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Team | Peter Heilbronn |
Thema | Zanon - Argentinien ( original ) |
Status | Vortrag zum Weilar-Seminar 07/2004 |
Letzte Bearbeitung | 07/2004 |
Home | www.mxks.de |
2.1. Wirtschaftlicher Niedergang3. Besetzte Betriebe
2.2. Alle sollen verschwinden
2.3. Zeitliche Übersicht
2.4. Revolutionäre Situation?
3.1. Von Illegalität zur Legalität4. Anhang
3.2. Zanon - es braucht keine Chefs
4.1. Anmerkungen
4.2. Quellen
1. Einführung
2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1. Wirtschaftlicher Niedergang
Die Grundlage der Probleme rühren noch aus der Zeit der Militärdiktatur, in
welcher eine massive Verschuldung gefahren wurde, die Auslandsschulden
verfünfachten sich während der Junta und der Anteil der Löhne am BIP sanken von
43% auf 22%. Dies funktionierte im Zusammenhang mit Absenken der Schutzzölle,
Öffnung zum Weltmarkt und steigender Einfluss des IWF und
Weltbank über deren Kreditvergabe auf die Politik. Die Kredite wurden
dann teilweise von den Eliten auf Auslandskonten und Scheinfirmen in Sicherheit
gebracht.
| [Militärjunta] |
Auch begann der Staat teilweise die Schulden privater Unternehmen, darunter
Niederlassungen transnationaler Konzerne (Mercedes, Renault,...) unter welchen
sich auch Banken wie Deutsche Bank befanden. Also wurden ironischerweise die
Schulden der Gläubiger übernommen. Zudem gab es eine von IWF geforderte
Privatisierungswelle von so schuldenfrei verkauften Staatsbetrieben.
Die Schuldentilgung verlief denn auch über die breiten Massen, mit
Mehrwertsteuererhöhung, Reallohnsenkung,... Also das übliche der
Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste. Dieser
Prozess lief unter dem Namen der Strukturanpassung des IWF, damit neue
Kredite flossen, mit der Abwertung der Währung u.v.m..
| [IWF - Schuldenfalle] |
1999 kam zur russischen und asiatischen Krise die brasilianische Finanzkrise,
wobei 30% der Ausfuhren von Argentinien in dieses Land flossen. So wurden
mehrere hunderttausende Beamte entlassen. Es lebten schon 14mio. von 36mio.
Menschen unter der Armutsgrenze, Gesundheitswesen und Schule sind nur noch
zahlungskräftigen Kunden zugänglich, sie wurden dereguliert und privatisiert.
2001 schließlich forderte der IWF ein Nulldefizit, welches zu
Hungerrevolten und dem Sturz der Regierung führte.
| [Synchrone internationale Krisen] |
Piquete, die Straßenblockade mit brennenden Autoreifen, wurde zum Symbol der
Bewegung*5 . Das die Arbeitslosen nicht mehr
einfach von den anderen Schichten des Widerstandes ausgegrenzt wurden, ist
seinerseits eine neue Qualität und beginnt die Klassenspaltung aufzuweichen.
Dies ist auch in Zanon selbst ein langer Prozess zu deren Anerkennung bis
Integration in den Kampf von Seiten der Gewerkschaft bzw. der
Produktionsarbeiter.
Das gleiche Problem betrifft
| [Problem Integration der Arbeitslosen] |
So generell der Angriff auf die soziale Lage breitester Schichten der
Bevölkerung war und so weit auch deswegen der Widerstand angelegt war, so
offenbarten sich doch von Anfang an die verschiedenen Strömungen, welche in der
heutigen BRD genauso ihre Parallele finden. Die Frage die stand und steht ist
die Frage nach Reform, Revolte oder Revolution.
Zwar traf die Restriktion der Konten die ärmsten Schichten am stärksten, aber
nun begann auch der Mittelstand die Lage zu spüren. Die Regierung de la Rua
konnte nur die Niederschlagung der Proteste anordnen. Es kommt zu teils blutigen
Zusammenstößen (27 Personen sterben) und de la Rua flieht mit dem Hubschrauber.
Auch unter Duhalde geht die Repression weiter und immer mehr Menschen werden
getötet.
Es gibt zwar viele gemeinsame Aktionen, aber nicht alle beteiligen sich an
ihnen.
