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Karl Reitter Der Begriff der „abstrakten Arbeit“

 Auf den ersten Blick mag es scheinen, als ob ein Artikel zur Kategorie der „abstrakten Arbeit“ eine Sache für hochgradige SpezialistInnen wäre, die gerne philologische Detailuntersuchungen an Marxschen Texten durchführen. Ja man könnte sogar hinzufügen, derartige Begriffstüfteleien tendieren dazu, den Wald vor lauter Bäume zu übersehen und man weiche mit solchen Themen   gesellschaftlichen und politischen Fragen eher aus. Dem ist freilich nicht so, im Gegenteil. Die Antwort auf die Frage, was denn nun unter abstrakter Arbeit zu verstehen sei, betrifft unmittelbar die Begriffe des Werts und des Kapitals, und berührt letztlich das Verständnis jener historischen Epoche, in der wir leben.

 Wodurch ergeben sich nun Probleme und offene Fragen bezüglich der abstrakten Arbeit? Der Begriff abstrakte Arbeit stellt den Gegenbegriff zur konkreten Arbeit dar. Der Begriff der konkreten Arbeit soll jetzt als unproblematisch ausgeklammert werden. Konkrete Arbeit ist einfach die sinnlich wahrnehmbare, sichtbare und hörbare Arbeit. Diese Arbeit produziert die Gebrauchswerte mit ihren konkreten, nützlichen, aber auch imaginären, immateriellen Eigenschaften. Die abstrakte Arbeit ist nun jene, die den Wert der Waren produziert. Dem Begriffspaar konkrete Arbeit – abstrakte Arbeit entspricht das Begriffspaar Gebrauchswert – Wert/Tauschwert. Marx selbst hebt die Bedeutung der zwei Arbeitsbegriffe hervor, diese Unterscheidung sei „der Springpunkt, um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht“.[1] 

Beachten wir die Fragestellung, aus der sich die Notwendigkeit ergibt, neben der konkreten, tatsächlich geleisteten Arbeit einen zweiten, grundlegend verschiedenen Arbeitsbegriff einzuführen. Marx geht von einer einfachen Tauschrelation zweier Waren aus. Ein gewisses Quantum der Ware A tauscht sich mit einem gewissen Quantum der Ware B, sagen wir Schuhe gegen Röcke. Es ist nun gleichgültig zu wissen, wieviel ein Paar Schuhe bezogen auf einen Rock wert ist. Es muß jedenfalls irgendeine Anzahl von Schuhen geben die einer gewissen Anzahl von Röcken entspricht um von zwei gleichen Wertgrößen sprechen zu können. Die Annahme gleicher Wertgrößen unterstellt allerdings, „daß ein Gemeinsames von derselben Größe in zwei verschiedenen Dingen existiert“ [2], also beide Warenquanta „Wert“ von der selben Substanz besitzen. Man kann natürlich an dieser Stelle den Einwand erheben, es gäbe schlicht und einfach nichts Gemeinsames zwischen sinnlich verschiedenen Dingen, die es erlauben würde, von Gleichheit bezüglich des „Werts“ zu sprechen. Diese Position führt freilich zu einer ganzen Reihe sehr eigentümlicher Konsequenzen, kurzum in das Fahrwasser der subjektiven Wertlehre, in der der Wert eines Gutes aus subjektiven Wertschätzungen abgeleitet wird, die sich natürlich  immer nur auf den Gebrauchswert beziehen können. Streng genommen dürfte die Grenznutzentheorie[3] von Werten nur im Plural sprechen. Denn der Klavierbesitzer, der so sehr das Pferd seines Tauschpartners begehrt, und jener Pferdebesitzer dessen großes Ziel der Besitz des Klaviers ist, werden von völlig inkompatiblen Wertvorstellungen geleitet. Der Übergang von subjektiven Wertschätzungen (deren Existenz ja niemand bestreitet, am wenigsten Marx) zum abstrakten Wert, der nur im Singular Sinn macht, kann die subjektive Wertlehre schlicht und einfach nicht ableiten. Sie findet den abstrakten Wert in der Form von Preiszahlen einfach vor, und gibt sich damit auch in der Regel zufrieden.[4]

