prev-arrow Projekte
Team Kollegen Opel Bochum sowie NN
Thema Fragen einer Perspektivdebatte und ein Antwortversuch ( original )
Status 1995/6 - 9 Fragenkomplexe und ein Antwortversuch
Letzte Bearbeitung 07/2004
Home www.mxks.de

1. Fragen der Perspektivdebatte und ein Antwortversuch

1. Fragen der Perspektivdebatte und ein Antwortversuch

Januar 96
Beitrag*1 zu einer Perspektivdebatte , die eingefordert wird im Anhang des Papiers der Kolleginnen und Kollegen der "Standort"-Gruppe bei Opel Bochum (5.9.1995):

"Gegen die Konkurrenz- und Standortlogik und gegen Ihre Akzeptanz durch die Gewerkschaften"

Folgende Fragen wären durch eine Perspektivdebatte u.a. zu klären:
  1. Wo zeigen sich die Widersprüche zwischen vergesellschafteter Produktion und privater Aneignung heute am deutlichsten, sozusagen als breit erkennbare und von uns zu nutzende Bruchpunkte der Entwicklung?

    Tendenzen globaler gesellschaftlicher Entwicklung:
    (Die Medien überfluten uns tagtäglich mit Bildern, die sich wie ein Puzzle zu einem Gesamteindruck verdichten, der kaum erträglich ist, und den wir am liebsten verdrängen, was bei den tagtäglichen Anforderungen an jeden von uns ja auch sehr einfach ist.)
    • die materielle und psychische Lage des allergrößten Teils der Weltbevölkerung verbessert sich keineswegs trotz rapide wachsenden Reichtums, gemessen in Geld: Ein (paradoxerweise nicht schrumpfender, sondern) wachsender Anteil der Lebenszeit und -kraft muß tagtäglich geopfert werden, nur um die nötigsten Bedürfnisse überhaupt befriedigen zu können. Psychische Belastungen nehmen im Lebensalltag zu neben körperlichem Verschleiß. Es verstärken sich alle möglichen Existenzängste in dem Maße, je mehr Menschen um immer weniger Arbeitsplätze konkurrieren müssen
    • Die Schere zwischen arm und reich öffnet sich in nicht gekanntem Ausmaß
    • Die sozialen Bande der Clans und Familien zerreißen, soziale und kulturelle Milieus lösen sich auf und heraus treten die Individuen als Atome des Geldes, an dessen Tropf sie hängen und an dem es jedoch meistens mangelt
    • Eine beschleunigte Anhäufung: auf der einen Seite unvorstellbaren menschlichen Leids, Elends bis zum Verhungern in allen Regionen der Erde, auf der anderen Seite riesiger Geldmengen, die gelenkt von wenigen Punkten der Erde vergeblich weltweit nach profitabler Anlage suchen
    • wo, was, wie, wie lange produziert wird, unterliegt den Sachzwängen der Kapitalverwertung; kein Mensch, kein Einzelkapital, kein Staat kann sich der Macht dieser Gottheit bei Strafe des Untergangs entgegenstellen: friß meine Produktionsbedingungen oder stirb!
    • Ein wachsender Ausstoß von Gütern wird von einer schrumpfenden Zahl von Arbeitskräften bewältigt bei kaum wachsenden Märkten. Die Intensität der Arbeit und Länge der Arbeitszeit steigen, Tarifrechte werden gegenstandslos, die Arbeitslosenheere vergrößern sich ohne jede Aussicht auf eine Tendenzwende
    • Den Arbeitslosenheeren bleibt nichts übrig, als zu den Arbeitsplätzen zu wandern, sie werden in den Metropolen als Überbevölkerung diffamiert. Nationalistische Standortdebatten schüren entsprechende rassistische Vorurteile, hetzen die Lohnabhängigen unter Ausnutzung ihrer Existenzzwänge gegeneinander
    • Diese industriellen Reservearmeen drücken die Löhne bis hinunter ans Existenzminimum
    • Die ‘MC-Donaldisierung´ der Arbeitsverhältnisse ist durchsetzbar, mehrere Jobs pro Nase sind nicht mehr die Ausnahme
    • Der einzelne Mensch ist als Lohnsklave nur Arbeitstier und Kostenfaktor: angeheuert --> ausgepreßt --> ab 40 wirst Du gefeuert
    • jeder wird auf seine Art durchgewalkt in der Tretmühle des Alltags, die zunehmende (globale) Vergesellschaftung verlangt neue, sich ständig wandelnde Handlungsanforderungen gerade auch, um den konkurrenzmäßigen sozialen Status ständig aufrecht zu erhalten. Mit aller Kraft, aus Angst vor dem sozialen Absturz
    • Ein steigender Lebensstandard, gemessen an stetiger Zunahme des Massenkonsums, ist als Seifenblase geplatzt. Die sozialen Standards spotten inzwischen auch in den reichsten Metropolen endgültig der heuchlerischen Bezeichnung ‘soziale Marktwirtschaft‘
    • alle Staaten stehen in politischen Dauerkrisen, ohne Handlungsspielraum bezüglich Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut, Obdachlosigkeit, Gesundheitsfürsorge, Bildung... (viele Staaten sogar bezüglich Verhungern von Menschenmassen)
    • gelähmt sitzen sie in der Schuldenfalle bis hin zu Bankrott und Bürgerkrieg, mafiöse Verflechtungen weltweit, und nicht ausgemacht ist, ob nicht doch der Handelskrieg in einem atomaren Inferno zu entscheiden versucht wird
    • es droht die unwiderrufliche Zerstörung der Naturgrundlagen Boden, Wasser und Luft, jetzt manipulieren die Wahnsinnigen auch schon am Erbgut rum, skrupellos, rein nach Verwertungsinteressen

