohne Zweifel folgt der religiöse 'Marxist' J. Middleton Murry heute nur Kautskys und Lenins Spuren, wenn für ihn, wie er kürzlich in einem Buche sagte, "konsequenterweise der ganze Sozialismus wesentlich eine Bewegung bekehrter Bourgeois " ist.*111
Sicher steht Lenin auf marxistischem Boden, wenn er behauptet, daß die Arbeiterschaft außerstande sei, ein "politisches Bewußtsein" zuentwickeln. In seiner Polemik gegen Arnold Ruge, der den Mangel an politischem Bewußtsein so sehr beklagte und diesen Mangel nicht begriff, da das vorhandene Elend doch ein solches hätte entwickeln müssen, sagte Marx in seinen 'Randglossen' zu Ruges Artikel 'Der König von Preußen und die Sozialreform'*112 , daß es falsch sei, anzunehmen, soziales Elend bringe politisches Verständnis mit sich, vielmehr sei das Umgekehrte der Fall; der gesellschaftliche Wohlstand erzeuge politisches Bewußtsein, da letzteres eine geistige Qualität sei, die dem gegeben würde, dem es gut geht. (S. 406 f) Aber Lenin hat mit Marx nichts mehr zu tun, sondern sinkt zum bürgerlichen Revolutionär ä la Ruge herab, wenn er sich eine proletarische Revolution ohne dieses intellektuelle Bewußtsein nicht vorstellen kann, wenn er die ganze Revolution zu einer Frage des bewußten Eingreifens der 'Wissenden' oder der Leninschen 'Berufsrevolutionäre' macht. Gegen diese 'Ruge-Lenin' sagte Marx: "Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, daß statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen

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und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staates, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen." (S. 409) Ja, sagt er in glänzenden Ausführungen weiter, je mehr politisches Verständnis vorhanden ist, desto mehr verschwendet das Proletariat sich in nutzlosen, irrationellen Kämpfen, da das 'politische Verständnis' ihre viel richtigeren Klasseninstinkte verschleiert und sie blind gegen ihre wirklichen gesellschaftlichen Aufgaben macht. Wer, nach Marx, zu sehr auf die 'politische Seele' der Revolution hofft, der strebt nur einen Zustand an, der dieser 'politischen Seele' entspricht, auf Kosten der Gesellschaft. (S. 407) Aber mehr als einen Wechsel der Herrschaft über die Produktionsmittel hatte Lenin auch nicht angestrebt, da ihm dies für den Sozialismus zu genügen schien. Deshalb auch seine Überbetonung des subjektiven, politischen Momentes, durch das ihm die Organisierung des Sozialismus zum bestimmenden politischen Akt wurde, während es wohl nach Marx ohne Revolution keinen Sozialismus gibt und diese Revolution der politische Akt des Proletariats ist, den das Proletariat jedoch nur insoweit benötigt, als es zu zerstören hat. Wo es jedoch beginnt, den Sozialismus zu formen, wo seine 'wahre Seele' zum Vorschein kommt, da wirft es die politische Hülle ab.
Die bürgerliche Einstellung Lenins, die zuerst das kapitalistische Ende von bestimmten, nicht notwendig vorhandenen politischen Voraussetzungen abhängig macht, die sich weiterhin einbildet, daß die wachsende Monopolisierung mit der Vergesellschaftung der Produktion identisch sei, die den ganzen Sozialismus von der Übernahme der Monopole durch den Staat und der Ersetzung einer alten durch eine neue Bürokratie abhängig macht und für die die Revolution zu einem Wettstreit der Revolutionäre mit der Bourgeoisie um die Gefolgschaft der Massen herabsinkt: eine solche Einstellung mußte das revolutionäre Element der spontanen Massenbewegungen und deren Gewalt und Zielsicherheit verkleinern, um die eigene Rolle (das zur Ideologie erstarrte sozialistische Bewußtsein) entsprechend übertreiben zu können.
Wohl kann Lenin das Element der Spontaneität nicht leugnen, aber es ist für ihn im Grunde nichts anderes, als die Keimform des Bewußtseins, die dann in der Organisation zur Blüte heranreift und erst dann wirklich revolutionär, weil vollständig bewußt ist. Für den sozialistischen Sieg genüge nicht das spontane Erwachen der Massen, ja, dieses spontane Erwachen der Massen mache die Organisation nicht weniger, sondern mehr notwendig. Der Fehler der Spontaneitätsauffassung besteht nach Lenin darin, daß sie die Rolle des Bewußtseins verkleinere und sich gegen eine starke Führung ausspreche, aber diese Führung sei für den sozialistischen Sieg unerläßlich. Die Schwächen der Organisation und ihrer Führung sind ihm die Schwächen der Arbeiterbewegung schlechthin. Der Kampf müsse organisiert, die Organisation geplant werden; alles hänge von ihr und der richtigen Führung ab. [...] Es ist ihm gleichgültig, wo und wie die Massen selbst organisiert sind, nach Räten oder Gewerkschaften. Hauptsache ist, daß sie von den Bolschewi-

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ken geleitet werden.*113
Ganz anders als Lenin sieht Rosa Luxemburg diese Dinge. Sie verwechselt das revolutionäre Bewußtsein nicht mit dem Intellektuellen-Bewußtsein der Leninschen Berufsrevolutionäre, sondern für sie ist es das aus dem Zwange der Notwendigkeit erwachsende Tat-Bewußtsein, der Massen selbst. Die Massen handeln für sie revolutionär, weil sie nicht anders handeln können und weil sie handeln müssen. Der Marxismus ist für sie nicht nur eine Ideologie, die sich allein in der Organisation kristallisiert, sondern das lebende, kämpfende Proletariat, das den Marxismus aktualisiert, nicht weil es will, sondern weil es muß. Sind die Massen für Lenin nur das Material, mit dem die bewußten Revolutionäre arbeiten (so wie dem Straßenbahnführer die Straßenbahn nur zum Fahren dient), so entstehen bei Rosa Luxemburg die bewußten Revolutionäre nicht nur durch wachsende Erkenntnis, sondern mehr noch in der aktuell revolutionär handelnden Masse. Nicht nur, daß sie die Überbetonung der Rolle der Organisation und der Führung prinzipiell verwirft, sie beweist an der Erfahrung (vgl. ihre Broschüre über den 'Massenstreik'), daß es während einer revolutionären Erhebung enorm schwer ist, auszurechnen und zu kalkulieren, welche Maßnahmen zu, Explosionen führen und welche nicht. Kein Führungs-Organ ist wirklich dazu imstande. Ein enges, mechanisch denkendes bürokratisches Gehirn mag außerstande sein, sich eine Aktion der Arbeiterschaft vorzustellen, die nicht ein Produkt der Organisation wäre, aber der Dialektiker, sagt Rosa Luxemburg, sieht, daß die Organisationen ein Produkt des Kampfes sind. An Hand der Beispiele der russischen Massenbewegungen von 1905 zeigt sie auf, daß die Erhebungen der Ausgebeuteten nicht von irgendwelchen vorherbestimmten Plänen abhingen, daß die Aktionen nicht im voraus organisiert waren und daß sie auch nicht von einer außenstehenden Gruppe kontrolliert werden konnten, da die Aufrufe der Parteien kaum mit der spontanen Bewegung der Masse Schritt halten konnten. Die Führer hatten nicht einmal Zeit, die Parolen herauszugeben oder sie überhaupt zu formulieren, die Massenware schneller als jeder politische Wille. Und generalisierend sagt sie, daß auch in Deutschland aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die bestorganisierten Arbeiter die größte revolutionäre Kapazität entwickeln werden, sondern die schlechtorganisierten oder die völlig unorganisierten. "Revolutionen lassen sich nicht auf Kommando machen", betont sie ausdrücklich. Dies sei gar nicht die Aufgabe der Partei. Pflicht sei es nur, jederzeit unerschrocken auszusprechen, was ist, d. h. den Massen klar un deutlich ihre Aufgaben im gegebenen geschichtlichen Moment vorzuhalten, und das politische Aktionsprogramm und die Losungen zu proklamieren, die sich aus der Situation ergeben. Die Sorge dafür, ob un, wann die revolutionäre Massenbewegung sich daran halte, müsse der Sozialismus getrost der Geschichte selbst überlassen.*114
Oft denunzierte man Rosa Luxemburgs Spontaneitätsauffassung, die man als 'Katastrophenpolitik' zu bezeichnen pflegte, als gegen die Organisation der Arbeiterbewegung selbst gerichtet. Sie fand es oft notwen-