Die FTV (»Vereinigung Boden und Habitat«), die zum argentinischen
Gewerkschaftsdachverband CTA (»Zentrale argentinischer Arbeiter«) favorisiert
z.B. den Systemwechsel durch Wahlen. Später wird die FTV-CTA auch mit der
Regierung zusammenarbeiten, wie man es von den integrierten bundesdeutschen
Gewerkschaften auch nicht anders erwarten sollte.
CCC (»Klassenkämpferische Strömung«)
MIJD (»Bewegung der Rentner und Arbeitslosen«) heute stärkste Piquetero-Gruppe
Unin Cvica Radical (»Radikale Bürgerunion«) peronistische
Organisation
MTL (»Bewegung Boden und Befreiung«) Piqueteros
| [Heterogenität des Widerstandes] |
Trotzdessen blieben die Arbeitslosen, z.B. die Piqueteros, lange Zeit isoliert
und die Spaltung des argentinischen Proletariats in Arbeitsplatzbesitzer und
Arbeitslose durchzieht die Spaltung der Protestformen bis zu unterschiedlichen
Interessen, welche in der Losung 'Alle sollen verschwinden' ihren kleinsten
gemeinsamen Nenner fand. Aber ebenso wie hierzulande sind auch die Unterschiede
zwischen noch "beschäftigtem" Industrieproletariat und Mittelschichten zum Teil
erheblich.
Allerdings hat die Massenverarmung eine Homogenisierung der Lebensbedingungen
auf unterstem Niveau hervorgebracht, welches aber nicht unbedingt eine
Gemeinsamkeit in den Vorstellungen und Zielen der Menschen. Nach offiziellen
Angaben gibt es 41% der Menschen im informellen Sektor, was eine Breite von
privatem Sicherheitsdienst bis hin zum Sammeln von Mülltüten verläuft. Aber auch
bei den "Beschäftigten" sind Lohnrückstände von 3-6 Monaten nicht selten. Es
arbeiten wohl jetzt über 1.8mio Menschen in Armutsarbeiten.
| [Soziale Heterogenität - Kochtopf und Piquete] |
2.3. Zeitliche Übersicht
Datum | Ereignis |
---|---|
1976 | Militärjunta von Vileda kommt an die Macht |
1983 | Ende der Militärdiktatur und Regierung Alfonsin |
1989 | Regierung Menem |
1991 | Plan von Cavallo (der Direktor der Nationalbank), Dollarbindung |
1999 | Fernando de la Rua |
Anfang Dezember 2001 | Einschränkung des Zuganges zu den Konten |
19. Dezembers 2001 | Barrikaden, Plünderungen in Buenos Aires - Ausnahmezustand |
2001 | Sturz der Regierung durch Revolten |
nationalpopulistische Peronist Adolfo Rodriguez Sá wird eingesetzt nach Fluch von de la Rua tritt nach 7 Tagen ab | |
Eduardo Duhalde als Präsident | |
26. November 2002 | 20000 Menschen am Plaza de Mayo |
»Que se vayan todos« als gemeinsame Parole drückt zwar negativ eine Ablehnung
der herrschenden Politik und ihrer Vertreter aus, aber noch lange nicht das
positive Stellen der Machtfrage in Richtung der Übernahme des Staatsapparates
oder seiner Zerschlagung und dem Aufbau einer anderen Form der
gesamtgesellschaftlichen Organisation.
| [Machtfrage?] |
Die sich konstituierenden Bewegung haben (laut z.B. Wildcat) zumeist eine
horizontale Organisation über Versammlungen und ohne Hierarchien. Sie lehnen die
traditionellen Delegiertensysteme ab. Nach z.B. Collectivo Situaciones lehnen
die so organisierten Menschen es ab, die Staatsmacht zu übernehmen, bzw. sich
eine Leitung des Aufstandes zu geben.
{
Hierbei steckt die ganze Problematik in der sich reorganisierenden und
festigenden Macht der alten Herrschaftseliten, deren Führungsfiguren
ausgetauscht wurden, aber nicht die Struktur selbst und die anzutasten nicht das
Ziel der breiten Massen zu sein scheint.
"
...letztens auf Indymedia Argentina einen wütenden Kommentar: Trotz aller
lautstarken Forderungen sei die wirtschaftspolitische Macht nicht nur nicht
abgehauen, sondern sei im Gegenteil dabei, ihre institutionellen Strukturen zu
reorga-nisieren während das Leben teurer wird, weiterhin ArbeiterInnen
entlassen werden, Kinder an Unterernährung sterben, die Polizei noch immer
mordet, usw. »denn sie haben die Macht«. Man muss die Ansicht des
Autors, man müsse die Machtübernahme vorbereiten, nicht teilen. Aber der Hinweis
darauf, dass die alte Macht noch keinesfalls besiegt ist, ist leider
angebracht.