    Ob die hier nur angedeuteten oder weitere andere Tendenzen gesehen werden, gar als Bruchpunkte gesellschaftlicher Entwicklung gedeutet werden, hängt davon ab, wo der einzelne Mensch sich zufällig bewegt und dementsprechend seinen begrenzten Handlungsspielraum nutzt. Denn die weltweite Entwicklung verläuft sehr ungleichmäßig.

    Für die Lohnabhängigen der BR Deutschland läßt sich sagen: Der Traum der Sozialpartnerschaft ist ausgeträumt, doch das Erwachen dauert seine Zeit. Es tut weh, wenn die Illusionen beim Gürtel Engerschnallen verschwinden. Wenn die Kollegen, je nachdem, wie sie ihre Erfahrungen wahrnehmen und verarbeiten oder verdrängen, zeitlich verschieden zum Schluß kommen, die Unumkehrbarkeit der Tendenzen nicht länger beschönigen zu können, werden sie (vielleicht) von Bruchpunkten sprechen.

    Die Tendenzen belegen, daß die kapitalistische Produktionsweise trotz ihrer hoch entwickelten Technik nicht in der Lage ist, nur annähernd die weltweiten individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen, während sie selbst auf immer höherer Stufenleiter Kapital akkumuliert.*2


  2. Ist mit einer neuen Stufe der globalen Arbeitsteilung und der Vergesellschaftung der Arbeit auch eine neue Chance geplanter Produktion mit dem Ziel der möglichst besten Bedürfnisbefriedigung aller ermöglicht?

    Die heutige Maschinerie ist der Ausdruck des Vergesellschaftungsgrades und der damit einhergehenden Produktivität der Arbeit, die auf wissenschaftlich-technologischer Grundlage in mehreren Jahrhunderten ständig laufender Kapitalakkumulation herausgebildet wurde. Jetzt zur Profitproduktion eingesetzt, beinhaltet diese Maschinerie schon länger die objektive Möglichkeit, zur radikalen Reduktion der gesellschaftlich notwendigen Arbeit global eingesetzt zu werden, der Gesamtarbeit also, die zu einer erweiterten Reproduktion einer globalen menschlichen Gesellschaft notwendig ist. Auf der Grundlage der Informationstechnologie verknüpft das Kapital heute synchron alle für die Erhaltung und Verstärkung seines Verhältnisses wichtigen Punkte der Erde. Hiermit sind materielle Voraussetzungen gegeben, die als Ausgangspunkt einer globalen arbeitsteiligen, vergesellschafteten Produktion genommen werden können, die nach gesellschaftlichen und natürlichen Maßstäben ausgerichtet wäre.

    Zu bedenken ist, daß die laufende Ungleichmäßigkeit der Entwicklung der einzelnen Regionen sich jedoch gerade (auch innerhalb der Regionen) dadurch verstärkt, daß auf allen Erdteilen, in vielen Ländern, Sonderwirtschaftszonen auf Weitmarktniveau errichtet werden und verkettet miteinander produzieren.

