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Skript zu Friedrich Engels 'Brief an Bebel'
( orginal )
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Letzte Bearbeitung |
07/2004 |
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1. Auswertung von Friedrich Engels 'Brief an Bebel'
1. Auswertung von Friedrich Engels 'Brief an Bebel'
Seitenzahlen verweisen auf:
Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz
Verlag, Berlin. Band 19, 4. Auflage 1973, unveränderter Nachdruck der 1.
Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 3-9.
Friedrich Engels [Brief an
Bebel]
Nach: August Bebel,
"Aus meinem Leben", 2. Teil, Stuttgart 1911.
{"In den entscheidenden
Augenblicken der deutschen Geschichte waren es immer wir, die die richtigen
Entscheidungen getroffen haben" (Gerhard Schröder, 2004, über die SPD)(d.V.)}
Ausgangssituation: Zu
Anfang der 1870er Jahre kristallisieren sich zwei Pole der innerhalb der
sozialistischen Parteien in Deutschland heraus:
Die Sozialdemokratische
Arbeiterpartei ("Eisenacher"), geführt von August Bebel und Wilhelm Liebknecht,
als die fortschrittlich ausgerichtete Minderheit.
Der Allgemeine Deutsche
Arbeiterverein ("Lassalleaner"), geführt von Ferdinand Lassalle, als
konservativ ausgerichtete Mehrheit.
Auf dem Gothaer
Vereinigungsparteitag vom 22. bis 27. Mai 1875 erfolgt die Vereinigung dieser
beiden Richtungen zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands. "Damit
erhielt die Partei der deutschen Arbeiterklasse endgültig einen
gesamtnationalen Charakter. Die vereinigte Partei trug bis 1890 den Namen
Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands. Der dem Gothaer
Vereinigungsparteitag vorgelegte Programmentwurf der vereinigten Partei
enthielt jedoch ernste Fehler und prinzipielle Zugeständnisse an den
Lassalleanismus. Mitverfasser des Entwurfs war Wilhelm Liebknecht, der in
dieser Frage eine versöhnlerische Haltung einnahm. Marx und Engels billigten
die Gründung einer einheitlichen sozialistischen Partei in Deutschland, traten
aber gegen den ideologischen Kompromiss mit den Lassalleanern auf und
unterzogen den fehlerhaften Thesen des Programmentwurfs einer scharfen Kritik.
Trotz dieser Kritik wurde der Entwurf mit nur unwesentlichen Änderungen vom
Parteitag angenommen." (Anmerkung 2 zu F. Engels: "Vorwort zu Karl Marx' Kritik
des Gothaer Programms", MEW Bd. 22, S. 90/91)
In der Vorbereitungsphase
des Gothaer Parteitags (18./28. März 1875), nachdem er Kenntnis vom
Programmentwurf für den Vereinigungsparteitag gewonnen hatte, schreibt Engels
diesen Brief an August Bebel, um eine Kritik des Programmentwurfs zu
formulieren.
Die bewussten Elemente der
Bewegung sind wie gewohnt in der Minderheit; aus strategischen Gründen bietet
die Minderheit der konservativen Mehrheit jahrelang die Hand, wird jedoch
zurückgewiesen (wie üblich). In der Krisensituation 1875 (1. deutscher
Börsencrash im Gefolge der noch nicht abgebauten Überproduktion für den Krieg
1870/71) reichen die Lassalleaner (Mehrheit) nun aber plötzlich der Minderheit
die Hand, um " in der öffentlichen Arbeitermeinung ihre erschütterte Stellung"
wieder zu gewinnen. Engels rät, "die Vereinigung abhängig machen von dem Grade
ihrer [der Lassalleaner] Bereitwilligkeit, ihre Sektenstichworte und ihre
Staatshilfe fallenzulassen und im wesentlichen das Eisenacher Programm von 1869
oder eine für den heutigen Zeitpunkt angemessene verbesserte Ausgabe desselben
anzunehmen."