"
[Herv. v. P.H.](wc65:36)*11
Es spielt ganz gewichtig eine Rolle, dass in den historischen Erfahrungen der
Menschen die Militärdiktatur nah und präsent ist und die jetzige
demokratischere Ordnung dieser gegenüber sicher einen Fortschritt darstellt und
man auch sicher Angst vor einem Rückfall hat. Weiterhin ist sicher davon
auszugehen, dass ähnlich wie in Venezuela eine mehr oder minder massive
Intervention der USA ins Haus stünde und drittens, alleine in Argentinien
ein Umsturz wenig Chancen hat, über längere Zeit zu bestehen (siehe Nicaragua),
womit sich die Frage nach der Ausweitung einer möglichen Revolution
erledigt hätte.
{ In dieser Frage habe ich aber sicher keinen Überblick und kann die Gesamtwetterlage in Lateinamerika nicht hinreichend einschätzen. (d.V.)}
Aber sicher ist Wildcat zuzustimmen
"
Diese Fragen sind offen. Dass (noch) niemand eine Antwort drauf hat, macht die
Sache gerade so spannend. Eine Antwort darauf finden kann nur die reale Bewegung
in Argentinien. Aber trotzdem (bzw. gerade deswegen!) müssen wir diese Fragen
stellen: Wo kann die revolutionäre Kraft herkommen? Wie kann ein Umsturz
aussehen?
... Welche Rolle spielt die Arbeiterklasse Argentiniens in der Weltwirtschaft, und wie können wir in diesem Gesamtzusammenhang die Macht entwickeln, die mit der alten Macht Schluss macht? " (wc65:37)*12 | [Organisationsfrage] |
{ Über die verschiedensten Anschauungen über die Rolle der linken Parteien in diesem ganzen Prozess kann ich mir keine Meinung bilden. (d.V.)}
Laut Wildcat versuchen insbesondere die traditionell starken trotzkistischen
Parteien aus der sozialen Bewegung Kapital zu schlagen. Die Interbarrial
oder Stadtteilversammlungen seien durch parteipolitische Zerwürfnisse zerstört
worden. Es ist wohl richtig, dass ein paar compañeros von der
trotzkistischen PTS sind. Die meist trotzkistischen Begriff wie 'Verstaatlichung
unter Arbeiterkontrolle' oder 'Arbeiterregierung' werden aber nicht mehr in
kleinen Kreisen diskutiert, sondern stehen nun in der allgemeinen Diskussion,
z.B. in Zanon. Jetzt trauen sich hier die Menschen den Mund aufzumachen. Die
Mehrheit aber würde sich nicht für eine Partei funktioalisieren lassen wollen.
| [Zerstörung der Interbarrial] |
3.1. Von Illegalität zur Legalität
3.2. Zanon - es braucht keine Chefs
Früher waren die Arbeiter an ihrer Arbeitsstelle festgeschrieben und
beherrschten nur wenige verschiedene Plätze im Produktionsprozess. Sie waren so
stark voneinander getrennt, dass sie noch nicht einmal gemeinsame Pausen
besaßen, um sich einfach mal auszutauschen, es gab keine gemeinsame
Kommunikation. Auch durften sie nicht einfach im Werk herumlaufen, um sich
andere Arbeitsplätze mal anzusehen. Sie sollten arbeiten und sich kein
für ihre unmittelbare Arbeit unnützes Wissen aneignen, denn dafür werden sie ja
schließlich nicht bezahlt.
Viele Bereiche, die früher nicht von Arbeitern ausgeführt wurden,mussten sie
jetzt übernehmen, so
Verwaltung mit Einkauf und Verkauf, die Siebdruckwerkstatt oder das Labor.
| [Teilung der Arbeit - Qualifikation] |
Wenn sie früher ihren Arbeitsplatz ohne Begründung verließen und dabei von einem
Ingenieur erwischt wurden, folgte eine Abmahnung. Ein Arbeiter hatte z.B. seit
zwanzig Jahren im Werk gearbeitet und nicht gewußt, wie an den Mühlen hinten
gearbeitet wurde. Die Arbeiter kannten sich untereinander gar nicht. So war es
z.B. ein harter Kampf, gemeinsame Pausenzeiten durchzusetzen um sich auch mal
treffen zu können und sich zu besprechen.