Marx stellt nun die Frage, was denn das Gemeinsame dieses „Tauschwertes“ der beiden Warenquanta sein kann, was ist also die Substanz des Werts? Da jede natürliche, physikalische, chemische, ästhetische, ja irgendwie sinnlich wahrnehmbare Eigenschaft ausscheidet – in dieser Hinsicht sind und bleiben die Waren ja grundverschieden – verbleibt nur noch die Möglichkeit, daß es sich beim Gemeinsamen um eine „gemeinschaftliche gesellschaftliche Substanz“ [5] handelt. Bei dieser gemeinschaftlichen gesellschaftlichen Substanz kann es sich nur um Arbeit[6] handeln, jedoch nicht um jene konkrete Arbeit, die den Gebrauchsgegenstand hervorgebracht hat, sondern um eine „Arbeit“ die noch nie ein Mensch gesehen oder wahrgenommen hat, um „unterschiedlose menschliche Arbeit“, „gleiche menschliche Arbeit“, „abstrakt menschliche Arbeit.“[7]  Marx verwendet eine ganze Reihe von Ausdrücken, um jene wertbildende Arbeit zu benennen. Wir wollen dafür einheitlich den Begriff abstrakte Arbeit verwenden. 

Die Arbeit, aus der die Substanz des Werts gebildet wird, gilt es nun näher zu bestimmen. Etwas vereinfacht gesagt, entwirft Marx nun zwei Strategien, um den Begriff der abstrakten Arbeit zu präzisieren. Am Beginn des ersten Kapitels des „Kapitals“ schlägt er die sogenannte physiologische Variante vor: „Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinne und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert.[8] Und an anderer Stelle heißt es: „Schneiderei und Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Tätigkeiten, sind beide produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand usw., und in diesem Sinne beide menschliche Arbeit.“[9] Wir erhalten ein sehr merkwürdiges Ergebnis. Die abstrakte, wertbildende Arbeit erscheint als Resultat einer bloßen Gedankenabstraktion. Ebenso wie ich von Tannen und Fichten auf Bäume, von Schafen und Ziegen auf  Tiere, so kann ich von Schneiderei und Weberei auf Arbeit schlechthin abstrahieren. Wenn ich von der besonderen Tätigkeit abstrahiere, so bleibt einfach die Tatsache übrig, daß – wie Marx ja schreibt – Muskel, Nerv und Gehirn verausgabt werden. 

Die zweite Variante kann nicht einfach durch eine simple Formel dargestellt werden. Marx, so kann man vorwegnehmend sagen, leitet sie vor allem im Fetisch-Kapitel aus den gesellschaftlichen Bedingungen der „Warenproduktion“ (ein Begriff den er solange synonym für Kapitalismus gebraucht, solange er die Kategorie des Kapitals noch nicht entfaltet hat) ab. Es ist das gesellschaftliche Verhältnis scheinbar unabgängiger Warenproduzenten, die nicht direkt, sondern vermittelt über ihre Arbeitsprodukte in sozialen Kontakt treten. Durch dieses gesellschaftliche Verhältnis verwandelt sich das Arbeitsprodukt in Ware und abstrahiert von verausgabten konkreten Arbeit auf die wertbildende, abstrakte. „Indem sie ihre verschiedenartigen Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre verschiedenen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich.“[10] Diese Version paßt vorzüglich zur von Marx immer wieder wiederholten Aussage, Wert und Tauschwert sei etwas rein gesellschaftliches. Erkennt man, daß die abstrakte Arbeit mit dem spezifischen gesellschaftlichen Verhältnis des Kapitalismus verknüpft ist, wird klar, daß sich der Wertbegriff nicht aus Arbeit schlechthin, sondern aus Arbeit, verausgabt unter spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen der „Warenproduktion“, ergibt. 

