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W. I. Lenin |
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DIE ERFAHRUNGEN DER PARISER KOMMUNE VOM JAHRE 1871 - 5 kurze Texte
( orginal )
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Status |
1905 bis 1917 |
Letzte Bearbeitung |
06/2004 |
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www.mxks.de
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1. DIE PARISER KOMMUNE UND DIE AUFGABEN DER DEMOKRATISCHEN DIKTATUR
2. VORWORT ZUR RUSSISCHEN ÜBERSETZUNG DER BRIEFE VON KARL MARX AN L. KUGELMANN (1907)
3. DIE LEHREN DER KOMMUNE
4. DEM ANDENKEN DER KOMMUNE
5. ÜBER DIE DOPPELHERRSCHAFT
1. DIE PARISER KOMMUNE UND DIE AUFGABEN DER DEMOKRATISCHEN DIKTATUR
Als Artikel erschienen am 17. (4.) Juli 1905
War die Kommune eine Diktatur des Proletariats?
Das Vorwort von Engels zur 3. Ausgabe von Marxens ´Bürgerkrieg in Frankreich´ schließt mit den Worten:
"Der deutsche Philister ist neuerdings wieder in heillosen Schrecken geraten bei dem Worte ´Diktatur des Proletariats´. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats."
Aber Diktatur und Diktatur können verschieden sein! War das vielleicht eine wirkliche, reine Diktatur des Proletariats im Sinne der rein sozialdemokratischen Zusammensetzung ihrer Mitglieder und des Charakters ihrer praktischen Aufgaben? Keinesfalls! Das klassenbewußte Proletariat (und auch da kann nur von einem mehr oder weniger klassenbewußten Proletariat gesprochen werden), d. h. die Mitglieder der Internationale waren in der Minderheit. Die Mehrheit der Regierung bestand aus Vertretern der kleinbürgerlichen Demokratie. Einer der neuesten Forscher (Gustav Jaeckh ) sagt das ganz unzweideutig. Das Zentralkomitee der Nationalgarde z. B. hatte 35 Mitglieder, und davon waren ganze zwei Sozialisten (d. h. Mitglieder der Internationale), dafür besaßen sie (Varlin und Avoine ) unter ihren Machtgenossen ein großes Gewicht.
Über dieses Komitee schreibt Lissagaray :
"Wer sind seine Mitglieder? Sind es die Agitatoren? Die Sozialisten? Keineswegs. Kein einziger bekannter Name. Alle Gewählten sind Kleinbürger, Krämer, Angestellte..."
Und doch traten Varlin und Avoine in dieses Komitee ein. Später traten noch Pindy , Ostyn und Jourde ins Komitee ein. Die ´New Yorker Arbeiterzeitung´ (das Organ der Internationale) schrieb in ihrem Artikel vom 18. Juli 1874:
"Die Internationale hat die Kommune nicht gemacht noch war sie mit ihr identisch, wohl aber haben die Mitglieder der Internationale sich das Programm der Kommune angeeignet, um es über sich selbst hinauszutreiben, und sie waren zugleich die eifrigsten, treuesten Verteidiger der Kommune, weil sie deren Bedeutung für die Arbeiterklasse erkannt haben."
Der ´Generalrat´, an dessen Spitze, wie bekannt, Marx stand, hieß die Taktik der Pariser Föderation der Internationale gut. In seinem Manifest wurde gesagt:
"Wo immer und in welcher Gestalt immer und unter welchen Bedingungen immer der Klassenkampf irgendwelchen Bestand erhält, da ist es auch natürlich, daß Mitglieder unserer Assoziation im Vordergrund stehen."
()
Aber unsere Vorläufer, die Mitglieder der Internationale, wollten sich durchaus nicht mit der Kommune verschmelzen; sie bewahrten die ganze Zeit ihre besondere, rein proletarische Parteiorganisation.
Jaeckh schreibt:
"Der Föderalrat der Internationale wußte sich schon früher durch Bevollmächtigte bei den Behörden, zuerst beim Zentralkomitee, dann bei der Kommune steten Einfluß auf die Abwicklung wichtiger Fragen zu sichern."
Als ein ausgezeichneter Beweis für die Sonderstellung der damaligen proletarischen Organisation bei gleichzeitiger Beteiligung ihrer Vertreter an der Regierung kann die folgende Einladungskarte gelten:
"Am nächsten Sonnabend, dem 20. Mai, punkt 1 Uhr, wird eine außerordentliche Versammlung des Föderalrates stattfinden, um über die gegenwärtige Situation zu befinden. Die Mitglieder der Kommune, die der Internationale angehören, sind zu dieser Sitzung eingeladen. Sie werden dort über ihre Haltung im Stadthaus Auskunft zu geben haben und die Gründe der Spaltung aufklären müssen, die sich im Schoße der Kommune vollzogen hat. Die Mitglieder der Internationale können gegen Vorweisung ihres Mitgliedsbuches bei der Versammlung zugegen sein."
Und noch ein weiteres interessantes Dokument, der Beschluß der hier angeführten außerordentlichen Versammlung:
"Die internationale Arbeiterassoziation hat in ihrer außerordentlichen Sitzung vom 20. Mai die nachstehende Resolution angenommen:
Nach Anhörung der Erklärung der Bürger der Internationale, die zugleich Mitglieder der Kommune sind, in Anerkennung der vollkommenen Loyalität der Gründe, die ihre Handlungsweise bestimmt haben, ersuchen wir sie, unter steter Wahrung der Interessen der Arbeiter, ihr Möglichstes zu tun, um die in dem Kampfe gegen die Versailler Regierung so nötige Einheit der Kommune aufrechtzuerhalten:
empfehlen wir die Öffentlichkeit der Kommunesitzungen und die Aufhebung des Paragraph 3 der Bekanntmachung, der unvereinbar ist mit dem Rechte des Volkes, die Handlungen der Exekutivbehörde, in diesem Falle des Wohlfahrtsausschusses, zu kontrollieren."
An der Versammlung nahmen sechs Mitglieder der Kommune teil, drei hatten sich entschuldigt. Am 19. März zählte Lissagaray in der Kommune 25 Vertreter der Arbeiterklasse, aber nicht alle gehörten der Internationale an. Die Mehrheit ging auch da mit dem Kleinbürgertum.
Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte der Kommune und die Rolle der Mitglieder der Internationale in der Kommune zu erzählen. Wir teilen nur mit, daß im Vollzugsausschuß Donville, in der Finanzkommission Varlin, Jourde und Beslay, in der Militärkommission Donville und Pindy saßen; im Sicherheitsausschuß waren Assy und Chalain, in der Arbeitskommission Malon , Frankel , Theiß , Dupont und Avrial . Am 16. April, bei den Neuwahlen, wurden noch einige Mitglieder der Internationale gewählt (unter ihnen der Schwiegersohn von Marx, Longuet), aber in der Kommune saßen auch erklärte Feinde der Internationale, wie z. B. Vesimier . In der letzten Zeit der Kommune lagen ihre Finanzen in den Händen zweier hochbegabter Mitglieder der Internationale, Varlin und Jourde.
Handel und Arbeit leitete Frankel, Post und Telegraph, Münzamt und direkte Steuern wurden ebenfalls von Sozialisten verwaltet. Die Mehrheit der wichtigeren Ministerien verblieb jedoch, wie Jaeckh bemerkt, in der Hand des Kleinbürgertums.
Also steht außer Zweifel, daß Engels, wenn er die Kommune Diktatur des Proletariats nennt, nur die Teilnahme und dabei ideologisch führende Teilnahme der Vertreter des Proletariats in der revolutionären Regierung von Paris im Auge hatte.
Aber war vielleicht der vollständige sozialistische Umsturz das unmittelbare Ziel der Kommune? Bei uns kann es doch darüber keine Illusionen geben.
Tatsächlich heißt es in der berühmten und zweifellos von Marx geschriebenen ´Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation über den Bürgerkrieg in Frankreich´:
"Die Kommune sollte (...) als Hebel dienen, um die ökonomischen Grundlagen umzustürzen, auf denen der Bestand der Klassen und damit Klassenherrschaft ruht. "
Und dann heißt es in demselben Manifest weiter:
"Die Arbeiterklasse verlangte keine Wunder von der Kommune. Sie hat keine fix und fertige Utopie durch Volksbeschluß einzuführen. Sie weiß, daß, um ihre eigene Befreiung und mit ihr jene höhere Lebensform hervorzuarbeiten (...) sie, die Arbeiterklasse, lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen hat, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden. Sie hat keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoße der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben."
()
Alle Maßnahmen, die gesamte soziale Gesetzgebung der Kommune trugen keinen utopischen, sondern einen praktischen Charakter. Die Kommune verwirklichte das, was wir jetzt das ´Minimalprogramm des Sozialismus´ nennen. Um daran zu erinnern, was die Kommune gerade in dieser Richtung verwirklicht hat, führen wir ein weiteres Zitat aus dem Vorwort von Engels an:
"
-
Am 26.März wurde die Pariser Kommune erwählt und am 28. proklamiert.
