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Seminar-AG - KB (Nord) |
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Sowjetunion 1921 - 1939 - von Lenin zu Stalin - Teil III: Phase der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) 1921 - 1927 - mit dem partei-politischem Schwerpunkt des Klassenkampfes: Kronstadt 1921 - Parteientwicklung - Ausschaltung der partei-internen-politischen Opposition
( Original )
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Status |
1989 - Materialsammlung |
Letzte Bearbeitung |
08/2004 |
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www.mxks.de
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28. Kronstadt 1921 Rebellion, Dritte Revolution oder Konterrevolution ?
29. Dokument 19: Streng geheim: Memorandum über die Organisation eines Aufstandes in Kronstadt
30. Dokument 20: Aufruf an die Arbeiter, Rotarmisten und Matrosen!
31. Dokument 21: Mitteilungen des Provisorischen Revolutionskomitees der Matrosen, Rotarmisten und Arbeiter der Stadt Kronstadt; Nr.4, Sonntag, 6. März 1921
32. Dokument 22: Lenin: Die Lehren von Kronstadt
33. Parteientwicklung und Fraktionsauseinandersetzungen während der NEP-Phase
34. Dokument 23: Helga Schuler-Jung: Der X. Parteitag 1921 und seine Folgen
35. Dokument 24: Heiko Haumann: Die Partei im Wandel: Struktureller Umbruch und interne Richtungskämpfe
36. Die Entwicklung der Kommunistischen Partei zur Staatspartei und die Instrumentalisierung der Räteorgane
37. Sowjetische Landwirtschaftspolitik zwischen 1927 und 1929: Das Ende der Neuen Ökonomischen Politik
38. Dokument 25: Richard Lorenz: Der Zusammenbruch des Getreidemarktes
39. Dokumente 26 - 28: Josef Stalin: Die Frage der Getreidebeschaffung - Fragen des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR - Über die rechte Abweichung in der KPdSU (B)
42. Dokumente 29: N. Bucharin: Bemerkungen eines Ökonomen
28. Kronstadt 1921 Rebellion, Dritte Revolution oder Konterrevolution ?
Kronstadt 1921 Rebellion, Dritte Revolution oder Konterrevolution ?
Petrograd, 18. März 1921.
- Es ist der 50. Jahrestag der Pariser Kommune.
- Trotzki und Sinowjew prangern den Arbeiterschlächter Thiers an.
Kronstadt
- Nur wenige Stunden zuvor war 20 Kilometer weiter westlich in Kronstadt das erbitterste Gefecht des russischen Bürgerkrieges beendet worden.
- Militärische Sieger waren von Tuchatschewski kommandierte
- Militärkadetten,
- Rotarmisten
- und zahllose Freiwillige aus den Reihen
- der bolschewistischen Partei
- und Parteijugend.
Wer waren die Geschlagenen?
- Nach dem Urteil des linken Sozialrevolutionärs Isaak Steinberg die "Bewegung der Elite des russischen revolutionären Volkes.".
-
Trotzki sah auf der anderen Seite bestenfalls "verblendete Matrosengenossen".
- Nur vier Jahre zuvor hatte er den Kronstädter Matrosen den Ehrentitel "Stolz und Ruhm der Revolution" verliehen.
Was hatte sie jetzt dazu bewogen, gegen die Bolschewiki zu revoltieren?
Trotzki diktierte den sensationshungrigen Journalisten der Auslandspresse ins Notizbuch:
"Ein großer Teil der revolutionären Matrosen, die eine Hauptrolle in der Oktoberrevolution von 1917 gespielt hatten, waren in der Zwischenzeit anders eingesetzt. Sie wurden zum großen Teil durch zufällige Elemente ersetzt darunter viele lettische, estische und finnische Matrosen, die ihre Aufgabe als zeitweilige Beschäftigung betrachteten und deren Mehrheit sich gegenüber dem revolutionären Kampf gleichgültig verhielt..."
()
Was die Rebellion jedoch so außerordentlich brisant machte, war die Tatsache, daß sich in ihr die gesellschaftlichen Konflikte des ganzen Landes entluden, die sich während des Kriegskommunismus angestaut hatten. Kronstadt
"flammte auf wie ein Blitz, der die Wirklichkeit greller beleuchtete als irgendetwas anderes", urteilte Lenin.
Krise des Kriegskommunismus
Über sechs Jahre Krieg und Bürgerkrieg hatten das Land vollkommen erschöpft.
-
Neben den Millionen Opfern der militärischen Kämpfe waren
- weitere Millionen Menschen verhungert
- oder an Seuchen gestorben.
- Agrarwirtschaft,
- Industrie
- und Transportsystem
waren weitgehend zusammengebrochen.
Die durch die militärischen und ökonomischen Notwendigkeiten des Bürgerkrieges diktierten Methoden des Kriegskommunismus,
- insbesondere die gewaltsamen Getreiderequirierungen,
- die unumgänglich gewesen waren,
- um die Städte
- und 5 Mio. Soldaten der Roten Armee
vor dem Hungertod zu bewahren,
hatten die Bolschewiki der Bauernschaft entfremdet.
Die Bauern argwöhnten,
- daß die Bolschewiki ihnen nur das Land gegeben hätten,
- um ihnen dafür die Ernte zu nehmen
- und die Freiheit zu nehmen, den Boden nach ihrem Gusto zu nutzen.
- Erbost nahmen zudem viele Bauern die Einrichtung von Sowchosen auf, die ihnen als Fortsetzung der Lohnsklaverei erschienen.
Waren die Bauern während des Bürgerkrieges bereit gewesen,
- die Bolschewiki als kleineres Übel gegenüber den Weißen zu tolerieren,
- so änderte sich die Situation schlagartig,
- nachdem im Herbst 1920 ein Waffenstillstand mit Polen geschlossen
- und die Niederlage des letzten weißen Generals Wrangel besiegelt war.
Zahlreiche Bauernaufstände entflammten,
- am bedrohlichsten in Tambow,
wo der rechte Sozialrevolutionär Antonow 50.000 bewaffnete Bauern hinter sich vereinigte,
- im Gebiet der mittleren Wolga,
- in der Ukraine,
- in der nördlichen Kaukasusregion
- und im westlichen Sibirien.
Im Februar 1921 zählte die Tscheka 118 verschiedene Bauernerhebungen.
- Verschärft wurde die Lage durch die Demobilisierung von nahezu 2,5 Mio. ehemaligen Rotarmisten,
- die z.T. als Banditen oder Rebellen umhervagabundierten.
Die Aufständischen besaßen zwar kein geschlossenes Programm, aber verschiedenorts wiederholten sich die Forderungen
-
"Weg mit den Requirierungen!",
-
"Weg mit den Nahrungsmittelabteilungen!"
-
"Gebt eure Überschüsse nicht heraus!"
und zuweilen auch:
-
"Nieder mit den Kommunisten und Juden!"
Öl ins Feuer gegossen wurde noch durch den 8. Sowjetkongreß im Dezember 1920.
- Mehrere bäuerliche Sprecher forderten die sofortige Ablösung der Getreiderequirierungen durch
- eine feste Naturalsteuer
- und das Recht, über Überschüsse zu verfügen.
- Redner der Menschewiki (Dan, Dallin),
- der rechten
- und linken Sozialrevolutionäre (Volsky, Steinberg) pflichteten ihnen bei.
Volsky trat dafür ein,
- freiwillige Kooperativen zu ermutigen
- und von den bei den Bauern verhaßten Staatsgütern abzukehren.
Die bolschewistische Mehrheit
- stellte zwar die Frage der Kollektivwirtschaften als nicht akut zurück,
- folgte jedoch dem Plan Ossinskis
- einer staatlich organisierten
- und notfalls mit Gewalt durchzusetzenden Aussaatkampagne.
- Während Dallin warnte, daß ein neues Zwangsinstrumentarium lediglich die bestehende Krise verschärfen würde,
- hielt Lenin, der bereits im November über die Möglichkeit einer Naturalsteuer nachgedacht hatte, den Zeitpunkt für einen Kurswechsel noch nicht gekommen.
Eher noch verheerender als auf dem Land war die Situation in den Städten, den traditionellen Hochburgen der Bolschewiki.
- Gegen Ende 1920 war die industrielle Produktion infolge von Krieg und Bürgerkrieg auf ein Fünftel des Niveaus von 1913 zusammengeschrumpft.
- Hinzu kam ein weitgehender Zusammenbruch des Verkehrs- und Transportsystems,
- wodurch die Versorgung mit Benzin und Rohstoffen,
- aber vor allem auch die Belieferung der hungernden Städte mit Nahrungsmitteln enorm erschwert wurde.
- Zudem war der reguläre Markt während des Bürgerkrieges zusammengebrochen
- und faktisch durch einen blühenden Schwarzmarkt ersetzt worden.
- Auf der Suche nach etwas Eßbarem intensivierten viele Arbeiter
- - sofern sie nicht ganz in die Provinz zogen -
- ihre Verbindungen zu den umliegenden Dörfern.
- Ihr Verständnis für die bäuerlichen Beschwerden und Forderungen wuchs,
- da sie die Auswirkungen des Kriegskommunismus auf das Dorf nun mit eigenen Augen wahrnahmen.
Anfang 1921 wurden die Lebensbedingungen in den großen Städten unerträglich.
- Infolge der Brennstoffkrise blieben Fabriken, Werkstätten und Büros trotz des ungewöhnlich harten Winters ohne Beheizung.
- Erfrorene Menschen wurden in ihren unbeheizten Wohnungen gefunden.
- Die Lebensmittelversorgung war trotz der deutlich gesunkenen städtischen Bevölkerung nicht gewährleistet.
- Angetrieben durch Kälte und Hunger, verließen Arbeiter für Tage ihre Maschinen,
- um in der Umgebung Holz zu sammeln
- oder irgendwo im Tausch gegen persönliche Habseligkeiten
- oder Materialien, die sie aus den Fabriken mitgenommen hatten, Nahrungsmittel aufzutreiben.
- Um diese illegalen Geschäfte zu unterbinden, wurden von der Sowjetregierung bewaffnete Straßensperren errichtet,
- die den ertappten Spekulanten die wertvollen Lebensmittelpakete mit harter Hand abnahmen.
- Beschwerden über die Brutalität der Sperrdetachements überfluteten die Kommissariate.
Weiterer Unmut richtete sich gegen die unter dem System des Kriegskommunismus gewachsene Reglementierung der Arbeit.
- In den Augen vieler Arbeiter hatte die Militarisierung der Arbeit,
- die am Ende des Bürgerkrieges durch die Dienstverpflichtung ganzer Einheiten der Roten Armee noch zunahm, nun ihre Berechtigung verloren.
- Parolen menschewistischer Agitatoren, die die Reglementierung der Arbeit mit der ägyptischen Sklaverei und Zwangsarbeit verglichen, auf die die Pharaonen beim Bau der Pyramiden zurückgegriffen hatten, fielen auf fruchtbaren Boden.
- Als Verrat an den Idealen der Oktoberrevolution erschien vielen Arbeitern
- das Aufblühen einer neuen Bürokratie
- und die Rückkehr bürgerlicher Spezialisten in die Fabriken,
- in denen eiserne Disziplin
- und z.T. auch das Taylorsystem eingeführt worden waren.
Diese wachsende Verbitterung in Teilen der Arbeiterschaft traf zusammen mit schroffen Kontroversen innerhalb der KP über die Rolle der Gewerkschaften und Sowjets in der russischen Gesellschaft.
- Die Kontroverse mit der Gruppe der Demokratischen Zentralisten,
- die für eine stärkere Rolle der lokalen Sowjets eintraten,
spiegelten
- die Auseinandersetzungen mit den Menschewiki
- und linken Sozialrevolutionären auf dem 8. Sowjetkongreß wider.
- Während der Menschewik Dan
- die Forderung nach Neuwahlen zu den Sowjets erhoben hatte,
- da das ganze System der Sowjets aufgehört habe zu futiktionieren
- und lediglich noch als Fassade einer Einparteienherrschaft diene,
- hatte Steinberg
- die Wiederbelebung der Sowjetdemokratie
- mit weitgesteckter Autonomie
- und Selbstverwaltung auf lokaler Ebene
gefordert.
Im Frühjahr 1921 bündelten sich diese verschiedenen gesellschaftlichen Konflikte zu einem hochexplosiven Gemisch. Aus der Rückschau notierte Lenin:
"Ökonomik im Frühjahr 1921 hat sich in Politik verwandelt: Kronstadt."
()
Streiks und Demonstrationen in Petrograd
Vorspiel waren die Auseinandersetzungen in den beiden Hauptstädten.
- Die Ankündigung der Regierung am 22. Januar, daß die bereits magere Brotration noch einmal um ein Drittel gekürzt werden müsse, wirkte wie die Lunte am Pulverfaß.
- Nachdem es zunächst in Moskau zu einer Serie von spontanen
- Betriebsversammlungen,
- Streiks
- und Demonstrationen
gekommen war,
- sprang der Funke in der 2. Februarhälfte auf Petrograd über.
- Mehr als 60 der größten Fabriken hatten Anfang Februar wegen Brennstoffmangels geschlossen werden müssen.
- In einer Reihe von Betrieben und Geschäften fanden Protestversammlungen statt.
- Gefordert wurde u.a.
- ein Stopp von Getreiderequirierungen,
- die Beseitigung der Sperrdetachements,
- die Abkehr von privilegierten Rationen für bestimmte Berufsgruppen
- und die Erlaubnis, persönlichen Besitz gegen Lebensmittel zu tauschen.
Am 24. Februar
- ziehen die Arbeiter der Trubotschny-Fabrik zur Durchsetzung ihrer Forderungen
- - Anhebung der Lebensmittelrationen
- und sofortige Verteilung von Schuhen und Winterbekleidung -
durch die Straßen zur Wassilewsky-Insel.
- Ein Versuch, die Soldaten des finnischen Regiments zum Anschluß zu bewegen, schlägt fehl,
- doch Arbeiter nahegelegener Betriebe
- und Studenten schließen sich an.
- Der Vorsitzende des Petrograder Gewerkschaftsrates, der die Arbeiter zur Rückkehr an ihre Werkbänke bewegen will, wird aus dem Auto gezogen und verprügelt.
- Schließlich wird die Demonstration auf Befehl Sinowjews von einer Abteilung bewaffneter Kadetten durch einige Schüsse in die Luft zerstreut.
Noch am selben Tag beruft das Petrograder Parteikomitee ein dreiköpfiges Verteidigungskomitee
- Laschewitsch, Mitglied des revolutionären Kriegsrates;
- Awrow, Kommandeur des Petrograder Militärdistrikts;
- Antselowitsch, Vorsitzender des Petrograder Gewerkschaftsrates),
das mit außerordentlichen Befugnissen ausgestattet wird. Um eine Ausbreitung der Unruhen im Keim zu ersticken,
- werden ähnliche Dreiergruppen in jedem Distrikt der Stadt ins Leben gerufen.
- Über ganz Petrograd wird das Kriegsrecht verhängt,
- eine Ausgangssperre ab 23.00 Uhr
- und ein generelles Versammlungsverbot wird erlassen.
Dennoch nimmt die Bewegung an Umfang zu. Auf einer Sondersitzung des Petrograder Sowjets am 26.2. berichtet
- Kusmin, Kommissar der Ostseeflotte, über die angeheizte Stimmung unter den Matrosen und warnt, daß der Topf bei einer Fortsetzung der Streikbewegung auch dort überzukochen drohe.
Daraufhin beschließt der Sowjet,
- die Trobutschny-Arbeiter auszusperren
- und ihnen die Lebensmittelrationen zu entziehen.
- Trotz dieser Drohung mit der Hungerpeitsche
- weitet sich die Bewegung aus
- und erfaßt am 28.2. auch die 6.000 Arbeiter der Putilow-Werke.
Bedrohlicher als die Ausweitung der Bewegung war jedoch, daß sich nun auch der Charakter der Forderungen änderte.
-
War es bislang hauptsächlich um ökonomische Ziele gegangen,
- so rückten nun zusehends politische Beschwerden und Forderungen in der Vordergrund:
- Abzug der Sondereinheiten bewaffneter Bolschewiki aus den Betrieben,
- Auflösung der Arbeitsarmeen,
- Wiederherstellung politischer und bürgerlicher Rechte.
Deutlich erkennbar mischte sich nun auch die organisierte politische Opposition in die Bewegung ein.
Am 27.2. tauchte in den Straßen Petrograds folgende Proklamation auf:
"Eine vollständige Änderung der Regierungspolitik ist notwendig.
- Zuallererst brauchen die Arbeiter und Bauern Freiheit.
- Sie wollen nicht nach den Dekreten der Bolschewiki leben,
- sie wollen selbst über sich verfügen.
Genossen, bewahrt revolutionäre Ordnung! Verlangt entschieden und auf organisierte Weise:
- Freilassung aller verhafteten Sozialisten und parteilosen Arbeiter.
- Abschaffung des Kriegsrechtes;
- Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit für alle Arbeitenden.
Freie Wahl
- von Werkstatt- und Fabrikkomitees
- und von Arbeitergesellschafts- und Sowjetvertretern.
- Beruft Versammlungen ein,
- schickt eure Delegierten an die Behörden,
- und seid für die Durchsetzung eurer Forderungen tätig.
"
()
Obwohl der Text keine Überschrift trägt, ist die menschewistische Handschrift unverkennbar.
- Hauptsächlich pochten die Menschewiki auf die Beachtung der Verfassung, nach der alle sozialistischen Parteien einen Platz im Sowjetsystem haben.
- Ihrem Selbstverständnis als legale Opposition gemäß schreckten sie vor der Aufforderung zurück, die Regierung mit Waffengewalt zu stürzen.
Anders die Sozialrevolutionäre. Am 28.2. klebte an den Häuserwänden Petrograds folgende Proklamation:
"Wir wissen, wer sich vor der Konstituierenden Versammlung fürchtet. Das sind die, die nicht länger imstande sein werden, das Volk zu plündern. Statt dessen werden sie sich vor den Volksvertretern zu verantworten haben für ihren Betrug: ihre Räubereien und all ihre Verbrechen.
- Nieder mit den verhaßten Kommunisten!
-
Nieder mit der Sowjetregierung!
-
Es lebe die Konstituierende Versammlung!
"
()
Unterschrieben war das Pamphlet mit
"Sozialistische Arbeiter des Newski Distrikts", doch vermutlich handelt es sich bei den Verfassern um Sozialrevolutionäre. Kernforderungen ihres Programms waren:
- Sturz der bolschewistischen Macht,
- Wiedereinführung der Konstituierenden Versammlung (in der die Sozialrevolutionäre über die Mehrheit der Sitze verfügt hatten).
Der sowjetische Historiker Sljepkow resümierte:
"Es ist gar nicht erstaunlich, daß die Menschewiki und Sozialrevolutionäre ... ähnliche Flugblätter verbreiteten. Das machten sie auch früher. Neu war aber, daß sie gelesen wurden und sogar Eindruck machten."
()
Nach einer Woche gelang es, die Situation in Petrograd unter Kontrolle zu bringen - durch eine Kombination von
- Gewalt,
- Überzeugungsarbeit
- und Konzessionen.
- Da die regulären Truppen als unzuverlässig angesehen wurden,
- patrouillierten Hunderte von Kadetten benachbarter Militärakademien durch die Stadt,
- streikende Arbeiter wurden bei Entzug der Lebensmittelrationen ausgesperrt,
- die Tscheka nahm umfangreiche Verhaftungen vor,
- von denen besonders die Menschewiki betroffen waren, die beschuldigt wurden, die Streikbewegung zusammen mit den Sozialrevolutionären organisiert zu haben.
- Daneben wurden mit einigem Erfolg besonders populäre Parteimitglieder zur Agitation in den Straßen, Fabriken und Kasernen eingesetzt.
- Als Konzession an die Forderungen der Streikbewegung wurden aus den Notreserven umliegender Orte sofort Extrarationen Lebensmittel an die Soldaten und Fabrikarbeiter ausgeteilt.
- Am 27.2. kündigte Sinowjew an, daß es zukünftig erlaubt sei, die Stadt zum Zwecke der Nahrungsmittelbeschaffung zu verlassen;
- zur Erleichterung wurden sogar außerplanmäßige Vorortzüge eingesetzt.
- Die Sperrdetachements erhielten die Anweisung, die Nahrungsmittel einfacher Arbeiter nicht mehr zu konfiszieren.
- Am 1. März kündigte der Petrograder Sowjet den Rückzug aller Straßensperren in dem Petrograder Distrikt
- und die Demobilisierung der 2 - 3.000 Soldaten an, die in Petrograd zur Arbeit verpflichtet waren.
Am wichtigsten war jedoch die Ankündigung einer grundlegenden Kurskorrektur in der Agrarpolitik (Ersatz der gewaltsamen Getreiderequirierungen durch die Naturalsteuer), die das ZK der KPR am 24. Februar beschlossen hatte.
Am 2.13. März wurde in fast allen bestreikten Betrieben Petrograds wieder gearbeitet. Für Kronstadt kam die Weichenstellung zu spät.
Der Funke springt über Beginn der Rebellion in Kronstadt
Kronstadt
- ist eine befestigte Stadt und Marinebasis auf der Insel Kotlin,
- gut 20 Kilometer westlich von Petrograd im Finnischen Meerbusen gelegen.
- 1921 lebten dort ca. 50.000 Menschen,
- zur Hälfte Zivilisten,
- zur anderen Hälfte Soldaten der Garnison
- und Schiffsmannschaften der Ostseeflotte.
Eine herausragende Rolle hatte die Stadt in den Revolutionen von 1905 und 1917 gespielt. Tief verwurzelt war
- eine Abscheu vor staatlicher Reglementierung
- und der Traum von lokaler Autonomie und Selbstverwaltung.
Nach der Vertreibung der Konstituierenden Versammlung im Januar 1918, an der Kronstädter Matrosen sich aktiv beteiligt hatten, richtete sich ihr
"ewiger rebellischer Geist"(so der bolschewistische Militärführer Dybenko) wiederholt gegen die Bolschewiki.
Mit dem Ende des Bürgerkrieges verschärften sich die Konflikte auch hier.
- Vehement wurde die Rückkehr zu demokratischen Prinzipien im militärischen Leben gefordert.
- Ende 1920 formierte sich eine Flottenopposition, die die Einführung von Militärspezialisten und das diktatorische Gebaren mancher bolschewistischer Funktionäre in der politischen Administration der Flotte aufs Korn nahm und für gewählte Schiffskomitees eintrat.
- Hinzu kam, daß viele Matrosen, erstmals wieder seit langer Zeit in ihren Heimatorten Urlaub machen konnten, wo sie sich aus erster Hand über die Misere des dörflichen Lebens,
- die Getreiderequirierungenm,
- die Sperrdetachements etc.
informieren konnten.
- Der negative Eindruck dieser Erlebnisse auf die Moral der Truppe war offenbar so nachhaltig, daß von der Regierung Anstalten gemacht wurden, den Urlaub der Flotte zu kürzen.
- Als Konsequenz stieg die Desertionsrate im Winter 1920/21 stetig an.
- Kaum weniger als die Städte litten auch die Matrosen unter den Auswirkungen der unzureichenden Versorgung mit Lebensmitteln und Brennstoff.
- Ende 1920 brach eine Skorbutepidemie in der Ostseeflotte aus.
Der Vertrauensverlust der Bolschewiki unter den Matrosen war alarmierend:
- Allein im Januar 1921 verließen 5.000 Matrosen der Ostseeflotte die Partei.
- Die Kronstädter Parteiorganisation hatte im Zeitraum August 1920 bis März 1921 die Hälfte ihrer Mitglieder verloren.
- Untergraben wurde die Autorität der kommunistischen Partei unter den Matrosen offenbar noch zusätzlich durch die innerparteilichen Auseinandersetzungen zwischen Sinowjew und Trotzki, der von seinem Kontrahenten als Diktator angeschwärzt wurde.
Mitte Februar, mit den Nachrichten über die Streikbewegung in Petrograd, hatten sich die Konflikte zu einer kritischen Masse verdichtet.
- Am 26.2. - am selben Tag, als Kusmin im Petrograder Sowjet gewarnt hatte - beschlossen die Mannschaften der Schlachtschiffe Petropawlowsk und Sewastopol auf einer Versammlung, eine Delegation nach Petrograd zu entsenden, um sich selbst über die dortige Bewegung zu informieren.
-
Am 28. Februar kehrte die Delegation nach Kronstadt zurück, wo sie auf einer Versammlung an Bord der Petropawtowsk über ihre Eindrücke berichtete. Danach verabschiedete die Versammlung eine Resolution, die zur Charta des Kronstädter Aufstands werden sollte.
"Resolution der Vollversammlung der Mannschaften der ersten und zweiten Brigade der Schlachtschiffe vom 1. März 1921.
Nachdem wir den Bericht der Vertreter der Mannschaften gehört haben, die von der Vollversammlung der Schiffsmannschaften nach Petrograd entsandt worden waren, um sich über die Lage in Petrograd Klarheit zu verschaffen, haben wir beschlossen:
- Angesichts der Tatsache, daß die bestehenden Sowjets nicht den Willen der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck bringen, unverzügliche Neuwahlen zu den Sowjets unter den Bedingungen geheimer Stimmabgabe und freier vorhergehender Wahlagitation für alle Arbeiter und Bauern durchzuführen.
- Rede- und Pressefreiheit für Arbeiter und Bauern, Anarchisten und links-sozialistische Parteien.
- Versammlungsfreiheit, Freiheit der Gewerkschaften und Bauernvereinigungen.
- Spätestens bis zum 10. März 1921 eine nichtparteigebundene Konferenz von Arbeitern, Rotarmisten und Matrosen aus den Städten Petrograd und Kronstadt sowie aus dem Petrograder Gouvernement einzuberufen.
- Alle politischen Gefangenen, die sozialistischen Parteien angehören, zu befreien ebenso wie alle Arbeiter und Bauern, Rotarmisten und Matrosen, die in Verbindung mit Arbeiter- und Bauernbewegungen eingesperrt wurden.
- Eine Kommission zur Überprüfung der Prozeßakten aller im Gefängnis und Konzentrationslagern Eingeschlossenen zu wählen.
- Jegliche Politische Abteilungen (Kommunistische Parteizellen zur Überwachung und Propaganda) abzuschaffen, da nicht eine einzige Partei Privilegien für die Propagierung ihrer Ideen beanspruchen und vom Staat zu diesem Zweck Geld erhalten darf. An ihre Stelle sollen von den örtlichen Organisationen gewählte Kultur- und Bildungskommissionen treten, für die Mittel vom Staat bewilligt werden müssen.
- Unverzüglich alle Kontrollabteilungen (gegen den Schleichhandel) abzuschaffen.
- Gleiche Lebensmittelrationen für alle Werktätigen mit Ausnahme derjenigen in gesundheitsschädlichen Berufen.
- Die kommunistischen Kampfgruppen in allen Truppeneinheiten sowie auch die verschiedenen kommunistischen Aufsichtsdienste in den Fabriken und Betrieben aufzulösen. Sollten aber solche Aufsichtsdienste und Kampfgruppen benötigt werden, können sie beim Militär aus der Kompanie bestimmt und in den Fabriken und Betrieben nach Gutdünken der Arbeiter eingesetzt werden.
- Den Bauern das volle Recht zu geben, über ihr ganzes Land so zu verfügen, wie sie es wünschen, und auch Vieh zu besitzen, sofern sie es mit eigenen Kräften halten, d.h. sich keiner Lohnarbeit bedienen.
- Wir ersuchen alle Militäreinheiten ebenso wie unsere Kameraden, die Kadetten, sich mit unserer Resolution solidarisch zu erklären.
- Wir fordern, daß alle Resolutionen durch die Presse weitestgehend bekanntgemacht werden.
- Ein mobiles Kontrollbüro einzusetzen.
- Freie handwerkliche Produktion auf der Basis eigener Hände Arbeit zu gestatten [d.h. ohne Lohnarbeit].
Die Resolution wurde von der Brigadenversammlung einstimmig bei zwei Enthaltungen angenommen.
Der Vorsitzende der Brigadenversammlung: Petritschenko
Sekretär: Perepelkin
Die Resolution wurde von der überwältigenden Mehrheft der ganzen Kronstädter Garnison angenommen."
()
Aufschlußreich an diesem Dokument ist,
- daß lediglich einer der 15 Punkte - Punkt 10: Auflösung der kommunistischen Kampfgruppen in allen Truppeneinheiten - spezifische Probleme der Matrosen und Soldaten zum Ausdruck brachte.
- Grundlegende Anliegen von Arbeitern, Kleinproduzenten und insbesondere Bauern des ganzen Landes waren in den sozialökonomischen Forderungen 8, 9, 11 und 15 formuliert worden.
- Ihre Berechtigung bzw. Unumgänglichkeit wurde von den Bolschewiki z.T. bereits durch die Ankündigungen Sinowjews Ende Februar/Anfang März, z.T. durch die Beschlüsse des eine Woche später beginnenden 10. Parteitages anerkannt.
- Brisanter für die Bolschewiki waren hingegen die politischen Programmpunkte.
- Zum größten Teil klagten sie die Wiederinkraftsetzung der während des Bürgerkrieges faktisch ausgesetzten Verfassungsbestimmungen vom 10.7.1918 ein.
- Punkt 1 jedoch stellte ohne Umschweife die Machtfrage.
Die Bolschewiki witterten die Konterrevolution. Victor Serge erinnert sich, daß er noch in der Nacht des 28. Februar von Sinowjews Schwager Jonow telefonisch alarmiert wurde:
"Kronstadt ist in der Hand der Weißen."
Am nächsten Tag, dem 1. März,
- fand auf dem Ankerplatz von Kronstadt eine Versammlung von ca. 16.000 Arbeitern statt,
- die von Wassiljew, dem bolschewistischen Vorsitzenden des Kronstädter Exekutivkomitees geleitet wurde.
- Zunächst ergriffen Kusmin und Kalinin, der Vorsitzende des Allrussischen Exekutivkomitees das Wort und attackierten die am Vortag von den Mannschaften der Petropawlowsk und Sewastopol verabschiedete Resolution.
- Nach dem Bericht von Victor Serge hätte ihre "brutale Ungeschicklichkeit" die Rebellion heraufbeschworen.