    Doch die Chance geplanter Produktion liegt ja nicht in der toten Maschinerie, sondern im Wahrnehmen und Ergreifen der Chance durch die Menschen selbst. Mehr denn je handelt es sich um Problemfelder auf der Seite von uns Menschen als der Subjekte der Geschichte:
    • Werden sich die Menschen gegen eine spürbare Senkung des Lebensstandards irgendwann so wehren, daß ein Übergang in die Offensive möglich wird?
    • Inwieweit sind die Subjekte im Herr-Knecht-Verhältnis gefangen, wenn sie die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als naturgegeben ansehen?
    • Sehen sie es als naturgegeben an, die Arbeitskraft zwangsweise verkaufen zu müssen und den Arbeitsprodukten Preisetiketten anzukleben?
    • Sehen sie das Kapital nur als Ding, Geld, Fabrikanlagen, oder als gesellschaftliches Zwangsverhältnis, das sie tagtäglich einspannt und zur Arbeitskraftverausgabung zwingt, das sie aber auch selbst tagtäglich wieder neu produzieren?
    • Halten sie das Geld für ewig? Woher erklären sie dessen Macht?
    • Besteht die Vorstellung eines neuen, nur besseren Staats-‘sozialismus‘?
    • Oder sozialistischer‘ Marktwirtschaft?
    • Oder was ist mit Planung gemeint, wer übernimmt die Planung?
    • Können die Menschen sich vorstellen, nicht mehr von den Sachzwängen beherrscht zu werden, sondern die notwendigen Sachen gemäß einem gemeinsamen Plan untereinander aufgeteilt schlichtweg zu erledigen?
    • Sind die Menschen in der Lage, die Arbeit, die sie jetzt entsprechend den Sachzwängen der Kostenminimierung mittels des Geldkalküls erledigen müssen, gemeinsam gesellschaftlich zu reorganisieren, zusammenzusetzen, zu teilen, zu koordinieren mittels eines Arbeitszeitkalküls?
    • Sind die Gesellschaftsmitglieder, die sich schon gesellschaftspolitisch emanzipativ bewegen, in der Lage, die dringend notwendige internationale Zusammenarbeit zu forcieren?


  3. Mit einer neudefinierten Vorstellung von "Wachstum": ökologlsch vernünftig, möglichst global zukunftssicher, global emanzipatlv, massendienlich...?

    Herrschende Vorstellung von Wachstum = jährliche Wachstumsrate der Kapitalproduktion, gemessen in Geld als Bruttosozialprodukt = Zwang zur Kapitalakkumulation wird als natürlich und unabänderlich vorgegaukeit:

    Ausplünderung aller menschlichen und natürlichen Ressourcen. Maximale Ausdehnung des Arbeitstages und Auspressung der Arbeitskraft. Nicht verwertbare Bevölkerungsteile = Uberbevölkerung! Reichtumsform = Geld

    Innerhalb des Kapitalverhältnisses gibt es kein Entrinnen aus der Würgeschlange maßloser Profitproduktion. Dies entspringt dem Prinzip der Mehrwertproduktion. Der Mehrwert ist nichts anderes als die Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft (in Geld ausgedrückt = Lohn) und dem Wert, den die Arbeitskraft während ihrer Verausgabung produziert hat. Auf der Grundlage ständig verbesserter Maschinerie benötigt der Arbeiter immer weniger Arbeitszeit für die Herstellung des Werts der Arbeitskraft, und leistet somit um so steigende unbezahlte Mehrarbeit, die als Mehrwert in den Waren durch die Kapitalseite angeeignet wird. In Jahrhunderten stetiger kapitalmäßiger Verwertung des Arbeitsprozesses wurde so auf immer höherer Stufe Kapital akkumuliert. Inzwischen ist fast die gesamte Weltbevölkerung auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen und das Kapital beherrscht als automatisches Subjekt den Globus.

    Wird also nach einer menschlichen Gesellschaft auf dem Globus gefragt, die den obigen Anforderungen entspricht, so gilt es doch, wie bei jeder anderen Frage auch, nachzusehen, ob diese Frage schon gestellt wurde und ob Antworten dazu gegeben wurden. Die einzige uns bekannte und schlüssige prinzipielle Skizzierung des Wirtschaftmodus nach obigen Maßstäben ist seit Marx Kritik des Gothaer Programms der deutschen Sozialdemokratur bekannt und in der rätekommunistischen Strömung weitergedacht worden.*3