- Das Zentralkomitee der Nationalgarde, das bisher die Regierung geführt, dankte in ihre Hände ab, nachdem es noch zuvor die Abschaffung der skandalösen Pariser Sittenpolizei dekretiert hatte.
- Am 30. schaffte die Kommune die Konskription und die stehende Armee ab und erklärte die Nationalgarde, zu der alle waffenfähigen Bürger gehören sollten, für die einzige bewaffnete Macht;
- sie erließ alle Wohnungsmietbeträge vom Oktober 1870 bis zum April 1871 unter Anrechnung der bereits gezahlten Beträge auf künftige Mietszeit und
- stellte alle Verkäufe von Pfändern städtischen Leihhaus ein.
- Am selben Tage wurden die in die Kommune gewählten Ausländer in ihrem Amte bestätigt, da die Fahne der Kommune die der Weltrepublik´ ist.
- Am 1. April wurde beschlossen, das höchste Gehalt eines bei der Kommune Angestellten, also auch ihrer Mitglieder selbst dürfe 6ooo Franken nicht übersteigen.
- Am folgenden Tage wurde die Trennung der Kirche vom Staat und die Abschaffung aller staatlichen Zahlungen für religiöse Zwecke sowie die Umwandlung aller geistlichen Güter in Nationaleigentum dekretiert;
- in Folge davon wurde am 8. April die Verbannung religiösen Symbole, Bilder, Dogmen, Gebete, kurz ´alles dessen, was ins Bereich des Gewissens jedes einzelnen gehört´, aus den Schulen befohlen und allmählich durchgeführt.
- Am 5. wurde, gegenüber der täglich erneuten Erschießung von gefangenen Kommunekämpfern durch die Versailler Truppen, ein Dekret wegen Verhaftung von Geiseln erlassen, aber nie ganz durchgeführt.
- Am 6. wurde die Guillotine durch das 137. Bataillon der Nationalgarde herausgeholt und unter lautem Volksjubel öffentlich verbrannt.
- Am 12. beschloß die Kommune, die nach dem Krieg von 1809 von Napoleon aus erbeuteten Kanonen gegossene Siegessäule des Vendome-Platzes als Sinnbild des Chauvinismus und der Völkerverhetzung umzustürzen.
- Dies wurde am 16. Mai ausgeführt.
- Am 16.April ordnete die Kommune eine statistische Aufstellung der von den Fabrikanten stillgesetzten Fabriken an
- und die Ausarbeitung von Plänen für den Betrieb dieser Fabriken durch die in Kooperativgenossenschaften zu vereinigenden, bisher darin beschäftigten Arbeiter
- sowie für eine Organisation dieser Genossenschaften zu einem großen Verbande.
- Am 20. schaffte sie die Nachtarbeit der Bäcker ab
- wie auch den seit dem zweiten Kaiserreich durch polizeilich ernannte Subjekte - Arbeiterausbeuter ersten Ranges - als Monopol betriebenen Arbeitsnachweis;
- dieser wurde den Mairien der 28 Pariser Arrondissements überwiesen.
- Am 28. April befahl sie die Aufhebung der Pfandhäuser, welche eine private Exploitation der Arbeiter seien und in Widerspruch ständen mit dem Recht der Arbeiter auf ihre Arbeitsinstrumente und auf Kredit.
- Am 5. Mai beschloß sie die Schleifung der als Sühne für die Hinrichtung Ludwigs XVI. errichteten Bußkapelle.
"
()
Bekanntlich gelang es der Kommune infolge der von ihr begangenen Fehler und ihrer übergroßen Milde nicht, die Reaktion zu bezwingen. Die Kommunarden gingen zugrunde. Aber haben sie die Sache des Proletariats geschändet, kompromittiert, wie Martynow im Hinblick auf die in der Zukunft mögliche revolutionäre Regierung in Rußland krächzt? Augenscheinlich nicht, denn Marx schrieb über die Kommune:
"Das Paris der Arbeiter mit seiner Kommune wird ewig gefeiert werden als der ruhmvolle Vorbote einer neuen Gesellschaft. Seine Märtyrer sind eingeschreint in dem großen Herzen der Arbeiterklasse. Seine Vertilger hat die Geschichte schon jetzt an jenen Schandpfahl genagelt, von dem sie zu erlösen alle Gebete ihrer Pfaffen ohnmächtig sind."
2. VORWORT ZUR RUSSISCHEN ÜBERSETZUNG DER BRIEFE VON KARL MARX AN L. KUGELMANN (1907)
Die Marxsche Einschätzung der Kommune bildet die Krone der Briefe an Kugelmann. Und diese Einschätzung ist besonders lehrreich, wenn man ihr die Methoden des rechten Flügels der russischen Sozialdemokraten gegenüberstellt. Plechanow, der nach dem Dezember 1905 kleinmütig ausrief: "Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen!", war so bescheiden, sich mit Marx zu vergleichen. Marx habe ja im Jahre 1870 die Revolution ebenfalls gebremst.
Gewiß, Marx hat sie ebenfalls gebremst. Aber man vergegenwärtige sich, was für ein Abgrund sich auftut bei diesem von Plechanow selbst herangezogenen Vergleich zwischen Plechanow und Marx.
Plechanow hatte im November 1905, einen Monat vor dem Höhepunkt der ersten revolutionären Welle in Rußland, weit davon entfernt, das Proletariat entschieden zu warnen, vielmehr direkt von der Notwendigkeit gesprochen, den Gebrauch der Waffen zu erlernen und sich zu bewaffnen. Als aber einen Monat darauf der Kampf ausbrach, beeilte sich Plechanow, ohne die Bedeutung dieses Kampfes, seine Rolle im Gesamtverlauf der Ereignisse, seinen Zusammenhang mit den vorhergehenden Kampfformen auch nur im geringsten zu analysieren, den bußfertigen Intellektuellen zu spielen: "Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen."
Marx hatte im September 1870, ein halbes Jahr vor der Kommmune die französischen Arbeiter direkt gewarnt: Ein Aufstand wäre eine Torheit, sagte er in der bekannten Adresse der Internationale . Er deckte im voraus die nationalistischen Illusionen hinsichtlich der Möglichkeit einer Bewegung im Geiste von 1792 auf. Er verstand es, nicht hinterher, sondern mehrere Monate vorher zu sagen: "Man sollte nicht zu den Waffen greifen."
Und wie verhielt er sich, als dieses nach seiner eigenen Erklärung vom September aussichtslose Unternehmen im März 1871 dennoch Wirklichkeit zu werden begann? Hat es Marx vielleicht (wie Plechanow die Dezemberereignisse) bloß dazu benutzt, um seinen Widersachern, den Proudhonisten und Blanquisten, die die Kommune leiteten, "eins auszuwischen"? Begann er vielleicht wie eine Gouvernante zu nörgeln: Ich habe es ja gesagt, ich habe euch gewarnt, da habt ihr nun eure Romantik, eure revolutionären Phantastereien? Sagte er vielleicht zum Abschied den Kommunarden, wie Plechanow den Dezemberkämpfern, mit der Lehrhaftigkeit eines selbstzufriedenen Philisters: "Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen"?
Nein. Am 12.April 1871 schreibt Marx einen begeisterten Brief an Kugelmann, einen Brief, den wir gern jedem russischen Sozialdemokraten, jedem lesekundigen russischen Arbeiter an die Wand hängen würden.
Marx, der im September 1870 den Aufstand eine Torheit genannt hat, bringt im April 1871, da er eine Volksbewegung, eine Massenbewegung sieht, dieser die größte Aufmerksamkeit eines Teilnehmers an gewaltigen Ereignissen entgegen, die in der weltgeschichtlichen revolutionären Bewegung einen Schritt vorwärts bedeuten.
Das ist ein Versuch, sagt er, die bürokratisch-militärische Maschinerie zu zerbrechen und sie nicht einfach aus einer Hand in die andre zu übertragen. Und er singt den von Proudhonisten und Blanquisten geführten "heroischen" Pariser Arbeitern ein wahres Hosianna. "Welche Elastizität", schreibt er, "welche historische Initiative, welche Aufopferungsfähigkeit in diesen Parisern! (S. 88) (...) Die Geschichte hat kein ähnliches Beispiel ähnlicher Größe! "
Marx stellt die historische Initiative der Massen über alles. Oh, wenn doch unsere russischen Sozialdemokraten in bezug auf die Einschätzung der historischen Initiative der russischen Arbeiter und Bauern im Oktober und Dezember 1905 bei Marx lernen wollten!