Manche werden nun zurecht vermuten, auch die zweite Version sei nicht ohne Tücken, zumal in dieser Variante dem Tausch eine Vorrangstellung gegenüber der Produktion zuzukommen scheint. „Entsteht“ also abstrakte Arbeit und in Folge der Wert in und durch den Austausch? Bei Michael Heinrich könnte man zu dieser Schlußfolgerung kommen, denn er schreibt: „Daß die Abstraktheit der Arbeit keine Natureigenschaft, sondern eine gesellschaftliche Eigenschaft der Arbeit ist, daß es sich um eine im Tausch vollziehende Abstraktion von der Verschiedenheit der Arbeiten ist, wird innerhalb der beiden Unterabschnitte des ersten Kapitels des <Kapitals> (in dem Marx die physiologische Definition vornimmt K.R.) nicht klar.“[11] Ähnlich argumentierte Sohn-Rethel. Auch er vermutet die Tauschhandlung als Sitz und Quelle der Abstraktifizierung der konkreten Arbeit. „Primär ist die Abstraktion vom Gebrauchswert. (Durch die Tauschhandlung K.R.) Jedoch erstreckt sich die Abstraktion auch auf den nützlichen, Gebrauchswert schaffenden Charakter der in der Warenproduktion verausgabten Arbeit: ihr verleiht die Warenabstraktion den Charakter von abstrakt menschlicher Arbeit, menschlicher Arbeit als solcher, Arbeit überhaupt.“[12]

 

Lassen wir für einen Moment diese beiden Varianten so stehen. Um zu zeigen, wie wenig „akademisch“ diese Fragen sind, möchte ich einige Konsequenzen andeuten, die sich aus der strikt physiologischen Deutung der abstrakten Arbeit ergeben, bzw. ergeben haben. Isoliert man die physiologische Definition aus dem Kontext des „Kapitals“, vergißt man die Tatsache, daß Marx Wert immer an die Kategorie der Ware bindet (ohne Ware kein Wert), so mag es erscheinen, als ob die Eigenschaft „Wert“ zu bilden, der Arbeit an sich zukommt. Dieser Fehlschluß wird auch von Iljitsch Rubin kritisiert: „Die physiologische Verausgabung von Energie als solcher bleibt dieselbe in allen Epochen, und diese Energie – so ließe sich dann behaupten – erzeuge in allen Epochen Wert. Wir gelangen zur kudesten Interpretation der Wertlehre, die im krassen Gegensatz zur Marxschen Theorie steht.“[13] Die abstrakte Arbeit wird so neben der Eigenschaft Gebrauchswerte zu produzieren, zur zweiten Natureigenschaft der Arbeit, der Wert zu einer überhistorischen, ungeschichtlichen Kategorie. Aus einer gesellschaftlichen Werttheorie wird eine objektivistische Werttheorie, objektivistisch in dem Sinne, daß die konkreten sozialen Beziehungen nichts mehr mit abstrakter, wertbildender Arbeit zu tun haben. Ob Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus, immer wird „Nerv, Muskel, Hirn und Hand“ verausgabt. Diese Fehldeutung fand und findet man nicht nur bei den GegnerInnnen des Marxismus, etwa bei Werner Becker, der unbedarft drauflos fabuliert: „Er (Marx) führt vielmehr den auf Ricardo zurückgehenden Tauschwert, der sich ausschließlich am Verhältnis der Arbeitszeiten orientiert unter Ausschluß einer jeden historischen Perspektive so ein, als könnte man für jede Entwicklungsphase der Wirtschaftsgeschichte behaupten, die Arbeit sei der einzige wertbildende Faktor.“ [14] Diese Fehldeutung entsprach auch dem sozialpsychologischen Bedürfnis[15] der Arbeiterbewegung in ihrer Entstehungsphase und später im Fordismus, eine wissenschaftliche, marxistische Basis für ihren positiven Bezug zur Arbeitsmoral zu besitzen. „Daß Arbeit Gebrauchswerte produziert ist positiv, besser, daß sie den Wert produziert, und daß sie diese Eigenschaft quasi ontologisch besitzt, um so besser“, so könnte man eine gängige Auffassung der abstrakten Arbeit zusammenfassen. Teilweise fand diese Auffassung ihre Grundlage im anthropologischen Arbeitsbegriff[16] der Marxschen Frühschriften, von Engels popularisiert („Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“), teilweise eben im physiologischen Arbeitsbegriff des „Kapitals“. Die historische Lesart des Kapitals, der zufolge die Entwicklung der Begriffe im „Kapital“ die historische Entwicklung in reiner Form nachzeichnen sollen, tat ihr übriges. Wenn das „Kapital“ tatsächlich den Gang der geschichtlichen Entwicklung nachzeichnet, die abstrakte Arbeit ganz am Beginn dieses Werkes eingeführt wird, liegt dann der Schluß nicht nahe, die abstrakte Arbeit sei ein universaler Begriff?