    Es klingt so einfach, weil es so einfach ist und doch scheint es kaum machbar:
    Da sich die Mehrwertproduktion als unbezahlte Mehrarbeit beweisen läßt, verliert das Kapital seine Subjektrolle, die Natur und die Arbeit sind die einzigen Quellen jeden gesellschaftlichen Reichtums. Somit gilt es, die zu bewältigende Gesamtarbeit der Gesellschaft in freier Vereinbarung als Produzenten aufzuteilen. Soll hierbei dem Raubbau an der Natur ein Ende bereitet werden, gilt es, das rechte Maß für den Verbrauch an natürlichen Ressourcen zu finden und Güter und Dienstleistungen nach ihrem Gebrauchswert zur Befriedung menschlicher Bedürfnisse zu untersuchen und neu zu bestimmen. Die Umwälzung der gesamten kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse sind also angezeigt, es geht nicht um die Aneignung und die gerechte Verteilung eines Berges Geld.


  4. Wie ist solch ein System auf der Grundlage heutiger Technologie, Produktion und Verteilung und ihrer globalen Vernetzung vorstellbar?

    Folgende vorläufige Darstellung ist als Denkanstoß gedacht, zumindest schon mal gedanklich aus dem Tunnel der Ohnmacht heraustreten, sich abzureiben an Positionen, eine Perspektivdebatte jenseits kapitalimmanenter Flickschusterei überhaupt in Gang zu bringen.

    Es handelt sich hierbei um eine theoretische Praxis-des-als-ob, ausgehend von dem, was vom heutigen gesellschaftlichen Entwicklungsstand her die Problemlage verdeutlichen soll, nicht mehr und nicht weniger.

    Thesenartiger Aufriß einiger Problemfelder, die sich vom heutigen Entwicklungsstand der Produktivkräfte aus im Übergang zu einer freien globalen Gesellschaft eröffnen. Und zwar unter bewußter gesellschaftlicher Hereinnahme der Randbedingungen, die sich ergeben aus der ‘Ökonomie der Zelt‘ als adäquate ökonomische Theorie dieser neu zu entwickelnden Gesellschaftsformation. Das Ganze ist nur als nie endender Prozeß menschlicher Tätigkeit zu verstehen, in dem ganz andere, neue Widersprüche auftauchen werden. Unter den Voraussetzungen der Aneignung der Produktionsbedingungen durch die Lohnsklaven und dadurch Enteignung der Enteigner (zumindestens in den Metropolen) und Abschaffung des Privateigentums.


    Bestandsaufnahme:
    1. Erfassung der Zeitfonds, die in Produktion und Austausch verausgabt werden, geordnet entsprechend den Bedürfnissen, die die Gebrauchswerte befriedigen, die in diesen Arbeitszeiten hergestellt werden
    2. Auflistung der stofflichen und energetischen In-Puts, der erzeugten Güter und Dienstleistungen, geordnet nach den Bedürfnissen, die durch ihre Konsumtion befriedigt werden
    3. Simulation der Wegstrecken, die die Arbeitsprodukte als Waren in der jetzigen, überholten Produktionsweise durch die Gegend gekarrt werden