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dig zu betonen, daß ihre Auffassung nicht "pour la desorganisation" ist. "Die Sozialdemokratie", schrieb sie, «ist die aufgeklärteste, klassenbewußteste Vorhut des Proletariats. Sie kann und darf nicht mit verschränkten Armen fatalistisch auf den Eintritt der 'revolutionären Situation' warten, darauf, daß jene spontane Volksbewegung vom Himmel fällt. Im Gegenteil, sie muß wie immer der Entwicklung der Dinge vorauseilen, sie zu beschleunigen versuchen." (Massenstreik, a. a. 0. S. 457) Diese Rolle der Organisation hält sie für möglich und deshalb für willkommen und selbstverständlich, während Lenin die Organisation als solche für absolut notwendig hält und von ihr die ganze Revolution abhängig macht. Dieser Unterschied hinsichtlich der Bedeutung der Organisation für die Revolution enthält auch zwei verschiedene Auffassungen über die Form und den Inhalt der Organisation selbst. "Das einzige ernste Organisationsprinzip [...] für unsere Bewegung", schreibt Lenin in seinem 'Was tun?', "ist die strengste Konspiration, strengste Auslese der Mitglieder, Heranbildung von Berufsrevolutionären. Sind diese Eigenschaften gegeben, so ist noch etwas Größeres gesichert als der 'Demokratismus', nämlich: das volle kameradschaftliche Vertrauen der Revolutionäre zueinander. Und dieses Größere ist für uns unbedingt notwendig, denn bei uns in Rußland kann gar keine Rede davon sein, es durch eine allgemeine demokratische Kontrolle zu ersetzen. Und es wäre ein großer Fehler, wollte man glauben, daß die Unmöglichkeit einer wirklichen 'demokratischen' Kontrolle die Mitglieder der revolutionären Organisation unkontrollierbar macht: sie haben keine Zeit, an spielerische Formen des Demokratismus zu denken [...] aber ihre Verantwortlichkeit empfinden sie sehr lebhaft."*115 *4_
Mit organisatorischen Mitteln, die, solange sie demokratisch waren, Lenin nichts bedeuteten, will er, sobald sie zentralistisch sind, dem Opportunismus zu Leibe gehen. Je mehr der Opportunismus sich ausbreitet, desto zentralistischer muß man nach Lenin werden. Mit der straffsten Disziplin und der völligen Unterordnung aller Aktivität unter die Anordnungen des Zentralkomitees will er die Organisation in eine wirkliche Waffe verwandeln. Wohl verstand Rosa Luxemburg es ausgezeichnet, diesen 'Nachtwächtergeist' Lenins aus der besonderen Situation der russischen Intellektuellen abzuleiten, aber es sei falsch, schreibt sie gegen Lenin, "daß sich die noch unausführbare Majoritätsherrschaft der aufgeklärten Arbeiterschaft innerhalb ihrer Parteiorganisation 'vorläufig' durch eine 'übertragene' Alleinherrschaft der Zentralgewalt der Partei ersetzen lasse und daß die fehlende öffentliche Kontrolle der Arbeitermassen über das Tun und Lassen der Parteiorgane ebensogut durch die umgekehrte Kontrolle der Tätigkeit der revolutionären Arbeiterschaft


*4_
Der Idealismus Lenins wird auch in dieser Formulierung sichtbar. Anstatt die Kontrolle durch Organisierung innerhalb der Organisation wirklich und materiell zu sichern, ersetzt er sie durch 'etwas Besseres', durch die Phrasen 'kameradschaftliches Vertrauen' und 'Verantwortlichkeitsempfinden'. Praktisch hieß dies jedoch: Kadavergehorsam, Befehle von Oben - Gehorchen unten. [Verf.]

durch ein Zentralkomitee ersetzt wäre."*116 Und sogar wenn die Selbstführung der Arbeiter Fehler und falsche Schritte zur Folge hätte, ist Rosa Luxemburg doch bereit, dies in Kauf zu nehmen, da sie überzeugt ist, daß selbst «Fehltritte, die eine wirklich revolutionäre Arbeiterbewegung begeht, historisch unermeßlich wertvoller und fruchtbarer sind als die Unfehlbarkeit des allerbesten 'Zentralkomitees'." (S. 88)
Die hier aufgezeigten Differenzen zwischen Luxemburg und Lenin sind zum Teil schon mehr oder weniger von der Geschichte überholt worden. Viele Dinge in diesem Streit bewegen uns heute nicht mehr. Aber das wesentlichste Moment in ihren Debatten - ob die Revolution abhängt von der organisierten Arbeiterbewegung oder von der spontanen Bewegung der Arbeiter - ist von aktueller Bedeutung. Aber auch hier hat die Geschichte bereits zugunsten Rosa Luxemburgs entschieden. Der Leninismus liegt unter dem Trümmerhaufen der Dritten Internationale begraben. Eine neue Arbeiterbewegung, die frei ist von sozialdemokratischen Resten, die noch bei Lenin und Luxemburg zu erkennen waren, die nicht auf die Lehren der Vergangenheit verzichten will, ist im Entstehen. Sich von den tödlichen traditionellen Einflüssen der alten Arbeiterbewegung zu lösen ist eine ihrer ersten Voraussetzungen geworden. Und hier hilft Rosa Luxemburg genau so weit, wie der Leninismus behindert hat. Diese neue Bewegung der Arbeiter und der von ihr nicht zu trennende Kern bewußter Revolutionäre kann mit der Luxemburgischen revolutionären Theorie - trotz ihrer vielen Schwächen - mehr anfangen und aus ihr mehr Hoffnung schöpfen als aus den gesamten Leistungen der Leninschen Internationale. [...]

5. ANMERKUNGEN DES HERAUSGEBERS ZU DEN TEXTEN

5.1. DIE ZUSAMMENBRUCHSTHEORIE DES KAPITALISMUS

*44
LENIN in seinem Grundsatzrcferat (Juni 1920 auf dem 2. Kongreß der III. Internationale in Petrograd) geht zwar noch von der Beschreibung der allgemeinen und aktuellen Krisensituation des Kapitalismus aus. Doch gebe es für den Kapitalismus eine absolut aussichtslose Lage nicht. Die revolutionäre Krise des Kapitalismus muß für die Revolution revolutionär ausgenutzt werden. (Bibliothek der Kommunistischen Internationale Nr. 22, Hamburg 1921, S. 231 f). Die Linksradikalen wurden auf diesem Kongreß noch als zwar irrende aber doch ehrlich bemühte Mitstreiter behandelt. In seinem Grundsatzreferat (22. Juni 1921) auf dem 3. Kongreß der III.