 

Freilich wäre es skurril, einige unklare Passagen bei Marx für die sozialpsychologische und politische Fixierung großer Teile der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung auf die Lohnarbeit verantwortlich zu machen. Die Marxschen Texte waren nie besonders massenwirksam, will man den Einfluß von Texten auf die entstehende Bewegung untersuchen, so müßte man in erster Linie Werke wie „Die Frau und der Sozialismus“ von August Bebel oder Engels „Anti-Dühring“ beachten. Immerhin fungierte der physiologische Arbeitsbegriff als Mosaikstein für jenen wirklichkeitsfernen Schematismus, der als DIAMAT die Lehrbücher des Stalinismus und Poststalinismus füllte. Trotzdem, und das soll nicht geleugnet werden, können solche Deutungen einige Zitate zur Legitimation anführen.

 

Ich hoffe, diese wenigen Andeutungen genügen um zu zeigen, in welchen Zusammenhängen ein unklarer Begriff der wertschöpfenden Arbeit verwendet wurde. Wie sehr der physiologische Arbeitsbegriff das Verständnis von Wert und Kapital verdunkelt, mag vielleicht erst dann klarer werden, wenn wir die Rolle betrachten, die die abstrakte Arbeit im Konzept des Marxschen Wertbegriffs spielt.

 

Die drei Elemente des Marxschen Wertbegriffs

 

Der Marxsche Wertbegriff besteht aus drei Komponenten, der Substanz (Qualität), dem Maß (Quantität) und der Form. Diese Unterteilung wird von Marx selbst vorgenommen. Ich zitiere aus der Erstausgabe, die in manchen Punkten klarer ist[17], als die weit verbreitete 4. Auflage (= MEW Band 23) „Wir kennen jetzt die Substanz des Werths. Es ist die Arbeit. Wir kennen sein Größenmaß. Es ist die Arbeitszeit. Seine Form, die den Werth eben zum Tausch-Werth stempelt, bleibt zu analysiren.“[18] Die Substanz, also die Qualität des Werts ist die abstrakte Arbeit, die in der Produktion einer Ware verausgabt wurde. Betrachten wir die Definition des Maßes, zeigt sich sofort, daß ein rein physiologischer Arbeitsbegriff völlig unhaltbar ist. Bei der konkreten Produktion einer Ware wird eine bestimmte Anzahl von Zeiteinheiten konkreter Arbeit benötigt. Diese konkrete Arbeitszeit ist mit der Uhr meßbar. Als wertbestimmend geht jedoch nicht die tatsächlich geleistete Arbeitszeit, sondern die durchschnittlich gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als Maßgröße des Werts in die Ware ein. Bei der gesellschaftlichen Bestimmung dieser Zeitdauer spielt die Produktivkraft der Arbeit eine wichtige Rolle. Die tatsächlich geleistete Arbeitszeit und die wertbestimmende Arbeitszeit können theoretisch wie praktisch niemals übereinstimmen. Im ersten Kapitel des „Kapitals“ berücksichtigt Marx nur die unterschiedlichen Produktionsniveaus innerhalb einer Gesellschaft. An einem historischen Beispiel expliziert er den Wertverfall der Arbeit der Handweber. „Nach der Einführung des Dampfwebstuhls in England z.B. genügte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein gegebenes Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber brauchte zu dieser Verwandlung in der Tat nach wie vor dieselbe Arbeitszeit, aber das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt nur noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf die Hälfte seines früheren Werts.“[19] Für unser Thema können wir weitere Modifikationen und Gesetze überspringen, die bestimmend in die Reduktion „allseitig voneinander abhängigen Privatarbeiten fortlaufend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Maß“[20] eingehen. (Dazu zählen das Verhältnis zu Zufuhr und Nachfrage, die Zahlungsfähigkeit der Nachfrage, das Verhältnis zwischen Produktionsgüter- und Konsumgütersektor usw.)[21] Entscheidend ist, um es nochmals festzuhalten, daß die konkrete Arbeitszeit mit der wertbestimmenden Arbeitszeit niemals übereinstimmen kann. Was bedeutet dies für die Frage der Abstraktion? Bei der abstrakten Arbeit wird nicht nur vom konkreten Inhalt, sondern auch von der Zeitdauer abstrahiert. Also, eine Stunde Schneiderarbeit ergibt keineswegs eine Stunde Verausgabung von Muskel, Nerv und Gehirn, sondern eine unbestimmte Zeitdauer, die niemand, weder vor, während, noch nach der Produktion ausrechnen oder bestimmen kann. Die Rede, abstrakte Arbeit sei bar jeden Inhalts bloß mit der Uhr meßbar, ist völlig irreführend und falsch.[22] Die Arbeit des armen Handwebers in Marxens Beispiel, fiel auf die Hälfte ihres Wertes, als wertbildend ging sie nicht bloß als Arbeit als solche in sein Handgewebe ein, sondern die mit der Uhr meßbaren konkreten Arbeitsstunden verringerten sich in einem tatsächlich niemals bestimmbaren Ausmaß. (Die Halbierung ist nur eine ungefähre, heuristische Annahme von Marx.) 