    Planung und Umsetzung der Reorganisierung der Gesamtarbeit als bewußt geplanter gesellschaftlicher Prozeß:
    1. Planung der längerfristigen Reorganisierung der globalen gesellschaftlichen Arbeitsteilung - auf der Grundlage der natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen - hin zu einer optimal lokalen und globalen Produktion und Verteilung entsprechend einer Minimierung der Wegstrecken. Diese Inangriffnahme einer gleichmäßigen globalen Entwicklung kann nur gemäß den Entscheidungen der Bevölkerungen der jeweiligen Territorien erfolgen
    2. Reorganisation der Arbeitsprozesse in den Produktionsstätten,
      Beendigung der Kontrolle der Arbeiter durch Spezialisten,
      Produktionsplanung durch die Produzenten selbst,
      Neuzusammensetzung und Teilung der Arbeit,
      Reduktion der Arbeitshetze,
      radikale Verkürzung der individuellen Arbeitszeit durch Verteilung der Gesamtarbeit auf alle Gesellschaftsglieder
    3. Abbau der Trennung von Hand und Kopfarbeit, Hereinnahme des Forschungsprozesses in den Produktionssprozeß, hierbei weltweite Zusammenarbeit und Wissensaustausch jenseits kleinkrämerischer Patente der schwachsinnigen Konkurrenzwirtschaft
    4. Zügige Automation aller Arbeiten, die für Menschen physisch und psychisch keinen Gewinn bringen. Standardisierte, einfache Bedienbarkeit wird oberstes Ziel
    5. Ständig einhergehendie gesellschaftliche Beratung und Auseinandersetzung uber Inhalte und Formen der Bedürfnisbefriedigung (z.B. Mobilität; Individualverkehr --> sinnvolle Alternativen)
    6. Der so bestimmte Konsumtionsbedarf bestimmt die Produktionsplanung, wobei das überkommene System Anfangsdaten in Überfülle bereit hält
    7. Die hierzu notwendige Arbeitszeit wird ermittelt, alle überflüssige Arbeitszeit fällt weg (z.B, alle Jobs, die jetzt mit Geld zu tun haben, militärischer Komplex, Massen von Autoproduktion...), Reduktion der notwendigen gesellschaftlichen Arbeitszeit wird wichtigstes ökonomisches Prinzip
    8. Verteilung dieser zur Produktion von Gebrauchswerten notwendigen Arbeitszeit auf die einzelnen Zweige des Wirtschaftens sowie unter den Gesellschaftsmitglieder in freiwilliger Vereinbarung entsprechend ihren Fähigkeiten - in Proportionen, die sicherstellen, daß die individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt werden. (Sicherlich gibt es anfangs noch Gruppen von Gebrauchswerten, die weltweit nicht sofort nach dem Bedürfnisprinzip verteilt werden können, einfach, weil nicht genügend produziert werden kann. Ob hier ein Verteilungsmodus nach geleisteten Arbeitszeiten am Platze ist, muß überlegt, problematisiert werden auch an Hand ethischer Fragen und wird sich an der Praxis dann erweisen)
    9. Die Recheneinheit des gesamten Wirtschaftens ist die Arbeitszeit. Die Aufgabe der Buchführung der notwendig zu leistenden Gesamtarbeit und ihrer Verteilung auf die einzelnen Zweige des Wirtschaftens, ihre stetige Umverteilung auf die Gebrauchswertproduktion entsprechend veränderten Konsumtionswünschen, ist die bewußte Übernahme der Funktion, die in der jetzigen kapitalistischen Produktion das Wertgesetz innehat: die Allokation und Distribution der Ressourcen
    10. Der gesellschaftliche Reichtum wird nicht mehr in Geld gemessen, sondern in frei verfügbarer Zeit für alle Produzenten zwecks Herausbildung aller ihrer produktiven Anlagen und Leidenschaften, einschließlich der Muße
    Soweit der thesenartige Aufriß von Problemfeldern einer Produktionweise gemäß einer ‘Ökonomie der Zeit‘ als eine einleuchtende Form der Verwirklichung der vorhandenden objektiven Möglichkeit. Dies ist in naiver Bewußtheit aus dem Fenster gehängt, gerade auch in der Hoffnung, über eine Perspektivdebatte zu einer kontinuierlichen Arbeitsgruppe zu kommen, die diese Problemfelder beackert.

    Leider wird eine fruchtbringende Perspektivdebatte von vielen blockiert, deren angehäuftes Wissen benötigt wird, die jedoch auf die Marktwirtschaft geflogen sind oder in der (berechtigten) Skepsis gefangen sind, ob die Emanzipationskräfte der Menschheit in der Lage sind, das Blatt vernunftgeleitet (und gleichzeitig affengeil) zu wenden.


  5. Welche Bedeutung käme dabei den Großregionen, Ländern, Kommunen zu?

    Erste Annäherung:
    Die insgesamt 13 vorstehenden Punkte sind auch hier zusammengenommen eine erste Annäherung an diesen Fragenkomplex. Hierbei ist Punkt 1 von Planung und Umsetzung der Reorganisierung der Gesamtarbeit als bewußt geplanter gesellschaftlicher Prozeß: der Ausgangspunkt, von dem sich parallel in Richtung nach Punkten der Bestandsaufnahme und den Punkten Planung.. zu bewegen ist unter dem Blickwinkel des geographischen Raumes nach lokalen bis globalen Gesichtspunkten. Hierbei ist die verschiedene, ungleiche territoriale Verteilung natürlicher und gesellschaftlichen Ressourcen zu beachten.

    An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, was für all die anderen Fragenkomplexe bezüglich der globalen Dimension auch gilt: Die ungleichmäßige Entwicklungsdynamik der einzelnen jetzigen staatlichen Gebilde und der Zustand der weltweiten Emanzipationsbewegungen läßt Aussagen bezüglich einer globalen Entwicklung jenseits des Kapitalverhältnisses in reine Spekulation abgleiten.