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Internationale in Moskau spricht Lenin von einem Gleichgewicht zwischen Sowjet-Rußland und den kapitalistischen Ländern. Um dieses zu er halten, müsse man Tribut zahlen. Das heiße, man müsse sich der wirtschaftlichen Methoden des Staatskapitalismus bedienen, um Zeit zu gewinnen. Die "ausländischen (!) Genossen" müßten in dieser Periode de Gleichgewichts "ihre" (!) Revolutionen gründlich vorbereiten. (Protokoll des 3. Kongresses der III. Internationale, Hamburg 1922, S.761) Auf diesem Kongreß wurde auch die eindeutige Trennungslinie zu den Iinken Abweichlern gezogen. - Das pragmatische Arrangement mit den feindlichen kapitalistischen Ländern wurde verschleiert durch die phraseologische Beschwörung der Weltrevolution für einen unbestimmbaren Zeitpunkt. Vgl. HEINZ-DIETER HEILMANN, BERND RABEHL, 'Die Legende von der Bolschewisierung der KPD', 1, in: Sozialistische Politik, Hg. am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin, Nr. 9, Dez. 1970, vor allem S. 90-98. -Die endgültige und explizite Ablehnung der Todeskrisentheorie für den Kapitalismus war verbunden mit der Absage einer Zusammenarbeit mit linkskommunistischen Organisationen, die in Erwartung der Todeskrise jegliche Reformarbeit in den traditionellen Arbeiterorganisationen ablehnten. Vgl. Protokoll der V. erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, Moskau 21. 3. - 6. 4. 1925, Hamburg 1925, 5. 23; SINOWJEW: "Weder die Propheten eines unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruches noch die Stabilisierungsfatalisten haben recht. Recht dagegen, hat die K. 1. Die allgemeine Prognose und Linie des 5. Weltkongresses, bleibt bestehen."
*45
"Mit dem Ende der proletarischen Insurrektionen in der revolutionären Phase der Weimarer Republik und der Festigung der bürgerlichen Staatsgewalt im Jahre 1921 verlor die spontaneistische Revolutionstheorie der Holländer (Pannekoek/Gorter) zwangsläufig ihre Aktualität. In deutschen KAP-Kreisen versuchte man sie gleichsam zu retten, indem man seit 1921 - mit durchaus inkohärenter politisch-ökonomischer Beweisführung eine Theorie der 'Todeskrise des Kapitalismus' entwickelte, an der man auch nach dem Ende der Inflationsperiode nach 1923 noch festhielt. [...] Wie sich in der 'Todeskrisendiskussion', andeutet, wurden mit dem organisatorischen Verfall des Linkskommunismus - insbesondere mit der Desintegration der Union - dessen theoretische Bemühungen mehr und mehr abstrakt [...] (A. PANNEKOEK, H. GORTER, 'Organisation und Taktik der proletarischen Revolution', hg. und eingel. von HANS MANFRED BOCK, Frankfurt 2969, S.44, Einltg.) - BOCK übersieht die linkskommunistischen selbst-kritischen Arbeiten Ende der zwanziger Jahre, die sehr wohl wieder auf den praxisbezogenen Ansatz zurückkamen, z. B. 'Kritik an den Waffen - Eine Betrachtung über wirtschaftliche und politische Arbeiterorganisationen, ihr Wesen, ihre Rolle im proletarischen Klassenkampf' (Hg. Allgemeine Arbeiter-Union, Bezirk Mitteldeutschland, Leipzig-Chemnitz, Mai 1931). Doch 1923 führte die abstrakt und dogmatisch überzogene Diskussion über die Todeskrise und damit über die Notwendigkeit der Arbeit an den Tagesproblemen zu der Spaltung in eine Berliner und in eine Essener Richtung der KAP.
*46
ROSA LUXEMBURG, 'Die Akkumulation des Kapitals - Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus", geschr. 2912, Berlin 1923.
*47
HENRYK GROSSMANN, 'Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems', in: Archiv sozialistischer Literatur, Frankfurt, 1967.
*48
Oktober 1929 aktualisierte sich die Weltwirtschaftskrise die 1932 ab-

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flaute.
*49
U.W.A. war die amerikanische Organisation der IWW (International Workers of World); die große von Chicago ausgehende syndikalistische Arbeiter-Unions-Bewegung: Vgl. 'IWW, A plain statement of its structute and principles', Chicago 1934.
*50
FRIEDRICH ENGELS, Einleitung zum II. Band des 'Kapital', London 5. Mai 1885, MEW Bd. 24, Berlin 1963, S. 7ff.
*51
'Die Akkumulation des Kapitals oder Was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben - Eine Antikritik von Rosa Luxemburg', Leipzig 1921.
*52
Das "Partei-Zentrum" der SPD bemühte sich, seit den Revisionismus-Debatten (1898) bis zum Ersten Weltkrieg, das Gleichgewicht zwischen den Flügeln - den Revisionisten (VOLLMAR, DAVID und AUER) und den Radikalen (ROSA LUXEMBURG, MEHRING) - zu erhalten, um jede Erschütterung der Organisation zu vermeiden. Das Zentrum (HAASE, BEBEL, KAUTSKY) repräsentierte den "guten Glauben" an die Partei und ihren Apparat: an die einigende Macht der nie genau bestimmbaren "guten Sache des Sozialismus". Während der Auseinandersetzungen um. die Kriegskredite (1914-1917) drängte mit putschistischen Methoden der rechte Flügel (nun unter EBERT, NOSKE und DAVID) die Zentrumsführer, die die Parteimehrheit repräsentierten, aus der Partei. Das führte zur Gründung der USPD.
*53
Shylock: eine Figur aus Shakespeares 'Kaufmann von Venedig', der aus Rache und gekränktem Ehrgefühl von seinem Schuldner verlangte, die Schuld pfundweise mit dem eigenen Fleisch abzubezahlen.
*54
Das Zitat geht weiter: "... die nichts mit der Produktion des Reichtums als solchem zu tun hat; und diese eigentümliche Schranke bezeugt die Beschränktheit und den nur historischen, vorübergehenden Charakter der kapitalistischen Produktionsweise; bezeugt, daß sie keine für die Produktion des Reichtums absolute Produktionsweise ist, vielmehr mit der Fortentwicklung auf gewisser Stufe in Konflikt tritt."
*55
SAMUEL MOORE (1830-1912), englischer Jurist, übersetzte das 'Manifest' und den ersten Band des 'Kapital' ins Englische; Freund von Marx und Engels. ENGELS schreibt über die Mitarbeit von Moore am dritten Band: "Mein Freund Samuel Moore, der auch den größten Teil der englischen Übersetzung des ersten Buches geliefert, übernahm es, dies Heft für mich zu bearbeiten, wozu er als alter Cambridger Mathematiker weit besser befähigt war. Aus seinem Resume habe ich dann, unter gelegentlicher Benutzung des Hauptmanuskriptes, das Kapitel drei fertiggestellt." (ENGELS, 'Vorwort zur ersten Ausgabe', MEW Bd. 25, S. 12)
*56
Der erwähnte Satz aus dem 'Kapital' heißt exakt: "Aber dieselben Gesetze der Produktion und Akkumulation steigern, mit der Masse, den Wert des konstanten Kapitals in zunehmender Progression rascher als den des variablen, gegen lebendige Arbeit umgesetzten Kapitalteils. Dieselben Gesetze produzieren also für das Gesellschaftskapital eine wachsende absolute Profitmasse und eine fallende Profitrate." ('Das Kapital', 3. Bd., MEW Bd. 25, S. 229)
*57
MICHAIL IWANOWITSCH TUGAN-BARANOWSKY (1865-1919) versuchte 1890, die Grenznutzenlehre (s. Anm. 38) mit der marxistischen ökonomischen Theorie zu verbinden. Er beschäftigte sich mit der Krisentheorie; gehörte zu den sogenannten "legalen Marxisten" in Rußland, die wegen ihres Akademismusses der zaristischen Regierung nicht als Gefahr erschienen.

