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Thema Die Weltanschauung Spinozas ( original )
SPINOZAS STELLUNG IN DER VORGESCHICHTE DES DIALEKTISCHEN MATERIALISMUS - REDEN UND AUFSÄTZE ZUR WIEDERKEHR SEINES 250. TODESTAGES
Letzte Bearbeitung 1928
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A. DEBORIN: DIE WELTANSCHAUUNG SPINOZAS
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A. DEBORIN: DIE WELTANSCHAUUNG SPINOZAS

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Genossen! Am 21. Februar 1927 waren 250 Jahre vergangen seit dem Tode Benedictus Spinozas.
An diesem Tage fand im Haag, in der Stadt, in der Spinoza die letzten Jahre seines Lebens zugebracht hat und in der seine irdischen Ueberreste ruhen, eine von der sogenannten SpinozaGesellschaft (Societas Spinozana) veranstaltete Gedenkfeier zu Ehren Spinozas statt. An dieser Feier nahm neben den offiziellen Vertretern der Universitäten und der Wissenschaft auch ein offizieller Vertreter des Völkerbundes teil, der in seiner Rede den Nachweis zu erbringen versuchte, daß Spinoza, wenn er heute lebte, ein entschiedener Anhänger des Völkerbundes wäre, weil ja der Völkerbund sich die Verwirklichung des allgemeinen Friedens zur Aufgabe gemacht habe. Der Vertreter der Kirche - bekanntlich ist dort keine Feier denkbar ohne einen Vertreter der Kirche - war seinerseits bemüht, zu beweisen, daß die Lehre Spinozas der christlichen Religion in keiner Weise widerstreite. Es gab noch andere Reden, auf die ich jedoch nicht weiter eingehen will. Jedenfalls waren alle einmütig der Auffassung, daß Spinoza ein großer Idealist, Pantheist, Mystiker, der Begründer einer neuen Religion usw. war. Aber keine Stimme erhob sich im Haag, die all diesen hohen herrschaften zugerufen hätte: „Ihr seid freche Lügner.“

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Wenn wir uns hier, in den Räumen der Kommunistischen Akademie, versammeln, um Spinozas zu gedenken, so aus ganz

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andern Gedankengängen heraus, als die, von denen sich die Veranstalter der Haager Feierlichkeit leiten ließen: für uns ist Spinoza im großen und ganzen ein hervorragender Atheist und Materialist. Darin schließe ich mich vollkommen der Auffassung Plechanows an. Durch alle Werke Plechanows zieht sich bekanntlich wie ein roter Faden der Grundgedanke, daß der Marxismus als Weltanschauung nichts anderes sei als eine „Art Spinozismus“. Zunächst lasse ich diese Frage beiseite und zitiere aus dem Vorwort Plechanows zu meinem Buche „Einführung in die Philosophie“ (das Vorwort wurde 1914 geschrieben) eine Stelle, wo er sich mit Schärfe gegen die Philosophiehistoriker wendet, die Spinoza zu den Idealisten rechnen.
" Angesichts des heute allgemeinen Vorherrschens des Idealismus - sagt er - ist es nur natürlich, daß die Geschichte der Philosophie gegenwärtig unter einem idealistischen Gesichtspunkt dargestellt wird. Damit hängt zusammen, daß Spinoza seit langem zu den Idealisten gerechnet wird. Darum wird mancher Leser sicherlich sehr erstaunt darüber sein, daß ich den Spinozismus als eine materialistische Lehre auffasse. Das ist jedoch die einzig richtige Auffassung des Spinozismus.
Schon 1843 hat Feuerbach die durchaus begründete Auffassung vertreten, daß die Lehre Spinozas der ‚Ausdruck der materialistischen Begriffe der neueren Epoche‘ war. Gewiß, auch Spinoza konnte sich dem Einfluß seiner Zeit nicht entziehen. Sein Materialismus ist nach einer Bemerkung Feuerbachs in ein theologisches Gewand gekleidet, wesentlich aber war, daß er auf jeden Fall den Dualismus des Geistes und der Natur beseitigte. Wenn auch die Natur bei Spinoza Gott heißt, so ist doch eins der Attribute seines Gottes die A u s d e h n u n g. Darin eben besteht der Grundunterschied des Spinozismus vom Idealismus."
( Vorwort G. Plechanows,, S. 34,83)
Bei einem solchen allgemeinen Vorherrschen des Idealismus ist es also nicht verwunderlich, daß Spinoza seit langem dem Lager des Idealismus zugezählt wird. Leider verteidigen jetzt auch einige Marxisten diese Tradition der Philosophiehistoriker, obwohl schon Feuerbach, teilweise auch Engels und später Plechanow, vieles geleistet haben, um die materialistischen Anschauungen Spinozas klarzustellen. Wir müssen noch immer gegen diese idealistische Tradition ankämpfen. Noch immer müssen wir den Freunden in unseren eigenen Reihen beweisen, daß man Spinoza nicht zu den Idealisten rechnen darf. In den letzten Jahren haben sich hinsichtlich der Auffassung der Hegelschen Dialektik und der Konzeption Spinozas zwei „Fronten“ (oder auch: zwei Fronden) gebildet: eine hegelianische

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Front und eine spinozistische Front. Die Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten in unseren eigenen Reihen drehen sich um zwei grundlegende Punkte. Wenn der Streit um Hegel die Grundlagen unserer M e t h o d e betrifft, so drehen sich die Meinungsverschiedenheiten über Spinoza um unsere W e l t a n s c h a u u n g und hängen zusammen mit der Auffassung des Materialismus selbst. Da aber Methode und Weltanschauung voneinander nicht zu trennen sind, so sind der Streit und die Meinungsverschiedenheiten über die Methode untrennbar verknüpft mit dem Streit über die Weltanschauung. Ich werde hier nicht weiter darauf eingehen. Ich wollte nur betonen, wie eng diese beiden Fronten miteinander zusammenhängen.
Gestatten Sie mir jetzt, zunächst tu einer a l l g e m e i n e n Charakteristik der Weltanschauung Spinozas in ihrer Gesamtheit überzugehen, zu zeigen, was Spinoza an Neuem der Weltanschauung, der Wissenschaft, der wissenschaftlichen Erkenntnis der Welt gebracht hat und wodurch der Spinozismus als eine neue, wissenschaftlich begründete philosophische Weltanschauung sich von jener Weltanschauung unterscheidet, gegen die Spinoza den Kampf aufnehmen mußte.
Der erste Grundsatz, der Spinoza mit den Materialisten der Gegenwart, den Marxisten, verbindet, ist die Anerkennung der Existenz einer objektiven Welt, d. h. die Anerkennung jenes Prinzips, um dessentwillen Spinoza in der Folge von den Anhängern des sogenannten Kritizismus, des Kantianertums, zum „Dogmatiker“ erklärt wurde. Diese Einschätzung Spinozas durch den Kritizismus ist von außerordentlich wichtiger Bedeutung, denn unter „Dogmatismus“ verstehen die Kritizisten oft den Materialismus. Nach Fichte sind nur zwei folgerichtige und streng konsequente philosophische Systeme möglich: Dogmatismus und Kritizismus, wobei unter Dogmatismus der Spinozismus oder Materialismus verstanden werde. Unter Dogmatismus verstehe man auch die „unkritische“ Annahme der Möglichkeit einer adäquaten Erkenntnis der Welt, während die kritische Erforschung unserer Erkenntnisfähigkeiten zur Feststellung der Wahrheit führe, daß die Außenwelt nicht erkennbar sei. Dazu ist nun zu sagen, daß Spinoza der Erforschung unserer Erkenntnisfähigkeiten einen großen Platz einräumt, aber zu einer Schlußfolgerung kommt, die der des Kritizismus

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direkt entgegensteht. Bekanntlich negieren die Außenwelt auch der Empiriokritizismus, Machismus, Empiriomonismus und andere Abarten des Positivismus. Aber die Negierung der Außenwelt führt unvermeidlich zum Idealismus. Bei Spinoza finden wir eine kurze, aber außerordentlich treffende Kritik jenes Standpunktes, der annimmt, daß nur Empfindungen existieren und daß wir nichts anderes als Empfindungen erkennen können. Spinoza schreibt darüber:
" Sie sagen nämlich, die Seele könne empfinden (sentire) und auf vielerlei Weise wahrnehmen (percipere) nicht sich selbst noch die existierenden Dinge, sondern einzig das, was weder an sich noch irgendwo vorhanden ist. Das heißt, die Seele könne allein durch Ihre eigene Kraft Empfindungen (sensationes) oder Ideen schaffen, die aber nicht die Empfindungen oder Ideen der Dinge sind. Sie betrachten die Seele also teilweise wie Gott *2 ." ( „Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes“. Band II,, S. 28)
Wer also bestreitet, daß die Seele fühle und die äußeren Dinge erkenne, wer behauptet, daß die Seele durch ihre eigene Kraft Empfindungen und Ideen schaffe, der verwandelt die Seele in Gott, d. h. in eine Substanz, die durch die eigene Kraft die Welt schafft. Das bedeutet von diesem Standpunkt aus, daß die Seele nicht im mindesten von der Außenwelt abhängt, daß sie Ursache ihrer selbst ist und die Welt der Dinge erschafft. Ein solcher Standpunkt ist aber für unseren Philosophen ganz unannehmbar, denn er ist der Ansicht, daß
" es vor allem nur notwendig ist, alle unsere Ideen immer von physischen Dingen abzuleiten." ( Ebenda., S. 46)
Ein anderer charakteristischer Zug der gesamten Weltanschauung Spinozas ist seine Ablehnung der Teleologie und sein streng deterministischer Standpunkt. Bei der Erforschung der Wirklichkeit, in der Natur sowohl als auch in der Gesellschaft, müsse man sich ausschließlich der Kategorie der K a u s a l i t ä t bedienen. Er verspottet mit unübertroffener Gedankenschärfe und beißendem Sarkasmus alle jene Philosophen, die überall Endursachen finden. Aber diese Endursachen seien nur menschliche Erfindungen, ein Produkt der Unwissenheit, der Vorurteile und des Aberglaubens. Indem diese Philosophen zu zeigen versuchten, daß die Natur alles Zum Wohle der Menschen tue, haben sie offenbar

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" damit bloß gezeigt, daß die Natur und die Götter ebenso wahnsinnig sind wie die Menschen." ( Band 1, „Ethik“, S. 36)
Da die Menschen in sich und in der Natur viele Mittel vorfinden, die für sie von Nutzen sind, sagt Spinoza, so betrachten sie die Naturdinge als Mittel für ihren Nutzen, erklären alles aus Zwecken und sehen überall den Willen Gottes.
" Wenn z. B. ein Stein von einem Dach jemand auf den Kopf gefallen ist und ihn getötet hat, so beweisen sie auf folgende Art, daß der Stein gefallen sei, um den Menschen zu töten: Wenn er nicht nach dem Willen Gottes zu diesem Zweck gefallen ist, wie kam es, daß zufällig gerade so viel Umstände (oft nämlich treffen viele zusammen) zusammentrafen? Man wird etwa antworten, es sei daher gekommen, weil der Wind wehte und weil den Menschen sein Weg dort vorbeigeführt hat. Sie aber werden nicht locker lassen: Warum wehte der Wind gerade zu jener Zeit? Warum führte den Menschen sein Weg zu ganz derselben Zeit dort vorbei? Wenn man wiederum antwortet, der Wind habe sich damals erhoben, weil das Meer an, vergangenen Tage, als das Wetter noch ruhig war, in Bewegung geriet, und daß der Mensch von einem Freunde eingeladen war, so werden sie, da des Fragens kein Ende ist, einem wiederum zusetzen: Warum bewegte sich dann aber das Meer, warum war der Mensch zu jener Zeit eingeladen? Und so werden sie nicht ablassen weiter nach den Ursachen der Ursachen zu fragen, bis man seine Zuflucht zum Willen Gottes genommen hat, das heißt, zur Freistatt der Unwissenheit." ( Ebenda., S. 38,39)
Spinoza erklärt also den Willen Gottes für eine Freistatt der Unwissenheit. Unser Philosoph sieht überall nur na t ü r l i c h e Erscheinungen, die mit Hilfe des allgemeingültigen Gesetzes der Notwendigkeit erforscht und erklärt werden müssen. Zum Unterschied sogar von vielen modernen Philosophen und Gelehrten, die die Erforschung zwar nicht der Erscheinungen der Natur, aber doch der gesellschaftlichen Prozesse vom Standpunkt der Moral für möglich halten, dehnt Spinoza das Gesetz der Notwendigkeit auch auf den Menschen und die Gesellschaft aus. Spinoza bestreitet aufs schärfste die Rechtmäßigkeit der Anwendung irgendwelcher ethischen und teleologischen Prinzipien auf die Wirklichkeit. Das Studium der Wirklichkeit bestehe in der Aufdeckung der in ihr wirkenden kausalen Zusammenhänge und objektiven Gesetze. In dieser Hinsicht steht Spinoza dem Marxismus viel näher als viele moderne philosophische Richtungen.
Spinoza hat in der Geschichte den Ehrennamen eines „Fürsten der Atheisten“ erhalten. In der Tat, schon was wir angeführt haben, charakterisiert zur Genüge die Weltanschauung