 

Das eigentümliche ist nun, daß die Reduktion „allseitig voneinander abhängiger Privatarbeiten fortlaufend auf ihr gesellschaftlich proportionelles Maß“ als „Wertgesetz“ in der marxistischen Literatur wahre Orgien feierte. Das Gerede vom „Wertgesetz“ verkürzt den Marxschen Wertbegriff auf die Dimensionen der Substanz und des Maßes. Die Form bleibt außerhalb des Blickfelds. Backhaus hat diese Auffassung als prämonetäre Werttheorie bezeichnet. Etwas pathetisch stellt er die genuin Marxsche Werttheorie der üblichen Marxistischen Werttheorie gegenüber, um über diese folgende Aussage zutreffen: „In der Darstellung der marxistischen Werttheorie erschöpft sich die Funktion des Werts darin, das Austauschverhältnis einer Ware gegen eine andere Ware zu regulieren. Es erscheint für diese Darstellung des Wertbegriffs ganz gleichgültig zu sein, ob die Werte als Geldpreise ausgedrückt sind und der Austausch durch Geld vermittelt wird oder nicht.“[23] Um die Verkürzung und Verzerrung durch die prämonetäre Werttheorie nochmals zu verdeutlichen, stellen wir sie in Beziehung zu den drei Momenten des Marxschen Wertbegriffs: Substanz, Maß und Form.

 

 

                                             Wert

                Tauschwert

Substanz (Qualität)

Maß (Quantität)

Form

abstrakte Arbeit

gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit

Verdopplung des Arbeitsprodukts in Ware (relative Wertform) und Geld (allgemeine Äquivalentform)

 

Die Tabelle ist so zu lesen: Die Substanz des Werts wird durch die abstrakte Arbeit gebildet, das Maß bestimmt sich aus der gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit, als Tauschwert muß sich die Ware in Ware und Geld verdoppeln. Die prämonetäre Werttheorie reduziert nun den komplexen Wertbegriff auf die Dimensionen Substanz und Maß, ignoriert jedoch die Form, bleibt also beim „Wert“ stehen und ignoriert den „Tauschwert“.

 

Ich sehe die Wurzel dieser Übel, also die Wurzel der prämonetären Werttheorie ebenso wie die Fehldeutung der abstrakten Arbeit als Verausgabung von Muskel, Nerv und Gehirn in der Tatsache, daß der Wert allein aus der Arbeit und nicht aus den gesellschaftlichen Verhältnissen der „Warenproduktion“ abgeleitet wurde. Genau genommen ist die Rede, Arbeit als solche würde die (Tausch)Werte produzieren, barer Unsinn. Denn diese Auffassung impliziert, daß der Doppelcharakter der Arbeit unabhängig von gesellschaftlichen Verhältnissen als quasi ontologische Eigenschaft der Arbeit existiert. Doch damit Wert und Ware existieren, erfordert es spezifische gesellschaftliche Verhältnisse. Marx nennt diese im Fetisch-Kapitel klar beim Namen. Nur Produkte unabhängiger Privatproduzenten, die „in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte“[24]  werden überhaupt zu Waren und dadurch zu scheinbaren Trägern von Wert. „Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte, gesellschaftlich gleiche Wertgegenständlichkeit.“[25] Die Ware scheint nun die Eigenschaft zu besitzen, Wert zu haben, gewissermaßen als eine Art innerer Bestimmung. Genau dies nennt Marx den Fetisch-Charakter der Ware. In Wirklichkeit drückt sich das gesellschaftliche Verhältnis scheinbar unabhängiger Warenbesitzer – scheinbar deshalb, weil die Produzenten tatsächlich allseitig voneinander abhängig sind, oder kürzer ausgedrückt, für den Aristoteliker Marx ist die Gesellschaftlichkeit des Menschen ein unhintergehbares Faktum – als Werteigenschaft ihrer Arbeitsprodukte aus. Insbesondere Michael Heinrich weist auf diesen Umstand immer wieder hin: „Daß den Waren ihre Wertgegenständlichkeit auch einzeln, unabhängig von dem gesellschaftlichen Zusammenhang zukommt, ist gerade der Schein, durch den eine gesellschaftliche Eigenschaft in eine natürliche verwandelt wird.“[26]