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Aus dem Artikel "Arbeiterräte und kommunistische Wirtschaftsgestaltung", Rätekorrespondenz Nr. 5, Okt. 1934, 'Intellektuelle und Staatswirtschaft': "Die Theorie des Sozialismus als Staatswirtschaft trägt den Stempel ihrer Erfinder an der Stirn; sie ist aus dem Geist der "Intellektuellen" in der heutigen privatkapitalistischen Gesellschaft geboren. Die Intellektuellen gehören als eine Schicht der Bevölkerung dem administrativen Apparat des Privateigentums an. Sie sind praktisch die Verwalter des gesellschaftlichen Reichtums, ohne darüber das Besitzrecht zu haben. Ihre Funktion in der privatkapitalistischen Wirtschaft ist eine Herrschafts- und Führerfunktion. Sie sind die ausführenden Organe der Kapitalherrschaft, Leitet und Führer der Produktion, Kommandeure der Lohnarbeiter, Verwalter und Beschützer der Eigentumsrechte des Kapitals. Das Denken dieser Intellektuellen kann nichts anderes sein als ihre Funktion, die sie in der Gesellschaft erfüllen. Darum können sie sich auch keine gesellschaftliche Produktion vorstellen, in der es keine Lohnarbeiter gibt und in der sie nicht das Kommando führen. Aus der Einsicht, daß der kapitalistischen Produktionsweise und damit der Kapitalherrschaft historische Grenzen gezogen sind, folgt bei ihnen nicht, daß dann auch die kapitalistische Produktionsweise selbst überwunden werden muß, sondern nur, daß sie selbst die Kapitalherrschaft abschütteln. Die Produktion in der Staatswirtschaft zu einem Mechanismus mit gewaltiger Produktionskraft zusarnrnengeschmiedet, befreit von der Herrschaft des Kapitals, aber unter dem Kornrnando der Wissenschaftler und Techniker, der Führer und Spezialisten, mit einem Wort - der Intellektuellen - das ist eine Auflösung der gesellschaftlichen Konflikte, die sich für sie wie von selbst ergibt. Die eigentlichen Führer der Wirtschaft (und der Politik) befreien sich von der mehr und mehr als parasitär empfundenen Kapitalherrschaft; ihr Tatendrang, von der Profitwirtschaft gelähmt, erblickt ungeahnte Perspektiven. Und sie sind davon überzeugt, daß sie mit der unermeßlichen Produktivkraft der staatlich vereinigten, modernen Industrie alle Menschen mit einem Übermaß von Gütern beglücken können. Kann man etwas anderes erwarten, als daß ihnen 'Sozialismus' als Staatswirtschaft erscheint?" (S. 6.)

5.2. DAS WERDEN EINER NEUEN ARBEITERBEWEGUNG

*59
HERMANN G0RTER (1864-1927), Theoretiker und Autorität der KAPN (s. i auch 'Zum Verständnis der Texte').
*60
1886 begann in Belgien eine Massenstreikbewegung für das allgemeine Stimmrecht. Mit Hilfe der Liberalen führte diese Streikbewegung 1893 zu einem Teilerfolg, nachdem im Mai 1891 vor allem in den Bergbaugebieten sich die Streikbewegung zu ener Art Generalstreik ausgedehnt hatte. Die Streikbewegungen standen unter der Führung der BWP (belgische Arbeiterpartei, vergleichbar mit der deutschen Sozialdemokratie) bzw. PSB (franz. Bezeichnung). Jeder Erwachsene war nun stimmberechtigt, aber er konnte, je nach Besitz und Bildung, bis zu drei Stimmen erhalten. 1902 begann erneut der Kampf um das allgemeine Wahlrecht, der aber schon wenig später durch die belgische sozialdemokratische Partei abgewürgt wurde. Sie wollte ihren Willen zur "friedlichen Parlamentsarbeit" unter Beweis stellen. Ab 1912 wurden durch die PSB friedliche Aktionen für ein gleiches Wahlrecht vorbereitet, die am 14. April 1923 in eine allgemei- ne Streikbewegung mündeten. Erst nach dem Kriege, 1929, Wurde auch in Belgien das allgemeine Wahlrecht eingeführt. -Zur Preußischen Wahlrechtsreform vgl. ROSA LUXEMBURG, 'Der preußische Wahlrechtskampf und seine Lehren", Vortrag, gehalten am 17. April 1910 in Frankfurt.
*61
Anfang Juli 1934 entstand eine spontane unorganisierte 'Hungerbewegung' in Amsterdam. Sie wurde ausgelöst durch eine Verminderung der Erwerbslosenunterstützung. Das Zentrum dieser Bewegung war das Arbeiterviertel 'Jordaan'. In dem in der Nähe des Hafens gelegenen Wohnviertel lebten auf engstem Raum und unter schlechtesten Wohnbedingungen etwa 8o ooo bis 1oo ooo Menschen. Die Regierung nahm den Vorwand wahr, um gegen die kommunistischen Parteiungen, die sie dafür verantwortlich machte, und gegen die Arbeiter mit stärksten Gewaltmitteln vorzugehen. Die etablierten Parteien von der KPH bis zur SDAP verweigerten jedoch dem Aufstand ihre organisatorische Hilfe, versuchten aber diese Bewegung propagandistisch auszunutzen. Allein kommunistische Splittergruppen wie OSP, KAP identifizierten sich mit der Bewegung, ohne sie allerdings organisatorisch in den Griff zu bekommen. Blutig und rücksichtslos wurde der Aufstand nach drei Tagen von der Regierung niedergeschlagen.
*62
'De zeven Provincien' war ein Panzerschiff, das die Aufgabe hatte, die indonesischen Kolonien zu überwachen. Am 4. Febr. 1933 berichtete "De Fakkel" (s. Anm. 65), daß am 3. 2. 1933 bei Soerabaja 425 indonesische Matrosen dieses Schiffes den Dienst verweigert hätten.*5_ ' Die Zeitschrift interpretierte diesen Aufstand als anti-imperialistische Tat. Am 11. 2. 1933 meldete das Blatt, daß die meuternden Matrosen das Schiff übergeben hätten. Die Matrosen hätten vergeblich Solidaritätsaufrufe an die indonesischen Kolonien gesendet. Nachdem Flugzeuge das Schiff bombardiert hätten (24 Tote, 38 Verwundete), wäre ihnen keine andere Wahl geblieben. Die OSP (s. Anm. 65) wollte durch Solidaritätsaufrufe in Holland eine konzertierte anti-imperialistische und anti-kapitalistische Aktion einleiten. Doch kam es weder in Holland noch in Indonesien zu Solidaritätsaktionen. Auch als die Gefangenen 1934 nach Holland gebracht wurden, kam keine Solidarität zustande ('De Fakkel' v. 8. 1. 1934 und v. 17. 8. 1934). In der offiziellen Untersuchung dieses Ereignisses mußte die Regierung zugeben, daß die Bomben auf ihren Befehl hin geworfen wurden. Die OSP versuchte weiterhin vergeblich, die Meuterei auf 'De zeven Provincien' mit dem 'Jordaan'-Aufstand agitatorisch zu verbinden.
*63
Zur Ideologiengeschichte der Vorstellung von der "Volksgemeinschaft" innerhalb der europäischen Sozialdemokratien vgl.: WILLY HUHN, 'Etatismus - 'Kriegssozialismus' -'Nationalsozialismus' in der Literatur der deutschen Sozialdemokratie', in: Neue Kritik, Nr. 55/5 6, 2970, Frankfurt, S. 67ff.
*64
Im Juli 1934 wurde bei einem großen öffentlichen Meeting der von der belgischen Sozialdemokratie auf ihrem Parteitag im Dez. 1933 verabschiedete "Plan van de Arbeid' ('Plan De Man") verkündet. Der Plan hatte im weiteren keine große Resonanz in Belgien. Nach der Intention der