    Übrigens, was den geographischen Raum als Lebensmittelquelle betrifft: Die Agroindustrie ist problematischer umzubauen, als die andere Großindustrie. Die Sachzwänge der Kapitallogik zeigen die Folgen: Die Bodenfruchtbarkeit wird unwiderruflich zerstört. Den fremdenergetischen In-puts entsprechen lächerliche Out-puts an erzeugten Nahrungsmitteln und dabei in einer Gebrauchswert‘Qualität‘, die die menschliche Gesundheit gefährdet. Zudem ist diese Wirtschaftsweise nicht global verallgemeinerbar. Studien zukunftsweisender, arbeitsminimierter Erzeugung der Lebensmittel entsprechend Lokaler Besonderheiten sind dringend zu erstellen.


  6. Wie Ist die Enteignung und Entmachtung der Kapltaleigner und ihrer politischen Vertretung auf globalen Niveau vorstellbar?

    Einige Aspekte einer Organisationsdebatte*4 :
    • Kritik marxistischer Revolutonstheorie
    • Subjekttheorie
    • Verhältnis von Reform und Revolution
    • Verhältnis von Klassenlage - Klassenbewußtsein - Klassenhandeln
    • Verhältnis von Theorie und Praxis
    Ob die Zeit reif ist für die Verstetigung einer solchen Debatte gerade über Positionsabgrenzungen und Ländergrenzen hinweg, wäre auszuloten. Ausgangspunkt des vorliegenden Beitrags sind krisentheoretische Aspekte:
    Erst wenn die Herrschenden nicht mehr weiter wissen, wie sie diese Produktion als Selbstzweck aufrechterhalten können und die Beherrschten nicht mehr weiter wissen wie bisher, werden letztere die Sachzwänge der Kapitallogik brechen, wenn die Aufgaben bewältigbar sind. Ob sie es tun werden, ist nicht ausgemacht.


  7. Welche Organisationsformen für demokratische Machtausübung und perspektivlscher Organisation einer von Kapitalzwängen befreiten globalen Gesellschaft sind vorstellbar?
    Geschichtlich ist es berechtigt, den Rätegedanken als Entscheidungsprinzip in der Debatte aufzugreifen:
    • Die bisherige Geschichte zeigt, daß sich bei Umwälzungen die Menschen (nicht nur lokal) betrieblich und kommunal in Räten Organe schufen, um zu Entscheidungen zu kommen, die von größeren Bevölkerungskreisen getragen werden
    • Geschichtlich herausgebildete Prinzipien: Delegierte sind ständig berichtspflichtig, können jederzeit abgewählt werden, sind nicht nur für Beschlüsse, sondern auch für deren Durchführung verantwortlich
    Wieweit diese Rätesysteme tragen könnten, steht wieder einmal mehr zur Debatte
    Darüber hinaus:
    Die weiter oben skizzierten Thesen einer ‘Ökonomie der Zeit‘ benötigen bestimmter ständiger gesellschaftlicher Vermittlung. Aufreißen der politischen Dimension der Ubergangsperiode:
    • Die oben angedeutete bewußte Aneignung der Produktionsbedingungen als attraktive gesellschaftliche Praxis ist schon weit jenseits der Verkehrsverhältnisse von Privateigentümern angesiedelt und kann nicht Tat minoritärer Putschisten sein
    • Die Transformation ist jedoch auch nicht als harmonisches Hinüberwachsen zu denken und ist kein Spaziergang. Bestimmte politische Randbedingungen sind benennbar aufgrund geschichtlicher Erfahrung
    • Der Übergangsstaat kann nicht der eroberte bürgerliche Staat sein, das staatliche Gewaltmonopol muß in die Gesellschaft zurückgenommen werden. Das bürgerliche Recht als Ausdruck des Privateigentum wird abgelöst, doch die Klassen bestehen weiter, ein bewaffneter Dialog ist unumgänglich aufgezwungen, soll eine Konterrevolution vermieden werden
    • Institutionen des jetzigen bürgerlichen Staates, wie Erziehungs-, Gesundheits-, Kultur-, Städtebauwesen.. werden aktive Betätigungsfelder der Produzenten zur Entfaltung aller Fähigkeiten und Leidenschaften als Selbstzweck, als Glücksaugenblicke, jenseits bloßer würdeloser Anerkennung als Arbeitstier
    • Der Bürokratie werden nach und nach alle Bereiche durch Zusammenschlüsse freier Produzenten entrissen, der Staatsapparat ausgehöhlt, zum Sterben verurteilt