Die Verneigung des größten Denkers, der ein halbes Jahr zuvor den Mißerfolg vorausgesehen hatte, vor der historischen Initiative der Massen und das leblose, seelenlose, pedantische: "Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen"! Ist das nicht voneinander entfernt wie Himmel und Erde?
Als Teilnehmer des Massenkampfes, den er mit der ihm eigenen Glut und Leidenschaft im Londoner Exil miterlebte, macht sich Marx an die Kritik der unmittelbaren Schritte der "wahnwitzig-kühnen" Pariser "Himmelsstürmer"
Oh, wie hätten damals unsere heutigen "real denkenden" Weisen unter den Marxisten, die im Rußland der Jahre 1906 und 1907 die revolutionäre Romantik in Grund und Boden verdammen, Marx ausgelacht! Wie hätten sie den Materialisten, den Ökonomen, den Feind von Utopien verhöhnt, der sich vor einem "Versuch" verneigt, den Himmel zu stürmen! Wieviel Tränen herablassenden Lachens oder Mitleids hätten allerlei Menschen im Futteral vergossen über Rebellionstendenzen, Utopismus usw. usf., über diese Einschätzung einer himmelstürmenden Bewegung!
Marx gab sich nicht der Weisheit neunmalweiser Gründlinge hin, die sich scheuen, die Technik der höchsten Formen des revolutionären Kampfes zu erörtern. Er behandelt gerade die technischen Fragen des Aufstands. Verteidigung oder Angriff? fragt er, als ob es sich um Kampfhandlungen vor London handelte. Und er entscheidet: unbedingt Angriff, "es galt, gleich nach Versailles zu marschieren (...)."
Das wurde geschrieben im April 1871, wenige Wochen vor dem großen Blutmai...
"Es galt, gleich nach Versailles zu marschieren" - für die Aufständischen, die das "törichte" (September 1870) Unternehmen begonnen hatten, den Himmel zu stürmen.
"Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen" im Dezember 1905 um sich mit Gewalt gegen die ersten Anschläge auf die eroberten Freiheiten zu wehren...
Wahrhaftig, Plechanow verglich sich nicht umsonst mit Marx! Marx fährt in seiner technischen Kritik fort: "Zweiter Fehler: Das Zentralkomitee" (man beachte, daß hier die militärische Leitung gemeint ist, es handelt sich um das Zentralkomitee der Nationalgarde) "gab seine Macht zu früh auf..."
Marx verstand es, die Führer vor einem verfrühten Aufstand warnen. Dem himmelstürmenden Proletariat gegenüber aber war er ein praktischer Ratgeber, ein Teilnehmer am Kampf der Massen, die ungeachtet der falschen Theorien und der Fehler Blanquis und Proudhons die ganze Bewegung auf eine höhere Stufe hoben.
"Wie dem auch sei", schreibt er, "diese jetzige Erhebung von Paris - wenn auch unterliegend vor den Wölfen, Schweinen und gemeinen Hunden der alten Gesellschaft - ist die glorreichste Tat unserer Partei seit der Pariser Juniinsurrektion."
Und ohne vor dem Proletariat auch nur einen einzigen Fehler der Kommune zu verheimlichen, widmete Marx dieser glorreichen Tat ein Werk, das bis auf den heutigen Tag die beste Anleitung zum Sturm des "Himmels" - und das fürchterlichste Schreckgespenst für die liberalen und radikalen "Schweine" ist.
Plechanow widmete dem Dezember ein ´Werk´, das fast zum Evangelium der Kadetten geworden ist.
Jaja, Plechanow verglich sich nicht umsonst mit Marx! Kugelmann antwortete Marx offenbar mit irgendwelchen Äußerungen des Zweifels und mit Hinweisen auf die Aussichtslosigkeit der Sache, auf den Realismus im Gegensatz zur Romantik, zumindest verglich er die Kommune, einen Aufstand, mit der friedlichen Pariser Demonstration vom 13.Juni 1849.
Sofort (am 17. April 1871) wird Kugelmann dafür von Marx nachdrücklichst abgekanzelt:
"Die Weltgeschichte", schreibt er, "wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde."
Im September 1870 hatte Marx den Aufstand eine Torheit genannt. Als sich aber die Massen erhoben, will Marx mit ihnen marschieren, mit ihnen zusammen im Kampfe lernen, nicht aber kanzleimäßige Belehrungen verlesen. Er begreift, daß ein Versuch, die Chancen im voraus mit absoluter Präzision zu berechnen, entweder Scharlatanerie oder hoffnungslose Pedanterie wäre. Über alles stellt er die Tatsache, daß die Arbeiterklasse heldenmütig, aufopferungsvoll, initiativ Weltgeschichte macht. Marx betrachtete diese Geschichte vom Standpunkt derer, die sie machen, ohne die Möglichkeit zu haben, die Chancen unfehlbar im voraus zu berechnen, nicht aber vom Standpunkt des spießerhaften Intellektuellen, der da moralisiert: "Es war leicht vorauszusehen (...) Man hätte nicht (
)greifen sollen."
Marx vermochte auch zu erkennen, daß es Augenblicke in der Geschichte gibt, wo ein verzweifelter Kampf der Massen sogar für eine aussichtslose Sache notwendig ist um der weiteren Erziehung dieser Massen und ihrer Vorbereitung zum nächsten Kampf willen.
Unseren heutigen Quasi-Marxisten, die so gern Marx zu Unrecht zitieren, nur um von ihm die Einschätzung der Vergangenheit zu entlehnen, nicht aber die Fähigkeit zur Gestaltung der Zukunft, ist eine solche Fragestellung völlig unverständlich, ja sogar im Prinzip fremd. Plechanow hat an diese Fragestellung nicht einmal gedacht, als er sich nach dem Dezember 1905 an die Aufgabe machte, zu "bremsen" ...
Marx wirft jedoch gerade diese Frage auf, ohne im geringsten zu vergessen, daß er selber im September 1870 einen Aufstand als Torheit bezeichnet hatte.
"Die bürgerlichen Kanaillen von Versailles", schreibt er, "stellten die Pariser in die Alternative, den Kampf aufzunehmen oder ohne Kampf zu erliegen. Die Demoralisation der Arbeiterklasse in dem letzteren Fall wäre ein viel größres Unglück gewesen als der Untergang einer beliebigen Anzahl von ´Führern´."
Damit wollen wir unsere kurze Übersicht über die Lehren schließen, die Marx in den Briefen an Kugelmann über eine des Proletariats würdige Politik erteilt.
Die Arbeiterklasse Rußlands hat schon einmal bewiesen und wird noch öfters beweisen, daß sie fähig ist, "den Himmel zu stürmen".
3. DIE LEHREN DER KOMMUNE
zu diesem Text
Nach dem Staatsstreich, der den Abschluß der Revolution von 1848 bildet, geriet Frankreich für 18 Jahre unter das Joch des Napoleonschen Regimes. Dieses Regime brachte dem Lande nicht nur wirtschaftlichen Ruin, sondern auch nationale Erniedrigung. Das Proletariat, das sich gegen das alte Regime erhob, übernahm zwei Aufgaben: eine gesamtnationale und eine Klassenaufgabe: Befreiung Frankreichs von der Invasion der Deutschen und sozialistische Befreiung der Arbeiter vom Kapitalismus. Diese Verbindung zweier Aufgaben ist das eigenartigste Merkmal der Kommune.
Die Bourgeoisie bildete damals eine ´Regierung der nationalen Verteidigung´, und das Proletariat sollte unter der Leitung dieser Regierung für die gesamt-nationale Unabhängigkeit kämpfen. In Wirklichkeit aber war es eine Regierung des ´Volksverrats´, die ihre Aufgabe in der Bekämpfung des Pariser Proletariats erblickte. Das Proletariat jedoch, von patriotischen Illusionen geblendet, sah dies nicht. Der patriotische Gedanke stammt noch aus der Zeit der Großen Französischen Revolution des 18. Jahrhunderts; er beherrschte den Geist der Sozialisten der Kommune, und Blanqui z. B., ein unzweifelhafter Revolutionär und feuriger Anhänger des Sozialismus fand für seine Zeitung keinen passenderen Namen als den bürgerlichen Alarmruf: ´Das Vaterland in Gefahr!´
In der Verbindung gegensätzlicher Aufgaben - des Patriotismus und des Sozialismus - lag der verhängnisvolle Fehler der französischen Sozialisten. Bereits im Manifest der Internationale, September 1870, warnte Marx das französische Proletariat vor der Begeisterung für den falschen nationalen Gedanken : Seit der großen Revolution haben sich tiefe Wandlungen vollzogen, die Klassengegensätze haben sich verschärft, und wenn damals der Kampf gegen die Reaktion ganz Europas die Gesamtheit der revolutionären Nation zusammenengeschweißt hat, so darf heute das Proletariat nicht mehr seine Interessen mit den Interessen anderer, ihm feindlicher Klassen verbinden; mag die Bourgeoisie für die nationale Erniedrigung die Verantwortung tragen - Sache des Proletariats ist es, für die sozialistische Befreiung der Arbeit vom Joche der Bourgeoisie zu kämpfen.
