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Gerhard Pasternack |
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Georg Lukács - Späte Ästhetik und Literaturtheorie
( original )
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Status |
Auszüge - 1985, 1986 - 2. ergänzte Auflage |
Letzte Bearbeitung |
05/2004 |
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1. LUKÁCS BEITRAG ZUR PHILOSOPHISCHEN ÄSTHETIK
1.1. Bruch oder Weiterentwicklung?
1.1.1. Der Realismusbegriff in Lukács mittlerer Phase und die Mimesiskonzeption der späten ÄSTHETIK
1.1.2. Philosophie der Kunst und Kunstwissenschaft
1.2. Lukács Auseinandersetzung mit der Ästhetiktradition
1.3. Lukács ÄSTHETIK im Problemhorizont des ästhetik-theoretischen Diskurses
1.4. Theoretischer und methodischer Neuansatz: Mimesiskonzeption und systematisch-historisches Verfahren
1.4.1. Die Mimesiskonzeption
1.4.1.1. Theoretische Tieferlegung der Mimesiskonzeption Theorie der Arbeit
1.4.1.2. Universalisierung der Mimesiskonzeption und Reduktion der begriffssystematischen Explikation auf die mimetische Erkenntnistheorie
1.4.1.3. Universalisierung der Mimesiskonzeption und Differenzierung der Mimesisoperationen: elementare, magische, ästhetische (evokative), theoretische Mimesis
1.4.2. Das systematisch-historische Verfahren
1. LUKÁCS BEITRAG ZUR PHILOSOPHISCHEN ÄSTHETIK
Lukács Stellung innerhalb des Diskurses über Kunst und Philosophie
Die ÄSTHETIK von Georg Lukács ist nur wenig in den allgemeinen Diskurs über
Kunst und Philosophie einbezogen worden, teils tritt sie hinter die frühen
Schriften der dreißiger Jahre zurück, teils ist sie überhaupt nicht zur Kenntnis
genommen worden. Das gilt sowohl für die
Theoriediskussion auf westlicher wie auf östlicher Seite.
Nicht allein unter dem Gesichtspunkt historischer Gerechtigkeit ist Lukács
nachträglich in diesen Diskurs einzubeziehen, sondern vor allem aus
ästhetiktheoretischen Gründen, weil sein Diskussionsbeitrag für die Klärung
zentraler traditioneller Probleme bedeutsam ist.
Lukács selbst hat sich immer wieder auf die Diskussion mit der
ästhetiktheoretischen Tradition eingelassen und versucht, in der
Auseinandersetzung mit Vorgängern und Zeitgenossen seinen eigenen Ansatzpunkt zu begründen.
1.1. Bruch oder Weiterentwicklung?
Lukács eigene Einordnung ist eindeutig: Seine Ästhetik wertet er nicht als
" weitere Entfaltung der vergangenen Entwicklung ", aber auch nicht
als " ein einfaches Überwinden der idealistischen Ästhetik ", sondern
stuft seine ästhetiktheoretischen Arbeiten als " etwas qualitativ Neues
" ein.
Das Neue, das Lukács vor dem Problemhintergrund der Tradition zu erläutern
sucht, liegt vor allem darin, daß im veränderten theoretischen Rahmen des
dialektischen und historischen Materialismus
" die Fragen der Ästhetik in
ihrem systematischen Zusammenhang " behandelt werden und neue
Problemlösungen ermöglichen. Das
"
qualitativ Neue " ist nicht in der Begrifflichkeit oder im systematischen
Aufbau der ÄSTHETIK zu suchen. Die
Modifizierung der Begriffsgehalte der traditionellen Terminologie erfolgt durch
den veränderten theoretischen Rahmen, d.h. die Voraussetzungstheorien. Die
Diskussion mit Lukács und insbesondere die Kritik an einzelnen Theoremen und
Begriffen muß
-8-
sich dieses veränderten theoretischen Zusammenhangs versichern und muß den
systembedingten Modifikationen der Terminologie, die zum Teil zu impliziten
Neudefinitionen führen, nachgehen.
Theoretisch läßt sich die Frage nach der Abhängigkeit oder dem Neuansatz in
Lukács ÄSTHETIK auch nicht auf ästhetische Normenprobleme reduzieren, wie sie
in dem ständig wiederholten Klassizismusvorwurf wiederkehren. Lukács Beitrag zur philosophischen Ästhetik zielt auf
Probleme der Konstitution ästhetischer Werke oder, produktionsästhetisch
gesprochen, auf die Konstituierung von
" Werkwelten ", nicht allein
auf ästhetische Norm- und Stilprobleme.
Die Einbeziehung von Lukács ÄSTHETIK in den philosophischen Diskurs muß von der
theoretischen Rekonstruktion des systematischen Zusammenhangs ausgehen, nicht
von einzelnen Theoremen oder Begriffen, wie dem Widerspiegelungstheorem oder der
Mimesiskategorie. Denn, wie noch zu zeigen sein wird, hat die Mimesis als eine
in Praxis überführte Widerspiegelung eine veränderte systematische und
historische Bedeutung und führt zu weitreichenden Anforderungen an die
ästhetiktheoretischen Begründungen und Begriffsexplikationen: Alltagsdenken als
Ausgangspunkt in einem historisch-logischen Verfahren, Rückführung der
theoretischen Explikationen auf die " reale Basis ", Begründung der
prinzipiellen Einheit des Ästhetischen und der Mannigfaltigkeit der historischen
Manifestationen in der Kunstentwicklung, Zusammenhang von Struktur und Funktion
und Oberwindung der Dichotomie von werkorientierten und bewußtseinsorientierten
ästhetiktheoretischen Begründungen.
Dieser systematische Zusammenhang und die Systemkonsequenzen sind für die
Auseinandersetzung mit Lukács Ästhetiktheorie hervorzuheben, gerade weil seine
eigene Darstellungsform häufig narrativ und kursorisch ist und nicht immer auf
den ersten Blick den impliziten Systemcharakter zu erkennen gibt.
Die Frage: Weiterentwicklung oder Bruch? ist einerseits nicht einfach im
Anschluß an die von Lukács selbst vorgezeichnete
-9-
Charakterisierung des
" qualitativ Neuen " zu beantworten,
andererseits aber auch nicht mit Blick auf die Übernahme traditioneller Probleme
und Terminologien. Ein Beitrag zur philosophischen Ästhetik kann in einer
Problemverschärfung liegen, auch dann, wenn nur skizzenhafte Problemlösungen
vorgetragen werden.
1.1.1. Der Realismusbegriff in Lukács mittlerer Phase und die Mimesiskonzeption der späten ÄSTHETIK
Über den Realismusbegriff sind in der sogenannten Expressionismusdebatte
theoretische und kulturpolitische Diskussionen geführt worden , die nicht allein dezidierte Gegenpositionen u.a. von
Bloch und Brecht hervorgerufen und noch Adornos Position wider den
mißverstandenen Realismus geprägt haben, sondern die im ganzen für die
theoretische Auseinandersetzung mit Lukács späte ÄSTHETIK hinderlich gewesen
sein dürften.
Eine Schwäche der Realismusdiskussionen der dreißiger Jahre lag darin, daß die
theoretischen Voraussetzungen, für die auch von Lukács bereits versuchte
Differenzierung der Realismuskategorie wenig entwickelt waren, so daß die
kunsttheoretischen Auseinandersetzungen von vordergründigen Differenzen der
Totalitätskategorie und des Unmittelbarkeitsbegriffs ausgingen und zu
Schlußfolgerungen über den formalen Aufbau von Werken führten oder aber
Wertungskriterien heranzogen, die genauso vordergründig von der Phänomenologie
moderner Kunstentwicklungen ausgingen und den Klassizismusvorwurf gegen Lukács
begründeten.
Lukács selbst kann in dieser Diskussion noch keine theoretisch konsistente
Explikation der Unterscheidung zwischen
" Realismus überhaupt " und
" Realismus heute ", wie A. Seghers formulierte , liefern. Erst die theoretische Vertiefung des Realismusbegriffs
auf der Basis der Mimesiskonzeption der späten ÄSTHETIK ermöglicht die
Ausarbeitung der theoretischen
-10-
formale und stilistische Manifestation innerhalb der Phänomenologie der
Kunstepochen.
Wichtig erscheint allerdings, daß Lukács auch in der Diskussion der dreißiger
Jahre Realismus nicht einfach als Stilkategorie expliziert, sondern als
"
schöpferische Methode " :
Realismus ist eine spezifische Methode der Produktion. Der Produktionsprozeß
wird hierbei von Lukács stark vereinfachend rationalistisch schematisiert. Er
skizziert ein zweistufiges Modell des Schaffensprozesses: Auf der ersten Stufe
findet das " gedankliche Aufdecken und künstlerische Gestalten dieser
Zusammenhänge " statt, auf der zweiten Stufe das " künstlerische
Zudecken der abstrakt erarbeiteten Zusammenhänge ".
Diese Skizzierung geht von erkenntnistheoretischen Voraussetzungen aus, die das
" Irreguläre im Schaffensprozeß " nicht zu erfassen erlaubt, wie Batt
zu Recht kritisiert. Lukács mißt dem
Gedanklichen in der Produktion und Gestaltung zu große Bedeutung zu.
Die theoretische Vertiefung des Realismusbegriffs setzt in der großen ÄSTHETIK
damit ein, daß die
" schöpferische Methode " nicht mehr durch so
stark vereinfachte Skizzen des Produktionsprozesses expliziert wird, sondern daß
sie durch eine allgemeine Mimesiskonzeption fundiert wird, die in ihren
anthropologischen und evolutionstheoretischen wie in ihren soziohistorischen
Dimensionen entwickelt wird. Realismus als
" fundamentale Tatsache jeder
Kunst " ist nicht mehr im engeren Sinn eine
" schöpferische Methode
", sondern bezeichnet den Prozeß der Strukturierung mittels spezifischer
" homogener Medien ", der für die Wirklichkeitsaneignung eine
Voraussetzung bildet und im ästhetischen Bereich die Modellierung von
"
Werkindividualitäten " zum Ergebnis hat, die das rezeptive Verhalten
leiten und auf diese Weise einen Wirklichkeitseindruck evozieren. Die Strukturierungsoperationen, die für die
"
Werkwelten " konstitutiv sind, haben nicht nur materiale Bedingungen,
sondern unterliegen einerseits formalen (stilistischen) soziokulturell
kontingenten Regeln, andererseits
" ästhetischen Prinzipien ". Zur
Explikation
-11-
dieses Prozesses entwickelt Lukács ein Ebenenmodell, wie noch zu zeigen sein
wird.
Erst im theoretischen Kontext der großen ÄSTHETIK gelingt Lukács die
theoretische Explikation des Realismus als " schöpferischer Methode
"; allerdings darf nicht übersehen werden, daß bereits Lukács früher
Realismusbegriff auf Produktionsoperationen überhistorischer Art abzielt, d.h.
auf Operationen zur Wirklichkeitsaneignung allgemein, nicht auf einfache
Wirklichkeitsabbilder: Realismus ist für Lukács auch in den dreißiger Jahren
Methode, nicht Abbild.
Daß Lukács in seinen theoretischen Explikationen auf traditionelle Begriffe der
klassischen Ästhetik und Erkenntnistheorie zurückgreift, ist keine Besonderheit
dieses Autors, sondern ist Kennzeichen des gegenwärtigen philosophischen
Diskurses über Kunst und sollte der
Einbeziehung von Lukács in den philosophischen Diskurs nicht im Wege stehen.
1.1.2. Philosophie der Kunst und Kunstwissenschaft
Seit Kant und Hegel, genau genommen bereits seit Baumgarten, ist die Ästhetik
als eine eigenständige Theorie neben der kunstgeschichtlichen Forschung
begründet. Weder vom Gegenstand her, noch vom Methodenbewußtsein ist die
Philosophie der Kunst auf Kunstwissenschaft zu reduzieren, und seit dem 19.
Jahrhundert bis ins 2o. Jahrhundert hinein hat die Ästhetik auch als Disziplin
ihren festen Platz neben der theoretischen und der praktischen Philosophie.
Die philosophische Ästhetik als Grundlagentheorie hat seit dem 18. Jahrhundert
ihre eigene Legitimität in ihren theoretischen Voraussetzungen und in ihrem
methodischen Vorgehen, die nicht von dem jeweiligen Stand der
kunstwissenschaftlichen Disziplinen abhängig zu machen ist. Das Verhältnis der philosophischen Analyse zur Kunstempirie,
speziell zur Kunstgeschichte, ist, je nach theoretischem Ausgangspunkt,
unterschiedlich:
- In Kants transzendentalphilosophischer Begründung tritt die Philosophie der
Kunst in Gegensatz zu den Erfahrungswis-
-12-
senschaften überhaupt; denn Kant versucht spezifisch ästhetische
Bewußtseinsleistungen zu begründen: die ästhetische Setzung ist danach "
rein ", d.h. erfahrungsunabhängig, zugleich aber vereinzelt konkret. Im
Kontext der Theorie der Erfahrung versucht Kant, die nichttheoretischen
Dimensionen des Bewußtseins in ihrer Eigengesetzlichkeit zu bestimmen, d.h. das
Nichtbegriffliche gegenüber der theoretischen Erkenntnis abzugrenzen. Der
Explikationsrahmen hierfür ist die Erkenntnisproblematik, zugespitzt auf das
Verhältnis von Anschauung und Begriff.
-
Die systematisch-metaphysische Deduktion des Schönen, wie Lukács Hegels Vorgehen
charakterisiert, zielt hingegen auf die Einbeziehung der Kunstempirie. Die
Ableitungen des " Ideals als solches " erfolgt zwar als
logisch-ontologische Deduktion, die systematisch-historischen Besonderungen
führen aber auf die Phänomenologie der Kunst, die ihrerseits in ihren
Spezifizierungen nicht allein begriffssystematisch herzuleiten ist, wie Hegel
selber sieht. Die Philosophie der Kunst gibt
der historischen Betrachtung allerdings erst Sinn und Richtung; denn die
Betrachtung der historischen Kunstentwicklung bleibt ohne die begriffliche
Explikation bloß enzyklopädisch. Hegel entwickelt daher eine Methode, die den
" ideellen Gesichtspunkt " mit dem empirischen verbinden soll, um
einerseits inhaltlose Bestimmungen der platonischen Idee zu vermeiden,
andererseits aber auch nicht bei Abstraktionen und zufälligen empirischen
Generalisierungen stehen zu bleiben. Ziel ist, " die metaphysische
Allgemeinheit mit der Bestimmtheit realer Besonderheit " zu vereinigen.
Die Anerkennung der Leistungen der
empirischen Methode: Bereitstellung des enzyklopädischen Wissens über
kunsthistorische Gegenstände und Zusammenhänge, die Interpretation und Kritik
einzelner Werke und die Erarbeitung anschaulicher Belege für die Philosophie der
Kunst, hat ihre Grenze in der Notwendigkeit der " theoretischen Reflexion
", die " das Schöne als solches aus sich selbst zu erkennen und
dessen Idee zu ergründen bemüht ist "
- Lukács steht seinerseits in der Tradition dieser philosophischen
Reflexionen. Er führt sie aber im veränderten
-13-
Rahmen der dialektisch-materialistischen Grundtheorien und ihrer Methodologie
fort und fordert einerseits für die philosophische Ästhetik "
Wissenschaftlichkeit " und andererseits für die begriffssystematischen
Explikationen die Rückführung auf die " reale Basis " der
kunstgeschichtlichen Phänomene. Das bedeutet aber für Lukács keine Reduzierung
der Philosophie der Kunst auf Kunstwissenschaft. Er insistiert ausdrücklich auf
dem philosophischen Charakter der Analysen und grenzt die " philosophische
Untersuchung " gegen die Kunstwissenschaft ab. Lukács philosophische Untersuchung als historisch-systematisches
Verfahren stellt keine Empirisierung der Ästhetik dar. Sie zielt aber auf die empirische Basis und das heißt bei Lukács
auf die gattungsgeschichtlichen Grundlagen und soziohistorischen Bedingungen der
ästhetischen Mimesis und damit, über die kunstgeschichtlichen Manifestationen
hinaus, auf gattungsgeschichtliche Voraussetzungen vorsprachlicher und
sprachlicher Art, für die es keine empirischen Relikte gibt bzw. geben kann und
die in einem besonderen historisch-systematischen Verfahren erschlossen werden
müssen, worauf noch einzugehen sein wird.