- Kalinin habe sie "Faulpelze, Egoisten, Verräter genannt und mit unnachsichtiger Bestrafung gedroht".
- Kusmin rief, "Disziplinlosigkeit und Verrat würden von der eisernen Hand der Diktatur zerschmettert werden."
- Nachdem man Kusmin vom Podium gedrängt hatte, stellte der Matrose Petritschenko die Petropawlowsk-Resolution zur Abstimmung, die gegen den Protest von Kusmin, Kalinin und Wassilijew von einer überwältigenden Mehrheit angenommen wurde.
- Weiterhin wurde beschlossen, für den 2. März eine Delegiertenkonferenz zur Vorbereitung von Neuwahlen für den Kronstädter Sowjet einzuberufen.
- Schließlich wurde bestimmt, eine 30 köpfige Delegation nach Petrograd zu schicken, um den dortigen Arbeitern und Soldaten die Kronstädter Forderungen zu erklären und um die Entsendung parteiloser Petrograder Delegierter nach Kronstadt zu bitten.
- Die Kronstädter Delegation wurde allerdings in Petrograd verhaftet, und über ihr weiteres Schicksal wurde nichts bekannt.
Zur Vorbereitungskonferenz im Kronstädter Erziehungshaus am 2. März erschienen etwa 300 Delegierte
- der Schiffe,
- militärischen Einheiten,
- Fabriken
- usw.
- Mehrheitlich gehörten sie keiner Partei an,
- die Bolschewiki stellten ca. ein Drittel.
Ernstere Konsequenzen hatte ein weiterer Zwischenfall:
- Ein Delegierter versetzte die Versammlung mit dem Gerücht in Aufruhr, daß fünfzehn Wagenladungen bewaffneter Soldaten und Kommunisten im Anmarsch seien.
- Diese Information stellte sich bald als haltloses Gerücht heraus ;
- doch unter dem Eindruck der Drohung hatte sich das Präsidium der Konferenz in ein Provisorisches Revolutionäres Komitee verwandelt, das von nun die Macht in Kronstadt repräsentierte.
- Eilig ließ es die strategischen Positionen der Festung
- Arsenale,
- Telefonzentrale,
- Nahrungsmitteldepot,
- Hauptquartier der Tscheka etc.
besetzen.
Am folgenden Tag erschien die erste Ausgabe der Kronstadt
"Iswestija" mit folgendem Aufruf:
"An die Bevölkerung der Festung der Stadt Kronstadt:
Genossen und Bürger!
- Die kommunistische Partei, die das Land regiert, hat die Verbindung zu den Massen verloren und sich als unfähig erwiesen, das Land aus dem Zustand allgemeiner Zerrüttung herauszuführen...
-
infolge der Drohungen der Regierungsvertreter beschloß die Versammlung (vom 2.3., J.), ein Provisorisches Revolutionskomitee zu bilden und es mit allen Vollmachten zur Verwaltung der Stadt und der Festung auszustatten...
-
Dem Provisorischen Komitee geht es darum, daß auch nicht ein Tropfen Blut vergossen wird. Es hat Sondermaßnahmen ergriffen, um in Stadt und Festung sowie in den Forts die revolutionäre Ordnung zu errichten...
-
Die Aufgabe des Provisorischen Revolutionskomitees besteht darin, in gemeinsamer, einmütiger Anstrengung in Stadt und Festung die Voraussetzung für die Durchführung korrekter und gerechter Wahlen zum neuen Sowjet zu schaffen.
Also Genossen, auf zu Ruhe und Ordnung, zu Disziplin, zu neuem rechtschaffenem sozialistischem Aufbau zum Wohle aller Werktätigen ..."
()
Der Rubikon zum offenen Aufstand war überschritten worden. Kronstadt zu verlassen war nur noch mit Sondergenehmigung des Revolutionskomitees möglich.
In den Mittelpunkt des Aufstandes rückte die Losung
- Kronstadt, in dem die Macht in die Hände des Revolutionskomitees übergegangen war,
- sollte zum Modell für Millionen von Arbeiter und Bauern ganz Rußlands werden.
- Wegen der Insellage Kronstadts und der unterbrochenen Verbindungen zum Festland hatte die Rebellion einen anderen Verlauf genommen als die Petrograder Streikbewegung.
- Militärkadetten und bolschewistischen Agitatoren waren die Matrosen entzogen;
- allerdings wurde es diesen auch erschwert, die abflachende Streikbewegung am anderen Ufer wahrzunehmen.
Kronstadt und die Weißen
Am selben Tag verbreitete der Moskauer Rundfunk ROSTA einen dramatischen Appell
"Auf zum Kampf mit der weißgardistischen Verschwörung".
"Es ist ganz klar, ... daß hier die französische Spionageabwehr die Hand im Spiel hatte: ... Die Sozialrevolutionäre, die von demselben Paris aus gelenkt wurden, bereiteten den Boden für einen Aufstand gegen die Sowjetunion, und kaum hatten sie ihn vorbereitet, da zeigte sich schon in ihrem Rücken als eigentlicher Herr ein zaristischer General."
()
Die Kronstädter widersprachen vehement:
"In Kronstadt liegt die gesamte Macht ausschließlich in Händen revolutionärer Matrosen, Rotarmisten und Arbeiter und nicht in Händen der Weißgardisten mit irgendeinem General Koslowski an der Spitze, wie euch die verleumderische Radiosendung aus Moskau einreden will."
()
Zum Beweis publizierten sie mehrmals die vollständige Namensliste des Provisorischen Revolutionskomitees (siehe Dokument 20). Dennoch:
- Koslowski existierte.
- Ehemaliger zaristischer Offizier, hatte er nach der Oktoberrevolution der Roten Armee als Militärspezialist gedient.
- 1921 war er Befehlshaber der Artillerie der Kronstadtfestung.
- Als Militärspezialist diente er auch den Aufständischen.
Gegenüber dem bolschewistischen Kommissar der Festung soll er am 2. März aufgetrumpft haben:
"Ihre Zeit ist abgelaufen. Nun werde ich tun, was zu tun ist."
()
Nach eigenem Eingeständnis gab er dem Revolutionskomitee noch an diesem Tag den Rat, sofort gegen die Bolschewiki in die Offensive zu gehen. Ausgearbeitet wurde folgender Plan:
- sofortige Landung in Oranienbaum (auf dem Festland), um die dortige militärische Ausrüstung in Besitz zu nehmen
- und Kontakt mit den sympathisierenden Militäreinheiten aufzunehmen
- und dann nach Petrograd vorzustoßen,
- bevor die Regierung Gelegenheit bekommen würde, effektive Gegenmaßnahmen treffen.
- Ein weiterer Rat der verbliebenen Militärspezialisten zielte darauf ab, die eingefrorenen Schlachtschiffe frei- und um die Insel Kotlin herum einen Wassergraben ins Eis zu sprengen.
Anders als es die beschwichtigenden Erklärungen aus Kronstadt nahelegten,
- betätigte sich Ex-General Koslowski recht emsig.
-
"Eigentlicher Herr" der Festung war er allerdings nicht.
- An dem führenden Machtorgan Kronstadts war er zu keinem Zeitpunkt beteiligt worden,
- und seine ehrgeizigen militärischen Pläne wurden offensichtlich nicht akzeptiert und realisiert.
Doch zurück zu Radio ROSTA:
"Daß die Meuterei ... ebenso von den Spionen der Entente vorbereitet wurde wie viele vorhergehende weiß gardistische Aufsäande, ist aus einer Meldung der bourgeoisen französischen Tageszeitung Le Matin ersichtlich, die zwei Wochen vor der Meuterei Koslowskis ein Telegramm aus Helsingfors (Helsinki, J.) mit folgendem Inhalt brachte: Aus Petragrad wird gemeldet, daß in folge der jüngsten Meuterei in Kronstadt die bolschewistischen Militärbehörden eine ganze Reihe von Maßnahmen ergriffen haben, um Kronstadt zu isolieren und den Rotarmisten und Matrosen der Kronstadter Garnison den Zugang nach Petrograd zu verwehren."
()
- Die Meldung wurde am 13. Februar publiziert, als eine Rebellion in Kronstadt noch nicht in Sicht war.
- Auch wenn man berücksichtigt, daß Falschmeldungen über Unruhen in Sowjetrußland an der Tagesordnung waren, überrascht dennoch die Übereinstimmung des Szenarios mit den zwei Wochen später ablaufenden Vorgängen.
- Als Quelle hat der amerikanische Historiker Avrich einen Korrespondenten der Russunion-Nachrichtenagentur in Helsingfors ausgemacht, eines notorischen Zentrums antisowjetischer Propaganda.
- Aufschlußreich ist ein streng geheimes "Memorandum über die Organisation eines Aufstandes in Kronstadt", das im Januar oder Anfang Februar 1921 entstanden sein muß. (siehe im Anhang Dokument 19)
- Avrich, der das Dokument in Archiven des russischen Nationalkomitees entdeckt hat, vermutet als Autor Professor G.F. Zeidler, der vor der Oktoberrevolution Direktor des Russischen Roten Kreuzes gewesen und nach Finnland emigriert war.
- Zeidler kooperierte eng mit David Grimm, der in Helsingfors zugleich offizieller Repräsentant General Wrangels und Bevollmächtigter des Nationalzentrums war.
- Von dem Nationalzentrum, einem lockeren Bündnis von Kadetten, Oktobristen und anderen Konterrevolutionären, dessen Hauptquartier in Paris angesiedelt war und das in mehreren europäischen Hauptstädten über Filialen verfügte, wurden intensiv Aufstandspläne geschmiedet.
- Führende Köpfe dieser Organisation hatten bereits an verschiedenen konterevolutionären Aktionen in Sowjetrußland teilgenommen.
-
Das Dokument zeigt neben der eindeutigen Zielsetzung, Kronstadt als Brückenkopf für den Sturz der Sowjetmacht in die Hand zu bekommen, daß sein Autor außerordentlich gut über die Situation in Kronstadt orientiert war.
Als den Aufstand begünstigenden Umstand wird an erster Stelle genannt:
"Vorhandensein einer fest gefügten Gruppe energischer Organisatoren des Aufstandes."
Wer war gemeint?
- Dominierende Rolle in Kronstadt spielte von Beginn an Petritschenko, der die Petropawlowsk-Resolution unterschrieben, am nächsten Tag auf dem Ankerplatz vorgetragen und zur Abstimmung gestellt und am 2. März zunächst den Vorsitz der Versammlung und dann des Provisorischen Revolutionskomitees übernommen hatte.
- Da Mitglieder des Revolutionskomitees nach der Niederschlagung des Aufstands Kontakt zum Nationalzentrum hatten, ist nicht auszuschließen, daß bereits früher Verbindungen vorhanden waren, der Nachweis ist bislang jedoch nicht erbracht worden.
- Petritschenko schloß einige Jahre später die Möglichkeit nicht aus, daß Kontakte zwischen Kronstädtern zum Nationalzentrum bestanden haben könnten, wie es "gewöhnlich in solchen Situationen geschieht".
- Die Mitglieder des Revolutionskomitees hätten damit jedoch nichts zu tun gehabt.
"Als wir hörten, daß rechte Elemente versuchten, unsere Revolte auszubeuten, warnten wir sofort unsere Anhänger in einem Artikel, der die Überschrift Herren oder Genossen trug."
(siehe Dokument 21)
- Vor allem aber der Zeitpunkt der Rebellion spricht gegen ein abgekartetes Spiel zwischen Nationalzentrum und Revolutionskomitee.
- Koslowski, der es als Militärspezialist wissen muß, beklagte sich kurz nach der Niederlage Kronstadts bitter darüber, daß es dank der Ungeduld der Matrosen zu einem verfrühten Ausbruch gekommen sei. Man hätte bis zur Eisschmelze abwarten müssen.
Nach dem Ausbruch der Rebellion sah das Nationalzentrum seine Hauptaufgabe darin, so schnell wie möglich Hilfsmaßnahmen zu organisieren, um Kronstadt ein Durchhalten zu ermöglichen.
- Am 7. März erklärte die Russische Handels- und Industrievereinigung in Paris ihre Bereitschaft, mit Lebensmitteln und anderen Gütern zu helfen.
- Noch am selben Tag wurde Kronstadt von Helsingfors aus per Radiogramm entsprechend informiert.
- Ein spezielles Hifskomitee wurde in Helsingfors unter der Leitung Grimms und der Assistenz Zeidlers ins Leben gerufen.
- Gelder sprudelten kräftig:
- 100.000 französische Francs von der Handels- und Industrievereinigung,
- 5.000 britische Pfund von Graf Kokowzow, dem Finanz- und Premierminister des Zaren Nikolaus II. und damaligen Vorsitzenden der Internationalen Bank in Paris,
- 225.000 Francs steuerte die Russisch-Asiatische Bank bei usw..
Nicht so erfolgreich waren die Bemühungen um Unterstützung durch die Ententemächte.
- Am ehesten ansprechbar war offensichtlich das französische Außenministerium gewesen, zu dem das Nationalzentrum ständigen Kontakt hielt.
- Selbst politisch zu intervenieren, war offensichtlich auch für den französischen Imperialismus nicht mehr opportun.
-
Immerhin versuchte man, die finnische Regierung auf diplomatischem Wege dazu zu bewegen, Hilfslieferungen passieren zu lassen, die über den finnischen Zweig des Russischen Roten Kreuzes nach Kronstadt geschleust werden sollten.
- Doch unerwarteterweise verweigerte Finnland den Transfer.
- Am 13. März war die Nahrungsmittelversorgung in Kronstadt so prekär geworden, daß Petritschenko Grimm autorisierte, Finnland und andere Länder um Unterstützung anzugehen.
- Am 16. März erreichte Baron Wilken, ehemaliger Kommandeur in Sewastopol, nun weißer Agent und Kompagnon Zeidlers, getarnt als Repräsentant des Russischen Roten Kreuzes auf dem Weg über das Eis Kronstadt und bot dem Revolutionskomitee Lebens- und Arzneimittel an, was von diesem angesichts des Versorgungsnotstandes akzeptiert wurde.
Eigene Pläne schmiedete die Exilorganisation der Sozialrevolutionäre,
- die in Frankreich,
- den USA
- und den Niederlanden
gleichfalls beträchtliche Geldsummen und Nahrungsmittelsammlungen für Kronstadt auftreiben konnte.
Von Reval aus kündigte Viktor Tschernow, ehemaliger Vorsitzender der kurzlebigen Konstituierenden Versammlung, die Hilfe mit folgender Radiobotschaft an:
"Der Vorsitzende der Konstituierenden Versammlung, Viktor Tschernow, schickt seine brüderlichen Grüße an die heroischen Matrosen, Soldaten der Roten Armee und Arbeiter, die zum dritten Mal seit 1905 das Joch der Tyrannei abschütteln. Er bietet an, mit Mannschaft zu helfen und Kronstadt durch die russischen Kooperativgesellschaften im Ausland zu verproviantieren. Teilt mit, was und wieviel gebraucht wird. Bin bereit, selbst zu kommen und meine Energie und Autorität in den Dienst der Volksrevolution zustellen. Ich habe Vertrauen in den Endsieg der Arbeitermassen... Heil den ersten, die das Banner der Volksbefreiung erheben! Nieder mit dem Despotismus auf der linken und auf der rechten Seite."
()
Dieses Angebot wurde auf einer Sondersitzung des Revolutionskomitees erörtert. Walk war für eine Annahme, Perepelkin für eine grundsätzliche Zurückweisung. Beschlossen wurde auf Antrag Petritschenkos eine vertröstende Antwort:
" ... Das Provisorische Revolutionäre Komitee ist dankbar für das Angebot des Genossen Tschernow, aber es hält sich für jetzt zurück, das heißt bis die weitere Entwicklung sich klarer abzeichnet ..."
()
Materielle Hilfe erreichte Kronstadt bis zu seiner Niederlage weder vom Nationalzentrum noch von den Sozialrevolutionären.
Mit jedem Tag wurden jedoch ihre regen Aktivitäten bedrohlicher,
- nach der Eisschmelze wäre eine Versorgung Kronstadts auf dem Seeweg kein Problem mehr gewesen.
- Die Bolschewiki befürchteten - wie sich Lenin in seinem Bericht an den 10. Parteitag ausdrückte, daß die "parteilosen Elemente nur als Trittbrett, als Stufe, als Brücke" dienen würden "für den Übergang zur weißgardistischen Macht" .
- Eine faktisch uneinnehmbare Festung direkt vor den Toren Petrograds unter Kontrolle der Weißen wäre für das total ausgepowerte Land eine existentielle Bedrohung gewesen.
- In höchstem Maße alarmiert, sahen sich die Bolschewiki "gezwungen, kurz, scharf und entscheidend zuzuschlagen" .
Der Countdown läuft
Am 2. März veröffentlichte die Prawda eine von Lenin und Trotzki unterzeichnete Regierungserklärung:
"Eine im Geist der Sozialrevolutionäre und der Schwarzen Hundert gehaltene Resolution wurde angenommen ... Wieder steht hinter den Sozialrevolutionären ein zaristischer General. Unter Berücksichtigung all dessen erläßt der Rat für Arbeit und Verteidigung die folgenden Verordnungen:
- Hiermit befinden sich der ehemalige General Koslowski und seine Komplizen außerhalb des Rechts.
- Die Stadt und das Gouvernement Petrograd werden hiermit unter Kriegsrecht gestellt.
- Alle Macht im Petrograder Befestigungsgebiet wird hiermit em Komitee für Verteidigung der Stadt Petrograd übertragen.
"
()
In der folgenden Nacht kam es in Oranienbaum
- gegen Matrosen der Marinefliegerdivision, die mit Kronstadt sympathisierten, zum ersten Waffeneinsatz.
- Von der Tscheka sollen noch am gleichen Tag 45 gefangengenommene Matrosen erschossen worden sein.
Am 4./5. März wurden in Petrograd und Umgebung
- 4.000 Mitglieder der Kommunistischen Partei zusammengezogen und bewaffnet.
- Verstärkt wurde diese Miliz durch zahlreiche Mitglieder
- des kommunistischen Jugendverbandes,
- der Gewerkschaften
- und durch Hunderte von Kadetten von außerhalb.
In der Nacht auf den 5. März traf Trotzki in Petrograd ein.
- Als erste Maßnahme forderte er die Garnison und Bevölkerung Kronstadts ultimativ auf, sich bedingungslos zu ergeben;
- gleichzeitig ordnete Trotzki an, alle Vorbereitungen für eine bewaffnete Aktion zu treffen:
"Ultimatum
(5. März 1921, 14 Uhr)
(An die Garnison und Bevölkerung von Kronstadt und die aufständischen Forts):
- Die Arbeiter- und Bauernregierung hat angeordnet, daß Kronstadt und die aufständischen Schlachtschiffe unverzüglich wieder der Gerichtsbarkeit der Sowjetrepublik unterstellt werden müssen.
-
Daher ordne ich an: Alle, welche ihre Hand gegen das sozialistische Vaterland erhoben haben, sollen unverzüglich ihre Waffen niederlegen. Entwaffnet alle, die Widerstand leisten und übergebt sie den sowjetischen Behörden. Die festgenommenen Kommissare und andere Regierungsvertreter sind sofort freizulassen.
-
Nur wer sich bedingungslos ergibt, kann auf die Gnade der Sowjetregierung zählen.
-
Gleichzeitig mit dieser Warnung erteile ich Anweisung, daß alle Vorbereitungen zur Unterdrückung der Meuterei und der Aufständischen mit Waffengewalt getroffen werden.
-
Die ganze Verantwortung für alles Unheil, das über die Zivilbevölkerung bei dieser Operation hereinbrechen sollte, liegt bei den weiß gardistischen Aufständischen.
Das ist die letzte Warnung.
Trotzk, Kamenew, Tuchatschewski, Lebedew"
()
- Noch am selben Tag ließ das Petrograder Verteidigungskomitee vom Flugzeug Flugblätter über Kronstadt abwerfen, in dem der Drohung Nachdruck verliehen wurde: "Wenn ihr nicht nachgebt, wird man euch der Reihe nach wie Rebhühner abschießen."
-
Um die drohende bewaffnete Konfrontation zu vermeiden, übermittelten russische und amerikanische Anarchisten am Abend dem Petrograder Verteidigungsrat einen Vermittlungsvorschlag:
An den Petrograder Sowjet für Arbeit und Verteidigung
Vorsitzender Sinowjew.
- Jetzt zu schweigen ist unmöglich, sogar verbrecherisch. Die jüngsten Ereignisse zwingen uns Anarchisten zu reden und unsere Haltung in der gegenwärtigen Lage zu erklären.
-
Der Geist der Gärung und Unzufriedenheit, der unter den Arbeitern und Matrosen zutage tritt, ist das Resultat von Ursachen, die unsere ernste Aufmerksamkeit erfordern. Kälte und Hunger erzeugten Mißvergnügen, und das Fehlen jeder Gelegenheit zur Diskussion und Kritik zwingt die Arbeiter und Matrosen, ihre Beschwerden im Freien zu erörtern.
-
Weißgardistische Banden wünschen diese Unzufriedenheit für ihre eigenen Klasseninteressen auszubeuten und mögen Versuche dazu machen. Sich hinter den Arbeitern und Matrosen verbergend, werfen sie Schlagwörter aus von der Konstituierenden Versammlung, von Handelsfreiheit und und ähnlichen Forderungen.
-
Wir Anarchisten haben längst die Lüge dieser Schlagwörter enthüllt, und wir erklären vor der ganzen Welt, daß wir mit den Waffen gegen jeden gegen-revolutionären Versuch kämpfen werden, zusammenwirkend mit allen Freunden der Sozialen Revolution und Hand in Hand mit den Bolschewiki.
-
Was den Konflikt zwischen der Sowjetregierung und den Arbeitern und Matrosen betrifft, sind wir der Ansicht, daß er nicht durch Waffengewalt, sondern durch einen kameradschaftlichen, brüderlichen revolutionären Vergleich beigelegt werden muß. Wenn die Sowjetregierung zum Blutvergießen schreitet, wird dies - in der gegebenen Situation - die Arbeiter nicht einschüchtern oder beruhigen. Im Gegenteil wird es nur zur Verschärfung der Lage dienen und die Hand der Entente und der inneren Gegenrevolution stärken.
Was noch wichtiger ist, der Gebrauch von Gewalt durch die Arbeiter- und Bauernregierung gegen Arbeiter und Matrosen wird eine reaktionäre Wirkung auf die internationale revolutionäre Bewegung ausüben und wird überall der Sozialen Revolution unberechenbaren Schaden zufügen.
Genossen Bolschewiken, überlegt wohl, bevor es zu spät ist! Spielt nicht mit dem Feuer: ihr seid im Begriff, einen sehr ernsten und entscheidenden Schritt zu tun.
Wir unterbreiten euch hiermit den folgenden Vorschlag: Eine Kommission möge gewählt werden, die aus fünf Personen besteht, darunter zwei Anarchisten. Diese Kommission soll nach Kronstadt gehen, um den Streit auf friedlichem Wege beizulegen. In der gegebenen Lage ist dies die radikalste Methode. Sie wird von internationaler revolutionärer Bedeutung sein.
Petra grad, 5. März 1921
Alexander Bergmann. Emma Goldman. Perkus. Petrowsky.
Während diese Initiative unbeantwortet blieb, wurde der Petrograder Sowjet am 6. März selbst aktiv. Per Funktelegramm fragte er an,
"ob einige Leute aus dem Sowjet - Parteilose und Parteimitglieder - von Petrograd aus nach Kronstadt geschickt werden können, um sich darüber zu informieren, worum es geht."
()
Das Provisorische Revolutionskomitee funkte zurück:
"Der Parteilosigkeit eurer Parteilosen glauben wir nicht. Wir schlagen vor, daß aus den Betrieben und aus den Kreisen der Rotarmisten und Matrosen Vertreter der Parteilosen in Anwesenheft unserer Delegierten gewählt werden. Außer den in der genannten Weise gewählten Parteilosen könnt ihr noch 15% Kommunisten schicken."
()
Weitere Bemühungen um direkten Kontakt gab es nicht mehr.
Am 7. März 1921
- um 6.45 Uhr abends eröffneten die Batterien von Ssestroretzk, Lissy Noß und Krasnaja Gorka das Feuer gegen Kronstadt.
- Entsprechend dem Plan Tuchatschewskis folgte dem Bombardement der Versuch eines Sturmangriffes.
- Angeführt von Militärkadetten und angetrieben von Maschinengewehrschützen der Tscheka in ihrem Rücken stürmten die in weißes Leinen gehüllten Truppen am 8. März durch den Schneesturm über das Eis gegen die Festung.
- Ohne die Verteidigungseinrichtungen Kronstadts durchbrechen zu können, fielen Hunderte von ihnen einem mörderischen Maschinengewehr- und Artilleriefeuer zum Opfer.
Das provisorische Revolutionskomitee Kronstadts demonstrierte in einer Radiobotschaft Entschlossenheit:
"Es ist also so weit, der erste Schuß ist gefallen. ... Bis zu den Hüften im Bruderblut der Werktätigen watend, hat der blutrünstige Feldmarschall Trotzki als erster das Feuer auf das Revolutionäre Kronstadt eröffnet; weil es sich gegen die Herrschaft der Kommunisten erhoben hat, um die echte Macht der Sowjets wiederherzustellen... Die Werktätigen der ganzen Welt sollen wissen, daß wir, die Verteidiger der Macht der Sowjets, über die Errungenschaften der sozialen Revolution wachen. Wir werden entweder siegen oder im Kampf für die gerechte Sache des werktätigen Volkes auf den Trümmern Kronstadts fallen."
()
Mit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen hatte sich der politische Graben zwischen den Bolschewiki und Kronstadt vertieft. Erstmals am 8. März taucht die Parole der
"Dritten Revolution" auf:
"Hier in Kronstadt
- wurde der Grundstein zur Dritten Revolution gelegt,
- die die letzten Ketten von den werktätigen Massen nehmen und zerbrechen wird
- und die einen neuen breiten Weg zu schöpferischer Tätigkeit im Geiste des Sozialismus freilegen wird....
- Die Arbeiter und Bauern schreiten unaufhaltsam voran,
- sie lassen die Konstituante mit ihrer bürgerlichen Ordnung ebenso hinter sich
- wie die Diktatur der Kommunistischen Partei mit ihrer Tscheka und ihrem Staatskapitalismus,
- die sich wie eine Todesschlange um den Hals der werktätigen Massen legte und sie endgültig zu erwürgen drohte.
- Die jetzt vollzogene Umwälzung gibt den Werktätigen die Möglichkeit, endlich frei gewählte Sowjets einzusetzen,
- die ohne jeden gewaltsamen Druck einer Partei arbeiten,
- und die staatlichen Gewerkschaften in freie Vereinigungen der Arbeiter, Bauern und der schaffenden Intelligenz umzugestalten.
- Der Polizeiknüppel der kommunistischen Autokratie ist endlich zerbrochen.
"
()
Nun sollten die Kommunisten ganz aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet werden,
"damit sie durch ihre böswillige, falsche Agitation nicht die revolutionäre Arbeit behindern."
()
Über ein geschlossenes Programm verfügte Kronstadt nicht. In ihrer Iswestija verbanden sich vielmehr Parolen unterschiedlichster Herkunft zu einem bunten Gemisch.
- Unter der Fahne der "dritten anarchistischen Revolution" waren ukrainische Bauern unter Nestor Machnos Führung in den Kampf gezogen -
- gegen die Deutschen,
- die Weißen
-
- und die Bolschewiki.
- Wie bei den Sozialrevolutionären wurde in Kronstadt bäuerlichen Belangen ein sehr großer Stellenwert eingeräumt
- und scharf gegen Sowchosen und Kommunarden agitiert;
- abgelehnt wurde jedoch die Konstituante, die zentrale politische Forderung der SR.
- Die in Kronstadt publizierten Vorschläge für eine "Umgestaltung der Gewerkschaften" berührten sich wiederum mit Vorstellungen der Arbeiteropposition in der KPR:
"Die Sozialistische Sowjetrepublik kann nur dann stark sein, wenn ihre Leitung den werktätigen Klassen in Gestalt erneuerter Gewerkschaften zufällt."
()
Immer lauter artikulierte sich auch die
"Konterrevolution des Volkes" (Serge) :
"Es ist etlichemal schlimmer geworden, als es unter Nikolaus war.
- All diese Apostel mit der Seele eines Verräters haben nach dem Oktoberumschwung allen auf den Bürgersteigen die Pelzmäntel ausgezogen
- oder bis zum letzten Krümelchen alle Lebensmittel gestohlen....
- Aber werft heute mal einen Blick auf diese Plünderer: Jeder von ihnen hatte mehrere Pelzmäntel,
- alle Arme sind mit Gold behängt;
- die Schränke mit Nikolaus Eigentum vollgestopft,
- die Speisekammer gefüllt mit Lebensmitteln usw.
"
()
Das
"Kleine Feuilleton" in der Iswestija vom 15.3. schließt mit dem hasserfüllten Zweizeiler:
"Wartet nur, bald werden eure Köpfchen wie Käferchen auf die Gewehrkolben gespießt."
()
Das Ende der Rebellion
- Am 8. März war in Moskau der 10. Parteitag der KPR eröffnet worden.
- Am 10.3. berichtete Trotzki auf einer geschlossenen Sitzung über die prekäre Situation nach dem gescheiterten ersten Sturm auf Kronstadt.
- 300 Parteimitglieder meldeten sich noch am selben Abend zum freiwilligen Fronteinsatz,
- um die Rebellen möglicherweise doch noch zur Aufgabe bewegen zu können
- und um den Soldaten im Kampf gegen die Rebellen moralisch den Rücken zu stärken.
Zunächst traten jedoch neue Schwierigkeiten auf:
- Eisenbahner weigerten sich, Truppentransporte weiterzuleiten.
- In Oranienbaum und Peterhof kam es zu Meutereien von Gewehrschützen und Offiziersschülern.
Am 15. März verbesserte sich die Lage für die Bolschewiki schlagartig.
- Sofort nach dem Beschluß des Parteitages, die Getreiderequirierungen durch eine Naturalsteuer zu ersetzen, hasteten die Parteitagsdelegierten zur Front, um die Truppen zu informieren.
- Der Erfolg bei den Soldaten überwiegend bäuerlicher Herkunft soll durchschlagend gewesen sein.