Und in der Tat: das wahre Wesen des bürgerlichen ´Patriotismus´ trat gar bald zu Tage. Nach dem Abschluß eines schmachvollen Friedens mit den Preußen ging die Versailler Regierung an ihre unmittelbare Aufgabe heran - und unternahm einen Überfall auf die gefürchtete Bewaffnung des Pariser Proletariats. Die Arbeiter beantworteten ihn mit der Proklamierung der Kommune und mit dem Bürgerkrieg.
Obwohl das sozialistische Proletariat in mehrere Sekten gespalten war, war die Kommune ein glänzendes Beispiel dafür, wie einmütig das Proletariat demokratische Aufgaben zu verwirklichen versteht, die die Bourgeoisie nur zu proklamieren fähig war. Ohne jede komplizierte spezielle Gesetzgebung, ganz einfach, faktisch führte das Proletariat, das die Macht ergriff, die Demokratisierung der Gesellschaftsordnung durch:
- es hob die Bürokratie auf,
- verwirklichte die Wahl der Beamten durch das Volk.
Jedoch vernichteten zwei Fehler die Früchte des glänzenden Sieges. Das Proletariat blieb auf halbem Wege stehen:
- Statt die ´Expropriation der Expropriateure´ in Angriff zu nehmen, gab es sich Träumen hin über die Verwirklichung der höchsten Gerechtigkeit in einem durch eine gesamtnationale Aufgabe geeinigten Lande. Solche Einrichtungen z. B. wie die Bank wurden nicht in Besitz genommen, die proudhonistischen Theorien des ´gerechten Austausches´ usw. herrschten noch unter den Sozialisten.
- Der zweite Fehler war der übermäßige Großmut des Proletariats: Es hätte seine Feinde vernichten sollen, stattdessen aber bemühte es sich, sie moralisch zu beeinflussen; es mißachtete die Bedeutung rein militärischer Aktionen im Bürgerkrieg, und anstatt seinen Pariser Sieg durch eine energische Offensive gegen Versailles zu krönen, zögerte es und gab so der Versailler Regierung Zeit, die finsteren Kräfte zu sammeln und zu der blutigen Maiwoche zu rüsten.
Aber bei all ihren Fehlern bietet die Kommune das höchste Beispiel der größten proletarischen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Marx schätzte die historische Bedeutung der Kommune sehr hoch ein -
- hätten die Arbeiter während des verräterischen Überfalls der Versailler Bande auf die Waffen des Pariser Proletariats sich diese widerstandslos entreißen lassen, so wäre die verhängnisvolle Wirkung der durch eine solche Schwäche verursachten Demoralisation der proletarischen Bewegung um ein Vielfaches größer gewesen als der Schaden von den Verlusten, die die Arbeiterklasse im Kampfe für die Verteidigung ihrer Waffen erlitten hat.
- Wie groß die Opfer der Kommune auch sind, sie werden aufgewogen durch ihre Bedeutung für den allgemein-proletarischen Kampf:
- Die Kommune hat die sozialistische Bewegung in Europa in Fluß gebracht,
- hat die Kraft des Bürgerkrieges gezeigt,
- die patriotischen Illusionen zerstreut und den naiven Glauben an die gesamtnationalen Bestrebungen der Bourgeoisie vernichtet.
- Die Kommune hat das europäische Proletariat gelehrt, die Aufgaben der sozialistischen Revolution konkret zu stellen.
-
Die Lehren, die das Proletariat erhalten hat, werden nicht vergessen werden.
- Die Arbeiterklasse wird sie nützen, wie sie das bereits in Rußland während des Dezember-Aufstandes getan hat.
Die Epoche, die der russischen Revolution vorausging, die sie vorbereitete, weist einige Ähnlichkeit auf mit der Zeit des Napoleonschen Jochs in Frankreich. Auch in Rußland brachte die absolutistische Clique über das Land die Schrecken des wirtschaftlichen Ruins und der nationalen Erniedrigung. Doch lange Zeit hindurch - solange die Soziale Entwicklung nicht die Voraussetzungen für die Massenbewegung geschaffen hatte - konnte die Revolution nicht ausbrechen, und trotz ihres Heldenmutes zerschellten die isolierten Angriffe gegen die Regierung in der vorrevolutionären Periode an der Gleichgültigkeit der Volksmassen. Nur die Sozialdemokratie hat es verstanden, durch zähe und planmäßige Arbeit die Massen zu den höchsten Kampfformen zu erziehen - zu Massenaktionen und zum bewaffneten Bürgerkrieg.
Sie hat es verstanden,
- in dem jungen Proletariat die ´gesamtnationalen´ und ´patriotischen´ Verirrungen zu zerschlagen,
- und nachdem es dem Proletariat, mit ihrer unmittelbaren Einmischung, gelungen war, dem Zaren das Manifest vom 17. Oktober zu entreißen,
- ging es an die energische Vorbereitung der weiteren unausbleiblich Etappe der Revolution - des bewaffneten Aufstands.
- Von ´gesamtnationalen´ Illusionen frei, konzentrierte es seine Klassenkräfte in seinen Massenorganisationen - den Arbeiter- und Soldatenräten usw.
- Und trotz des ganzen Unterschieds der Ziele und der Aufgaben der russischen Revolution im Vergleich zur französischen von 1871, mußte das russische Proletariat zu derselben Kampfmethode greifen, die in der Pariser Kommune ihren Anfang genommen hatte - zum Bürgerkrieg.
- Ihrer Lehren eingedenkt, wußte das Proletariat, daß es auch friedliche Kampfmittel nicht verachten dürfe - sie dienen seinen alltäglichen Interessen, sie sind in den vorbereitenden Perioden der Revolution notwendig -
- doch niemals darf es vergessen, daß der Klassenkampf unter bestimmten Voraussetzungen die Form des bewaffneten Kampfes und des Bürgerkrieges annimmt,
- es gibt Augenblicke, wo die Interessen des Proletariats die rücksichtslose Vernichtung der Feinde in offener Schlacht verlangen.
- In der Kommune hat es das französische Proletariat zum erstenmal gezeigt,
- im Dezember-Aufstand hat es das russische Proletariat glänzend bestätigt.
- Sind die beiden gewaltigen Aufstände der Arbeiterklasse auch niedergeschlagen -
- es kommt ein neuer Aufstand, dem gegenüber die Kräfte der Feinde des Proletariats sich als schwach erweisen werden
- und aus dem das sozialistische Proletariat mit einem vollen Siege hervorgehen wird.
4. DEM ANDENKEN DER KOMMUNE
zu diesem Text
Vierzig Jahre sind seit Proklamierung der Pariser Kommune vergangen. In traditioneller Weise hat das französische Proletariat durch Versammlungen und Demonstrationen das Andenken an die Männer der Revolution des 18. März 1871 geehrt; Ende Mai wird es wieder Kränze zu den Gräbern der erschossenen Kommunarden, der Opfer der grauenvollen ´Maiwoche´, tragen und an ihren Gräbern erneut den Schwur leisten, ohne Ruh und Rast zu kämpfen bis zum vollkommenen Triumph ihrer Ideen, bis zur vollständigen Erfüllung ihres Vermächtnisses.
Wie kommt es, daß das Proletariat, nicht nur das französische, sondern das der ganzen Welt, in den Männern der Pariser Kommune seine Vorläufer ehrt? Und worin besteht das Erbe der Kommune?
- Die Kommune entstand spontan;
- niemand hatte sie bewußt und planmäßig vorbereitet.
- Der verlorene Krieg gegen Deutschland,
- die Entbehrungen während der Belagerung,
- die Arbeitslosigkeit unter dem Proletariat
- und der Ruin des Kleinbürgertums;
- die Entrüstung der Massen über die oberen Klassen und über die Behörden,
- die ihre völlige Unfähigkeit erwiesen hatten,
- das dumpfe Gären in den Reihen der Arbeiterklasse,
- die mit ihrer Lage unzufrieden war
- und eine andere soziale Ordnung anstrebte;
- die reaktionäre Zusammensetzung der Nationalversammlung, die für das Schicksal der Republik fürchten ließ
- - alles dieses und noch vieles andere traf zusammen
- und trieb die Pariser Bevölkerung zur Revolution des 18. März,
- die unerwartet die Macht in die Hände der Nationalgarde,
- in die Hände der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums, das sich dieser angeschlossen hatte, legte.
Es war ein in der Geschichte noch nie dagewesenes Ereignis.
-
Bis dahin pflegte die Macht in den Händen der Gutsbesitzer und Kapitalisten zu liegen,
- d. h. in den Händen ihrer Vertrauensleute, die die sogenannte Regierung bildeten.