Lukács steht somit zwar in der Tradition der ästhetisktheoretischen Reflexion,
die durch die Erkenntnisproblematik vorgegeben ist, zugleich aber auch in der
Tradition der systematischen und historischen Explikationen, die die historische
Empirie in das System einzubeziehen trachtet. Er selbst zielt mit der
Explikation der " kategorialen Struktur " nicht nur auf die
Einbeziehung der " realen Basis " der kunsthistorischen Entwicklung,
sondern auf die Einbeziehung der " Genesis " der kategorialen
Struktur, die in der gattungsgeschichtlichen Empirie fundiert ist. Das hat
weitreichende Konsequenzen nicht allein für die " philosophische
Untersuchung der Widerspiegelung " ,
speziell für die Analyse der ästhetischen Mimesis, sondern auch für das
Verhältnis von begriffssystematischen Explikationen, d.h. Klärungen der "
kategorialen Struktur ", und kunsthistorischen Untersuchungen: Die "
reale Basis " der Kunstphänomenologie bzw. der konkreten kunsthistorischen
Entwicklung ist nicht nur Beleg und Konkretisierung der begriffs-
-14-
systematischen Ableitungen, sondern ist zugleich Grundlage für die Klärung der
kategorialen Struktur, die die Einbeziehung der " Genesis " in den
Explikationsprozeß erfordert. Lukács philosophische Untersuchungen in der
ÄSTHETIK lassen sich deshalb weder als bloß theoretische Reflexionen über
Grundlagenprobleme charakterisieren, noch zielen sie auf einen
kunstwissenschaftlichen Szientismus in der weiten Bedeutung, wie ihn Warning im
Auge hat . Methodologisch sind diese
philosophischen Untersuchungen begründet durch das Verfahren des "
Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkrete ", worauf noch einzugehen sein
wird, und hierin kommt die prinzipielle Differenz gegenüber kunsthistorischen,
speziell literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zum Ausdruck und die
Grenzziehung gegenüber allen unmittelbaren Applikationen der philosophischen
Analysen durch die kunstwissenschaftliche Forschung.
1.2. Lukács Auseinandersetzung mit der Ästhetiktradition
Mit den beiden Hauptrichtungen der Ästhetiktradition, die mit Kants und Hegels
Namen verbunden sind, setzt sich Lukács theoretisch ausführlich auseinander.
Grob charakterisierend lassen sich die
beiden Traditionen als bewußtseinstheoretische Ansätze (Theorie der
Seelenvermögen, Theorie der ästhetischen Erfahrung, genauer des ästhetischen
Urteils) und als seins-theoretische Ansätze (Theorie des Schönen) kennzeichnen.
Damit sind auch schon die für Lukács
zentralen Punkte der Diskussion genannt.
Die Theorie der ästhetischen Erfahrung bei Kant knüpft nicht mehr an die Theorie
der " Seelenvermögen " des 18. Jahrhunderts an, die die
nichtbegrifflichen Erfahrungen in der Lehre von den sensitiven
Erkenntnisvermögen bzw. nicht-distinkten Vorstellungen theoretisch zu klären versucht. Kants Theorie des ästhetischen
Urteils ist im Rahmen der transzendentalphilosophischen Reflexion auf die
umfassende Subjekt-Objekt-Problematik, speziell auf das Verhältnis von
Anschauung und Begriff gerichtet und insbesondere auf die Einbeziehung der
nichttheoretischen Dimension des Bewußtseins.
-15-
Der erkenntnistheoretische Apparat stellt den begrifflichen Leitfaden auch für
die theoretisch-begriffliche Klärung des Nichtbegrifflichen dar: Die Trennung
zwischen dem sinnlich Gegebenen und dem kategorialen Vermögen einerseits und die
Vermittlung der beiden Bereiche andererseits. Die in der
Transzendentalphilosophie aufgezeigte Kluft zwischen Anschauung und Begriff ist
in den drei Kritiken Kants jeweils besonders zu überbrücken. Die
erkenntnistheoretische Synthesis der Kritik der reinen Vernunft wird in der
Kritik der Urteilskraft insofern wesentlich verändert, als durch die
Unterscheidung von bestimmender und reflektierender Urteilskraft die
Vermittlungsleistung der Urteilskraft nicht auf die Subsumtion, den Übergang vom
Allgemeinen zum Besonderen beschränkt ist, sondern auch einen Übergang vom
Besonderen zum Allgemeinen ermöglicht.
Damit kann innerhalb des Rahmens des transzendentalphilosophischen
Apparats die Leistung des nichttheoretischen Bewußtseins expliziert werden
, die Besonderheit der Geschmacksurteile. Die
Geschmacksurteile als ästhetische Setzung sind erfahrungsunabhängig und dennoch
singulär; sie geben folglich auch keine Auskunft über die Beschaffenheit eines
Gegenstandes; die ästhetische Setzung konstituiert nichtempirische
Bewußtseinsobjekte.
Nicht der erkenntnistheoretische Rahmen, wohl aber die
transzendentalphilosophische Begründung wird von Lukács von Anfang an
zurückgewiesen. Bereits in der frühen Arbeit von 1912/14 geht er nicht von bewußtseinstheoretischen Annahmen allein aus,
sondern thematisiert " das Zusammentreffen von objektiver Immanenz des
Kunstwerks und subjektiver Immanenz des ästhetischen Verhaltens ", d.h.
auch ohne den Bezug auf die später explizit eingeführte Widerspiegelungstheorie
wird das Ineinandergreifen von Subjektivität und Objektivität konstitutiv für
die ästhetische Setzung, es geht nicht mehr nur um das " Verhältnis
verschiedener Erkenntnisvermögen " zueinander.
Das
" Faktum Kunst " umfaßt bereits in dieser frühen, eher
lebensphilosophisch und psychologistisch argumentierenden Ar-
-16-
beit das Zusammenspiel von subjektiven und objektiven Bedingungen im Produzenten
wie im Rezipienten. In der späten ÄSTHETIK wird die fundamentale Bestimmung der
ästhetischen Setzung als
" untrennbares Ineinander und Zusammen von
Subjektivität und Objektivität " charakterisiert. Lukács, nun im Rahmen der materialistischen Erkenntnistheorie und
im Rückgriff auf Hegels Begrifflichkeit argumentierend, trennt nicht das Für-uns
und das Ansich: Die Konstitutionsleistung des Bewußtseins ist auch in der
Evokation auf die Mimesis konkreter Wirklichkeit angewiesen.
Auch wenn für Lukács die Erkenntnistheorie, speziell die
Subjekt-Objekt-Problematik, den Rahmen für seine ästhetiktheoretischen
Reflexionen abgibt, kann Lukács von Anfang an die ästhetische Setzung nicht mehr
bewußtseinstheoretisch explizieren. Das ist nicht erst Resultat der
materialistischen Widerspiegelungstheorie.
Daß Lukács in der großen ÄSTHETIK das Subjekt-Objekt-Verhältnis und die
Erkenntnistheorie als Leitfaden selbst für die Analyse des Alltagsdenkens und
weiter für die Explikation der Alltagswirklichkeit wählt, ist, wie noch zu
zeigen sein wird, eine bewußte methodische Reduktion, da die komplexe
Phänomenologie des Alltagslebens theoretisch und begrifflich nicht ausgearbeitet
vorliegt, er aber für die Explikation der elementaren Mimesis von
Mimesisoperationen innerhalb des Alltagslebens ausgehen muß. Lukács ist sich der
Grenzen der methodischen Hilfskonstruktion durchaus bewußt.
Hegels zentrale Theorie des Schönen als sinnliches Scheinen der Idee hat zwei
kategoriale Dimensionen: Wahrheit und Geschichte. Innerhalb des
identitätsphilosophischen Ansatzes der Einheit von Begriff und Realität (als
" Idee ") ist Kunst n u r das sinnliche Scheinen der Idee. Das
sinnliche Scheinen kennzeichnet dabei das Nichtbegrifflichsein der Kunst.
Gleichzeitig wird damit aber auch eine prozessuale oder geschichtliche Dimension
des Verhältnisses von Begriff und Realität angesprochen. Das sinnliche Scheinen
als Nichtbegrifflichsein des Kunstschönen ist in der systematischen Reihe immer
ein n o c h n i c h t Begriffliches und
-17-
wird daher durch die anderen
" Formen des Geistes ", des
vorstellenden Denkens und des begrifflichen Denkens, überholt:
So ist es in der historischen Reihe immer auch eine nicht mehr adäquate
Sowohl die Kategorie der Wahrheit als auch die Kategorie der Geschichte sind auch für Lukács Auseinandersetzung mit Hegels Ästhetik zentral. Die " Historizität " der Hegelschen. Ästhetik bezeichnet Lukács sogar als das " Fortschrittlichste seiner Ästhetik "; schränkt allerdings sofort ein, daß dieser Gewinn durch die Hegelsche Wahrheitskategorie theoretisch nicht zum Tragen komme, weil durch " das Fehlen der Widerspiegelung im idealistischen System Hegels " das Verhältnis von Begriff und Realität, Subjekt und Objekt, identitätsphilosophisch übersprungen wird bzw. als Einheit immer schon vorausgesetzt ist.
Daß Lukács in der Auseinandersetzung mit der Hegelschen Ästhetik seinen eigenen Ansatz nicht als eine Weiterentwicklung und die
" Anwendung des Marxismus auf die Ästhetik " als einen
" Sprung " kennzeichnet, ja als das
" erstmalige Aufbauen der Ästhetik auf wirklich wissenschaftlichen Grundlagen " hat seinen Grund in der Auflösung der identitätsphilosophischen Konzeption in die
" zwei Linien " (Narski) der Ontologie und der Erkenntnistheorie. Die Abgrenzung gegenüber Hegls seins-theoretischer Konzeption, gegenüber der Metaphysik des Schönen , beruht bei aller Anerkennung im einzelnen auf grundlagentheoretischen Unterschieden und erfordert die Einbeziehung erkenntnistheoretischer Explikationen auch in ontologische, anthropologische oder soziohistorische Argumentationen. Die Widerspiegelungstheorie muß eine Kerntheorie der Ästhetik werden und eine theoretische Grundlage der Mimesiskonzeption. So kritisiert Lukács an Hegels Ästhetik, daß Hegel,
" den Grundprinzipien seines Philosophierens entsprechend, das Moment der Mimesis vernachlässigt und nur ganz allgemein von Subjektivität und Objektivität spricht " . In der Mimesis als
" praktisch angewandter Widerspiegelung " soll einerseits das Subjekt-Objekt-Verhältnis als Prozeß der
" Aneignung der Wirklichkeit " in allgemeinster Form begrifflich gefaßt, als Pro-
-18-
zeß der Strukturierung und Modellierung von
" Werkwelten " ästhetiktheoretisch expliziert werden, in der Differenzierung der Mimesis soll andererseits der Prozeß der gattungsgeschichtlichen und historischen Entwicklung systematisch-historisch entfaltet werden.
Trotz Übernahme der Historizität (historischen Dimension) in die Ästhetiktheorie ist Lukács Mimesiskonzeption keine Weiterentwicklung der Hegeltradition, sondern ein neuer theoretischer Ansatz, der in seinen seinstheoretischen (evolutions-theoretischen, soziohistorischen) Bestimmungen der Subjekt-Objekt-Relation immer auf die erkenntnistheoretische Explikation des Subjekt-Objekt-Verhältnisses angewiesen bleibt.
1.3. Lukács ÄSTHETIK im Problemhorizont des ästhetik-theoretischen Diskurses
In seiner Kritik an Hegels Ästhetik, oder allgemeiner in seiner Stellungnahme " gegen den philosophischen Idealismus ", formuliert Lukács selbst allgemeine Anforderungen an die marxistische Ästhetik: Sie soll auf " wirklich wissenschaftlichen Grundlagen " aufgebaut werden, d.h. die Begriffsexplikationen sind nicht durch metaphysische Deduktionen herzuleiten. Der wissenschaftliche Charakter ist gekennzeichnet durch Historizität, die bereits Hegel in die Ästhetik eingeführt hat, und durch die Rückführung der begrifflichen Bestimmungen auf die " reale Basis ".
Diese Anforderungen haben theoretische und methodische Konsequenzen, die für die Problemstellungen der ästhetiktheoretischen Tradition und erst recht für die Problemlösungen eine veränderte Gesamtkonzeption der Ästhetik erfordern: Die Mimesiskonzeption, für die die Forderungen nach wissenschaftlichen Grundlagen, Historizität und Empirizität der theoretischen Explikationen gelten sollen. Die
" neue höhere Entwicklung der Ästhetik " ist nicht im kategorialen Apparat zu suchen, auch nicht in der Abkehr von Fragestellungen, die auch Lukács aus der Tradition der philosophischen Ästhetik übernehmen muß, sondern in der Mimesiskonzeption und den veränderten methodi-
-19-
schen Verfahren der philosophischen Analyse, die die Einheitlichkeit der Explikationen und die erforderliche theoretische Tiefe sichern.
Eine Vorklärung dieser Frage nach dem Zusammenhang mit der Ästhetiktradition einerseits und der " neuen höheren Entwicklung der Ästhetik " andererseits kann anhand einiger zentraler Problembereiche des philosophischen Diskurses über Kunst skizziert werden, der Subjekt-Objekt-Problematik in der Ästhetiktheorie, den Definitionsproblemen des Abgrenzungskriteriums und dem Verhältnis von Struktur und Funktion innerhalb der kunstphilosophischen oder kunsttheoretischen Diskussion.
-
Das Subjekt-Objekt-Verhältnis und die Historisierung und Empirisierung des Synthesisproblems
In der Tradition der philosophischen Reflexion stehend , macht auch Lukács die Subjekt-Objekt-Relation zur Grundlage der ästhetiktheoretischen Explikationen.
In der Ästhetiktradition erfolgt die Begründung des spezifisch Ästhetischen durch die Verbindung der beiden Relate: Das Ästhetische wird geradezu zum Vermittlungs- bzw. Versöhnungsparadigma. Lukács zielt in seiner Kritik an der idealistischen Philosophie auf diesen Punkt der Subjekt-Objekt-Problematik: sowohl die Forderung nach Historizität als auch nach Empirizität der Ästhetik erfordert eine systematisch-historische Fundierung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses, speziell der Synthesisoperationen durch die begriffssystematische Explikation und die gattungsgeschichtliche Rekonstruktion der Mimesis. Lukács muß hierzu, unter Rückgriff auf Marx Theorien, die systematisch-historische Genesis von elementaren Operationen des Alltagsdenkens rekonstruieren, um auf diese Weise durch einen methodischen Umweg evolutionstheoretische Bedingungen der Mimesisoperationen explizieren, d.h. durch Rückschlüsse erklären zu können, Bedingungen, für die es keine empirischen Relikte mehr geben kann. Methodischer Ausgangspunkt muß die Analyse der Alltagswirklichkeit sein (auf dem " entwickeltsten Standpunkt "), Zielpunkt ist aber die Klärung der gattungsgeschichtlich grundlegenden Funktion der Arbeit und die gattungsgeschichtliche Entwicklung der fünf Sinne.
-20-
Hierbei geht Lukács nicht von einem innerästhetischen Ansatzpunkt aus, und schon gar nicht von einem bestimmten kunstgeschichtlichen Entwicklungsstand, dem Paradigmastatus zugesprochen werden müßte , sondern vom Alltagsdenken. Die traditionelle Synthesisproblematik wird von Lukács durch die Ausarbeitung seiner Mimesiskonzeption nicht nur in einen veränderten ästhetiktheoretischen Zusammenhang gerückt, sondern auch in einen neuen evolutions- und geschichtstheoretischen Rahmen gestellt, der für die Kunst deutliche Grenzziehungen zur Folge hat.
Die Kunst kann für Lukäcs kein Versöhnungsparadigma sein, sie kann nicht einmal Utopiefunktionen übernehmen: Weder die Philosophie, die für Hegel die " Versöhnung und Vermittlung " der durchgreifenden " Scheidung und Entgegensetzung " der " Zwiespaltigkeit des Lebens und Bewußtseyns " zu vollbringen hat , noch die Kunst, die im Sinne der idealistischen Ästhetik, speziell Schillers Ästhetik, als Paradigma der Versöhnung realer Widersprüche fungiert, hat bei Lukács eine Vermittlungsfunktion.
Lukács ÄSTHETIK stellt in diesem Punkt eine wesentliche Weiterentwicklung der in der idealistischen Ästhetik angelegten Synthesisproblematik dar. Wie noch zu zeigen sein wird, ermöglicht eine spezielle Klasse von Mimesisoperationen durch Suspendierung der unmittelbaren Lebenswelt die Modellierung von " Werkwelten ", die durch Evokationen auf seiten der Rezipienten Wirklichkeitseindrücke hervorrufen, die einerseits Totalitätserfahrungen ermöglichen, andererseits kathartische Wirkungen erzeugen. Denn die Strukturierungen der ästhetischen Mimesis zielen nicht allein auf das individuelle Bewußtsein des Rezipienten, sondern tragen auch zur Entwicklung des Bewußtseins der Gattung bei. Kunst führt den Rezipienten weder zu realen Versöhnungen, noch ersetzt sie wirkliche Handlungen. Die kathartische Beeinflussung, die durch die Mimesisoperationen initiert wird, kann aber reale Aktionen zur Folge haben. Die Grenzlinie zwischen pragmatischem Kontext und Kunstbereich ist aber nicht unmittelbar zu überspringen.
-21-
Historisierung und Empirisierung der Subjekt-Objekt-Problematik heißt bei Lukács gerade nicht die unmittelbare Übertragung der ästhetischen Operationen und Werke in die reale soziohistorische Wirklichkeit. Nicht nur gegenüber vulgärmarxistischen Positionen ist dies festzuhalten. Auch im Blick auf die Interpretation und Bewertung der Brecht-Lukács-Kontroverse ist dies hervorzuheben.
