prev-arrow Exzerpte
Team Peter Heilbronn
Thema Darstellung zu Lefèbvre 'Die Zukunft des Kapitalismus' ( original )
Letzte Bearbeitung 07/2004
Home www.mxks.de

1. Voraus
2. Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse
2.1. Zum Begriff
2.2. Realsozialismus und Ideologie
2.3. Dialektik und Raum
3. Das Projekt
4. Quellen

1. Voraus

Die Frage, welche sich Lefèbvre stellt ist die: Warum besteht der Kapitalismus entgegen aller Widersprüche bis heute?
Sein Ansatz ist der, zu untersuchen, wie der Kapitalismus als Strategie, eine gesellschaftlichen Praxis, welche ihre eigenen Voraussetzungen ständig selbst reproduziert. Sein Ansinnen ist es nun das Wo und Wie dieser Reproduktion zu bestimmen.

{ Dies tun natürlich alle Gesellschaftsordnungen solange sie bestehen. (d.V.)}

Ich beschäftige mich in Folge nun mit der 'Einleitung'(1972) und dem ersten Teil 'Die Reproduktion der Reproduktionsverhältnisse' (RdP)(Paris, 1971).
Eine Schwierigkeit für mich besteht darin, dass mir die Begriffe oftmals unterbestimmt erscheinen und ein klarer Gang der Darlegung eher einer assoziativen Verkettung weicht, die schwierig zusammenzufassen ist. Sehr abstrakte Begriff wie 'Raum' überschneiden sich mit sehr bestimmten Phänomenen wie Klassenkampf, die aber selbst wieder sehr abstrakt und momenthaft benutzt werden. Es gilt, den Überlegungen zu folgen.
Am stärksten ist Lefèbvre dort, wo eine Hinweis auf politische Handlungsperspektive (z.B. das 'Projekt') aus seinen philosophischen Betrachtungen herausragt und seine Kritik an Systemen, Strukturalismus, Psychoanalyse, welchen er seine 'Reproduktion der gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse' (RdP) begrifflich entgegenstellt. Er kritisiert ebenso die verschiedenen politischen Flügel und Bewegungen durch die Geschichte von dieser Basis aus. Dies betrifft insbesondere die Kritik an den politischen Entwicklungen im Realsozialismus. (Darauf gehe ich weniger ein.)
Er versucht gleich Lukács einen Zugriff auf die gesellschaftliche Totalität mit dem Begriff der RdP und der Verschränkung von formaler Logik und Dialektik sowohl die Widersprüche, als auch die Kohärenzen (Zusammenhänge) zu erfassen... Die folgenden Überlegungen ähneln eher einem Skript eines Arbeitsplanes, der beschreibt, wie die verschiedensten Erkenntnisse der Einzelwissenschaften zusammengeführt werden sollten. Ich sehe da Parallelen zu Lukács 'Ontologie des Gesellschaftlichen Seins'.
Auch seine knappen Überlegungen zur 'Mittelklasse' und ihrer gesellschaftlichen Rolle sind sehr treffend und wesentlich.
Am schwächsten finde ich ihn, wo er sich direkt auf Marx Kategorien bezieht und diese irrtümlich als verkürzt unterstellt, z.B. bei 'Produktion'. Er selbst definiert, z.B. 'Ideologie', an statt sie ebenfalls in Bezug auf Marx zu bestimmen und sich direkt auf Marx' Arbeiten hierzu zu beziehen, was nicht geschieht. An vielen Stellen finde ich Lukács sehr viel deutlicher

{ Lefèbvre, geboren 1905, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Straßburg. (d.V.)}


2. Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse

2.1. Zum Begriff

Die 'Reproduktion der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse' als Begriff ist nach Lefèbvre nicht entdeckt worden, sondern hat sich entdeckt. Er benutzt dafür die Metapher eines aus Ozean und Nebel aufgetauchten Kontinents. Um ihn zu umreißen ist es notwendig Begriffe wie 'Raum', 'Differenz' oder 'Ideologie' zu bestimmen.
Der Kapitalismus ist eine Totalität, die nie vollendet, systematisiert und abgeschlossen ist und sich doch ständig verwirklicht und vollendet. Die RdP liefert als Begriff nicht nur
  • Beschreibung und Kritik, sondern
  • er tritt an die Stelle anderer spezialwissenschaftlicher Begriffe wie Subjekt, Objekt, Struktur, Funktion, ...
 
[Warum des Begriffs RdP]
Eine weitere entscheidende Motivation scheint im von L. diagnostizierten Ende des Konkurrenzkapitalismus zu liegen. Dieser verschwinde durch die Konzentration und Zentralisation des Kapitals (S.56). Marx Theorie bezieht sich nach ihm nun auf diesen sogenannten Konkurrenzkapitalismus und muss bei neuen Formen des Kapitalismus oder Sozialismus überprüft werden. (Staatsmonopolkapitalismus oder auch Organisationskapitalismus, S.86)
Nach L. hat Marx diesen Begriff (RdP) nie vollständig ausgearbeitet (S.50), wobei er sich auf ein unveröffentlichtes Kapitel(?) des 'Kapital' bezieht. Seine Theorie bzgl. der 'Ursprünglichen Akkumulation'(z.B. S.51) und anderem ist unzulänglich, da damit der Realsozialismus bzw. der Staatskapitalismus, welchen L. als nun vorherrschende Form nach dem Ende des Konkurrenzkapitalismus sieht, nicht gut genug beschrieben werden kann. Deshalb auch der Anstoß, diese vermeintlich neue Spur des Begriffs der RdP aus dem spätesten Werk von Marx zu heben und auszuarbeiten.
 