- Nach der Revolution des 18. März aber, als die Regierung des Herrn Thiers mit ihren Truppen, ihrer Polizei und ihren Beamten aus Paris geflohen war,
- blieb das Volk Herr der Lage, und die Macht ging auf das Proletariat über.
- In der modernen Gesellschaft kann aber das vom Kapital wirtschaftlich versklavte Proletariat nicht politisch herrschen, ohne die Ketten zerbrochen zu haben, die es an das Kapital fesseln.
- Aus diesem Grunde mußte die Bewegung der Kommune unvermeidlich eine sozialistische Färbung erhalten, d. h. mußte sie dazu übergehen, den Sturz der Bourgeoisieherrschaft des Kapitals, die Vernichtung der eigentlichen Grundlagen der modernen Gesellschaftsordnung anzustreben.
Zunächst war diese Bewegung äußerst bunt und unbestimmt.
- Ihr schlossen sich die Patrioten an, in der Hoffnung, daß die Kommune den Krieg gegen die Deutschen wieder aufnehmen und ihn zu einem glücklichen Ende führen werde.
- Sie fand die Unterstützung der Kleinhändler, denen der Ruin drohte, falls die Einlösung der Wechsel und die Bezahlung der Wohnungsmieten nicht gestundet werden sollte (diese Stundung wollte ihnen die Regierung nicht gewähren, die Kommune tat es).
- Endlich sympathisierten in der ersten Zeit der Bewegung auch die bürgerlichen Republikaner, die die Befürchtung hegten, daß die reaktionäre Nationalversammlung (die ´Hinterwäldler´, die ungehobelten Gutsbesitzer ) die Monarchie wieder herstellen würde.
- Die Hauptrolle jedoch spielten in dieser Bewegung natürlich die Arbeiter (insbesondere die Pariser Handwerker), unter denen in den letzten Jahren des Zweiten Kaiserreiches eine eifrige sozialistische Propaganda betrieben worden war und von denen viele sogar der Internationale angehörten.
- Nur die Arbeiter blieben bis zuletzt der Kommune treu.
- Die bürgerlichen Republikaner und die Kleinbürger trennten sich bald von ihr,
- die einen wurden abgeschreckt durch den revolutionär-sozialistischen, proletarischen Charakter der Bewegung,
- die anderen zogen sich zurück, als sie sahen, daß die Bewegung zu einer unabwendbaren Niederlage verurteilt war.
- Nur die französischen Proletarier unterstützten ohne Furcht und rastlos ihre Regierung,
nur sie kämpften und starben für sie, d. h. für die Sache der Befreiung der Arbeiterklasse, für eine bessere Zukunft aller Werktätigen.
Die von ihren Verbündeten von gestern verlassene und von niemand unterstützte Kommune war unvermeidlich der Niederlage geweiht.
- Die ganze Bourgeoisie Frankreichs, alle Gutsbesitzer, Börsenjobber, Fabrikanten,
- alle großen und kleinen Diebe,
- alle Ausbeuter hatten sich gegen sie verbündet.
- Dieser bürgerlichen Koalition, die von Bismarck unterstützt wurde (der zur Niederringung des revolutionären Paris 100 000 französische Soldaten aus der deutschen Gefangenschaft entließ), gelang es,
- die unaufgeklärten Bauern und Kleinbürger in der Provinz gegen das Pariser Proletariat aufzuhetzen
- und halb Paris mit einem eisernen Ring zu umklammern (die zweite Hälfte war von der deutschen Armee eingeschlossen).
- In einigen Großstädten Frankreichs (Marseille, Lyon, St. Etienne, Dijon u. a unternahmen die Arbeiter gleichfalls Versuche, die Macht zu ergreifen, die Kommune zu proklamieren und Paris zu Hilfe zu eilen, aber diese Versuche scheiterten rasch.
- So blieb Paris, das als erstes das Banner des proletarischen Aufstandes erhoben hatte, sich selbst überlassen und dem sicheren Untergang geweiht.
Zur siegreichen sozialen Revolution bedarf es mindestens zwei Vorbedingungen:
- einer hohen Entwicklungsstufe der Produktivkräfte und
- der Reife des Proletariats.
1871 fehlten jedoch diese beiden Vorbedingungen.
- Der französische Kapitalismus war noch wenig entwickelt,
- Frankreich war damals ein vorwiegend kleinbürgerliches Land (ein Land der Handwerker, Bauern, Krämer u. a.).
- Auf der anderen Seite war keine Arbeiterpartei vorhanden,
- es fehlte die Vorbereitung und die lange Schulung der Arbeiterklasse, die in ihrer Masse sich nicht einmal ganz klar ihre Aufgaben und die Methode ihrer Verwirklichung vorstellte.
- Weder war eine ernsthafte politische Organisation des Proletariats noch waren starke Gewerkschaften und Genossenschaften vorhanden
Was aber der Kommune vor allem fehlte,
- war die Zeit, sich auf sich selbst zu besinnen und an die Verwirklichung ihres Programms zu gehen.
- Kaum hatte die Kommune ihre Arbeit begonnen,
- als die Regierung, die ihren Sitz nach Versailles verlegt hatte und von der gesamten Bourgeoisie unterstützt wurde,
- die militärischen Operationen gegen Paris eröffnete.
- So mußte denn die Kommune in erster Linie an die Selbstverteidigung denken.
- Und bei ihrem Ende, am 21 - 28. Mai, hatte sie nicht die Zeit, an anderes ernstlich zu denken.
Im übrigen vermochte die Kommune, trotz der so ungünstigen Umstände, trotz der Kürze ihres Bestehens, einige Maßnahmen zu treffen, die ihren wahren Sinn und ihre Ziele zur Genüge kennzeichnen.
- Die Kommune ersetzte das stehende Heer, dieses blinde Werkzeug in den Händen der herrschenden Klassen, durch die allgemeine Volksbewaffnung;
- sie proklamierte die Trennung von Kirche und Staat,
- sie strich den Etat für Kultuszwecke (d. h. die staatlichen Gehälter der Pfaffen),
- sie verlieh der Volksbildung einen rein weltlichen Charakter
- und versetzte hierdurch den Gendarmen im Ornat einen empfindlichen Schlag.
- Auf rein sozialem Gebiet vermochte die Kommune nur wenig zu tun;
- aber auch dieses Wenige offenbart mit genügender Klarheit ihren Charakter als Volks-, als Arbeiterregierung:
- Verboten wurde die Nachtarbeit in den Bäckereien,
- aufgehoben das System der Geldstrafen, diese zum Gesetz erhobene Ausplünderung der Arbeiterschaft;
- verkündet wurde schließlich das berühmte Dekret, nach dem alle Fabriken, Betriebe und Werkstätten, die von ihren Besitzern verlassen oder stillgelegt worden waren, an Arbeitergenossenschaften zur Wiederaufnahme der Produktion übergeben wurden.
- Gleichsam, um ihren Charakter einer wahrhaft demokratischen, proletarischen Regierung zu betonen, setzte die Kommune fest, daß die Gehälter aller Verwaltungs- und Regierungsbeamten den normalen Arbeitslohn nicht überschreiten und unter keinen Umständen höher als 6ooo Frank im Jahr sein dürften.
Alle diese Maßnahmen zeugten mit genügender Deutlichkeit davon, daß die Kommune eine Lebensgefahr für die alte, auf Knechtung und Ausbeutung beruhende Welt bedeutete. Die bürgerliche Gesellschaft konnte daher nicht ruhig schlafen, solange auf dem Pariser Rathause die rote Fahne des Proletariats wehte. Und als es endlich der organisierten Regierungsmacht gelungen war, die schlecht organisierte Macht der Revolution zu überwältigen, veranstalteten die von den Deutschen geschlagenen und nur gegen ihre besiegten Landsleute tapferen bonapartistischen Generale, diese französischen Rennenkampfs und Möller-Sakomelskis ein Gemetzel, wie es Paris noch nie gesehen hatte.
- Gegen 30.000 Pariser wurden von der vertierten Soldateska ermordet,
- rund 45.000 wurden verhaftet
- und viele von diesen später hingerichtet,
- Tausende wurden zu Zuchthaus und Verbannung verurteilt.
- Paris verlor insgesamt etwa 100 000 seiner Söhne,
- darunter die besten Arbeiter aus allen Berufen.
Die Bourgeoisie war zufrieden.
"Jetzt ist es mit dem Sozialismus für lange Zeit aus!" erklärte ihr Führer, der blutgierige Zwerg Thiers, nach dem Blutbad, das er mit seinen Generalen dem Pariser Proletariat bereitet hatte. Doch vergebens hatten diese bürgerlichen Raben gekrächzt.
- Kaum sechs Jahre nach Niederschlagung der Kommune,
- als viele Kämpfer noch im Zuchthaus und in der Verbannung schmachteten,
- setzte bereits in Frankreich eine neue Arbeiterbewegung ein.