    Dieser Beitrag eröffnet die Perspektivdebatte also über rätekommunistische Positionen. Der Grund, hiermit den Anfang zu machen, ist nicht die Überzeugung, daß diese Positionen den Ausweg aus dem Dilemma gegenwärtiger Vergesellschaftsdynamik bieten, sondern weil in dieser internationalistischen Strömung die Problemlage der ‘Ökonomie der Zeit‘ als die adäquate Form des Wirtschaftens einer nachkapitalistischen globalen Gesellschaft am deutlichsten herausgearbeitet wurde. Also der Frage nachspürt, nach welchen Grundprinzipien die gesellschaftliche Produktion und Verteilung neu geregelt werden müßte, um die objektive Möglichkeit Wirklichkeit werden zu lassen. Hiermit wird ein Spannungsbogen in der Debatte aufgemacht, auf dessen anderem Ende ein Staats-‘sozialismus‘ steht, der die Rechnungsführung des Wirtschaftens mittels des Geldkalküls durchführt und dabei den Arbeitsertrag ´gerechter´ verteilt, die Gesellschaft weiterentwickelt nach Maßstäben, die der Weisheit des demokratischen Zentralismus der Partei entspringt.


  8. Wie weit sind globale Reformbewegungen - z.B. für Frieden, ökologische Forderungen, gegen Rassismus und Sexismus, für soziale und politische Forderungen - gerade von uns als GewerkschafterInnen mit voranzutreiben und mit welcher Einschätzung schon agierender Organisationen (Nicht-RegierungsOrganisationen? ILO? Rolle von UN-Organisationen? etc.), und wo liegen Ihre Grenzen?

    Zusammenarbeit mit allen emanzipatorischen Bewegungen ist angesagt, jedoch darf kein Hehl daraus gemacht werden, daß es um den ganzen Kuchen geht. Funktionalisierung zwecks kurzfristiger Bündniserfolge ist falsch. Die Verschränkung nichtgewerkschaftlicher und gewerkschaftlicher Aktivitäten sind richtig, solange dabei die Bornierungen beider Seiten aufgebrochen und nicht noch verstärkt werden. Hierzu ist es notwendig, den gesamten gesellschaftlichen Prozeß in den Blick zu bekommen in einer Weise, daß der Zusammenhang zwischen den tagtäglichen gesellschaftlichen Erscheinungen und den Bewegungsgesetzen des Prozesses allgemein verständlich wird. Somit die Auseinandersetzung führen, wie soziale Bewegungen aus dem Dilemma der Einpunkt-Fixiertheit herauskommen und der gewerkschaftlichen Entwicklung zur Ständevertretung Feuer unterm Arsch zu machen wäre.
    Je stärker die Institutionalisierung einer Organisation vorangeschritten ist, je stärker sie somit in die laufenden Tagesgeschäfte eingebunden sind, sind sie als soziale Bewegung tot und vertreten dann meist partikulare Interessen. Mit List sind ihre finzanziellen und infrastrukturellen Ressourcen anzuzapfen. Jetzige weltweite Unterorganisationen der UNO zeigen der Sache nach globale Probiemfelder auf, ihre Erfahrungen können sicherlich teilweise genutzt werden, ihre Organisationsformen können nicht übernommen werden.


  9. "Ein globaler (oder auch nur makro-regionaler) Sozialstaat, d.h. aber auch das Projekt eines globalen Reformismus, ist ebenso utopisch wie die Weltrevolution." (E. Altvater In "Operationsfeld Weltmarkt oder: Vom souveränen Nationalstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat", PROKLA 97, Dez. 94, S. 525) Andererseits sagt E. Altvater aber auch:"In gewissem Sinne gibt es die Institutionalisierung globaler Staatlichkeit tatsächlich: in Gestalt von Weltbank, IWF, GATT/WTO, UNO... Aber... ohne die Regelungskompetenzen von Nationalstaaten tatsächlich zu ersetzen." (a.a.O, S. 537 f.) Und: "Auch auf dem Detroiter Gipfel der G7 im März 1994 wurde erstmal ... Arbeitslosigkeit und Beschäftigungspolitik thematisiert, - ein Indiz dafür, daß sich jenseits des Keynesianlsmus, aber auch jenseits des neoklassischen Marktliberalismus ein neues politisches Projekt staatlicher Regulation und Koordinierung von Wettbewerbspolitik herausschält. Dies zielt offensichtlich auf die Erhaltung eines beschäftigungspolitischen Minimalkonsens, an dem alle Staaten, gleichgültig wie sehr sie gegeneinander konkurrieren, doch interessiert sind." (In: "Beschäftigungspolitik jenseits von Nationalstaat und ´Arbeiterzentriertheit‘"‚ WSI-Mitteilungen 6/94, S. 350) Solch eine widersprüchliche Hoffnung auf ein "neues politisches Projekt" globaler Regulation scheint sich heute zu verbreiten. (vgl. auch J. Breche/T. Costelio: "Global Village or global Pillage", Boston 1994.). Hoffnungsträchtiger ist unsere Zukunftsperspektive allerdings, wenn wir uns all den angesprochenen grundsätzlichen Fragen des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems stellen und darauf setzen, daß wir uns den Lösungen am ehesten nähern, je mehr Menschen sich in der Auseinandersetzung um unsere Alltagskonflikte wie um unsern Zukunft in Bewegung setzen. Und das hängt eben auch von uns ab.