- In demselben Zeitraum hatte sich die Stimmung in Kronstadt rapide verschlechtert.
- Die ständigen Scharmützel und die zur Neige gehenden Nahrungsmittel- und Brennstoffreserven zerrten an den Nerven.
Nach mehrstündigem Bombardement begann am 17.3. um 3.00 Uhr morgens der Sturm auf Kronstadt,
- für den Tuchatschewski 50.000 Mann zusammengezogen hatte.
- Nach erbitterten und für beide Seiten verlustreichen Kämpfen setzten sich am Abend 11 Mitglieder des Revolutionskomitees (unter ihnen Petritschenko) und die Militärspezialisten als erste über die zugefrorene Ostsee nach Finnland ab.
- Es folgte eine Massenflucht von 8.000 Matrosen.
- Am Mittag des 18.3. kontrollierten die Truppen der Sowjetregierung die Schlachtschiffe, die Forts und fast die ganze Stadt auf der Festungsinsel.
Die traurige Bilanz:
- Tausende von getöteten Militärkadetten und Soldaten der Roten Armee,
- mehrere hundert gefallene aufständische Matrosen.
- 2.500 Rebellen wurden gefangengenommen,
- mehrere hundert von ihnen später von der Tscheka erschossen.
- Sehr viel mehr verschwanden in Gefängnissen und Lagern.
Kronstadt: Urteile und Folgen
Die Waffen schweigen, doch der Streit darüber, was Kronstadt war, verstummte nicht.
Alexander Bergmann notierte in seinem Tagebuch:
"Die Diktatur zertritt die Massen unter ihrem Stiefel. Die Revolution ist tot. Ich habe mich entschlossen, Rußland zu verlassen."
()
Gescheitert war für ihn
"der erste volksmäßige und ganz unabhängige Versuch einer Befreiung vom Joch des Staatssozialismus - ein direkt vom Volk, von den Arbeitern, Soldaten und Matrosen selbstgemachter Versuch."
()
Die Bolschewiki hingegen sahen in Kronstadt eine
"kleinbürgerliche Konterrevolution" (Lenin) und
"ein Glied in der stählernen Kette, die die Imperialisten aller Länder gegen die Sowjetunion schmieden. Unter den Parolen geringfügiger Verbesserungen in der Sowjetregierung oder von Sowjets ohne Kommunisten wollen unsere einheimischen oder die internationale Bourgeoisie die Arbeiter und Bauern gegen die Sowjetmacht führen."
()
Die vielleicht differenzierteste Stellungnahme gab Victor Serge ab:
"Kronstadt war im Recht.
- Kronstadt begann eine neue befreiende Revolution, die der Volksdemokratie.
- Die 3. Revolution! sagten einige Anarchisten, die mit kindlichen Illusionen vollgestopft waren.
- Allein, das Land war völlig erschöpft;
- die Produktion stand fast völlig still,
- es gab keine Reserven irgendwelcher Art mehr,
- nicht einmal an Nervenstärke in der Seele der Massen.
- Die Elite des Proletariats, die in den Kämpfen mit dem Zarenregime geprägt worden war, war buchstäblich dezimiert.
- Die Partei, die durch den Zufall derer, die sich mit der Macht ausgesöhnt hatten, angewachsen war, flößte wenig Vertrauen ein.
- Von den anderen Parteien waren nur noch winzig kleine Kader von mehr als zweifelhafter Fähigkeit vorhanden.
- Sie konnten sich natürlich im Laufe von ein paar Wochen neu bilden, aber nur dadurch, daß sie Verbitterte, Unzufriedene und Aufgebrachte aufnahmen
- und nicht mehr, wie 1917, Enthusiasten der jungen Revolution.
- Der sowjetischen Demokratie fehlte es an Schwung, an Köpfen, an Organisatoren, und hinter sich hatte sie nur ausgehungerte und verzweifelte Massen.
Die Konterrevolution des Volkes
- übersetzte die Forderungen freigewählter Sowjets
- durch die der Sowjets ohne Kommunisten.
Wenn die Diktatur fiel,
- so bedeutete das in Kürze das Chaos,
- und durch das Chaos hindurch das Vordringen der Bauern,
- das Massaker der Kommunisten,
- die Rückkehr der Emigranten
- und am Ende durch die Macht der Umstände eine andere, anti-proletarische Diktatur.
"
()
Maßgeblichen Einfluß hatte Kronstadt auf die Analysen und Entscheidungen des 10. Parteitages. Die in Kronstadt - so Lenin - zutage getretene
"kleinbürgerliche Konterrevolution ist zweifellos gefährlicher als (die weißen Generäle, J.) Denikin, Judenitsch und Koltschak zusammengenommen,
- weil wir es mit einem Land zu tun haben, wo das Proletariat die Minderheit bildet;
- weil wir es mit einem Land zu tun haben, in dem die wirtschaftliche Zerrüttung das bäuerliche Eigentum in Mitleidenschaft gezogen hat...
"
()
.
Unter diesen Bedingungen
- bedeutete jede noch so kleine Machtverschiebung zugunsten eines "Bundes buntscheckiger Elemente" eine extreme politische Gefahr.
- Als Konsequenz wurden die mit den Bolschewiki konkurrierenden sowjetischen Parteien nach Kronstadt mit unnachgiebiger Härte verfolgt,
denn:
"Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, sowohl die offenen wie auch die als Parteilose getarnten, gehören ins Gefängnis (oder in die im Ausland erscheinenden Zeitschriften ...)."
()
Die für ihn wichtigsten Lehren aus Kronstadt faßte Lenin in zwei Punkten zusammen:
"
- Die Partei zusammenschweißen, keine Opposition in der Partei zulassen - das ist die politische Schlußfolgerung aus der gegenwärtigen Lage;
- die wirtschaftliche Schlußfolgerung lautet: sich nicht mit dem zufrieden geben, was in der Politik der Verständigung der Arbeiterklasse mit der Bauernschaft getan worden ist, neue Wege suchen, dieses Neue anwenden, erproben.
"
()
- Für die Entwicklung der "Neuen Ökonomischen Politik" wurde ein Zeitraum von mehreren Jahren veranschlagt.
- Die politischen Entscheidungen wurden zum großen Teil als für die Situation unumgängliche Ausnahmebestimmungen aufgefaßt, doch gerade sie sollten sich als besonders langlebig erweisen.
Lenin war der festen Überzeugung, daß die Ende 1920/Anfang 1921 öffentlich ausgetragenen Kontroversen zwischen den verschiedenen Flügeln der KPR mit zu der politischen Krise des Landes beigetragen hatten. Um dort wieder herauszukommen, forderte er von der Partei jetzt
"maximale Geschlossenheit; Standhaftigkeit und Disziplin".
- Stark eingeengt wurden die innerparteiliche Demokratie bzw. die politischen Kräfte in der KPR, die in besonderer Weise für eine Erweiterung der Sowjetdemokratie eingetreten waren.
- Eine "Resolution über die syndikalistische und anarchistische Abweichung" erklärte die Propagierung der Auffassungen der Arbeiteropposition für unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur KPR.
- Die "Resolution über die Einheit der Partei" erließ ein generelles Fraktionsverbot;
- namentlich die Gruppen der "Arbeiteropposition" und des "Demokratischen Zentralismus" wurden für aufgelöst erklärt.
- Eine geheimgehaltene Schlußklausel ermächtigte darüber hinaus das ZK und die Kontrollkommission, im Notfall auch ZK-Mitglieder aus der Partei auszuschließen.
- Insbesondere diese Geheimklausel war von Lenin mehrmals ausdrücklich als eine "Maßnahme für den äußersten Fall" bezeichnet worden, "die speziell im Bewußtsein der gegenwärtigen Gefahr getroffen wird"
Drei Jahre später wurde sie im innerparteilichen Kampf der KPdSU zur Waffe gegen Trotzki. Das unter dem Eindruck Kronstadts erlassene Fraktionsverbot hat bis heute seine Gültigkeit behalten und disziplinierende Wirkung ausgeübt.
"Der Gebrauch von Gewalt durch die Arbeiter- und Bauernregierung gegen Arbeiter und Matrosen wird eine reaktionäre Wirkung auf die internationale revolutionäre Bewegung ausüben und wird überall der sozialen Revolution Schaden zufügen"
()
hatte die anarchistische Delegation am 5. März 1921 in ihrem Vermittlungsversuch gemahnt.
im Juni 1989, J./Westberlin
Anmerkungen
Isaak Steinberg, Gewalt und Terror in der Revolution, Berlin 1981, s. 189
Trotzki, Zu Ehren der Helden von Kronstadt (3.4.21), in: Friedrich Dorn/Christian Geyer (Hg.), Kronstadt, Ffm. 1981, S. 72
Trotzki, Bemerkungen für die ausländische Presse (16.3.21), in: Dorn/Geyer, S. 67f.
Lenin, Werke Bd. 32 (LW 32), Berlin 1970, S. 286
vgl. Paul Avrich, Kronstadt 1921, Princeton 1970
vgl. den KB-Reader "Roter Oktober 1917", S. 67f. und 2/98ff.
zit. nach: Alexander Berkman, Die Kronstadt Rebellion, Berlin 1923 (Reprlnt 1980), S. 41
A. Sijepkow, Der Aufstand in Kronstadt, in: Illustrierte Geschichte der russischen Revolution, Berlin 1928 (Reprint 1970), S. 559
Lt. Leonard Shapiro, Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Ffm. 1962, S. 220f.
Fritz Kool/Erwin Oberländer (Hg.), Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur Bd. 2 (Kronstadt), München 1972, S. 343
15a Victor Serge, Erinnerungen eines Revolutionärs 1901 1941, Hamburg 1977, S. 143
a.a.O., S. 146. Die Bedeutung persönlicher Verfehlungen wird von Serge vermutlich überschätzt.
Kool/Oberländer, a.a.O., S. 305 (= Dokumentation aller 14 Ausgaben der Kronstadter Igwestija, die 1921 von der den Sozialrevolutionären nahestehenden Zeitung Freies Rußland in Prag als Sammelband herausgegeben wurde.)
Lt. Avrich, a.a.O., S. 81 war bei den Delegiertenwahlen z.T. mit handfesten Argumenten verhindert worden, daß der Anteil der Bolschewiki ein Drittel übersteigt.
Kool/
, a.a.O., S. 307; Berkman, a.a.O., S. 9
Kool/.., a.a.O., S. 341f.
zit. nach Avrich, a.a.O., S. 100
Avrich, a.a.O., S. 109 vermutet, daß dieses Dokument zu der Meldung in Le Matin geführt haben könnte.
Avrich, a.a.O., S. 107ff.
a.a.O., S. 113. Lt. Avrich hatten Petritschenko und andere Komiteemitglieder Ende 1920 Kontakt mit Grimm aufgenommen, um auf Basis eines 6-Punkte-Programmes gemeinsame Aktivitäten gegen Sowjetrußiand vorzubereiten. Die Parole Alle Macht den Sowjets und nicht den Parteien sollte nur bis zur endgültigen Niederlage der Bolschewiki gelten. Um das Land vor der Anarchie zu bewahren, sei eine befristete Militärdiktatur von nöten, habe Petritschenko ausgeführt. (a.a.O., S. 1271.)
zit. nach Berkman, a.a.O., S. 11
Trotzki, Zu Ehren.., a.a.O., S. 72
Erklärung der Regierung vom 2.3.1921, in: Dorn/Geyer, a.a.O., S. 65
Koch.., a.a.O., S. 399ff.
Ultimatum vom S.3.21, in: Dorn/Geyer, a.a.O., S.66
in: Berkman, a.a.O., S. 231. Lt. Victor Serge, a.a.O., S. 147 handelte es sich hierbei um eine von einem breiteren Spektrum diskutierte Initiative.
Der Kurze Lehrgang, S. 3031. befördert Woroschilow zum Kommandeur; Tuchatschewski war 1937 von einem Militärtribunal wegen Hochverrats erschossen worden.
Berkman, zit. nach: anarchistische Texte 22, Die Russische Revolution II, S. 30
Berkman, Kronstadt-Rebellion, a.a.O., S. 31
Trotzki, Zu Ehren.., a.a.O., S. 72
Victor Serge, a.a.O., S. 1471.
29. Dokument 19: Streng geheim: Memorandum über die Organisation eines Aufstandes in Kronstadt
[aus: F. Kool / E. Oberländer: Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur, Bd. 2, München 1972 S. 31 - 35. - Verfasser ist vermutlich Prof. G. F. Zeidler, russischer Emigrant in Helsingfors. Das Memorandum erschien mehrere Wochen vor dem Aufstand in Kronstadt.]
Informationen, die aus Kronstadt kommen, zwingen uns zu der Annahme, daß dort im kommendem Frühjahr ein Aufstand ausbrechen wird. Wird seine Vorbereitung von ausserhalb ein wenig unterstützt, so kann der Aufstand auf einen vollen Erfolg rechnen, für den folgende Umstände sprechen:
Im Moment sind alle Einheiten der Ostsee-Flotte, die noch militärische Bedeutung haben, an der Reede von Kronstadt zusammengezogen. In diesem Zusammenhang sind die Hauptkraft in Kronstadt die Matrosen der aktiven Flotte und die Matrosen, welche Landdienst in der Festung von Kronstadt tun. Alle Macht ist in den Händen einer kleinen Gruppe von Matrosen-Kommunisten konzentriert (der örtliche Sowjet der Deputierten, die Tscheka, das revolutionäre Tribunal, die Kommissare, die Schiffskollektive usw.). Der Rest der Garnison und die Arbeiter in Kronstadt spielen keine nennenswerte Rolle. Inzwischen können unter den Matrosen zahlreiche und unmißverständliche Zeichen weitverbreiteter Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung festgestellt werden. Die Matrosen werden sich einmütig den Aufständischen anschließen, wenn eine kleine Gruppe mit einer Reihe entschlossener und schneller Aktionen in Kronstadt die Macht ergreift. Eine solche Gruppe, die zu den energischsten Aktionen fähig und bereit ist, wurde inzwischen unter den Matrosen gebildet.
Die Sowjetregierung ist über die Feindseligkeit der Matrosen ihr gegenüber gut informiert. Daher hat die Sowjetregierung Maßnahmen ergriffen, den Nahrungsvorrat in Kronstadt auf eine Wochenration zu beschränken, wogegen früher Nahrungsmittelvorräte für einen ganzen Monat im voraus an die Lagerhäuser in Kronstadt ausgegeben wurden. Das Mißtrauen der Sowjets den Matrosen gegenüber ist so groß, daß Wachdienste für Zugangswege nach Kronstadt über das Eis, welches jetzt den Finnischen Meerbusen bedeckt, einem Infanterieregiment der Roten Armee übertragen wurden. Im Falle eines Aufstandes könnte dieses Regiment wegen seiner geringen Mannschaftsstärke den Matrosen keinen nennenswerten Widerstand leisten. Hinzu kommt, daß bei genügender Vorbereitung des Aufstandes das Regiment von den Matrosen überrumpelt werden wird.
Hat man es geschafft, die Kontrolle über die Flotte und die Feuerkraft von Kronstadt auszuüben, so garantiert das schon allein die Überlegenheit der Aufständischen über alle anderen Forts, welche nicht direkt auf der Kotlin Insel liegen. Die Artillerie dieser Forts ist so ausgerichtet, daß sie nicht auf Kronstadt schießen können, wogegen die Batterien von Kronstadt diese Forts unter Feuer nehmen können (Ein Aufstand im Fort Obruschew, der im Mai 1919 erfolgte, brach eine halbe Stunde nach der Eröffnung des Feuers durch die Kronstädter Batterien zusammen).
Direkt nach Beginn des Aufstandes läuft militärischer Widerstand gegen ihn einzig und allein auf eine Beschießung seitens der Bolschewiki durch die Batterien von Krasnaya Gorka aus hinaus (ein Fort, das auf dem Festland an der Sixlküste des Finnischen Meerbusens liegt). Aber die Artillerie von Krasnaya Gorka ist der Artillerie von Kronstadt und seiner Flotte klar unterlegen. Auf den Schiffen und in Kronstadt gibt es nicht weniger als zweiunddreißig 30 cm und acht 25 cm Geschütze; die restliche Bewaffnung Krasnaya Gorkas ist für Kronstadt wegen ihres kleinen Kalibers harmlos. Man muß hinzufügen, daß der gesamte Munitionsnachschub für die Artillerie von Kronstadt, Krasnaya Gorka und die Baltische Flotte in den Munitionsdepots von Kronstadt und damit in den Händen der Aufständischen sein würde. Folglich können die Bolschewiki den Aufstand in Kronstadt nicht durch Artilleriebeschuß von Krasnaya Gorka niederwerfen; man muß im Gegenteil annehmen, daß im Falle eines Artillerieduells zwischen Krasnaya Gorka und Kronstadt letztere gewinnen werden (der Aufstand in Krasnaya Gorka im Mai 1919 war nach vierstündiger Beschießung niedergeschlagen, nach dem alle Gebäude in Krasnaya Gorka zerstört waren - die Bolschewiken selber hatten verboten, direkt die Geschützstellungen in Krasnaya Gorka zu beschießen, um sie zu erhalten).
Von den genannten Fakten her ist es klar, daß die Umstände äußert günstig für den Erfolg eines Aufstandes in Kronstadt sind:
- Vorhandensein einer fest gefügten Gruppe energischer Organisatoren des Aufstandes,
- Sympathie unter den Matrosen für einen Aufstand,
- durch die geographische Lage Kronstadts eng begrenzter Schauplatz der Ereignisse, wobei die Durchführung des Umsturzes innerhalb dieser Grenzen den Erfolg des ganzen Unternehmens garantiert,
- die Möglichkeit, den Aufstand in völliger Geheimhaltung vorzubereiten, die durch Kronstadts fehlende Verbindungen zu Rußland, sowie die Homogenität und den Zusammenhalt der Matrosen gewährleistet wird.
Im Falle eines Erfolges des Aufstandes werden die Bolschewiki weder durch Beschußes vom Festland noch durch Verbindung eines Beschußes vom Festland mit einer Landungstruppe Kronstadt einnehmen können. Dazu verfügen sie außerhalb von Kronstadt weder über kampfbereite Schiffe, noch können sie genügend feuerstarke, auf dem Land befindliche Artillerie einsetzen, um die Batterien in Kronstadt zum Schweigen zu bringen (dies vor allem wegen der Schwäche der Batterien in Krasnaya Gorka gegenüber denjenigen in Kronstadt). Man muß zusätzlich bemerken, daß die Kronstädter Festung und die aktive Flotte mit so zahlreicher Landungsabwehrartillerie ausgerüstet sind, daß es kaum möglich erscheint, dieses Hindernis zu überwinden; um Truppen zu landen, müßte man vorher diese Artillerie ausschalten, wozu die Bolschewiken nicht fähig sein werden, da die Landungsabwehrartillerie Feuerschutz von den schweren Geschützen Kronstadts und der Flotte erhalten wird.
In Anbetracht dieser Überlegungen könnte man annehmen, daß Kronstadt nach dem Aufstand militärisch absolut sicher wäre und solange wie nötig aushalten könnte.
Die Lebensbedingungen innerhalb Kxonstadts könnten sich allerdings verhängnisvoll auswirken. Die Lebensmittelvorräte werden nur für die erstenpaar Tage nach dem Aufstand ausreichen. Wenn sie nicht direkt nach dem Umsturz geliefert werden, und wenn nicht weitere benötigte Lieferungen gesichert sind, wird der unvermeidliche Hunger Kronstadt zwingen, sich wieder den Bolschewiki zu unterwerfen. Die russischen antibolschewistischen Organisatioiien sind nicht stark genug, um auf sich gestellt dieses Nahrungsmittelproblem zu lösen und waren deshalb gezwungen, die französische Regierung um Hilfe zu bitten.
Um Verzögerungen bei der Auslieferung von Lebensmitteln nach Kronstadt direkt nach dem Aufstand zu vermeiden, ist es notwenig, eine bestimmte Zeit zuvor die benötigte Ladung Lebensmittel auf Transportschiffe zu verladen, die dann in Häfen der Ostsee auf den Befehl warten sollen, nach Kronstadt auszulaufen -
Vorsichtshalber sollte man außer einer Übergabe Kronstadts an die Bolschewiki infolge Lebensmittelmangel auch die Möglichkeit eines Stimmungsumschwunges der Aufständischen selber berucksichtigen, als deren Folge die Macht der Bolschewiki wiedererrichtet werden könnte. So ein Stimmungsumschwung würde unvermeidlich eintreten, wenn die aufständischen Matrosen keine Zeichen von Sympathie und Unterstützung von außerhalb, besonders von der von General Wrangel kommandierten russischen Armee erhielten, und weiterhin, wenn die Matrosen sich vom Rest Russlands isoliert fühlten und spürten, daß es unmöglich sei, den Aufstand zu einem Umsturz der Sowjetmacht in ganz Russland voranzutreiben.
Dazu wäre es sehr empfehlenswert, wenn ein französisches Kriegsschiff innerhalb kürzestmöglicher Zeit nach Durchführung des Aufstandes in Kronstadt einträfe, wobei es durch seine Anwesenheit Frankreichs Hilfe symbolisieren würde. Es wäre noch empfehlenswerter, wenn Einheiten der russischen Armee in Kronstadt eintreffen würden. Bei der Auswahl solcher Einheiten sollte man die russische Schwarzmeerflotte vorziehen, die nun in Bizerta stationiert ist, weil das Eintreffen von Matrosen der Schwarzmeerflotte zur Unterstützung der Matrosen der Ostseeflotte unvergleichliche Begeisterung erzeugen würde.
Man darf auch nicht vergessen, daß es - besonders in den ersten fünf Tagen nach dem Umsturz - unmoglich sein wird, mit der geregelten Organisation der Macht in Kronstadt zu rechnen. In dieser Hinsicht könnte das Eintreffen von Einheiten der Russischen Armee oder Marine unter dem Kommando General Wrangels äußerst vorteilhafte Auswirkungen haben, da alle Kommandogewalt in Kronstadt automatisch auf den ranghöchsten Offizier der genannten Einheiten überginge.
Wenn zusätzlich vorgeschlagen würde, eine Operation von Kronstadt aus zu starten, um die Sowjetmacht in Russland zu stürzen, wäre auch dazu die Verlegung von General Wrangels russischen Streitkräften nach Kronstadt erforderlich. Hierzu ist es vielleicht am Platz, daran zu erinnern, daß für solche Operationen oder schon die Drohung mit ihnen Kronstadt als unverwundbare Basis dienen könnte. Dies umso mehr, als das nächste Ziel für Aktionen von Kronstadt aus das wehrlose Petrograd wäre, dessen Einnahme schon zur Hälfte den vollständigen Sieg über die Bolschewiki bedeuten würde.
Wenn aber in der kommenden Zeit aus irgendwelchen Gründen ein von Kronstadt ausgehender Feldzug nach Sowjetrussland nicht für sinnvoll gehalten wird, könnte trotzdem die Tatsache der Verstärkung der antibolschewistischen Kräfte in Kronstadt, welche in Verbindung mit der französischen Heeresleitung operieren, einen nicht geringen Einfluß auf die Entwicklung der militärisch-politischen Gesamtsituation in Europa während des kommenden Frühjahres haben.
Eines allerdings mußte man im Auge behalten: sollte sich der ursprüngliche Erfolg des Kronstädter Aufstands in einen Mißerfolg verwandeln, weil es unzureichend mit Lebensmitteln versorgt wurde oder die baltischen Matrosen und die Kronstädter Garnison bei fehlender militärischer und politischer Unterstützung entmutigt wären, so entsteht eine Situatiun,die nicht nur die Sowjetmacht nicht schwächen, sondern sie ganz im Gegenteil stärken wird, und ihre Widersacher unglaubwürdig macht.
Im Lichte dieser Tatsachen hält die Russische Antibolschewistische Organisation daran fest, daß sie auf jeden Beitrag für den Erfolg des Kronstädter Aufstandes verzichten muß, bis sie völlig sicher ist, daß die französische Regierung beschlossen hat, entsprechende Maßnahmen hierzu zu treffen. Insbesondere, daß sie
- sich verbürgt, finanzielle Unterstützung während der Vorbereitung des Aufstandes zu gewähren, was wegen der besonders günstigen Umstände nur unbedeutende Summen erfordern würde (wahrscheinlich ca. 200.000 Francs),
- sich verbürgt, Kronstadt weiterhin nach dem gelungenen Umsturz zu finanzieren,
- Maßnahmen ergreift, Lebensmittel nach Kronstadt zu liefern, und die Ankunft def ersten Lebensmitteltransporte unmittelbar nach Gelingen des Aufstandes garantiert,
- ihre Zustimmung zum Einlaufen von französischen Kriegsschiffen in Kronstadt und auch von Land- oder Mannetruppen der bewaffneten Streitkräfte General Wrangels in Kronstadt nach dem Umsturz gibt.
Man darf in Verbindung damit nicht vergessen, daß der Aufstand in Kronstadt, selbst bei Nichtteilnahme der französischen Heeresleitung und der Russischen Antibolschewistischen Organisation an seiner Vorbereitung und Leitung, trotzdem im kommenden Frühjahr stattfinden wird, wobei er sich auf nichts als die eigenen Kräfte stützen wird. Er wird sich, nach einem kurzen Erfolg, zum Scheitern verurteilt sehen. Das würde das Ansehen der Sowjetmacht enorm stärken, und deren Widersacher einer sehr seltenen und wahrscheinlich einzigartigen Möglichkeit berauben, Kronstadt zu erobern, und so dem Bolschewismus einen der schwersten Schläge zu versetzen, die ihn überhaupt treffen könnten.
Wenn die französische Regierung im Prinzip mit den oben dargelegten Überlegungen übereinstimmen würde, wäre es ratsam für sie, eine Person zu benennen, mit der Vertreter der Organisatoren des Aufstandes in detaihiertere Verhandlungen über das Thema eintreten könnten. Ihr könnten sie auch Einzelheiten des Planes für den Aufstand und anschließende Bemühung sowie genauere Daten betreffs benötigter Geldmittel für die Organisation und wetteier Finanzierung des Aufstandes mitteilen.
30. Dokument 20: Aufruf an die Arbeiter, Rotarmisten und Matrosen!
[aus: F. Kool / E. Oberländer: Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur, Bd. 2, München 1972, S. 480 - 481]
Wir Kronstadter haben schon am 2. März das verhaßte Joch der Kommunisten abgeschüttelt und die rote Fahne der Dritten Revolution der Werktätigen erhoben.
Rotarmisten, Matrosen und Arbeiter, das revolutionäre Kronstadt wendet sich an euch.
Wir wissen, daß man euch irreführt und euch nicht die Wahrheit über die Vorgänge hier bei uns sagt, da wir alle bereit sind, unser Leben für die heilige Sache der Befreiung des Arbeiters und Bauern einzusetzen. Man sucht euch weiszumachen, daß es bei uns weiße Generäle und Popen gibt.
Um damit ein für allemal Schluß zu machen, geben wir euch bekannt, daß das Provisorische Revolutionskomitee aus folgenden fünfzehn Mitgliedern besteht:
- Petritschenko leitender Schreiber auf dem Schlachtschiff «Petropavlovsk»
- Jakovenko Telephonist des Kronstadter Bezirks im Post- und Fernmeldedienst
- Ososov Maschinist des Schlachtschiffes « Sevastopol»
- Archipov Maschinenmaat
- Perepelkin Elektriker auf dem Schlachtschiff .«Sevastopol»
- Petrujev Chefelektriker des Schlachtschiffes «Petropavlovsk»
- Kupolov Oberfeldscher
- Verinin Matrose des Schlachtschiffes «Sevastopol»
- Tukin Handwerker in einem elektromechanischen Betrieb
- Romanenko Besitzer von Bergungsdocks
- Orezin Leiter der 3. Arbeitsschule
- Valk Handwerker im Sägewerk
- Pavlov Arbeiter in den Minenwerkstätten
- Bojkov Abteilungsleiter der Festungsbauten
- Kilgast Steuermann auf großer Fahrt.
Das sind unsere Generäle: das sind die Brusilovs, Kamenevs und andere. Die Gendarmen Trockij und Zinovev aber verheimlichen euch die Wahrheit.
Genossen! Seht, was man mit euch gemacht hat, was sie mit euren Frauen, Brüdern und Kindern machen. Wollt ihr euch wirklich alles gefallen lassen und unter dem Joch der Gewalttäter zugrunde gehen?
31. Dokument 21: Mitteilungen des Provisorischen Revolutionskomitees der Matrosen, Rotarmisten und Arbeiter der Stadt Kronstadt; Nr.4, Sonntag, 6. März 1921
[aus: F. Kool / E. Qberländer: Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur, Bd. 2, München 1972, S. 359 - 360]
«Herren» oder «Genossen»
Die Kronstadter Matrosen und die schwielenbedeckten Hände der Arbeiter haben den Kommunisten das Steuer aus den Händen gerissen und sich selbst ans Steuerrad gestellt.
Kraftvoll und sicher lenken sie das Schiff der Sowjetmacht nach Petrograd, von wo sich die Herrschaft der schwieligen Hände über das ganze leidgeprüfte Rußland ausdehnen soll.
Aber seid auf der Hut, Genossen.
Verstärkt eure Wachsamkeit: eine klippenreiche Strecke führt euch ins offene Fahrwasser.
Eine einzige unbedachte Drehung des Steuerrades, und das Schiff mit seiner euch so teuren Ladung - mit der Ladung des sozialen Aufbaus - kann auf einen Felsen auflaufen.
Habt ein wachsames Auge auf die Kommandobrücke, Genossen, denn schon schleichen sich die Feinde an sie heran. Ein einziger Fehler, und sie entreißen euch das Steuerrad, und das sowjetische Schiff sinkt unter dem schadenfrohen Gelächter der zaristischen Lakaien und der Handlanger der Bourgeoisie.
Genossen, ihr feiert in diesem Augenblick einen großen und unblutigen Sieg über die Diktatur der Kommunisten, und mit euch feiern auch eure Feinde.
Aber die Motive der Freude sind bei euch und bei ihnen völlig verschieden.