-
Zur Definition von Abgrenzungskriterien: " Prinzipielle Einheit des Ästhetischen " und " radikale Historizität "
Zu Recht nennt Zimmerli die Klärung des Abgrenzungsproblems ein " Minimalpflichtprogramm " für die philosophische Ästhetik. Den Problemkomplex untergliedert er dabei in das historische Bereichsproblem, das Zeichenproblem und das Funktionsproblem. Zugleich mit der Aufgabenstellung differenziert er zwischen den Zielsetzungen der philosophischen Ästhetik und den einzelnen Kunstwissenschaften in dieser Frage: Die Philosophische Ästhetik muß zur " Aufhellung problematischer und schwieriger konzeptueller Grundlagen " beitragen, auf die die Einzelwissenschaften aufbauen können. Diese Differenzierung sollte nicht übersehen werden, weil von seiten der Kunstwissenschaft, speziell der Literaturwissenschaft, immer wieder Versuche zur Klärung des Abgrenzungsproblems unternommen worden sind, die, im Lichte der philosophischen Ästhetik betrachtet, weder ausreichende Komplexität noch genügende theoretische Tiefe aufweisen. Die Intention zur Klärung konzeptueller Grundlagen ist festzuhalten gegenüber den Ansätzen in der Texttheorie, linguistischen Poetik, Rezeptionsforschung, aber auch gegenüber Literaturtheorien, die literarhistorische Phänomene zum Ansatzpunkt für die Ästhetik wählen, wie P. Bürger, der die Ästhetiktheorie von den Avantgardebewegungen her zu konzipieren versucht.
Der umgekehrte Weg, den Begriff der Ästhetizität durch eine rein pragmatische Definition so weit einzugrenzen, daß er für empirisch-sozialwissenschaftliche Untersuchungen operationalisiert erscheint, wie Schmidt für die Empirische Literaturwissenschaft vorschlägt, trägt schon seiner eigenen Intention nach nichts zur Klärung konzeptueller Grundlagen
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der Ästhetik bei.
Die Klärung der konzeptuellen Grundlagen kann nicht an die einzelnen Kunstwissenschaften verwiesen werden, weil hierfür theoretische Reflexionen von solcher Allgemeinheit und Tiefe erforderlich sind, die den historischen, soziokulturellen Besonderheiten der Kunstgattungen und Kunstarten vorgelagert sind, wenn das Problem nicht auf ein historisches Bereichsproblem eingeschränkt werden soll, sondern auch als Konstitutionsproblem und Funktionsproblem behandelt werden soll. Theorien mit diesem Allgemeinheitsgrad müssen die systematische und historische Dimension des Problems erfassen und ebenso strukturelle wie funktionale Aspekte.
Auch die nachhegelsche ästhetiktheoretische Reflexion setzt sich ausdrücklich oder verdeckt mit Hegels Ästhetik auseinander; und Lukács selbst steht in diesem Problem- und Diskurszusammenhang. Die Stärke des philosophischen Diskurses gegenüber einzelwissenschaftlichen Theoriebildungen liegt darin, daß ein Begriffssystem von solcher Komplexität entwickelt wird, das erkenntnistheoretische Voraussetzungen, prämediale und mediale Konstitutionsbedingungen und realwissenschaftliche Bestimmungen in einer einheitlichen Begriffsstruktur, in Hegels Terminologie: als eine " Totalität von Bestimmungen ", entfaltet, eine Komplexität, die aufgrund der theoretischen und methodischen Differenziertheit der Einzelwissenschaften von keiner erfahrungswissenschaftlichen oder hermeneutischen Disziplin einzuholen ist.
Hegels Unterscheidung von " Poesie " und " Prosa " im Rahmen seines produktionsästhetischen Ansatzes zielt auf Konstitutionsbedingungen fundamentaler Art. Es geht um Differenzierungen auf der Ebene des Bewußtseins bzw. der " poetischen und prosaischen Anschauung " , die der historisch kontingenten und soziokulturell variablen Kunstphänomenologie vorausliegen: Es handelt sich weder um linguistische Besonderheiten (stilistische " Abweichungen "), noch um bloße soziokulturelle Normen. In Hegels systematisch-historischer Explikation wird die Konstitution des Ästhetischen aus den Bestimmungen der Idee abgeleitet, die zu den fundamentalen Relationen zwischen Be-
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griffs- und Realitätsbestimmungen des unmittelbaren oder sinnlichen Wissens führen, das das Ästhetische kennzeichnet im Unterschied zum vorstellenden Bewußtsein der Religion und dem " freien Denken " der Philosophie; die Form der sinnlichen Anschauung gehört der Kunst an. Zugleich aber ist die Konstitution des Ästhetischen von den soziokulturellen und historischen Elaborationen abhängig, da " das Kunstschöne nicht die Idee als solche ist, .. sondern die Idee, insofern sie zur Wirklichkeit fortgestaltet, und mit dieser in unmittelbar entsprechende Einheit getreten ist ", d.h. als Ideal ihre Bestimmtheit erst durch " Besonderung und Erscheinung " erreicht.
Die Idee in einer bestimmten Form, als Ideal, d.h. das " sinnliche Scheinen der Idee " , das eine fundamentale strukturelle Abgrenzung gegen die anderen " Formen des Geistes " (gewöhnliches Denken, Religion, Philosophie) darstellt, betrifft einen Konstitutionsprozeß, der sowohl die Konstanz der Bestimmungen des Ideals als solches als auch die historische Variabilität der " sinnlichen Form und Gestaltung " umfaßt. Abgrenzungskriterien sind dabei prinzipieller Art und nur als " abstrakt Allgemeines " formulierbar, wie z.B. " Freiheit " und " Unendlichkeit "; diese prinzipiellen Bestimmungen haben aber als Regulative des Konstitutionsprozesses des Ästhetischen im ganzen Konsequenzen für die " sinnliche Form und Gestaltung ", d.h. für die konkreten historischen Manifestationen der Fundamentalstruktur. Hegels philosophische Ästhetik führt in die begriffs-systematische Explikation des Abgrenzungskriteriums eine theoretische Ebene ein, die unterhalb der Ebene der Kunstphänomene, ihrer formalen und stilistischen Erscheinungen liegt. Abgrenzungen werden als allgemeinste Merkmale der " Formen des Geistes " expliziert und können nur als prämediale Schemata, fundamentale Muster der Wahrnehmung, Erkenntnis oder Wirklichkeitsmodellierung von hoher Stabilität konkretisiert werden, nicht aber als kunstgeschichtliche Phänomene.
Die in popularästhetischen Traditionen, aber auch in der literaturwissenschaftlichen Analytik häufig genannten Charakteristiken des Kunstschönen oder des Kunstwerks als besonders Geformtes, als Einheit von Gehalt und Gestalt, als Stimmig-
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keit der Komposition stellen demgegenüber lediglich die theoriefernen Begriffsmetaphern des literaturwissenschaftlichen Diskurses dar. Aber auch innerhalb des ästhetiktheoretischen Diskurses bleibt die Suche nach einem geeigneten theoretischen Rahmen für die Explikation von Abgrenzungskriterien ein Problem, das von verschiedensten theoretischen Ansätzen her zu lösen versucht wird.
In diesen Diskurszusammenhang gehört auch der Versuch von Lukács, im theoretischen Rahmen der Mimesiskonzeption die Besonderheit der ästhetischen Mimesis und die Abgrenzung gegen andere Formen der Mimesis zu begründen. Lukács ÄSTHETIK kann in diesem Zusammenhang als eine Antwort auf Fragen der bewußtseinstheoretischen und seinstheoretischen Ästhetiken gelesen werden, Fragen, die mit dem traditionellen Problem des ästhetischen Scheins zusammenhängen: In Konsequenz des urteils-theoretischen Ansatzes von Kant liegt die strikte Trennung von ästhetischem Schein und Wirklichkeit bzw. Wirklichkeitsaussage, wie sie in Schillers kunsttheoretischen Schriften auch ausgearbeitet vorliegt, in der Konsequenz von Hegels seinstheoretischem Ansatz ist der Schein selbst dem Wesen wesentlich und führt zu bloßer Differenzierung der Wirklichkeitserfassung.
Lukács nimmt das Problem nicht in der Kantisch-Schillerschen Tradition auf, sondern in der Hegelschen und führt es im Rahmen seiner materialistischen Grundtheorien weiter: Nicht das Reich des absoluten Geistes bildet eine Einheit, die in unterschiedlichen " Formen " zum Bewußtsein kommen kann, sondern " dieselbe Wirklichkeit " wird durch die " Widerspiegelung im Alltagsleben, in Wissenschaft und Kunst " in unterschiedlichen Formen abgebildet und in gegeneinander abgrenzbaren Wirklichkeitsmodellen erfaßt. Für die Differenzierung und Abgrenzung dieser " Formen " muß Lukács eine ästhetiktheoretische Konzeption entwickeln, die weder bloß durch mediale Systemgrenzen noch durch bloß soziohistorisch bedingte Manifestationen diese fundamentalen Unterschiede begründet.
Die Mimesiskonzeption der späten ÄSTHETIK liefert den theoretischen und begrifflichen Rahmen für die Explikation dieser
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Differenzierungen: Die Spezifik der Wirklichkeitserfassung qua Strukturierung von unterschiedlichen Wirklichkeitsmodellen ist weder rein subjektorientiert, bewußtseins- oder urteilstheoretisch begründet, noch rein objektorientiert, seinstheoretisch begründet, sondern durch einen Strukturierungsprozeß, der zur " Aneignung " oder Erfassung der Wirklichkeit mittels unterschiedlicher Schemata der Modellierung führt. Die Schemata solcher Strukturierungen liegen so tief, daß sie nur gattungsgeschichtlich, nicht aber individualhistorisch oder soziohistorisch begründbar erscheinen, und folgen nicht epochenspezifischen Darstellungsverfahren oder Gestaltungsregeln, sondern Prinzipien. Sie haben einen fundamentalen Funktionswandel von Kategorien zur Folge, im Unterschied zum bloß historischen Wandel medialer Manifestationen, Darstellungsmittel und -formen. Der Funktionswandel der Kategorien stellt sicher, daß als Orientierungs- und Artikulationsbereich für das Alltagsdenken, der Kunst und der Wissenschaft ein und derselbe Bereich vorgegeben ist, so daß keine regionale Ausgrenzung eines bestimmten Wirklichkeitsausschnitts für die Kunst oder Wissenschaft erfolgt. Funktionswandel der Kategorien sichert aber auch die Differenzierung in der Modellierung der Wirklichkeit, die zu spezifisch ästhetischen Konstituierungen von " Werkwelten " und damit zur Konstituierung von ästhetischem " Sinn " führt, die die Suspendierung alltagspraktischer Bedeutungen voraussetzt und ein verändertes Verhältnis von Werkwelt und Wirklichkeit zur Folge hat. Die Sinnkonstitution der ästhetischen " Werkindividualität " ist nicht ohne weiteres vergleichbar mit den alltagspraktischen oder wissenschaftlichen Welten und unterliegt nicht denselben Prüfverfahren und Wahrheitsanforderungen.
Der Ausschluß der bereichsspezifischen Explikation des Abgrenzungskriteriums sichert, daß keine Kunstgegenstände per se , abgegrenzt etwa gegen Gebrauchsgegenstände, eingeführt werden müssen, sondern nur Funktionsdifferenzierungen.
Die Suspendierung der ästhetischen Sinnkonstitution von der praktischen (Gebrauchs-) Bedeutung und den praktisch-politischen Handlungskontexten verhindert eine unmittelbare Funk-
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tionszuweisung für die reale Praxis handelnder Subjekte. Die ästhetische Subjektivität ist als " Selbstbewußtsein der Gattung " zu explizieren und kann auch im Bereich der Rezeption nicht zu unmittelbaren Wirkungen führen, worauf noch einzugehen sein wird. Denn gerade der Funktionswandel der Kategorien ist im Ästhetischen " die tiefste Ursache der Fähigkeit der Werke, den Rezeptiven zu leiten ".
Theoretische Voraussetzung für die Explikation solcher gattungsgeschichtlich tief liegender Schemata der Modellierung von Wirklichkeit ist die Mimesiskonzeption und das systematisch-historische Verfahren.
Durch Einführung unterschiedlicher Mimesisoperationen kann Lukács die " Eigenart des Ästhetischen " gegenüber anderen Modellierungen der Wirklichkeit abgrenzen, wie sie durch die elementare Mimesis des Alltagsbewußtseins, die magische Mimesis der religiösen Vorstellung oder die theoretische Mimesis des wissenschaftlichen Denkens erfolgen. Durch die gattungsgeschichtliche Fundierung kann er Schemata von evolutionsgeschichtlich hoher Stabilität begründen, die sich unter den historisch, soziokulturell, individuell bedingten Entwicklungen der Kunstgeschichte durchhalten.
Nicht apriorische und historische Bestimmungen stehen in Lukács Konzeption gegeneinander, sondern fundamentale Prozesse mit langfristiger Stabilität, die aber auch gattungsgeschichtlichen Entwicklungen unterworfen sind und keine Konstanz aufweisen, und historische Prozesse mit kurzfristiger Varianz. Kennzeichen von Lukács ÄSTHETIK ist eine Theorieskizze von genügender Tiefe, die das gattungsgeschichtliche Gewordensein der " Eigenart des Ästhetischen " abzubilden erlaubt und Kriterien als Schemata der Wirklichkeitsmodellierung mit dem Status gattungsgeschichtlicher Konventionen zu interpretieren ermöglicht, die historische Wandlungen der Kunstproduktion und Kunstrezeption überdauern, und gleichzeitig die " reale Basis " der Kunstphänomenologie mit ihren individuellen und epochenbestimmten Entwicklungen in Produktion und Rezeption zur Grundlage eines systematisch-historischen Verfahrens macht. Für die Klärung der Probleme ästhetischer Abgrenzungskriterien
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innerhalb der philosophischen Ästhetik reicht dieser Beitrag von Lukács sehr viel weiter als die Ansätze der linguistischen und strukturalistischen Poetik und der empirisch-sozialwissenschaftlichen Rezeptionsforschung.
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Struktur und Funktion: Die Evokationskonzeption als Überwindung der Alternative von Produktions- und Rezeptionsästhetiken
Die in der philosophischen Ästhetik, aber auch in den disziplinären Kunstwissenschaften auftretende Alternative von Produktions- und Rezeptionsästhetik führt in vielen Fällen einerseits zur theoretischen Aufhebung der Werkstruktur in " Prozesse " bzw. zur sogenannten " Dynamisierung des Strukturbegriffs " , andererseits zur Verabsolutierung von Rezeptionsprozessen mit allen damit verbundenen theoretischen und methodologischen Problemen. Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Problemdimensionen: Erstens um die Konstitution des ästhetischen Sinns aus werkstrukturellen- und rezeptiven Faktoren; zweitens um den Zusammenhang von intrasubjektiven und soziohistorischen Bedingungen der Sinnkonstitution.
Lukács Mimesiskonzeption, die für die ästhetische Mimesis " ein untrennbares Ineinander und Zusammen von Subjektivität und Objektivität " als grundlegende Voraussetzung definiert, entwickelt eine Theorie der ästhetischen Sinnkonstitution als Evokation, die solche einfachen Alternativen überwindet und einerseits die Abgeschlossenheit des Werkbereichs und des Erlebnisbereichs gegeneinander expliziert, andererseits aber auch das " Zusammenwirken " der gegeneinander abgeschlossenen Bereiche theoretisch begründet. Die Konstitution des ästhetischen Sinns hängt von der " Struktur des Kunstwerks als so und so Wirkendes " ab; die Wirkung ist ein zentrales Merkmal des Werks, die Werkstruktur hat aber gleichzeitig eine Leitungsfunktion für das " Erlebnis des Rezeptiven " , sie kann die rezeptiven Erlebnisse " ordnen und systematisieren ". Lukács läßt keinen Zweifel daran, daß die " ästhetische Objektivität " die Wirkungsdimension einbezieht und nicht allein in der Struktur liegt. Lukács führt zur Explikation eine Wirkungstheorie ein, die an den seit Aristoteles eingeführten
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Begriff der Evokation anschließt und die Einwirkung der in sich abgeschlossenen Systeme der Werkstruktur und der mentalen und psychischen Prozesse (" Gedanken und Gefühle ") theoretisch begründet. " Ästhetische Objektivität " wird im Rahmen einer Wirkungstheorie problematisiert.
Die Theorie der Konstitution des ästhetischen Sinns setzt, wie noch zu zeigen sein wird, den " Funktionswandel der Kategorien " voraus; denn dieser Funktionswandel ist nicht nur für die Erkenntnis der " Eigenart des Ästhetischen " zentral, sondern ist zugleich eine ursächliche Bedingung für die Leitfunktion der Werkstruktur innerhalb des Rezeptionsprozesses.
Die Evokationstheorie sichert nun für Lukács, daß die Beziehung der gegeneinander abgeschlossenen Systeme der Werkstruktur (" objektiven Immanenz ") und der Rezeption (" subjektiven Immanenz ") nicht durch diffuse Assimilierung von strukturell medialen und psycho-mentalen Faktoren umschrieben oder durch bloß begriffsmetaphorische Bestimmungen charakterisiert wird. Die hermeneutische Rezeptionsästhetik und die semiotische und texttheoretische Rezeptionsforschung setzen nicht mehr bei der Textproduktion und damit bei Textstrukturen in ihren theoretischen Begründungen an, sondern bei den Rezeptionsresultaten. Dabei kann die Werkstruktur noch als " Auslöser " von Rezeptionsprozessen anerkannt werden oder aber die Strukturierung der Werke erfolgt grundsätzlich durch den Rezipienten. Die besonders in der Literaturästhetik und Literaturtheorie festzustellende " Wiederentdeckung der Rezeption " ist dadurch charakterisiert, daß die Werkstruktur hinter die Rezeptionsprozesse rückt.