    Die Frage der Entwicklung des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit wäre hier zu reflektieren bis hin zur Ausführung des Verhältnisses von sozialer Reform und Revolution, wie auch schon in den Fragenkomplexen zuvor. Selbstverständlich geht es um die Verteidigung von Minimalstandards in einer Phase gesellschaftlichen Niedergangs, wo wir als Lohnsklaven voll mit dem Rücken zur Wand gedrängt werden durch die Wucht der Gewalt maßloser Mehrwertauspressung und nichtzählbarer Arbeitslosenheere. Die Spezialisten der Macht müssen hierbei durchaus beachten, daß sie bei ihrem Handeln nicht die grundsätzliche Zustimmung verspielen. Die Gewerkschaften verkommen zum Comanagement. Ob irgendwann Bewegung in die Gesellschaft der Einzelkämpfer kommt, sei dahingestellt. Wie sagte Marx: das Proletariat ist revolutionär oder es ist nichts.

    So muß man also sehen, wer was sagt. Wenn nun Altväterliche Bischöfe sich als röhrende Hirsche zu staatsfetischistischen, marktwirtschaftlichen Strukturen bekennen, ist das folgerichtig, da marktgerecht vom Katheder serviert. Was solls, Skeptizismus und Pessimismus war schon immer akademisches Tagesgeschaft. Wofür sollte das Kapital sie sonst in Sold halten? Das soll das letzte Wort der menschlichen Geschichte sein? Wir stimmen den Kollegen zu, selbst die Problemlage erkennen zu lernen, um gemeinsam Lösungen anzugehen. Es ist überfällig, eine adäquate gesellschaftliche Praxis zu entwickeln als Individuen, die nicht mehr in alten Sozialmilieus solidarmäßig verankert sind, sondern Eigentümer der Ware Arbeitskraft, die als einzelne in der hochkomplexen Gesellschaft vereinzelt sind.



*1
Entstanden ist der Beitrag im Diskussionszusammenhang des Standortpapiers. Daß dieser Beitrag Lücken, Schwachstellen, Ungenauigkeiten, Fehler hat, liegt in der Natur der Sache und braucht im Grunde nicht erwähnt werden. Es handelt sich bei vorstehendem thesenartigem Aufriß um vorläufige Positionen, hineingeworfen zur Auseinandersetzung in einer dringend notwendigen Perspektivdebatte.


*2
"Die gesamte Problematik erhält ihren entscheidenden Akzent von der dem Kapitalismus unterstellten Fähigkeit, den gegenwärtigen Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung aufrechtzuerhalten. In al1en vorangegangenen Erörterungen haben wir dem Kapitalismus diese Fähigkeit abgesprochen. Zweifellos ließe sich aus der gegenwärtigen Situation eine solche Fähigkeit ablesen, doch beweist dies nichts für die Zukunft." (Mattik, Paul; Kritik an Herbert Marcuse, Frankfurt am Main 1969, S. 64)


*3
Marx, Karl, Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei, in: Marx Engels Werke 19. Berlin 1962, S. 11 - 45
Gruppe Internationale Kommunisten; 1930, Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, Hrsg.: Institut für Praxis und Theorie des Rätekommunismus, Berlin 1970
Seifert, K. Eberhard: Ökonomie der Zeit, Als Alternative ökonomische Theorie einer freien Gesellschaft; Wuppertal 1982


*4
Hierzu wird eine gesonderte Betrachtung nachgeliefert.


^ top

last update : Sat Jun 17 13:35:38 CEST 2006 Kollegen Opel Bochum sowie NN
automatically created by Linux/X86; vendor=Apache Software Foundation; version=1; http://xml.apache.org/xalan-j