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unseres Philosophen als eine rein materialistische und atheistische Weltanschauung. Spinoza aber hielt es für notwendig, den direkten Kampf aufzunehmen gegen die religiösen Vorurteile, diese besondere Abart der Unwissenheit, auf die sich die Geistlichkeit und jegliche Autorität stützen. Heute halten wir es für besonders wichtig, die historischen Verdienste unseres Philosophen auf diesem Gebiete hervorzuheben, sowie jene gewaltige kulturell aufklärende Rolle, die sein „Theologisch-politischer Traktat“ gespielt hat. Spinoza ist der wirkliche Führer der ganzen späteren Epoche der Aufklärung.
Der Name Spinozas ist untrennbar verknüpft mit dem Freidenkertum und in der Geschichte von ihm nicht zu trennen, denn er hat als einer der ersten zum Schutze des freien wissenschaftlichen Gedankens das Banner der Empörung gegen den religiösen Aberglauben erhoben. Er hat als erster die Heilige Schrift einer wissenschaftlichen Kritik unterworfen und sich nicht mit einer bloßen Negation der Religion begnügt. Die gesamte spätere wissenschaftliche Bibelkritik geht von dem „Theologisch-politischen Traktat“ Spinozas aus. Jetzt können wir uns nicht einmal vorstellen, welche befreiende Wirkung dieses Werk damals ausübte. Dieses Werk leitete die Epoche der Aufklärung ein. Alle fortschrittlichen Elemente, die späteren Aufklärer in allen Ländern, haben direkt oder indirekt aus den Werken Spinozas unwiderlegbare Argumente für den Kampf gegen die religiösen Vorurteile geschöpft. Wir müssen deshalb aus Gründen der Gerechtigkeit Spinoza für den Vater des Freidenkertums halten. Wir haben hier nicht die Möglichkeit, den Theologisch-politischen Traktat einer Analyse zu unterziehen, müssen jedoch darauf hinweisen, daß wir die Grundgedanken dieses Traktats später bei den französischen und deutschen Aufklärern wiederfinden.
Die Religion habe, erklärt Spinoza, keinerlei t h e o r e t i s c h e Bedeutung; sie habe stets nur für das praktische Leben Bedeutung gehabt, d. h. sie sei von den Machthabern dazu benutzt worden, um das Volk im Zaume zu halten. Der Aberglaube entstehe und erhalte sich dank der F u r c h t. Die religiösen Vorurteile seien deshalb Spuren alter K n e c h t s c h a f t, die sich bis auf unsere Zeit erhalten haben. Wenn die religiösen Vorurteile mit alter Knechtschaft zusammen-

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hängen, so könne in einem freien Staat kein Platz sein für diesen Aberglauben, auf jeden Fall müsse hier ein freies Urteil über diese Vorurteile herrschen. Spinoza ist mit Curtius der Auffassung, daß „nichts wirksamer die Menschen beherrscht als der Aberglaube“ (Curtius, Geschichte, Buch IV, Kap. 10). Er will damit den Zusammenhang der Politik mit der R e l i g i o n hervorheben - ein Grundsatz, der von den französischen Aufklärern und Materialisten weiterentwickelt worden ist. Bei den Türken werde die Urteilskraft jedes Menschen - erklärt Spinoza - durch so viel Vorurteile erstickt, daß in seinem Geiste kein Raum für die gesunde Vernunft übrigbleibe: nicht einmal für den Zweifel. Aber was der Denker von den Türken sagt, bezieht er auch auf die anderen Nationen, bei denen das monarchische System herrscht. Nach der Auffassung unseres Philosophen stützt sich das monarchische System in hohem Maße auf die religiösen Vorurteile. Die französischen Aufklärer haben - wir wiederholen es - diesen Gedanken Spinozas geteilt.
" Aber mag es auch das letzte Geheimnis einer monarchischen Regierung bleiben und völlig in ihrem Interesse liegen, die Menschen in der Täuschung zu erhalten, und die Furcht, durch die sie im Zaume gehalten werden sollen, unter dem schönen Namen Religion zu verbergen, damit sie für ihre Knechtschaft kämpfen, als sei es für ihr Heil, und damit sie es nicht für eine Schande, sondern für die höchste Ehre halten, für den Ruhm eines Menschen Blut und Leben hinzuopfern, so kann doch in einem freien Staatswesen nichts Unglücklicheres ersonnen oder versucht werden als dieses; denn es widerstreitet der allgemeinen Freiheit ganz und gar, das freie Urteil eines jeden durch Vorurteile einzunehmen oder irgendwie zu beschränken." ( „Theologisch-politischer Traktat“, Band II,, S. 6)
" Und was für Vorurteile! - sagt Spinoza an anderer Stelle - Solche, die die Menschen aus vernünftigen Wesen zu Tieren machen, die es vollkommen verändern, daß noch einer seine Urteilskraft gebraucht und wahr und falsch unterscheidet, und die mit Fleiß ausgedacht scheinen, um das Licht des Verstandes gänzlich auszulöschen." ( Ebenda., S. 8)
Kein Denker der neueren Zeit hat wohl eine ähnlich heftige, gotteslästerliche Sprache gesprochen, wie Spinoza. Die gesellschaftliche Ordnung, insbesondere das monarchische Regime, gründe sich auf Furcht, die Furcht des Volkes aber werde durch religiösen Aberglauben und Unwissenheit gefördert und gezüchtet. Diese Grundmotive der Kritik Spinozas am religiösen Aberglauben wurden von allen späteren Aufklärern und insbesondere von den französischen Enzyklopädisten und Materialisten des XVIII. Jahrhunderts aufgenommen.

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Im freien Staat müsse die V e r n u n f t ‚ d. h. das freie Urteil herrschen, deshalb seien die religiösen Vorurteile, diese Ueberreste der Knechtschaft, unvereinbar mit der neuen Form der gesellschaftlichen Ordnung. Die Religion dürfe nicht als eine theoretische Erkenntnis der Welt betrachtet werden, sie fordere von ihren Anhängern eine bestimmte Form p r a k t i s c h e n Verhaltens - Gehorsam und Frömmigkeit, die das Resultat bestimmter geschichtlicher und politischer Bedingungen seien. Die Kirche müsse dem Staat untergeordnet sein, d. h. den Bürgerinteressen des Volkes. Die Wissenschaft und der Staat fußen auf der natürlichen Erkenntnis und dem natürlichen Recht und haben mit der Theologie nichts gemein.
Davon ausgehend, führt Spinoza den Kampf für die Trennung der Philosophie, d. h. der natürlichen Erkenntnis, von der Religion. Er fordert die größte Freiheit des Philosophierens, Freiheit des Denkens und der wissenschaftlichen Erkenntnis. Die Frage, wie weit die Bibelkritik Spinozas vom Standpunkt der modernen Forschung als wissenschaftlich gelten kann, lassen wir beiseite. Für unsere Untersuchung ist das nicht wesentlich. Wir geben hier eine historische Würdigung der Arbeit Spinozas, und unter diesem Gesichtspunkt ist die Bedeutung des Theologisch-politischen Traktats gewaltig. Gerade dieses Werk war der Anlaß, daß man gegen Spinoza die Anklage des A t h e i s m u s erhob, und brachte dem Philosophen neue Verfolgungen ein. Wenn die Ausstoßung Spinozas aus der jüdischen Gemeinde eine sozusagen lokale, nationale Bedeutung hatte, so hängt die zweite Katastrophe im persönlichen Leben des Denkers zusammen mit dem Erscheinen des Theologisch-politischen Traktats. Mit ihr wird Spinoza zur Zielscheibe der Angriffe und zum Gegenstand der Verfolgungen für die Pfaffen aller Kirchen, für die Theologen und Metaphysiker, für die Philosophieprofessoren und für die Staatsgewalt. Selbst viele seiner persönlichen Freunde, die in ihrer Beschränktheit nicht vorausgesehen hatten, daß der Philosoph einen so extremen antireligiösen Standpunkt einnehmen würde, kehren sich von ihm ab. Anderseits aber brachte das Erscheinen des Traktats dem Philosophen Weltberühmtheit. Um sein Banner scharen sich allmählich alle radikalen und revolutionären Elemente in allen Ländern.

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Nachdem wir jetzt einige Grundprinzipien der Weltanschauung Spinozas hervorgehoben haben, können wir zum zentralen Problem übergehen, das sich Spinoza gestellt hatte. Sein Hauptwerk trägt den Titel „Ethik‘. Es wäre aber falsch, anzunehmen, daß der Denker, ähnlich wie Kant, es sich zur Aufgabe gemacht habe, irgendwelche übersinnlichen, göttlichen, ethischen Gesetze von der Art des Kantischen kategorischen Imperativs zu entdecken. Für Spinoza bestehen überhaupt keine zwei Pläne der Wirklichkeit: ein S e i n und ein ihm entgegengesetztes S o l l e n, das seinen Ursprung in einer angeblich anderen, überempirischen Welt habe. Unter „Ethik“ versteht Spinoza einfach eine bestimmte L e b e n s w e i s e, die sich aus der Erkenntnis der Wirklichkeit der Natur, des Menschen und der menschlichen Gesellschaft ergeben müsse. Die „Ethik“ bestimmt den Platz des Menschen in der Natur und leitet seine Lebensweise aus der Erkenntnis seiner natürlichen Leidenschaften und Bestrebungen auf vollkommen realistische und materialistische Art ab. In diesem ganz bestimmten und natürlichen Sinne ist die Ethik auch eine Lehre vom S e i n, dem keine abstrakten ethischen Normen und Gesetze eines So l l e n s gegenüberstehen. Die Hauptmomente einer richtigen Lebensweise sowohl des Individuums als auch der Gesellschaft sind die Herrschaft des Menschen über die Natur, die kulturelle Schöpferkraft im weitesten Sinne dieses Wortes. Deshalb haben alle Wissenschaften und die gesamte menschliche Erkenntnis ein ausgesprochen p r a k t i s c h e s Ziel. Auf diese Frage werden wir übrigens später noch zurückkommen.