Die Evokationstheorie stellt heraus, daß Produktionsbereich und Rezeptionsbereich strikt gegeneinander abgeschlossen sind, daß das Werk aber auf Wirkung hin strukturiert wird: Das Wirkungspotential ist Merkmal des Werks, das Wirkungsresultat vollzieht sich aber in dem gegen die Werkstruktur abgeschlossenen Bereich der " Gedanken und Gefühle " aufgrund der eigenen psycho-mentalen Bedingungen als Evokation. Das " Leiten des Rezeptiven " unterliegt werkstrukturellen Bedingungen sui generis, das " Pathos der Evokation " ist von den psycho-mentalen
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Voraussetzungen des Rezeptiven abhängig. Wirkung des Kunstwerks als Konstitution des ästhetischen Sinns ist nicht " Informationsübertragung " sondern Evokation. Selbstverständlich nimmt die philosophische Analyse nicht Ergebnisse der Einzelwissen-schaften vorweg, aber sie leistet im Rahmen der philosophischen Grundlagenreflexion begriffs-systematische Klärungen, die für die einzelwissenschaftlichen Forschungen auf den Gebieten der Erkenntnis, Kommunikation oder Semantik wichtige heuristische Funktionen übernehmen können.
Der Beitrag der philosophischen Ästhetik, speziell der Beitrag von Lukács, liegt in der Überwindung der einfachen Alternative von Produktions- und Rezeptionsbereich: Die Werkstruktur tritt nicht hinter Rezeptionsprozesse zurück (Kindt/Schmidt 1979), die Produktionsästhetik wird nicht durch eine Rezeptionsästhetik fundiert (Grimm 1977), sondern beide Bereiche bleiben als " objektive Immanenz " und als " subjektive Immanenz " gegeneinander abgeschlossen, ohne daß der ontische Primat der Produktion gegenüber der Rezeption von Lukács unterschlagen wird. Die Theorie der Evokation vermeidet aber die theoretischen und methodologischen Schwierigkeiten der einseitig ausgerichteten Rezeptionstheorien. Die Konstitution des ästhetischen Sinns wird nicht allein unter dem Aspekt der individuellen Rezeption (" Gedanken und Gefühle ") betrachtet.
Seit den Arbeiten der tschechischen Strukturalisten sind Fragen der soziokulturellen Normen, des historischen Wandels von Normen und des " Nebeneinanders verschiedener Normensysteme im gleichen Kollektiv " im Rahmen des ästhetiktheoretischen Diskurses thematisiert worden, speziell Probleme des " Kollektivbewußtseins ".
Lukács vertieft bzw. verschärft dieses Problem insofern, als er es nicht allein unter dem Aspekt des historischen Wandels von Normen und kunsthistorischer " Erwartungshorizonte " diskutiert. In seiner Theorie der Subjektivität wird die ästhetische Subjektivität explizit als " Selbstbewußtsein der Gattung " definiert. Die Entwicklung vom partikularen Individuum
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zum Selbstbewußtsein der Menschengattung wird nicht als schroffe Entgegensetzung von " bloß geschichtlichen " und " überzeitlichen " Entwicklungen interpretiert, sondern als Ergebnis gattungsgeschichtlicher Prozesse und soziohistorischer " Kämpfe " . Gerade innerhalb dieser Entwicklung kommt der Kunst eine wichtige Funktion zu, nämlich das Selbstbewußtsein der Gattung voranzutreiben.
Durch die systematisch-historische Explikation gattungsgeschichtlicher Dimensionen der " ästhetischen Subjektivität " gelingt Lukács eine Erweiterung und theoretische Vertiefung der Rezeptionsprozesse über die im tschechischen Strukturalismus aufgestellte Hypothese eines " Kollektivbewußtseins " , das von Mukarovski als historisches Faktum interpretiert wird, hinaus. Lukács ist sich der Schwierigkeiten, die der Erfassung der Beziehung zwischen individuellem und gattungsmäßigem Bewußtsein entgegenstehen, durchaus bewußt, weil das gattungsmäßige Bewußtsein nicht subjektiv unmittelbar gegeben ist. Sondern nur " vorwegnehmend " . Es ist daher nicht einfach einer empirisch-historischen Forschung zugänglich, sondern erfordert ein systematisch-historisches Rekonstruktionsverfahren und eine theoretische Grundlage, die gattungsgeschichtliche Entwicklungen zu explizieren erlaubt, auch dort noch, wo keine historischen Relikte als " Belege " herangezogen werden können. In Lukács philosophischer Analyse sind die prinzipiellen Bedingungen mit der " radikalen Historizität " begriffssystematisch in Einklang zu bringen; d.h. phylogenetische und ontogenetische " Resultate " sind immer zugleich auch als soziohistorisch realisierte Erscheinungen zu explizieren. Die philosophische Ästhetik als nichtempirische Wissenschaft ist methodologisch nicht auf empirische Verfahren eingeschränkt, sondern konstruiert begriffs-systematisch Konstitutionszusammenhänge von großer Komplexität, die von der spezialisierten empirischen Forschung jeweils nur gesondert z.B. als prähistorische Befunde erschlossen, als mentalistische Daten indikatorisch gefolgert oder als sozio-historische Vorstrukturierungen der Rezeption beschrieben werden können.
In der Vertiefung des bloß rezeptionshistorischen Ansatzes
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liegt ein wesentlicher Beitrag von Lukács ÄSTHETIK, der auch für die Diskussionen innerhalb der Kunstwissenschaften, speziell der Literaturtheorie folgenreich sein könnte insofern, als Probleme der Konstitution des ästhetischen Sinns in einen neuen theoretischen Rahmen gerückt werden müßten, der die Bewußtseinsprozesse individueller und kollektiver Art im Kontext ihrer gattungsgeschichtlichen und soziohistorischen Entstehung und ihres historischen und soziokulturellen Wissensrepertoires erfaßt und die Konstitution des ästhetischen Sinns nicht nur auf " Normen und Wertsysteme " oder auf soziokulturelle " Institutionen " zurückführt.
1.4. Theoretischer und methodischer Neuansatz: Mimesiskonzeption und systematisch-historisches Verfahren
Lukács Auseinandersetzung mit der ästhetiktheoretischen Tradition und den überlieferten theoretischen und methodologischen Problemen führt zu veränderten Ausgangspunkten: Lukács muß die Ausschaltung der Gattungsgeschichte und der soziohistorischen Entwicklung aus der Theorie der
" Seelenvermogen " und der transzendental philosophischen apriorischen Begründungen vermeiden, er muß einen theoretischen Ansatzpunkt wählen, der auch für die erkenntnistheoretische Entfaltung der Subjekt-Objekt-Problematik die historische Dimension einzubeziehen erlaubt. Lukács sucht aber auch von Anfang an die
" systematisch-metaphysische Deduktion des Schönen " als methodischen Weg zur Explikation eines ästhetiktheoretischen Begriffssystems auszuschliessen, um die
" reale Basis " der kunsthistorischen Entwicklung und der Kunstphänomenologie mit der Explikation der systematisch-historischen
" Genesis " aller Aneignungsformen der Wirklichkeit in einer einheitlichen theoretischen Konzeption entfalten zu können. Die Erkenntnis- und Bewußtseinsproblematik, die die Orientierung für die Explikation der Subjekt-ObjektBeziehung vorgibt, muß Lukács daher um die soziohistorische Handlungsdimension erweitern. Die systematisch-metaphysischen Deduktionen muß er durch systematisch-historische Rekonstruktionen der evolutionsgeschichtlichen und soziohistori-
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schen Bedingungen ersetzen, um das Gewordensein der Bestimmungen, die Gegenstand der philosophischen Reflexion sind, ausarbeiten zu können.
Zur Problemlösung greift er einerseits auf den aristotelischen Mimesisbegriff zurück und entwickelt seine umfassende Mimesiskonzeption, andererseits auf die von Marx skizzierte Methodologie und überträgt das logisch-historische Verfahren auf die Ästhetik.
1.4.1. Die Mimesiskonzeption
Die Mimesis als ästhetisches Grundphänomen wird in einen evolutionsgeschichtlichen und anthropologischen Kontext gerückt: Die " ausschlaggebende Quelle der Kunst " ist die Nachahmung. Die Nachahmung aber ist eine " Elementartatsache eines jeden höher organisierten Lebens, das in aktiver Wechselbeziehung zu seiner Umwelt " steht; sie ist " Naturgrundlage ". Lukács beruft sich in seiner Argumentation auf die antike Tradition, speziell auf Platon und Aristoteles, die diese " Elementartatsache vorbehaltlos als Fundament für Leben, Denken und künstlerische Tätigkeit anerkannt " haben.
Philosophiegeschichtlich sind hierzu Differenzierungen erforderlich: Die Platonische imitatio als (schlechtes) Abbild eines Erscheinungsbildes ist von dem Aristotelischen Mimesisbegriff, wie er in der Poetik entwickelt wird, zu unterscheiden. In der Poetik handelt es sich um ein Darstellungswerk; durch die Darstellung als Operation wird etwas präsent, das ohne solche schöpferische Operation nicht existent wäre. Sowohl die anthropologische Dimension des Nachahmungsbegriffs als auch den operationalen Charakter der Mimesis kann Lukács von Aristoteles herleiten.
Auf diesen Grundlagen entwickelt Lukács seine umfassende Theorie der
" mimetischen Reproduktion ". Kennzeichen dieser Mimesiskonzeption sind:
- Die gattungsgeschichtliche Fundierung in der " Naturgrundlage " und deren soziohistonische Entfaltung durch Arbeitsprozesse
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- die Universalisierung der Mimesis als Strukturierungsoperation für Wirklichkeitsmodelle des Alltagsdenkens, der Magie und Religion, der Kunst und Wissenschaft.
Nicht die Übernahme eines traditionellen Begriffs und Anlehnung an einzelne Bestimmungen der Poetik- und Rhetoriktradition führt bei Lukács zur Ausweitung zu der umfassenden Mimesiskonzeption, sondern die systematische Begründung durch die dialektisch-materialistischen Grundtheorien: die Erkenntnistheorie, die Geschichtstheorie und die Politische Ökonomie (bei Lukács einschließlich der Ontologie). Dabei muß deutlich unterschieden werden zwischen der Tieferlegung der theoretischen Begründung für die Mimesiskonzeption und der Universalisierung der Mimesis in Alltagswirklichkeit, Kunst und Wissenschaft. Die Tieferlegung der theoretischen Grundlagen erfolgt durch evolutionstheoretische, gattungsgeschichtliche Argumente, anknüpfend an die Ontologie und Ökonomie und die Zentralkategorie der Arbeit. Die Universalisierung für alle Wirklichkeitsbereiche erfordert begriffssystematische und klassifikatorische Differenzierungen der Mimesisoperationen, um elementare, magische, ästhetische und theoretisch-wissenschaftliche mimetische Reproduktionen voneinander unterscheiden zu können. Ausgangspunkt ist hierbei die Phänomenologie des Alltagslebens, des Alltagsdenkens, denn die Mimesis umfaßt die generellen Formen der Bewältigung der Wirklichkeit im Alltagsleben. Dadurch gewinnt Lukács einerseits eine einheitliche Explikationsgrundlage von hohem Allgemeinheitsgrad, aber auch von starker Abstraktion für sämtliche Wirklichkeitsbereiche, denn für alle Mimesisoperationen ist dieselbe Wirklichkeit vorauszusetzen. Dies ist nur dadurch möglich, daß Lukács die Erkenntnistheorie, speziell die Subjekt-Objekt-Problematik zur Explikationsgrundlage für die begriffssystematischen Klärungen wählt, und nicht etwa von einer Theorie des Alltagslebens oder einer Phänomenologie der Alltagswirklichkeit ausgeht.
In der theoretischen Ausarbeitung der Mimesiskonzeption verfolgt Lukács zwei unterschiedliche Ziele:
- Die Tieferlegung der ästhetiktheoretischen Begründungen er-
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fordert gegenüber den transzendentalphilosophischen Reflexionen und den metaphysischen Deduktionen zusätzliche ontologische, ökonomische, soziohistorische Theorien von hoher Komplexität, die für die Ästhetik vorausgesetzt werden müssen und nicht selbst Gegenstand der ästhetischen Explikationen sein können.
- Die Universalisierung der Mimesiskonzeption auf alle Phänomenbereiche erfordert für eine begrifflich einheitliche Explikation eine starke Reduktion auf eine theoretische Grundlage: auf die Erkenntnistheorie.
Diese theoretische Aufgabenstellung führt dazu, daß einerseits Lukács die " dünnsten Abstrakta " der Subjekt-Objekt-Verhältnisse in seine Argumentation einführt, die den Eindruck bloßer begriffssystematischer Schemata innerhalb der ÄSTHETIK hervorrufen, und daß Lukács auf der anderen Seite konkrete gattungsgeschichtliche, soziohistorische, ökonomische u.a. Grundlagen lediglich kursorisch behandelt und als geraffte Skizzen in die Argumentation einbringt, da er die Grundtheorien in der ÄSTHETIK nur voraussetzen kann, so daß oftmals der Eindruck bloß kursorischer Analysen und Darstellungen entsteht. Die theoretische Begründung der Mimesiskonzeption ist sowohl in Hinblick auf die Grundlagentheorien Ontologie und Ökonomie, Gattungsgeschichte und soziohistorische Entwicklung als auch in Hinblick auf die Phänomenologie der Alltagswirklichkeit, Kunst, Wissenschaft etc. außerordentlich voraussetzungsreich. Erst in einem rekonstruktiven Verfahren läßt sich das implizite Modell der Explikation der Mimesis allgemein und der spezifisch ästhetischen mimetischen Reproduktion herausarbeiten.
1.4.1.1. Theoretische Tieferlegung der Mimesiskonzeption Theorie der Arbeit
Die Ästhetik setzt Lukács eigene Ontologie und, darin enthalten, seine Theorie der Arbeit voraus. In der ÄSTHETIK werden die theoretischen Grundlagen der
" teleologischen Setzung " und der
" Subjekt-Objekt-Synthesis " nur skizziert, eingeschränkt auf jene Momente der Arbeit, die diese als fun-
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damentalen Faktor des Alltagslebens, des Alltagsdenkens, der Widerspiegelung der objektiven Wirklichkeit im Alltag bestimmen. Lukács konzentriert seine Argumentation auf zentrale Merkmale der Kategorie der Arbeit: auf teleologische Merkmale, strukturelle Merkmale und Differenzmerkmale.
Die evolutions- und gattungsgeschichtliche Dimension der Arbeitskategorie skizziert Lukács unter Hinweis auf Marx " abkürzende Bemerkungen " . Zu unterscheiden ist zwischen drei Perioden der Entwicklung: Den ersten " tierartig instinktiven Formen der Arbeit " , der zweiten Periode mit der " noch unentwickelten Stufe des einfachen Warenverkehrs " und der Arbeit in ihrer " vom Kapitalismus entwickelten Wesensart " . Kennzeichen der spezifisch menschlichen Arbeit ist das " teleologische Prinzip ", das mit der Naturkausalität kontrastiert. Der zweite Merkmalskomplex, der sich aus " grundlegenden Struktur- und Entwicklungstendenzen " ablesen läßt, ist die Objektivation, die nicht allein im Arbeitsprodukt zu sehen ist, sondern bereits im Arbeitsprozeß selbst. Lukács faßt hier strukturelle Merkmale ins Auge, die er für die Differenzierung der Objektivationen im alltagspraktischen Handeln, in Religion, Kunst und Wissenschaft nutzen wird. Denn Kunst und Wissenschaft unterscheiden sich von den Produkten der Alltagspraxis gerade dadurch, daß sie stark fixiert sind, und zwar sowohl auf Grund subjektiver Intentionen als auch auf Grund sozialer Vorprägungen und Traditionen.
Als dritten Merkmalskomplex stellt Lukács Differenzmerkmale zwischen der Arbeit in der unmittelbaren Praxis des Alltagslebens und in den
" beiden stärker objektivierenden, objektiv weniger unmittelbaren Sphären von Kunst und Wissenschaft " heraus, Differenzen, die für die Abgrenzung der Kunst von der Alltagswirklichkeit, d.h. für die später so bezeichnete
" Suspension " der Praxis wichtig werden. Arbeit wird von Lukács nicht nur in ihrer abstrakten Subjekt-Objekt-Relation analysiert oder als bloße Synthesisfunktion expliziert, sondern in ihren ontologischen und
" ökonomischen " Voraussetzungen als Bedingung der von Marx so bezeichneten
" Menschwerdung des Menschen "
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Die Fundierung der Mimesiskonzeption in der allgemeinen Theorie der Arbeit macht die theoretische Tieferlegung deutlich:
Mimesis ist nicht bloß eine Abbildrelation, bezogen auf das Verhältnis von Abbild und Urbild oder das Verhältnis von Abbild des Abbildes wie in der Platonischen imitatio. Mimesis ist aber auch nicht mehr nur eine Darstellungsart im Sinne der Aristotelischen Poetik.