[Ende des Konkurrenzkapitalismus - Realsozialismus//Staatskapitalismus]
Vor dieser Folie und der Annahme, dass die Legitimationsphilosophien des Realsozialismus die Produktionsweise vereinseitigt betonen, setzt er diesen die Reproduktion der PV entgegen bzw. in Dialektik. Die Produktionsweise (PW) ist so "das Gesamtergebnis der Konfliktbeziehungen zwischen >Arbeitslohn< und >Kapital<, >Proletariat< und >Bourgeoisie<"(S.51). Diese Konfliktbeziehungen erscheinen nur in verschleiernden Formen (-> siehe "Fetischkapitel") in der gesellschaftlichen Praxis. So ist z.B. der Arbeitsvertrag eine Fiktion der gleichen Partner.
So umfasst die Produktionsweise auch die ihr entsprechenden Rechtsbegriffe, die verschleiernden Ideologien - kodifizierte Eigentumsverhältnisse, politische, kulturelle Institutionen, Wissenschaft...
 
[Begriff der Produktionsweise]
Er bezeichnet weder
  • Wesenheiten (Naturwüchsigkeit, Geschichtlichkeit, Spontaneität, Unbewusstes,...), noch
  • Metapher (Kette, Aggregat, Fluss,...), noch
  • allzu genaue, weil mechanische Determination.

{ Zu genau ist also gleich mechanisch? (d.V.)}

 
[Abgrenzung des Begriffs RdP]
RdP bezeichnet einen komplexen (gesamtgesellschaftlichen) Prozess mit seinen vielfachen immanenten Widersprüchen, welcher selbiger nicht nur vervielfacht und wiederholt, sondern auch verschiebt, modifiziert und erweitert (S.8). (Nicht zuletzt auf Grund dieser Einheit der Widersprüche ist bei der Betrachtung Dialektik unabdingbar.) Der Akzent wird so nicht auf verschiedene Phänomene in ihrer Einzelheit und einzelwissenschaftlichen Betrachtung gesetzt, sondern auf die Produktionsverhältnisse (PV) selbst.
 
[Positive Bestimmungen des Begriffs RdP]
" Verstehen wir darunter im Sinne von Marx nicht allein Ware und Geld, diese Grundbedingungen des Kapitals, dies es im Weltmaßstab durchgesetzt hat, nicht nur Lohnarbeit und Profit (Mehrwert), sondern die Beziehungen dieser drei Begriffe >Erde-Arbeit-Kapital<, dieser für den Kapitalismus konstituierenden Dreiheit. " (Lefèbvre:9)*1
 
[Produktionsverhältnisse]
Das die PV als natürliche erscheinen ist für Lefèbvre eine Illusion, die den Prozess verschleiert. (Hier wäre z.B. auf die verschiedenen Fetischstufen bei Marx vom Waren- bis zum Staatsfetisch hinzuweisen.)
Wichtig hierbei ist, dass die PV selbst Widersprüche enthalten und
" ... insbesondere die Klassenwidersprüche (Kapital und Lohnarbeit), die sich mit gesellschaftlichen (Bourgeoisie und Proletariat) und politischen Widersprüchen (Regierende und Regierte) anreichern. Es heißt nicht, den Akzent auf einen inneren Zusammenhalt des Kapitalismus legen, wenn man zeigt, wie die Produktionsverhältnisse sich reproduzieren; es heißt vielmehr auch und vor allem, zu zeigen, wie sich die Widersprüche im Weltmaßstab erweitern und vertiefen. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:75)*2
" Doch weil er global ist, erhellt dieser Begriff eine gewisse Epoche in der Vorausschau wie in der Rückschau. Mit seiner Einführung entsteht nicht ein Bruch, sondern im Gegenteil ein Sinn, in dem aufgehoben ist, was während der Entdeckung [seiner, d.V.], davor und danach gesagt und getan wurde. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:8)*3
Global bezieht sich einerseits auf das die Gesellschaft Umfassende, Weltgesellschaft - Weltrevolution. Aber auch darauf, dass zwar die Spezialisten und vereinzelten Wissenschaften kein Problem mit der Fortexistenz des Kapitalismus haben (S.56) und nicht darauf kommen, ihre >Fakten< zu hinterfragen. Die Verhältnisse sind zwar den Fakten inhärent, aber sind selbst keine Fakten, man kann sie als 'System' oder 'Struktur' vereinseitigen und statisch machen. So muss es eine übergreifende Betrachtungsweise (Dialektik) geben, diese Probleme aufzunehmen, deren Begriff z.B. die RdP darstellt.
 
[Globales und Totalität dieses Begriffs]
" Dennoch genügt die (mehr oder minder) radikale Kritik der Gesellschaft nicht, um das neue Konzept klar herauszuarbeiten. Indem die Kritik radikal sein will, und den Neokapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft anprangert, überbewertet sie häufig bestimmte isolierte Abscheulichkeiten und Verdeckt das Ganze mit Details. Der Begriff der Reproduktion der Produktionsverhältnisse dagegen erfaßt die Totalität, erfaßt die Bewegung dieser Gesellschaft auf globaler Ebene. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:61)*4
" Weder die >revisionistische< Rechte noch der das letzte Gefecht verkündende linke Flügel berücksichtigen die Reproduktion der Produktionsverhältnisse. Für die ersteren versteht sie sich von selbst, ... , daß man sie nicht mit Hilfe der Staatsgewalt (der parlamentarischen Macht) ändern könnte. Für die letzteren werden die Produktionsverhältnisse in der revolutionären Krise mit einem Schlag zusammenbrechen. " (Lefèbvre:57)*5
 
[Politische Kritik]
Das Wesentliche sind somit nicht mehr die verschiedenen Teilprozesse zu beschreiben, sondern eine vertiefte Analyse der PV. Die RdP stellt nach Lefèbvre den verborgenen zentralen Prozess dar (S.27). Dieser umfasst also eine Vielzahl von Aspekten oder auch hier bezeichnet als 'Räume', quasi die Reproduktion der PV bis hin zu Kunst und Kultur, Familie (Reich), nicht zuletzt die Stadt als Ort der RdP (S.79).
Bei einer Kritik der Unterrichtsmethodik, als auch der Bildungsinhalte (Kritik der Pädagogik) enthüllt sich der pädagogische Raum als repressiv. Das hineingewürgte und "wieder ausgespiene" Wissen (S.62) entspricht der Arbeitsteilung der bürgerlichen Gesellschaft und dient seiner Aufrechterhaltung. So ist dieser Raum auch Ort der RdP, massenabrichtend und elitebildend zugleich. Dieser Ort ist also Folge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, aber eben auch Ursache und Grund.
" Die Schule richtet die Proletarier ab, die Universität die Führungskräfte, Technokraten und Organisatoren der kapitalistischen Produktion. Generationen so zurecht geformter Menschen folgen aufeinander und lösen einander ab in der in Klassen gespaltenen, hierarchischen Gesellschaft. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:62)*6
 