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Nachdem wir in großen Zügen und notgedrungen äußerst flüchtig die Grundeinstellung Spinozas skizziert haben, können wir uns jetzt der Frage zuwenden, aus welchen Elementen sich die Weltanschauung unseres Philosophen bildete. In der Literatur hat sich in dieser Hinsicht eine bestimmte Schablone herausgebildet. Die einen sehen den Quell des Spinozismus im Judentum. Da Spinoza ein Jude war, sich auf das Rabbineramt

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vorbereitete, den Talmud und alle möglichen Kommentatoren und sogar die Kabbala studierte, so zieht man daraus einfach den Schluß, daß der Spinozismus seine Wurzeln im Judentum habe. Wenn wir keineswegs einen gewissen Einfluß der großen jüdischen Denker (wie z. B. Maimonides) auf Spinoza leugnen, so halten wir nichtsdestoweniger die Behauptung, daß die Lehre unseres Philosophen aus dem Schoße des Judentums hervorgegangen sei, für ganz falsch. Was insbesondere die Kabbala anbelangt, so ist die entschieden ablehnende Stellungnahme Spinozas ihr gegenüber bekannt.
Andere suchen die Quelle des Spinozismus in der scholastischen Philosophie. Wieder andere sehen in Spinoza einen Nachfolger und Schüler Descartes’. Natürlich kann niemand die Abhängigkeit Spinozas von der Scholastik leugnen. Aber alle diese Reflexionen über die Quellen des Spinozismus haften lediglich an der Oberfläche der Frage, denn alle diese Forscher lassen die Gesamtheit der Strömungen und philosophischen Richtungen jener Epoche außer acht, in der Spinoza lebte und wirkte. Es ist doch sehr merkwürdig und überaus naiv, sich die Sache so vorzustellen, als sei das XVII. Jahrhundert sozusagen ein leerer Raum gewesen, in dem es keine Bewegung des Gedankens gegeben habe. Anderseits ist der offensichtliche Ausgangspunkt dieser Konzeptionen die Auffassung Spinozas nicht als eines lebendigen Menschen, der sich aufs lebhafteste interessierte für alle Fragen, die seine Zeitgenossen bewegten, sondern als einer Art ägyptischer Mumie, die sich in ihren vier Wänden einschloß und wie ein Bücherwurm unbedingt in den alten Folianten der Scholastiker oder in den Geheimbüchern der Kabbala herumwühlte. Alle diese Konzeptionen widersprechen jedoch allen bekannten Tatsachen. Wir kennen heute sogar den Bücherbestand der Bibliothek Spinozas sehr gut. Ich bin darum der Ansicht, daß zur Aufdeckung der Quellen des Spinozismus vor allen Dingen die Hauptrichtungen und Strömungen der Philosophie und Wissenschaft des XVII. Jahrhunderts studiert werden müssen, denn der Spinozismus ist ein Produkt seiner Zeit. Er ist einer der philosophischen Versuche, die Probleme zu lösen, die damals auf der Tagesordnung standen. Ja noch mehr, meiner Ansicht nach ist der Spinozismus

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eine Synthese vor allem der materialistischen Strömungen seiner Epoche.
Von den Spinozaforschern hat anscheinend nur Dunin-Borkowski sich für die Frage interessiert, wie der Spinozismus mit den damaligen Strömungen der Philosophie und des wissenschaftlichen Gedankens zusammenhängt. Und man muß sagen, daß der Autor, obwohl selbst Katholik, Idealist und Mystiker, der Spinoza sehr gern in diesem Geiste auslegen möchte, gezwungen war, zumindestens eins zuzugeben: S p i n o z a sei eine Zeitlang tatsächlich M a t e r i a l i s t g e w e s e n, allerdings in seinen Jugendjahren und nur kurze Zeit, fest stehe aber, daß er wirklich Materialist gewesen sei, und dabei ein mechanischer. Später aber habe - nach Dunin-Borkowskl - Spinoza sich radikal vom Materialismus abgekehrt. Ich bin hierüber anderer Ansicht. Auf alle Fälle steht aber fest, daß Dunin-Borkowski nachdem er sich mit dem Leben des Philosophen und mit der betreffenden Epoche vertraut gemacht hatte, zugeben mußte, daß Spinoza in seiner Entwicklung eine Periode des Materialismus durchgemacht hat. Das ist schon immerhin etwas.
Im XVII. Jahrhundert sind eine Reihe materialistischer Werke erschienen, die Spinoza natürlich gründlich studierte. In Holland kam es zu Lebzeiten Spinozas zu stürmischen Disputationen und zu einer literarischen Polemik anläßlich des Auftretens von Henry de Roy (Regius). In Holland wurden die in anderen Ländern verbotenen Schriften der Materialisten gedruckt. Neben der legalen Literatur zirkulierten in diesem Lande alle möglichen i l l e g a l e n Schriften extremer Richtungen. Spinoza interessierte sich lebhaft für alle Richtungen. Aus der jüdischen Gemeinde ausgestoßen, zog er sozusagen in die weite Welt, gierig nach Wahrheit und Recht suchend. Wir sehen ihn unter den verschiedenen religiösen Sekten, die sich aus den demokratischen Elementen der Bevölkerung rekrutierten und zur herrschenden Kirche, teilweise auch zur gesellschaftlichen Ordnung in Opposition standen.
Neben der religiösen Gärung unter den Volksmassen ging

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ein geistiger Kampf auf den Höhen der Wissenschaft und Philosophie einher, Holland war damals eines der blühendsten und fortgeschrittensten Länder Europas. Es hatte bereits seine bürgerliche Revolution hinter sich. Die neue Gesellschaftsform erzeugte auch die entsprechenden geistigen Gruppierungen und Strömungen. Wie kann man da auch nur einen Augenblick annehmen, daß Spinoza das geistige Leben seines Landes absolut nicht interessiert haben soll, daß er sich beschränkt habe auf das Studium der Scholastischen Weisheit? Natürlich nicht, um so mehr, als Spinoza in seinen Werken sich gerade um die Lösung der Probleme bemüht, die seine Zeitgenossen beunruhigten.
In der Philosophie bestanden damals zwei Hauptrichtungen: das orthodoxe Cartesianertum das damals bereits sein Bündnis mit der Kirche geschlossen hatte, und die materialistischen Richtungen verschiedener Schattierungen. Hier ist besonders hervorzuheben, daß das Cartesianertum selbst aus seinem Schoße eine der materialistischen Strömungen in Frankreich und Holland erzeugt hatte. An der Spitze dieser materialistischen Richtung in Holland stand Henry de Roy. Dieser, anfänglich ein orthodoxer Anhänger Descartes‘, zog später aus der Lehre Descartes‘ materialistische Schlußfolgerungen. Es begann ein erbitterter Kampf zwischen de Roy einerseits und den Theologen, Idealisten und Cartesianern anderseits. Obzwar de Roy aus Furcht vor Verfolgungen sehr vorsichtig auftrat, war der materialistische Charakter seiner Stellungnahme schwer zu verbergen. Sein Ziel war die Ueberwindung des Descartes‘schen Dualismus. In einer seiner 1647, während des erbittertsten Kampfes gegen seine Feinde, in Utrecht angeschlagenen 21 Thesen erklärt er, daß die Seele ein Modus des K ö r p e r s sei. In seinem 1654 veröffentlichten Werke „Philosophia naturalis“ entwickelt er den Gedanken, daß Ausdehnung und Denken, obwohl verschieden, keine miteinander unvereinbare Gegensätze seien. Vom rein philosophischen Standpunkt aus könne man die Seele als einen körperlichen Modus betrachten. Nach der Ansicht gewisser Weisen seien A u s d e h n u n g und D e n k e n bloß Attribute, die ein

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und demselben Subjekt anhangen, in dem s i c h beide Eigenschaften vereinigen.
Ist es nicht klar, daß de Roy, den Marx ausdrücklich als Materialisten bezeichnet, hier der Formulierung Spinozas über das Verhältnis zwischen Denken und Ausdehnung, diesen beiden Attributen der einen Substanz, nahekommt? Wenn wir uns jetzt vor Augen halten, daß das Buch de Roys 1654 erschienen ist und Spinoza sein erstes Werk, „Die Prinzipien der cartesianischen Philosophie“, erst 1663 in Druck gab, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der Materialist de Roy auf Spinoza bei der Entscheidung eines der Hauptprobleme seines Systems Einfluß hatte. Uebrigens steht de Roy selbst unter dem Einfluß noch eines anderen Materialisten, unter dem Einfluß Gassendis, der die These aufgestellt hatte, daß Körper und Seele so miteinander verbunden seien, daß sie ein D i n g bilden. Daß Gassendi seinerseits sich ebenfalls dem Standpunkt näherte, den später Spinoza einnahm, ist jedem bekannt, dem die Lehre dieses Denkers vertraut ist. Es kann deshalb, wie Dunin-Borkowski in seinen Untersuchungen mit Recht hervorhebt, kein Zweifel darüber bestehen, daß gerade Gassendi, de Roy und Sebastian Basso auf Spinoza einen unmittelbaren Einfluß ausübten. Das aber bestätigt gerade unsere Behauptung, daß Spinoza mit besonderem Eifer die zeitgenössischen M a t e r i a l i s t e n studierte und gerade in ihren Werken das suchte, was er brauchte, daß er sich unmittelbar ihnen anschließt, indem er ihre Auffassungen entwickelt, vertieft und weiter ausbaut. Es würde zu weit führen, wollten wir diese überaus wichtige These im einzelnen beweisen.
Wenden wir uns jetzt einer anderen These in der Lehre Spinozas zu, nämlich dem Problem der allgemeinen Beseeltheit der Materie. Auch dieses Problem stand in gewisser Hinsicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der damaligen Gelehrtenwelt. Die Idee von der allgemeinen Beseeltheit des Universums war in der Epoche der Renaissance sehr populär. Diese Idee verteidigten sowohl Campanella als auch Telesius. Aber diese Idee wurde auch im XVII. Jahrhundert (insbesondere in

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den fünfziger und sechziger Jahren) aufs lebhafteste diskutiert. Die Gelehrten und Philosophen in Holland und England teilten sich in zwei Lager: die einen nahmen einen rein mechanischen Standpunkt ein, die anderen dagegen verteidigten einen Hylozoismus. Das Haupt der „Vitalisten“ in England war der bekannte Gelehrte Glisson.
" Glisson - sagt Dunin-Borkowski - wird gewöhnlich mit Recht unter den Biusisten, Hylozoisten aufgezählt. Man nannte sie so, im Gegensatz zu den Materialisten, welche man damals als ,Mechanisten‘ bezeichnete. Sie lehrten, daß der Stoff (hyle) aus sich selbst Leben (bios) habe; ihm sei Bewegung, Begehren und Vorstellen zu eigen. Ohne diese Eigenschaften sei eine Substanz überhaupt undenkbar." ( Dunin-Borkowski, „Der Junge De Spinoza“ 1910,, S. 389)
Also auch dieses Problem galt damals als aktuell und war Gegenstand einer lebhaften Diskussion unter den Gelehrten. Spinoza gibt denn auch seine e i g e n e Lösung dieser Frage.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einige Worte über den meist gehaßten Begriff im System Spinozas sagen - über den Begriff Gottes (deus). Natürlich ist nach dem ganzen Sinne der Lehre Spinozas Gott nichts anderes als die Substanz oder Natur. Das ergibt sich mit genügender Klarheit aus der Lehre Spinozas. Ich halte es aber für notwendig, die Aufmerksamkeit auf eine andere Seite dieser Frage zu lenken. Es wird uns vieles klar werden, wenn wir in diesen Begriff nicht den üblichen Inhalt hineinlegen, sondern aufzuhellen versuchen, wie dieser Begriff in der uns interessierenden Epoche aufgefaßt wurde. Zu diesem Zwecke wenden wir uns einem anderen Materialisten des XVII. Jahrhunderts zu - Thomas Hobbes. In seinem im Jahre 1655 veröffentlichten berühmten Werke „D e C o r p o r e“ schreibt Hobbes folgendes:
" Wer die Welt Gott nennt, der behauptet damit, daß die Welt keine Ursache habe, oder anders gesagt, daß es keinen Gott gibt. Ebenso leugnet die Ursache der Welt und die Existenz Gottes auch der, der die Welt nicht als geschaffen, sondern als ewig existierend betrachtet, denn das Ewige kann keine Ursache haben." ( Thomas Hobbes, „De Corpore“.)
Aber gerade Hobbes spricht bekanntlich in seinen Werken von einem ausgedehnten, körperlichen Gott. Bei Spinoza heißt die Natur Gott und eins seiner Attribute ist die Ausdehnung. So lautet der zweite Lehrsatz des zweiten Teiles der „E t h i k“:
" Die Ausdehnung ist ein Attribut Gottes, oder Gott ist ein ausgedehntes Ding" ( Ethik II., S. 45)