Kennzeichen der Mimesis sind
- ihr operationaler Charakter,
- ihre Strukturierungsfunktion und
- ihre Objektivationsleistung, die in unterschiedlichem Grade Modellierungen durch strukturelle " Fixierungen " ermöglicht.
Mimesis ist infolgedessen nicht auf eine
" imitatio " -Relation einzuschränken, sie stellt eine Strukturierungsoperation dar, die
" zur Bewältigung der Wirklichkeit in den unterschiedlichen Bereichen " dient.
1.4.1.2. Universalisierung der Mimesiskonzeption und Reduktion der begriffssystematischen Explikation auf die mimetische Erkenntnistheorie
Die Mimesis als " generelle Form der Bewältigung von Wirklichkeit " in Alltagsleben, Religion, Kunst und Wissenschaft wirkt sich in der komplexen Phänomenologie des Alltagslebens, der Kunst usw. aus.
Für die philosophische Analyse, die bei den elementaren Mimesisoperationen des Alltagslebens ansetzt, ist nicht davon auszugehen, daß die Phänomenologie des Alltagslebens in einer Theorie des Alltags erfaßt ist. Lukács begründet seine nur " kursorische Analyse des Alltagsdenkens " mit dem " Mangel an Vorarbeiten " und schränkt von vornherein seine Analyse auf eine " philosophische Untersuchung der Widerspiegelung " ein.
Dabei ist sich Lukács der Komplexität und Disparatheit der Phänomenologie des Alltagslebens durchaus bewußt. Dennoch beschränkt er sich auf eine
" philosophische - speziell erkenntnistheoretische - Analyse des Alltagsdenkens " und erklärt zugleich, daß selbst diese Analyse nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann. Die Reduzierung der Analyse des Alltagsdenkens auf begriffssystematische Explikationen
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von Grundstrukturen der mimetischen Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus hat nicht allein ihren Grund in dem Mangel an Vorarbeiten, sondern ist eine systematische Konsequenz der Universalisierung der Mimesiskonzeption: eine einheitliche, theoretisch konsistente Analyse so disparater Phänomenbereiche wie Alltagsleben, Kunst und Wissenschaft ist nur möglich, wenn von den
" dünnsten Abstrakta " in einem systematisch-historischen Verfahren ausgegangen wird, in diesem Fall von der Subjekt-Objekt-Relation, die begriffssystematisch differenziert und historisch konkretisiert wird.
Im andern Fall würde die Analyse bei Phänomenbeschreibungen zufälliger Erscheinungen der disparaten Phänomenbereiche stehen bleiben und könnte gerade nicht die für die Universalisierung der Mimesiskonzeption grundlegenden Operationen, Strukturen und Objektivationen begriffssystematisch explizieren.
Die Wahl des abstrakten Allgemeinheitsgrads in der Analyse, die Reduzierung auf Grundrelationen der mimetischen Erkenntnistheorie, ist Voraussetzung für die theoretisch einheitliche Explikation der universalisierten Mimesis. Dabei ist das Verhältnis von abstrakter Allgemeinheit und historischer Konkretion grundlegend für die Explikationsleistung einer philosophischen Analyse, die die systematisch-historische Genesis herauszuarbeiten trachtet. Das macht ein einheitliches systematisches und historisches Vorgehen erforderlich, und Lukács begründet daher ausführlich das von Marx übernommene " logisch-historische Verfahren " .
1.4.1.3. Universalisierung der Mimesiskonzeption und Differenzierung der Mimesisoperationen: elementare, magische, ästhetische (evokative), theoretische Mimesis
Da die Mimesisoperationen sich alle auf
" dieselbe Wirklichkeit " beziehen, kann eine Differenzierung nicht vom Gegenstand her erfolgen. Lukács verfolgt keine bereichsspezifische Abgrenzung des Ästhetischen. Ebenfalls ausgeschlossen sind Differenzierun-
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gen aufgrund bloß phänomenaler Merkmalskomplexe, die das Alltagsleben oder die Kunst charakterisieren.
Lukács sieht auch das empirisch-phänomenologische Problem, daß Kunst und Wissenschaft sich einerseits streng vom Bereich des Alltagslebens abgrenzen, daß gleichzeitig aber die Grenzen ununterbrochen verschwimmen, weil die
" differenzierten Widerspiegelungsformen aus den Bedürfnissen des Alltagslebens entstehen, ihre Probleme zu beantworten berufen sind " und
" viele Ergebnisse beider sich wieder mit den Äußerungsformen des Alltagslebens mischen " .
Die Differenzierungen innerhalb der Mimesiskonzeption sind Grenzziehungen zwischen Mimesisoperationen und Strukturierungen der mimetischen Modelle, d.h. der " mimetischen Gebilde " , und die Explikation dieser Grenzziehungen erfolgt notwendigerweise wieder auf dem abstrakten Niveau der mimetischen Erkenntnistheorie, d.h. dem Subjekt-Objekt-Verhältnis und seinen möglichen Differenzierungen bzw. Ausformungen in den verschiedenen Mimesisoperationen, wie noch zu zeigen sein wird.
Ästhetische Mimesis ist kein empirischer Begriff und ist nicht phänomenologisch zu charakterisieren, schon gar nicht mit Ruckgriff auf spezielle kunsthistorische Erscheinungen wie z.B. " Montage " oder epochengeschichtliche Richtungen wie " Avantgarde " . Die begrifflich-systematische Explikation basiert auf dem abstrakten Subjekt-Objekt-Verhältnis der Erkenntnistheorie. Die ästhetische Setzung führt ein " untrennbares Ineinander und Zusammen von Subjektivität und Objektivität " herbei: Die vom Subjekt unabhängige Wirklichkeit wird zugleich gedacht als Produkt des Menschen, so daß im Bereich des Ästhetischen das für die mimetische Erkenntnistheorie problematische Konstrukt der subjektabhängigen Objektivität zu konstatieren ist.
Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Mimesisoperationen sind nicht einfach nur historischer und phänomenologischer Art, sondern prinzipieller Natur, wobei in Lukács Theorie nicht übersehen werden darf, daß auch Prinzipien gattungsgeschichtlich Gewordene, d.h.
" Resultate " sind und
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nicht apriorische Bestimmungen. Differenzierungen müssen daher auf dieser Abstraktionsebene begriffssystematisch expliziert werden und nicht im Rahmen kunstgeschichtlicher Analysen oder Beschreibungen. Die philosophische Analyse bleibt allerdings nicht bei der begriffssystematischen Explikation der
" dünnsten Abstrakta " stehen, sondern versucht sie durch Rekonstruktion der
" realen Basis " zu konkretisieren. Dafür ist allerdings ein Verfahren erforderlich, daß das
" Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten " ermöglicht.
1.4.2. Das systematisch-historische Verfahren
Die von Lukács aufgestellte Forderung nach einer
" wissenschaftlichen Grundlage " für die Ästhetik und nach Einbeziehung der
" realen Basis " in die Explikationen, die evolutions- und gattungsgeschichtliche Tieferlegung der ästhetiktheoretischen Begründungen, das Problem der
" prinzipiellen Einheit des Ästhetischen " und der
" radikalen Historizität " machen theoretisch-methodische Überlegungen erforderlich, die Lukács im Vorwort der ÄSTHETIK zusammenfaßt, die er aber auch andernorts immer wieder thematisiert:
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Wissenschaftliche Erkenntnis als Konstruktion abstrakter Begriffssystematik und Rekonstruktion empirischer Entwicklungen.
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Erkenntnis post festum: die theoretische Konstruktion und historische Rekonstruktion ist nur von einem Punkt innerhalb einer soziohistorischen Entwicklung möglich.
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Aufsteigen vom Abstrakten zum Konkreten: ein Prozeß begrifflicher Bestimmungen, der von allgemeinsten (entwicklungslogischen) Strukturbestimmungen zu historischen Konkretisationen weitergeführt wird. Lukács spricht von einer " Methode der Bestimmungen, im Gegensatz zu der der Definition " (I, 30).
Im Unterschied zur Fixiertheit der Definition sieht Lukács die Bestimmung als
" etwas Vorläufiges, Ergänzungsbedürftiges, als etwas, zu dessen Wesen es gehört, weitergeführt, weitergebildet, konkretisiert zu werden " .
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Die begriffssystematischen Explikationen und die historischen Rekonstruktionen sollen einerseits modellhaft die Besonderheit der ästhetischen Sinnkonstitution, andererseits die
" systematisch-historische Genesis " der ästhetischen Widerspiegelung erfassen. Die Anlehnung an die Subjekt-Objekt-Problematik der philosophischen Tradition und die teilweise Übernahme der tradierten Terminologie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß Lukács zu einem theoretisch-methodischen Neuansatz gezwungen ist, um das Verhältnis von ästhetischer Theorie und Kunstempirie in einer einheitlichen Konzeption klären zu können.
Bei aller Anerkennung der Leistungen der Hegelschen Ästhetik kann er sich nicht der " wissenschaftlichen Behandlung " der Kunst, wie sie in den Vorlesungen über die Aesthetik vorliegt, anschließen. Er kann sich aber auch nicht auf eine bloße Reflexion der Kategorien der idealistischen Ästhetik beschränken, wie Adorno vorschlägt, die die veränderte geschichtliche Erfahrung in die Theorie einbringen soll. Die veränderte geschichtliche Erfahrung kommt für Lukács nicht erst durch Reflexion der traditionellen Kategorien in die theoretische Arbeit, sondern dadurch, daß theoretische Konstruktion wie historische Rekonstruktion immer Erkenntnis post festum ist. Dieser wissenschaftstheoretischen Voraussetzung liegt die geschichtstheoretische Hypothese zugrunde, daß gegenwärtige Entwicklungsstadien Resultat der vorausgegangenen sind, und die methodologische Annahme, daß die Einsicht in Entwicklungsrichtungen, " Entwicklungstendenzen " , eine Rekonstruktion der früheren Stadien vom jeweils " entwickeltsten Standpunkt " ermöglicht. Der philosophische Diskurs über Kunst und Philosophie erfolgt ja nicht nur " im Erfahrungshorizont der Kunst und des Schönen " , sondern im Erfahrungshorizont der jeweils gegenwärtigen " Lebenswelt " , die Alltagspraxis, Wissenschaft, Kunst etc, umschließt und geschichtsphilosophisch den jeweils " entwickeltsten Standpunkt " impliziert.
Historische Erkenntnis ist unter diesen Bedingungen nicht eine kausalgenetische Erklärung, sondern eine Rekonstruktion
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vorausgegangener Entwicklungsstufen, allerdings mit dem theoretischen und kategorialen Apparat der jeweils letzten Entwicklungsstufe. Die von Lukács für die Ästhetik geforderte
" radikale Historisierung " setzt daher die theoretische Tieferlegung der entwicklungsgeschichtlichen Begründungen voraus und kann sich nicht auf die Einbeziehung historischer Erscheinungen der Kunstphänomenologie beschränken. Die philosophische Ästhetik hat danach, speziell für die Mimesiskonzeption, die historisch-gesellschaftliche Entstehung der ästhetischen Einheit und der ästhetischen Gegenständlichkeit auf die
" gesellschaftlich geschichtliche Entwicklung der menschlichen Sinne und Denktätigkeiten " und deren Fundierung in Entwicklungsprozessen der Arbeit zurückzuführen.
Diese " radikale Historizität " ist von den Forderungen nach " Historisierung der ästhetischen Theorie " streng zu unterscheiden. Lukács versucht mit seiner Konzeption die Probleme der vordergründigen " Historisierung " der Ästhetik zu vermeiden. Adorno wählt als historischen Ausgangspunkt der kritischen ästhetiktheoretischen Reflexion die " Moderne " , Bürger präzisiert den historischen Punkt durch die " Avantgarde " , speziell durch den " Bruch der historischen Avantgardebewegungen mit der Institution Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft "
Die
" Historisierung der ästhetischen Theorie " soll P. Bürger zufolge die
" Einsicht in den Zusammenhang zwischen der Entfaltung des Gegenstandes und der Kategorien einer Wissenschaft " ermöglichen. Die Reflexion der Kategorien der idealistischen Ästhetik und deren Transformation durch Kritik soll im Anschluß an Adorno die geschichtliche Erfahrung der Theorie zubringen. Dazu ist es erforderlich, für die
" dialektische Kritik der einzelnen Grundkategorien der idealistischen Ästhetik " einen historischen Ansatzpunkt zu wählen; und P. Bürger entscheidet sich für den
" Knackpunkt " der radikalen Avantgardebewegungen. Theoretisch erhält dieser
" Knackpunkt " der Avantgardebewegung einen doppelten Status: Er stellt einerseits eine spezielle historische Manifestation innerhalb der kunstgeschichtlichen Entwicklung dar und ist
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andererseits Paradigma für die Ästhetik der Moderne. Daran knüpfen sich folgerichtig zwei Probleme. Die Infragestellung der Zäsurierung unter kunsthistorischen Gesichtspunkten und die Problematisierung unter systematischem Aspekt. Gegenüber dieser
" Historisierung " der Ästhetiktheorie, die den Ansatzpunkt sozial-historisch und kunsthistorisch begründet (Theorie der Moderne, Theorie der Avantgarde) oder lediglich pragmatisch-methodisch festlegt (Avantgarde als ein
" Knackpunkt " , der auch durch einen anderen ersetzt werden könnte), setzt Lukács radikale Historisierung geschichtsphilosophische und methodologische Theorien voraus, die einerseits über die kunsthistorische Phänomenologie und sozio-historische Dimension auf die evolutions- und gattungsgeschichtlichen Fundamente abzielen, und andererseits den
" entwickeltsten Standpunkt " der historischen Rekonstruktion nicht in die Beliebigkeit forschungspragmatischer Entscheidungen legen. Lukács kann sich nicht mit der
" Einsicht in den Zusammenhang " zwischen der historischen Entwicklung ästhetischer Gegenstände und der Entwicklung des kategorialen Apparats der Ästhetiktheorie zufriedengeben. Zur Klärung der systematischen und historischen Bedingungen der Konstitution des Ästhetischen muß er ein Verfahren zur Hand haben, das die begriffssystematische Konstruktion mit der historisch-empirischen Konkretisation zu verbinden erlaubt, nicht nur eine
" Historisierung " systematischer Kategorien im Auge hat.
Lukács greift explizit auf die methodologischen Hinweise von Marx zurück. Das methodologische Problem der
" historisch Systematischen Methode " wird durch Lukács eigene Charakterisierung allerdings nur umschrieben, eher verdeckt: Die
" Genesis einzelner Kategorien und kategorialer Zusammenhänge " kann nicht aus
" der bloßen Kontinuität der bis daher gehenden Entwicklung abgeleitet werden " , hierzu sind spezielle Anforderungen an die Erkenntnis erforderlich. Lukács charakterisiert den notwendigen Zusammenhang des Logischen und Historischen allerdings nur als organische Verknüpfung:
" Die wahre kategoriale Struktur eines jeden derartigen Phänomens
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hängt vielmehr aufs innigste mit seiner Genesis zusammen; das Aufzeigen der kategorialen Struktur ist vollständig und in richtiger Proportion nur dann möglich, wenn die sachliche Zergliederung mit dem Erhellen der Genesis organisch verknüpft wird. "
Die Einheit des Logischen und Historischen muß sich aber in Verfahren niederschlagen, d.h. in Rekonstruktionsoperationen. Die historisch-empirischen Fakten, die " entstandenen Phänomene " in Lukács Terminologie, sind einerseits in ihrem historischen Gewordensein, d.h. ihrer Genesis zu explizieren, andererseits ist dieses Gewordensein selbst als Resultat eines historischen Prozesses von seinem Endpunkt her, nämlich dem " entwickeltsten Standpunkt " in seiner kategorialen Struktur, d.h. in seiner entwicklungslogischen Notwendigkeit aufzudecken , so daß mit der Genesis der Phänomene ineins die " Genesis einzelner Kategorien und kategorialen Zusammenhänge " , wie Lukács sagt, erkannt wird: Die " wahre kategoriale Struktur " .
Das logisch-historische Verfahren kann daher nicht einfach in zwei methodische Schritte zerlegt werden, eine kategoriale Analyse und eine historische Exemplifizierung, auch wenn im konkreten Untersuchungsgang und in der Darstellungsform ein Nacheinander erforderlich ist. Die Forderung nach Einheit des logischen und Historischen, die Forderung nach einer historisch-systematischen Methode basiert darauf, daß die historische Entwicklung ein Prozeß ist, dessen jeweils letzte Stufe die vorangegangenen nicht einfach nur als kausalgenetische Voraussetzungen hat, sondern auch umgekehrt im Rückgang auf die vorangegangenen Stufen kategoriale Zusammenhänge aufzeigt, und somit unterhalb der phänomenologischen historischen Besonderheiten
" logische " Entwicklungsprozesse aufdeckt. Die realhistorischen Phänomene sind auf diese Weise nicht nur als historisch kontingente Ereignisse, sondern gleichzeitig als entwicklungsnotwendige Resultate erklärt. Methodologisch wird dieser logisch-historische (oder systematisch-historische, wie Lukács auch sagt) Rekonstruktionsprozeß im Anschluß an Marx als ein Aufsteigen
" vom Abstrakten
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zum Konkreten " expliziert. Denn wenn die historischen Phänomene als jeweilige Resultate eines historischen Gesamtprozesses aufgewiesen werden sollen, kann die methodische Rekonstruktion nicht bei der Nachzeichnung oder Erhebung konkreter Einzelheiten der real-historischen Erscheinungen ansetzen, weil sie so möglicherweise nur zu empirischen Generalisierungen rein zufälliger historischer Phänomene oder Einzelheiten gelangt. Die methodische Analyse muß daher wegen des resultativen Status des Gesamtprozesses die historisch-konkrete Beschreibung von den kategorialen systematischen Explikationen her durchführen, d.h. am Leitfaden der entwicklungslogischen Struktur, die den Gesamtprozeß bestimmt. Das methodische Verfahren muß bei kategorialen Explikationen einsetzen, d.h. bei den abstraktesten Bestimmungen des jeweiligen historischen Resultats, den von Marx so bezeichneten
" dünnsten Abstrakta " , um durch Rückgriff auf die konkret-historischen Erscheinungen die einzelnen Phänomene in ihrer Genesis als entwicklungsnotwendige Stufen des Geschichtsprozesses
" ableiten " zu können.