Ihr seid beseelt von dem heißen Verlangen, die echte Macht der Sowjets wiederherzustellen, und getragen von der edlen Hoffnung, dem Arbeiter freie Arbeit und dem Bauern das Recht zu verschaffen, über sein Land und die Früchte seiner Arbeit frei zu verfügen; sie aber hegen die Hoffnung, die zaristische Peitsche und die Privilegierung der Generäle zu erneuern.
Eure Interessen sind verschieden, und daher sind sie keine Weggenossen für euch.
Ihr mußtet die Macht der Kommunisten brechen, um friedlichen Aufbau und schöpferische Arbeit leisten zu können; sie aber brauchen den Sturz der Kommunisten, um die Arbeiter und Bauern zu versklaven.
Ihr sucht Freiheit, sie wollen euch erneut die Ketten der Knechtschaft anlegen.
Seid auf der Hut. Laßt keine Wölfe im Schafspelz nahe an die Kornmandobrücke heran.
32. Dokument 22: Lenin: Die Lehren von Kronstadt
[aus: F. Dom / Chr. Geyer (Hg.): Kronstadt. Texte von Lenin, Trotzki und Serge, ISP-Verlag 1981, S. 46 - 48]
Nun möchte ich auf die Ereignisse in Kronstadt eingehen. Ich kenne noch nicht die letzten Neuigkeiten aus Kronstadt, aber ich zweifle nicht, daß dieser Aufstand, der rasch die uns bekannten Figuren weißgardistischer Generale ans Tageslicht gebracht hat, in den allernächsten Tagen, wenn nicht gar in den allernächsten Stunden, liquidiert sein wird. Darüber kann kein Zweifel bestehen. Aber wir müssen die politischen und wirtschaftlichen Lehren dieses Ereignisses einer eingehenden Prüfung unterziehen.
Was bedeutet dieses Ereignis? Den Übergang der politischen Macht von den Bolschewiki an irgendein unbestimmtes Konglomerat oder einen Bund buntscheckiger Elemente, scheinbar nur ein klein wenig rechter als die Bolschewiki, ja vielleicht sogar auch
"linker" als die Bolschewiki - so unbestimmt ist die Summe von politischen Gruppierungen, die in Kronstadt versucht hat, die Macht an sich zu reißen. Zweifellos haben die weißen Generale - Sie alle wissen das - dabei eine große Rolle gespielt. Das ist vollauf erwiesen. Zwei Wochen vor den Kronstädter Ereignissen schrieb man bereits in den Pariser Zeitungen, daß in Kronstadt ein Aufstand ausgebrochen sei. Es ist ganz klar, daß hier die Sozialrevolutionäre und die ausländischen Weißgardisten ihre Hände im Spiel hatten; und zugleich lief diese Bewegung auf eine kleinbürgerliche Konterrevolution hinaus, kam das kleinbürgerliche anarchistische Element zum Zuge. Das ist schon etwas Neues. Dieser Umstand muß, in Verbindung mit allen Krisen, politisch sehr aufmerksam gewertet und sehr eingehend untersucht werden. Hier zeigte sich das kleinbürgerliche, anarchistische Element, das mit den Losungen des freien Handels auftritt und stets gegen die Diktatur des Proletariats gerichtet ist. Und diese Stimmung wirkte sich sehr stark auf das Proletariat aus. Sie wirkte sich auf die Betriebe in Moskau aus, sie wirkte sich auf die Betriebe in einer ganzen Reihe von Orten in der Provinz aus. Diese kleinbürgerliche Konterrevolution ist zweifellos gefährlicher als Denikin, Judenitsch und Koltschak zusammengenommen, weil wir es mit einem Land zu tun haben, in dem die wirtschaftliche Zerrüttung das bäuerliche Eigentum in Mitleidenschaft gezogen hat, und außerdem haben wir noch eine solche Sache wie die Demobilisierung der Armee, die aufständische Elemente sonder Zahl geliefert hat. So klein oder geringfügig zunächst - wie soll ich mich ausdrücken - die Machtverschiebung, die die Kronstädter Matrosen und Arbeiter vorschlugen, gewesen wäre - sie wollten die Bolschewiki in bezug auf die Freiheit des Handels korrigieren, also scheinbar keine große Verschiebung, scheinbar dieselben Losungen:
"Sovjetmacht" mit einer kleinen Änderung oder nur einer Korrektur - in Wirklichkeit aber dienten hier die parteilosen Elemente nur als Trittbrett, als Stufe, als Brücke, über die Weißgardisten kamen. Das ist politisch unvermeidlich. Wir haben die kleinbürgerlichen, anarchistischen Elemente in der russischen Revolution gesehen, wir haben jahrzehntelang gegen sie gekämpft. Seit Februar 1917 sahen wir diese kleinbürgerlichen Elemente in Aktion während der großen Revolution, und wir sahen, wie die kleinbürgerlichen Parteien zu erklären versuchten, daß sie sich in ihrem Programm wenig von den Bolschewiki unterscheiden und daß sie es lediglich mit anderen Methoden verwirklichen. Wir kennen das aus der Erfahrung nicht nur des Oktoberumsturzes, wir kennen das aus der Erfahrung der Randgebiete, der verschiedenen Landesteile, die zum früheren Russischen Reich gehört haben und in denen die Sowjetmacht von Vertretern einer anderen Macht abgelöst worden ist. Denken wir an das Demokratische Komitee in Samara! Alle kamen sie mit den Losungen der Gleichheit, der Freiheit, der Konstituante, und nicht nur einmal, sondern viele Male erwiesen sie sich einfach als Stufe, als Brücke für den Übergang zur weißgardistischen Macht.
Wir müssen aus dieser ganzen Erfahrung alle für einen Marxisten theoretisch unerläßlichen Schlußfolgerungen ziehen, weil die Sowjetmacht infolge der wirtschaftlichen Lage schwankt. Die Erfahrung von ganz Europa zeigt praktisch, womit der Versuch endet, sich zwischen zwei Stühle zu setzen. Daher müssen wir gerade in diesem Punkt sagen, daß hier politische Reibungen die allergrößte Gefahr sind. Wir müssen uns diese kleinbürgerliche Konterrevolution, die Losungen von der Freiheit des Handels aufstellt, genau ansehen. Die Freiheit des Handels wird, selbst wenn sie anfänglich mit den Weißgardisten nicht so verknüpft ist, wie Kronstadt mit ihnen verknüpft war, dennoch unvermeidlich zu diesem Weißgardistentum, zum Siege des Kapitals, zur völligen Restauration führen. Und, ich wiederhole es, diese politische Gefahr müssen wir klar erkennen.
Diese Gefahr zeigt uns das, wovon ich sprach, als ich auf unsere Streitigkeiten über die Plattformen einging; wir müssen angesichts dieser Gefahr begreifen, daß wir nicht nur formal die Parteistreitigkeiten einstellen müssen - das werden wir natürlich tun - aber das genügt nicht! Wir sollten daran denken, daß wir an die Frage ernster herangehen müssen.
Wir müssen begreifen, daß wir unter den Bedingungen der Krise der bäuerlichen Wirtschaft nicht anders existieren können, als daß wir an diese bäuerliche Wirtschaft um Hilfe für Stadt und Land appellieren. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Bourgeoisie bemüht ist, die Bauernschaft gegen die Arbeiter aufzuwiegeln, daß sie versucht, das kleinbürgerliche, anarchistische Element gegen die Arbeiter unter deren Losungen aufzuwiegeln, was unmittelbar zum Sturz der Diktatur des Proletariats und folglich zur Wiederaufrichtung des Kapitalismus, der alten gutsherrlich kapitalistischen Macht führen würde. Hier liegt die politische Gefahr auf der Hand. Diesen Weg hat eine Reihe von Revolutionen aufs anschaulichste zurückgelegt, auf diesen Weg haben wir stets hingewiesen. Dieser Weg hat sich vor uns klar abgezeichnet. Er fordert von der regierenden Partei der Kommunisten, von den führenden revolutionären Elementen des Proletariats zweifellos eine andere Haltung, als von uns in diesem Jahr allzuoft eingenommen worden ist. Diese Gefahr erfordert zweifellos eine größere Geschlossenheit, zweifellos mehr Disziplin, zweifellos eine einträchtigere Zusammenarbeit! Sonst ist es unmöglich, der Gefahren Herr zu werden, die uns das Schicksal beschert hat.
Und nun zu den wirtschaftlichen Fragen. Was bedeutet diese Losung von der Freiheit des Handels, die das kleinbürgerliche Element aufstellt? Sie zeigt, daß es in den Beziehungen zwischen dem Proletariat und den kleinen Landwirten schwierige Probleme und Aufgaben gibt, die wir noch nicht gelöst haben. Ich spreche von den Beziehungen des siegreichen Proletariats zu den Kleinbesitzern, wenn sich die proletarische Revolution in einem Lande entfaltet, wo das Proletariat in der Minderheit, wo die Mehrheit kleinbürgerlich ist. Die Rolle des Proletariats in einem solchen Land besteht in der Führung beim Übergang dieser Kleinbesitzer zur vergesellschafteten, kollektiven, gemeinschaftlichen Arbeit. Das steht theoretisch außer Zweifel. Mit diesen Übergang haben wir uns in einer ganzen Reihe gesetzgeberischer Akte befaßt, aber wir wissen, daß es nicht auf die gesetzgeberischen Akte, sondern auf die praktische Verwirklichung ankommt, und wir wissen, daß sich das bewerkstelligen läßt, wenn man eine sehr starke Großindustrie besitzt, die fähig ist, dem Kleinproduzenten solche Vorteile zu bieten, daß er den Vorzug dieser Großwirtschaft in der Praxis einsieht.
So wurde die Frage theoretisch stets von den Marxisten und allen Sozialisten gestellt, die über die soziale Revolution und ihre Aufgaben nachdachten. Bei uns aber ist die erste Besonderheit gerade die, von der ich gesprochen habe und die Rußland im höchsten Grade eigen ist: Bei uns ist das Proletariat nicht nur in der Minderheit, sondern in der verschwindenden Minderheit, die Bauernschaft aber bildet die ungeheure Mehrheit. Die Verhältnisse aber, unter denen wir die Revolution verteidigen mußten, brachte es mit sich, daß sich die Lösung unserer Aufgaben als unerhört schwierig erwies. Alle Vorzüge der Großproduktion in der Praxis aufzuzeigen, vermochten wir nicht, denn diese Großproduktion ist zerstört, sie selbst muß das kläglichste Dasein fristen, und ihre Wiederherstellung ist nur möglich, wenn eben diesen kleinen Landwirten Opfer auferlegt werden.
{Dieser Auszug ist aus einem Bericht, den Lenin dem X. Parteitag der KPR über die politische Tätigkeit des ZK am 8. März 1921 gab, einen Tag, nachdem die Streitkräfte der Roten Armee in Aktion getreten waren, um den Kronstädter Aufstand zu unterdrücken. Lenin Werke, Band 32, Berlin 1961. S. 182 - 186. Einige Auslassungen der deutschen Ausgabe (im englischen [cxi vorhanden) sind nach der Ausgabe Lenin Sämtliche Werke, Band XXVI, Moskau 1940, S. 263 ergänzt worden.(d.V.)}
33. Parteientwicklung und Fraktionsauseinandersetzungen während der NEP-Phase
-
Die Niederschlagung des Kronstädter Aufstands
- und der Reflex darauf auf dem X. Parteitag im März 1921 -
- die Resolution "Über die Einheit der Partei",
- Fraktionsverbot in der KPR,
- Auflösung der "Arbeiteropposition"
- und der Gruppe "Demokratischer Zentralismus"
- prägte stark den künftigen Umgang der Bolschewiki mit Widersprüchen
- in der Linken
- und in der eigenen Partei.
Das Fraktionsverbot war die Reaktion
- auf die unterschiedlichen Diskussionen
- und Plattformen,
- die innerhalb der Partei
- und ihres Umfelds am Ende des Kriegskommunismus verbreitet waren.
Die wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten dieser Übergangszeit konnten nach Lenins Ansicht nur durch eine geschlossene Partei bewältigt werden, um die Existenz der Sowjetmacht nicht aufs Spiel zu setzen. Lenin hatte das Fraktionsverbot zwar als vorübergehend definiert:
- Noch wurden zwei Vertreter der "Arbeiteropposition" (Schljapnikow und Kollontai) ins Zentralkomitee gewählt;
- sollten oppositionelle Meinungen in einem Diskussionsorgan veröffentlicht werden (ein Beschluß, der nur Makkulatur war, die beiden einzigen erschienen Nummern wurden vor dem X. Parteitag herausgegeben).
- Dies zeugt zwar vom durchaus vorhandenen Verständnis, daß die in den extremen Anfangsjahren der Sowjetunion praktizierte Unterdrückung von demokratischer und linker Opposition nicht dem sozialistischen Ideal entsprechen kann.
- Doch wurde die Unterdrückung in der Praxis zum vorrangigen Mittel des Umgangs mit Opposition, bis sie nur noch als Werk von "Schädlingen" galt.
Es ist falsch, dies allein als
"Teufelswerk" Stalins darzustellen.
- Die Gewöhnung an die Repression hat bereits an der Wiege der jungen Sowjetmacht gestanden.
- Eine so scharfsichtige Beobachterin wie Rosa Luxemburg hat in ihrer solidarischen Kritik der russischen Revolution 1918 nicht einfach ultrademokratisch reagiert, als sie angesichts des "roten Terrors" gegen die linken Sozialrevolutionäre (Attentat auf Graf Mirbach, Attentat auf Lenin 1918) mit Besorgnis die Gefahr sah, daß Freiheit zum Privileg einer Gruppe, Partei oder der Anhänger der Regierung werden könnte.
- Besonders nach dem Tode Lenins sollte sich die Linie der Unnachgiebigkeit gegenüber der Opposition durchsetzen, nachdem es in den Jahren vorher in der Partei einen anderen Umgang mit Widersprüchen gab.
- Kamenew und Sinowjew konnten trotz ihrer offenen Ablehnung des bewaffneten Oktoberaufstands und ihres Rücktritts als Volkskommissare aus Kritik an der Bündnispolitik weiter an verantwortlicher Stelle arbeiten.
- Lenins "linke" (Trotzki) und "ultralinke"(Bucharin!) Gegner bei der heftigen Auseinandersetzung um Brest Litowsk wurden keine Unpersonen.
- Auch im Umgang mit den Menschewiki, den linken Sozialrevolutionären und den Anarchisten schwankten die Bolschewiki zwischen strikter Unterdrückung und regulierter Wiederzulassung, bis die wenigen Freiheiten dieser Gruppen zum Ende der NEP gänzlich gekippt wurden.
- Ähnlich verhielt es sich mit der Freiheit der Presse: Zwar erließ die Sowjetmacht im November 1917 ein Dekret über umfassende Pressefreiheit, doch wurde diese nie realisiert.
Die oben genannten Beispiele vor 1921 haben wir in unserem ersten Reader von der Oktoberrevolution bis zur NEP ausführlicher dargestellt. In den folgenden Texten wollen wir einen Überblick geben über die letzmalig stattgefundenen politischen und fraktionellen Auseinandersetzungen in der KPR/KPdSU bis zum Ende der NEP.
- Als erste bekamen die Wirkungen des X. Parteitags die zahlenmäßig kleinen "Arbeitergruppe" und die Gruppe "Arbeiterwahrheit" zu spüren.
- Auf dem XII. Parteitag 1923 veröffentlichten sie ihre Kritik an der Partei, bzw. Positionspapiere.
- Als diese Gruppen innerhalb kürzester Zeit von der politischen Polizei (der GPU) zerschlagen wurden, regte sich relativ wenig Widerspruch dagegen, in der Folge wurde solches Vorgehen gegen Kritiker in der Partei immer häufiger.
- Nur noch in Ausnahmefällen wurde mit bzw. über die jeweiligen Opponenten diskutiert.
- Auch die Auseinandersetzung mit prominenten Bolschewiken wie Trotzki -
- und später die "Vereinigte Opposition" um Trotzki, Sinowjew und Kamenew -
- war hauptsächlich von taktischen Manövern um die Vollstreckung administrativer Parteimaßnahmen gekennzeichnet, der politische Gegner wurde öffentlich diffamiert.
- Dieses von den jeweiligen Inhalten losgelöste Vorgehen ermöglichte es der Gruppe des Parteizentrums um Stalin im Politbüro, ihre Position als die der Parteieinheit (gleich: die Mehrheit) in den jeweiligen Auseinandersetzungen durchzusetzen.
- Das Fraktionsverbot von 1921 wurde von der Stalingruppe gegen linke und rechte (Bucharin u.a. 1928) Kritiker des von ihr vorgegebenen Kurses gleichermaßen angewandt.
- Die Herausbildung dieses neuen Typs von Partei, in der sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen immer weniger artikulieren konnten, endete mit der monolithischen Einheit der KPdSU in den dreißiger Jahren und danach.
- Fraktionsverbot,
- Unterdrückung von Opposition,
- die militärische Lösung von "Widersprüchen im Volk"
müssen u.E. nicht zwangsläufig zum späteren
"System des Stalinismus" führen. Sie sind aber auf der Ebene der Demokratie notwendige Vorbedingungen für seine Durchsetzung gewesen, weil sie in schwierigsten Zeiten (und einfache hat es zum Erhalt und zur Durchsetzung der errungenen Macht nie gegeben) prägend und dominant für den Umgang mit Opposition geworden sind.
Juni 1989 as/hr.
34. Dokument 23: Helga Schuler-Jung: Der X. Parteitag 1921 und seine Folgen
[aus: dies.: Ökonomie und Politik in Sowjetrußland 1920 - 1924, Marburg 1978, S. 61 - 122] - (Auszüge)
AUSZUG 1
Der Kampf der verschiedenen Tendenzen und Fraktionen innerhalb der Partei führte anläßlich des Brest-Litovsker Friedensvertrages bis an den Rand der Parteispaltung. Die Erfordernisse des Bürgerkrieges unterbrachen die Diskussion innerhalb der Partei, die sich nun eine quasi-militärische Disziplin auferlegte. Erst als dessen Ende absehbar war, flammten 1920/21 die Diskussionen über die Struktur und die Aufgaben der Partei und den wirtschaftspolitischen Kurs des Landes wieder auf und kulminierten in der Gewerkschaftsdebatte, die wiederum an den Rand einer Parteispaltung führte. Aber je angespannter die wirtschaftliche und innenpolitische Lage wurde, um so mehr drängte Lenin darauf, die Diskussionen zu beenden, die Meinungsverschiedenheiten hintan zu stellen und alle Kräfte auf die Bewältigung der die Sowjetunion bedrohenden praktischen Probleme zu konzentrieren.
Als der X. Parteitag auf Initiative Lenins das Fraktionsverbot beschloß, wurde eine Wende im Verhältnis von Demokratie und Zentralismus in der Partei eingeleitet. Zwar waren die Resolutionen des Parteitags in ihrer Tendenz durchaus noch ambivalent. Jedoch hatten die Resolutionen
"Über den Parteiaufbau" und
"Über die Aufgaben der Gewerkschaften" sowie Lenins Äußerung über die Zulässigkeit von Plattformen auf die weitere Entwicklung der Partei weit weniger Einfluß als die Resolutionen
"Über die Einheit der Partei" und
"Über die syndikalistische und anarchistische Abweichung in der Partei". Die Ursachen hierfür sind jedoch sicherlich nicht etwa in mangelnder Ernsthaftigkeit der Bekenntnisse zur Parteidemokratie zu suchen. Dies zeigt u. a. die Wahl zweier führender Vertreter der Arbeiteropposition, Schljapnikov und Kollontaj, ins Zentralkomitee, obwohl die Propaganda für deren Auffassungen zum Parteiausschlußgrund erklärt worden war.
Nach wie vor wurde als Mittel des ideologischen Kampfes in der Partei
"nicht gegenseitiges Hinwegfegen, sondern gegenseitige Beeinflussung" betrachtet , und das Fraktionsverbot erschien zunächst lediglich als eine vorübergehende taktische Maßnahme, die durch die unerhört schwierigen sozial-ökonomischen und politischen Verhältnisse, in denen sich das Land befand, erzwungen wurde, die aber
"bei erster ernstlicher Besserung der Lage hinfällig werden sollte" . Wenn sich diese Einstellung im Laufe weniger Jahre grundlegend änderte, so lag dies zum einen an den Auswirkungen der NEP auf das wirtschaftliche und politische Leben des Landes und zum anderen an der dementsprechend veränderten Aufgabenstellung der Kommunistischen Partei in Staat und Gesellschaft und an der veränderten Organisationsstruktur und Zusammensetzung der Partei.
AUSZUG 2
Fraktionsverbot und innerparteiliche Demokratie
Zunächst wurde - auch als Reaktion auf die Forderungen der Arbeiteropposition - mit der Resolution
"Zu den Fragen des Parteiaufbaus" eine Verstärkung der innerparteilichen Demokratie beschlossen, die während des Bürgerkriegs zugunsten einer stärkeren Zentralisierung und
"Militarisierung" des Parteilebens zurückgestellt worden war. Nun sollte
"allen Parteimitgliedern, auch den rückständigsten, eine aktive Teilnahme am Leben der Partei, an der Erörterung und Lösung aller vor ihr stehenden Fragen sowie am Parteiaufbau" gesichert werden.
"Die Methoden der umfassenden Erörterung aller wichtigen Fragen, die Diskussion über diese Fragen bei voller Freiheit der innerparteilichen Kritik"
sollten verbindlich für die Parteiarbeit und für die kollektive Beschlußfassung werden.
Gleichzeitig wurde in der Resolution
"Über die Einheit der Partei" gefordert, daß jeder, der innerparteiliche Kritik übe, darauf Rücksicht nehmen müsse, daß die Partei
"von Feinden umgeben" sei.
"Jedwede Analyse der allgemeinen Linie der Partei oder die Auswertung ihrer praktischen Erfahrung, die Kontrolle der Durchführung ihrer Beschlüsse, das Studium der Methoden zur Berichtigung von Fehlern usw. dürfen auf keinen Fall vorher in Gruppen erörtert werden, die sich auf Grund irgendeiner Plattform u. ä. bilden, sondern sind ausschließlich der unmittelbaren Behandlung durch alle Parteimitglieder zuzuleiten."
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Damit konnte jede informelle Diskussion über Parteifragen in kleinerem Kreis als unzulässige Gruppenbildung disqualifiziert werden. Das in der Resolution über den Parteiaufbau bekräftigte Recht auf freie Diskussion aller wichtigen Parteifragen sollten die Mitglieder nach Lenins Vorstellung - außerhalb der offiziellen Parteiversammlungen - in einer besonderen Diskussions-Zeitschrift und
"Sammelbänden" wahrnehmen. Daß diese Regelung nicht praktikabel war, z. B. weil die wenigsten Parteimitglieder über die für eine solche Art von Diskussion notwendigen literarischen Fähigkeiten verfügten, zeigte sich bald, denn von dieser Zeitschrift, dem
"Diskussionnyj Listok" erschienen nur zwei Nummern.
Aber sowenig der Parteitag in der Lage war, innerparteiliche Demokratie und Kritik zuzulassen, ohne sie im selben Atemzug wieder einzuschränken, sowenig konnte er sich bereitfinden, die Bildung von besonderen Gruppierungen mit eigenen Plattfornien unmißverständlich zu verbieten. Zwar wurde in derselben, von Lenin verfaßten Resolution
"Über die Einheit der Partei" die Auflösung
"aller Gruppen, die sich auf der einen oder anderen Plattform gebildet" hatten, erklärt und für den Fall der Zuwiderhandlung der Parteiausschluß angedroht und das ZK beauftragt,
"jegliche Fraktionsbildung völlig auszumerzen" . Als jedoch Rjazanov vorschlug, Plattformen überhaupt zu verbieten, widersprach ihm Lenin und setzte sich für das Recht ein,
"an die Partei zu appellieren, wenn eine grundlegende Frage Meinungsverschiedenheiten hervorruft . . . Es wird möglich sein, daß man dann nach Plattformen wählen muß.., Ich glaube, daß wir nicht imstande sind, das zu verbieten"
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Dieselbe Unsicherheit zeigte sich in der ebenfalls von Lenin verfaßten Resolution
"Über die syndikalistische und anarchistische Abweichung in der Partei", in der
"der Parteitag die Propaganda dieser Ideen für unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur KPR" erklärte. Einen Satz später wies
"er zugleich darauf hin, daß in speziellen Veröffentlichungen, Sammelbänden usw. dem möglichst gründlichen Meinungsaustausch der Parteimitglieder über alle erwähnten Fragen Platz eingeräumt werden" könne und solle. Wann jedoch die Veröffentlichung einer von der Parteiführung abweichenden Meinung als Propaganda anzusehen war, konnte von Lenin selbst nicht definiert werden, da es sich hierbei in hohem Maße um eine situationsbedingte politische Ermessensfrage handelte.
Trotz dieser Ambivalenz legte insbesondere Lenin in seinen Reden auf dem X. Parteitag das Schwergewicht eindeutig auf die Notwendigkeit, oppositionelle Gruppierungen zu unterdrücken und kontroverse Diskussionen in einer Situation, in der die Sowjetmacht aufs äußerste bedroht war, zu verhindern:
"Eine kleine syndikalistische oder halb-anarchistische Abweichung wäre nicht schrecklich, aber wenn diese Abweichung mit einem gigantischen Überwiegen der Bauernschaft im Lande verbunden ist, wenn die Unzufriedenheit dieser Bauernschaft mit der proletarischen Diktatur wächst, wenn die Krise der bäuerlichen Wirtschaft ihre äußerste Grenze erreicht hat, wenn durch die Demobilisierung der Bauernarmee Hunderte und Tausende gebrochener Menschen ins Land hinausgeschleudert werden, die keine Beschäftigung finden, die gewohnt waren, sich nur mit dem Krieg, als ihrem Handwerk zu befassen und die nun zum Banditentum übergehen, dann haben wir keine Zeit, über theatralische Abweichungen zu diskutieren... Diskussionen über Abweichungen werden wir nicht dulden ... Die Diskussionssucht wird im höchsten Grade gefährlich, sie wird zu einer direkten Bedrohung der Diktatur des Proletariats"
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Zwar anerkannte Lenin teilweise die Berechtigung der Kritik der Arbeiteropposition und anderer oppositioneller Gruppierungen am
"Bürokratismus" der Partei, aber ihre Forderungen nach mehr Parteidemokratie und Freiheit der Kritik hielt er für Losungen, die leicht als Katalysator für die mit der Sowjetmacht Unzufriedenen dienen und so zu ihrem Sturz führen konnten. Daraus zog er den Schluß:
"Wir brauchen jetzt keine Opposition . . . es ist nicht die Zeit danach! Entweder hier oder dort mit dem Gewehr, aber nicht mit einer Opposition... Der Parteitag. . . wird die Schlußfolgerung ziehen müssen, daß es jetzt mit der Opposition zu Ende sein, ein für allemal aus sein muß, daß wir jetzt der Opposition müde sind!"
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Für Lenin waren
"Geschlossenheit, Standhaftigkeit und Disziplin" das Gebot der Stunde,
"weil das Frühjahr (1921) derart schwierige Verhältnisse gebracht hat und noch bringen wird, daß wir ohne maximale Geschlossenheit nichts ausrichten können" . Hieraus wird deutlich, daß für Lenin die Einführung der NEP, das Fraktionsverbot und die Parteireinigung einander bedingende und ergänzende Maßnahmen waren.
Im Lager der Mensheviki und Sozialrevolutionäre, aber auch außerhalb Rußlands war die Überzeugung verbreitet, daß
"die ökonomische Niederlage der Bolshewiki . . . nur einen Vorläufer ihrer politischen Niederlage" darstelle ,
"daß die mit der NEP eingeleiteten Konzessionen gegenüber dem Markt und der Privatwirtschaft nach einer gewissen Zeit auch Zugeständnisse im politischen Bereich - die Wiedereinführung der uneingeschränkten Versammlungs- und Koalitionsfreiheit, die ungehinderte Betätigung anderer Parteien, die Ausweitung des Kreises der Wahlberechtigten - nach sich ziehen müßten. Es liege in der inneren Logik des neuen Kurses, daß er auch die politischen Verhältnisse verändern müsse."
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Auch die Bolsheviki waren sich darüber im Klaren, daß die NEP dem Kommunismus feindliche Tendenzen begünstigen würde. Nachdem die KPR(B) die einzige legale politische Partei geworden war, versuchten alle Bevölkerungsgruppen, sich in ihr und durch sie politisch Gehör zu verschaffen. 1922 wies Zinovev auf diesen Tatbestand mit folgenden Worten hin:
"Auch solche Gruppen und Schichten, die unter anderen Bedingungen nicht der kommunistischen, sondern der sozial-demokratischen Partei, beziehungsweise einer anderen Abart des kleinbürgerlichen Sozialismus angehören würden, traten selbstverständlich der einzigen legalen politischen Partei bei, um ihre Kräfte anzuwenden. Diese Elemente, die zuweilen aufrichtig an den Kommunismus glauben, sind, in Wirklichkeit kleinbürgerlich geblieben und bringen ihre kleinbürgerliche Psychologie und Ideologie´ in die Partei."
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Deshalb hob Lenin immer wieder hervor, daß die der Sowjetmacht und der Partei von innen drohenden Gefahren, die
"kleinbürgerlichen Schwankungen" , weit gefährlicher seien als die, die ihr während des Bürgerkrieges von den
"Weißen" gedroht hatten, und damit begründete er eine aus seiner Sicht nicht nur formale Geschichte
"Wer jetzt die Regeln der Disziplin durchbricht, der öffnet dem Feind die eigenen Reihen."
Wenn sich Lenin dennoch gegen ein eindeutiges Verbot von Plattformen aussprach - obwohl das Entstehen einer besonderen Plattform vom Entstehen einer Fraktion praktisch nicht zu trennen ist, wie Lenins eigener Gebrauch dieser Begriffe beweist - so sicherlich nicht zuletzt außerhalb, weil er sich schon mehrmals in der Parteigeschichte zunächst in Minderheitspositionen befunden hatte und auf die Möglichkeit der Propagierung seiner von der Mehrheitsauffassung abweichenden Meinung angewiesen war. Er selbst verwies in diesem Zusammenhang auf die Auseinandersetzung um den Brester Friedens . Deshalb verteidigte er entschieden das Recht der Parteimitglieder,
"an die Partei zu appellieren":
"Sollten ... die Umstände grundlegende Meinungsverschiedenheiten hervorrufen, kann man es dann verbieten, daß sie vor dem Richterstuhl der gesamten Partei ausgetragen werden? Das kann man nicht!" So versuchte Lenin,
"die unentbehrliche taktische Geschlossenheit und Einheitlichkeit mit der notwendigen Diskussionsfreiheit" in Einklang zu bringen - Demokratie und Zentralismus zu verbinden.