*5_
Der von der "Fakkel' dargestellte Sachverhalt muß' nach einem Vergleich mit der zeitgenössischen Presse in folgendem Punkt korrigiert werden: Soerabaja war der Hauptmarinestützpunkt für die damaligen Kolonien Hollands. Dort wurde aus Protest gegen Gehaltskürzungen der Dienst verweigert. Das Panzerschiff 'De Zeven Provincien" befand sich zu diesem Zeitpunkt bei Oleh-leh am Nordpunkt von Sumatra, ca. 1500 Seemeilen von Soerabaja entfernt. Die Matrosen des Panzerschiffs meuterten aus Solidarität mit ihren Kollegen vom Hauptmannsstützpunkt trotz der Entfernung.

-201-

*64
Urheber sollte er eine Antwort auf die Verbreitung der faschistischen Ideologie unter der Bevölkerung und auf den aktuellen ökonomischen Notstand sein. DE MAN (sein Hauptwerk ist 'Psychologie van het Socialisme", 1925) war zu dieser Zeit im Parteivorstand der belgischen Sozialdemokratie. Die Partei stellte ihre ganze Organisationskraft und ihr Renommde hinter diesen Plan. Sein Hauptgedanke war, unter einer breiten demokratischen Regierung alle Leitungsposten innerhalb der Produktion durch Staatsfunktionäre zu besetzen, um so die kapitalistische "Anarchie" zu beenden. DE MAN selbst war stark von KEYNES beeinflußt. Als DE MAN am 25. 3. 1936 auch wirklich Minister innerhalb einer breiten demokratischen Regierung wurde, stellte sich das Illusjonäre des Planes heraus. Die ökonomisch Mächtigen in Belgien ließen sich nicht freiwillig durch einen gutwilligen technokratischen Minister entmachten. Der Boykott der Wirtschaft, weiter steigende Arbeitslosigkeit, Hungeraufstände und faschistische Massenaktionen ließen die Regierung scheitern. Im Juni 1937 wurde DE MAN Minister in einem Super-Ministerium (Finanzen, Produktionsplanung, Arbeitslosenfrage), 1938 trat er "wegen Krankheit" von der politischen Bühne ab. Vgl. "Geschiedenis van de socialistische Arbeidersbeweging in Belgie", Hoofdredakteur Prof. Jan Dhondt, Antwerpen 1960, S. 5o6ff.
*65
'De Fakkel" (1932 bis 1935), Orgaan van de onafhankelijkc socialistische Partij, erschien in Amsterdam dreimal wöchentlich. Die OSP (Unabhängige Sozialistische Partei) ist wie ihre Schwesterpartei in Deutschland, die SAP, eine linke Abspaltung von der Sozialdemokratischen Partei mit trotzkistischer Tendenz. Nach ihren eigenen Angaben hatte "De Fakkel" 1933 18 000 Leser. Der Trotzkismus setzte sich in der OSP eindeutig erst 1935 durch, als sie sich nach einer Spaltung mit der RSP (Rev.-Socialist. Partij, eine trotzkistische Abspaltung von der CPN) zur RSAP (Rev.-Socialist. Arbeiders-Partij) vereinigte. Das gemeinsame Organ wurde "De Nieuwe Fakkel".
*66
NAS: Nationaal Arbeids-Secretariaat (Gewerkschaft der KPH hatte in Zusammenarbeit mit RSP und RSAP 2930 27400 Mitglieder). NSV: Nederlandse Syndicalistise Vakverbond (sie hatte 1930 2750 Mitglieder). KPH, auch CPN: Kommunistische Partei Hollands, von 1907 bis 1937 war ihre Zeitschrift 'De Tribune", von 1937 bis 1940 'Das Volkstagblatt".
*67
Vgl. hierzu 'Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution', Berlin 1929, S. 311 ff, und 'Der Arbeiterrat von 19118 bis 1920", neu hg. in: Spartacus, Sonderheft t, Okt. 1969, Berlin.
*68
JOSEF DIETZGEN (1828-1888), Handwerker und Autodidakt in der marxistischen und hegelianischen Philosophie, Reisen nach Amerika und Rußland. Beachtet von MARX und ENGELS, geachtet von Lenin als "Arbeiterphilosoph". Er verfaßte viele philosophische Schriften und Artikel' darunter sein Hauptwerk "Das Wesen der menschlichen Kopfarbeit, eine abermalige Kritik der reinen Vernunft" (1869) mit dem Ziel einer marxistischen Erkenntnistheorie. 1903 erschien eine Ausgabe dieses Werkes mit einer Einleitung von PANNEKOEK, der sich in seinem Alterswerk "Lenin als Philosoph" auf die Tradition Dietzgens beruft (unter dem Pseudonym J. HARPER, "Lenin als Philosoph. Kritische Betrachtung der philosophischen Grundlagen des Leninismus,, Ausg. Gruppe Internationale Kommunisten Hollands (GIC) 1938, Amsterdam, S. 30ff). DIETZGEN engagierte sich früh bei der Verbreitung und Einführung des 'Kapital' (vgl. KARL MARX, "Nachwort zur Zweiten Auflage", 1873, MEW Bd. 23, S. 22). DIETZGEN

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wurde mit seinen Reflexionen über die marxistische Erkenntnismethode der Vater der marxistischen Ideologienkritik und der marxistischen Pädagogik.