[Beispiel: Pädagogische Raum]
Die Wissenschaftstheorie isoliert "gesicherte" Kerne des Wissens, verewigt aber so in der Einzelheit die Arbeitsteilung in der Wissenschaft selbst, also letztendlich zum Markt (S.65). Hingegen die Methodologie der Modelle ist die Konstruktion eines Modells in blanker Vereinfachung, Abstraktion, wobei ferner die Elemente dieser, der bestehenden Gesellschaft als Parameter oder Variabler entlehnt sind, womit die Tendenz besteht, sowohl Kritik als auch die Widersprüche eliminiert werden, welches wieder zu ihrer eigenen Reproduktion beiträgt. Das Ganze als Reproduktion zu erfassen, ist ihr so aber nicht möglich.
 
[Beispiel: Wissenschaft, Erkenntnisraum]
" Eine solche Analyse [Sozialkritik, Bordieu, d.V.] der Form und der Vermittlung des Wissens weicht einem zentralen Problem aus: dem Problem des Inhalts des Wissens und seiner Stellung in der Arbeitsteilung. Im Gegensatz dazu haben viele >Linksradikale< jedes Wissen mit der (Klassen-)Ideologie identifizieren wollen. Während es den einen nicht gelingt, das (Schlacht-)Roß zu besteigen, fallen die anderen auf der anderen Seite wieder herunter. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:66)*7
Stelle man nun die PW über die PV, Kohärenz über den Konflikt, hat es keinen anderen Sinn, als die Widersprüche zu verdecken (S.75). Diese Fixierung auf die PW ist für Lefèbvre die Erstarrung der marxistischen Denkens. Hier drückt sich also im Umgang mit den Begriffen und ihrer Stellung zu einander in der Theorie ein ideologischer Kampf aus, den Lefèbvre hier führt.
Beim systematische Gebrauch der PW verändert sich nichts, nur unwesentliche Details und der Kapitalismus endet, wenn er endet. Es kann keine Aussage getroffen werden, wie es den Technokraten auch recht sein dürfte (S.74), besteht die politische Praxis Regierender im Versuch Konflikte zu verringern oder wenigstens ihre Auswirkungen zu abzumildern (S.79).
" Und was den Übergang vom Staatskapitalismus zum Staatssozialismus angeht, so besteht die Gefahr, daß er eines Tages den Anschein eines Bruches (einer Diskontinuität) bietet, obwohl er alle Merkmale einer entschieden >strukturierten< Kontinuität besitzt. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:74)*8
Hier zeigt sich der Kern, worum es geht. Der so "strukturalisierte Marxismus" weicht der Frage der RdP aus.
" Man geht aus von der >Produktionsweise<. Anstatt aber die kapitalistische Produktionsweise auf der Basis von Marx zu analysieren, betrachtet man die auf auf Marx sich berufende politische Praxis als bereits der sozialistischen Produktionsweise angehörig. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:77)*9
 
[Produktionsweise vs. Produktionsverhältnis]
Ein wichtiger Aspekt der RdP ist die Reproduktion der Produktionsmittel (nach Marx). Beide sind nicht identisch und die der PM setzt die Reproduktion der Gesellschaftsverhältnisse voraus(?) "so wenig wie das Leben selber denkbar ist ohne die Wiederholung alltäglicher Gesten und Akte". Beide sind aber untrennbar miteinander verbunden.
Für Lefèbvre allerdings brachten erst neu veröffentlichte Kapitel des 'Kapital' hervor, dass die Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber der der PM in den Vordergrund gerückt wird. Ein 'System' des Kapitalismus wäre eine vollständige und vollendete Totalität (?) der er hingegen begrifflich ein >Ganzes< gegenüberstellt. Dieses ist eine Einheit, aber doch durchzogen von Widersprüchen und gegliedert in Teilbereiche, Subsysteme,...
 
[Reproduktion der Produktionsmittel]
In einem Zyklus ist es gesetzt, dass er die Tendenz hat, seine eigenen Bedingungen zu reproduzieren, z.B. Geld-Ware-Geld. Aber auch die Vertragsbestimmungen zwischen Warenbesitzern haben die Tendenz, ihre eigenen Voraussetzungen zu reproduziern.(S.52) Schon bei der Betrachtung Quesnays (Brief an Engels 06. Juli 1863) schreibt Marx, dass der Kreislauf seine eigenen Bedingungen schafft, die Verteilung von Gütern und Geld wird mit der Verteilung des Mehrwerts über verschiedene Vermittlungen neu generiert. Hier sieht L. eine Stelle des begrifflichen Übergangs von der Reproduktion der PM zu einer der gesellschaftlichen Verhältnisse. (das ganze 'Kapital' beschäftigt sich mit nichts anderem)
 
[Re-Produktion]