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Nach der kompetenten Erklärung von Hobbes will, wer die Welt, die Natur Gott nennt, damit sagen, daß die Welt n i c h t e r s c h a f f e n worden sei, daß sie ewig existiere, mit anderen Worten, derjenige nennt die Welt Gott, d e r s a g e n w i l l, dass es Gott nicht gibt. Daran muß man jene Marxisten erinnern, die außerstande sind, mit dem Spinozaschen Gott „fertig zu werden“. Zur Aufklärung dieses Punktes gestatte ich mir abermals, mich auf Dunin-Borkowski zu berufen.
" Das, was man sonst Gott nennt - schreibt er -‚ erscheint hier (das heißt bei Gassendi, Harris und anderen Zeitgenossen, A. D.) als ein unendlich ausgedehntes Etwas, alles erfüllend und allumfassend, außer dem es nichts gibt." ( Dunin-Borkowski., S. 280)
Unter Berufung auf den Biographen Spinozas, Maximilian Lucas (dieser war ein direkter Schüler und Freund des Philosophen), ebenso wie auf andere Angaben gelangt Dunin-Borkowski zu dem Schluß, daß Spinoza eine Zeitlang unter dem Einflusse des „radikalen populären Materialismus“ gestanden habe. In dieser Etappe seiner Entwicklung hielt Spinoza die M a t e r i e für Gott. Später habe Spinoza diesen Standpunkt aufgegeben und der Substanz auch das Denken zugesprochen. Dunin-Borkowski möchte die Mitteilung von Lucas über eine - wörtlich wiedergegebene - Aeußerung Spinozas diskreditieren, daß seine Philosophie auf folgende vier Grundsätze hinauslaufe: körperlicher Gott, die Seele nur ein Prinzip des Lebens, die Geister - ein Produkt der Phantasie, die Unsterblichkeit - ein Phantom. Dunin-Borkowski zweifelt nicht an der Echtheit der Mitteilung von Lucas, nimmt aber an, daß diese Worte Spinozas sich auf die frühere, materialistische Etappe seiner Entwicklung beziehen. Diese Konstruktion Dunin-Borkowskis scheint mir etwas gekünstelt. Ich sehe keinen Grund für eine Mißbilligung der wertvollen Mitteilung von Lucas. Eben dieser körperliche Gott kann das Denken zum Attribut haben. Auf jeden Fall ist eins unzweifelhaft: bei Spinoza ist unter Gott die Materie (Natur) zu verstehen, die zwei Haupteigenschaften hat: Ausdehnung und Denken, Es ist sehr leicht möglich, daß Spinoza ursprünglich sich die Materie nur mit dem einen Attribut der Ausdehnung dachte und erst später auch das Denken zu einem Attribut der Substanz machte, Darin könnte die Evolution seiner Auffassungen bestanden haben. Das aber widerlegt

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keineswegs die Mitteilung Lucas*4 , daß Spinoza mit ihm von einem k ö r p e r l i c h e n Gott, d. h. der Materie, dem Stoff, als der Substanz gesprochen habe, wobei sich diese Aeußerung keineswegs auf die erste Periode seiner Entwicklung beziehen muß. Ich halte die zweite Etappe nur für eine Weiterentwicklung derselben materialistischen Anschauungen, die Spinoza bereits früher vertreten hatte. Das ist eine natürliche Evolution, und kein Uebergang zu einem entgegengesetzten Standpunkt. Lucas hat die Weltanschauung Spinozas in materialistischem Geiste dargelegt. Wie konnte er das? Wäre Spinoza wirklich ein Pantheist, ein Mystiker, ein Idealist gewesen, wie konnte einer seiner unmittelbaren Schüler und Freunde gerade den materialistischen Charakter des Spinozaschen Systems betonen und darauf hinweisen, daß Gott ein Körper sei?...
In diesem Zusammenhang halte ich es für notwendig, an eine Legende zu erinnern, die in Holland im ersten Viertel des XVIII. Jahrhunderts im Umlauf war. Selbstverständlich lege ich dieser Legende keine besondere Bedeutung bei, immerhin ist sie charakteristisch. Im Jahre 1724 teilte Leclerc, der bekannte Herausgeber der „Bibliothek antiker und moderner Schriftsteller“, in einem seiner Büchlein mit, ihm sei aus zuverlässiger Quelle bekannt, daß im ursprünglichen Text der „Ethik“ nur der Begriff „Natur“ figuriert und Spinoza nur auf Anraten seiner Freunde dem Wort Natur das Wort Gott hinzugefügt habe. Ich wiederhole, ich lege dieser Legende keine ernste Bedeutung bei. Trotzdem ist die Tatsache interessant, weil sie zeigt, daß die nächsten Zeitgenossen Spinozas sehr gut begriffen und fühlten, daß Gott im System Spinozas etwas von außen Hereingebrachtes ist und die „Ethik“ Gott sehr gut entbehren könnte.
Nach dem bereits Gesagten scheint mir die Frage, was bei Spinoza unter Gott zu v e r s t e h e n sei, genügend geklärt. Es ist lediglich ein theologischer Terminus für die Bezeichnung eines realen, materiellen Dinges. Es fragt sich: hat Spinoza selbst das Unzulängliche seiner T e r m i n o l g i e empfun-

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den? Mir scheint, ja. Er hielt es aber für notwendig, in einer den Zeitgenossen verständlichen und zugänglichen Sprache zu sprechen. Denn alle seine philosophischen Zeitgenossen bedienten sich, wie wir gesehen haben, dieser Terminologie, obwohl sie einen neuen Inhalt in die alten termini hineinlegten. Spinoza selbst weist - als auf eine Lebensregel - auf die Notwendigkeit hin, eine Sprache zu reden, die der Entwicklung der Masse entspricht. So schreibt er:
" …Wir können nicht wenig Vorteil von der Menge erlangen, wenn wir soweit als möglich ihrer Fassungskraft Rechnung tragen. Dazu kommt, daß man die Menschen dadurch geneigt macht, der Wahrheit ein williges Ohr zu leihen." ( „Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes.“ Band II,, S. 8)
Auf diese Weise konnte sich Spinoza bewußt der theologischen Terminologie seiner Zeit bedienen, denn er wußte, daß er mit Hilfe dieser Terminologie sich den Zeitgenossen verständlich machen könnte. Dieses Argument ist auch von einem gewissen Gewicht. Außerdem aber wurde der Begriff Gott, worauf ich bereits hinwies, seit der Epoche der Renaissance und auch später, im XVII. Jahrhundert, im Sinne von Natur, Materie usw. gebraucht. Nach allem, was wir angeführt haben, scheint klar zu sein, daß der Terminus deus nur im Sinne von Natur aufzufassen ist. Es darf auch folgendes nicht außer acht gelassen werden: im Kampfe gegen die scholastische kirchliche Weltanschauung versuchte man alle, im allgemeinen auf Gott bezogene Prädikate auf die Natur zu übertragen. Spinoza ging davon aus, daß man seinerzeit Prädikate der Natur (wie auch des Menschen) auf Gott übertragen hatte. Die Aufgabe der Zeit bestand darin, den Beweis zu führen, daß die Eigenschaften Gottes nichts anderes seien als Eigenschaften der Natur.
Der ganze verborgene Kampf Spinozas gegen die alte Weltanschauung lief ja hauptsächlich darauf hinaus, die Prädikate, die die alte Weltanschauung Gott zuschrieb, auf die Natur zu übertragen, indem er die Natur Gott nannte. Auf jeden Fall darf man beim Studium des Spinozaschen Systems nicht vergessen, daß man in jener Epoche eben in theologischen Termini oder Kategorien dachte, daß das theologische Gewand Spinoza durch die Zeit, die Epoche aufgezwungen war. Der Kern der Sache, die innere Bedeutung des Systems Spinozas, ändert sich dadurch nicht im geringsten.

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Weiter oben habe ich auf die grundlegenden materialistischen Strömungen des XVII. Jahrhunderts hingewiesen, die den Spinozismus in einem gewissen Sinne v o r b e r e i t e t haben. Selbstverständlich habe ich mit meinen Hinweisen bei weitem noch nicht alle historischen Quellen des Spinozismus erschöpft. Man kann z. B. kaum daran zweifeln, daß Spinoza mit den Werken Giordano Brunos, Vaninis, des französischen Humanisten und Materialisten Deperrier und anderer bekannt war. Was ich aber in diesem Zusammenhang besonders hervorheben will, ist die Bekanntschaft Spinozas mit dem vielleicht radikalsten Buche jener Zeit. Ich meine das Werk, das unter dem Titel „Theophrastus redivivus“ erschien. Der Verfasser dieses interessanten Werkes vertritt einen ausgesprochen materialistischen Standpunkt; er leugnet die Existenz Gottes, aller Geister sowie der Seele als eines selbständigen Wesens. In diesem Werk finden wir außerordentlich scharfe Angriffe gegen die Religion und die Geistlichkeit, ferner eine Kritik der bestehenden politischen und sozialen Ordnung. Der „Neue Theophrast“ gibt, als einer der ersten unter den Schriftstellern der Neuzeit, die berühmte Losung aus: „Zurück zur Natur!“ Bei Spinoza finden wir Nachklänge dieser Losung. Unser Philosoph verwirft indes den Gedanken der Rückkehr des Menschen zum Naturzustand. Er ruft den Menschen vorwärts - zur schöpferischen Kulturarbeit und Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Der „Neue Theophrast“ nahm zu allen Fragen eine radikale Stellung ein, die bis zu einem eigenartigen Anarchismus ging. Der Mensch müsse sich a b s o l u t frei machen. Von diesem Standpunkt aus fordert der Autor die Abschaffung der Ehe. Das Hauptziel des Menschen sei der G e n u ß ‚ die Befriedigung aller natürlichen Triebe und Bedürfnisse. Die Freude sei das höchste G l ü c k. Wie weit entfernt auch Spinoza vom „Neuen Theophrast“ war, so muß man doch sagen, daß unser Philosoph anscheinend einige Momente von dessen Lehre aufgenommen und auf seine Art umgearbeitet hat. Spinoza verwirft die Losung der Rückkehr zum Naturzustande, räumt aber dem Genuß und der Freude im Leben des Menschen einen bedeutenden Platz ein.

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Spinoza mußte auch die Arbeiten Kaspar L y k e n s kennen, der bereits eine scharfe Kritik am K a p i t a l i s m u s übte, was übrigens einige Forscher dazu führte, in diesem schon beinahe einen Vorläufer der Marxschen Kritik der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu sehen. Von besonderer Bedeutung aber für die Charakteristik der geistigen Entwicklung Spinozas ist die Tatsache, daß der Denker Thomas Morus’ „U t o p i a“ studiert hatte. Ich behaupte entschieden, daß in der Ethik gewisse Nachklänge der Ideen von Th. Morus zu erkennen sind.
Das ist, in großen Zügen, die geistige Atmosphäre, in der sich Spinoza entwickelte. Die Schlußfolgerung, die wir ziehen müssen, ist, daß unser Philosoph auf alle Probleme, die seine Zeitgenossen beunruhigten, reagierte und sie auf seine Weise verarbeitete, wobei er die Hauptdenkrichtungen - vor allen Dingen die materialistischen Richtungen - zu einem neuen großartigen materialistischen System zusammenfaßte.