5.3. DIE GEGENSÄTZE ZWISCHEN LUXEMBURG UND LENIN

*69
Vgl. hierzu: SIEGFRIED BAHNE "Zwischen 'Luxemburgismus' und 'Stalinismus'" in Vierteljahresheft für Zeitgeschichte, 9. Jg. 1961, S.359 ff, und HERMANN WEBER, 'Wandlungen des deutschen Kommunismus - Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik"' Bd. i, Frankfurt 1969, S. 89 ff. - Die Bekämpfung des "konterrevolutionären Luxemburgismus war eine adeptenhafte Beschwörung des in Rußland doch so erfolgreichen Leninismus durch die sogenannte Parteilinke der KPD seit 1923. Ursache war die Niederlage der KPD im Oktober 1923. Auf der Ebene eines Generalstreiks sollte die Machtfrage in Deutschland gestellt werden. Die Arbeiter verweigerten jedoch der KPD die Gefolgschaft. "Die Diskussion über den Luxemburgismus war im wesentlichen eine Diskussion um die Rolle der kommunistischen Partei. Während Rosa Luxemburg der Meinung war, es sei nicht Aufgabe der Partei, Kämpfe auszulösen und zu organisieren, sondern Massenkämpfe zu koordinieren und auf ein höheres Niveau zu heben, interpretierte der leninistische Flügel des deutschen Kommunismus die Partei als Vorhut der Arbeiterklasse, welche die Revolution vorzubereiten, zu organisieren und vorwärts zu treiben habe." (H. Weber' a. a. 0. S. 89) Deshalb: "Im Februar 1924 griff Heinz Neumann die Luxemburgsche Organisationsauffassung als sozialdemokratisch an." (S. 90) 1924 prägte RUTH FISCHER den demagogischen Vergleich des Luxemburgismus mit einem Syphilis-Bazillus. ebd. Dazu ließ "Rosa Luxemburgs Konzeption in der nationalen Frage [...] keinen Raum für eine 'nationale" oder gar nationalistische Argumentation. Das schien der kommunistischen Führung in Deutschland, einem Land, das durch den Versailler Frieden ständig mit nationalen Problemen konfrontiert war, ebenfalls fehlerhaft." (S. 91) "Mit der forcierten Bolschewisierung von 1925 verschärfte sich der 'Kampf gegen den Luxemburgismus" noch weiter." (S. 93) Man ehrte ROSA LUXEMBURG zwar als Person, verwarf aber den Luxemburgismus als ein theoretisches System. Da auch die Komintern durch SINOWJEW erklärte, eine wirkliche Bolschewisierung sei unmöglich, "ohne die Fehler des Luxemburgismus zu überwinden", wurde Bolschewisierung gleichbedeutend mit ideologischem Kampf gegen den Luxemburgismus. (S. 93)
*70
CLARA ZETKIN (1857-1933), Freundin und Mitstreiterin ROSA LUXEMBURGS. Im Gegensatz zur 'politischen' R. L. konzentrierte sich Clara Zetkm mehr auf die 'Frauenfrage' (Frauenemanzipation, die Frau im Parteileben, Friedensbewegung, Erziehungsfragen). Im Auftrag der III. Internationale sollte unter der Leitung von CLARA ZETKIN und ADOLF WARSKI unter der Redaktion PAUL FRÖHLICHS eine 9-bändige Gesamtausgabe der Werke R. L. s herausgebracht werden. Beschlossen wurde dies auf dem IV. Weltkongreß der III. Internationale 1922. In die Gesamtausgabe sollten alle Schriften R. L. s mit einer Ausnahme aufgenommen werden. Diese Ausnahme war R. L. s Kritik an der russischen Revolution (s. Anm. 79).- Es erschienen 1923 Bd. 6, 'Die Akkumulation des Kapitals'; 1925 Bd. 3, "Gegen den Reformismus"; 1928 Bd. 4, "Gewerkschaftskampf und Massenstreik". Weitere Bände erschienen nicht mehr.

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*71
Eine frühe Stellungnahme TROTZKIS Zur Nationalitätenfrage die bezeichnend für die Haltung auch der Trotzkisten ist, findet sich in einem Brief an ROLAND-HOLST, die zu diesem Zeitpunkt den Standpunkt R. L vertrat: "Ebenso falsch [. . .] erscheint mir Ihre Ansicht über das Red, der Nationen auf Selbstbestimmung. Sie sagen, daß dieses Recht im Kapitalismus nicht verwirklichbar im Sozialismus jedoch überflüssig sei Warum es im Sozialismus überflüssig sein soll, ist mir unverständlich. Man sollte aber meinen, daß unsere Politik jetzt von der Überzeugung ausgeht, daß wir in eine Epoche der sozialen Revolution eintreten. Folglich müssen wir ein Programm für die soziale Revolution haben, das Programm eines proletarischen staatlichen Regimes in Europa. Ist es etwa überflüssig, den Polen, Serben, Elsässern zu sagen, welches Regime ihnen ein zur Macht gelangtes europäisches Proletariat sichern wird? Glauben Sie wirklich, daß die nationalen Reibereien und Probleme vom Erdboden verschwinden werden, sobald das Proletariat an die Macht gekommen ist? Ich denke, das Gegenteil ist der Fall: Sie werden erst dann in ihres ganzen Tiefe und Schärfe akut werden und vollständige Beantwortung erfordern. Auch wir müssen die Frage beantworten, welchen Inhalt das Recht auf Selbstbestimmung unter den Bedingungen eines proletarischen Regimes bekommen wird und dürfen dieses Recht nicht einfach als Mein-bürgerliche Illusion abtun." (Brief geschr. Ende 19116, hg. und bearbeitet von LEO VAN ROSSUM im Auftrage des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte, Amsterdam 1970) Diese pragmatische Behandlung des Problems der Selbstbestimmung trifft den Kern der Fragestellung R. L. s nicht. Sie kennzeichnet aber treffend die "theoretische Tiefe" der Behandlung dieses Problems durch TROTZKI und die Trotzkisten.
*72
Zum Begriff des Jakobinertums vgl. W. I. LENIN, 'Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück - Antwort an Rosa Luxemburg" (W. I. Lenin, Werke, Bd. 7 Berlin 1956, S. 483), geschr. Ende Sept. 1904 als eine Antwort auf R. L. in 'Die Neue Zeit' Nr. 42/43, 1904: "Genossin Luxemburg sagt, daß ich meinen Standpunkt vielleicht scharfsinniger gezeichnet habe, als es irgendeiner meiner Opponenten tun könnte, indem ich meinen 'revolutionären Sozialdemokraten' als einen mit der Organisation der klassenbewußten Arbeiter verbundenen Jakobiner definierte. Wieder eine faktische Unwahrheit. Nicht ich, sondern P. Axelrod sprach zuerst vom Jakobinismus. Axelrod war der erste, der unsere Parteinuancen mit denen aus der Zeit der großen französischen Revolution verglich. Ich bemerkte lediglich, daß dieser Vergleich nur in dem Sinne zulässig sei, als die Teilung der modernen Sozialdemokratie in eine revolutionäre und in eine opportunistische bis zu einem gewissen Grade der Teilung in Montagnards und Girondisten [Radikale und Gemäßigte] entspricht. Einen ähnlichen Vergleich hat die vom Parteitag anerkannte alte "Iskra" recht oft gezogen."
*73
ROSA LUXEMBURG, 'Sozialreform oder Revolution - Besprechung einer Aufsatzreihe von Bernstein, 'Probleme des Sozialismus', in: Neue Zeit 1897/98, 1. Ausg. 1900, erweiterte Ausg. 2908 (abgedr. i. R. L. Schriften..., Rowohlts Klassiker, Bd. 249-251), hier verwendete Ausg.: Leipzig 1929, S. 17.
*74
Der Beginn der Auseinandersetzung: 1904. Eine durchgehende Unlogik zieht sich durch die Schriften der GIC und anderer linkskommunistischer Gruppen: Statt den über die III. Internationale durchgesetzten und von den nationalen KPs dogmatisch übernommenen "Leninismus" zu bekämpfen, der das nationale Interesse Rußlands den internationalen Interessen