2.2. Realsozialismus und Ideologie

Lefèbvres Untersuchungen beschäftigen sich nicht nur mit dem immer noch Bestehen des Kapitalismus, sondern ebenfalls mit dem Staatssozialismus. Die Frage ist so nicht nur, was erhält den Kapitalismus, sondern auch, was machte den Realsozialismus möglich. Er schreibt seiner Entdeckung eine "relative Diskontinuität" im Gegensatz z.B. zu den Marxismen zu, welche in politischer Hinsicht weiter gehe als in wissenschaftlicher(?). Er meint, damit eine "neue Grundlage"(S.11) geschaffen zu haben.
" Wie kommt es zu dieser schleichenden Selbsterneuerung des Kapitalismus? Die menschliche Dummheit ist daran schuld, eine Art Wahnsinn, ein allgemeines Delirium oder die nackte Gewalt. " (Lefèbvre:10)*10
Nach Lefèbvre war Marx' Kritik bezogen auf den Konkurrenzkapitalismus(??) und nicht z.B. auch auf den Realsozialismus und dessen Entwicklung. Das zwar dieser Konkurrenzkapitalismus untergehen konnte, ohne dass seine Konstituierenden verschwanden, konnte weder Marx noch seine Nachfolger (Lenin, Trotzki(?)) erklären. "Sie haben den Prozess selber nicht begriffen."(S.11)
Er beschreibt detailliert die Entwicklung der Theoriebildung im Realsozialismus (z.B. S.72ff) hin zu ihrer Dogmatisierung und Resistenz gegen die Widersprüchlichkeit und Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung. Bis zu der Stelle, an der notwendig die Überproduktionskrisen im Kapitalismus geleugnet werden, um den eigenen Erkenntnisapparat nicht der Wirklichkeit anpassen zu müssen.
Seine Worte sind wie eine Vorhersage:
" Wir die Wiederherstellung des kapitalistischen Weltmarktes und, fast unverändert, der wesentlichen Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft in den großen Industrienationen seit 1920 nicht im sozialistischen Rußland eine unerwartete Reproduktion der kapitalistischen Produktionsverhältnisse bewirken? Der Tod Lenins, die brutale Ausschaltung Trotzkis und später die Hinrichtung Bucharins versetzten der theoretischen Forschung einen tödlichen Schlag. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:58)*11
 
[Konkurrenzkapitalismus//Realsozialismus]

{ Hier steckt ein wichtiges Moment der Kritik, wird aber von ihm nicht geleistet und ist gerade bei Trotzki im Wesentlichen ausgearbeitet oder auch Preobrazenski.*12 Letzterer entwickelt im Detail, wie Wertgesetz, Geld und Lohnarbeit als Teile des Kapitalverhältnisses im Realsozialismus, bzw. in der 'ursprünglichen sozialistischen Akkumulation' im System des 'warenproduzierenden Sozialismus' ihre relative Wichtigkeit und Wirklichkeit besitzen. (d.V.)}

Seine Untersuchungen der RdP stellt er sowohl So sei auch selbst das Marxistische Denken darauf zu untersuchen, wie es selbst der RdP dienlich gewesen ist. Dies bezieht er nicht abstrakt auf "Mißbrauch", sondern auf die Planwirtschaft und den die Gesellschaft manipulierenden Staat, den Realsozialismus also.
Um auch dies zu erfassen benutzt er den Begriff der 'Ideologie'. Diese definiert sich zuerst durch ihre >Funktion<. Ideologien sind z.B. Philosophie, Religion, Ethik, Ästhetik, Moral, Kultur, Sittlichkeit,... Aber die Ideologie hat die Funktion neben ihrem "Gegenteil" der Gewalt, letztendlich dem Staat, die Menschen zu "überreden" und abzulenken, die aktuellen Verhältnisse als natürliche zu verstecken und so außerhalb der Kritik zu halten. Hingegen gibt keine RdP einfach vermittels Ideologie oder Repression allein, keine bloße Wiederholung.
 
[Ideologie und Integration]
Folgerichtig definiert er sie bezüglich der eingeführten RdP. Ideologie ist definiert als "Jede Vorstellung, die unmittelbar oder mittelbar zur Reproduktion der Produktionsverhältnisse beiträgt."(S.34) Sie kann also auch nicht von der Praxis gelöst werden (sondern ist durch sie bestimmt und Teil der Praxis).
 
[Definition: Ideologie]
Die Ideologien dienen zur Ablenkung als "reine Konversationsthemen"(S.13).
Die wirksamen Ideologien sind nach Lefèbvre immer mit der Praxis verbunden (?wie auch sonst). Solche wirksamen aber blenden diesen ihren Zusammenhang aus. Sie verschleiern, umgreifen und umhüllen die Praxis, deren Teil sie sind. So halten Ideologien z.B. Erde-Arbeit-Kapital auseinander und trennen sie, lassen sie als getrennt erscheinen "und bewirkt bis zu einem gewissen Grade sogar ihre tatsächliche (scheinbare) Trennung"(S.13). Aber genauso werden diese Elemente auch verdeckend vermischt, z.B. beim BIP Arbeitslohn und Grundrente als unterschiedslose Geldquanta.
" Die wirksamen Ideologien lassen sich nur schwer oder fast gar nicht von der Praxis unterscheiden. Sie finden ihren Ausdruck nicht auf einer explizit ideologischen Ebene, sie treten als Ideologien gar nicht in Erscheinung. Dies gilt etwa für den Szientivismus, den Positivismus oder den Strukturalismus, die untrennbar sind vom massiven Eindringen der Wissenschaft in den Produktionsprozeß. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:13)*13
Ideologie verschleiert aber ebenso
  • das Entstehen neuer Verhältnisse, wie
  • die Reproduktion der alten Verhältnisse.
Sie ist Teil der politischen Praxis der Gesellschaft.
 
[Verhältnis Ideologie und Praxis]
" Für die Dogmatiker kann man schon jetzt die Wissenschaft aller Ideologie entkleiden. Für die Überkritischen ist das Wissen bloß zäher Schein und die angebliche Wissenschaft nichts anderes als die Ideologie dieser Gesellschaft. " (Lefèbvre:85)*14
 
[Doppelseitige Abgrenzung]
Ideologie kann sich den Schein der Nicht-Ideologie geben, z.B. der "natürlichen Reproduktion". Die Dialektik zeigt sich wiederum darin, dass "(scheinbar) Nicht-Ideologie ideologisch wird, sich in eine (aktive und wirksame) Ideologie verwandelt"(S.35), etc..
 