Die Trennung der Arbeiter wurde gewollt und erst die Übernahme ermöglichte, die
Grenzen zwischen den Abteilungen zu öffnen und das die Menschen sich in den
vielen Versammlungen kennenlernen und als eine Gemeinschaft agieren können.
Gegenüber früher, wo über Fußball u.a. gesprochen wurde, ist der Betrieb ein
Ort der Diskussion geworden. Politik kann als gemeinsames Werk begriffen
werden und nicht das einiger Kader. Auch die Delegationen aus dem Land und sogar
von Ferne, bzw. die Reisen von Arbeiter aus Zanon auch nach Europa,
sorgen dafür, dass der Horizont sich auf allen Seiten erweitern kann.
| [Kennenlernen] |
Früher haben ständig die Vorarbeiter dafür gesorgt, dass die
Arbeiter ununterbrochen ihr Tagwerk verrichteten und Angst und Konkurrenz
vorherrschten. Die Arbeiter machten sich gegenseitig Stress und trieben sich
wegen der Prämien an, schwärzten Kollegen an, wenn diese wegen Fehlern die
Maschinen anhielten. Man arbeitete in Doppelschichten 16h am Tag usw. Es wurde
ein neuesflexibles Produktionssystem eingeführt, d.h., verschiedenste Aufgaben
bis zum Fegen waren auszuführen, so das es keine freie Minute geben sollte. Der
plötzliche Herztod des compañeros Daniel, für den keine erste Hilfe im
Betrieb vorhanden war, war ein Auslöser des sich langsam organisierenden
Widerstandes. Es kam zu einem Streik und ebenso März 2001 zum
>34-Tage-Streik< nach wiederholten fehlenden Lohnauszahlungen.
Heute gibt es in den Werkshallen keine Hektik mehr. Die Leute kennen sich
untereinander und es herrscht ein "angenehmes, freudschaftlich solidarisches
Klima".*18 Sie werden nicht mehr von den Chefs
angetrieben und ständig wird mehr verlangt. Es gibt Sitzecken in den Hallen für
z.B. Mateteetrinken, was früher strengstens verboten war.
"
Aus dem Fabrikknast ist ein Experimentierfeld für
Arbeiterselbstverwaltung und Basisdemokratie geworden.
"
[Herv. v. P.H.](wc68:4)*19
Es gibt Arbeiter, die gehen nach 8 Stunden, wie dies früher war. Andere bleiben
sehr viel länger. Auch hier treten Veränderungen ein.
Das konstante Kapital beträgt nach Schätzungen 120 Mio US$. ABer es besteht kein
Verwertungszwang in der Weise mehr, dass hier mit größter Anstrengung
gearbeitet wird. Der Betrieb ist zu 10% ausgelastet und der Lohn ist immer noch
genügend, auch bezogen auf die viel besseren Arbeitsbedingungen. SO sind z.B.
die Unfälle um 99% zurückgegangen.
| [Stress] |
Ein wichtiger Schritt, wie ich finde, ist die Einführung eines Einheitslohnes
von etwa 270$. Damit wird begonnen, die Sozialhierarchie der Lohnpyramide mit
ihrer Ideologie anzugreifen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das
betrifft alle, vom Anwalt bis zum Pförtner, vom Produktionsarbeiter bis zu den
eingestellten Arbeitslosen der MTD. Es arbeiten inzwischen 320 Menschen im
Betrieb.
Kein Ingenieur und nur 2 von 82 Vorarbeitern haben sich übrigens auf die Seite
der Arbeiter gestellt. Man sollte daher meinen, dass ihnen die Qualifikation und
das Organisationswissen fehlen würden, so z.B. auch in Forschung und
Entwicklung, um die Produktion längerfristig aufrecht zu erhalten.
Ein Vorarbeiter z.B. berichtete, dass sie sich viele von ihnen nicht vorstellen
konnten, sich mit den Arbeitern zu solidarisieren. Dabei war auch das Mißtrauen
der Arbeiter gegen die Vorarbeiter ein gewichtiges Argument. Wenn herausgekommen
wäre, dass ein Vorarbeiter mit der Gewerkschaft oder dem Betriebsrat geredet
hätte, wäre er sofort entlassen worden.
| [Einheitslohn - Ideologie] |
In der Produktion selbst hat man nach der Übernahme die Vorarbeiter und die
Meister wohl nicht vermisst. Jetzt sagen die Arbeiter, machen Sie die Pläne und
wer sollte das wohl besser machen, als die, die den Produktionsprozess direkt
führen. Alle Sachen, die sie schon lange machen wollten und von den Chefs
verhindert wurden, werden jetzt umgesetzt. D.h., der Produktionsprozess
und der Arbeitsplatz selbst wird nach den Bedürfnissen der Menschen verändert.