AUSZUG 3
Im September 1923 bot sich Trockij eine weitere Gelegenheit, auf die Wirtschaftspolitik seiner Partei Einfluß zu nehmen, als diese durch die Herbstkrise aufgeschreckt und zu einer neuerlichen Überprüfung ihrer wirtschaftspolitischen Konzeption und ihres Umgangs mit von der offiziellen Parteilinie abweichenden politischen Strömungen gezwungen wurde. Die immer weiter auseinanderklaffende Preisschere als Ausdruck der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise hatte den Warenaustausch zwischen Stadt und Land praktisch zum Erliegen gebracht. Die damit verbundenen Absatzstockungen und Verzögerungen bei der Auszahlung der Löhne, die dadurch empfindlich entwertet wurden, führten zu Streiks und einer allgemeinen politischen Unruhe, in der oppositionelle Gruppierungen wie die
"Arbeitergruppe" und die
"Arbeiterwahrheit" zunehmend Resonanz fanden. Die
"Arbeitergruppe" hatte bereits im Februar 1923 ein
"Manifest" veröffentlicht und unter den Delegierten des XII. Parteitages verteilt. Ihre bekanntesten Mitglieder, G. I. Mjasnikov und N. Kuznecov, waren Mitglieder der auf dem X. Parteitag des KPR(B) 1921 verbotenen
"Arbeiteropposition" gewesen. Das Hauptanliegen der
"Arbeitergruppe" war
"die Bildung einer Kommunistischen Arbeitergruppe, einer Gruppe, die organisatorisch mit der KPR nicht verbunden... (sein; H. Sch.-J.), aber ihr Programm und die Parteistatuten vollkommen" anerkennen sollte. Sie hielt eine solche Sonderorganisation im Interesse der ursprünglichen Zielsetzungen der KPR(B) für notwendig, weil
"die Verhältnisse des innerparteilichen Regimes ... es zur Zeit keineswegs (gestatteten; H. Sch.-J.), absolut Notwendiges zu sagen" und Auffassungen zu vertreten, die von denen der
"in der RKP(B) herrschenden Gruppe" abwichen. Die programmatischen Vorstellungen der
"Arbeitergruppe" griffen Forderungen der ehemaligen
"Arbeiteropposition" wieder auf: Ihrer Auffassung nach sollte der proletarische Einfluß in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft verstärkt werden, indem den Gewerkschaften die Befugnisse der Arbeiter- und Bauern-Inspektion übertragen wurden; sie forderten auch eine
"Neuorganisation" der
"Arbeiterräte", die
"sich an die Spitze der Produktion, der Verwaltung der Fabriken und Betriebe" stellen sollten.
Auch die Gruppe
"Arbeiterwahrheit" hatte bereits auf dem XII. Parteitag einen
"Aufruf" unter den Delegierten verteilt. Sie betonte noch stärker als die
"Arbeitergruppe" die Notwendigkeit, eine von der KPR(B) unabhängige Arbeiterpartei zu gründen, um die Interessen der Arbeiter besser vertreten zu können, die nach ihrer Auffassung
"In unerträglicher Weise ausgebeutet" wurden. Die Vorstellungen der
"Arbeiteropposition", die nun auch von der
"Arbeitergruppe" vertreten wurden, lehnte die
"Arbeiterwahrheit" allerdings als
"reaktionär" ab. Einig waren sich beide Gruppen in ihrer Kritik an der Führungsschicht der KPR(B), der sie vorwarfen, sie sondere sich durch ihre relativ privilegierte Lebensführung von der Masse der Arbeiter ab. Die
"Arbeiteropposition" warnte vor der
"Gefahr der Umwandlung der proletarischen Macht in die einer festsitzenden Clique", vor der
"Gefahr der Umwandlung in eine Oligarchie", während die
"Arbeiterwahrheit" sogar den Bruch
"zwischen der kommunistischen Partei und der Arbeiterklasse" aufgrund der sich entwickelnden Interessengegensätze für
"unvermeidlich" hielt. Beide Gruppen brachten die Sonderstellung der KPR(B) mit ihrer faktischen Alleinverfügung über das Herrschaftswissen in Zusammenhang. Die KPR(B) sei
"zu einer Partei der Organisationsintelligenz geworden" . Auf die Frage, wie das für den Bestand der SU existenznotwendige Bündnis zwischen Proletariat und Bauernschaft aufrcchterhalten werden könne, die im Mittelpunkt der Überlegungen der KPR(B)-Führer stand, gingen beide Gruppen nicht ein.
Als ideologischer Inspirator der
"Arbeiterwahrheit" galt der alte Bolshevik Bogdanov . Für die Vermutung, daß ein Großteil ihrer Anhänger aus dem Umkreis der von Bogdanov aufgebauten Bewegung für
"proletarische Kultur" (Proletkult) stammte, spricht auch die Tatsache, daß Vorschläge für die Kulturarbeit im Proletariat einen Schwerpunkt ihres Programms bildeten. Während die
"Arbeiterwahrheit" eher eine Intellektuellenorganisation gewesen zu sein scheint, waren die Mitglieder der
"Arbeitergruppe" wohl hauptsächlich Arbeiter. Die Bedeutung beider Gruppen lag weniger in ihrer numerischen Stärke - es gelang der GPU in kurzer Zeit, beide Gruppen im Sommer und Herbst 1923 zu zerschlagen - als vielmehr darin, daß sie
"auf die wachsende Unruhe in der Industrie" hinwiesen
"und das Gefühl des Unbehagens" in der KPR(B) verstärkten, die von der
"Welle der Massenunzufriedenheit" nach Kamenevs Worten vollkommen überrascht worden war und deren Zellen unter dem Eindruck der Massendemonstrationen und Streiks vielfach
"den Kopf verloren" . Auch wenn sich gegen die Zerschlagung dieser Gruppen durch die Polizei innerhalb der KPR(B) kein offener Widerstand regte , so trug ihr Auftreten und der Ausschluß einer Reihe zum Teil angesehener Parteimitglieder, die mit diesen Gruppen zusammengearbeitet hatte, dazu bei, daß die Frage des innerparteilichen Regimes in der KPR(B) wieder als sehr akut und als wichtiger Bestandteil der zu bewältigenden Krise des Herbstes 1923 empfunden wurde. Deshalb sollte sich eine der 3 Kommissionen, die das ZK der KPR(B) auf seiner Plenumssitzung vom 23. September 1923 einsetzte, der innerparteilichen Situation widmen, während sich die beiden anderen mit der
"Scheren"-Krise und der Lohnfrage befassen sollten.
In der Kommission, die die
"Scheren"-Krise, den neuralgischen Punkt der Gesamtkrise, untersuchen sollte, sollten ursprünglich alle im ZK vorhandenen Auffassungen vertreten sein. Aber keiner der prominenteren Vertreter der industriefreundlichen Minderheitsfraktion um Trockij und Preobrashenskij nahm die Gelegenheit wahr, in einer Situation, in der die Parteiführung durch die alarmierende politische Entwicklung, insbesondere die Streiks , äußerst verunsichert war, auf die Formulierung der Wirtschaftspolitik Einfluß zu nehmen. Trockij gab vor, er habe keine Zeit und verwies auf die Vorschläge, die er in der Resolution des XII. Parteitages über die Industrie gemacht hatte und die noch nicht verwirklicht worden waren. Trockijs Weigerung, sich in einer Kommission mit Vertretern anderer Konzeptionen um einen Kompromiß als gemeinsame Plattform zu bemühen, erinnert an sein Verhalten 1920 in der Gewerkschaftsdebatte, wo er, nachdem er mit seiner Position in der Minderheit geblieben war, sich ebenfalls weigerte, in der vom ZK am 9. 11. 1920 gewählten Gewerkschaftskommission mitzuarbeiten. Diese Haltung trug ihm den Vorwurf ein, der noch heute in der offiziellen Sowjethistoriographie gegen ihn erhoben wird, er habe für sich
"eine Ausnahmestellung in der Partei" beansprucht.
"Die Linie Trotzkis im Politbüro äußerte sich ... in der Formel Alles oder Nichts. Trotzki weigerte sich, mit anderen führenden Funktionären der Partei ersprießlich zusammenzuarbeiten"
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Anmerkungen (Die Originalnummerierung ist für html-format aus Eindeutigkeitsgründen mit Kapitelnummer indiziert worden):
zu Auszug 1
Vgl. hierzu Pierre BROTJE, a. a. 0.. S. 116 - 120
Vgl. W. I. LENIN: Schlußwort zum Referat über die Einheit der Partei auf dem X. Parteitag. Werke Bd. 32. S. 264
Vgl. etwa W. I. LENIN: Unsere außen- und innenpolitische Lage und die Aufgaben der Partei, Werke Bd. 31, S. 419 f.
Vgl. ders. Werke Bd. 32. S. 262 f.
Ders.: Noch einmal über die Gewerkschaften. Werke Bd. 32. S. 98. Lenin zitiert hier zustimmend eine Äußerung Trockijs
85 Leo TROTZKI: Verratene Revolution. Frankfurt/M. 1968. S. 97
zu Auszug 2
KPSS v. Rezoljucijach a. a. 0.. S. 206 - 218
Ebd., alt, nach P. N. POSPELOW u. a.: Geschichte der KPdSU.. ..a. a. 0.. Bd. IV, 1. Buch. S. 78
Ebd.. alt, nach B. N. PONOMARJOW u. a.: Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Frankfurt/M., l971, S. 387
"Über die Einheit der Partei". in: W. I. LENIN. Werke Bd. 32. S. 247 (Lenins Entwurf ist mit der verabschiedeten Resolution identisch.)
Im Jan. und Febr. 1921. also noch vor dem X. Parteitag; vgl. W. I. LENIN, Werke Bd. 32. S. 560. Anm. 53
In einem zunächst geheimgehaltenen und erst auf der 13. Parteikonkrenz im Januar 1924 parallel zur Verurteilung von Trockijs ´Neuem Kurs veröffentlichten Artikel wurden für Fälle von Disziplinbruch alle Parteistrafen für zulässig erklärt. Auch ZK-Mitglieder sollten aus der Partei ausgeschlossen werden können. Vgl. ebd.. S. 247 1., S. 263. 559 f.
V. LEBEDEV., Vynuidennyja ustupki. In: Revoljucsofinaja ROSSIJS 1921 Nr. 6. S. 1; nt. nach Gert MEYER: Studien. . . a. a. 0.. S. 523
Vgl etwa W. I. LENIN, Werke Bd. 32. S. 271
0. SINOWJEW. Die Kommunistische Partei Rußlands und die neue Wirtschaftspolitik. Die vom ZK der KPR bestätigten Thesen zum lt. Kongreß der KPR. in: Inpre. korr. 2. Jg.. 1922. S. 305
W. I. LENIN. Werke Bd. 32, S. 257, 290, 178
Ders., Werke Bd. 33. S. 52
RJAZANOV hatte beantragt, in der Resolution über die Einheit der Partei Wahlen nach Plattformen ausdrücklich zu verbieten. Diesen Abänderungsantrag wies Lenin zurück. Werke Bd. 32, S. 267
W. I. LENIN, Werke Bd. 32, S. 59, 62 bezeichnet Trockijs Broschüre über die Rolle und die Aufgaben der Gewerkschaften als "fraktionellen Vorstoß", als zulässige "fraktionelle Plattform".
Zur Auseinandersetzung um Brest-Litovsk vgl. E. H. CARR: Ilse Bolshevik Revolution, a. a. 0., Bd. 3, S. 46 - 68 und Isaac DEUTSCHER: Trotzki, Bd. II: Der bewaffnete Prophet 1879 - 1921, a. a. 0., S. 353 - 377
Auf diese Passage berufen sich alle Gruppierungen innerhalb der kommunistischen Parteien, die Minderheitspositionen vertreten und von der Mehrheit mit dem Fraktions-Verdikt belegt werden. Vgl. etwa Lion TROTSKY: LInternationale communiste april Linine, a. a. 0., Bd. 1, S. 263 ff. und Philippe ROBRIEUX: Centralisme democratique el stalinisme. in: UNTRIDBAT pour le Socialisme. N.F. Nr. 55. 46, jtsillet/Aoüt 1971, S. 12 f., der aus dieser Passage ableitet, Lenin habe - wenn nicht Fraktionen - so doch "Tendenzen" innerhalb der Partei ausdrücklich gebilligt. Damit wird m. E. diese Äußerung Lenins überbewertet, da seine Gesamttendenz auf dem X. Parteitag dahin ging, jegliche Opposition zu unterbinden, während die Äußerung zum Antrag Rjazanovs eher Ausdruck eines Zurückschreckens vor den möglichen innerparteilichen Konsequenzen seiner rigorosen Einheits- und Geschlossenheitsforderung war.
W, I. LENIN. Werke Bd. 32. S. 259
zu Auszug 3
G. I. Mjasnikov war im Februar 1922 als Erster auf Grund der Beschlüsse des X.
Parteitages wegen fraktioneller Tätigkeit aus der KPR(B) ausgeschlossen worden.
Vgl. E. H. CARR: Ilse Bolshevik Revolution, a. a. 0., Bd. 1, S. 244.
Zur weiteren politischen Entwicklung G. I. Mjasnikovs vgl. auch Ruth FISCHER: Stalin und der deutsche Kommunismus, a. a. 0., S. 299 f. Anm. 12
N. Kuznecov war auf dem XI. Parteitag als Mitglied der verbotenen "Arbeiteropposition" aus der KPR(B) ausgeschlossen worden. Zur "Arbeitergruppe" vgl. auch Günther HILLMANN in Ders. (Hrsg.): Selbstkritik des Kommunismus. Texte der Opposition. Reinbek 1967, S. 73 - 76
Manifest der Arbeitergruppe der Russischen Kommunistischen Partei(B). In Günther HILLMANN (Hrsg.), a.a.0.. S. 76-ICI. hier S. 90, 97 und 100.
Aufruf der Gruppe "Arbeiterwahrheit" an das revolutionäre Proletariat. In Fritz KOOL, Erwin OBERLÄNDER (Hrsg.): Arbeiterdemokratie oder Parteidiktatur, s. a. 0., S. 264 - 273, hier S. 269 f, 272. Beide Gruppen versuchten, die anderen dissidenten Gruppen bzw. mit der Politik der KPR(B) Unzufriedenen um sich zu sammeln. Daß es zu keiner Vereinigung derjenigen Gruppen kam, die sich betont den Arbeiterinteressen verpflichtet fühlten, mag u. a. daran gelegen haben, daß die "Arbeiterwahrheit" die "Arbeiteropposition" und damit auch deren Nachfolgeorganisationen als "reaktionär" bezeichnete, während die "Arbeitergruppe" die "Arbeiterwahrheit" und die "Demokratischen Zentralisten" für Menschewistisch hielt (Manifest der Arbeitergruppe a. s. 0., S. 101). Zu den Versuchen der "Arbeitergruppe", andere Oppositionelle um sich zu sammeln. vgl. E. H. CARR: The Interregnum. a. a. 0., S. 300 f.
Manifest der Arbeitergruppe.. . a. a. 0.. 5. 94. 94. Aufruf der Gruppe "Arbeiterwahrheit", a. a. 0., S. 267
Vgl. R. V. DANIELS, aa. 0., S. 249
Vgl. Aufruf der Gruppe "Arbeiterwahrheit", a. a. 0., S. 2711, und Fritz KOOL, Erwin OBERLÄNDER: Einführung zu Diess.: Arbeiterdemokratie a. a. 0., S. 90 f.
Vgl. Leonard SCHAPIRO, a. a. 0., S. 297
Bereits Ende Mai 1923 wurde Mjasnikov verhaftet und im September nahm die OPI Kuznecov und etwa 20 andere Mitglieder der "Arbeitergruppe" fest. Ebenso ging es zahlreichen Mitgliedern der Gruppe "Arbeiterwahrheit" im selben Monat. Auch Bogdanov wurde zeitweise verhaftet. Vgl. hierzu insbesondere E. H. Carr: Interregnum, S. 50., S. 301; R. V. DANIELS a.a.0.. S. 249,
E. H. CARR a. a. 0., S. 302
KAMENEV: Referat und Schlußwort auf der Versammlung der Funktionäre der Moskauer Organisation (am 11. Dezember 1923). in: Inprekorr, 1924. S. 55
Vgl. Leonard SCHAPIRO a. a. 0.. S. 298
Zu den Streiks vgl. auch E. H. CARR. a. a. 0.. S. 101 - 105
Vgl. Richard B. DAY, a.a.0., S. 87 und Heinz BRAHM: Trotzkijs Kampf um die Nachfolge Lenins. Die ideologische Auseinandersetzung 1923 - 1926. Köln 1964, S. 101.
Vgl. W. I. LENIN: Die Krise in der Partei. Werke Bd. 32. S. 29, der diese Verweigerung für viel schwerwiegender hielt als ihre unterschiedliche Einschätzung der Gewerkschaftsfrage: "Erst durch diesen Schritt erfährt der ursprüngliche Fehler des Gen. Trotzki eine Übersteigerung, die ins weiteren zur Fraktionsmacherei führt. Ohne diesen Schritt wäre der Fehler des Gen. Trotzki (die Einbringung falscher Thesen) ganz geringfügig."
P. N. POSPELOW u. a.: Geschichte der KPdSU. a. s. O.. Bd. IV. 1. Buch. S. 303. Vgl. hierzu auch weiter unten.
35. Dokument 24: Heiko Haumann: Die Partei im Wandel: Struktureller Umbruch und interne Richtungskämpfe
[aus: Gottfried Schramm (Hg.): Handbuch der Geschichte Rußlands, Stuttgart 1983, Bd. 3, S. 691 - 704] - (Auszüge)
Verwahrlosung, Elend und Arbeitslosigkeit, ständige Fluktuation in den Betrieben prägten das Bild der Städte in den zwanziger Jahren. Ungeheure Wanderungsbewegungen vollzogen sich zwischen Stadt und Land. Sozial- und wirtschaftspolitische Entscheidungen von weitreichender Bedeutung standen an. Die Kommunistische Partei war aufgerufen, dieser umfassenden Herausforderung zu begegnen.
Doch sie selbst befand sich in einem tiefgreifenden Umbruch. In den ersten Jahren der Neuen Ökonomischen Politik sah sie sich dem Dilemma gegenüber, nicht mehr fest im Proletariat verankert zu sein. Zwar lag nach der Partei-
"Reinigung" von 1921 der Arbeiteranteil nominell bei 44.4%, in Wirklichkeit waren jedoch lediglich 8,4% der Mitglieder
"echte" Arbeiter. Die übrigen hatten sich längst durch Dienst in Verwaltung oder Armee von dem sozialen Milieu, aus dem sie stammten, entfernt. 1922 verfügte die Partei nur in zwei Dritteln der Großbetriebe über Zellen, in kleineren Firmen war sie noch seltener vertreten. Auf zweibundert Industriearbeiter kamen drei Parteimitglieder.
Während die Kommunistische Partei - zunächst ohne große Erfolge - versuchte, ihre Basis wieder auszuweiten, war sie parallel dazu bemüht, Durchsetzungskraft und Kompetenz ihres Apparates zu steigern, um den vielrältigen Aufgaben gewachsen zu sein. Dabei kam ihr zu Hilfe, daß die bisher in der Armee gebundenen Kader jetzt demobilisiert werden konnten. Durch eine energische Reorganisation wurde die Arbeit gestrafft, der Anteil älterer Mitglieder proletarischer Herkunft zumindest auf den höheren Ebenen vergrößert und die Auswahl der Funktionäre stärker zentralisiert. Das Prinzip der
"Empfehlung" eines Kandidaten
"von oben" ersetzte mehr und mehr die unbeeinflußte Wahl
"von unten". Dennoch gelang es bis 1924 noch nicht, überall auch auf niederer Ebene präsent zu sein .
An der zukünftigen Organisation und Orientierung der Partei entzündete sich 1923/24 ein scharfer parteiinterner Konflikt, der wesentliche Merkmale der späteren
"Fraktionskämpfe" vorwegnahm. Nachdem die Unzufriedenheit in der Arbeiterschaft offenkundig geworden war und oppositionellen Kräften wie der
"Arbeitergruppe" und der
"Arbeiterwahrheit" Auftrieb gegeben hatte (sie wurden allerdings bis Herbst 1923 von der Politischen Polizei zerschlagen , schrieb Lev Trockij am 8. Oktober 1923 einen Brief an die Mitglieder des Zentralkomitees und der Zentralen Kontrollkommission, mit der er die Debatte um den
"Neuen Kurs" eröffnete. Darin beklagte er den innerparteilichen Zustand und kritisierte die Wirtschaftspolitik deren Fehler sich in der
"Scherenkrise" des gleichen Jahres offenbarten. Unverblümt griff er das Organisationsbüro und den Generalsekretär Stalin an, deren Ernennungspolitik zur Hierarchisierung und zum Absterben des innerparteilichen Lebens führe. Ein Versuch seiner Widersacher an der Parteispitze, seine Vorwürfe dadurch abzublocken, daß man ihn der Fraktionsbildung und des Kampfes gegen Leninsche Grundsätze beschuldigte, brach sich am Rückhalt, den Trockij in der Partei fand. Doch werden hier bereits Muster der Auseinandersetzung deutlich, die sich im Fortgang nur noch schärfer ausprägten.
Trockij trug das Seine zu ihnen bei, als er sich auf die Argumentationsweise seiner Gegner einließ und zum Verteidiger der Position Lenins aufwarf. Daran war immerhin so viel richtig, daß Lenin in seinen letzten Handlungen und Schriften Trockij näher als den übrigen Parteiführern gestanden hatte. In seinem sogenannten
"Testament" vom Dezember 1922 und Januar 1923 hatte er vorgeschlagen, Stalin als Generalsekretär abzulösen, und Trockij als den
"wohl fähigste(n) Mann im gegenwärtigen ZK" bezeichnet, der indessen auch seine persönlichen Fehler habe. Und in seinen Vorstellungen zur Bekämpfung des Bürokratismus, den er schon lange als ein grundlegendes Problem des neuen Staates betrachtete, dominierten zwei Reformen, die den Forderungen Trockijs und seiner Anhänger weitgehend entsprachen: eine umfassende Heranziehung von Arbeitern in die Führungsgremien und eine Verschmelzung von Partei- und Sowjetinstitutionen. Die Arbeiter sollten dabei nicht aus dem Sowjetdienst kommen, sondern möglichst ganz
"von unten". Eine Vereinigung der Apparate, wie Lenin sie exemplarisch an einer erneuerten Arbeiter- und Bauerninspektion vorführte, sollte die sich abzeichnende
"Doppelung der Hierarchien" verhindern, die Parteimitglieder fachlich schulen und es der Partei ermöglichen, befreit von einer Einmischung ins Detail, wieder eine echte Führungsrolle zu spielen .
Lenin sprach damit die auch von anderen Kritikern analysierte Erscheinung an, daß sich die in den Apparaten aufgestiegenen Arbeiter allzu leicht Lebenstil und Arbeitsweise der aus der vorrevolutionären Zeit übernommenen Spezialisten, auf die man gleichwohl angewiesen war, aneigneten und oft nicht mehr als Repräsentanten einer neuen Gesellschaftsordnung angesehen werden konnten. Des weiteren rührte die Kontrolle der funktionalen Apparate durch parallele Parteiinstitutionen zu vielfach unnötigen Konflikten und verlagerte auch in Detailfragen die Entscheidungszuständigkeit auf häufig nicht kompetente Parteifunktionäre. Dies könnte als Kern des neuen, spezifischen
"Sowjetbürokratismus" bezeichnet werden. Lenins Analyse erwies sich somit als äußerst klarsichtig. Seine Vorschläge konnten allerdings nur unzureichend Abhilfe schaffen, zumal sein Gesundheitszustand es ihm verwehrte, sich aktiv an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. So folgte der 12. Parteitag 1923 zwar seiner Forderung, Zentralkomitee und Zentrale Kontrollkommission zu erweitern. Stalin setzte jedoch seine - nicht in Lenins Sinn liegende - Empfehlung durch, Arbeiter mit Erfahrungen im lokalen Parteiapparat zu berufen. Da der Generalsekretär über seine Unterabteilungen die Personalpolitik sehr genau lenken konnte, gelang es ganz gegen den Willen der Urheber, in den zentralen Gremien den Einfluß des Sekretariates beträchtlich zu erhöhen. Ein weiteres Indiz spricht für eine Akzentverlagerung: Als Nachfolger Lenins wurde nach dessen Tod 1924 mit A. I. Rykov ein verdienter Wirtschaftsfachmann, aber kein Mitglied der engsten Führungsmannschaft zum Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare bestimmt. Im Gefüge der
"doppelten Hierarchisierung" sank dadurch das Gewicht der Regierung zugunsten der Partei .
Als Ergebnis der innerparteilichen Diskussion um den
"Neuen Kurs" verabschiedeten Politbüro und Präsidium der Zentralen Kontrollkommission am 5. 12. 1923 eine Resolution
"Über den Parteiaufbau". die zahlreiche Forderungen Trockijs und ihm nahestehender Oppositioneller aufgriff und deshalb auch deren Zustimmung fand. Doch schon bald entflammten neue Streitigkeiten über die Auslegung der Resolution, die zunehmend heftiger wurden. Eine rasch durchgeführte Kampagne der Parteiführung ergab. daß die überwältigende Mehrheit der Parteizellen hinter dem
"offiziellen" Kurs stand. Trockijs Widersacher hielten sich deshalb für stark genug. offener als zuvor gegen ihn anzugehen. Die 13. Parteikonferenz (16.- 18. 1. 1924) und vollends der 13. Parteitag (23.- 31. 5. 1924) beurteilten die Opposition als
"kleinbürgerliche Abweichung", warnten vor einem Anschlag auf die Parteieinheit und drohten mit einem Parteiausschluß.
Innerhalb eines Monats nach einem günstigen Kompromiß hatte die Opposition eine vollständige Niederlage erlitten. Erklären kann man diesen radikalen Wandel mit der wirtschaftlichen Lage. die gerade jetzt den Optimismus zu rechtfertigen schien, man habe die
"Scherenkrise" überwunden. Hinzu kam, daß wichtige oppositionelle Forderunger bei der Wirtschaftspolitik und beim Kampf gegen den Bürokratismus berücksichtigt worden waren. Offenbar verstand die Masse der Parteimitglieder die Fortsetzung der Streitigkeiten nicht mehr; sondern befürchtete nun einen Angriff auf die Parteieinheit. In diesem Denken traf sie sich im übrigen mit den Kritikern. die auf einen offenen Kampf mit der Parteiführung verzichtet hatten, weil sie die Einheit nicht gefährden wollten und ebendadurch ihre eigene Position schwächten. Das galt besonders für Trockij, dessen Verhalten sich in krasse Widersprüche verwickelte. Seine Unabhängigkeit in der Theorie- und Urteilsbildung, die eines der Grundmotive seines politischen Handelns ausmachte, ließ ihn immer wieder Kritik am Kurs der Partei formulieren. Entstand daraus jedoch ein Konflikt, zog er sich in Krankheit und Schweigsamkeit zurück, um ihn nicht zu verschärfen. Auf dem 13. Parteitag rief er den Delegierten zu:
"Letzten Endes ist die Partei immer im Recht, weil die Partei das einzige historische Instrument ist, das das Proletariat zur Lösung seiner grundlegenden Aufgaben hat."
Dies schließe aber nicht aus, daß er und jedes andere Mitglied gegen die Parteimehrheit in Teilfragen bei seinen abweichenden Auffassungen bleiben und sie bei passender Gelegenheit wieder vorbringen könnten, um die Parteimeinung zu beeinflussen .
Diese Spannung zwischen der Parteieinheit als einem historisch notwendigen, unabdingbaren Wert und dem Bedürfnis nach unabhängigem Denken war anscheinend schwer verständlich zu machen. Ja, Trockij hielt sie selbst kaum aus, wie sein in Konfliktfällen plötzlich ohne offenkundige Ursache auftretendes Fieber vermuten läßt . Sie wurde auch nicht dadurch abgebaut, daß sich die Parteimitgliedschaft - scheinbar entsprechend den Vorschlägen Lenins und der Opposition - veränderte. Die 13. Parteikonferenz, welche die Resolution
"Über den Parteiaufbau" durchaus bestätigte, beschloß, 100.000 Produktionsarbeiter in die Partei aufzunehmen. Scbneller als erwartet wurde dieser Beschluß Wirklichkeit. Lenins Tod am 21. Januar 1924 erschütterte die Bevölkerung so tief, daß sich spontan Tausende um die Mitgliedschaft bewarben. Das Zentralkomitee griff diese Initiative auf und führte - mit erleichterten Eintrittsbestimmungen - das
"Lenin-Aufgebot" durch. Schon bis zum 1. Oktöber 1924 gewann die Partei auf diesem Wege über 240.000 Mitglieder. Der Anteil der Arbeiter
"von der Werkbank" erhöhte sich bis Januar 1925 auf 38%. Jetzt gehörten über 11% der Industriearbeiter zur Kommunistischen Partei, während es ein Jahr zuvor erst 4% gewesen waren. Wiederum erwies sich diese auf den ersten Blick erfreuliche Tatsache als zweischneidig für diejenigen, die sie besonders eindringlich angestrebt hatten. Der größte Teil der Neumitglieder verfügte über keinerlei politische Erfahrungen und nur geringe Qualifikation, wenngleich sie über dem Durchschnitt der Arbeiterschaft insgesamt lag. Die Parteiführung organisierte verkürzte Schulungen, die ganz im Sinne der Mehrheitsmeinung veranstaltet wurden. So hielt Stalin im Rahmen dieses Programms im April 1924 an der Sverdlov-Universität seine Vorlesungen
"Über die Grundlagen des Leninismus": Ihre leicht eingängigen, holzschnittartigen Lehren sollten für lange Zeit ein dogmatisiertes Marxismus-Leninismus-Verständnis prägen. Unbequeme Neumitglieder wurden meist schnell zur Ordnung gerufen. Die Loyalität zur Parteiführung begann zu überwiegen. Die Argumentation der Opposition fand kaum Gehör, um so mehr das an die Wand gemalte Gespenst der drohenden Parteispaltung. Stalins Hoffnung, mit dem Lenin-Aufgebot nicht nur die Opposition endgültig zu schlagen. sondern auch die Parteiorganisation an der Basis zu verbessern, ging auf. Trockij mußte dagegen im nachhinein eine Wende vom
"demokratischen" zum
"bürokratischen" Zentralismus konstatieren .