Die philosophische Analyse, die die
" systematisch-historische Genesis " der Erscheinungen aufdecken will, geht von einem (impliziten) abstrakten Modell des entwicklungslogischen Prozesses aus, um es durch fortgesetzte historische Konkretisierung zu einer Theorie mit empirischem Gehalt auszuarbeiten. Die Modellkonstruktion aufgrund der
" dünnsten Abstrakta " zeigt sich in Lukács ÄSTHETIK bereits mit der Einführung der Grundbegriffe. Der Abstraktionsgrad dieser Modellkonstruktion läßt sich daran ablesen, daß Lukács bei der Explikation der konkreten gattungsgeschichtlichen und soziohistorischen Entwicklungen von Alltagsleben, Wissenschaft, Kunst ausschließlich von erkenntnistheoretischen Grundstrukturen ausgeht, obwohl ihm die theoretische Disparatheit der Phänomenologie des Alltagslebens nicht verborgen bleibt: Von der Subjekt-Objekt-Relation der Widerspiegelungstheorie und von der Mimesis als der in Praxis angewandten Widerspiegelung. Von diesen
" dünnsten Abstrakta " ausgehend kann die
" systematisch-historische Genesis " methodisch bearbeitet und können Wissenschaft oder Kunst als
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Resultate in einem gattungsgeschichtlich sehr komplexen und sich fortwährend wandelnden
" Loslösungsprozeß " erfaßt werden.
Das erfordert einerseits ein differenziertes begriffssystematisches Instrumentarium, um die " kategorialen Zusammenhänge " erfassen zu können; und es erfordert andererseits historisch-narrative Skizzierungen von konkreten gattungsgeschichtlichen, religionsgeschichtlichen, sozialgeschichtlichen, kunstgeschichtlichen Entwicklungen, um die systematisch-kategorialen Bestimmungen als Resultate innerhalb eines Prozeßverlaufs konkretisieren zu können. Allerdings genügen hierzu skizzenhafte Darstellungen, und Lukács macht einen deutlichen Unterschied zwischen der philosophischen Analyse und der kunstgeschichtlicher Beschreibung.
Die philosophische Analyse erweist gerade durch dieses systematisch-historische Verfahren ihre explikative Leistungsfähigkeit im Vergleich zu rein historischen Untersuchungen. Die begriffssystematischen Explikationen eröffnen nämlich durch systematischen Rückschluß einen Zugang zu evolutions- und gattungsgeschichtlichen Voraussetzungen der evolutionären Kette, für die keine empirischen Relikte vorliegen können, die aber dennoch Stufen oder Phasen innerhalb der evolutionären Kette bilden: z.B. zu Verhaltensweisen des homo habilis, zur Evolution seit den ersten Primaten, d.h. zur Entwicklung der visuellen Perzeption oder zur Entstehung der gestischen Sprache. Es ist lediglich systematisch zu erschließen, daß den symbolhaften Zeugnissen wie den Höhlenmalereien des Paläolithikums, auf die Lukács ausführlich zu sprechen kommt, eine Phase vorsprachlicher Kommunikationsformen vorausging. Nicht allein die theoretische Konstruktion, sondern auch das methodische Verfahren von Lukács zielen auf größere (evolutions- und gattungsgeschichtliche) Tiefe als die von der Kunstphänomenologie ihren Ausgang nehmenden Begründungen des Ästhetischen. Die Grundlagen der ästhetischen Mimesis sind nicht kunstgeschichtlich oder nur sozialgeschichtlich, sondern reichen in der evolutionären Kette bis in gattungsge
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schichtlche Voraussetzungen der
" Menschwerdung des Menschen " , die allerdings nur erschlossen werden können durch Rückschluß von der
" Anatomie des Menschen " auf die des Affen, wie Lukács im Anschluß an Marx formuliert.
ANMERKUNGEN
Die in den Text eingefügten Belege beziehen sich immer auf die beiden Halbbände der ÄSTHETIK von Georg Lukács, Werke Bde 11 und 12. Neuwied. Berlin 1963. zitiert als 1 und II mit Seitenzahl.
1) Vgl. die Auseinandersetzungen mit Lukács in der Zeitschrift alternative von 1969 ff.; Bubner 1973. Zur Ausklammerung der späten ÄSTHETIK aus der kunstphilosophischen Diskussion vgl. Pracht und Mitarbeiter, Ästhetik heute 1978; Oelmüller, Dölle-Oelmüller, Rath, Diskurs: Kunst und Schönes, 1982; Oelmüller (Hrsg.), Kolloquium Kunst und Philosophie 1 bis 3, 1981 - 1983. Allgemein zur Rezeption der Schriften von Georg Lukács in der DDR und der BRD bis 1965 vgl. Glowka 1968.
Die späte ÄSTHETIK ist als Zusammenfassung eines Lebenswerks zu sehen, das nicht mehr die erkenntnistheoretischen und sprach-philosophischen Forschungen der sechziger Jahre einbezieht. Dabei ist der persönliche und politische Lebenshintergrund zu berücksichtigen; vgl. Georg Lukács, Gelebtes Denken, 28 f. und 210 ff. Das heißt aber nicht, daß die späte ÄSTHETIK in einfacher Kontinuität zu den frühen und mittleren ästhetischen Schriften zu lesen ist. Die ÄSTHETIK weist sowohl in der theoretischen Begründung als auch in der methodologischen Ausarbeitung eine wesentliche Weiterentwicklung auf, die in einem theoretischen Zusammenhang mit der späten Ontologie zu sehen ist. Die Kontinuität des Gesamtwerks heben Michel 1971/72 und Renner 1976 hervor. Zur Entwicklung von Lukács ästhetischer Theorie vgl. Tertulian 1980.
Lukács, Probleme der Ästhetik, 12.
Lukács, Probleme der Ästhetik. 12. Wie bei Hegel hat auch die ÄSTHETIK Voraussetzungen, die innerhalb der Ästhetiktheorie nicht eigens entwickelt werden. An ders als Hegel, der in seiner lemmatischen Einführung des Begriffs der Kunst auf sein eigenes System der Philosophie verweisen kann, hat Lukács nicht selbst das gesamte Voraussetzungssystem der Ontologie und politischen Ökonomie, der dialektischen Erkenntnistheorie und des materialistischen Historismus entwickelt, sondern greift, oftmals nur mittels stich wortartiger Verweise und Namennennungen. auf diese Grundtheorien zurück.
Zum Aufbau der gesamten ÄSTHETIK, von der nur der 1. Teil vorliegt, vgl. Vorwort 14 f.: (1) Die Eigenart des Ästhetischen; (2) Kunstwerk und ästhetisches Verhalten; (3) Die Kunst als gesellschaftlich-geschichtliche Erscheinung. Unschwer ist hierin noch die traditionelle Einteilung der Ästhetik in einen allgemeinen Teil und einen besonderen Teil wiederzuerkennen.
Das gilt z.B. für Bubners Einwände von 1973. Die Explikation der Kunst als " Widerspiegelung " der Wirklichkeit wird in der späten ÄSTHETIK nicht einfach " an den traditionellen Mimesisbegriff " angeschlossen. In der historisch-systematischen Explikation des Begriffs führt die evolutionstheoretische und die erkenntnistheoretische Begründung zur theoretischen Vertiefung der Mimesiskonzeption, für die Lukács unterschiedliche Explikationsebenen einführt, wie noch zu zeigen sein wird.
Der Klassizismusvorwurf wird von den Kritikern häufig mit dem Vorwurf des Konservativismus verbunden; vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 208.
Der Lukács bekannte Forschungsstand zur Theorie des Alltagslebens zwingt ihn zur bloß kursorischen Behandlung von grundlegenden Voraussetzungen.
Theoretische Grundlagen der historisch-materialistischen Rahmentheorien werden nur skizziert, häufig nur durch Namenverweise eingeführt. Das systematisch-historische Verfahren erfordert ein Ineinandergreifen von begriffssystematischen Explikationen und historisch-narrativen Darstellungen die exkurshaften Charakter annehmen können.
Zentrale Termini sind häufig nicht scharf definiert und erhalten erst im Verlauf der Argumentationen durch Merkmalszuordnungen ihren definiten Charakter.
Bubner charakterisiert die Expressionismusdebatte in der Weise, daß sie ihrem theoretischen Gehalt nach um " die angemessene Bestimmung dieses Realismusbegriffs " kreiste. Vgl. Bubner 1973, 55.
Bis in die jüngste Gegenwart kehren in den Diskussionen Stereotypen der theoretischen Auseinandersetzung wieder. vor allem in bezug auf das Basis-Überbau-Theorem, den Wirklichkeitsbegriff, die Einbeziehung der ökonomischen Bedingungen und den Realismusbegriff. Vgl. Bubner 1973. K.-D. Müllers Unterscheidung zwischen naivem Realismusbegriff bei Lukács und " dialektischem Realismus " bei Brecht und seine Stellungnahme für die Brechtsche Position übersehen einerseits die theoretischen Defizite der verstreuten Äußerungen bei Brecht und verkennen andererseits, daß Lukács Realismuskonzeption der mittleren Phase nur eine Stufe in der Ausarbeitung des theoretischen Begründungszusammenhangs ist, der sich von den frühen Arbeiten von 1912/14 bis zur großen ÄSTHETIK von 1963 erstreckt und im Unterschied zu Brecht zu einer ästhetiktheoretischen Gesamtkonzeption führt. Vgl. K.-D. Müller 1972. XXII f.
A. Seghers in: Raddatz (Hrsg.) 1969, II, 114.
Lukács in: Raddatz (Hrsg.) 1969, II, 112.
Lukács in: Raddatz (Hrsg.) 1969, II, 69 f.
Lukács, Essays über Realismus 1948, 27 ff. Vgl. Naumann 1913: Lukács beziehe sein ästhetisches Kategoriensystem allzu direkt aus der Erkenntnistheorie (43 f.).
Gegenüber dem Gesichtspunkt der theoretischen Vertiefung der Realismuskonzeption in der späten Ästhetik betonen Michels 1971/72 und Renner 1976 vor allem die Kontinuität zwischen den frühen Schriften und der späten Ästhetik. " Realität " in ästhetischen mimetischen Gebilden ist aber im theoretischen Kontext der ÄSTHETIK der evokative Eindruck einer Wirklichkeit, kein einfaches Abbild (I, 425).
Vgl. z.B. die Bände " Kolloquium Kunst und Philosophie ", 1981 - 1983. Die Verfasser gehen ganz explizit von der " Resistenzfähigkeit der Kategorien der idealistischen Ästhetik " aus, wohl wissend, daß selbst die kritische Auseinandersetzung mit der idealistischen Ästhetik " nicht mehr mit dem Gestus absoluten Neuanfangs auftreten " kann. Auch in der gegenwärtigen Diskussion stellen die erkenntnistheoretischen Probleme eine wichtige Orientierung in der Ästhetiktheorie dar; vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 35.
Der dritte Platz ist vor allem durch das Begründungssysthem festgelegt: Grundbegriffe der theoretischen Philosophie, d.h. vor allem der Erkenntnistheorie und der praktischen Philosophie müssen ausgearbeitet sein, bevor die Ästhetik in Ansatz gebracht werden kann. Vgl. Wolandt 1974, 35.
Dies zeigt sich sehr deutlich in den Diskussionen zwischen Philosophischer Ästhetik und Kunstwissenschaften, wie sie z.B. in den Kolloquien Kunst und Philosophie vorliegen. So wehrt sich Bubner nachdrücklich gegen Vereinnahmungen durch die Literaturwissenschaft; vgl. Oelmüller (Hrsg.) 1. 1981 278 ff.
Genau genommen handelt es sich nicht einfach um eine bewußtseinstheoretische Begründung, sondern um eine urteilstheoretische: " das ästhetische Urteil beruht gleichsam auf einer Autonomie des urteilenden Subjekts " . Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft, 130; Die transzendentalphilosphische Theorie kommt zu einer Explikation der ästhetischen Setzung, die per definitionem erfahrungsunabhängig und zugleich vereinzelt ist. Zur Explikation der ästhetischen Setzung bei Lukács vgl. seine frühe Darstellung in der Heidelberger Ästhetik und Ästhetik II, 296 f.
Vgl. Hegels Schwierigkeit, " daß sich im Allgemeinen über dieß Speciellere (das eigentliche Epos) wenig sagen läßt " , so daß er " gleich auf das Geschichtliche eingehen und die einzelnen epischen Werke der Völker " betrachten muß. Vorlesungen über die Aesthetik III, 340.
Hegel, Aesthetik I, 46; vgl. I, 36 ff.
Zur Forderung nach einer Empirisierung der Ästhetik vgl. Köck 1978, 207.
Im Anschluß an das von Marx skizzierte logisch-historische Verfahren erläutert Lukács den Zusammenhang von kategorialer Struktur und Genesis der ästhetischen Phänomene: " Die wahre kategoriale Struktur eines jeden derartigen Phänomens hängt vielmehr aufs innigste mit seiner Genesis zusammen; das Aufzeigen der kategorialen Struktur ist vollständig und in richtiger Proportionalität nur dann möglich, wenn die sachliche Zergliederung mit dem Erhellen der Genesis organisch verknüpft wird. " (I, 25).
Warning in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 279: Die Kunstwissenschaften im Spannungsfeld zwischen szientifischer Rekonstruktion und ästhetischer Erfahrung.
Daß Lukács selbst diese Grenze häufig nicht nur in seinen Interpretationsarbeiten, sondern auch in seinen theoretischen Arbeiten in nicht nur exemplifizierender Weise überschreitet, wird zu kritisieren sein.
Bereits in den Beiträgen zur Geschichte der Ästhetik; vgl. Probleme der Ästhetik, 47 ff. und 107 ff., danach in der großen ÄSTHETIK passim.
Die Unterscheidung in bewußtseinsorientierte und werkorientierte Ansätze läßt sich bis in die gegenwärtigen Diskussionen verfolgen. Vgl. Wolandt 1974; vgl. Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 286.
Zu Lukács Kritik der Theorie der " Seelenvermögen " vgl. Ästhetik I, 61 ff.
Kant, Kritik der Urteilskraft, 15.
Bubner sieht zu Recht die besondere Leistungsfähigkeit der Kritik der Urteilskraft darin, daß mit dem " hochkomplexen Begriffsapparat der transzendentalen Reflexion auch die Phänomene, die an der Grenze liegen und die volle Auflösung in Begrifflichkeit verweigern, noch begrifflich erfaßt werden " ; in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 277. Von daher begründet sich auch seine Forderung nach Wiederanknüpfung an Kants Ästhetik; ibid. 239. Zur Begründung der ästhetischen Erfahrung als Ansatz der Ästhetik vgl. Bubner 1973, 63.
Zu den allgemeinen Charakteristika der ästhetischen Urteilskraft: " Freiheit im Spiel unserer Erkenntnisvermögen " , Allgemeinheit als " Anspruch auf jedermanns Beistimmung " , ästhetische Urteilskraft als selbst gesetzgebend, " gleichsam auf einer Autonomie " beruhend.
Vgl. Lukács, Heidelberger Philosophie der Kunst, 12. In der großen ÄSTHETIK spricht Lukács von der geschlossenen Immanenz der Werkwelt (II, 311) und der ästhetischen Immanenz der Werkstruktur (II, 742).
Lukács, Ästhetik II, 297.
Lukács, Ästhetik II, 298.
Zu Hegels Theorem vom Ende der Kunst; Kunst vgl. Hegel, Aesthetik I, 30.
Lukács, Probleme der Ästhetik 708; vgl. Lukács, Ontologie I, 489.
Lukács, Probleme der Ästhetik, 12.
Lukács wendet sich bereits in seiner Arbeit von 1912/14 gegen die " systematisch-metaphysische Deduktion des Schönen " , ohne allerdings hier bereits ein konsistentes methodisches Verfahren vorzulegen. Zur Kritik des metaphysischen Denkens vgl. Ästhetik I, 33.
Lukács, Ästhetik I, 413. Verallgemeinernd erklärt Lukács im Vorwort, daß seine ÄSTHETIK gegen den philosophischen Idealismus gerichtet ist; vgl. Ästhetik I, 20.