III

In dem ersten Teil meiner Rede habe ich bereits auf die Grundaufgabe hingewiesen, die Spinoza sich in seinem Hauptwerk stellte. Diese Aufgabe bestand in der Begründung einer neuen Lebensweise. Diese praktische Einstellung Spinozas zieht sich wie ein roter Faden durch alle seine Werke. Aber eine richtige Lebensweise kann erst bestimmt und begründet werden, nachdem der Platz des Menschen in der Na t u r (wir würden hinzufügen: und in der Gesellschaft) klar ist. Allein, die Frage nach dem Platz oder der Stellung des Menschen in der Natur führt uns unmittelbar zum Studium der Natur selbst. Die Lebensweise des Menschen muß sich notwendigerweise aus seiner Stellung in der Natur ergeben, denn das Leben des Menschen muß sozusagen dem Leben der Natur selbst entsprechen. Wenn der „Neue Theophrast“ die Rückkehr des Menschen zum Naturzustand fordert, so strebt Spinoza nach Verwirklichung einer Lebensweise, die den Menschen nicht zum Sklaven, sondern zum Herrn der Natur macht. Spinoza ist ferner der Meinung, daß der Mensch in U e b e r-

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e i n s t i m m u n g mit der Natur leben müsse, aber in einem höheren Sinne. Im Gegensatz zur christlichen Asketik, die die Lossage vom Fleisch, die Unterdrückung aller Leidenschaften predigt, ruft Spinoza den Menschen zum Lebensgenuß, zur Befriedigung aller Leidenschaften, zur schöpferischen Entfaltung aller seiner Fähigkeiten und Kräfte. Das alles ist aber nur möglich, wenn der Mensch sich den Gesetzen der Natur unterordnet. Seine Herrschaft über die Natur setzt voraus die Herrschaft der Natur über ihn. Man kann sich die Natur nur dann unterwerfen, wenn man sich ihr selber unterwirft. Dieses Motiv Bacons entwickelt Spinoza in eigenartiger Weise weiter.
Also unsere erste Aufgabe ist das Studium, die a d ä q u a t e Erkenntnis der Natur. Damit aber eine objektive, adäquate Erkenntnis der Natur möglich sei, muß man sich vor allen Dingen mit der entsprechenden M e t h o d e wappnen, was wiederum mit der Erforschung unseres Intellekts, unserer Erkenntnisfähigkeiten verbunden ist.
Da ich nicht die Möglichkeit habe, hier den Gedankengang unseres Philosophen zu entwickeln, so will ich nur darauf hinweisen, daß Spinoza in der Methode ein Werkzeug des Intellekts sieht, das ebenso wie die Arbeitswerkzeuge die Möglichkeit gibt, die Natur zu beherrschen -in dem einen Falle theoretisch, in dem anderen praktisch. Es versteht sich von selbst, daß die theoretische und die praktische Seit aufs engste miteinander zusammenhängen. Hören wir, was Spinoza über die Methode sagt:
" Nachdem wir gesehen, welche Erkenntnisart (cognitio) uns nötig ist, muß der Weg und die Methode angegeben werden, um die zu erkennenden Dinge vermöge dieser Erkenntnis zu erkennen. Zu diesem Zwecke ist zuerst in Betracht zu ziehen, daß es sich nicht um eine Untersuchung ins Unendliche handeln wird. Denn um die beste Methode zur Erforschung der Wahrheit zu finden, ist keine andere Methode nötig, um die Methode zur Erforschung der Wahrheit selbst zu erforschen; und zur Erforschung der zweiten ist keine dritte nötig usf. ins Unendliche. Denn auf diese Weise würde man niemals zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, vielmehr würde man überhaupt zu keiner Erkenntnis gelangen." ( „Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes.“ , S. 13)
" Damit“ (mit der Methode der Erkenntnis), sagt er‚ „verhält es sich gerade so wie mit den konkreten Werkzeugen, bei denen man in gleicher Weise argumentieren könnte. Denn um Eisen zu schmieden, ist ein Hammer vonnöten, und um einen Hammer zu erhalten, muß man ihn vorher verfertigen. Dazu braucht man einen anderen Hammer und andere Werk-[59]zeuge, und auch um diese zu bekommen sind wieder andere Werkzeuge nötig und so fort ins Unendliche. Und so könnte jemand - freilich ohne Erfolg - zu beweisen versuchen, daß die Menschen nicht die Macht hätten, Eisen zu schmieden. Die Menschen haben vielmehr im Anfang mit ihren angeborenen Werkzeugen gewisse sehr leichte Dinge, wenn auch mit Mühe und unvollkommen zustande gebracht. Hatten sie diese verfertigt, dann machten sie schon schwierigere mit geringerer Mühe und vollkommener, und so ging es stufenweise von den einfachsten Arbeiten zu Werkzeugen, und von den Werkzeugen wieder zu anderen Arbeiten und Werkzeugen, bis sie es schließlich dazu brachten, daß sie so viele schwierige Dinge mit geringer Mühe fertigbringen. In der gleichen Weise bildet sich auch der Verstand, vermöge seiner angeborenen Kraft, Verstandeswerkzeuge, durch die er wieder andere Kräfte zu neuen Verstandeswerkzeugen erlangt, und aus diesen Werken wiederum andere Werkzeuge oder das Vermögen, weiter zu forschen, und so schreitet er von Stufe zu Stufe weiter, bis er auf dem Gipfel der Weisheit steht." ( Ebenda., S. 14,15)
Es ist nicht meine Aufgabe, eine Analyse der Methode Spinozas als solcher zu geben. Es versteht sich von selbst, daß diese Methode von unserem jetzigen Standpunkt aus wesentliche Mängel aufweist. Aber diese Seite der Frage interessiert uns hier nicht.
Also, für die adäquate Erkenntnis der Natur brauchen wir eine entsprechende Methode. Diese allgemeine prinzipielle Fragestellung ist selbstverständlich vollkommen richtig, ganz gleich, ob die gegebene konkrete Methode richtig ist oder nicht.
Mit seiner Methode gewappnet, geht Spinoza an das Studium der Natur heran, Seine „Ethik“ beginnt mit den bekannten acht Definitionen, die er seinem ganzen System zugrunde legt. Es versteht sicht von selbst, daß ich mich nicht auf die Analyse oder Kritik dieser Definitionen einlassen werde. Ich halte es jedoch für notwendig, über die ersten beiden Definitionen einige Worte zu sagen, denn man wird aus ihnen bereits einen bestimmten Schluß ziehen können in bezug auf den Charakter des gesamten Systems Spinozas und die allgemeine Entwicklung seiner Gedanken.
Die erste Definition behandelt einen auf den ersten Blick so rein scholastischen Begriff, wie die causa sui. Aber in diesem Begriff ist das ganze System Spinozas gewissermaßen im Keime enthalten.
" Unter Ursache seiner selbst verstehe Ich das, dessen Wesenheit die Existenz in sich schließt, oder das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann." ( „Ethik“, I., S. 1)

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Die Natur (oder nach der Terminologie Spinozas Gott), die Welt als Ganzes, ist ein unbedingt unendliches Wesen, das Ursache seiner selbst ist. Spinoza wirft uns sozusagen mit einem Schlage in den Abgrund der Unendlichkeit. Spinoza beginnt nicht, wie erwartet werden konnte, mit der Untersuchung der einzelnen Dinge. Vielen mag eine solche Methode der Erforschung der Natur unrichtig erscheinen, aber gerade in dieser Methode Spinozas muß man einen gewissen Vorzug, ja sogar ein Verdienst des Denkers sehen.
In der Tat, die Aufgabe Spinozas bestand nicht darin, diese oder jene besondere, einzelne Erscheinung zu erklären, sondern vor allen Dingen ein neues Prinzip der Erklärung der Natur in ihrer Gesamtheit zu begründen. Engels hebt deshalb ganz richtig hervor, daß Spinoza ein neues Prinzip der Erklärung der Welt aus sich selbst aufgestellt und begründet habe.
" Es gereicht der damaligen Philosophie zur höchsten Ehre - sagt Engels -, daß sie sich durch den beschränkten Stand der gleichzeitigen Naturerkenntnisse nicht beirren ließ, daß sie - von Spinoza bis zu den großen französischen Materialisten - drauf beharrte, die Welt aus sich selbst zu erklären, und der Naturwissenschaft der Zukunft die Rechtfertigung im Detail überließ." ( Engels, „Naturdialektik“. Marx-Engels Archiv, Frankfurt a. M, 1927., S. 243)
Die philosophische Leistung Spinozas besteht darin, daß er e n t g e g e n der damaligen empirischen Naturwissenschaft die Natur, die Welt ihrer Urursache - Gott - entriß, an die sogar in der späteren Zeit noch eine solche Koryphäe der Wissenschaft, wie Newton, sich klammerte.
Wenn die Natur Ursache ihrer selbst ist, so bedarf sie keiner äußeren Ursache, das heißt keines Gottes, und sie muß ausschließlich aus sich selbst, aus den ihr innewohnenden Kräften, aus den in ihr selbst wirkenden Gesetzen erklärt werden. Das aber ist ein rein materialistischer Standpunkt. Und dieser Standpunkt ist um so bedeutsamer, weil er gerade die Natur in ihrer Gesamtheit zum Gegenstand hat. Denn viele, die in bezug auf die einzelnen Erscheinungen es nicht für notwendig halten, ihre Zuflucht zu „Gottes Hilfe“ zu nehmen, können nicht ohne Gott auskommen, sobald es sich um die Natur in ihrer Gesamtheit handelt.
Die Größe Spinozas besteht gerade darin, daß er sozusagen

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die Unabhängigkeit, die Autonomie der Natur erobert und ihren ehemaligen Monarchien, Gott, vom Thron gestürzt hat.
Die Natur ist also Ursache ihrer selbst, ihre Wesenheit schließt die Existenz in sich ein; sie existiert kraft ihrer eigenen Wesenheit, die zu ihrer Existenz keiner äußeren Ursache, keiner anderen Wesenheit bedarf. Infolgedessen ist die Natur das unbedingt unendliche Wesen.
Dem Unendlichen stellt Spinoza das Endliche gegenüber.
" „Das Ding heißt endlich in seiner Gattung, das durch ein anderes derselben Natur begrenzt werden kann." ( „Ethik“, Bd. I., S. 1)
Um wenigstens flüchtig, in großen Zügen, die erstaunlich tiefe d i a l e k t i s c h e Behandlung des Problems des Endlichen und Unendlichen bei Spinoza hervorzuheben, müssen wir zunächst noch die siebente Definition anführen:
" Das Ding soll frei heißen, das nur kraft der Notwendigkeit seiner Natur existiert und allem durch sich selbst zum Handeln bestimmt wird; notwendig dagegen, oder besser gezwungen, das Ding, das von einem anderen bestimmt wird, auf gewisse und bestimmnte Weise zu existieren und zu wirken." ( Ebenda, I,, S. 2)
Ich habe leider nicht die Möglichkeit, hier die Spinozasche Dialektik des Unendlichen und Endlichen, der Freiheit und Notwendigkeit, einer Analyse zu unterziehen. Eins will ich aber feststellen, nämlich, daß Hegel in seiner „Logik“ über das Endliche und Unendliche, über Freiheit und Notwendigkeit, die grundlegenden Ideen Spinozas entwickelt. Die Dialektik Hegels ist, soweit es sich um die erwähnten Gegensätze handelt, nur eine Weiterentwicklung und Vertiefung der dialektischen Ideen Spinozas.
Der Begriff der freien Notwendigkeit wird von Spinoza vor allem auf die Natur in ihrer Gesamtheit angewandt, die causa sui, Ursache ihrer selbst, ist. Die Gegensätzlichkeit zwischen einem jeden Einzelding, d. h. zwischen dem Endlichen, und der Natur in ihrer Gesamtheit, als dem Unendlichen, besteht darin, daß das Endliche die Ursache seiner Existenz in einem anderen Ding hat, während das Unendliche, die Welt als solche, die Ursache ihrer Existenz (ebenso wie ihrer Wesenheit) in sich selbst hat. Oder mit anderen Worten: die Welt hat keine äußere Ursache, d. h. sie ist u r s a c h l o s, autonom,