Wesentlicher Knackpunkt ist
dabei die Frage der Staatshilfe (Staatskredite), die Lassalle für den Aufbau
von Arbeitergenossenschaften in Anspruch nehmen will. Engels und Bebel setzen
zwar auch auf Genossenschaften, jedoch sehen sie in staatlicher Unterstützung
einen Bruch mit der revolutionären Ausrichtung der Arbeiterbewegung.
{Anm.: Derselbe Konflikt
taucht später in der Sowjetunion zwischen Trotzki ("permanente Revolution") und
Stalin (Reformen über den Staats- und Parteiapparat) wieder auf.(d.V.)}
{Ein fortschrittliches
Programm darf aus kommunistischer Warte keine Staatshilfe einfordern! (d.V.)}
Engels
fordert von den Lassalleanern die Einstufung der Staatskredite "...als eine
untergeordnete Übergangsmaßregel unter und neben vielen möglichen anderen".
{Anm. 2: Beim Verlangen nach
staatlicher Finanzierung taucht der spezifisch deutsche Aberglaube an den Staat
wieder auf, wie ihn Engels bereits im Vorwort zum "Bürgerkrieg in Frankreich"
charakterisiert. Deutschland (wie auch Japan) konnte Mitte/Ende 19. Jh. nur
unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfe einen nachholenden Kapitalismus
inszenieren (siehe z. B. die Entwicklung des dreisäuligen dt.
Bankensystems)(d.V.)}
Der erste Kritikpunkt von
Engels bezieht sich auf die Problematik der Volksfrontpolitik. 1870 hatte sich
in Frankreich herausgestellt, dass das dortige Kleinbürgertum (als möglicher
Bündnispartner der revolutionären Arbeiterklasse) bereits verspießert war. Nach
Abklingen der revolutionären Phasen in Westeuropa bis 1923 war das
Kleinbürgertum dann vollends reaktionär geworden. Die heutigen Arbeiterparteien
auf ihrem permanenten Weg nach rechts sind als durch und durch verbürgerlicht
einzustufen. Engels weist auf die historische Rolle und auf die genannte
Entwicklung der kleinbürgerlichen Kräfte hin. Ein Bündnis mit dem Kleinbürgertum
war zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland aber noch möglich und auch
notwendig!
Der "Volksstaat" als
Zeitungsorgan verweist darauf, dass die sozialdemokratische Arbeiterpartei sich
erst 1870 von der kleinbürgerlichen Volkspartei getrennt hatte. Zur Spaltung
kam es erst bei Liebknechts und Bebels Ablehnung der Kriegskredite für den
preußischen Krieg gegen Frankreich. Daher aber noch weitgehende ideologische
Übereinstimmung zwischen der Arbeiterbewegung und kleinbürgerlichen
Schichten.
Zweitens verweist Engels
auf die im Programmentwurf verleugnete "internationale Haltung" der deutschen
Arbeiterklasse, die ja gerade durch die parlamentarische Ablehnung der
Kriegskredite aus Gründen internationaler proletarischer Solidarität zum
Ausdruck gekommen war. Im Programmentwurf wird nun aber nur noch auf eine
Politik der "internationalen Völkerverbrüderung" im Sinne der von Hugo und
Garibaldi gegründeten und von Bakunin stark beeinflussten Friedensliga Bezug
genommen.
Drittens kritisiert Engels
die Übernahme des Lassalleschen "ehernen Lohngesetzes" im Programmentwurf.