Die Kategorien der idealistischen Ästhetik bilden auch für Adorno das begriffliche Rückgrat und sind selbstverständlicher Bestandteil auch des gegenwärtigen Diskurses über Kunst und Philosophie. Auch die von Bürger geforderte Kritik der zentralen Kategorien der idealistischen Ästhetik bedient sich dieses tradierten Begriffsapparats. Vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 1982, 34 f.; Bürger 1983, 67 ff. Auf die Gemeinsamkeiten, besonders in der Entfremdungskritik in den Ästhetiken von Lukács und Adorno hat bereits Lindner 1978, 2, hingewiesen.
Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft; Schiller, Werke 5, 588 ff. Für Hegel ist es " Aufgabe der Philosophie, die Gegensätze aufzuheben " ; denn die Versinnlichung in der Kunst ist nicht mehr " die höchste Weise das geistig Konkrete zu fassen " . Vgl. Aesthetik I, 88 f., 109 f.
Vgl. Marx Hinweis auf die Bildung der fünf Sinne, als Arbeit der ganzen bisherigen Weltgeschichte. Marx/Engels, Werke, Ergänzungsband I, 541 f.
Vgl. den von Bürger gewählten historischen " Knackpunkt " in der Avantgarde; Lukács betreibt aber auch nicht Ideologiekritik, um die verdeckten Bestimmungen bzw. nicht explizierten Begriffe der idealistischen Ästhetik aufzudecken, sondern will die Konstitutionsbedingungen des Ästhetischen systematisch-historisch begründen. Dieselbe Begrenzung der ästhetiktheoretischen Reflexion ist auch für Adornos Ästhetik festzustellen, deren Ausgangspunkt der Begriff der Moderne ist, d.h. ein Punkt innerhalb der sozial- und kunstgeschichtlichen Phänomenologie. Werden bestimmte historische Phänomene als Ansatz für die philosophische Reflexion gewählt, dann ist es von vornherein überzeugender, diese nicht rein historisch zu nehmen, sondern geschichtsphilosophisch, wie A. Gethmann-Siefert ausführt. Sie deutet die Avantgarde geschichtsphilosophisch als Paradigmawechsel der eine Neuorientierung der Kunst kennzeichnet, in der Kunstphänomene und Reflexion " im Sinne der Theoretisierung " sich organisch zusammenschließen. Vgl. A. Gethmann-Siefert in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 59 ff.
Hegel, Aesthetik I, 87 ff.
Vgl. auch Bürgers Kritik an der idealistischen Ästhetik in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 34 f.
Das hebt auch Renner in seiner Arbeit über Lukács Ästhetische Theorie, 1976, 225, hervor.
Hier ist nicht der Ort, um diese Diskussion erneut auf zunehmen. Die Interpretationen der Kunst als " wirkender Faktor der Realität " stehen ästhetiktheoretisch auf sehr schwacher Basis, was allerdings durch die theoretischen Defizite in Brechts eigenen Schriften wesentlich mitbedingt ist und nicht nur den Literaturtheoretikern anzulasten ist. Vgl. für die DDR Mittenzwei in: Das Argument 46, 1968; oder für die BRD so unterschiedliche Positionen wie die von K-D. Müller 1972 oder Richter 1974, die sich in ihrer Bewertung von Lukács allerdings immer auf die mittleren Schriften beschränken.
Lukács, Ästhetik I, 222; I, 230.
Zimmerli in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 248 ff.
Vgl. Pasternack/Thome 1984.
P. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 201. Abgrenzungsprobleme müssen in diesem historischen Ansatz vom literarhistorischen Wissen über Kunstgegenstände, gesellschaftlichen Funktionen und geschichtlichen Wirkungen abhängig gemacht werden. Die Entdifferenzierungsargumente der Avantgarde, die eine Aufhebung der Kunst in die Lebenspraxis begründen sollten, können zwar historisch als gescheitert interpretiert werden, wie P. Bürger vorführt (ibid.), damit ist aber keine theoretische Klärung des Differenzierungsproblems erreicht. P. Bürgers Forderung, daß die schlechte Alternative zwischen den Modellen der Aufhebung der Kunst in die Lebenspraxis und dem Festhalten an der Institution Kunst durch Kritik herbeigeführt werden soll, ist theoretisch nicht ausgearbeitet und nicht nachvollziehbar. Denn wenn " Bezugspunkt der Kritik die Ansätze, die sich gegenwärtiger Kunstproduktion abgewinnen lassen " , sein sollen, dann liegt hier nur eine historische Verschiebung vor, ohne daß geklärt wäre, ob und welchen Richtungen der gegenwärtigen Kunstproduktion Paradigmacharakter zugesprochen werden kann, um eine Grundlage für die Ästhetik als Theorie abgeben zu können.
Hegel, Aesthetik III, 237 ff.
Hegel, Aesthetik I, 112, 108.
Hegel, Aesthetik I, 153 f.
Denn im Entfaltungsprozeß des Ideals ist " mit jeder Stufe der innern Bestimmtheit unmittelbar eine andere Gestaltung verknüpft " ; vgl. Hegel, Aesthetik I, 404.
Sie wären dann auch nicht von den historisch bedingten Intentionen der Kunstproduzenten oder Rezipienten abhängig. Die kunstgeschichtlich nachweisbare Intention zur " Entdifferenzierung der Bereiche der gesellschaftliche Praxis " , wie sie P. Bürger für die Avantgardebewegungen feststellt, wären dann nicht ohne Grund gescheitert: die Aufhebung der Kunst in die Lebenspraxis ist nach Hegel aus prinzipiellen Gründen nicht möglich. Zu Recht kritisiert auch Koppe, daß die Theorie der Avantgarde nicht zu einer " Bestimmung dessen, was Kunst, was ästhetische Aktivität ist ", beiträgt; die historische Einzelanalyse der ästhetischen Phänomene leiste nicht eine " Neubestimmung des Kunstspezifischen, das das Phänomen Kunst von allem sonstigen unterscheidet " . Koppe selbst führt einen anthropologischen Begründungsrahmen ein, um zu verhindern, daß " elementare anthropologische Bestimmungen dessen, was Kunst, was ästhetische Aktivität im produktiven und rezeptiven Sinn ist, durch bloße kunstgeschichtliche Phänomenologie ersetzt werden " ; vgl. Koppe in Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 306 f.
Die Frage, ob das Abgrenzungsproblem " zeichenpragmatisch " zu klären ist, wie Koppe andeutet, kann in diesem Zusammenhang unerörtert bleiben.
Vgl. S.J. Schmidt 1972, 19 ff.; Schwarz 1981, 17 ff.; Zimmerli, Koppe. Piepmeier in: Qelmüller (Hrsg.) 1, 1981.
Hegel, Aesthetik I, 28; vgl. Enzyklopädie 1, § 131, Zusatz.
Vgl. Hegel, Aesthetik I: " Bei dieser Gleichheit des Inhalts sind die drei Reiche des absoluten Geistes nur durch die Formen unterschieden, in welchen sie ihr Objekt, das Absolute, zum Bewußtsein bringen. " (148).
Daß Prinzipien nicht einfach anthropologische Konstanten sind, sondern gattungsgeschichtlich sich entwickelnde Schemata, allerdings von großer Stabilität, wird noch zu zeigen sein. Lukács führt keine apriorische Begründung ein, sondern eine systematisch-historische, Lukács, Ästhetik I, 223 ff.
Vgl. monadische " Welt " des jeweiligen Werks (II, 315).
Lukács läßt keinen Zweifel daran, daß " der Wirklichkeit der Kunstwerke gegenüber... keine Praxis möglich " ist und daß Detailvergleiche zwischen Werkwelt und Wirklichkeit ausgeschlossen sind. Vgl. Lukács, Probleme der Ästhetik, 754, 745.
Hierin ist Lukács Konzeption auch gegenüber Hegels Inhaltsästhetik abzugrenzen, der auch bereichsspezifische Argumente für das Ästhetische einführt: Der Inhalt der Kunst muß zur Kunstdarstellung fähig sein, weil für Hegel nur so möglich erscheint, daß Inhalt und Form " zu freier versöhnter Totalität " sich zusammenschließen. Vgl. Aesthetik I, 107 ff.
Lukács Ästhetik I, 598; vgl. I 242.
Auf die historischen Ansätze im tschechischen Strukturalismus bei Mukarovsky und der Kunstontologie bei Ingarden kann in diesem Rahmen nicht eingegangen werden. Vgl. Mukarovsky 1970, dazu Günther 1973; Günther 1971.
Zu den methodologischen Problemen der Rezeptionsästhetik vgl. Pasternack 1975.
Ohne die Evokationskonzeption formuliert Lukács bereits in der frühen Arbeit von 1912/14 das Problem, das mit dem " Zusammentreffen von objektiver Immanenz des Kunstwerks und subjektiver Immanenz des ästhetischen Verhaltens " gegeben ist.
Lukács, Ästhetik I, 229 und 680.
Der strukturtheoretische und funktionstheoretische Aspekt der Konstitution des Ästhetischen ist hervorzuheben gegenüber Unterscheidungen von Artefakt und ästhetischem Objekt, wie sie, bei Mukarovsky vorliegen: Artefakt als materiell gegebenes Zeichen, ästhetisches Objekt als Bedeutungskorrelat im kollektiven Bewußtsein. Gegenüber dem invarianten Charakter des materiellen Artefakts ist der veränderliche und überindividuelle Charakter des ästhetischen Objekts hervorzuheben, das " nicht nur von der Anordnung und den Eigenheiten des materiellen Gebildes bestimmt " ist, sondern zugleich " von dem entsprechenden Entwicklungsstadium der immateriellen künstlerischen Struktur " . Vgl. Mukarovsky 1970, 106.
Erhebliche theoretische Probleme bereitet allerdings die Klärung des Status dieser immateriellen Struktur. Ich selbst habe von einem projektiven Status des ästhetischen Objekts gesprochen; weil es sich nicht wie in der phänomenologischen Begründung Ingardens (im Anschluß an Husserl) als Korrelat eines Bewußtseinsaktes konstituiert und somit nicht einfach ein intentionaler Gegenstand sein kann, sondern durch die Projektion des materiellen Artefakt auf ein kollektives " Paradigmabewußtsein " , was als Konkretisation im Kontext von Normensystemen zu denken ist, zustandekommt. Vgl. Pasternack 1975, 85 f.
Lukács Ästhetik I, 687 und 1, 694.
Sowohl in der hermeneutischen Rezeptionsästhetik als auch in der empirischen Rezeptionsforschung wird die " Beeinflussung " des Rezeptiven durch Werkstrukturen begriffs-metaphorisch umschrieben. Vgl. Jauß 1970 spricht von einem Prozeß gelenkter Wahrnehmung, gelenkt durch " auslösende Signale " (175) u.ä. S.J. Schmidt 1980: Eigenschaften der Kommunikate " steuern " semantische Operationen oder lösen sie aus (101 ff, 136).
Jauß fundiert auf diese Weise die Produktionsästhetik in einer Wirkungs- und Rezeptionsästhetik, wie Grimm 1977, 28, formuliert.
In Kochs theoretischer Begründung kann ein und derselbe Text verschiedene Strukturierungen aufweisen, je nach Fokussierung unterschiedlicher Aspekte. Vgl. Koch 1973.
Vgl. Kindt/Schmidt 1979, 118 ff.
" Nicht auf die Wirkung auf X oder Y kommt es an, sondern auf die gegenständliche Struktur des Kunstwerks als so und so Wirkendes " (I, 229).
Zum Leiten des Rezeptiven vgl. Ästhetik I, 682. Anders als bei Adorno versucht Lukács nicht " neben der Produktion auch die Rezeption gleichsam ins Kunstwerk " hineinzuziehen, wie P. Bürger an Adorno kritisiert. Vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 50.
Die Theorie der Evokation, die zum " Leiten des Rezeptiven " hinzutritt, verhindert jede einfache Konfundierung der Werkstruktur und des Rezeptionsbereichs. Das Wirken ist ein zentrales Wesensmerkmal des Werks, die Evokation des ästhetischen Sinns aber ist eine Konstitutionsleistung des Subjekts.
Zur Kritik der informations- und kommunikationstheoretischen Modelle und ihre Obertragung auf den Sprach- und Textbereich vgl. Köck 1978.
Theoretische Entwürfe und empirische Ergebnisse im Bereich der " Wahrnehmung und Kommunikation " zeigen, unabhängig von dem philosophiegeschichtlichen Kontext und der philosophischen Terminologie, die Lukács verwendet, Anschlußmöglichkeiten. Die neuere Erkenntnis- sowie die Kommunikations- und Semantikforschung geht ebenfalls von gegeneinander abgeschlossenen Systemen aus, die aber aufeinander " wirken " können. Interaktive Prozesse, wie z.B. Kommunikation, werden aber nicht als Informationsübertragung, nicht als " Geben " , sondern als " Präsentation " expliziert, die in anderen Systemen Evokationen hervorruft. Vgl. Jantsch 1978.
Lukács, Ästhetik I. 572 ff.
Bei gattungsgeschichtlichen Konstitutionsbedingungen steht nicht nur die philosophische Erkenntnistheorie vor methodologischen Problemen, sondern auch die empirische. So hebt Piaget hervor, daß die Biogenese nur über die Ontogenese zugänglich ist; vgl. Piaget 1973, 21. Und auch Vollmer zeigt die Grenzen auf, die darin liegen, daß kognitive Strukturen nicht fossilieren können; vgl. Vollmer 1984, 39.
Die ästhetischen Normen sind nach Mukarovsky im Kollektivbewußtsein angesiedelt. Vgl. Mukarovsky 1970, 43.
Auch Bürgers " Institution Kunst " ist kein empirisch-soziales Faktum, sondern ein Normensystem. Die Hypothese " Institution Kunst " zielt ja gerade auf eine " normative Ebene, die die einzelnen Umgangspraxen und Subinstitutionen in der Kunstwerke angeeignet werden, bestimmt. " Ein theoretischer Rahmen, der verhindern soll, " daß die institutionssoziologische Fragestellung sich in unendlich viele einzelne Soziologien auflöst " . Bürger 1974; vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 291.
Lukács, Ästhetik I, 64 ff. Der Einwand, daß die Geschichte ausgeklammert wird, trifft auch noch die quasitranszendental philosophische Begrundung der " Theorie der ästhetischen Erfahrung " ; vgl. Oelmüllers Kritik an Bubner in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 294.
Daß " als methodischer Weg allein der Ausgang von der ästhetischen Erfahrung " übrigbleibt, wie Bubner 1973, 63, unterstellt (vgl. Oelmüller, (Hrsg.) 1, 1981, 239), läßt sich nicht einfach aus dem verlorenen Vertrauen in die Kunstontologie begründen.
In Lukács eigener Terminologie: in Praxis umgesetzte Widerspiegelung; Übertragung aus der allgemeinen Erkenntnistheorie in ein neues Gebiet. Vgl. Ästhetik I, 352. Die theoretische Bedeutung der Mimesiskonzeption für die ÄSTHETIK darf nicht aus dem Blick geraten. Die ästhetische " Aneignung der Welt " ist nicht auf einen " Modus des Erkennens " zu reduzieren, und nicht nur " als besondere erkenntnistheoretische und zugleich Erkenntnis herstellende Tätigkeit " zu explizieren, wie bei Renner 1976, 106. Lukács läßt keinen Zweifel daran, daß der erkenntnistheoretische Reduktionismus bei ihm aus rein methodischen Oberlegungen erfolgt, weil für eine " erschöpfende philosophische Analyse des Alltagsdenkens " , die die Grundlagen der elementaren Mimesis begriffssystematisch herausarbeiten müßte, die Vorarbeiten fehlen. Die Mimesis des Alltagsdenkens bzw. des Alltagslebens ist trotz der bloß kursorischen Analyse der Alltagswirklichkeit und des Alltagsdenkens dennoch der theoretische Ausgangspunkt der ÄSTHETIK. Vgl. Lukács, Ästhetik I, 33 ff. Hieran möchte ich festhalten auch nach Kenntnis des umfangreichen Essays von Lehmann, den ich leider in der ersten Auflage übersehen habe. Lukács unterschlägt nicht die " Marxsche Erkenntnis, daß Ästhetisches im Arbeitsprozeß entsteht " , und seine Mimesiskonzeption erweist sich meiner Meinung nach keineswegs " als ein Fremdkörper dort, wo sie L. zur materiellen Lebensgrundlage " , zur Alltagswirklichkeit in Beziehung setzt; denn Lukács unterscheidet deutlich zwei Ebenen: die konstitutiven Bedingungen der mimetischen Reproduktion haben in der Alltagswirklichkeit ihren Ursprung, lediglich der methodologische Ansatz der Explikation der Mimesiskonzeption hat seinen systematischen Ort in der Erkenntnistheorie, speziell in der Differenzierung der Subjekt-0bjekt-Relation vgl. Lehmann 1981, 860.
Lukács, Ästhetik I, 352 f.
Aristoteles, Poetik, Kap. 4.