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der Arbeiterbewegung gleichsetzte, reduzierte sie die Problematik auf die angeblichen 'Fehler' Lenins, obwohl doch auch nach ihrer Ansicht LENIN in Rußland die Revolution 'machen mußte', die dort historisch möglich war: die bürgerliche unter Führung der sozialistischen Partei. Das Versagen der holländischen, französischen, deutschen etc. KPs bei der Aufgabe, in ihrer spezifischen historischen Situation die Revolution zu fördern, ist eben nicht einfach nur der Person LENINS anzulasten, wenn auch dieses Versagen unter dem Vorzeichen seines Namens geschah und geschieht. Dies führt auch bei ihnen zu einer Dogmatisierung der Nationalitätenfrage. Der Kampf um die nationale Unabhängigkeit, als Kampf der unterdrückten Volksmassen gegen ausländische Okkupanten (vgl. den Kampf des vietnamesischen Volkes gegen den amerikanischen Imperialismus), ist so lange ein Schritt zur sozialistischen Revolution, als er mit dem Kampf gegen die nationale Bourgeoisie und mit dem internationalen Klassenkampf verbunden bleibt. Für Rußland 1917 und später reduzierte sich das Problem, wie es R. Luxemburg richtig gesehen hat, auf die Frage einer Isolation, d. h. auf die Frage, ob sich die revolutionäre Bewegung in Europa und Amerika fortsetzt.
*75
W. 1. LENIN, "Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen", Ausgewählte Werke, Bd. 1, Berlin 1966, 5. 681-741, hier S. 685.
*76
Ebd. S. 699.
*77
W. I. LENIN, "Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen", Werke, Bd. 22, Berlin 1960, S. 145; zuerst veröffentlicht in: Vorbote, Internationale marxistische Rundschau' Hg. ANTON PANNEKOEK und HENRIETTE ROLAND-HOLST' Nr. 2, April 1916.
*78
JUNIUS (Pseud. von ROSA LUXEMBURG), "Die Krise der Sozialdemokratie" (Junius-Broschüre), verfaßt im April 1915, Berlin 1919, S. 71.
*79
ROSA LUXEMBURG "Die russische Revolution - Eine kritische Würdigung aus dem Nachlaß von Rosa Luxemburg" (geschrieben 1918), hg. und eingel. von PAUL LEVI, Berlin 1922, S. 88 f.
*80
Das Zitat stammt aus: KARL MARX, FRIEDRICH ENGELS, 'Vorrede zur zweiten russischen Ausgabe des "Manifestes der kommunistischen Partei", geschr. in London, 21. 1. 1882, MEW Bd. 19, S. 296. Es heißt: "Wird die russische Revolution das Signal einer proletarischen Revolution im Westen, so daß beide einander ergänzen, so kann das jetzige russische Gemeineigentum am Boden zum Ausgangspunkt einer kommunistischen Entwicklung dienen."
*81
ROSA LUXEMBURG, "Briefe an Karl und Luise Kautsky (1896-1918)" hg. von LUISE KAUTSKY, Berlin 1923, Brief Nr. 91, aus dem Breslauer Staatsgefängnis, vom 24. 11. 1917, S. 210.
*82
Im März 1918 unterschrieb die bolschewistische Regierung Rußlands einen Diktat-Friedensvertrag mit Deutschland. Dadurch gewann die bolschewistische Regierung Zeit, ihre staatliche Macht im Inneren zu sichern, ermöglichte aber gleichzeitig den Deutschen die West-Offensive.
*83
Ebd. Brief Nr. 93 v. 19. 12. 1917, S. 219.
*84
R. L.,"Russ. Revol." (s. Anm. 79), S. 118 f.
*85
Karl Liebknecht, "Briefe aus dem Felde, aus, der Untersuchungshaft und aus dem Zuchthaus" Verlag Die Aktion, Berlin 1919, Brief v. 8. 9. 1918, S. 123.
*86
Das Zitat stammt nicht aus "Wirtschaftspolitische Probleme der proletarischen Diktatur", sondern aus: EUGEN VARGA, "Sozialismus und Kapitalismus in Sowjet-Rußland", in: Kleine Bibliothek der russischen Korrespondenz, Nr. 62-63, Leipzig 1922, S. 43 f.
*87
R. LUXEMBURG in: Spartacus, Nr. 11, Sept. 1928, 5. 453-460; Spartakus-

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Briefe, hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1958 (verfaßt Dez. 1914-Okt. 1918), S. 457, 459.
*88
BUCHARIN, "Materialien zur Frage des Programms der Kommunistischen Internationale", Hamburg' S. 74-96.
*89
Im Frühjahr 1927 schaltete TSCHIANG-KAI-SCHEK die Kommunistische Partei Chinas durch Massenliquidationen in Shanghai vorläufig von jeder Einflußnahme auf die nationale Befreiungsbewegung aus.
*90
MAXIM LITWINOW (1867-1951), seit 1930 Außenminister der UdSSR, Vertreter der Gleichgewichtspolitik. In der Saar-Abstimmung 1935 stimmten 95 % der stimmberechtigten Bewohner der Saar für eine Rückkehr ins "Reich". Vgl. hierzu: "Against Aggression, Maxim Litwinow Speaches", London 1939.
*91
R. L., "Russ. Revol." (s. Anm. 79) S. 84.
*92
Am 27. 12. 1929 kündigte STALIN die Liquidation der Mittelbauernschicht (Kulaken) an. Beginn der Aktion 1930. Im März 1931 waren schon 58 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Kollektivwirtschaft überführt; 1934: 75 %, 1937: 93 %.
*93
R. L. "Russ. Revol." (s. Anm. 79), S. 118.
*94
Zum Problem der "Bauerninternationale" vgl. das Protokoll des 4. Kongresses der Kommunistischen Internationale, Hamburg o. J., S. 1936, und 'Die Entwicklung der russischen Außenpolitik' (1917-1935), in: Rätekorrespondenz Nr. 13, Okt. 1935, S. 15: "Nachdem die Revolution in Europa für die Bolschewiki erledigt war, konzentrierten sie ihre 'revolutionäre Aktivität' auf den Osten. Zu genau demselben Zeitpunkt, an dem sie die deutsche Revolution endgültig absagten, nämlich im Oktober 1923, traten sie mit der 1. 'Internationalen Bauernkonferenz' und der Gründung des 'Internationalen Bauernrates', der sogen. Bauerninternationale hervor. Sie hofften, die bäuerlichen Bewegungen des kolonialen und halbkolonialen Ostens und dessen bäuerliche Massenorganisationen ebenso unter Moskaus Führung zu bringen, wie sie die kommunistischen Parteien Europas unter ihr Kommando gebracht hatten."
*95
ROSA LUXEMBURG, "Die Akkumulation des Kapitals oder Was die Epigonen aus der Marxschen Theorie gemacht haben - Eine Anti-Kritik", Leipzig 1921. Das angeführte Zitat war nicht aufzufinden.
*96
ROSA LUXEMBURG "Die Akkumulation des Kapitals - Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus", Berlin 1913.
*97
R. L., "Die Akkumulation ...", (s. Anm. 96), S. 393.
*98
Narodniki (abgeleitet von russ. "Ins-Volk-Gehen"): in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts die erste große revolutionäre Bewegung innerhalb der russischen Intelligenz. Sie wollten in Rußland den Weg zum Sozialismus ohne den Umweg über den Kapitalismus gehen. Die praktischen Konsequenzen hieraus waren Bauernagitation und terroristische Aktionen gegen das zaristische Regime. Die ideologischen Erben der Narodniki waren seit etwa 1901 die "Sozialrevolutionäre".
*99
W. I. LENIN, "Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland - Der Prozeß der Bildung des inneren Marktes für die Großindustrie", geschr. 1896-1899, Werke, Bd. 3, Berlin 1963.
*100
W. I. LENIN, "Zur Charakteristik der ökonomischen Romantik (Sismondi und unsere einheimischen Sismondisten)", geschr. 1897 in der sibirischen Verbannung, Werke, Bd. 2, Berlin 1963, S. 125-264. - SIMONDE DE SISMONDI (1773-1842), Genfer Nationalökonom, entwickelte die 'Unterkonsumtionstheorie', nach welcher der Kapitalismus durch mangelnde kauffähige Nachfrage in Krisen gerät. Mit den Sismondisten sind die