- Eine neue sozialistische Generation,
- bereichert durch Erfahrungen ihrer Vorgänger,
- doch keineswegs entmutigt durch die Niederlage,
- griff das Banner auf, das den Händen der Kommunekämpfer entfallen war,
- und trug es zuversichtlich und mutig vor unter den Rufen:
-
"Es lebe die soziale Revolution! Es lebe die Kommune!"
- Und noch ein paar Jahre später zwang die neue Arbeiterpartei und die von ihr im Lande entfachte Agitation die herrschenden Klassen, die gefangenen Kommunarden, die noch in den Klauen der Regierung verblieben waren, auf freien Fuß zu setzen.
Das Andenken an die Kommunekämpfer wird nicht nur von den französischen Arbeitern, sondern auch vom Proletariat der ganzen Welt in Ehren gehalten.
- Denn die Kommune kämpfte nicht im Namen irgendeiner lokalen oder eng-nationalen Aufgabe,
- sondern die Befreiung der gesamten werktätigen Menschheit, aller Erniedrigten und Beleidigten.
- Als Vorkämpfer der sozialen Revolution gewann die Kommune die Sympathien überall dort, wo es ein leidendes und kämpfendes Proletariat gibt.
- Das Bild ihres Lebens und Strebens, der Anblick einer Arbeiterregierung, die mehr als zwei Monate lang von der Hauptstadt der Welt Besitz ergriffen und sie behauptet hatte, das Schauspiel des heldenmütigen Kampfes des Proletariats und seiner Leiden nach der Niederlage -
- dies alles hob den Mut von Millionen Arbeitern, weckte in ihnen Hoffnungen und führte ihre Sympathien dem Sozialismus zu.
- Der Donner der Pariser Kanonen hat die rückständigsten Schichten des Proletariats aus ihrem tiefen Schlaf geweckt und überall als Ansporn zur Verstärkung der revolutionär-sozialistischen Propaganda gedient.
- Darum ist das Werk Kommune nicht tot; es lebt bis auf den heutigen Tag in jedem von uns fort.
-
Die Sache der Kommune ist die Sache der sozialen Revolution,
- die Sache der völligen politischen und wirtschaftlichen Befreiung der Werktätigen,
- die Sache des Weltproletariats.
- Und in diesem Sinne ist sie unsterblich.
5. ÜBER DIE DOPPELHERRSCHAFT
zu diesem Text
Die Grundfrage jeder Revolution ist die Frage der Macht im Staate. Ohne Klärung dieser Frage kann von keiner wie immer gearteten bewußten Teilnahme an der Revolution die Rede sein, von einer Führung derselben ganz zu schweigen.
Die höchst bemerkenswerte Eigenart unserer Revolution besteht darin, daß sie eine Doppelherrschaft geschaffen hat. Über diese Tatsache muß man sich vor allem klarwerden; bevor man sie nicht begriffen hat, kann man nicht vorwärtsschreiten. So muß man z. B. die alten ´Formeln´ des Bolschewismus zu ergänzen und zu korrigieren verstehen, da sie zwar, wie sich gezeigt hat, im allgemeinen richtig waren, ihre konkrete Anwendung sich aber anders gestaltete. An Doppelherrschaft hat früher niemand gedacht und konnte niemand denken.
Worin besteht die Doppelherrschaft?
- Darin, daß sich neben der Provisorischen Regierung, der Regierung der Bourgeoisie,
- eine noch schwache, erst in Keimform vorhandene, aber dennoch unzweifelhaft wirklich existierende und erstarkende andere Regierung herausgebildet hat: die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten.
Wie ist diese andere Regierung klassenmäßig zusammengesetzt?
- Aus dem Proletariat und der (in Soldatenröcke gesteckten) Bauernschaft.
Welcherart ist der politische Charakter dieser Regierung?
- Sie ist eine revolutionäre Diktatur,
- d. h. eine Macht, die sich unmittelbar auf die revolutionäre Machtergreifung stützt,
- auf die unmittelbare Initiative der Volksmassen von unten,
- und nicht auf ein von einer zentralisierten Staatsmacht erlassenes Gesetz.
- Sie ist eine Macht von ganz anderer Art als die in der parlamentarischen bürgerlich-demokratischen Republik des bisher allgemein üblichen, in den fortgeschrittenen Ländern Europas und Amerikas herrschenden Typus.
Diesen Umstand läßt man oft außer acht, denkt oft nicht genug über ihn nach, während das gerade der springende Punkt ist.
Diese Macht ist eine Macht von demselben Typus, wie es die Pariser Kommune von 1871 war. Die Grundmerkmale dieses Typus sind:
- Quelle der Macht ist nicht das vorher vom Parlament beratene und beschlossene Gesetz, sondern die direkte, von unten kommende Initiative der Volksmassen im Lande, die direkte ´Machtergreifung´, um diesen landläufigen Ausdruck zu gebrauchen;
- Ersetzung von Polizei und Armee als vom Volke getrennte und dem Volke entgegengestellte Institutionen durch die direkte Bewaffnung des ganzen Volkes; die Staatsordnung wird unter einer solchen Macht von den bewaffneten Arbeitern und Bauern selbst, vom bewaffneten Volke selbst geschützt;
- ebenso wird die Beamtenschaft, die Bürokratie, entweder durch die unmittelbare Herrschaft des Volkes selbst ersetzt oder zumindest unter besondere Kontrolle gestellt; die Beamten verwandeln sich in nicht nur wählbare, sondern auch auf die erste Forderung des Volkes hin absetzbare Personen, ihre Rolle wird auf die von einfachen Bevollmächtigten reduziert: Aus einer privilegierten Schicht mit hoher, bourgeoiser Bezahlung ihrer ´Pöstchen´ verwandeln sie sich in Arbeiter einer besonderen ´Waffengattung´, deren Entlohnung nicht höher ist als der übliche Lohn eines guten Arbeiters.
Darin und nur darin besteht das Wesen der Pariser Kommune als eines besonderen Staatstypus. Dieses Wesen haben die Herren Plechanow (die offenen Chauvinisten, die den Marxismus verraten haben), die Kautsky (die ´Zentristen´, d. h. die zwischen Chauvinismus und Marxismus Schwankenden) und überhaupt alle gegenwärtig herrschenden Sozialdemokraten, Sozialrevolutionäre usw. vergessen bzw. entstellt.
- Man sucht mit Phrasen loszukommen,
- hüllt sich in Schweigen,
- macht Ausflüchte,
- beglückwünscht einander tausendmal zur Revolution
- und will nicht darüber nachdenken, was denn die Sowjets Arbeiter- und Soldatendeputierten sind.
- Man will die offensichtliche Wahrheit nicht sehen, daß,
- inwieweit diese Sowjets bestehen,
- inwieweit sie eine Staatsmacht sind,
- insoweit in Rußland ein Staat vom Typus der Pariser Kommune besteht.
Ich betone: ´inwieweit´. Denn sie sind erst die Keime einer Staatsmacht. Sowohl durch ein direktes Abkommen mit der bürgerlichen Provisorischen Regierung als auch durch eine Reihe faktischer Zugeständnisse lieferte und liefert diese Macht selber ihre Positionen an die Bourgeoisie aus.
Warum?
- Etwa weil die Tschcheldse, Zereteli, Steklow und einen ´Fehler´ begehen? Unsinn.
- So kann ein Spießer denken, nicht aber ein Marxist.
- Der Grund ist das ungenügende Klassenbewußtsein und die ungenügende Organisiertheit der Proletarier und Bauern.
- Der ´Fehler´ der genannten Führer liegt in ihrer kleinbürgerlichen Haltung,
- liegt darin, daß sie das Bewußtsein der Arbeiter trüben, anstatt es zu klären,
- daß sie kleinbürgerliche Illusionen einflößen, statt sie zu zerstören,
- daß sie den Einfluß der Bourgeoisie auf die Massen stärken, anstatt die Massen von diesem Einfluß zu befreien.
Daraus sollte schon klar sein, warum auch unsere Genossen viele Fehler begehen, wenn sie ganz ´einfach´ die Frage stellen:
soll
die Provisorische Regierung sofort gestürzt werden?
Ich antworte:
- sie muß gestürzt werden, denn sie ist eine oligarchische, bürgerliche Regierung und keine Volksregierung; sie kann weder Frieden noch Brot, noch volle Freiheit geben;
- sie kann je nicht gestürzt werden, denn sie hält sich durch ein direktes und indirektes, formelles und faktisches Abkommen mit den Sowjets der Arbeiterdeputierten, vor allem aber mit dem wichtigsten, dem Petrograder Sowjet;
- sie kann überhaupt nicht auf dem gewöhnlich Wege ´gestürzt´ werden, denn sie basiert auf der ´Unterstützung´ der Bourgeoisie durch die zweite Regierung, durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten; diese Regierung aber ist die einzig mögliche revolutionäre Regierung, die unmittelbar das Bewußtsein und den Willen der Mehrheit der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck bringt. Einen höheren, besseren Typus der Regierung als die Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten hat die Menschheit nicht hervorgebracht und kennen wir bisher nicht.