Hatte er sich durch seine Verdienste in der Oktoberrevolution und im Bürgerkrieg ein Anseher erworben, das nur noch von Lenin übertroffen wurde, so schwand seine Autorität nun zusehends. Seine Stellung in der Parteiführung erlitt in diesen Auseinandersetzungen einen empfindlichen, vielleicht den entscheidenden Stoß. In einem
"Nachhutgefecht" wurde er auch als Theoretiker in den Augen der Öffentlichkeit erheblich angeschlagen. Ein Disput um Fragen der Parteigeschichte geriet 1924/25 zu einer Grundsatzdebatte um
"Leninismus" und
"Trotzkjsmus". Auf dem Höhepunkt der Kontroverse blieb Trockij wiederum stumm, womit er seine Anhänger unsicher machte und seinen Gegnern erlaubte, ihn zu verleumden. Stalin dagegen erschien mehr und mehr als Garant der Parteieinheit und Vermittler zwischen auseinanderstrebendcn Kräften . Er gewann weitere Sympathien, als er seine Auflassung vom
"Sozialismus in einem Land" dem Konzept Trockijs von der
"permanenten Revolution" entgegenstellte. Der tatsächliche Gegensatz lag höchstens in Nuancen. Trockij war der Ansicht, die Revolution müsse sich auf andere Länder ausbreiten, um in der Sowjetunion selbst dauerhaft Bestand zu haben. Damit blieb er einer Überzeugung treu, die zu Lenins Zeiten von allen Parteigenossen geteilt worden war. Aber er paßte sich den gewandelten Umständen an, wenn er betonte, diese Ausdehnung könne schon bald, vielleicht aber auch erst in dreißig Jahren geschehen, ohne daß der Sozialismus in der Sowjetunion gefährdet sei. Stalin, der die Chancen eines Ausgriffs der Revolution nach Mittel- und Westeuropa schon seit 1917 skeptisch beurteilt hatte, hielt es hingegen für möglich, hier den Sozialismus unabhängig von anderen Ländern aufzubauen. Das sowjetische Beispiel werde dann jenseits der Grenzen die Revolution und den Sozialismus herbeiführen. Mit dieser ausdrücklichen Abkoppelung des eigenen Schicksals von Vorgängen in der Ferne, auf die man kaum Einfluß hatte, kam er einer weitverbreiteten Stimmung innerhalb der Partei entgegen, die von den Niederlagen revolutionärer Bestrebungen, vorab in Deutschland, tief enttäuscht war und zugleich voll Stolz auf ihre bisherigen Aufbauleistungen blickte .
Zu dieser Zeit waren die Aussichten für einen Erfolg der parteiinternen Opposition bereits weiter im Schwinden. Mit großer Energie wurden die Parteiorganisation gestrafft und das Netz lokaler Zellen erheblich ausgeweitet. Auf diese Weise konnte die Verbindung zwischen Partei und Arbeiter wieder verbessert werden. Vorübergehend versuchte man auch zwischen 1925 und 1927, auf dem Dorf stärker Fuß zufassen:
"Das Gesicht dem Dorfe zugewandt !" (licom k derevne) war die Hauptlosung, die man auch in der Wirtschaftspolitik zu verwirklichen trachtete. Als jedoch deutlich wurde, daß zwar der Anteil der Bauern in der Parteimitgliedschaft zu Ungunsten der Arbeiter leicht anstieg, ohne daß dadurch das Gewicht sozialistischer Positionen auf dem Dorf zunahm, kehrte man 1927 wieder entsprechend der wirtschaftspolitischen Kursänderung - zur
"Proletarisierungs"-Politik zurück.
Verbunden mit der Ausweitung der Parteiorgane war ein Anwachsen des Funktionärkaders. 1922 hatte der Parteiapparat über rund 15.000 bezahlte Mitarbeiter verfügt, 1924 waren es schon 23.000, 1927 schließlich 40.000. Ein Großteil der - neuen Funktionäre stammte aus dem Lenin-Aufgebot. Gerade den Arbeitern
"von der Werkbank" eröffnete sich die Chance, schnell befördert zu werden. Der
"Aufsteiger" (twdviienec) prägte schon bald das Gesicht des Parteiapparates. Die Karriereaussichten begünstigten die Anziehungskraft der Partei auf Außenstehende und erleichterten die Integration der Neumitglieder. Das Sekretariat, das über die Beförderungen und Umsetzungen entschied, errang so einen weiteren Machtzuwachs.
Abgesehen davon, daß die
"Aufsteiger" im allgemeinen loyal zur Apparatspitze standen und Argumenten der Opposition gegenüber selten aufgeschlossen waren, erwies sich ihre meist geringe Qualifikation als schwerwiegendes Problem. Die anstehenden Aufgaben, für die sie eingesetzt wurden, überforderten sie häufig, so daß sie nach Weisungen der Zentrale geradezu riefen und für eine Lenkung von
"oben" überaus anfällig waren. Darüber hinaus wirkte sich ihre Kontrolle der staatlichen Apparate - vor allem in der Wirtschaft - oft dysfunktional aus. An der Tagesordnung waren Spannungen zwischen
"roten Direktoren" und Parteikontrollorganen, die in vielen Fällen auf die Inkompentenz der Kontrolleure zurückgeführt werden mußten.
Die Alternative, über eine umfassende Mitwirkung der Arbeiter und Angestellten eine betriebliche Kontrolle sowie eine gemeinsam getragene Planung und Verwaltung durchzuführen, kam bestenfalls in Ansätzen über die seit 1924 eingerichteten Produktionsberatungen zustande. Einer solchen institutionalisierten Partizipation standen Direktoren, Gewerkschaften wie Parteiführung - trotz gegenteiliger offizieller Verlautbarungen - vielfach mißtrauisch gegenüber. Sie bevorzugten statt dessen kurzfristig mobilisierte Kampagnen gegen Bürokratismus, für ein
"Sparsamkeitsregime" der Wirtschaft oder für bestimmte Produktionsziele, in denen durchaus auch Initiativen »von unten« zum Ausdruck kamen. sich aber nicht dauerhaft etablieren konnten .
Die Parteiopposition verstand es nicht, sich auf die Bedürfnisse der neuen Mitglieder einzustellen und für deren Probleme überzeugende Lösungen anzubieten. Viel zu spät merkte sie, daß die erweiterten, ja aufgeblähten Gremien leichter als vorher von den zentralen Organen und ihren Bevollmächtigten zu lenken waren. Sie beging einen taktischen Fehler nach dem anderen und brachte so die Parteimehrheit gegen sich auf. Dies charakterisierte das Verhalten Trockijs und seiner Anhänger 1923/24 ebenso wie ein Versuch einer neuen oppositionellen Gruppe um Zinovev und Kamenev 1925. Beide gehörten zur engeren Führungsspitze, wo sie mit Männern wie Stalin oder Bucharin keineswegs konfliktfrei kooperierten. Ihre Kritik am
"Staatskapitalismus" der NEP und an der
"Diktatur der Partei" markierte schon 1924 eine beginnende Entfremdung zu denjenigen, die das System der Neuen ökonomischen Politik eher ausweiten als einschränken wollten. Nur der gemeinsame Kampf gegen Trockij schweißte sie noch einmal zusammen. Stalin ließ sich allerdings nicht hindern, bereits administrative Maßnahmen einzuleiten, um die organisatorische Basis Kamenevs, des Moskauer Sowjet-Vorsitzenden, und Zinovevs, der dem Leningrader Sowjet und der Kommunstischen Internationale vorsaß, zu schwächen. Der offene Konflikt brach aus, als die ZK-Mehrheit 1925 weitere Beschränkungen in der Agrarpolitik - wie das Verbot von Bodenpacht und Lohnarbeiterbeschäftigung - aufhob und den wirtschaftlich starken Einzelbauern begünstigte. Die Zinovev-Kamenev-Gruppe sah ihre Befürchtung bestätigt, daß Sowjetrußland kapitalistischen Elementen anheimfalle. Wiederum ging die Mehrheit in der Parteiführung auf einige Forderungen der Opposition ein: Wenn sie dadurch beschwichtigt und an die Parteieinheit gebunden sei, könne man dann abwarten, um sie im geeigneten Augenblick der Fraktionsbildung zu beschuldigen und an den Rand der Partei zu drängen. Der 14. Parteitag im Dezember 1925, auf dem Redner der Opposition zum erstenmal offen gegen den immer mächtiger werdenden Stalin und die Gefahr, hier werde ein alleinherrschender
"Führer" (rozd) geschaffen, aufgetreten waren, brachte ihr eine eindeutige Niederlage bei. Anschließend eroberten Anhänger Stalins die Leningrader Parteiorganisation, die Hochburg Zinovevs: Im Februar 1926 mußte er schließlich den Vorsitz des Sowjet-Exekutivkomitees abgeben.
Die Geschlagenen suchten umgehend das Bündnis mit den vorher Unterlegenen, die sie solange heftig bekämpft hatten, als sie sich stark wähnten: Im April 1926 trat erstmals öffentlich die Vereinigte Opposition der Gruppen um Trockij und Zinovev/Kamenev auf. Wirtschaftspolitisch forderte sie - vorab in der
"Erklärung der Dreizehn" vom Juli 1926 - ein Einschwenken der Partei auf den
"linken" Kurs, wie er in der Industrialisierungsdebatte namentlich von Preobracenskij aufgezeigt wurde. Staats- und Parteiapparat müßten von bürokratischen Auswüchsen und undemokratischen Elementen gereinigt werden. In der Kommunistischen Internationale gelte es, wieder mehr revolutionäre Initiative zu fördern. Doch der Zusammenschluß war zu spät vollzogen worden. Die ZK-Mehrheit hatte es gar nicht mehr nötig, sich ernsthaft auf inhaltliche Diskussionen einzulassen. Einige geheime Treffen oppositioneller Gruppierungen genügten, um sie der Parteispaltung zu bezichtigen und ihre führenden Mitglieder wichtiger Funktionen zu entheben. Auch ein Versuch, sich unmittelbar an lokale Parteizellen und Arbeiter zu wenden, schlug fehl. Zur Bestürzung ihrer Anhänger unterschrieben schließlich die Führer der Opposition mit Trockij, Zinovev und Kamenev an der Spitze am 16. Oktober 1926 eine bedingungslose Kapitulation. Um so leichter war es dann, ein paar Tage später Trockij aus dem Politbüro auszuschließen und Zinovev, der seinen Sitz bereits im Juli verloren hatte, den Vorsitz des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale zu nehmen. An seine Stelle trat Bucharin.
Noch einmal bäumte sich die Vereinigte Opposition auf, als es 1927 um eine wirtschaftspolitische Neuorientierung ging und zugleich die schweren außenpolitischen Rückschläge dieses Jahres Fehler der Partei- und Staatsführung an den Tag gebracht hatten. Die Opposition konnte als Erfolg verbuchen, daß ihr die Mehrheit in den ökonomischen Fragen durchaus entgegenkam: die Beschlüsse des 15. Parteitages vom Dezember 1927 können als Annäherung der verschiedenen Positionen in der Industrialisierungsdebatte bezeichnet werden. Aber Stalin und seine Parteigänger wußten die schwierige außenpolitische Lage geschickt zu nutzen, um noch überzeugender für Geschlossenheit zu werben und ihre Widersacher als gefährliche Spalter zu brandmarken, die das Land in eine Katastrophe zu stürzen drohten. Verzweifelte Versuche, über öffentliche Erklärungen zu Fragen der Wirtschafts- und Außenpolitik söwie zur Parteidemokratie Gehör zu finden, verstärkten die Repression seitens der überlegenen Gruppe. Sie verbot den Druck einer Oppositions-
"Plattform" für den 15. Parteitag, die daraufhin illegal veröffentlicht wurde. Die Geheimpolizei hob die Druckerei aus und verhaftete dabei auch einen angeblichen
"Konterrevolutionär". Zahlreiche Oppositionelle wurden aus der Partei ausgeschlossen. Nach überraschenden öffentlichen Ansprachen von Oppositionsführern vereitelten organisierte Trupps, teilweise unter Gewaltanwendung, weitere Auftritte. Am 21. Oktober 1927 verloren Trockij und Zinovev ihre Plätze im Zentralkomitee. Als Antwort auf öffentliche Demonstrationen der Opposition am 7. November, dem Jahrestag der Oktoberrevolution, schloß die Zentrale Kontrollkommission am 15. November die beiden führenden Repräsentanten aus der Partei aus. Auf dem 15. Parteitag im Dezember hatte kein einziger Vertreter der Opposition Stimmrecht. Weiteren ihrer Mitglieder wurde dort ihr Parteibuch entzogen. Auch Unterwerfungserklärungen konnten sie nicht mehr retten .
Taktische Fehler der Opposition und taktisches Geschick der Stalin-Gruppe, ihr Rückhalt im Apparat und unter der Masse der
"Aufsteiger", die Furcht vor einer Parteispaltung, der soziale und organisatorische Umschichtungsprozeß innerhalb der Partei - all das waren entscheidende Faktoren, die erklären, warum die parteiinternen Kritiker unterlagen. Hinzu kommt, daß ihre Forderungen, soweit sie nicht nach außen als allgemein akzeptiert erschienen, der breiten Masse der Parteimitglieder vor allem in der Wirtschaftspolitik zu weit gingen. Eingedenk der Erfahrungen von 1921 hielt man es für zu riskant, zugunsten eines schnelleren Industrialisierungstempos neue Konflikte mit der Bauernschaft heraufzubeschwören. Die vorsichtige Politik der Mehrheitslinie, die das
"dynamische wirtschaftliche Gleichgewicht" und das
"Bündnis" zwischen Arbeitern und Bauern in den Mittelpunkt stellte, fand dagegen Zustimmung.
Dies begann sich zu ändern, als die
"Warenhungerkrise" 1925/26 zum zweitenmal nach der
"Scherenkrise" von 1923 die strukturelle Schwäche jener Konzeption offengelegt hatte. Mehr und mehr Stimmen erhoben sich, die nun endlich eine dauerhafte Lösung des Problems forderten. Stalin machte sich zu ihrem Fürsprecher. Als die
"Getreidekrise" Ende 1927/Anfang 1928 die Partei wie ein Schock traf, verlangte er energischere Maßnahmen als bisher und setzte sie auf einer Inspektionsreise nach Sibirien auch durch. In den folgenden Monaten wechselten politische Entscheidungen, die im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik blieben, mit
"außerordentlichen Maßnahmen" auf verwirrende Weise ab, was die Krise noch verschärfte. Diese Widersprüchlichkeit spiegelte die neue Auseinandersetzung innerhalb der Führungsspitze wider, die - zunächst verdeckt, dann immer offener - zwischen der Stalin Gruppe und der sogenannten
"rechten Abweichung" ausbrach. Deren führende Köpfe waren der Vorsitzende des Rates der Volkskommissare A. I. Rykov, der Gewerkschaftspräsident M. P. Tomskij und vor allem N. I. Bucharin. Ihn hatte Lenin in seinem
"Testament" als
"Liebling der ganzen Partei" und als
"überaus wertvollen und bedeutenden Theoretiker" bezeichnet, der allerdings die Dialektik nie vollständig begriffen habe. Jetzt verteidigte Bucharin eindringlich das Konzept der NEP und des
"dynamischen wirtschaftlichen Gleichgewichts", warnte vor überstürztem Vorgehen und beschwor die Partei, es nicht auf einen Bruch mit den Bauern ankommen zulassen.
In kurzer Zeit war auch diese Opposition, die eigentlich die bisherige Mehrheitslinie repräsentierte, vernichtend geschlagen, obwohl sie ursprünglich beachtliche Machtmittel in den Händen gehalten hatte: in der Moskauer Parteiorganisation, im Staatsapparat, in den Gewerkschaften und in der Kommunistischen Internationale verfügte sie über eine starke Anhängerschaft. Zu spät erkannte sie, daß Stalin mit seinem Apparat am längeren Hebel saß. Zu spät forderte Bucharin, mehr innerparteiliche Demokratie zuzulassen und den Bürokratismus wie die übermäßige Zentralisierung abzubauen. Noch bevor im Februar 1929 der Bruch in der Parteispitze der Öffentlichkeit richtig ins Bewußtsein drang, waren intern die Weichen schon gestellt. Ein offener Angriff auf die
"militärisch-feudale Ausbeutung der Bauern" durch die neue Wirtschaftspolitik nützte nichts mehr. In den folgenden Monaten verloren die
"Rechtsabweichler" all ihre wichtigen Ämter. Anfang November 1929 wurde Bucharm aus dem Politbüro ausgeschlossen, am 26. 11. 1929 unterzeichneten die drei Oppositionsführer einen bedingungslosen öffentlichen Widerruf .
Die Vernichtung dieser letzten großen innerparteilichen Oppositionsbewegung vor der Formierung des neuen Machtsystems
"Stalinismus" vollzog sich nach einem ähnlichen Muster wie die Ausschaltung der
"Linken" und der
"Vereinigten Opposition". Die führenden Kritiker des Kurswechsels, den Stalin und seine Gefolgsleute nach und nach vornahmen, ließen sich zunächst auf die Parteieinheit einschwören, verzichteten auf öffentliche Vorwürfe und versäumten es, rechtzeitig ihre Anhängerschaft umfassend zu mobilisieren. Diese wurden eher verunsichert, weil sie im Verhalten ihrer Repräsentanten keine klare Linie erblicken konnten. Um so leichter fiel es der Stalin-Gruppe, die Gegner zu isolieren und sie schließlich als
"Fraktion" und
"Parteispalter" anzuprangern. Taktisches Ungeschick trug dazu bei: So traf sich Bucharin am 11. Juni 1928 heimlich mit Kamenev, ließ seiner Meinung über Stalin freien Lauf und versuchte, eine gemeinsame Oppositionsfront aufzubauen. Die Unterredung blieb natürlich der Geheimpolizei und Stalin nicht verborgen. Als Anfang 1929 dann - unter etwas dubiosen Umständen - die
"Linke Opposition" das Treffen in einem Flugblatt öffentlich bekannt machte, verfügte die Stalin-Gruppe zum richtigen Zeitpunkt über gute Argumente, um zu einem harten Schlag gegen
"Fraktionsmacherei" auszuholen .
Aber nicht nur die bessere Taktik entschied über Sieg oder Niederlage. Ausschlaggebend dürften neben den Auswirkungen der Wirtschaftskrise und den sozialen Umbrüchen innerhalb der Arbeiterschaft die Strukturveränderungen innerhalb der Kommunistischen Partei gewesen sein. Erneut wuchs nach 1927 ihre Mitgliederzahl rasch an. 1930 zählte sie rund 1,3 Millionen Vollmitglieder gegenüber etwa 800.000 drei Jahre zuvor und fast 500.000 Kandidaten statt 430.000. Wie schon beim Lenin-Aufgebot, legte man auch jetzt vor allem Wert auf den Eintritt von Arbeitern: Ihr Anteil erhöhte sich auf rund 65% nach sozialer Herkunft und 46% nach Beschäftigung. die der Bauern sank auf 2O% bzw. 12%: die Angestellten und andere Gruppen machten 15% bzw. 42% aus. Ähnlich wie 1924/25 brachten die Neuzugänge beträchtliche Probleme mit sich. Die Fluktuation war offenbar ziemlich hoch, die Schulungen blieben unzureichend und oberflächlich. Nicht ausgeglichen werden konnte das verhältnismäßig niedrige Bildungsniveau: Weniger als 10% der Parteimitglieder hatten 1927 eine Hochschule oder zumindest zehn Jahre lang die Schule besucht. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen, die oft wenig durchsichtig waren, schufen zusätzliche Unruhe. In den schwierigen wirtschafts-politischen Fragen fühlten sich gerade die mittleren und unteren Parteikader überfordert und riefen nach Weisungen der Zentrale. Wie gern diese auch administrativ eingriff, Umbesetzungen vornahm und
"Instruktoren" aussandte, so muß man doch auch feststellen, daß die Führung in vielen Fällen selbst nicht wußte, wie vorzugehen sei, und die lokalen Organe mit ihren Problemen allein ließ: in der Hoffnung. diese könnten am ehesten mit den Schwierigkeiten fertig werden. Als sich das dann als Illusion herausstellte, mußte um so intensiver
"von oben" reagiert werden. Um die Lage wieder in den Griff zu bekommen und die Durchführung ihrer Politik zu gewährleisten, kümmerte sich die Zentrale mehr und mehr um örtliche Details, bis schließlich auch die letzte Einzelheit bürokratisch geregelt wurde. So entstanden jene Formen von Anordnungen, wie sie für die dreißiger bis fünfziger Jahre charakteristisch waren .
Aus dem Geflecht dieser sozialen und organisatorischen Probleme folgten weitere Faktoren, die den Sieg Stalins ermöglichten. Wie eine Umfrage 1929 ergab, war die Kommunistische Partei am stärksten bei den 23- bis 29 jährigen Arbeitern verankert. Gerade diese neue Generation und die
"Aufsteiger" wurden von der Wirtschaftskrise, von dem Hin und Her in der Politik, von den innerparteilichen Kämpfen am meisten verunsichert. Da sie häufig einen radikalen Milieuwechsel vollzogen hatten, waren ihre alten Bindungen abgerissen oder zumindest gelockert worden. Die neuen Verhältnisse überforderten sie vielfach. Vermutlich griffen sie am ehesten auf ein traditionell personalistisches Politikverständnis zurück, an dem sie Halt zu finden hofften. Niemand schien dafür geeigneter als Stalin, niemand fähiger, eine neue Identität zu stiften. Er drückte eine weitverbreitete Stimmung aus, als er sich zum Wortführer derer machte, die des ewigen Bauernproblems leid waren und dazu aufriefen, den Gordischen Knoten endlich mit einem Hieb durchzuhauen. Der
"Sprung nach vorn" 1929 wirkte psychologisch befreiend, wie eine Erlösung. Endlich hatte das Schwanken ein Ende, endlich sollte der Sozialismus gewagt, die größte Verheißung Wirklichkeit werden. Überall wurde über die Zukunft diskutiert, enthusiastisch führte man Kampagnen zur Produktionssteigerung, zur
"Kulturrevolution" und zur Bekämpfung des Bürokratismus durch. Stalin gab sich als Vorkämpfer solcher basisdemokratischer Aktivitäten (und nutzte sie weidlich gegen seine innerparteilichen Gegner). Durch sein bescheidenes Auftreten und seine verständliche Sprache genoß er hohe Sympathie in der Öffentlichkeit. Ihm schrieb man es zu, daß er die Gefahren einer Parteispaltung abgewendet habe. Er galt - nach Lenin - als der einzige, der die Partei und das ganze Land integrieren könne. Er allein schien fähig, das jeweils Notwendige zu tun. Als schließlich deutlich wurde, daß sich die von den Parteistreitigkeiten verschonten Reste der
"alten Garde" der bolschewistischen Revolutionäre - meist waren es solche, die eine ähnliche Sozialisation wie Stalin durchlaufen hatten - hinter ihn stellten, war die Basis für den Personenkult vollends geschaffen, der zum 50. Geburtstag Stalins am 21. Dezember 1929 seinen ersten Höhepunkt erreichte. Demokratische Kontrollmöglichkeiten innerhalb der Partei erwiesen sich als zu schwach, um diese Entwicklung aufzuhalten .
36. Die Entwicklung der Kommunistischen Partei zur Staatspartei und die Instrumentalisierung der Räteorgane
Die Antwort der Partei auf den Kronstädter Aufstand nach dem Ende des Bürgerkrieges 1921 ist der Anspruch, den demokratischen Zentralismus wieder ins Leben zu rufen:
-
Straffung der Organisationsdisziplin,
-
eine Säuberung des Mitgliederbestandes
- und der Beschluß,
- die Parteidemokratie zu stärken
- und die Auswüchse des Bürokratismus zu bekämpfen.
- Bekämpfung der Bürokratie,
- Stärkung der Parteidemokratie,
das soll heißen:
- rigidere Aufnahmebedingungen für Mitglieder, um sich der Karrieristen zu erwehren (die KPR ist die herrschende Partei),
- Wiedereinführung des Prinzips der Wählbarkeit leitender Organe,
- Orientierung auf Mitgliederwerbung unter Arbeitern von der Werkbank.
- Gleichzeitig werden ca. 24% der Mitglieder, d.h. 160.000 Personen, herausgesäubert
- oder verlassen die Partei freiwillig.
- Hauptopfer der Säuberungen sind Mitglieder aus ländlichen Gebieten.
- Dadurch und durch Neueintritte steigt zwar der Arbeiteranteil der Partei, doch bleibt er - sofern es sich um Arbeiter von der Werkbank handelt - relativ gering.
- Auf 100 Industriearbeiter kommen 1922 durchschnittlich 1,52 Parteimitglieder.
- Das Gros der bewußten Arbeiter ist längst in Funktionärsposten aufgerückt.
- Symptomatisch ist die Moskauer Parteiorganisation: nur 11,6% der Mitglieder sind wirkliche Arbeiter von der Werkbank.
- Gleichzeitg fällt in diese Periode direkt nach dem Bürgerkrieg der Versuch der Partei, durch eine geschickte Personalpolitik die Verwaltung des Landes zu durchdringen, Politikvollzugsfähigkeit im Sowjet- und Wirtschaftsapparat zu gewinnen.
- Sie braucht - gerade beim Aufkommen neuer sozialer Widersprüche in der NEP - ein wacheres Ohr an der Basis des Geschehens.
- Sie hat das Vorspiel zum Kronstädter Aufstand, die Unzufriedenheit und sogar Feindschaft in der Arbeiterklasse gegenüber dem Bürgerkriegsregime der Partei verschlafen.
- Ebenso wird sie von der Scherenkrise 1923 und den Streiks im Sommer 1923 überrascht, ist darauf nicht vorbereitet.
Vor allem auf dem Land ist die Partei isoliert.
- Die wenigen Mitglieder sind zumeist Funktionäre oder Angestellte im ländlichen Wirtschafts- und Verwaltungsapparat.
- Die Dorfzellen sind meist identisch mit dem örtlichen Sowjetapparat.
- Im Gouvernement Odessa sind 62% der Parteimitglieder auf dem Land Verwaltungsangestellte,
- im Gouvernement Gomel arbeiten nur 39% der Kommunisten in einer eigenen Landwirtschaft.
- Die dürren Daten zeigen eines: von einer wirklichen Verankerung in den beiden Klassen (die Partei als Repräsentantin des Bündnisses von Arbeitern und Bauern) kann kaum die Rede sein.
Zudem gibt es kaum ein entwickeltes Kommunikationssystem.
- Von der lokalen über die regionale Ebene hin zum Zentrum.
- Genau dies zu erreichen ist Projekt der Parteiverwaltung nach 1921 und bildet eine entscheidende Wegstrecke für die Schaffung eines straffen bürokratischen Apparats.
- Dabei kommt dem Personalverteilungsapparat im Zentralkomitee (ZK) und seinen Fachabteilungen Bedeutung zu.
- Diese bereiten die Entscheidungsfindung im Politbüro vor und versuchen, mit dem gegebenen Kaderstamm durch dessen geschickte Verteilung ein Optimum an Kontrolle und Möglichkeiten der Durchsetzung politischer Entscheidungen im Land zu erzielen.
- Die Lenkung dieser Kaderselektion
- und ihre Verschiebung von einem Bereich zum anderen
obliegt Stalin
- als dem Generalsekretär,
- als dem Leiter des ZK-Apparates,
und ist so die materielle Quelle seiner Macht.
- Die geringe Qualifikation der Kader, vor allem der im und nach dem Bürgerkrieg in die Partei eingetretenen, ist eines der Probleme bei der Besetzung der Staats- und Wirtschaftsapparate mit Kommunisten.
- Vor allem im Wirtschaftsapparat wird versucht, durch Beförderung von Arbeitern auf irgendwelche leitende, kontrollierende oder administrative Posten, also durch ein Lernen in der Praxis, die wesentlichsten Personalengpässe zu überbrücken.
- Zur geringen fachlichen Qualifikation kommt das politische Analphabetentum der im und nach dem Bürgerkrieg eingetretenen Mitglieder.
- Unter den Parteisekretären des Gouvernements
- Tula sind 40%,
- in Rjasan 70%,
- in Odessa und in Wladimir 60%
politische Analphabeten.
- 1920-23 durchlaufen nur 0,8% der neuen Mitglieder den Parteigrundkurs der Politgramota (politische Alphabetisierung).
- Der hohe politische Bildungsstand der Mitglieder vor 1917 hebt sich radikal ab von dem der Mitglieder nach 1920.
Unter diesen Bedingungen ist der Anspruch, die Lenkung der Apparate durch Parteimitglieder zu gewährleisten, schon auf der politischen (und nicht nur der technisch-fachlichen) Ebene kaum zu realisieren. Selbst in den organisatorischen Zusammenhängen der Partei wird das normale Mitglied kaum zu politischer Bildung befähigt.
"Die inhaltliche Arbeit der Zellen war
schlecht, der Bestand der Zellenleiter zusammengewürfelt und oft ohne Schulung. Die Zellenmitglieder verhielten sich meist passiv und nahmen an Diskussionen nicht teil. ... Die Zellenversammlungen waren schlecht besucht, die Teilnehmer politisch ungebildet, die Trunksucht in weiten Teilen der Partei verbreitet,"
berichtet 1923 eine Parteiuntersuchung.
- Die Schwäche und Immobilität der Parteiorganisationen an der Basis entspringt sicherlich auch der Rückständigkeit des Landes,
- ist aber vor allem verkümmerten demokratischen Strukturen geschuldet,
- die dazu beitragen, Kommando- und Direktivenpolitik auf jeder Ebene treibhausmäßig zu fördern.