[Dialektik der Ideologie selbst]
Die wirksamsten Ideologien sind nach Lefèbvre solche, welche "Systeme" produzieren, die Kohärenz herstellen, das Bestehende absichern und abdichten, es z.B. zum Natürlichen hypostasieren. Sie erscheinen nur als Nicht-Ideologie und verdecken so sich selbst.
Am Beispiel der Psychoanalyse zeigt er, dass ihr Dogmatismus in ihrer Geschichtslosigkeit (entgegen Reich) liegt. So betrachtet sie z.B. familiäre Konflikte als statisches System. Hier wird die Vermengung von Ideologie und Wissen unentwirrbar. Das geschichtlich Gewordene, der Machtwille, wird dem Unbewussten, der Körperlichkeit zugeschlagen.(S.37). Die Psychoanalytiker haben so ständig das bürgerliche Subjekt wiederhergestellt, also reproduziert mit dem Versprechen, die Neurose zu lindern, das Leben erträglicher zu machen - die Kur für dies Subjekt.
Positiv hingegen hebt Lefèbvre hervor, dass die Psychoanalyse dem Sex, aber nicht dem Leib oder der Lust einen Sinn gegeben hat.
Anders Reich, der sehr viel weiter kommt. So enthüllte Reich, dass die sexuellen und familiären Beziehungen das Pendant der gesellschaftlichen Verhältnisse darstellen, z.B. Familie-Unternehmen, Vater-Arbeitgeber. Erstere Verhältnisse wären gerade nicht mimetisches Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern das Heim der Ort der Produktion und Reproduktion der Gesamtverhältnisse (S.59). Hierbei ist allerdings eine Extrapolation nur eingeschränkt möglich, aber ihm gebührt der Verdienst, die "Frage in ihrer ganzen Reichweite" gestellt zu haben.
 
[Psychoanalyse als Ideologie]

2.3. Dialektik und Raum

Lefèbvre bemerkt, dass die Reproduktion des Kapitalismus nicht notwendig ewig andauern werde, dies aber "den Wert einer virtuellen Wahrheit"(S.15) habe und das Mögliche Teil des Wirklichen ist. Dies stellt für ihn eine strategische Hypothese dar. Wenn sich alles in der Krise befindet und prozessierende Widersprüche beinhaltet, wann kommt es zur "kritischen Masse" und zum "Bruch"? (Diese Frage wird letztlich im 'Projekt' behandelt.)
 
[Frage nach dem Bruch, Dialektik und der Raum]
" Worauf es ankommt, ist, im Hier und Heute die Bewegung und die Nicht-Bewegung zu erfassen, das was sich bewegt und sich dabei stößt an dem, das sich nicht bewegt.
...
Ein wenig Dialektik führt weg vom Wahren, viel Dialektik führt zum Wahren hin. "
(Lefèbvre:15f)*15
Der Kapitalismus schießt Auflösungserscheinungen und Veränderungen nicht aus, darin verwirklicht er vielmehr auch seine Ziele. (prozessierender Widerspruch)
Nicht-Arbeit ist für Lefèbvre gegensätzlich bestimmt.
  • Die Natur ist eine Form von Nicht-Arbeit, sie arbeitet nicht, sie schafft, erzeugt.
  • Der Automat produziert ohne physische Kraftanstrengung.
So kann man eine Dialektik von Nicht-Natur=zweiter Natur, Nicht-Arbeit, die zu sich zurückkehrt entwickeln mit der gleichzeitigen Zerstörung der ursprünglichen Natur und der Stadt als automatischer Natur. Diese Prozesse mit ihrer Kohärenz, Zusammenhang und Widersprüchlichkeit ist auch nach Lefèbvre nur mit Dialektik zu erfassen.
Die Nicht-Arbeit kündigt sich so nicht wie Marx meinte als Ergebnis der Revolution an, sondern schon heute. Dies nicht im Realsozialismus, sondern gerade im modernen Kapitalismus.

{ Dies erinnert fatal an die Abschaffung der Arbeit bei z.B. Moishe Postone. 'Nicht-Arbeit' existiert als Begriff bei Marx überhaupt nicht und wird hier behauptet. Gerade die große Industrie und Automation ist nach Marx die Entfaltung des Kapitalismus ('Kapital' Bd.I, 'Die grosse Industrie'). (d.V.)}

 
[Nicht-Arbeit]
Aus obiger Dialektik nahelegenden Thematik fallen z.B. Strategien, die sich als Logiken von Sachen darstellen, z.B. der Gesellschaft oder der Ware. Die Beziehung zwischen Dialektik und Logik stellt für Lefèbvre ein Problem dar. Sie sind untrennbar miteinander verbunden, spielen aber auf verschiedenen Ebenen. Die Nahtstelle für beide ist die Differenz. So ist nach Lefèbvre Dialektik "nicht mehr ausschließlich an die Zeitlichkeit geknüpft"(S.19), sondern auch den Raum (?der Realisierung). Dies ist das paradoxe Neue(??).
Hierbei kommt nun ein für Lefèbvre zentraler Begriff ins Spiel, der des Raumes als Ort der Reproduktion der PV, womit die Frage nach dem 'Wo' der RdP gefasst werden soll. Der Raum ist sehr weit bestimmt und es kommt nicht klar heraus, was nun genau gemeint ist. Er umfasst sowohl
  • den physikalischen also geographischen Raum, als auch
  • den der Wahrnehmungen und der Erkenntnis, "geistiger Raum".

{ Die Bestimmungen des Raumes sind so selbst schon widersprüchlich und werden infolge ständig überschneidend benutzt! Das Problem ist, dass hier Raum gesetzt ist und nicht entwickelt. Man kann sich diese Begriffsbildung auch bei Gui Debort z.B. in 'Die Gesellschaft des Spektakels' ansehen. (d.V.)}

So gesetzt ist der Raum durchzogen von Widersprüchen, welche einerseits die Dialektik als notwendige Erkenntnisweise notwendig macht und andererseits auf zwei getrennte (Raum)Ebenen verweist.
 