Durch den Ausdruck " mimetisch reproduzieren " kommt der operationale Charakter deutlich zum Ausdruck; vgl. Lukács, Ästhetik I, 496 u.ö. Der außersprachliche Bezug auf ein Etwas ist dabei hervorzuheben; denn die Widerspiegelung muß " den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt " bilden (I, 353). Diese Dimension der Begriffsbestimmung ist festzuhalten, weil im Kunstbereich imitatio nicht nur " Mimesis von Ontologischem, sondern auch Mimesis von Sprache " sein kann. Vgl. Baumgartner in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 309; vgl. Warnings Unterscheidung " imitatio metaphysisch " und " imitatio rhetorisch " (ibid., 288). Vgl. bei Lukács die " generellen Formen der Bewältigung der Wirklichkeit im Alltagsleben " und die Kunst als eine besondere Art dieser Bewältigung der Wirklichkeit. Ästhetik I, 235.
Obwohl Lukács die " Naturgrundlage " der Nachahmung als Elementartatsache keineswegs unterschlägt, setzt die theoretische Begründung an der Stelle des Übergangs von Ontologie zu Politökonomie ein. Innerhalb der Ontologie expliziert Lukács die Kategorien der Natur durchaus als " Basis der gesellschaftlichen Kategorien " ; vgl. Ontologie I, 565. Das Verhältnis von Ontologie und Ökonomie wird von Lukács ja nicht als ausschließendes Verhältnis, sondern als ein Transformationsprozeß verstanden: Die Grundprinzipien des gesellschaftlichen Seins, die aus dem naturhaften Sein des Menschen und zugleich aus seinem Stoffwechsel mit der Natur stammen, sind Momente eines gattungsgeschichtlichen Prozesses der Loslösung von der Naturhaftigkeit und der Transformation zur reinen Gesellschaftlichkeit; vgl. Ontologie I, 588. Die Kategorie der Arbeit hat in Lukács Ontologie " Übergangscharakter " zwischen Gesellschaft und Natur. Alle anderen Kategorien sind bereits " rein gesellschaftlichen Charakters "; vgl. Ontologie II, 8 f.
Lukács, Ästhetik I, 35: " Wenn wir nämlich die Widerspiegelung im Alltagsleben, in Wissenschaft und Kunst auf ihre Differenzen untersuchen wollen, so müssen wir stets darüber im klaren sein, daß alle drei Formen dieselbe Wirklichkeit abbilden " .
Lukács spricht selbst von der " kursorischen Analyse des Alltagsdenkens " ; vgl. Ästhetik I, 35.
Voraussetzung nicht im Sinne der historischen Entstehung des Werks, sondern als systematische Vorgängertheorie. Lukács Theorie der Arbeit´ setzt ihrerseits die Kritik der politischen Ökonomie voraus; vgl. Lukács, Ontologie II, 11 ff.
Lukács, Ästhetik 1,39 ff. Vgl .Marx/Engels, Werke 23, 193 ff.
Zum Obergang von Ontologie in Sozialtheorie und Ökonomie vgl. Lukács, Ontologie I, 584 f.
Zum Problem des " Zurückweichens der Naturschranke " vgl. Lukács, Ästhetik I, 470 f.: Die tierisch-biologischen Grundlagen können nur " umgeformt " werden; denn auch als vergesellschafteter Mensch, muß der Mensch als Naturwesen existieren. Zur Unterscheidung zwischen der allgemeinen Natur des Arbeitsprozesses als allgemeine Bedingung des " Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur " und den besonderen Formen, die sich unter sich entwickelnden Gesellschaftsformationen wandeln, vgl. Marx/Engels, Werke 23, 198.
Die Kausalkette in der Natur läuft von selbst. In der Arbeit wird jedoch nicht nur das Ziel teleologisch gesetzt, sondern auch die Kausalkette, die er verwirklicht, muß sich in eine gesetzte Kausalkette verwandeln. Lukács, Ontologie II, 45. Zum teleologischen Prinzip vgl. Lukács, Ästhetik I, 40.
Denn je weiter die Entfernung von der unmittelbaren Praxis des Alltagslebens, d.h. je stärker der Abstraktionsgrad ist, desto stärker sind die Möglichkeiten, daß ihre " Fixierung nicht aus dem Wesen der objektiven Gegenständlichkeit stammt, sondern ein subjektives, freilich oft sozio-psychologisches Fundament (Tradition, Gewöhnung etc.) hat " . Lukács, Ästhetik I, 42.
Arbeit ist nicht nur abstrakt expliziert; sie hat nicht nur " den Stellenwert von Synthesis " , wie Habermas 1968, 40, erläutert.
Daß Lukács, in der Tradition der materialistischen Gnoseologie stehend, die Begriffe " Widerspiegelung " oder " Abbild " verwendet, braucht hier nicht weiter gerechtfertigt zu werden. Die erkenntnistheoretischen Diskussionen haben gezeigt, daß es sich hier um theoretische Begriffe handelt, nicht um veranschaulichende Charakterisierungen von Erkenntnisprozessen.
Entscheidend sind die Merkmalsexplikationen, die Lukács argumentatorisch entwickelt; Für die elementaren Operationen der Mimesis im Alltagsleben ist dabei von den anthropologischen, sozialen Erfordernissen der Handlungsorientierung und Kontingenzbewältigung auszugehen und der Konstruktion von Wirklichkeitsmodellen
Zum synonymen Gebrauch der Begriffe " Alltagsleben " , " Alltagsdenken " , " Wirklichkeit im Alltag " , vgl. Ästhetik I, 39. Lukács erwähnt beispielhaft die unendlich vielfältigen Beziehungen zwischen den Menschen (Ehe, Liebe, Familie, Freundschaft etc...), die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen, Formen der Nebenbeschäftigung und Vergnügungen..., Phänomene wie Mode etc. Vgl. Ästhetik I, 43.
Lukács sieht dabei das Alltagsleben als die Mitte zwischen den beiden Polen Wissenschaft und Kunst: " Die Reinheit der wissenschaftlichen und ästhetischen Widerspiegelung grenzt sich also einerseits scharf von den komplizierten Mischformen des Alltags ab, andererseits verschwimmen gleichzeitig diese Grenzen ununterbrochen, indem beide differenzierten Widerspiegelungsformen aus den Bedürfnissen des Alltagslebens entstehen.., und indem viele Ergebnisse beider sich wieder mit den Äußerungsformen des Alltagslebens mischen.., und dieses so ununterbrochen höher entwickeln. " Lukács, Ästhetik I, 35.
In seiner Kritik der idealistischen Ästhetik konstatiert z.B. P. Bürger, daß die idealistische Ästhetik auf seiten des Produzenten " die Tatsache, daß das Kunstprodukt ein Hergestelltes ist " verdeckt, d.h. die Arbeit unterschlägt. Er erläutert dies an bestimmten Ausformungen der Kunstentwicklungen in der Moderne: " Die Arbeit des Produzenten wird in der Montage offenbar " . Vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 38 f. Damit ist aber nicht geklärt, daß und wie die Arbeit für jede Kunstproduktion unter soziohistorisch wechselnden Bedingungen, Einflüssen und ästhetischen Normen Voraussetzung ist; denn die Moderne und schon gar nicht die spezifische Form der " Montage " kann Paradigmastatus für Kunst überhaupt beanspruchen. Die Funktion der Arbeit ist nicht einfach im Phänomenbereich, speziell an der Montage in der Kunst sichtbar zu machen. Lukács zielt mit seiner theoretischen Tieferlegung der Begründung der Mimesiskonzeption durch die Kategorie der Arbeit auf die konstitutive Leistung für jede Art von " Bewältigung der Wirklichkeit " in Kunst, Wissenschaft und Alltagsleben, die als Subjekt-Objekt-Synthesis für die ästhetische Mimesis allgemein, unabhängig von den jeweiligen soziohistorischen, stilistischen, normativen Ausformungen in der Kunstphänomenologie konstitutiv ist. Hieran läßt sich die begrenzte Leistungsfähigkeit der ideologiekritischen Reflexion im Vergleich zu den systematisch-historischen Rekonstruktionen von Lukács ablesen.
Lukács, Ästhetik I, 35. Kunst und Wissenschaft sind die beiden " Pole der generellen Widerspiegelung der objektiven Wirklichkeit, deren fruchtbare Mitte die des Alltagslebens bildet " .
Lukács, Ästhetik II, 297.
Der theoretische Begriff der Widerspiegelung, der nicht als veranschaulichende Charakterisierung der Subjekt-Objekt-Relation zu nehmen ist, umfaßt auch den konstruktivistischen Aspekt der ästhetischen Setzung; ontologisch wird das Vorhandensein der vom Bewußtsein unabhängigen Wirklichkeit nicht geleugnet; dennoch wird erst durch die mimetischen Strukturierungsoperationen Wirklichkeit ein " Produkt des Menschen " und ist dem Subjekt immer nur als Wirklichkeitsmodell zugänglich. Im Bereich der ästhetischen mimetischen Reproduktion ist das in besonderer Weise festzustellen: " Was auf jedem anderen Gebiet des menschlichen Lebens ein philosophischer Idealismus wäre, nämlich daß kein Objekt ohne Subjekt existieren könne, ist im Ästhetischen ein Wesenszug seiner spezifischen Gegenständlichkeit " (I, 229).
Mit bezug auf Engels Anti-Dühring; vgl. Marx/Engels, Werke 20, 574; Lukács, Ästhetik I, 234.
Vgl. Lukács, Probleme der Ästhetik, 11. Die Forderung nach einer " Wissenschaft der Kunst ", die post festum " uns zur denkenden Betrachtung " einlädt, findet sich bereits bei Hegel, Aesthetik I, 32. Die Philosophie der Kunst ist auch für Lukács nur post festum möglich (I, 213).
Hegel, Aesthetik I, 22 ff.
Adorno geht davon aus, daß " allein die Reflexion jener Kategorien " erlaubt, " die künstlerische Erfahrung der Theorie zuzubringen " . Die geschichtliche Erfahrung soll durch die Veränderung der Kategorien in die Theorie eindringen. Vgl. Adorno 1970, 393. In der Nachfolge Adornos setzt auch P. Bürger auf dieses Reflexionswissen bzw. die " Transformation durch Kritik " ; vgl. P. Bürger 1983, 59.
Die Resultate sind immer " begriffliche Fixierungen einer bereits erreichten Stufe der Kunstentwicklung " . Lukács, Ästhetik I, 213.
Lukács, Ontologie I, 564. Vgl. Marx, Grundrisse, 25 f.; Marx/Engels Werke 13, 636: Anatomie des Menschen als Schlüssel zur Anatomie des Affen.
Vgl. Oelmüller in: Oelmüller/ Oelmüller-Dölle/ Rath, 1982, 27 f. Der Erfahrungshorizont für Kunst ist nicht nur " weiter als das, was im Denk- und Erfahrungsrahmen der neuzeitlichen ästhetischen Begriffe denk- und erfahrbar ist " . Der " entwickeltste Standpunkt " kann auch für die ästhetische Erfahrung in außerästhetischen sozialen, politischen, lebensweltlichen Denk- und Erfahrungsmöglichkeiten liegen.
Lukács, Ästhetik I, 227 ff.
P. Bürger 1974, 20 f. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 200 ff.
Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 215.
Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 238. Bürger geht davon aus, daß die Avantgardebewegung eine historische Zäsur darstellt, von der aus die philosophische Reflexion ausgehen kann. Er behauptet nicht, daß man nicht auch von anderen Zäsuren ausgehen könnte; die vorgeschlagene scheint ihm nur besonders plausibel. Vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 2, 1982, 337. Es könnten (beliebige) andere Ausgangspunkte gewählt werden, womit allerdings der Paradigmacharakter der Avantgardebewegung schwer vereinbar ist. Vgl. Bürger in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 231.
Warnings Kritik am Paradigmastatus der Avantgarde: die oppositive Institutionalisierung einer bestimmten Kunstrichtung sei ein historisch allgemeines Phänomen. Vgl. Oelmüller (Hrsg.) 1, 229.
Damnjanovic weist auf das Problem hin, daß die Einführung eines historischen Paradigmas das " Infragestellen der ästhetischen anthropologischen Konstante " zur Folge hat; vgl. Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 243. Koppe dagegen kritisiert, daß mit der Einführung der " Institution Kunst unter jeweils veränderten historischen Bedingungen " kein Abgrenzungskriterium zu formulieren ist, d.h. keine Explikation des Kunstspezifischen, das " das Phänomen Kunst von allem sonstigen unterscheidet " . Koppe in: Oelmüller (Hrsg.) 1, 1981, 306.
Bei Lukács treffen Geschichtsphilosophie und normative Ästhetik allerdings nicht in dem vordergründigen Sinn aufeinander, den Bürger unterstellt. Vgl. Bürger 1975, 215 ff. Zu unterscheiden ist zwischen konstitutiven Prinzipien des Ästhetischen, die die Abgrenzung der Kunst gegen andere Bereiche, auch gegenüber Historik, Rhetorik ermöglichen, und somit normativ das in Lukács Terminologie " echt Ästhetische " (I, 681; I, 590) bestimmen, und formalen Kriterien, die Differenzierungen in der Realisierung der Kunst ermöglichen und ggf. stilistische und formale Wertungen begründen.
Das Verhältnis von konstitutiven Normen (Prinzipien) und Geschichtsphilosophie ist in Lukács Ästhetiktheorie unauflöslich; die formalen Normen, die Lukács allerdings in seinen Interpretationen und Bewertungen selbst immer wieder verwendet, sind theoretisch nicht zwingend und häufig nur historisch-biographisch zu begründen. Allerdings haben die konstitutiven Prinzipien Konsequenzen auch für den formalen und stilistischen Aufbau der " Werkindividualitäten " , wie noch zu zeigen sein wird. Die normativen Probleme der Ästhetik müssen daher relativ auf die Bezugssysteme differenziert werden.
Bereits für Hegels Charakterisierung der " Art der wissenschaftlichen Betrachtung " , die eine Vereinigung der beiden Extreme anstrebt, nämlich des Empirischen als Ausgangspunkt und der rein theoretischen Reflexion, wird gefordert, daß " die metaphysische Allgemeinheit mit der Bestimmtheit realer Besonderheit vereinigt " wird. Vgl. Aesthetik I, 36 ff. Hierbei handelt es sich allerdings nicht einfach um eine " Historisierung der systematischen und ästhetischen Kategorien " wie Metscher dieses Verfahren charakterisiert. Vgl. Metscher 1971, 18.
Lukács, Ästhetik I, 25. Die Ableitung des Werts im 1. Kap. des Kapital von Marx wird von Lukäcs als Muster für die systematisch-historische Methode genommen.
Vgl. Marx, Grundrisse, 21; Marx/Engels. Werke 13, 632. Vgl. auch Lenins " zweifache Analyse " , eine logische und eine historische; Werke 38, 319.
Denn die " letzte Form " in der historischen Entwicklung kann die vorausgegangenen " als Stufen zu sich selbst " betrachten; vgl. Marx, Grundrisse, 26 und Marx/Engels, Werke 13, 636. So ermöglicht die Analyse der bürgerlichen Gesellschaft Einsichten in die Gliederung aller der untergegangenen Gesellschaftsformen. So ist in der Anatomie des Menschen ein Schlüssel zur Anatomie des Affen zu sehen.
Auch Lukács versucht immer wieder, methodisch aus der " Anatomie des Menschen " die gattungsgeschichtlichen " Anfangsstadien zu erhellen " (I, 437). Vgl. Ontologie I, 564; II, 7.
Vgl. z.B. Lukács Charakterisierung des Loslösungsprozesses der ästhetischen Mimesis: Die " bis jetzt noch sehr abstrakt ausgedrückte, allmählich zu konkretisierende Anschauung " . Ästhetik I, 218.
Der Begriff des Logischen muß hier in der Hegelschen Tradition erläutert werden: Gegenstand der logischen Betrachtung ist bei Hegel das " eigentümliche Wesen " der Erscheinungen. Vgl. Logik I, 15 ff. Es handelt sich nicht um formallogische Deduktionszusammenhänge, wenn Lukács z.B. von " abgeleitet " spricht. Vgl. Ästhetik I, 25.
Marx/Engels, Werke 13, 632.
Vgl. Marx/Engels, Werke 13, 631. Marx grenzt sich ausdrücklich gegen die traditionelle wissenschaftliche Verfahrensweise ab, die mit " dem Realen und Konkreten, der wirklichen Voraussetzung " beginnt; vgl. Marx, Grundrisse, 21.
Lukács, Ästhetik I, 459; I, 537. Lukács Ziel ist ja nicht die Erfassung kunstgeschichtlicher Phänomene, sondern die Explikation der prinzipiellen Einheit des Ästhetischen; allerdings auf der Grundlage der Erklärung der historischen Entstehung der ästhetischen Einheit. Vgl. Ästhetik I, 234. Bereits in seinem Briefwechsel mit A. Seghers weist Lukács darauf hin, daß er die Einzelphänomene in den systematisch-historischen Gesamtzusammenhang einzubeziehen versucht: " Ich bin bestrebt, in jeder Einzelerörterung den Gesamtzusammenhang, die systematische und historische Entwicklung wenigstens anzudeuten. " Vgl. Lukács in: Raddatz (Hrsg.) II, 133.
Auch Adorno kann auf die philosophische Konstruktion nicht verzichten, und zwar auch " über das vom Kunstwerk Verwirklichte hinaus " ; vgl. Adorno 1958, 32.
Lukács, Ästhetik I, 450 ff. Die Herausbildung des Ästhetischen steht nicht am Anfang der Menschheitsentwicklung; vgl. Ästhetik I, 384.
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