Eine Resolution des XII. Parteitages 1923 betont ganz in diesem Sinne, daß die Diktatur der Arbeiterklasse nicht anders gefestigt werden kann als in Form der Diktatur ihrer Avantgarde, d.h. der Partei.
Dabei übersetzt sich die Identität von
- Diktatur des Proletariats
- und Diktatur der Partei
- weiter in eine Diktatur der Leitungsorgane,
- der zentralen wie der örtlichen Chefs, über das Parteivolk.
Bucharin karikiert 1927 treffend die Wahlpraxis der Parteigremien:
"Bei uns ... werden die Sekretäre gewöhnlich vom Rayonparteikomitee ernannt. ... Sie stellen einfach einen Menschen auf.
Man kommt und fragt: Wer ist dagegen? und weil man sich mehr oder weniger fürchtet, dagegen aufzutreten, so wird das entsprechende Individuum zum Sekretär des Zellenbüros ernannt ... und weil es nicht gut ist, gegen die Obrigkeit zu sprechen, so ist die Frage damit beendet. Das sind die Wahlen der Sekretäre unserer Basiszellen."
()
Spiegelbild der Unmündighaltung der Parteibasis, besser gesagt noch der Klasse, die die Partei vertreten will oder zu vertreten vorgibt, ist die Zusammensetzung der Delegierten zum XIII. Parteitag 1924. Ihrer Funktion nach sind die Delegierten:
- 65,3% Mitglieder des Parteiapparates,
- 14,2% aus Sowjet- und Wirtschaftsapparat
- und nur 7,2% Arbeiter und Bauern.
Diese Unmündigkeit der Basis dient den Organen der Partei, insbesondere der Personalabteilung des ZK, die Kontrolle des Landes durch administrative Durchdringung des Staates von oben zu realisieren.
- Die Folge davon ist, daß die Funktionäre bald Form und Farbe der Apparate annehmen, in diesen selbst aber nur von der Spitze her kontrollierend eingreifen können.
- Gerade im Wirtschaftsapparat sind sie meist auf die Zuarbeit bürgerlicher Spezialisten angewiesen.
- Ende 1923 ist in den obersten Instanzen der Volkskommissariate die Partei nur mit 13,2% des Personals vertreten.
- Die Parteimitgliedschaft nimmt bis zum Büropersonal auf 4,2% ab.
- Besonders problematisch ist die extrem schwache Verankerung der Partei im Volkskommissariat für Landwirtschaft und im Volkskommissariat für Finanzen, denen bezüglich der Agrarpolitik eine Schlüsselstellung zukommt.
- Daß bei der Umsetzung der allgemeinen Parteilinie, das Bündnis mit den Bauern durch bessere materielle und kulturelle Versorgung des Dorfes zu stärken, sich meist etwas ganz anderes abspielt, als die Vorgaben der Parteiführung beabsichtigen, dürfte der Teil sein, den die Politik zu den Ursachen der beiden Scherenkrisen 1923 und 1927/28 beigetragen hat.
- Die sich durch fehlende demokratische Strukturen ausbreitende Tendenz zur Einübung obrigkeitsorientierter Verhaltensweisen verstärkt die Neigung der leitenden Kader, statt Massenpolitik Administration zu betreiben, und fördert eine Identifizierung der Kader mit ihrem Apparat.
- Nicht von ungefähr zieht sich der Konflikt zwischen Partei- und Wirtschaftsführung mitten durch die Partei.
- Vertreter des ökonomischen Leitungsapparats wie Bogdanow und Krassin treten auf dem XII. Parteitag für noch mehr wirtschaftliche Bewegungsfreiheit des Managements ein.
- Die Partei sieht sich von oben bis unten angesichts der Priorität für die industrielle Akkumulation in der Aufbauphase in die Rolle gedrängt, die technischen Kompetenzen der betrieblichen Einzelleitung - und damit auch die Bevormundung und den Druck auf die Arbeiter - gegenüber der Arbeiterkritik in Schutz zu nehmen.
Die Scherenkrise 1923 und eine Welle von Streiks in der Industrie infolge der sich verschlechternden Versorgung mit Lebensmitteln machen der Führung klar, daß sie es trotz Ausbau ihres Apparats nicht geschafft hat, sich ein waches Ohr an der Basis zu verschaffen. Das Lenin-Aufgebot ist eine Antwort auf dieses Problem:
- die Partei wächst infolge einer Massenkampagne für die Rekrutierung neuer Mitglieder vom 1.1.1924 bis 1.1.1925 von 472.000 auf 798.000 Mitglieder und Kandidaten, d.h. um 69%.
- 93% der Neuaufnahmen sind Arbeiter aus Produktion und Transport.
- Bis zum 1.1.1930 wächst die Partei weiter auf 1.3 Mio. Mitglieder an.
Die Masse der Neuaufnahmen wird in Kursen oder durch direkte Integration ins Parteileben geschult. Die Klagen über das geringe politische Bildungsniveau der Neuzugänge bleiben in den folgenden Jahren allerdings fortlaufendes Thema.
Partei und Sowjets auf dem Land
In den Jahren nach 1924 wird vor allem versucht, neue Mitglieder auf dem Land zu rekrutieren.
- Damit gelingt es zwar, die Parteikontrolle über den Sowjetapparat auf dem Land etwas zu straffen, aber der Anteil wirklicher Bauern bleibt unter 10%, verändert sich gegenüber der Zeit vor 1924 nur geringfügig.
- Nach wie vor rekrutieren sich die Mitglieder hauptsächlich aus dem Verwaltungsapparat oder anderen Schichten auf dem Land (Lehrer, Angestellte der Kooperativen etc.).
- Für die Parteiführung verbessert sich dadurch die Kontrollfähigkeit durch ein dichter werdendes organisatorisches Netz.
- Gleichzeitig verhärtet sich der Parteiapparat infolge der Auseinandersetzungen mit der Opposition immer mehr, wird die Masse der Parteimitglieder weniger denn je zur Teilnahme am politischen Parteileben befähigt, sondern fungiert eher als Rangiermaterial und Legitimationsbasis für die Mehrheitsfraktion um Stalin.
- Sie erfährt ihren Marxismus-Leninismus aus der Sichtweise dieser Mehrheitsfraktion, an den Debatten mit der Opposition können sie kaum teilnehmen.
- Mit der Ausweitung der Partei greift ein Leninkult um sich, als dessen Kern die These von der monolithischen Einheit der Partei als dem Wesen des Leninismus in den Vordergrund rückt.
- Er dient dazu, die Politik der Mehrheit im Politbüro um Stalin als genuine Fortsetzung und Verwirklichung der Vorstellungen des verstorbenen Parteiführers erscheinen zu lassen.
- Die Verhärtung der Organisationsdisziplin hat zur Folge, daß Parteifunktionäre mit Versetzung rechnen müssen, wenn sie sich oppositionellen Strömungen anschließen (eine Ausschaltungspraxis, die allerdings schon auf die Zeit nach dem X. Parteitag zurückgeht).
- Auf dem XIV. Parteitag wird von Ausschlüssen gegen Mitglieder berichtet, die sich weigern, Oppositionelle zu denunzieren.
- Ein Novum ist sicherlich die Praxis ab 1925, auch die OGPU zur parteiinternen Bespitzelung (und z.T. auch Verhaftung) von Mitgliedern einzusetzen.
- Zur Gleichschaltung oppositioneller Parteiorganisationen reicht es in der Regel aus, den örtlichen Chef auszuwechseln, der dann durch eine entsprechende Säuberung seine Untergebenen auf Linie bringt.
- Die Aufrufe der Parteiführung, den Bürokratismus zu bekämpfen und die Parteidemokratie zu entwickeln, bleiben wirkungslos.
- Die Wiedereinführung der Wählbarkeit leitender Funktionäre und eine freie politische Diskussion steht im krassen Gegensatz zum Charakter des mühsam von oben auf gebauten Apparates, der grundlegend hätte umgestaltet, ja zerschlagen werden müssen, um solche Ansprüche Realität werden zu lassen.
- Auch die Entwicklung des Staatsapparats, der Sowjets in Stadt und Land, geht in eine ähnliche Richtung wie die der Partei.
- Der geringen Verankerung der Partei im Dorf entspricht auch das geringe Ansehen der Sowjets bei der Masse der Bauern, die sich (vor allem in Rußland) mehr durch die alte Dorfgemeinde des Mir repräsentiert fühlen, in der allerdings die reichen Bauern, die Kulaken, das Sagen haben.
- Diese verbreitete Klassenkollaboration von armen und Mittelbauern mit den Kulaken, die durch vielfältige materielle Abhängigkeiten untermauert wird, wirklich aufzubrechen, gelingt den Kommunisten in breiterem Maße nie.
- Die Partei und der Sowjet des Dorfes befinden sich in einer Zwickmühle:
- wo die Partei mit diktatorischer Hand über den örtlichen Sowjet herrscht, schlägt die Indifferenz der Bauern schnell in Feindschaft um;
- wo die Partei die Zügel locker läßt, gelingt es den Kulaken, ihre dominierende Rolle im Dorf auch auf den Sowjet auszudehnen.
Wiederbelebung der Rätedemokratie?
- Der in der Losung Das Gesicht zum Land durchscheinende Wille der Parteiführung, die Bauern für die Sowjetmacht zu gewinnen, ist Anlaß für die Kampagne zur Wiederbelebung der Sowjets.
-
Die Konferenz über Fragen des Sowjetaufbaus von Januar und April 1925 betont das Gewicht und die Bedeutung
- der Legalität (Schutz der Bauern vor Amtsmißbrauch)
- und demokratischer Verhältnisse (Verhinderung von Wahlmanipulation, Freiheit der Wähler, beliebige Kandidaten aufzustellen).
- Im Februar 1925 werden Neuwahlen zu den Sowjets einberufen, da sich die Wahlen von 1924 durch Manipulation seitens örtlicher Parteiorgane und eine geringe Wahlbeteiligung als dem Image von Partei und Sowjets nicht gerade zuträglich erweisen.
-
Die Neuwahlen finden bei gestiegener Beteiligung statt.
- Der Anteil gewählter Parteiloser steigt,
- der Anteil von Kommunisten fällt auf 7%.
- Der Anteil gewählter Mittelbauern steigt auf 70-75% (zweifelsohne verbergen sich hinter ihnen nicht selten Kulaken),
- der Anteil armer Bauern geht zurück.
- 1927 beginnt die Parteiführung, die Thematisierung von Klassenwidersprüchen im Dorf in den Vordergrund zu rücken, da sie sieht, daß eine Demokratisierung der Sowjets für die Partei nur günstige Resultate bringen kann, wenn es gelingt, die Polarisierung der armen und Mittelbauern gegenüber den Kulaken zu fördern.
- Molotow betont anläßlich der Sowjetwahlen 1927, "klar die Klasseninteressen und Klassenwidersprüche in der Bauernschaft aufzuzeigen", die Sowjets sollten stärker den Einfluß der armen Bauern und Landarbeiter reflektieren.
- Letzteres gelingt nicht. Noch 1929 bewegt sich der Anteil armer Bauern im Sowjetapparat um 10%.
- Es gelingt der Partei nie, die nötige Polarisierung in der Bauernschaft zu erreichen als Voraussetzung für ihren Einfluß und das Ansehen der Sowjets als Repräsentativorgane.
- Einerseits sind es die knappen Finanzmittel der örtlichen Sowjets, die die Bereitstellung größerer sozialer und produktiver Dienstleistungen enge Grenzen setzen.
- Das Gros der ländlichen Sowjets auf unterster Ebene besitzt kein eigenes Budget.
- Zu groß ist das Mißtrauen gegenüber den Lokalsowjets, wo Alkoholismus, Betrug und Unterschlagung verbreitet sind.
- Enukidze veranschlagt auf dem XV. Parteitag 1927 das Gesamtbudget der Lokalsowjets (das ihnen zumeist von oben zugewiesen wird) auf 16 Mio. Rubel und schätzt die Einkünfte des Mir aus freiwilligen Zahlungen der Bauern auf 80 bis 100 Mio. Rubel.
-
Das Verhalten der Lokalverwaltung ist wiederum Ausdruck der Verselbständigung und des autoritären Gebarens der örtlichen Apparate gegenüber den Bauern.
"Dieses autoritäre Gebaren beruht nicht auf der Psychologie dieser Funktionäre, sondern auf einer Klassenhaltung. Da sie in hohem Maße das lokale Machtgeschehen in ihren Händen vereinen, nehmen die Funktionäre der Sowjetapparate eine politische Herrschaftsposition ein ... und sind freiwillig nicht bereit, diese aus den Händen zu geben, sich der Kontrolle der Massen zu unterwerfen, noch letztere ihre Angelegenheiten selbst verwalten zulassen."
()
- Von daher erklärt sich auch das Festhalten der armen und Mittelbauern an den traditionellen (für sie keineswegs günstigen) Strukturen des Mir,
- die Erfolgslosigkeit von Partei und Staat, der Sowjetmacht eine Basis auf dem Land zu verschaffen.
- Die städtischen Sowjets sind, vor allem seit der Wiederbelebungskampagne, besser funktionierende Körperschaften als die ländlichen Apparate.
- Die Sitzungen finden häufiger und unter größerer Anteilnahme statt.
- Ihr Hauptinteresse gilt den sozialen und Wohnungsfragen.
- Eine Statistik von 11 städtischen Sowjets aus dem Jahre 1926 zeigt folgende Zusammensetzung der Delegierten:
- 24% Arbeiter,
- 25% Angestellte
- und 36,9% Vertreter der Verwaltung.
Auch hier das Mißtrauen der übergeordneten Organe, den städtischen Sowjets
- ein eigenes Budgetrecht
- und eigene Exekutivkomitees
zuzubilligen:
"Die Behinderung der Bildung von Exekutivkomitees durch städtische Sowjets war der Befürchtung geschuldet, diese könnten zu wirklichen Machtorganen werden."
()
Trotz positiver Tendenzen wie der Heranziehung Parteiloser zur Arbeit in den Sowjetapparaten funktionieren diese - entgegen der Idee der Sowjets als den ersten Schritten des Absterben des Staats -
- als typische Staatsapparate,
- als abgehobene Verwaltungsinstanzen,
- die ihre Entscheidungen nur noch formal dem Wähler vorstellen.
Ein Bericht der Arbeiter- und Bauerninspektion schreibt 1928:
"In der Praxis sind die Präsidien die entscheidenden Organe der städtischen Sowjets. ... Fragen werden vor das Plenum gebracht, wenn sie durch das Präsidium des Sowjets oder das Präsidium des Exekutivkomitees entschieden sind; die Plenen bestätigen diese Entscheidungen nur."
()
- Ähnlich wie sich die Partei
- in der inneren Struktur ihrer Apparate
- und im Gebaren ihrer Repräsentanten
in der NEP immer weiter von den Massen entfernt
- und gleichzeitig die Parteiführung markige Resolutionen
- zum Kampf gegen Bürokratismus
- und für mehr Demokratie
verabschieden läßt,
- entwickelt sich auch der Sowjetapparat zum Staatsapparat.
Zugleich erklärt der Berichterstatter über die Sowjetwahlen 1926 vor dem Zentralen Exekutivkomitee des Obersten Sowjet der RSFSR, daß es wesentlich sei,
"durch Einbeziehung der großen Masse der Arbeiter und Bauern in die Sowjets unseren Staatsapparat von bürokratischen Deformationen zu säubern, den Bürokratismus aus ihm zu entfernen, ihn für die Massen billig ... nah und verständlich zu machen."
()
Molotow schreibt gar in der Prawda vom 1.1.1927 zu den Wahlen, das Ziel solle sein:
"die vollständige Übernahme des gesamten Staatsapparates durch die arbeitende Klasse."
()
- Die Trägheit
- und das Eigenleben der Apparate
wird von der politischen Führung durchaus als der wunde Punkt jeder Durchsetzung politischer Maßnahmen betrachtet.
- Die Bürokratie wird wirklich als Übel empfunden,
- aber als notwendiges Übel, "die unvermeidliche Konsequenz des niedrigen Standes unserer Produktivkräfte", wie Basarow 1926 im Organ von Gosplan schreibt.
- Das Bewußtsein der Massen,
- ihre Aktivitäten,
können sich in den 20er Jahren kaum über das Niveau der Jahre 1921/22,
- der Jahre der Resignation
- und Erschöpfung,
erheben,
- weil in allen Bereichen das Mißtrauen der Partei gegenüber jeder Eigenregung der Arbeiter und Bauern
- - sofern diese nicht direkt in ihr politisches Konzept paßt -
- deren Widerstandsbereitschaft und -möglichkeit immer weiter einengt.
Die offizielle Propaganda von der Partei
- als der Repräsentantin der objektiven Interessen der Arbeiter und Bauern,
- ihr Selbstverständnis als Vollstreckerin einer vermeintlichen historischen Notwendigkeit (die objektive Notwendigkeit des Sozialismus), der sich alle abweichenden Tagesinteressen unterzuordnen haben,
- das Bündel dieser Mechanismen lähmt die Initiative der Massen.
- Es gibt keinen Apparat, der die Ansätze von Widerstand hätte aufgreifen können.
- Die Verfassung der Partei ist dafür denkbar ungeeignet.
- In der folgenden Phase der Anspannung durch Industrialisierung und Kollektivierung werden die noch kümmerlichen Reste von Demokratie in Partei und Sowjets völlig beseitigt.
- Das innerparteiliche politische Leben erlischt ebenso wie die noch in den 20er Jahren erfolgten Versuche, den Rätegedanken wiederzubeleben.
Juni 1989, ak.
Anmerkungen (Die Originalnummerierung ist für html-format aus Eindeutigkeitsgründen mit Kapitelnummer indiziert worden):
Schröder, H.H., Arbeiterschaft, Wirtschaftsführung und Parteihierarchie während der NEP, Wiesbaden 1982, S. 88 f
ders., Gesellschaftliche Funktion und innere Entwicklung der bolschewistischen Partei in den Jahren der NEP, in: Erler, Süß (Hg.), Stalinismus. Probleme der Sowjetgesellschaft zwischen Kollektivierung und Weltkrieg, Ffm/New York 1982, S. 92
Schröder, Arbeiterschaft, S. 176
Carr, E.H., Socialism in Qne Country, 1924 - 26, London 1978, S. 108ff
Schröder, Arbeiterschaft, S. 182 ff
zit. nach: Carr, Socialism, 1, S. 104
Schröder, Arbeiterschaft, S. 196
ebd., S. 276 ff sowie Schapiro, L., Die Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, o.0., 1961, S. 330
Schröder, Stalinismus, S. 101 und Carr, Socialism, II, S. 187 ff
Bettelheim, Les luttes..., II, Paris 1977, S. 152, und Carr, Socialism, II, S. 181
Schröder, Arbeiterschaft, S. 292 f
Carr, Socialism, II, S. 224 ff
ebd., S. 334 ff und Bettelheim, Les luttes..., II, S. 157
Carr, Foundations of a Planned Economy, Bd. II. Suffolk 1976, S. 291
ders., Socialism, II, S. 312 f
ders., Foundations, II, S. 235 f
Bettelheim, Les luttes..., II, S. 158
Carr, Foundations, II, S. 281
37. Sowjetische Landwirtschaftspolitik zwischen 1927 und 1929: Das Ende der Neuen Ökonomischen Politik
Die Periode vom 15. Parteitag im Dezember 1927
bis zum Aprilplenum des ZK im Jahr 1929 ist
- wirtschaftspolitisch
- durch den Mangel an Marktgetreide
- und daraus folgende Unregelmäßigkeiten in der industriellen Entwicklung gekennzeichnet,
-
politisch
- durch paramilitärische Auseinandersetzungen in den Dörfern
- und erhebliche Unruhen in den Städten in der zweiten Hälfte des Jahres 1928.
Diese
"schwerste innenpolitische Krise des Regimes" seit dem Bürgerkrieg bildet einen wesentlichen Gesichtspunkt bei der Beschlußfassung der KP-Mehrheit über die zukünftige Politik.
Die Lage auf dem Land 1927
- Im Vergleich zur Lage unmittelbar nach dem Bürgerkrieg hatte die NEP Periode bis 1927 eine wenn auch krisengeschüttelte Sanierung der Landwirtschaft herbeigeführt, deren Ausstattung mit Produktionsmitteln weiterhin gering war.
- Umstritten ist bis heute die Bedeutung der sozialen Differenzierung auf dem Lande (vgl. Lorenz).
- Eine einhellige Bewertung gab es bereits 1926/27 nicht:
- Während die Linke Opposition frühzeitig vor agrarkapitalistischen Entwicklungen warnte,
- verwies Stalin diese Auffassungen in das Reich der Panikmache.
- Dennoch ergriff die KP-Führung ab 1926 Maßnahmen zur Beschränkung des politischen und wirtschaftlichen Einflusses der Kulaken.
-
Erschwerend für alle Versuche, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Land und den Städten zu verbessern und den Austausch zu verstärken, kam hinzu, daß die Produktivität der einheimischen Industrie bei weitem nicht ausreichte, den "Hunger" der Bauern nach Industriewaren zu befriedigen.
- Das bedeutete, daß es sich für die Bauern selbst bei Vorhandensein von überschüssigem Getreide nicht zwangsläufig lohnte, dieses dem Markt zur Verfügung zu stellen.
Der Beschaffungsverlauf 1927/28 im ersten Halbjahr
- Ab Spätherbst 1927 gab es einen Mangel an zur Verfügung stehendem Marktgetreide.
- Dieser Mangel wird entweder mit der schlechten Ernte erklärt
- und den unzureichenden Preisen
- oder aber mit einer bewußten Boykotthaltung der Großbauern.
- Über dieses Problem hinaus gab es weitere Mängel, die teilweise im Bereich der Planung und Organisation lagen:
- die geringe finanzielle Ausstattung der Genossenschaften,
- die Schließung vieler Ankaufstellen von Getreide,
- die Ausschaltung der staatlichen Beschaffer,
- die Übertragung des Getreidetransports an die Zentralverbände der Genossenschaften, die dieser Aufgabe nicht gewachsen waren.
Die politischen Maßnahmen der Zentrale und deren Wirkungen
- Die Zurückhaltung von Marktgetreide führte dazu, daß die KPdSU-Führung zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung bereits im Dezember 1927 vor die Alternative gestellt war,
- den Getreideengpaß mit marktwirtschaftlichen Mitteln
- oder mit Zwangsmaßnahmen zu überwinden.
- Die KPdSU-Führung entschied sich für die Beschlagnahme von Getreide.
- Städtische Funktionäre und Arbeiterbrigaden wurden zur Durchsetzung der Konfiskationen eingesetzt.
- Ein Viertel des eingetriebenen Getreides wurde billig an die Kleinbauern verkauft oder als Naturalkredit vergeben.
- Dennoch gelang es nicht, die Mehrheit der Bauernschaft auf die Seite der staatlichen Organe zu ziehen und die Kulaken zu isolieren.
- Auch die Mittelbauern, die in der Summe über das meiste Überschußgetreide verfügten, und zum Teil selbst kleine Bauern waren von Repressalien betroffen.
- Die Folge war die erhebliche Ausdehnung einer antisowjetischen Stimmung auf dem Dorf.
- Die beiden Stalintexte aus dieser Zeit spiegeln die Auseinandersetzungen innerhalb der Parteiführung um den weiteren Kurs und die Konzeptionslosigkeit der Stalingruppe wider.
- Eine sichere Mehrheit gab es für diese Gruppe im ersten Halbjahr 1928 nicht: Insofern sind Zugeständnisse an die Gruppe um Bucharin - "Für niemand ist heute die NEP so vorteilhaft wie für die Sowjemacht" - wenig verwunderlich, werden aber durch Hinweise, "ganze Dörfer" in Kollektivwirtschaften "erfassen" zu wollen, konterkariert.
- Der Stalintext vom Juli 1928 bemüht sich um eine differenziertere Darstellung der spezifischen Ursachen der Getreidekrise, doch finden sich auch hier Andeutungen des späteren Kurses, wenn die Hebung der technischen Ausstattung der Klein- und Mittelbetriebe als nicht mehr ausreichend bezeichnet wird.
Angesichts der Stimmung auf dem Dorf und einer beruhigten Lage an der Beschaffungsfront versuchte es das ZK im Juli 1928 nochmals mit einer Rückkehr zur NEP:
- Die Zwangseintreibung von Getreide wurde untersagt,
- die Erhöhung der Agrarpreise
- und die bessere Versorgung des Dorfes mit Industriegütern beschlossen.
Das ZK-Plenum bekräftigte die Linie des 15. Parteitages,
"...die Produktivität des einzelnen Klein- und Mittelbauern anzuregen und zu erhöhen, weil der Einzelbauer noch für einen erheblichen Zeitraum die Grundeinheit für die Getreideerzeugung sein wird."
Die Ernte 1928/29 und die Maßnahmen der Zentrale
- Die Ernte 1928/29 war erneut nicht gut, die Beschaffungsergebnisse sanken.
- Das war ein Ergebnis der Einschränkungen der Aussaat, die die Bauern vorgenommen hatten.
- Die KPdSU-Führung versuchte einerseits, auf die mangelhafte Getreideversorgung mit Rationierung und Herausnahme von Bevölkerungsteilen aus der zentralen Versorgung zu reagieren.
- Das führte zu einem Aufblühen des Schwarzmarktes in seiner räumlichen Ausdehnung und im Anstieg der Preise. Das Privatkapital erzielte hohe Umsätze und Gewinne.
- Daneben wandten die Staatsorgane erneut den Paragraph 107 des Strafgesetzbuches an,
- der ihnen die Zwangsrequirierungen gestattete,
- die nur mit Terrormaßnahmen durchzuführen waren
- und auf Gegenterror stießen.
- Auch in den Städten war die Lage für die KPdSU sehr heikel geworden, denn die Unruhe vom Land und die Einschränkung der Versorgung sorgten für große Unzufriedenheit.
- Viele Autoren klassifizieren daher die Situation Mitte 1928 als "schwerste innenpolitische Krise" für die Bolschewiki.
- M.E. liegt ein wesentliches Problem bei der Bewertung der Maßnahmen der KP gerade darin, daß im Rückblick kaum zu sagen ist, ob diese politische Gesamtlage zur Rettung der KP-Herrschaft denn überhaupt noch eine andere Politik als die durchgeführte erlaubte.
- Dieses Wertungsproblem stellt sich zum Teil unabhängig von der Anerkennung der Tatsache, daß die Politik der Zwangseintreibungen und der Zwangskollektivierung ökonomisch keine Fortschritte brachte.
- Während die Linke Opposition seit dem 15. Parteitag von 1927 endgültig zerschlagen war,
- stellte die Bucharingruppe, oft als "Rechte Opposition" bezeichnet, bis zum ZK-Plenum im November noch eine Strömung von Gewicht und Einfluß dar.
- Diese Gruppe war der Auffassung, daß sich der freie Warentausch zwischen Stadt und Land nicht nur nicht erschöpft habe, sondern daß Fehler der Wirtschaftspolitik während der NEP - vor allem die unzulängliche Versorgung der Bauern mit Industriewaren - für die Getreidekrise verantwortlich waren: "In Bezug auf die objektiven Bedingungen muß man daran erinnern, daß unsere ökonomische Politik selber ein wesentliches Element der objektiven Bedingungen darstellt".
- Im Herbst 1928 wurden Bucharins "Bemerkungen eines Ökonomen" veröffentlicht, die die Anschauungen der Bucharingruppe hinsichtlich einer vorsichtigen, differenzierten Kollektivierung, die sich an den technischen Möglichkeiten orientierte, umfassend darstellen.
- Kurz darauf, auf dem Plenum des ZK im November 1928, wurde die Bucharingruppe faktisch ausgeschaltet und der Kampf gegen die "Rechte Opposition" offen aufgenommen.
- Ausdruck davon ist der dritte Stalintext aus dem April 1929, der die Ansichten Bucharins verzerrt und die dann eingeschlagenene Politik der Mehrheit nur ungenau wiedergibt.
- Insbesondere die wiederholte Bemerkung, die bäuerliche Einzelwirtschaft werde noch eine lange Zeit die Hauptrolle bei der Versorgung des Landes mit Getreide spielen, wurde in der praktischen Politik nicht mehr berücksichtigt.
- Die Praxis wurde daran ausgerichtet, die "Industrie als die Hauptquelle für die Rekonstruktion der landwirtschaftlichen Produktion in jeder Weise ... in verstärktem Tempo" zu entwickeln.
Juni 1989, fo
38. Dokument 25: Richard Lorenz: Der Zusammenbruch des Getreidemarktes
[aus: Ders.: Sozialgeschichte der Sowjetunion 1, 1917 - 1945, Frankfurt/M. 1976, S. 170 - 181]
5. Der Zusammenbruch des Getreidemarkts
Das Schicksal der Neuen Ökonomischen Politik entschied sich auf dem Getreidemarkt, als die sowjetische Führung versuchte, Schwierigkeiten in der Beschaffungskampagne, die von ihr selbst mitverschuldet waren, auf dem Wege der Zwangsanwendung zu beheben. Der Getreidemarkt war für die gesamte russische Volkswirtschaft nach wie vor von überragender Bedeutung. Auch Ende der zwanziger Jahre entfielen noch mehr als 8o Prozent der Gesamtanbaufläche auf Getreide. Allerdings kam im Durchschnitt nur ungefähr ein Fünftel der Ernte in den Handel außerhalb des Dorfes. Die Getreidemenge, die bei einer Durchschnittsernte für die Versorgung der Stadt und den Export bereitgestellt werden konnte, war daher von vornherein verhältnismäßig gering. Außerdem mußte man infolge der ungünstigen agroklimatischen Verhältnisse häufig mit einer Mißernte rechnen. Oft wurde auch das vorausberechnete Ernteergebnis noch im letzten Augenblick durch die Einwirkung heißer Winde oder durch anhaltendes Regenwetter erheblich vermindert. Vor allem aber gab es keine Gewißheit darüber, ob die Bauern ihre, Überschüsse auch tatsächlich auf den Markt bringen würden, solange der Warenmangel fortbestand und die Industrie ihre Erzeugnisse nur zu stark überhöhten Preisen anbot. So verfolgte die gesamte Öffentlichkeit den Verlauf der Getreidekampagne, die im wesentlichen in den Händen der staatlichen und der genossenschaftlichen Aufkaufsorgane lag, jedes Jahr aufs neue mit gespannter Aufmerksamkeit.