[Raum als Ort der Reproduktion der PV]
Raum Aspekte Domäne
abstrakter Raum der Mathematik und Erkenntnistheorie, Theorie der Ganzheiten und Systeme, Zusammenhänge, Kohärenz Logik
gesellschaftlicher Raum die Konflikte und Widersprüche in Veränderung und Entwicklung Dialektik
Zwischen beiden kann es keinen Bruch geben, die Getrenntheit ist auch Einheit, welche die Differenz einschließt.
Diese Durchdringung sieht man beispielhaft folgend. Die Widersprüche im gesellschaftlichen Raum sind zum Beispiel der zwischen Peripherie und Zentrum, bei welchem Lefèbvres Konzeption der Stadt ins Spiel kommt. Diese Beziehung, Peripherie und Zentrum, ist nach Lefèbvre nur sehr indirekt eine historisch aus Klassenkämpfen entstandene, sondern ist logisch, strategisch entstanden aus Dispositionen, die "kohärent und vernünftig erscheinen" (?völlig unterbestimmt) und nicht dialektisch.
Die verschiedenen Ebenen mit ihren eigenen Ordnungen global und lokal, gesellschaftliches PV und Nachbarschaft geraten in Widersprüche.
 
[Widersprüche im gesellschaftlichen Raum]
Dialektisch sein ist bei Lefèbvre stark mit konfliktgeladen koreliert. Der Zentralismus, hier kommt wieder der Realsozialismus ins Visir, ist z.B. dialektisch eine Eigentümlichkeit des sozialen und geistigen Raumes. So kommt es auch zu einer ständigen Ausschluss aller möglichen Gruppen vom Reichtum der Gesellschaft und die gleichzeitige Integration, die symbolisch(?), abstrakt und kulturell bleibt.
 
[Dialektik und Konflikt]
Die verschränkende Bewegung zwischen Logik und Dialektik bzw. den entsprechenden Räumen ist die Produktion des Raumes. Er wird das Unterliegende der Betrachtung werden. Raum ist ebenfalls zur Ware geworden, fragmentiert und zentralisiert zugleich (und somit mit sich selbst Widerspruch).
" In diesem dialektisch gewordenen (konfliktträchtigen) Raum vollzieht sich die Reproduktion der Produktionsverhältnisse. Und dieser Raum ist es, der die Reproduktion produziert, indem er vielfältige Widersprüche in sie einbringt, die teils aus der historischen Zeit stammen, teilweise nicht. " [Herv. v. d.V.](Lefèbvre:21f)*16
 
[Produktion des Raumes]
Im politisch-wissenschaftlichen gibt den grundlegenden Konflikt zwischen in ihrer jeweiligen Einseitigkeit.
" Der Begriff der Reproduktion der gesellschaftlichen Reproduktionsverhältnisse löst und überwindet diesen Widerspruch. " (Lefèbvre:22)*17
Er löst ebenso einen Widerspruch im Marxschen(?,S. 23) Denken, das die Entwicklung zwischen PV und PK zu einer grenzensprengenden Revolution treiben würde, die Arbeiterklasse geduldig warte(?) und andererseits die Bourgeoisie auch die historische Aufgabe der Steigerung der PK hat. Dabei besteht der Kapitalismus fort und konnte die Widersprüche in seiner Entwicklung zumindest abmildern.
Mit seiner Hilfe ist es auch möglich, eine erste abstrakte Antwort auf die Eingangsfrage zu gewinnen, wo und wie der Kapitalismus seine Reproduktion sichert.
 
[RdP und Widersprüche]
" Um welchen Preis? Er läßt sich nicht beziffern. Mit welchen Mitteln? Wir wissen es: Indem er sich des Raumes bemächtigt, indem er Raum produziert. " (Lefèbvre:22)*18
 
[Produktion des Raumes]
Lefèbvre legt an dieser Stelle eine starke Betonung auf die Rolle der Mittelschicht, aus der er selbst stammt und begründet die Möglichkeit, warum sie zum "Magma" werden kann. Dies halte ich für ein Philosophieseminar interessant.
Die Machtstruktur nach Lefèbvre beruht unbestreitbar auf der Mittelklasse, welche eine ihr inhärente Widersprüchlichkeit besitzt. Sie ist zugleich arm und reich, hat ein elitäres Leben oder sucht es, flüchtet in Kultur, sie besitzt die Realität ökonomischer Bedeutung aber die Illusion politischer Macht. Damit stützen die die herrschenden Verhältnisse.
Sie erwerben nicht nur Wissen, sondern sie wenden dies auch praktisch in der gesellschaftlichen Praxis an. Somit sind sie Stützelemente der Gesellschaft.
 
[Mittelklasse]
Das benutzte technische Wissen ist nicht so einfach vom Wissen als solchem zu trennen. Zwischen positiver Erkenntnis und kritischer Negativität ist schwer zu scheiden. Das ergibt eine "metaphysische Unruhe", einen "tiefen Riß". Zwar wird das kritische Denken ebenfalls positiv nutzbar gemacht, aber das kritische Denken kann zur "kritischen Masse" werden. Sie sind im 'Raum' vorgestellt eine Art Bindegewebe z.B. zwischen Peripherie und Zentrum, womit das Problem des Übergangs von einem Raum in den anderen, hier vom geistigen in den gesellschaftlichen gestellt ist(S.31), wobei diese Übergänge selbst fließend seien. Hier besteht die Möglichkeit der überschießenden Momente, welche im potentiell Gefährlichen des "Magma" oder dem dem "tiefen Riß" gefasst sind.
 
[Widerspruch der Mittelklasse]
Marx 'Tendenzen' drücken Regelverletzungen aus, welche aus Spannungen resultieren. Die Regelverletzungen sind selbst Tendenzen. Das Projekt hat die Produktion von Abweichungen zum Ziel (!hier ist Lefèbvre am stärksten, weil er sich dem Politischen nähert), "die über das hinausgehen, was sich in die bestehenden Produktionsverhältnisse einfügen ließen"(S.41).
 