Diese Theorie fußt auf der überkommenen Malthus'schen Erklärung des
unveränderlichen Minimallohnes aufgrund einer absoluten Überbevölkerung in
Bezug auf den Stand der Agrarproduktion. Marx hatte aber damals schon längst
schlüssig nachgewiesen (MEW Bd. 23, 23. Kap.: "Der Akkumulationsprozess des
Kapitals"), dass die Produktivkraftentwicklung des industriellen Kapitals immer
wieder zur Erhöhung der Produktion des relativen Mehrwerts führen musste und
damit auch zu einer relativen Überbevölkerung, die stetig im Wachsen begriffen
war. Die konjunkturelle Ausprägung der Kapitalbewegung hatte immer wieder dazu
geführt, dass die Arbeiterlöhne in Boomphasen über dem Minimum, in
Depressionsphasen aber auch unter dem
Minimum lagen. Eine dauerhafte Spreizung zwischen diesen beiden Polen ist auch
für weltregionale Unterschiede zu konstatieren. Unter dem Minimum liegen bspw.
Löhne von Arbeitern in China, deren Kinder gezwungen sind, für das
Zustandekommen des notwendigen Familieneinkommens Fußbälle zu nähen.
Mit dem von Lassalle
adaptierten "ehernen Lohngesetz" wird demzufolge den lohnabhängig Arbeitenden
Sand in die Augen gestreut.
Viertens brandmarkt Engels
die bereits oben diskutierte Forderung Lassalles nach Staatskrediten für den
Aufbau
von Produktionsgenossenschaften als eine den Republikanern abgekupferte
irreführende Heilsversprechung. Staatliche Zuschüsse können für Engels "im
besten
Falle" eine mögliche Maßnahme unter vielen anderen sein, um genossenschaftliche
Produktion und damit letztendlich die Abschaffung der Lohnarbeit und Aufhebung
der
Klassengesellschaft voranzutreiben.
Anm.: Die Situation bspw. in
der DDR blieb von diesen Standpunkten Engels' völlig unbeleckt. Diese
Programmpunkte wurden als Historie abgetan. Dieses Dilemma lässt sich
zurückführen auf die "steckengebliebene Revolution" in Deutschland bzw.
Westeuropa
in den Jahren 1918 ff., womit verpasst wurde, der nötigen Entwicklung der
Produktivkräfte zur Nutzung für das internationale Proletariat zum Durchbruch
zu verhelfen.
Fünftens kritisiert Engels
die Vernachlässigung der Erwähnung von Gewerksgenossenschaften
(=Gewerkschaften?) als "die eigentliche Klassenorganisation des Proletariats,
in der es seine täglichen Kämpfe mit dem Kapital durchficht, in der es sich
schult und das heute platterdings nicht mehr kaputt zu machen ist."
Im Gefolge stellt Engels
völlig klar, was unter einer fortschrittlichen proletarischen Staatsauffassung
zu verstehen ist: nicht um das Festhalten am Staat, etwa in seiner Ausprägung
als Volksstaat geht es, sondern perspektivisch um die Abschaffung des
Staates.
"Gleichheit" als Forderung
der französischen Revolution hatte ihre historische Berechtigung, ist in dieser
unpräzisen Form aber nicht mehr als proletarische Forderung aufrecht zu
erhalten.
{Anm.: Heute findet man den Begriff in seiner dialektischen
Weiterentwicklung als taktisches Mittel etwa im Namen der "Partei der sozialen
Gleichheit" in klarer Absetzung vom Verständnis zu Zeiten der frz.
Revolution.(d.V.)}
Zur Rolle von Marx und
Engels als Parteitheoretiker stellt Engels klar, dass es ihrerseits hinsichtlich
der Parteilinie niemals um Befehlsdemagogie geht - dass aber bei einer Annahme
des vorliegenden Entwurfes ihre Distanzierung von der vereinigten
Arbeiterpartei anstünde. Ein Parteiprogramm als formale Absichtserklärung ist
nach Engels' Worten zwar viel weniger wichtig, als dass, was die Partei
wirklich tut. Es geht ihm aber um die strategische Funktion von
Parteiprogrammen. Denn zu späteren Zeitpunkten könnte es dann unmöglich werden,
sich wieder von einmal ausgesprochenen rückschrittlichen Forderungen zu
distanzieren. Deswegen sollten neue Programme wenigstens keine Rückschritte
enthalten.
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