Um zur Staatsmacht zu werden, müssen die klassenbewußten Arbeiter die Mehrheit für sich gewinnen:
- Solange den Massen gegenüber keine Gewalt angewendet wird, gibt es keinen anderen Weg zur Macht.
- Wir sind keine Blanquisten, keine Anhänger der Machtergreifung durch eine Minderheit.
- Wir sind Marxisten, Anhänger des proletarischen Klassenkampfes gegen den kleinbürgerlichen Taumel,
- gegen den Chauvinismus und die Vaterlandsverteidigung,
- gegen die Phrase, gegen die Abhängigkeit von der Bourgeoisie.
-
Schaffen wir eine proletarische kommunistische Partei;
- Elemente einer solchen Partei haben die besten Anhänger des Bolschewismus bereits geschaffen;
- schließen wir uns zur proletarischen Klassenarbeit zusammen,
- und von den Proletariern, von den armen Bauern wird sich eine größere und immer größere Zahl auf unsere Seite stellen.
- Denn das Leben wird tagtäglich die kleinbürgerlichen Illusionen der ´Sozialdemokraten´, der Tschcheydse, Zereteli, Steklow usw., der ´Sozialrevolutionäre´, der Kleinbürger noch ´reineren´ Wassers, usw. usf. zerschlagen.
-
Die Bourgeoisie ist für die Alleinherrschaft der Bourgeoisie.
-
Die klassenbewußten Arbeiter sind für die Alleinherrschaft der Sowjets der Arbeiter-, Landarbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten,
- für die Alleinherrschaft, die vorbereitet wird durch die Klärung des proletarischen Klassenbewußtseins,
- durch seine Befreiung vom Einfluß der Bourgeoisie, nicht aber durch Abenteuer.
- Das Kleinbürgertum - die ´Sozialdemokraten´, die Sozialrevolutionäre usw. usf. - schwankt und behindert diese Klärung, diese Befreiung.
Das ist das tatsächliche, klassenmäßige Kräfteverhältnis, das unsere Aufgaben bestimmt.
Anmerkungen
Dieser in Nr. 8 des von LENIN herausgegebenen bolschewistischen Organs ´Proletarij´ vom 17. (4.) Juli 1905 erschienene Artikel wurde ursprünglich LENIN selbst zugeschrieben. Im Anhang der zweiten russischen Ausgabe der Werke Lenins (hier: W. 1. LENIN, Sämtliche Werke - nach der zweiten russischen Ausgabe - Bd. VIII, Wien/Berlin 1931, S. 6o5 - 610) wird jedoch mitgeteilt, daß nach den neuesten Forschungen der Verfasser des Artikels unbekannt sei. Aus dem inzwischen aufgefundenen Manuskript gehe aber hervor, daß LENIN den Schlußteil geschrieben habe, deshalb werde der ganze Artikel unter den ´Dokumenten und Materialien´ veröffentlicht. KLAUS MESCHKAT weist jedoch ganz richtig darauf hin, daß im ´Proletarij´ kaum ein wichtiger Beitrag ohne die Zustimmung LENINS erscheinen konnte, am wenigsten ein Artikel, den er selbst ergänzte. Man darf daher annehmen, daß der ganze Aufsatz den damaligen Auffassungen LENINS entspricht; dies ist um so wahrscheinlicher, als inhaltlich die Losung ´Selbständige Organisation des Proletariats´ aus der drei Monate zurückliegenden Vorlesung über die Kommune (s. vorl. Texte, S. 59) aufgegriffen und expliziert wird. (Vgl. KLAUS MESCHKAT, Die Pariser Kommune von 1871 im Spiegel der sowjetischen Geschichtsschreibung, Berlin 1965, S. 238, Anm 12.)
JAECKH, GUSTAV, Die Internationale, Leipzig 1904. In seiner ´Denkschrift zur siebenjährigen Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation´ hatte JAECKH die kleinbürgerliche Majorität der Pariser Kommune und die anfänglichen Sympathien breiter Schichten aus dem Bürgertum beschrieben. Er betont, daß die IAA immer ihre selbständige Haltung gegenüber der Kommune bewahrt habe, obwohl ihre Mitglieder aktiv in den Organen der Kommune mitgearbeitet hätten.
Das genannte Mitglied des Zentralkomitees hieß ANDRE ALAVOINE.
"Wer waren diese Leute? Die Agitatoren, die Revolutionäre von der Cordenie, die Sozialisten? Keineswegs. Es war kein einziger bekannter Name darunter. Sie alle waren Kleinbürger, Krämer, kleine Beamte, die den verschiedenen politischen Gruppierungen, ja bis dahin größtenteils der Politik selbst fremd gegenüberstanden." (LISSAGARAY, a. a. 0., S. 53 f)
P1NDY, L0UIS (18401917), Mitglied der Internationalen Arbeiterassoziation; Mitglied des Zentralkomitees der Nationalgarde, Mitglied der Kommune (für das III. Arrondissement), gehörte zur Minderheit; nach dem Fall der Kommune und nach seiner Flucht in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
JOURDE, FRANCOIS (18431893), Mitglied des Zentralkomitees der Nationalgarde, Mitglied der Kommune (für das V. Arrondissement), Delegierter der Kommune für Finanzen, nahm zusammen mit der Minderheit Stellung gegen den Wohlfahrtsausschuß; zur Deportation verurteilt, floh 1874 zusammen mit PASCHAL GROUSSET aus Neu-Kaledonien (s. Bd. I, Anm. 8); betätigte sich nach der Amnestie in der französischen Arbeiterpartei (1880-1891).
KARL MARX, Der Bürgerkrieg in Frankreich, s. vorl. Texte, S. 45.
VARLIN, s. Bd. I, Anm. 4; JOURDE, s. Anm. 166; BESLAY, s. Anm. 34; s. Anm. 165.
Assi (Assy), ADOLPHE ALPISONSE (18411886), Mitglied der Kommune (für das XI. Arrondissement).
MALON, BENOIT (18411893), Mitglied der Internationalen Arbeiterassoziation, 1871 in die französische Nationalversammlung gewählt, legte sein Mandat nieder und wurde in die Kommune gewählt (für das XVIII. Arrondissement), gehörte in der Kommune zur proudhonistischen Minderheit. S. auch Bd. I, Anm. 7.
FRANKEL, LEO, s. Anm. 92.
THEISZ (THEISS), A., Mitglied der Internationalen Arbeiterassoziation und Mitglied der Kommune (für das XVIII. Arrondissement), Leiter des Postwesens der Kommune.
DUPONT, ANTHIME EUGENE (etwa 18311881), Mitglied des Generalrats der Internationalen Arbeiterassoziation (18641872) und deren korrespondierenden Sekretär für Frankreich und Belgien; wurde am 16. April 1871 bei den Ergänztmgswahlen in die Kommune gewählt (für das XVII. Arrondissement).
AVRIEL (AVRIAL), AUGUSTIN, Mitglied der Pariser Kommune (für das XI. Arrondissement).
VESINIER (VESIMIER), PIERRE (18261902), französischer Journalist; Mitglied der Kommune (für das I. Arrondissement), vom Wohlfahrtsausschuß zum Leiter des ´Journal Officiel´ (s. Anm. 9) ernannt (12. Mai). VESINIER war 1868 auf dem Brüsseler Kongreß aus der Internationalen Arbeiterassoziation ausgeschlossen worden; nach seiner Emigration nach England Mitglied des Föderalistischen Weltrats, der gegen Marx und den Generalrat der IAA auftrat.
KARL MARX, Der Bürgerkrieg in Frankreich, s. vorl. Texte, S. 28 f.
FRIEDRICH ENGELS, Einleitung zu ´Der Bürgerkrieg in Frankreich´ von Karl Marx (Ausgabe 1891), s. vorl. Texte, S. 51 f.
MARTYNOW, A. (Pseud. für PIKKER), Ökonomist, aus dem Kreis um ´Rabocee Delo´ (Die Arbeitersache), der Zeitung des Auslandsbundes Russischer Sozialdemokraten. "Das ´Rabocee Delo´ schlug eine grundsätzlich ökonomistische Richtung ein, indem es die Anpassung der Kampfesmittel an den jeweils aktuellen Bewußtseinszustand der Arbeiterschaft postulierte und dem rein ökonomischen, trade-unionististischen Kampf den Vorrang vor dem politischen gab." (HARTMUT MEHRINGER [Hg.]: Leo Trotzki, Schriften zur revolutionären Organisation, Reinbek 1970, S. 255) - Vgl. auch LENINS Auseinandersetzung mit MARTYNOW in: W. 1. Lenin, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, Werke, Bd. 9, S. 112 ff.