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Narodniki gemeint.
*101
Das Zitat lautet nach W. I. L." Werke (s. Anm. 100): "Bekanntlich besteht das Entwicklungsgesetz des Kapitalismus darin, daß das konstante Kapital schneller wächst als das variable' d. h. ein immer größerer Teil der sich neu bildenden Kapitalien wendet sich der Produktionsmittel erzeugenden Abteilung der gesellschaftlichen Produktion zu. Folglich wächst diese Abteilung notwendigerweise schneller als die Konsumtionsmittel erzeugende Abteilung [...] Folglich nehmen die Produkte der individuellen Konsumtion in der Gesamtmasse der kapitalistischen Produktion einen immer geringeren Platz ein. Und das entspricht völlig der historischen 'Mission" des Kapitalismus und seiner spezifischen sozialen Struktur: die erste besteht gerade in der Entwicklung der Produktivkräfte der Gesellschaft (Produktion für die Produktion); die zweite schließt ihre Utilisation durch die Massen der Bevölkerung aus." (S. 149)
*102
Das Zitat lautet nach W. I. L., Werke (s. Anm. 100): "Die verschiedenen Industriezweige" die einander als 'Markt' dienen, entwickeln sich nicht gleichmäßig, sondern überflügeln einander, und die entwickeltere Industrie sucht sich einen äußeren Markt. Dies bedeutet keineswegs, daß "es einer kapitalistischen Nation unmöglich ist, den Mehrwert zu realisieren', wie der Volkstümler tiefgründig daraus schließen möchte. Es zeigt nur die Disproportionalität in der Entwicklung der Produktionszweige. Bei einer anderen Verteilung des nationalen Kapitals könnte die gleiche Produktenmenge im Lande selbst realisiert werden." (S. 54) Diese Aussage führt später zu der theoretischen Begründung der Ökonomie im Staatssozialismus und damit zu der der "friedlichen Koexistenz' (die nun als ökonomischer Kampf gegen den Kapitalismus gilt). Damit ließe sich eine ununterbrochene theoretische Linie ziehen von den MARXschen Zirkulationsschemata über die ökonomischen Arbeiten von LENIN zu der heutigen Polit-Ökonomie der UdSSR.
*103
W. I. LENIN, "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus - Gemeinverständlicher Abriß", geschr. 19116, Ausgew. Werke, Bd. 1, Berlin 1966, S. 766-873.
*104
W. I. LENIN, "Karl Marx (Kurzer biographischer Abriß mit einer Darlegung des Marxismus)", geschr. 1914, Ausgew. Werke, Bd. 1, S. 66: "Ihre [R. L.s] falsche Auslegung der Marxschen Theorie wird analysiert von Otto Bauer. "Die Akkumulation des Kapitals" in: Die Neue Zeit, XXXI/1, 1913, S. 831ff und S. 862ff; von Eckstein in: Vorwärts, 1913; von Pannekoek in: Bremer-Bürger-Zeitung, 1913."
*105
HENRYK GROSSMANN, "Die Änderung des ursprünglichen Aufbauplans des Marxschen 'Kapital' und ihre Ursachen", in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung (Grünberg-Archiv), Hg. Dr. C. GRÜNBERG, Bd. XIV, Heft 2" Leipzig 1929, S. 305-338.
*106
HENRYK GROSSMANN "Die Wert-Preis-Transformation bei Marx und das Krisenproblem" in: Zeitschrift für Sozialforschung, Leipzig, 1. Jg. 1932, S. 55-84.
*107
W. I. LENIN, 'Marxbiographie' (s. Anm. 104). Das Zitat lautet hier: "Da aber der Mehrwert Funktion des variablen Kapitals allein ist, so ist es begreiflich, daß die Profitrate (das Verhältnis des Mehrwerts zum gesamten Kapital, nicht aber zu seinem variablen Teil allein) eine Tendenz zum Sinken hat. Marx analysiert eingehend diese Tendenz und eine Reihe sie verhüllender oder ihr entgegenwirkender Umstände." (S. 45)
*108
W. I. LENIN, "Der Imperialismus" (s. Anm. 103). Das Zitat lautet hier:

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"In seinem imperialistischen Stadium führt der Kapitalismus bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion heran, er zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang von der völlig freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet." (S. 784)
*109
W. I. LENIN, "Politischer Bericht des Zentralkomitees der KPR(B) am 27. 3. 1922 auf dem XI. Parteitag", Werke, Bd. 33, Berlin 1963, S. 265.
*110
W. I. LENIN, "Was tun? - Brennende Fragen unserer Bewegung", geschr. 1901/02, Ausgew. Werke, Bd. 1, Berlin 1966, S. 139-314.
*111
Das Buch, auf das hier Bezug genommen wird, ist: JOHN MIDDLETON MURRY, "The Necessity of Communism", London 1932, S. 49.
*112
Karl Marx, "Kritische Randglossen zu dem Artikel - Der König von Preußen und die Sozialreform von einem Preußen". Hinter der Bezeichnung "von einem Preußen" verbirgt sich ARNOLD RUGE (1802 bis 1880). R. war radikaler Publizist, Jung-Hegelianer, 1844 war er mit MARX zusammen Herausgeber der "Deutsch-französischen Jahrbücher", 1848 linksliberaler Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung. "Randglossen" geschr. in Paris 31. 7. 1844, MEW Bd. 1, S. 392-409.
*113
W. I. LENIN, "Was tun?" (s. Anm. 110), S. 164 ff.
*114
ROSA LUXEMBURG, "Massenstreik, Partei und Gewerkschaften", Hamburg 1906, Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1928, S. 431; abgedr. in: R. L., "Schriften zur Theorie der Spontaneität", Hg. SUSANNE HILLMANN, Rowohlts Klassiker, Bd. 249-251, Reinbek 1970.
*115
W. I. LENIN, "Was tun?" (s. Anm. 110), S. 267 f.
*116
ROSA LUXEMBURG, "Organisationsfragen der Russischen Sozialdemokratie", zuerst (russ.) in: Iskra Nr. 69, 10. 6. 1904; in: R. L. 'Schriften zur Theorie der Spontaneität' (s. Anm. 114), S. 76 -"Nachtwächtergeist" ebd. S. 78.
*117
Zu beachten ist die unterschiedliche Behandlung des Großmannschen 'relativen und absoluten Fallens der Profitmasse' in dem 2. Aufsatz der vorl. Ausgabe und hier. Dieser Unterschied entspricht einer Auseinandersetzung in der Gruppendiskussion. PANNEKOEK z. B. vertrat die Kritik an GROSSMANN, während bis heute PAUL MATTICK den Standpunkt Großmanns in dieser Frage einnimmt. Beide haben sich, ohne nominell Mitglieder der Gruppe gewesen zu sein, an deren Theoriebildung beteiligt. Vgl. CAJO BRENDEL, Pannekoek - Theoreticus van het Socialisme, Amsterdam 1970 (ersch. im Herbst 1972 in deutscher Sprache unter dem Titel "Pannekoek als sozialistischer Theoretiker") und PAUL MATTICK, Werttheorie und Kapitalakkumulation, in: Kapitalismus und Krise, Kontroversen um das Gesetz des tertdenziellen Falls der Profitrate, EVA 1970" S. 7-34.

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