Heute beraten sich die Arbeiter untereinander und sorgen nicht nur für den
Fortgang des Produktionsprozesses auch bei Problemen, sondern sie durchbrechen
ein Stück weit damit die Teilung der Arbeit in ihrer starren Kapitalistischen
Form. Dies versucht man z.B. in dieser Form selbst auch durch sogenannte
Gruppenarbeit.
Früher hatte keiner das Interesse mehr die Fehler von Vorarbeitern oder
Ingenieuren auszubügeln und es ging Material verloren oder anderes. Es war die
von außen erzwungene Kooperation der Arbeiter als variables Kapital im Gegensatz
zur heutigen freiwilligen Kooperation der ihren Produktionsprozess
führenden Arbeiter.
| [Direktes Produktionswissen - Transfomation] |
Ein weiteres Vorurteil, welches Zanon relativiert ist die Frage der
Kreativlosigkeit der breiten Massen. Zanon zeigt, dass die Arbeiter nicht nur
den Produktionsprozess als solchen übernahmen, sondern auch anfingen
"Ingenieursarbeit" zu leisten bei der Forschung und Enticklung neuer
Produktionsmodelle und neuer Kachelmodelle.
Es ist nicht so, dass die Arbeiter keine Kreativität besitzen würden, sondern
warum sollten sie diese anwenden, wenn sie nicht dafür bezahlt werden. Dies
beklagt nicht nur das 'Handelsblatt' beim Fordern nach dem Heben des Goldes in
den
Köpfen und das Bejammern des fehlenden Engagements der "Mitarbeiter", welche
ihre "innere Kündigung" ausgesprochen haben.
| [Kreativität] |
Eine wichtige Frage ist die nach der neuen Form der Teilung der Arbeit. Sie
selbst wird zum großen Teil von der Technologie des Produktionsprozesses selbst
bestimmt. Nachdem am Anfang keine Hierarchien existierten, führte man die
Koordinatoren ein. Diese sammeln Informationen und tauschen bei Treffen diese
untereinander aus, bzw. tragen sie in die Breite der Arbeiter und ermöglichen
so, z.B. bei Problemen Abhilfe schaffen zu können. Zu den Treffen kann
natürlich jeder hingehen, der dort hingehen will.
Zwar kannte jeder seinen Arbeitsplatz, aber wie sollten sie den Gesamtprozess
ausüben. Hier erwuchs aus der Komplexität des Produktionsprozesses selbst die
Notwendigkeit seiner zugehörigen Organisationsform, d.h. die kapitalistische
Formen als Vorarbeiter, Ingenieur und Meister müssen durch die Versammlungen und
die Koordinatoren ersetzt werden. Sonst arbeitet jeder so gut, wie er kann, aber
es kommt trotzdem nichts heraus.
Dabei werden die Koordinatoren von den in den Abteilungen beschäftigten
Arbeitern gewählt. Heute gibt es sogenannte Hauptkoordinatoren,
welche die Funktion auf einer gesamtbetrieblichen ausüben.
"
Julian: Ich bin Koordinator für den Bereich Pressen und Glasur. Ich bin von
meinen compañeros demokratisch gewählt worden, und ich bin immer noch einer von
ihnen. Das war vorher anders. Wenn da einer auf der Leiter aufgestiegen ist,
dann hat er auf die anderen runtergeguckt.
"
(wc68:6)*20
| [Organisationsfrage - Koordinatoren] |
Das wichtigste Mittel der Organisation sind die Versammlungen. Auf ihnen in
Abteilungs-, Schicht-, Koordinations- oder Vollversammlungen werden alle
Entscheidungen mehrheitlich getroffen. "Die einzige Autorität ist die
Versammlung der Arbeiter". Eine weitere Möglichkeit sind die
Diskussionstage, bei denen alle Arbeiter in Gruppen eingeteilt über alle
möglichen Themen sprechen, von Produktion bis Politik. "Das hat uns geholfen,
Bewußtsein zu bilde."