S. von. Texte, Anhang, S. 140.
"Wenn Du das letzte Kapitel meines ´Achtzehnten Brumaire´ nachsiehst, wirst Du finden, daß ich als nächsten Versuch der französischen Revolution ausspreche, nicht mehr wie bisher die bürokratisch-miitärische Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, sondern sie zu zerbrechen, und dies ist die Vorbereitung jeder wirklichen Volksrevolution auf dem Kontinent. Dies ist auch der Versuch unserer heroischen Pariser Parteigenossen. Welche Elastizität, welche historische Initiative, welche Aufopferungsfähigkeit in diesen Parisern! Nach sechsmonatlicher Aushungerung und Verruinierung durch inneren Verrat noch mehr als durch den auswärtigen Feind, erheben sie sich, unter preußischen Bajonetten, als ob nie ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland existiert habe und der Feind nicht noch vor den Toren von Paris stehe! Die Geschichte hat kein Beispiel ähnlicher Größe! Wenn sie unterliegen, so ist nichts daran schuld als ihre ´Gutmütigkeit´. Es galt gleich nach Versailles zu marschieren, nachdem erst Vinoy, dann der reaktionäre Teil der Pariser Nationalgarde selbst das Feld geräumt hatte. Der richtige Moment wurde versäumt aus Gewissensskrupel. Man wollte den Bürgerkrieg nicht eröffnen, als ob der mischievous avorton Thiers den Bürgerkrieg nicht mit seinem Entwaffnungsversuch von Paris bereits eröffnet gehabt hätte! Zweiter Fehler: Das Zentralkomitee gab seine Macht zu früh auf, um der Kommune Platz zu machen. Wieder aus zu ehrenhafter Skrupulosität! Wie dem auch sei, diese jetzige Erhebung von Paris - wenn auch unterliegend vor den Wölfen, Schweinen und gemeinen Hunden der alten Gesellschaft - ist die glorreichste Tat unserer Partei seit der Juniinsurrektion. Man vergleiche mit diesen Himmelsstürmern von Paris die Himmelssklaven des deutsch-preußischen heiligen römischen Reiches mit seinen posthumen Maskeraden, duftend nach Kaserne, Kirche, Krautjunkertum und vor allem Philistertum." (MARX an L. KUGELMANN, 12. April 1871, MEW 33, S. 205 f)
´Der Mann im Futteral´ ist der Titelheld einer Erzählung von ANTON TSCHECHOW.
´Der neunmalweise Gründling´ ist der Titel eines russischen Märchens.
PLECHANOV, G. V. (18561918), einer der Begründer des Marxismus in Rußland; schloß sich 1883 in Genf mit Freunden zur ersten russischen marxistischen Gruppe mit dem Namen ´Befreiung der Arbeit´ (Osvobozdenie truda) zusammen; führender Theoretiker der Menscheviki. Der Ausspruch PLECHANOVS: "Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen", stammt aus dem Jahre 1905 (Dezember). S. G. V. PLECHANOV, Esce o nasem polozenii (Pism´o k tovariscu X.), in: Dnevnik social-demokrata Nr. 4; G. V. Plechanov, Socinenija tom 15, Moskau/Leningrad 1926, S. 12.
"Wie Du kleinbürgerliche Demonstrationen a la 13. Juni 1849 etc. mit dem jetzigen Kampf in Paris vergleichen kannst, ist mir völlig unbegreifbar. Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde. Sie wäre andrerseits sehr mystischer Natur, wenn ´Zufälligkeiten´ keine Rolle spielten. Die Zufälligkeiten fallen natürlich selbst in den Gang der allgemeinen Entwicklung und werden durch andre Zufälligkeiten wieder kompensiert. Aber Beschleunigung und Verzögerung sind sehr von solchen ´Zufälligkeiten´ abhängig -unter denen auch der ´Zufall´ des Charakters der Leute, die zuerst an der Spitze der Bewegung stehn, figuriert. Der entscheidend ungünstige ´Zufall´ ist diesmal keineswegs in den allgemeinen Bedingungen der französischen Gesellschaft zu suchen, sondern in der Anwesenheit der Preußen in Frankreich und ihrer Stellung dicht vor Paris. Das wußten die Pariser sehr gut. Das wußten aber auch die bürgerlichen Kanaillen von Versailles. Eben darum stellten sie die Pariser in die Alternative, den Kampf aufzunehmen oder ohne Kampf zu erliegen. Die Demoralisation der Arbeiterklasse in dem letzteren Fall wäre ein viel größeres Unglück gewesen als der Untergang einer beliebigen Anzahl von ´Führern´. Der Kampf der Arbeiterklasse mit der Kapitalistenklasse und ihrem Staat ist durch den Pariser Kampf in eine neue Phase getreten; Wie die Sache auch unmittelbar verlaufe, ein neuer Ausgangspunkt von welthistorischer Wichtigkeit ist gewonnen." (MARX an L, KUGELMANN, 17. April 1871, MEW 33, S. 209)
Erschienen in ´Zagranicnaja Gazeta´, Nr. 2, 23. März 1908. Der Artikel ist ein Bericht über eine Rede, die LENIN auf einem am 18. März 1908 in Genf abgehaltenen internationalen Meeting zum Andenken der Revolution von 1848, der Pariser Kommune sowie der 25. Wiederkehr des Todestags von KARL MARX gehalten hat.
Gemeint ist die ´Zweite Adresse des Generalrats über den Deutsch-Französischen Krieg´, s. vorl. Texte, Anhang, besonders S. 140.
Im Jahre 1905 verlor die russische Regierung die Kontrolle über die revolutionäre Bewegung im Lande. "Diese entbehrte durchaus einer einheitlichen Führung; sie war vielmehr elementarer Ausdruck einer nahezu alle Gruppen der Bevölkerung ergreifenden gerechten Empörung, die Quittung für die Versäumnisse und Verantwortungslosigkeiten von Jahrzehnten. Die Streikbewegung der Arbeiter erreichte ihren Höhepunkt im Oktober, als ein Eisenbahnstreik Wochen hindurch das Verkehrssystem lahmlegte und sich stellenweise zu einem erfolgreichen Generalstreik ausweitete. Nach einigen Vorläufern in der Provinz bildete sich im Oktober auch in Petersburg als Zusammenschluß von Streikkomitees ein ´Rat´ (Sowjet) von Arbeiterdeputierten. Das Beispiel fand in Moskau und anderen Städten Nachahmung, und sehr rasch entwickelten sich die Sowjets aus Organen der ´proletarischen Selbstverwaltung´ zu Zentralen des politischen revolutionären Kampfes. Die Verfolgung gewerkschaftlicher Ziele und die Propaganda des bewaffneten Aufstandes liefen nebeneinander her und gingen ineinander über. Ein ernsthafter Versuch, den revolutionären Kampf als gewaltsame Aktion der Massen zu führen, wurde jedoch nur in Moskau unternommen (8/21. Dezember 1905 bis 20. Dezember 1905/2. Januar 1906); er scheiterte zu einem Zeitpunkt, da der Petersburger Sowjet bereits aufgelöst war und dessen führende Mitglieder - unter anderem der Vizepräsident Trockij - schon hinter Schloß und Riegel saßen, an der Unzulänglichkeit der Organisation und an dem Einsatz der aus Petersburg herbeigeholten Elitetruppen." (GÜNTER STÖKL, Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1965, S. 596 f)
Das Manifest vom 17./30. Oktober 1905 gewährte den Untertanen des Zaren ohne Unterschied des Standes die Grundrechte freier Bürger: Unverletzbarkeit der Person, Freiheit des Gewissens, der Rede, der Versammlung und der Korporation. Es sagte außerdem im Prinzip das allgemeine Wahlrecht zu und versprach, die Staatsduma mit dem ausschließlichen Recht der Gesetzgebung und mit dem Recht, die Legalität der Verwaltung zu überwachen, auszustatten. (Vgl. STÖKL a.a.O., S. 6oo)
Erschienen in ´Rabocaja Gazeta´, Nr. 4/5, 28. (15.) April 1911.
Vgl. bei MARX die ´ruraux´ (Krautjunker), s. Anm. 39.
RENNEKAMPF, P. K. (1854 - 1919), zaristischer General, 1905 Leiter der Strafexpedition, die die revolutionäre Bewegung in Sibirien niederschlug. - MÖLLER-SAKOMELSKI, A. (geb. 1844), zaristischer General, nahm an der Niederwerfung der polnischen Revolution von 1863 teil, ebenfalls beteiligt an der ´Befriedung´ Sibiriens im Jahre 1905.
Gemeint ist die Amnestie von 188o.
Erschienen in der ´Pravda´, Nr. 28, 9. April 1917.
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