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unabhängig von irgendeiner äußeren Kraft, irgendeinem Gott. Das ist aber nur möglich, wenn die Welt o h n e A n f a n g und o h n e E n d e ist. Wenn die Welt einen Anfang hätte, so hätte irgendetwas sie erzeugen müssen. Wenn sie endlich wäre, so müßte etwas existieren, was sie b e g r e n z t, was sicht also wiederum a u ß er h a l b der Welt befindet. Was sich aber außerhalb der Welt befände, würde seinerseits durch etwas anderes begrenzt werden und so fort bis ins Unendliche. Also folgt daraus, daß wir die Welt uns als unendlich, d. h. als unbegrenzt, durch nichts anderes bestimmt und als ohne Anfang, d.h. als ewig denken müssen. So behauptet Spinoza die Ewigkeit, d.h. die U n e r s c h a f f e n h e i t der Natur. Die Idee eines Schöpfers der Welt ist vollkommen erledigt. Auf dem Boden der formalen Logik aber ist es unmöglich, zu einem solchen rein materialistischen Resultat zu gelangen, denn die formale Logik fordert die Ausdehnung des Gesetzes der Kausalität auf das Weltganze. Der dialektische Sinn der Lehre Spinozas besteht dagegen darin, daß man die auf einen Teil der Natur anwendbare Kategorie auf das G a n z e der N a tu r nicht ausdehnen kann. Wenn jede einzelne Naturerscheinung durch eine andere begrenzt wird, eine äußere Ursache hat, so kann man das von der Natur als Ganzes nicht sagen. Dasselbe gilt für die Begriffe des Entstehens und Vergehens. Diese Begriffe sind so oder anders anwendbar auf Einzelerscheinungen, aber nicht auf die Welt als solche. Die Welt entsteht nicht und vergeht nicht.
Auf diese Weise ist also die Natur oder Gott, wie Spinoza sich ausdrückt, ein ens absolute indeterminatum, d. h. ein absolut undeterminiertes, unbegrenztes Wesen. Indeterminatum wird gewöhnlich mit u n b e s t i m m t übersetzt. Das widerspricht aber vollkommen dem ganzen Sinn der Lehre Spinozas, denn die Natur (bzw. Gott) ist ein Wesen, das in sich die ganze Totalität des Seins, den ganzen Reichtum der Bestimmungen enthält. Infolgedessen bedeutet indeterminatum nur unbegrenzt, undeterminiert, im Gegensatz zu begrenzt, determiniert. Der bekannte Satz Spinozas „Omnis determinatio est pegatio“ muß ebenfalls in dem Sinne aufgefaßt werden, daß eine jede Beschränkung eine Negation ist, d.h. daß alles Endliche in sich seine eigene Negation enthält. Gewöhnlich

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wird dieser Satz in dem Sinne gedeutet, daß jede Bestimmung (l o g i s c h e Definition) eine Negation sei. Das entspricht ebenfalls nicht dem wirklichen Sinn, den Spinoza in diesen Satz hineinlegt*5 .
Also, die Natur als Ganzes ist nicht begrenzt und nicht determiniert; jedes endliche Ding aber ist begrenzt und determiniert durch andere Dinge, d. h. ist vergänglich und veränderlich. An und für sich, als Ganzes, durch nichts determiniert, ursachlos, ist aber die Natur in allen ihren Erscheinungen durch und durch determiniert. In diesem Sinne spricht denn auch Spinoza von der freien Notwendigkeit.
" Daß notwendig und frei zwei Gegensätze sind, scheint mir nicht minder unsinnig und vernunftwidrig…" ( Brief an Hugo Boxel Im Briefwechsel, , S. 228)
Was kraft der Notwendigkeit seiner eigenen Natur existiert und zum Handeln nur durch sich selbst bestimmt wird, ist eben f r e i. Aber kraft der Notwendigkeit ihrer eignen Natur existiert nur die Welt als Ganzes*6 . Folglich ergibt sich aus der absoluten Notwendigkeit der Natur ihre Ursachlosigkeit, und umgekehrt: gerade die Ursachlosigkeit bedeutet absolute Notwendigkeit, absolute Existenz.
Wenn ich jetzt zu der Natur der e n d l i c h e n Dinge übergehe, so muß ich die Aufmerksamkeit wiederum auf den rein d i a l e k t i s c h e n Charakter der Fragestellung Spinozas lenken. Alles Endliche hat die Ursache seiner Existenz (im Gegensatz zur Natur als Ganzes) nicht in sich selbst, sonst wäre es eine absolute causa sui, sondern in anderen Dingen. Ein jedes Ding wird durch die Totalität der Dinge bestimmt; es hat keine isolierte Existenz; alle Dinge stehen in einem gegenseitigen Zusammenhang wirken aufeinander. Deshalb ist alles Endliche begrenzt, d. h. es enthält in sich die N e g a t i o n seines eigenen Seins, während die Natur als Ganzes ein absolut p o s i t i v e s Sein darstellt, das

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jede Negation ausschließt. Anderseits sind alle negativen Definitionen der Natur als Ganzes (unendlich, unbegrenzt, Unteilbarkeit. ohne Anfang usw.) nicht Negationen. sondern im Gegenteil a b s o l u t p o s i t i v e Definitionen. Die Negation geht hier dialektisch in die Bejahung über. Alle p o s i t i v e n Definitionen des E n d l i c h e n dagegen drücken gerade dessen Negation, dessen vergängliche Natur aus. Ueber den gegenseitigen Zusammenhang der endlichen Dinge spricht sich Spinoza in einem anderen Briefe folgendermaßen aus:
" Da wir nun alle natürlichen Körper ebenso begreifen können und sollen, wie wir hier das Blut begriffen haben - alle Körper sind ja von anderen umgeben und werden von Ihnen wechselseitig auf gewisse und bestimmte Art zum Existieren und Wirken bestimmt, unter ständiger Beibehaltung desselben Verhältnisses von Bewegung und Ruhe in allem zugleich, d.h. im gesamten Universum - so folgt daraus, daß jeder Körper, sofern er als durch einen bestimmten Modus modifiziert existiert, als ein Teil des gesamten Universums betrachtet werden muß, daß er mit seinem Ganzen in Uebereinstimmung und mit den übrigen Teilen in Zusammenhang steht. Und da ja die Natur des Universums nicht wie die Natur des Blutes begrenzt, sondern schlechthin unendlich ist, so werden infolge dieser Natur der unendlichen Möglichkeit die Teile des Universums in unendlichen Modis modifiziert und müssen unendliche Veränderungen erleiden. Im Hinblick auf die Substanz aber hat der einzelne Teil nach meiner Auffassung eine viel engere Vereinigung mit seinem Ganzen. Denn wie ich Ihnen schon in meinem ersten Brief zu beweisen versuchte, den ich schrieb, als ich noch in Rhijnsburg wohnte: da es zur Natur der Substanz gehört, daß sie unendlich ist, so folgt daraus, daß zur Natur der Substanz jeder Teil der körperlichen Substanz gehört und daß sie ohne diese weder sein noch begriffen werden kann." ( Brief an Oldenburg. Briefwechsel, , S. 147,148)
Folglich ist die Annahme unrichtig, vom Standpunkt Spinozas sei die Natur ein erstarrtes, totes, unbewegliches und unveränderliches Sein. Der Denker hebt, wie wir sehen, ausdrücklich hervor, daß die Teile des Universums u n e n d l i c h e V er ä n der u n gen erleiden können. „Es existiert nichts, aus dessen Natur nicht irgendeine Wirkung folgte.“ („Ethik“. 1, Lehrsatz 36.) Alle Dinge der Natur wirken aufeinander, d. h. befinden sich in Wechselwirkung. Jeder Körper sei ein Teil des Universums und stehe sowohl mit allen seinen übrigen Teilen im Zusammenhang als auch in Abhängigkeit vom Ganzen. Die gesamte Natur aber ist, wie Spinoza sich ausdrückt,
" Ein Individuum, dessen Teile, das heißt alle Körper insgesamt. unendlichfach wechseln ohne irgendeine Veränderung des Individuums als Ganzen." ( Ethik“ II., Lehrsatz 13. Anmerkung. , S. 60)

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Die Form oder das Antlitz des gesamten Universums (Facies totius universi) bleibe, bei allen Veränderungen der Teile, unveränderlich. Ich kann hier nicht bei der Frage verweilen, wie die Unveränderlichkeit des Antlitzes des ges a m t e n U n i v e r s u m s aufzufassen ist. Für meinen Zweck dürfte es genügen, die Ansicht Engels‘ über diese Frage anzuführen:
" „W e c h s e l w i r k u n g ist das erste, was uns entgegentritt, wenn wir die sich bewegende Materie im ganzen und großen vom Standpunkt der heutigen Naturwissenschaft betrachten. Wir sehen eine Reihe von Bewegungsformen, mechanische Bewegung, Wärme, Licht, Elektrizität, Magnetismus, chemische Zusammensetzung und Zersetzung, Uebergänge der Aggregatzustände, organisches Leben, die alle, wenn wir jetzt noch das organische Leben ausnehmen, ineinander übergehen, einander gegenseitig bedingen, hier Ursache, dort Wirkung sind, und wobei die Gesamtsumme der Bewegung in alten wechselnden Formen dieselbe (Spinoza: die Substanz ist cousa sui - drückt die Wechselwirkung schlagend aus) bleibt." ( Engels. „Naturdialektik“ , S. 166)
Also hier sehen wir, wie die Ansichten Spinozas und Engels, (auch Hegels) sich fast vollkommen decken.
Welchen Platz nimmt nun der Mensch in der Natur ein? Auf diese Frage können wir jetzt eine ganz bestimmte Antwort erteilen. Der Mensch ist nicht irgendein besonderes, privilegiertes Wesen, er steht nicht außerhalb oder über der Natur. Der Mensch ist ein Teil der Natur, ob wir nun seinen Körper oder seine Seele betrachten. Als Teil der Natur ist der Mensch denselben Einwirkungen aller anderen Körper ausgesetzt, wie auch die anderen Teile der Natur. Das Leben des Menschen wird also nicht durch irgendwelche übernatürlichen Kräfte, sondern durch die allgemeinen Naturgesetze bestimmt.
Bevor wir aber, wenn auch nur kurz, beim Menschen verweilen, müssen wir einige Worte über das Wechselverhältnis von Substanz und ihren Attributen sagen. Spinoza hat meiner Auffassung nach die außerordentlich wichtige materialistische These begründet, die sich in zwei Worten ausdrücken läßt: die Materie denkt. Nach der Lehre Spinozas gibt es in der Natur nicht zwei Substanzen, sondern nur eine Substanz, die gleichzeitig ausgedehnt und denkend ist. Was Spinoza in seiner Sprache S u b s t a n z nennt, heißt in gewöhnlicher Sprache M a t e r i e. Die Materie ist sozusagen das Geheimnis der Spinozaschen Substanz. Spinoza wandte sich nur gegen