Im Jahre 1927/28 erwartete man zunächst ein hohes Getreideangebot. Das Ernteergebnis entsprach einer guten mittleren Ernte, und da schon in den beiden vorangegangenen Jahren die Ernte günstig ausgefallen war, verfügten die Bauern, die Marktgetreide produzierten, über relativ hohe Überschüsse. Die Regierung war daher überzeugt, daß die Getreideaufkäufe besonders umfangreich ausfallen würden. Schon bald zeigte sich jedoch, daß sich diese Erwartungen nicht erfüllten und die Ankäufe der staatlichen und genossenschaftlichen Organe statt dessen weit hinter dem Plan zurückblieben. Die wohlhabenderen Bauern, die bereits aus den vorangegangenen Jahren über ausreichende Geldmittel verfügten oder die preisgünstigeren Viehzuchtprodukte und technischen Kulturen verkauften, hielten ihr Getreide zurück. Daraufhin mußte der Getreideexport eingeschränkt und schließlich ganz eingestellt werden; außerdem entstanden gewisse Schwierigkeiten bei der Versorgung des inneren Marktes. Da die sowjetische Führung der Auffassung war, das Getreidedefizit sei zufälliger und vorübergehender Natur, unternahm sie zunächst keinerlei besondere Anstrengungen zu seiner Beseitigung. So kam es schließlich gegen Jahresende zu einer regelrechten Getreidekrise; am 1. Januar 1928 lag die zentralisierte Getreidebeschaffung insgesamt um 128 Millionen Pud unter dem Vorjahresergebnis.
In dieser Situation, die - wie das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, wenig später eingestand - weitgehend durch, eigene Fehler, und Versäumnisse verschuldet und demnach vermeidbar war, mußte die sowjetische Führung entscheiden, ob sie das Getreidedefizit - ebenso wie im Jahre 1925/26 mit Hilfe von marktpolitischen Maßnahmen beseitigen oder ob sie zu besonderen Maßregeln greifen wollte. Da bis zur Schneeschmelze, die die Wege weitgehend unbefahrbar machte, nur 2-3 Monate blieben, hielt sie preis- und steuerpolitische Korrekturen für unzureichend. Sie beschloß eine Notaktion, deren Kern die Zwangseintreibung von Getreide bildete.
"Daß unsere Kampagne den Charakter einer Notaktion, einer außerordentlichen Konzentration aller Kräfte annahm", suchte Rykov diese Politik zu rechtfertigen,
"liegt daran, daß dies unter den gegebenen Bedingungen den einzigen zweckmäßigen Ausweg aus den vorhandenen Schwierigkeiten darstellte" Anfang Januar 1928 reisten führende Partei- und Staatsfunktionäre aufs Land, wo sie eine Reihe
"außerordentlicher Maßnahmen" anordneten, die der Beschaffungskampagne immer mehr Zwangscharakter verliehen. Man forderte die Bauern auf, ihre Getreideüberschüsse zu den vom Staat festgesetzten niedrigen Preisen abzuliefern. Wenn sie sich weigerten, nahmen ihnen die Behörden die Überschüsse unter Anwendung des Artikels 107 des Strafgesetzbuches (RSFSR) gewaltsam fort, wozu zahlreiche städtische Funktionäre und teilweise auch Arbeiterbrigaden eingesetzt wurden. In der Regel verteilte man jeweils ein Viertel des konfiszierten Getreides zu niedrigen Staatspreisen oder in Form eines langfristigen Naturalkredits an die armen Bauern, um deren Bedarf zu decken und sie zugleich auf die Seite der Staats- und Parteiorgane zu ziehen. Obwohl sich die Zwangseintreibungen formell nur gegen die Kulaken richteten, waren hiervon de facto alle Bauern betroffen - in erster Linie aber die Mittelbauern, die in ihrer Gesamtheit über das meiste Getreide verfügten. Auch der private Handel, der bislang vorwiegend den Bedarf der getreidearmen Bauern, des Hausgewerbes und der kleineren Städte gedeckt hatte, wurde nun mit Hilfe administrativer Maßnahmen immer mehr unterdrückt. In gleicher Weise ging man gegen das private Mühlengewerbe vor. Die lokalen Behörden, die durch zentrale Direktiven immer wieder zur Erhöhung der Beschaffungsergebnisse angehalten wurden, scheuten dabei vor keinerlei Gewaltanwendung zurück.
Zeitweilig schien es, als sei es gelungen, das Getreidedefizit mit Hilfe der Requisitionen zu beseitigen. Nach einigen Anfangserfolgen gingen jedoch die Beschaffungsergebnisse abermals zurück, so daß die steigende Nachfrage nicht mehr befriedigt werden konnte. Daraufhin wandten die Behörden in noch größerem Umfang Zwangsmaßnahmen an.
"Aber Getreide mußte doch nun einmal aufgebracht werden", erklärte Stalin später lapidar.
"Daher erneute Rückfälle in außerordentliche Maßnahmen, administrative Willkür, Verletzung der revolutionären Gesetzlichkeit, Hofrevisionen, ungesetzliche Haussuchungen usw., wodurch die politische Lage des Landes verschlechtert und der Zusammenschluß zwischen Arbeiterklasse und Bauernschaft gefährdet wurde." Da die Masse der Bauern jedoch im Frühjahr - im Unterschied zu den Wintermonaten - kaum noch über größere Vorräte verfügte und in Erinnerung an die Hungerkatastrophe von 1921 nicht, ihre letzten Reste hergeben wollte, brachte die erneute Gewaltanwendung nur wenig Erfolg. Statt dessen führte der wiederholte Rückgriff auf Zwangsmittel zu wachsenden politischen Spannungen im Lande. Während die Sowjet- und Parteiorganisationen zu Beginn der Notaktion meist von der Dorfarmut unterstützt wurden, verhielt sich diese jetzt zunehmend feindselig, da sie von den Requisitionen selbst indirekt betroffen war: Nach der Beschlagnahme der Vorräte und der Beseitigung der lokalen Märkte waren die bäuerlichen Oberschichten kaum noch in der Lage, den ärmeren Bauern, deren Reserven im Frühjahr regelmäßig zur Neige gingen, Getreide zu verkaufen. Auf diese Weise bildete sich rasch eine Interessengemeinschaft aller ländlichen Schichten gegenüber der Staatsgewalt heraus.
"Das Dorf ist, mit Ausnahme eines kleinen Teils der Dorfarmut, gegen uns eingestellt", schrieb M. I. Frumkin Mitte Juni 1928 an das Zentralkomitee. Auf dem Lande herrschten inzwischen Angst und Panik, die jederzeit in einen offenen Aufstand umschlagen konnten. Auch die Städte und Industriezentren wurden immer mehr von der allgemeinen Unzufriedenheit erfaßt. Das politische System stand im Sommer 1928 vor seiner schwersten inneren Krise seit dem Kronstädter Aufstand im Frühjahr 1921.
Um eine weitere Zuspitzung der Situation, die zum offenen Bürgerkrieg hätte führen können, zu vermeiden, begann die sowjetische Führung, die Marktbeziehungen zwischen Stadt und Land schrittweise wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang hob sie immer wieder hervor, daß die Neue Ökonomische Politik
"für eine lange geschichtliche Periode" Gültigkeit habe und zugleich die Gewähr dafür biete, in Rußland eine sozialistische Ordnung zu errichten.
"Die Neue Ökonomische Politik ist gerade der Weg, den die Partei fest entschlossen geht und über den allein eine sozialistische Umgestaltung der Wirtschaft des Landes möglich ist", erklärte das Zentralkomitee im April 1928 dezidiert. An eine Rückkehr zum System des Kriegskommunismus, der auf der Zwangsablieferung beruht hatte, sei nicht zu denken - so wurde den Bauern versichert. Im Juli 1928 beschloß das Zentralkomitee schließlich, alle außerordentlichen Maßnahmen endgültig aufzuheben und den Getreidepreis, abgestuft nach Bezirken und Sorten, um 10 - 20 Prozent zu erhöhen. Um künftigen Schwierigkeiten vorzubeugen, sollten - vorab in landreichen und dünn besiedelten Gebieten - große Staatsgüter, sogenannte Getreidefabriken, errichtet werden, die auf moderner Technik basierten. Zugleich wurde eine großangelegte Kampagne zur Durchführung einfacher agrikultureller Maßnahmen in den Bauernwirtschaften eingeleitet, wodurch sich der durchschnittliche Ernteertrag innerhalb eines Jahrfünfts um 30 - 35 Prozent erhöhen sollte. Damit schien der Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik wiederhergestellt.
Als sich jedoch die Erhöhung der Getreidepreise als unzureichend erwies und im Winter 1928/29 die Beschaffungsergebnisse ebenso wie im Vorjahr weit hinter dem Plan zurückblieben , griff man - trotz der wenige Monate zuvor gefaßten Beschlüsse - erneut zu Zwangsmitteln. Die Bauern, die Getreide zurückhielten, wurden nun aus den Genossenschaften ausgeschlossen und erhielten keine Industriewaren und Kredite mehr. Die lokalen Behörden organisierten Dorfversammlungen, um dort mit Hilfe städtischer Parteifunktionäre massiven Druck auf die Bauern auszuüben. Kamen diese der Aufforderung, Getreide abzugeben, nicht nach, so wurden sie entweder zu einer hohen Geldstrafe verurteilt oder häufig auch enteignet und ausgesiedelt. So kam es bereits während der Getreidekampagne 1928/29 zu einer teilweisen
"Entkulakisierung". Die wohlhabenderen Bauern versuchten, sich gegen die Staatsgewalt mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Die Presse berichtete in diesem Zusammenhang fast täglich von Brandstiftung, Mord und Totschlag auf dem Lande. Zahlreiche Dorfkorrespondenten und Funktionäre fielen dem Gegenterror, der äußerster Verzweiflung entsprang, zum Opfer. Die Getreidebeschaffung aber konnte auch durch Anwendung rigoroser Zwangsmittel nicht mehr gesteigert werden. Der ursprüngliche Plan für 1928/29 blieb unerfüllt, so daß es nur durch eine immer strengere Rationierung gelang, in diesem Jahr ohne Getreideeinfuhr auszukommen.
Nach den massiven staatlichen Eingriffen in den Jahren 1927/28 und 1928/29 hätte nur noch eine entschiedene Rückkehr zu den Prinzipien der Neuen Ökonomischen Politik zu einer Verbesserung der Situation führen können. Die Regierung aber dekretierte kurz vor der Ernte im Sommer 1929 - entgegen allen vorherigen Versicherungen - die obligatorische Ablieferungspflicht, wie sie bereits zur Zeit des Kriegskommunismus bestanden hatte. Die lokalen Partei- und Sowjetorgane sollten die Getreideüberschüsse bei den Bauern ermitteln und für die einzelnen Höfe bestimmte Normen festsetzen, die auf Dorfversammlungen zu bestätigen waren. Damit wollte man die Bauern zwingen, den örtlichen Beschaffungsplan zu erfüllen. Spezielle Kommissionen hatten die Einhaltung der Ablieferungssätze zu kontrollieren. Die Dorfsowjets erhielten in diesem Zusammenhang das Recht, Prämien auszuteilen und Strafen zu verhängen. Sie durften den Bauern, die sich der Ablieferungspflicht zu entziehen versuchten, hohe Geldbußen auferlegen und notfalls deren gesamten Besitz beschlagnahmen und versteigern. Soweit bestimmte bäuerliche Gruppen Widerstand gegen den on der Dorfversammlung beschlossenen Beschaffungsplan leisteten, waren die lokalen Sowjets berechtigt, strafrechtliche Verfolgung zu beantragen. Auf diese Weise verlor die Bauernschaft jede Möglichkeit, über ihre Überschüsse frei zu verfügen. Der lokale Handel wurde unterbunden, und ein privater Getreidemarkt existierte nur noch illegal. Die Gesamtheit der für die Getreidekampagne 1929/30 beschlossenen Maßnahmen bedeutete die endgültige Abkehr von den marktpolitischen Prinzipien der Neuen Ökonomischen Politik.
Die sowjetische Führung forderte die lokalen Behörden zur rücksichtslosen Durchsetzung der neuen Direktiven auf, mobilisierte den Partei- und Staatsapparat und scheute nun auch vor dem Einsatz militärischer Mittel nicht mehr zurück.
Während man den Bauern bisher gewöhnlich noch ein Minimum an Brot-, Futter- und Saatgetreide belassen hatte, wurden ihnen jetzt alle Reserven fortgenommen. Um sich selbst zu entlasten, erhöhte die Dorfarmut die Ablieferungsnormen der wohlhabenderen Bauern in einem Maße, daß sie nicht mehr zu erfüllen waren. Diese mußten daraufhin nicht nur Vieh und Inventar, sondern oft auch Hausrat, Möbel sowie Wirtschafts- und Wohngebäude verkaufen, um die fehlenden Getreidemengen zunächst einmal auf dem Markt hinzukaufen zu können. Als der Privathandel verboten wurde, fiel auch diese Möglichkeit fort. Konfiskationen, Versteigerungen und Aussiedlungen waren daher seit dem Sommer 1929 im russischen Dorf an der Tagesordnung. Die Wirtschaften der wohlhabenderen Schichten gelangten massenweise zur Auflösung. Angesichts der bevorstehenden Enteignung schritten zahlreiche Kulaken und wohlhabende Mittelbauern zur Selbstliquidierung: Sie schränkten die Aussaat ein, schlachteten das Vieh ab und verkauften ihr Inventar. Dieser Prozeß der Selbstliquidierung, der bald Massencharakter annahm, fügte vor allem der Viehwirtschaft größten Schaden zu. Bereits im Jahre 1929 gingen die Zahl der Pferde um 2,6 Millionen und die der Rinder um 76 Millionen Stück zurück.
Da sich viele Bauern gegen die staatliche Zwangsanwendung wehrten, kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Jagd nach Getreide war fast überall von Terror und Gegenterror begleitet. Von einem befriedeten Dorf, das bisher als wichtigste politische Errungenschaft der Neuen Ökonomischen Politik galt, konnte keine Rede mehr sein. Auf dem Lande - namentlich in den südlichen Gebieten - herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, die der Smycka jede Grundlage entzogen und eine schwere Erschütterung des bestehenden politischen Systems bedeuteten.
Im Ergebnis führten die wiederholten Versuche, die Getreidekrise mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen zu beseitigen, zu einer Stagnation der landwirtschaftlichen Produktivkräfte, die vor allem in der Verringerung der Aussaat und im Rückgang der Viehzucht zum Ausdruck kam. Während der Bedarf an Nahrungsmitteln und Rohstoffen infolge der beschleunigten Industrialisierung ständig anstieg, wurde so die landwirtschaftliche Entwicklungsbasis immer weiter eingeschränkt. Im Unterschied zur Industrieproduktion, deren Wachstumstempo Ende der zwanziger Jahre kontinuierlich zunahm, sank der Zuwachs der Agrarproduktion von 4,1 Prozent 1927 auf 3,2 Prozent im folgenden Jahr und auf 3 Prozent 1929. Die Landwirtschaft blieb auf diese Weise immer weiter hinter der Industrie zurück.
Die Stagnation in der Landwirtschaft hatte verhängnisvolle Folgen für das gesamte wirtschaftliche Aufbauprogramm. So bedeutete die Einstellung des Getreideexports, zu der sich die Regierung gezwungen sah, daß man wegen fehlender Devisen nicht die dringend benötigten ausländischen Maschinen und Rohstoffe einkaufen konnte; der Ausfall an Exportgetreide ließ sich auch nicht durch andere Agrarerzeugnisse und Rohstoffe ausgleichen. Die Leichtindustrie war infolge von Rohstoffmangel nicht mehr in der Lage, ihre Kapazitäten auszulasten; zahlreiche Textilfabriken standen still, weil es an Leinen und Baumwolle fehlte. Die stockende Rohstoffzufuhr rief immer wieder Produktionsstörungen und Leerlauf hervor, so daß es zu erheblichen Desorganisationserscheinungen kam. Als die Regierung versuchte, durch die Expropriation des Privatkapitals den Aufkauf und die Verarbeitung der Rohstoffe zu monopolisieren, bewirkte das zunächst einen weiteren Produktionsausfall. Vor allem aber verschlechterte sich die Versorgungslage. Der Mangel Grundnahrungsmitteln führte - besonders im privaten Handel - zu bedeutenden Preissteigerungen, so daß der Reallohn der Arbeiterschaft im Jahre 1928 zum erstenmal seit dem Übergang zur Neuen Ökonomischen Politik eine rückläufige Tendenz aufwies.
Daraufhin führte die Regierung schrittweise das Kartensystem ein; in den Jahren 1928 und 1929 wurde zunächst in den Städten und Industriesiedlungen der Ukraine, später auch in anderen Landesteilen mit der zentralisierten Lebensmittelverteilung begonnen. Solange jedoch breite Bevölkerungskreise aus dem Rationierungssystem ausgenommen waren, stiegen die Preise auf dem freien Markt weiter. Das staatliche und genossenschaftliche Handelsnetz aber war zu wenig ausgebaut, um die Funktionen des privaten Handels mit einem Schlage übernehmen zu können. So kam es schließlich zu einer inflationären Entwicklung, durch die der Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung herabgedrückt wurde. Unter der Arbeiterschaft griff zunehmend Unzufriedenheit um sich, die sich in innerbetrieblichen Spannungen, einer hohen Fluktuationsquote und vor allem in nachlassender Arbeitsdisziplin bemerkbar machte. Während der industrielle Aufbau höhere Anforderungen stellte, zeigten die durchschnittlichen Arbeitsleistungen eine sinkende Tendenz. Um die Produktionspläne trotzdem erfüllen zu können, stellten die Betriebsleitungen immer neue Arbeitskräfte ein, woraufhin jedoch andere Schwierigkeiten auftraten. So wurde durch den Zusammenbruch des Getreidemarkts schließlich das gesamte Industrialisierungsprogramm in Frage gestellt.
In dieser krisenhaften Situation, in der nicht nur die erweiterte Reproduktion der Volkswirtschaft, sondern - infolge der Massenunzufriedenheit - auch die Stabilität des bestehenden politischen Systems bedroht war, stand die Zukunft der sowjetischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zur Entscheidung. Dabei ging es darum, ob die eingeleiteten Zwangsmaßnahmen fortgeführt und zu einem umfassenden System ausgebaut werden sollten, oder, ob man zu den Prinzipien der Neuen Ökonomischen Politik zurückkehren wollte, die ja - Lenin zufolge -
"ökonomisch und politisch vollauf die Möglichkeit sichert, das Fundament der sozialistischen Gesellschaft zu errichten" . Bisher waren die Möglichkeiten der Neuen Ökonomischen Politik nur wenig ausgeschöpft worden, wie gerade die Getreidekrise gezeigt hatte. Entgegen allen Absichtserklärungen der sowjetischen Führung hatte die Landwirtschaft durch die Industrie, die sich nur zu einem geringen Teil an den persönlichen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der Bauern orientierte, viel zu wenig Unterstützung erfahren. In diesem Sinne bildete eine verfehlte Wirtschaftspolitik die wichtigste objektive Ursache der Getreidekrise.
"In bezug auf die objektiven Bedingungen muß man daran erinnern", erklärte Rykov in einer nachträglichen Analyse,
"daß unsere ökonomische Politik selber ein wesentliches und mitunter entscheidendes Element der ´objektiven Bedingungen´ darstellt." Die Rückkehr zu den Zwangseintreibungen, durch die der Staat den Bauern - ebenso wie in der Periode des Kriegskommunismus - offen als Expropriateur gegenübertrat, mußte die Schwierigkeiten notwendigerweise noch vergrößern. Daher kam es darauf an, zunächst einmal die Requisitionspraxis abzuschaffen und dann die Landwirtschaft in erweitertem Umfange sowohl mit Konsumtions- als auch mit Produktionsmitteln zu versorgen.
Eine solche Lösung der Krise wurde zwischen 1927 und 1929 vor allem von Bucharin, Rykov und Tomskij vorgeschlagen. Nachdem sie ursprünglich eine kurzfristige Rückkehr zu Zwangsmaßnahmen in Form einer einmaligen Notaktion befürwortet hatten, traten sie energisch für deren konsequente Aufhebung ein, als sie die verhängnisvollen Auswirkungen erkannt hatten. Sie bezeichneten die Wiederaufnahme der Requisitionen im Jahre 1928/29 als
"militärisch-feudale Ausbeutung der Bauernschaft", wie sie bereits der Zarismus betrieben habe, und forderten statt dessen einen Äquivalentenaustausch zwischen Stadt und Land. Zugleich sollten die kleineren und mittleren Bauern für eine Verbesserung der Ackerbaukultur mobilisiert werden. Das Kollektivierungstempo hatte sich nach ihrer Auffassung an den jeweiligen Möglichkeiten zu orientieren, die landwirtschaftlichen Großbetriebe mit moderner Technik und qualifizierten Fachleuten auszurüsten. Durch differenzierte kollektivwirtschaftliche Organisationsformen konnte den vielfältigen Entwicklungsbedingungen in der Landwirtschaft entsprochen werden. Dabei sollte sich die kollektivwirtschaftliche Bewegung zunächst vor allem auf den Ackerbau beschränken, da die Vergesellschaftung der Viehwirtschaft eine längerfristige materielle und psychologische Vorbereitung benötigte. Durch eine solche Agrarpolitik, die mit einer breitangelegten politischen Aufklärungskampagne zu verbinden war, hoffte man, den wirtschaftlichen Ansporn für die bäuerliche Produktion und damit die Voraussetzungen für die Smycka wiederherzustellen. Auf diese Weise würde langfristig auch die Entwicklungsbasis der Industrie gesichert werden. In diesem Zusammenhang traten Bucharin, Rykov und Tomskij für eine Industrialisierungsstrategie ein, die sich am Prinzip einer relativen Proportionalität orientierte. Ihr Programm erschöpfte sich aber nicht in einer ökonomischen Entwicklungsstrategie, sondern enthielt auch eine Reihe politischer Vorschläge, die auf eine Erweiterung der innerparteilichen Demokratie, eine antibürokratische Reform des gesamten Partei- und Staatsapparats sowie eine Dezentralisierung der Leitungs- und Verwaltungsfunktionen zielen.
"Wir sind viel zu sehr zentralisiert", schrieb Bucharin im September 1928.
"Wir müssen uns fragen, ob wir nicht ein paar Schritte in Richtung auf Lenins Kommunestaat tun können." Den städtischen und ländlichen Sowjets sollten mehr Entscheidungsbefugnisse und den Gewerkschaften größere Autonomie eingeräumt werden. Auf diese Weise könnte in der Sowjetunion, wie Buchanin meinte, zumindest ein rückständiger Typus des Sozialismus verwirklicht werden.
Ein solches Programm, das die Ergebnisse der Industrialisierungs- und Agrardebatte aufgriff und politisch - ebenso wie die Forderungen der Linken Opposition - an die ursprüngliche revolutionäre Konzeption der Bolschewiki anzuknüpfen suchte, entsprach unter den konkreten Bedingungen am ehesten dem gesellschaftlichen Gesamtinteresse. Es hätte einen ständigen wirtschaftlichen Fortschritt und zugleich eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen gewährleistet. Da es die Mitbestimmung der arbeitenden Bevölkerung zu sichern versuchte, würde ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Kontrolle erhalten bleiben, wodurch eine völlige Verselbständigung des Partei- und Staatsapparats verhindert werden konnte. Das Programm kam sowohl den Bedürfnissen der bäuerlichen Massen als auch der Arbeiterschaft entgegen. Von kapitalistischen Elementen aber konnte ihm kaum Widerstand begegnen, da inzwischen das Privatkapital in Industrie und Handel weitgehend expropriiert worden war und auch die bäuerlichen Oberschichten ihre Machtpositionen eingebüßt hatten.
Die Alternative zu einem solchen Programm konnte nur in der Errichtung eines allumfassenden Zwangssystems bestehen, mit der bereits begonnen worden war. Mit seiner Hilfe vermochte die sowjetische Führung zwar ihre Macht auch dann zu behaupten, wenn sie sich über die Interessen der Arbeiterschaft und vor allem der Bauernschaft hinwegsetzte. Das würde jedoch die politischen Voraussetzungen für eine sozialistische Entwicklung in Rußland endgültig beseitigen. Unmittelbar nach der Oktoberrevolution hatte Lenin im Hinblick auf die Agrarpolitik der Partei erklärt:
"Der Wille der Mehrheit ist für uns stets verbindlich, und diesem Willen zuwiderhandeln heißt Verrat üben an der Revolution." 1917 waren die Bolschewiki gerade deshalb an die Macht gelangt, weil ihre politische Strategie dieser Maxime entsprochen hatte. 1921 war es ihnen gelungen, die Macht zu behaupten, weil sie diese Maxime wieder aufgegriffen hatten. Im Jahre 1929 schließlich hing die Zukunft des Sozialismus in Rußland davon ab, ob die Kommunistische Partei noch einmal bereit und in der Lage war, zu dieser Maxime zurückzukehren.
Anmerkungen (Die Originalnummerierung ist für html-format aus Eindeutigkeitsgründen mit Kapitelnummer indiziert worden):
Vor dem Kriege betrug der Anteil der Saatfläche für Getreide 89,5 Prozent, zur Zeit der Neuen Ökonoomischen Politik 83,8 Prozent. Der Anteil der Saatfläche für technische Kulturen stieg entsprechend von 10,5 Prozent auf 16,2 Prozent. P. Ljascenko, Perspektivy zernogo chozjajstva i gosudarstvennye ´zernovye fabriki, in: Ekonomiceskoe obozrenie (1928) Nr. 6, S. 18.
Ein Vergleich mit dem Vorjahr macht die fallende Tendenz der staatlichen und genossenschaftlichen Getreidebeschaffung deutlich:
Tabelle: Zentralisierte Getreidebeschaffung (in 1ooo t)
Monat | 1926/27 | 1927/28 |
Juli | 226 | 228 |
August | 767 | 998 |
September | 1424 | 1382 |
Oktober | 1540 | 1074 |
November | 1560 | 696 |
Dezember | 1505 | 696 |
Pokazateli kon-junktusy narodnogo chozjajstva SSSR za 1923/24 - 1928/29 gg. Hrsg von A. Mendelson. Moskau 1930, S. 51. Dazu R. Lorenz, Die Stagnation der sowjetischen Getreidewirtschaft zwischen 1927 und 1929, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas (1970) Nr. 3, S. 389 - 425; Lewin, The Immediate Background, J. F. Karcz, Thoughts on the Grain Problem, in: Soviet Studies (1966/67) Nr. 18. S. 399 - 434; Back on the Grain Front, in: Soviet Studies (1970/75) Nr. 22, S. 262 - 294.
0. A. Markiewicz, Soviet Administration and the Grain Crisis 1927 - 28, in: Soviet Studies (1968/69) Nr. 20, S. 235 - 241.
Pravda vom 11. März 1928.
Vgl. G. A. Konjuchov, KPSS v borbes chlebnyemi zatrudnenijami v strane 1928 - 1929. Moskau 1960.
Stalin, Werke, Bd. 11, S. 183.
Zitiert bei Stalin, Werke, Bd. 11, S. 240.
Ebenda, S. 14; vgl. KPSS v rezoljuciyach i resenijach, Bd. 4, S. 75 ff.
Im Jahre 1928 war allerdings auch das Ernteergebnis zurückgegangen, wobei sich neben ungünstigen Witterungsverhältnissen - vor allem in der Ukraine und im Nordkaukasus - bereits die staatliche Zwangsanwendung bemerkbar machte.
Ju. A. Moäkov, Zernovaja problema v gody sploinoj kollektivizacii (1929 bis 1932 gg). Moskau 1966, S. 61 ff.
Vgl. Lewin, The Immediate Background; R. Beermann, The Grain Problem and Anti-Speculation Laws, in: Soviet Studies (1967/68) Nr. 19, S. 126 - 128.
R. Rabinowitz, Arbeitszeit- und Arbeitslohnpolitik in der Sowjetischen Industrie. Rostock 1931; S. M. Schwarz, Arbeiterklasse und Arbeitspolitik in der UdSSR. Hamburg 1953, S. 144 ff.
Es traf genau das ein, was Stalin Ende November 1927 vorausgesagt hatte, falls es zu Spannungen zwischen dem Staat und der Bauernschaft kommen würde:
"Eine Politik des Zerwürfnisses mit der Mehrheit der Bauernschaft betreiben heißt, den Bürgerkrieg im Dorfe eröffnen, die Versorgung unserer Industrie mit Rohstoffen der bäuerlichen Wirtschaft (Baumwolle, Zuckerrüben, Flachs, Leder, Wolle usw.) erschweren, die Versorgung der Arbeiterklasse mit landwirtschaftlichen Produkten desorganisieren, die eigentlichen Grundlagen unserer Leichtindustrie untergraben, unsere ganze Aufbauarbeit vereiteln, unseren ganzen Plan der Industrialisierung des Landes vereiteln." Stalin, Werke, Bd. 10, S. 224.
Lenin, Werke, Bd. 33, S. 237 f.
A. I. Rykov, Tekuscij moment i zadaci partii. Moskau/Leningrad 1928, S. 31 f.
Bronger, Der Kampf um die sowjetische Agrarpolitik S. 155 ff.; Daniels, Das Gewissen der Revolution, S. 373; M. Lewin, Russian Peasant and Soviet Power. A study of Collectivization. London 1968, S. 294 ff.
Stalin, Werke, Bd. 11, S. 285 - 291; ebenda, Bd. 12, S. 1 - 95.
Pravda vom 30. September 1928.
Lenin, Werke, Bd. 28, S. 570.
39. Dokumente 26 - 28: Josef Stalin: Die Frage der Getreidebeschaffung - Fragen des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR - Über die rechte Abweichung in der KPdSU (B)
Die Frage der Getreidebeschaftung - von Frühjahr 1928
Fragen des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR - vom Juli 1928
Über die rechte Abweichung in der KPdSU (B) - vom April 1929
Die drei Artikel sind herunterladbar von: www.stalinwerke.de
bzw dortigen weiteren Hinweisen auf Stalin-websites
42. Dokumente 29: N. Bucharin: Bemerkungen eines Ökonomen
Der Artikel ist herunterladbar von z.B.: www.ml-werke.de
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