[''Überschießende'' Momente - Produktion von Abweichungen]
Somit geht es um ein totales Projekt(S.41), was einen radikal andere Lebensweise zum Inhalt hat. Bisher verblieb dies auf der Ebene des Ideals entgegengesetzt der gesellschaftlichen Realität und des Wunsches (des Sollens, mit Hegel wäre die Frage nach dem Schrankenwerden zur Grenze zu stellen).
 
[Das Projekt]

{ Hier ist Lefèbvre sehr schwach. (S.41) Angeblich beschränkt Marx den erweiterten Begriff der gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Ökonomie. Dies ist irrtümlich, denn gerade im 'Kapital' ist die Darstellung zwar die der ökonomischen Basis, aber mit der inhärenten materialistischen Dialektik ist völlig klar, dass der Inhalt der Formkritik der Arbeit als Lohnarbeit und erweiterte Reproduktion des Proletariats wie des Kapitals immanent mit den grundlegenden Verhältnissen die in den Formen stecken, auch alle von diesen bestimmten Verhältnisse, wie Familie bis Vertragsform, Warenform aller Phänomene, mit diesen reproduziert. (d.V.)}


3. Das Projekt

Zwei Dinge an diesem Abschnitt bei Lefèbvre sind bemerkenswert.
  1. Das Erste ist, dass von seiner Konzeption von Raum, Ideologie, etc., also seinen philosophischen Überlegungen, in den Hintergrund treten gegenüber einer Betrachtung der Arbeiterklasse selbst. Es ist ein politisches Projekt.
  2. Er bezieht klar eine Position bzgl. der Arbeiterklasse, die er plötzlich ins Zentrum rückt und ihre Selbstbestimmung und damit aber auch ihre Selbstverwaltung auf deren zwei Ebenen beschreibt. Mit letzterem geht er weit über die meisten west-marxistischen Konzeptionen (vielleicht Ausnahmen z.B. Lukács*19 ) hinaus, weil hier meiner Meinung nach direkt inhaltlich an Marx' z.B. 'Bürgerkrieg in Frankreich angeschlossen wird. Also an eine politische Schrift und nicht eine "rein philosophische". Letztendlich geht er damit auch weit über den Realsozialismus und seine Legitimitätsphilosophien hinaus.
Im Gegensatz zu den teils taktischen Programmen sei das Projekt etwas völlig anderes(S.42). Erstere würden somit zum "Zerrspiegel von Partikularinteressen, während letzteres einen
  • umfassenderen Anspruch,
  • umgreifenderen Horizont und
  • vor allem eine implizite Kritik besitzt. Kritik der Politik, der Politiker, des Staates und des Staates im allgemeinen.
  • Es ist ein globales Projekt und definiert(?) die Rechte von Gruppen und Individuen.
  • Dabei werden als wichtigste die Rechte hervorgehoben:
    • Das Recht auf die Stadt, d.h. nicht aus Gesellschaft und Kultur abgedrängt zu werden.
    • Das Recht auf Abweichung, nicht in vorgegebene Kategorien gepresst zu werden.
Wie kann man dies aber dem bürgerlichen Gebrauch entreißen, fragt im Anschluss Lefèbvre.
 
[Zur Abgrenzung des Projektes]
Das Projekt bringt eine neue Konzeption von Raum und Zeit mit sich, setzt diese voraus (S.42).
" Das Projekt kann nur hervorgehen aus einer spontanen und bewußten, theoretischen und praktischen kollektiven Anstrengung, den Weg zu bestimmen.
...
Wenn die Peripherie [Frauen, Jugendliche, die Benachteiligten, d.V.] auch machtlos in der Isolierung zur Beschränkung auf örtliche und punktuelle Revolten verurteilt bleibt, so at sie doch die Möglichkeit, die Zentren zu überrennen, sobald diese ins Wanken kommen. "
[Herv. v. d.V.](Lefèbvre:43)*20
Es geht im Projekt um die Priorität der gesellschaftlichen vor den individuellen Bedürfnissen im Gegensatz zu politischen Programmen. Diese individuellen Bedürfnisse sind (von Werbung und Massenmedien manipuliert) dergestalt, dass sie sich der Reproduktion der herrschenden Verhältnisse einpassen.
 
[Gesellschaftliche Bedürfnisse]
" Diesen Entstellungen und Umdeutungen des >Gesellschaftlichen< und >Kollektivem< halten wir als ein erstes Prinzip dieses entgegen: Die gesellschaftlichen Bedürfnisse sind heute zu allererst städtische Bedürfnisse.
...
Welches sind die tieferen Probleme? Die Probleme der Produktion und Verwaltung des Raumes, der den Möglichkeiten der Technik und der Erkenntnis ebenso entspricht wie den Erfordernissen eines gesellschaftlichen Lebens der >Massen< und für die >Massen<.

Selbstverständlich hängt die Verwirklichung eines solchen Projektes von einer Entscheidung ab, von der Entscheidung der Arbeiterklasse. Auch wenn die Arbeiterklasse allein nicht alles vermag und wenn in ihr wie in jeder vergangenen, gegenwärtigen und künftigen Realität Widersprüche wirksam sind - was wäre ohne sie möglich? Die Arbeiterklasse hat die Wahl: Reformismus, wenn sie will, Revolution, wenn ihr das Spaß macht[(?),d.V.], Staatsplanung und Wachstum, wenn ihr das gefällt. So liegen die Dinge ... "
[Herv. v. d.V.](Lefèbvre:44)*21
 
[Die Rolle der Arbeiterklasse]
Es ist in der "Verantwortung" der Arbeiterklasse, ob es zur ihrer Selbstüberschreitung kommt. Der Kapitalismus seinerseits hat sich auf den gesamten Raum ausgedehnt und alles seinen Funktionen unterworfen, aber er realisiert so auch seine Widersprüche. Die Arbeiterklasse verwirklicht auf ihre Weise ihre Idee(??), welche ihrerseits die Selbstbestimmung der Arbeiterklasse impliziert.
Lässt sie sich integrieren, hört sie nach Lefèbvre auf Klasse zu sein(?), sie läßt sich integrieren ohne ihrerseits zu integrieren. Ohne Selbstbestimmung muss sie scheitern. Es kann zwar nichts geschehen ohne eine Billigung oder passive Duldung der Arbeiterklasse, aber diese wurden ihr mit Gewalt und Überredung aufgezwungen. Dies zeigt den Selbstwiderspruch innerhalb der Klasse (siehe hier auch Lukács bzgl. Klassenbewusstsein).
 