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die Identifizierung von Denken und Ausdehnung, hielt aber entschieden das Denken für eine Eigenschaft der Materie. Deshalb verwarf er die Descartessche Identifizierung von Materie und Ausdehnung. In einem seiner Briefe an Tschirnhaus schreibt er:
" Auf Ihre Frage, ob aus dem bloßen Begriff der Ausdehnung die Verschiedenheit der Dinge a priori bewiesen werden könne, glaube ich schon klar genug geantwortet zu haben, indem ich nachwies, daß dies nicht möglich sei, und daß darum die Materie von Descartes zu Unrecht durch die Ausdehnung definiert wird, daß sie vielmehr notwendig durch ein Attribut erklärt werden muß, das ewige und unendliche Wesenheit ausdrückt." ( Briefwechsel , S. 300)
Wenn die Natur der Materie durch die Ausdehnung erschöpft wird, wenn sie mit dieser identisch ist, so ist das Denken als Eigenschaft der Materie unmöglich, denn Denken und Ausdehnung sind ganz verschiedene Eigenschaften. Spinoza schreibt deshalb in einem Briefe an Heinrich Oldenburg über diese Frage folgendes:
" Aber, sagen Sie, vielleicht ist das Denken eine körperliche Handlung. Meinethalben, obwohl ich es keineswegs zugebe. Aber das eine werden Sie doch nicht leugnen, daß die Ausdehnung als solche nicht Denken ist." ( Briefwechsel , S. 13)
Mir scheint, daß dieses Zitat ein grelles Licht auf die Frage des Wechselverhältnisses zwischen den Attributen und der Substanz wirft. Einerseits betont der Philosoph aufs bestimmteste die qualitative Verschiedenartigkeit von Ausdehnung und Denken (sogar wenn man das Denken als eine rein körperliche Handlung auffaßt, wie das Spinoza offenbar in der ersten „mechanischen“ Phase seiner Entwicklung tat), anderseits aber ist er bestrebt, ihre E i n h e i t herzustellen. Deshalb darf man Materie und Ausdehnung nicht identifizieren. Daraus ergibt sich aber ganz klar, daß unter Substanz die Materie zu verstehen ist, die die Einheit zweier Attribute bildet: Die Materie besitzt die Fähigkeit zu denken, und es gibt kein Denken ohne Materie.
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß G. W. Plechanow das System Spinozas zu den materialistischen Systemen rechnet und den Materialismus von Marx und Engels für eine Art Spinozismus hält. Im Vorwort zu „Ludwig Feuerbach“ schreibt Plechanow:
" Wenn die Kritiker von Marx‘ einmütig einen Schrei des Erstaunens[67] ausstießen, als ich in der Polemik gegen Bernstein den Gedanken ausdrückte, daß der Materialismus von Marx und Engels eine Art Spinozismus sei, so erklärt sich das allein aus ihrer bewundernswerten Unwissenheit. Um diesen Gedanken besser zu verstehen, muß man sich erstens daran erinnern, daß Marx und Engels durch die Philosophie Feuerbachs hindurchgegangen sind, zweitens muß man sich über den eigentlichen Unterschied zwischen der Philosophie Feuerbachs und Spinozas klar werden. Wer es versteht, das Gelesene zu begreifen, wird bald erkennen, daß Feuerbach in bezug auf seine Grundauffassung über das Verhältnis von Sein und Denken - Spinoza ist, der aufgehört hat, die Natur Gott zu nennen, und durch die Schule Hegels gegangen ist." ( Engels, „Ludwig Feuerbach“, 1906, , S. 11)
Plechanow ist also der Auffassung, daß gerade in der grundlegenden Frage des Verhältnisses von Denken und Sein der Marxismus mit dem Spinozismus übereinstimme. Daß Plechanow in der Tat den Standpunkt der Begründer des Marxismus richtig ausgelegt hat, finden wir jetzt durch die eigenen Worte Engels‘ bekräftigt. In einem Abschnitt in der „Naturdialektik“, der betitelt ist: „Einheit von Natur und Geist“, schreibt Engels:
" Den Griechen von selbst einleuchtend, daß die Natur nicht unvernünftig sein konnte, aber selbst heute noch die dümmsten Empiriker beweisen durch Ihr Räsonnement (so falsch es auch sein mag), daß sie von vornherein überzeugt sind, die Natur könne nicht unvernünftig und die Kunst nicht widernatürlich sein." ( „Naturdialektik“, S. 169)
An einer anderen Stelle formuliert Engels seinen Standpunkt in der Frage des Verhältnisses von Denken und Materie folgendermaßen:
" Der Witz aber der, daß der Mechanismus (auch der Materialismus des XVIII. .Jahrhunderts) nicht aus der abstrakten Notwendigkeit und daher auch nicht aus der Zufälligkeit herauskommt. Daß die Materie das denkende Menschenhirn aus sich entwickelt, ist ihm ein purer Zufall, obwohl, wo es geschieht, von Schritt zu Schritt notwendig bedingt. In Wahrheit aber ist es die Natur der Materie, zur Entwicklung denkender Wesen fortzuschreiten, und dies geschieht daher auch notwendig immer, wo die Bedingungen (nicht notwendig überall und Immer dieselben) dazu vorbanden." ( „Naturdialektik“, S. 202)
Für jeden ergibt sich daraus klar, daß der Standpunkt Engels‘ im wesentlichen mit dem Standpunkt Spinozas zusammenfällt.
Kehren wir aber zum Menschen zurück. Wir wissen, daß der Mensch ein Teil der Natur ist.
" Seele und Körper sind ein und dasselbe Individuum, das bald unter dem Attribut des Denkens, bald unter dem Attribut der Ausdehnung begriffen wird." ( Spinoza, „Ethik“ II. Lehrsatz 21, Anmerkung., S. 28)
Der Mensch ist folglich nur eine Modifikation der Attribute

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der Natur oder der Substanz. Bemerkenswert ist aber, daß bei Spinoza überall der Körper das Erste ist. Ihm gehört sozusagen das Primat über die Seele, die nur eine Idee des Körpers ist. Der Körper ist das wirkliche Objekt der Seele, in der gewissermaßen sich alle Aenderungen widerspiegeln, die im Körper durch die Einwirkung äußerer Körper vor sich gehen.
Dieser materialistische Charakter der ganzen Psychologie Spinozas hat denn auch einen der neueren Schriftsteller zum herzerbrechenden Zweifel am Idealismus unseres Philosophen geführt.
" Wenn der Inhalt des Geistes nur die Regungen des Körpers sind, was bleibt dann dem Geist als sein eigener Inhalt, der unabhängig ist von körperlichen Erregungen?" ( B. Kellermann, Die Ethik Spinozas; 1922,, S. 256)
Kellermann fragt mit Recht: Wie kommt man eigentlich dazu, Spinoza für den Begründer des wissenschaftlichen I d e a l i s m u s zu halten? Seiner Ansicht nach besteht dafür kein Grund; und wir können ihm darin nur zustimmen. Leider kann ich auf die Erkenntnistheorie Spinozas und seiner Lehre von den Affekten nicht mehr eingehen. Ich wende mich im Schlußteil meines Referates der Frage der Ethik, d. h. der Frage der Lebensweise zu, wie sie sich aus der gesamten Lehre des Philosophen ergibt.
Der Mensch ist ein Naturwesen, das ebenso wie alle Naturwesen nach Selbsterhaltung, nach Befriedigung aller Bedürfnisse, nach Glück, d. h. nach allem strebt, was für ihn von N u t z e n ist. Das Streben nach Selbsterhaltung ist nach der Auffassung Spinozas die erste und einzige Grundlage der Tugend.
" Unbedingt aus Tugend handeln ist nichts anderes in uns, als nach der Leitung der Vernunft handeln, leben, sein Sein erhalten ... auf der Grundlage des Suchens nach dem eigenen Nutzen." ( „Ethik“ IV. Lehrsatz 24,, S. 102)
Die Tugend besteht somit lediglich im Handeln nach den Gesetzen der eigenen Natur. Wir h an d e l n aber nur insofern, als wir e r k e n ne n. Als Teil der Natur untersteht der Mensch den allgemeinen Naturgesetzen. Er ist allen .passiven Zuständen ausgesetzt, den allgemeinen Naturgesetzen unterworfen und p a ß t sich ihnen an, soweit es die Natur der Dinge fordert. Das Wesen des passiven Zustandes wird durch

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das Verhältnis der Stärke der äußeren Ursache zu unserer eigenen Fähigkeit bestimmt. Ueberläßt sich der Mensch ausschließlich seinen Affekten, so wird er zu ihrem Sklaven, zu einem ausschließlich passiven Wesen. Die Vernunft erst macht den Menschen zu einem a k t i v e n Wesen vermöge der E r k e n n t n i s der Naturgesetze und weil der Mensch die Affekte und Leidenschaften in den Dienst der Vernunft stellt, sie sich unterwirft und zum eigenen Nutzen verwertet. Der Mensch ist den verschiedensten Einwirkungen der Natur ausgesetzt, aber als Vernunftwesen vermag der Mensch seinerseits auf die Natur einzuwirken. In diesem Sinne macht die Vernunft den Menschen frei. Da aber die Macht der Natur die des einzelnen Menschen unendlich übertrifft, so ist ein erfolgreicher Kampf des Menschen mit der Natur nur möglich, wenn dieser Kampf nicht von einzelnen, sondern von der Gemeinschaft mit kollektiven Kräften geführt wird.
" Für den Menschen ist daher nichts nützlicher als der Mensch; nichts Wertvolleres, sage ich, können sich die Menschen zur Erhaltung ihres Sein wünschen, als daß alle in allem dergestalt übereinstimmen, daß die Seelen und Körper aller zusammen gleichsam eine einzige Seele und einen einzigen Körper bilden, daß alle zumal, soviel sie können, ihr Sein zu erhalten streben und alle zumal für sich den gemeinsamen Nutzen aller suchen; woraus folgt, daß die Menschen, die sich durch die Vernunft lenken lassen, das heißt die Menschen, die nach der Leitung der Vernunft ihren Nutzen suchen. nichts für sich erstreben, was sie nicht auch für die übrigen Menschen begehren, und mithin daß sie gerecht, redlich und ehrbar sind." ( „Ethik“ IV. Lehrsatz 18, Anmerkung., S. 189)
Wir sehen, daß Spinoza hier den individualistischen Standpunkt überwindet, obwohl das Individuum für ihn der Ausgangspunkt ist. Nur in der Gemeinschaft könne das Individuum alle seine Kräfte entfalten und das höchste Glück oder die höchste Vollkommenheit erlangen. An einer anderen Stelle betont Spinoza ausdrücklich, daß ihn die bestehende Lebensordnung nicht befriedigt, daß in ihr Haß und gegenseitige Feindschaft herrschen. Mag der große Philosoph auch die gesellschaftlichen Wurzeln und Bedingungen dieser Beziehungen nicht erkannt haben, so hinderte ihn das aber nicht, die Forderung nach einer solchen menschlichen Gemeinschaft, einer solchen gesellschaftlichen Organisation aufzustellen, in der die Interessen aller Menschen miteinander übereinstimmen, die

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menschliche Gemeinschaft einen Geist und einen Körper bildet und alle Menschen Freunde sind*7 .
Es ist offenbar, daß wir eine solche Organisation der Gesellschaft im Kommunismus haben. Und in diesem Sinne strebt das moderne Proletariat nach Verwirklichung des von Spinoza aufgestellten Ideals, unabhängig davon, was der Philosoph k o n k r e t unter der gesellschaftlichen Organisation verstand, in der alle Menschen einen Körper und einen Geist bilden.
" Es ist für die Menschen vor allem nützlich - sagt Spinoza an einer anderen Stelle -‚ ihre G e w o h n h e i t e n zueinander in Beziehung zu selten, und sich aufs engste miteinander durch solche Bande zu verknüpfen, durch die sie aus sich allen eine Einheit machen; und überhaupt das zu tun, was zur Befestigung der Freundschaften dient. *8 " ( „Ethik“ IV. , S. 237)
Gerade weil die menschliche Fähigkeit begrenzt ist und die Macht der äußeren Ursachen die Fähigkeiten des Menschen unendlich übertrifft, ist es für den Kampf mit der Natur notwendig, daß die Menschen mit vereinten Kräften die äußeren Dinge ihrem Nutzen anpassen. Aber ein Teil der Natur kann nicht zum G a n z e n werden, infolgedessen wird die Menschheit niemals imstande sein, sich die äußeren Dinge sozusagen a b s o l u t anzupassen und unterzuordnen. Darin aber liegt nichts Tragisches, und in diesem Sinne müssen wir uns mit der Notwendigkeit der Natur ausdehnen, indem wir die aus dieser Notwendigkeit erwachsenden Schranken unserer möglichen Macht über die Natur erkennen.