"
Da wird über alles geredet. Und die Versammlung dauert so lange, wie es nötig
ist, zwei, drei, vier Stunden, so lange, bis niemand mehr was zu sagen hat.
Da geht es auch um politische Themen. Manchen gefällt das mehr, anderen weniger. Ich mag Politik nicht. Aber andere schon. Dann gehen Diskussionen los. Manche mischen sich da mehr ein, andere weniger. Manchmal musst du dich plötzlich einmischen, ohne dass du das wolltest. " (wc68:18)*21 | [Versammlungen] |
Wie nach innen, so erfordert der Produktionsprozess in Zanon als Teil des
Gesamtprozesses seine Anbindung nach außen. Wie sollen Rohstoffe beschafft und
andererseits das Produkt vertrieben werden. Dies ist mit direktem
Produktionswissen so nicht zu lösen. So gibt es nun eine Zusammenarbeit mit den
Mapuche, auf deren Territorium der Ton für das Werk abgebaut wird.
Zanon kann keine Rechnungen stellen als "illegaler" Betrieb. So findet der
Verkauf am Fabriktor statt, bzw. die 'Mütter vom Placa de Mayo' übernehmen als
Verein teils die bürokratischen Aufgaben.
| [Organisationsfrage nach außen] |
Die Arbeiter in Zanon gehörten zu den gut bezahlten Arbeitern, sie schienen
abgesichert und fühlten sich zur Mittelschicht gehörig. Das folgende Zitat
könnte auch aus der heutigen Bundesrepublik stammen:
"
Daniel: Früher haben wir überall um uns herum Konflikte gesehen, aber wir
arbeiteten ja bei Zanon. Wir hatten keine Geldprobleme, wir haben über die
geschimpft, die welche hatten. Ich habe oft geflucht: >Ich muss zur Arbeit,
und ihr blockiert hier die Straße!< Meine einzige Sorge war, dass ich nicht
zur Arbeit komme. Ich habe mich nicht gefragt, warum das so war, warum sie da
die Straße blockiert haben.
"
(wc68:11)*22
Bei den beginnenden Arbeitskämpfen in Zanon, den Blokadeaktionen, unterstützten
die Arbeitslosen der MTD die Arbeiter, weil nicht noch mehr Arbeitsplätze
verloren gehen sollten. Allerdings gab es auf beiden Seiten anfangs auch
Ablehnung und Unverständnis. Aber bei diesen gemeinsamen Aktionen hat man sich
auch gegenseitig kennengelernt. Vorher wollten die Arbeiter nichts mit den
Arbeitslosen zu tun haben und Raul aus Zanon z.B. sagt, dass daran auch die
Gewerkschaften herrührt, die die Arbeitslosen nicht als Bestandteil der Klasse
sehen.
"
Heute bilden die ArbeiterInnen von Zanon und die Arbeitslosen der MTD eine
strategische Einheit. Das gemeinsame Auftreten der Arbeiterhemden mit dem
Gewerkschaftslogo und der Westen mit dem Schriftzug der MTD ist inzwischen ein
gewohntes Bild bei Demonstrationen, bei Blockaden oder bei
Koordinationstreffen auf regionaler und landesweiter Ebene, mit denen sie
versuchen, eine neue unabhängige Bewegung von ArbeiterInnen in Gang zu bringen.
"
(wc68:12)*23
| [Arbeitslose und Arbeiter] |
Die Gewerkschaft, in welcher die Arbeiter von Zanon und weiterer drei Fabriken
organisiert sind heißt SOECN. Sie war eine unternehmerfreundliche peronistische
Gewerkschaft, welche wie die meisten Gewerkschaften von der sogenannten
'Bürokratie' beherrscht wird. Eine wichtige Facette des Widerstandes war nun,
dass diese relativ kleine Gewerkschaft von Arbeitern der Betriebsräte übernommen
wurde. Das sehen die meisten Arbeiter als einen wichtigen Schritt vorwärts.
Hierbei kommt es zu einem fundamentalen Wechsel. Die Gewerkschaft verhandelt
nicht mehr im Namen der Arbeiter mit den Kapitalisten, sondern sie wird eine
Organisationsform, welche zusammen mit den Versammlungen die Produktion und
den politischen Prozess leitet. Aber die Gefahr der Bürokratisierung besteht
auch hier fort.
| [Rolle der Gewerkschaften] |
4. Anhang
4.1. Anmerkungen
4.2. Quellen