[Selbstbestimmung der Arbeiterklasse]
Nach Lefèbvre zufolge hat Marx dieses Problem nicht mit "wünschenswerter Klarheit und Durchschlagskraft"(S.46) dargestellt(??).
" Was hat Marx gesagt? Folgendes: Indem die Arbeiterklasse zur gesellschaftlichen Klasse (im Weltmaßstab) wird, entgeht sie den >Fremdbestimmungen<; sie wird das Subjekt einer neuen gesellschaftlichen Praxis ... " (Lefèbvre:46)*22
Nur so autonom konstituiert kann sie die entfremdete Arbeit, d.h. die Arbeitsteilung(??) und die Arbeit(?? Lohnarbeit, Arbeits-Formfrage) selbst überwinden. Aber bisher wurde sie, wenn sie sich als politische Klasse aufwarf über politische Apparate, wie Partei oder Staat (Realsozialismus), gleich wieder entmachtet, was zur Wiederherstellung der alten PV geführt hat (Staatskapitalismus).
 
[Abschaffung der Arbeit?]
Sie muss auf die Politik verzichten, indem sie sie absterben lässt.

{ Das Absterben erinnert sehr an Lenins 'Staat und Revolution', von dem aber Lefèbvre behauptet, dass der Leninismus sein System über das Marx' "aufgepfropft" hätte. Dies tut er in Hinblick auf die Berufung des Realsozialismus auf den Marxismus-Leninismus, was es nicht unbedingt bzgl. Lenin selbst wahr macht. (d.V.)}

" Das gilt ebenso wie für den Staatskapitalismus und die Bourgeoisie, wie auch für den Staatssozialismus uns seine politische Partei als Befehlszentrale und Ordnungsmacht. Was in den letzten hundert Jahren geschehen ist, offenbart also den inneren Widerspruch des Proletariats. Ist es undenkbar, daß die Arbeiterklasse, nachdem sie der Faszination der Mittelklassen, des Staates, der politischen Gesellschaft, des Wachstums und des Produktivismus erlegen ist, sich besinnt und ihre Selbstbestimmung wiederfindet? Nein, es ist nicht undenkbar.
...
Mit welchem Ziel? Mit dem Ziel, die Entwicklung in die Hand zu nehmen und das (als solches bekannte und beherrschte) Wachstum auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse zu lenken. Zudem: wer von der Selbstbestimmung der Arbeiterklasse, von ihrer Autonomie spricht, meint auch: Selbstverwaltung. "
[Herv. v. d.V.](Lefèbvre:47)*23
 
[Selbstverwaltung der Arbeiterklasse]
Diese Selbstverwaltung der Arbeiterklasse impliziert ein Beherrschen bzw. ein Überwinden der Herrschaft des Marktes. Diese Selbstverwaltung muss als "Axiom"(?) gesetzt werden und vorausgesetzt. Diese hat einen Doppelcharakter

4. Quellen

1 Henri Lefèbvre 'Die Zukunft des Kapitalismus', Deutsche Erstausgabe, List Verlag, München, 1974 , ISBN 3-471-616160, S.9; [Lefèbvre]
2 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.75; [Lefèbvre]
3 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.8; [Lefèbvre]
4 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.61; [Lefèbvre]
5 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.57; [Lefèbvre]
6 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.62; [Lefèbvre]
7 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.66; [Lefèbvre]
8 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.74; [Lefèbvre]
9 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.77; [Lefèbvre]
10 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.10; [Lefèbvre]
11 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.58; [Lefèbvre]
12 Evgenij Preobrazenski 'Die neue Ökonomik', Übersetzung der 2. erweiterten russischen Ausgabe, 1926, Verlag Neuer Kurs, Berlin, 1971; [Preobrazenski]
13 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.13; [Lefèbvre]
14 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.85; [Lefèbvre]
15 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.15f; [Lefèbvre]
16 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.21f; [Lefèbvre]
17 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.22; [Lefèbvre]
18 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.22; [Lefèbvre]
19 Georg Lukács 'Geschichte und Klassenbewußtsein - Studien über Marxistischer Dialektik', Schwarze Reihe Nr.2, {Wiederauflage: Der Malik Verlag/Berlin, Kleine revolutionäre Bibliothek/Bd.9, 1923}, Verlag de Munter, Amsterdam, 1967; [Lukács]
20 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.43; [Lefèbvre]
21 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.44; [Lefèbvre]
22 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.46; [Lefèbvre]
23 Henri Lefèbvre, a.a.O , S.47; [Lefèbvre]
Henri Lefèbvre 'Die Zukunft des Kapitalismus', Deutsche Erstausgabe, List Verlag, München, 1974 , ISBN 3-471-616160; [Lefèbvre]
Evgenij Preobrazenski 'Die neue Ökonomik', Übersetzung der 2. erweiterten russischen Ausgabe, 1926, Verlag Neuer Kurs, Berlin, 1971; [Preobrazenski]
Georg Lukács 'Geschichte und Klassenbewußtsein - Studien über Marxistischer Dialektik', Schwarze Reihe Nr.2, {Wiederauflage: Der Malik Verlag/Berlin, Kleine revolutionäre Bibliothek/Bd.9, 1923}, Verlag de Munter, Amsterdam, 1967; [Lukács]

^ top

last update : Sat Jul 24 23:13:05 CEST 2004 Heilbronn
automatically created by Linux/X86; vendor=Apache Software Foundation; version=1; http://xml.apache.org/xalan-j