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Die Blicke unseres Philosophen sind also nicht nach rückwärts, nach einem primitiven, barbarischen Leben gerichtet, sondern nach vorwärts, nach kulturellem, menschlichem Schöpfertum.
" Mögen also - ruft Spinoza aus - die Satiriker die menschlichen Dinge verlachen, so viel sie wollen, mögen die Theologen sie verwünschen, und mögen die Trübsinnigen das unkultivierte und ländliche Leben, soviel sie können, loben, mögen sie die Menschen geringschätzen und die unvernünftigen Tiere bewundern, sie werden doch die Erfahrung machen, daß die Menschen durch wechselseitige Hilfeleistung ihren Bedarf sich viel leichter verschaffen und nur mit vereinten Kräften die Gefahren, die von überall her ihnen drohen, vermeiden können; für jetzt davon zu geschweigen, daß es viel wertvoller und unserer Erkenntnis würdiger ist, das Tun der Menschen zu betrachten als das der unvernünftigen Tiere." ( „Ethik“ IV. , S. 201)
Die gesamte Weltanschauung Spinozas trägt, wie aus den hier kurz entwickelten Grundzügen seiner Lehre hervorgeht, einen lebensfrohen und optimistischen Charakter. Es wäre falsch, in Spinoza einen Einsiedler zu sehen, der dem Menschen Demut und asketisch-christliche Moral predigt. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Nach Spinoza besteht die r i c h t i g e L e b e n s w e i s e des Menschen in der vollen Entfaltung der Macht und Stärke, die in der menschlichen Gemeinschaft, im Streben nach vernünftigen Genüssen, höchster Vollkommenheit und Lebensfreude ruhen. Spinoza äußert sich darüber in seiner „Ethik“ in den temperamentvollsten Wendungen:
" Fürwahr nur ein finsterer und trauriger Aberglaube verbietet, sich zu ergötzen. Denn warum sollte es sich mehr ziemen, Hunger und Durst zu stillen, als den Trübsinn zu verscheuchen? Mein Grundsatz ist, an diesem Glauben hielt ich fest: Keine Gottheit, noch sonst jemand, es sei denn ein Neider, ergötzt sich an meiner Ohnmacht und meinem Ungemach, oder rechnet uns Tränen, Schluchzen, Furcht und andere derartige Zeichen von Ohnmacht des Gemüts als Tugend an; umgekehrt vielmehr, in je größere Freude wir versetzt werden, zu desto größerer Vollkommenheit gehen wir über, das heißt desto mehr haben wir notwendigerweise Anteil an der göttlichen Natur. Aus den Dingen Vorteil ziehen und an ihnen nach Möglichkeit sich ergötzen (nicht freilich bis zum Ueberdruß, denn das hieße nicht: sich ergötzen) ziemt daher dem weisen Manne. Dem weisen Manne, sage Ich, ziemt es, sich mit Maß an wohlschmeckenden Speisen und Getränken zu laben und zu stärken, ebenso auch an Wohlgerüchen, an der Lieblichkeit grünender Pflanzen, an Schmuck, Musik, körperlichen Spielen. Theatern und anderen derartigen Dingen, aus denen jeder ohne irgendwelchen Schaden eines anderen für sich Vorteil ziehen kann. Denn der menschliche Körper ist aus sehr vielen Teilen von verschiedener Natur zusammengesetzt, die beständig neuer und auch mannigfaltiger Nahrung bedürfen, damit der Körper zu allem, was ans seiner Natur folgen kann, gleichmäßig fähig sei, und folglich, damit auch die [72] Seele gleichmäßig fähig sei, vielerlei zugleich einzusehen. Diese Lebensführung stimmt also mit unseren Prinzipien wie mit der gewöhnlichen Praxis aufs beste überein. Wenn irgendeine, ist daher diese Lebensart die beste und auf jede Weise zu empfehlen; und es ist unnötig, noch klarer und ausführlicher hiervon zu handeln." ( „Ethik“ IV. , S. 212,213)
Aus unserer ganzen Darlegung folgt, daß Spinozas Hauptstreben gerichtet war auf die Verwirklichung einer „richtigen Lebensweise“ des Individuums und der Gemeinschaft, einer „vollkommenen“ gesellschaftlichen Organisation. in der es möglich wäre, das höchste Glück, die größte Freude und Lebensfülle aller Menschen, oder mit anderen Worten, die bewußte Einheit des Geistes mit der Natur zu erreichen. In der Erkenntnis der Einheit, die den Geist mit der gesamten Natur verbindet, bestehe eben die Natur des Menschen.
" Dies ist also das Ziel, nach dem ich strebe: eine solche Natur zu erlangen und zu suchen, daß viele sie mit mir erlangen: d. h. es gehört auch zu reinem eigenen Glücke, mir Mühe zu geben, daß viele andere dieselbe Erkenntnis haben wie Ich, und daß ihr Erkennen und Wollen mit meinem Erkennen und Wollen völlig übereinstimmt. Zu diesem Zwecke muß man so viel von der Natur verstehen, als nötig ist, um eine solche Natur zu erlangen. Sodann muß man eine solche Gesellschaft bilden, wie sie erforderlich ist, damit möglichst viele Menschen so leicht und sicher als möglich dahin gelangen. Ferner hat man sich der Moralphilosophie und der Erziehungslehre zu befleißigen. Da die Gesundheit kein geringes Mittel ist, jenes Ziel zu erreichen, so ist eine vollständige Heilkunde auszubilden. Da man durch die Kunst vieles Schwierige leicht machen und viel Zeit und Mühe im Leben sparen kann, so darf die Mechanik in keiner Weise vernachlässigt werden. Vor allem aber muß ein Mittel erdacht werden, den Verstand zu heilen, und ihn, soviel es im Anfange möglich ist, zu reinigen, damit er die Dinge glücklich, ohne Irrtum und möglichst vollkommen erkenne. Hieraus kann schon jeder sehen, daß ich alle Wissenschaften auf einen Zweck und auf ein Ziel hinleiten will, nämlich darauf, jene höchste menschliche Vollkommenheit, von der wir gesprochen haben, zu erreichen. Und so werden wir all dasjenige in den Wissenschaften, das uns unserem Ziele nicht näher bringt, als unnütz verwerfen müssen; d. h. um es mit einem Wort zu sagen: wir müssen alle unsere Handlungen und Gedanken auf jenes Ziel richten." ( „Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes“., S. 6,7)
Die Wissenschaften haben also für Spinoza einen rein p r a k t i s c h e n Wert, insofern sie unserem Endziele dienen. Das Ziel aller Wissenschaften und aller menschlichen Erkenntnis ist aber die Erlangung der höchsten menschlichen Vollkommenheit. Einen außerordentlich wichtigen Platz räumt Spinoza der Mechanik oder Technik ein, d.h. in heutiger Sprache, der Entwicklung der Produktivkräfte, denn das führt zur Steigerung unserer Macht über die Natur. Die Technik

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stehe im engsten Zusammenhang mit der Naturwissenschaft‚ die die wichtigste Wissenschaft sei; ihr Gegenstand sei die Natur, d. h. die Wesenheit der Substanz (und des Menschen als eines Teils der Natur). Auf der Grundlage der Naturwissenschaft (und des Wissens vom Menschen) müsse man die entsprechende gesellschaftliche Organisation aufbauen. Die auf der Naturerkenntnis gegründete Moralphilosophie sei die Lehre von der richtigen Lebensweise in dem von uns bereits dargelegten Sinne. Die Medizin bemühe sich um die Gesundheit des Menschen, denn die Gesundheit ist die erste Vorbedingung der Freude. Die Wissenschaft vom Verstand oder der Methode der Erkenntnis stelle sich die objektive adäquate Erkenntnis der Welt zur Aufgabe.
Das sind die grundlegenden Elemente der Philosophie Spinozas*9 .
Genossen! Ich will mich nicht einlassen auf Prophezeiungen darüber, wo Spinoza stehen würde, wenn er heute lebte. Eins ist für mich jedenfalls klar: ein Agent des Völkerbundes wäre Spinoza nie und nimmer. Zum zweiten möchte ich hier hervorheben, daß wir Spinoza auf keinen Fall unseren Feinden überlassen dürfen. Es besteht absolut kein Grund dafür. Spinoza war ein großer materialistischer Denker. Wir müssen in ihm einen Vorläufer des dialektischen Materialismus sehen. Der wirkliche Erbe Spinozas ist daher nur das moderne Proletariat.

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*1
Vortrag in der feierlichen Sitzung der Kommunistischen Akademie in Moskau aus Anlaß des Todestages Spinozas.
*2
Alle Spinozazitate nach der Gebhardtschen Ausgabe von 1922 im Verlag Felix Meiner, Leipzig.
*3
Regius, „Philosophia naturalis“, 1654 (ein Exemplar dieses Buches befindet sich im Marx-Engels-Institut“ in Moskau); man vergleiche auch Dunin-Borkowski, „Der junge De Spinoza“. S. 395.
*4
M. Lucas, „Das Leben und der Geist des Herrn Benedict de Spinoza“ (im Sammelbuch Gebhardts: „Spinoza, Lebensbeschreibungen und Gespräche“). Die betreffende Stelle befindet sich auf Seite 14 der deutschen Ausgabe. Leider haben wir das französische Original nicht zur Hand.
*5
Siehe M. Friedrichs, „Der Substanzbegriff Spinozas“. 1896; A. Wenzel, „Die Weltanschauung Spinozas“, 1907; C. N. Starcke, „Baruch de Spinoza“, 1923.
*6
Spinoza macht einen sehr wichtigen Unterschied zwischen dem kraft seiner Wesenheit oder seiner eigenen Natur Unendlichen und den kraft seiner Ursache Unendlichen. Diese Unterscheidung ist identisch mit der Lehre Hegels von der wahren und falschen Unendlichkeit.
*7
Unter Freunden - erklärt Spinoza - muß alles gemeinsam sein. Deshalb greift der Philosoph in seinem Schreiben vom 17.II.1671 den Autor des damals erschienenen Buches „Der politische Mensch“ sehr scharf an. In diesem Buch entwickelt der Verfasser den Gedanken, daß Geld und Ehre die höchsten Güter seien. Spinoza hatte die Absicht, eine spezielle Arbeit gegen diesen Autor abzufassen. In dem erwähnten Briefe schreibt der Philosoph unter anderem folgendes: „Wahrhaftig, um wieviel besser und vortrefflicher die Gedanken des Thales von Milet waren als eben dieses Schriftstellers, das zeigte sich schon aus der folgenden ueberlegung. Alles, sagt er, ist unter Freunden gemeinsam‘.“ (Briefwechsel, S. 199.)
*8
Spinoza fordert, die Gesellschaft solle sich um die Besitzlosen kümmern und ihnen alles für die Erhaltung ihres Lebens Notwendige geben. „Darum liegt die Sorge für die Armen der ganzen Gesellschaft ob und gehört nur zum Gemeinwohl.“ (‚.Ethik“. Teil IV, Anhang. Hauptsatz 17, S. 238.)
*9
Ich habe mich hier nur darauf beschränkt, die starken Seiten der Lehren Spinozas hervorzuheben, ohne diese positiven Momente vom Standpunkte unserer heutigen Anschauungen zu würdigen; noch ferner lag es mir, die für uns unannehmbaren Momente der Lehre Spinozas einer Kritik zu unterziehen. Worauf es mir ankam, war, hervorzuheben, daß Spinoza am wesentlichen einen materialistischen Standpunkt einnahm und daß das Grundziel seines philosophischen Schaffens die Herrschaft des menschlichen Kollektivs über die Natur zur Erreichung der höchsten Vollkommenheit und des höchsten Glücks, der höchsten Solidarität der Menschen in der Gesellschaft war.


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