 

Der gesellschaftliche Charakter der Arbeit erscheint als Wertgegenständlichkeit der Ware. Diese scheinbare Dingeigenschaft muß nun den Warenproduzenten als tatsächliche und endgültige erscheinen. Marx formuliert diesen Umstand so: „Was nur für diese besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gültig ist, daß nämlich der spezifische Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie nach jeder Entdeckung, den in den Verhältnissen der Warenproduktion Befangenen ebenso endgültig, als daß die wissenschaftliche Zersetzung der Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Körperfom bestehen läßt.“[27] In diesem Zitat spricht Marx eine deutliche Sprache: Die „Gleichheit der menschlichen Arbeit“ ist keine Naturtatsache, etwas, was gewissermaßen „immer“ gegeben ist, sondern „gilt“ im strengen Sinne nur für die „Warenproduktion“.

 

Marx, ein Hegelianer auf Gedeih und Verderb?

 

Castoriadis, dessen Werk leider viel zu wenig beachtet wird, hat eine sehr interessante und kluge Kritik am Begriff der abstrakten Arbeit bei Marx formuliert. Im Grunde laufen seine Einwände darauf hinaus, Aristoteles hätte das Problem – nämlich die gesellschaftliche Gleichsetzung von Waren – weit besser gelöst als Marx. Dabei unterstellt er durchgehend, Marx habe den Horizont der Hegelschen Philosophie niemals überschreiten können. Ein adäquater Begriff der abstrakten Arbeit, so Castoriadis, könne nur jenseits der Hegelschen Konzepte entwickelt werden. Marx müsse also notwendig zu unklaren und schwankenden Formulierungen greifen. Für Castoriadis resultiert die gleiche Substanz in allen Waren aus einer rein imaginären[28] Setzung. Jenes reale Trugbild, jenes geschichtliche Konstrukt einer Pseudo-Gleichheit der Individuen und der Arbeiten ist eine Einrichtung und Schöpfung des Kapitalismus, ein <Produkt> des Kapitalismus, mittel dessen der Kapitalismus sich produziert – und das Marx, gefesselt an die <historische Schranke> der Gesellschaft, in der er lebte, von Fall zu Fall eine universale, übergeschichtliche Bestimmung, nämlich die Substanz Arbeit, verwandelt.[29] Gerade dort, so Castoriadis, wo Marx Aristoteles zu überwinden suche, falle er hinter seine eigenen Einsichten zurück.

 

Werfen wir also einen Blick auf die Konzeption von Aristoteles. Damit Tausch, so Aristoteles, überhaupt möglich ist, müssen so verschiedene Dinge (wie die Arbeit des Baumeisters und die Arbeit des Schusters) an einem gleichen Maßstab gemessen und dadurch de facto gleichgesetzt werden. Diese Gleichartigkeit ist und bleibt für Aristoteles jedoch Schein. Sie ist ein notweniger Effekt der Messung aller Arbeitsprodukte am Geld. „Das Geld macht also wie ein Maß die Dinge meßbar und stellt eine Gleichheit her. Denn ohne Tausch wäre keine Gemeinschaft möglich, und kein Tausch ohne Gleichheit und keine Gleichheit ohne Kommensurabilität.“ Diese Kommensurabilität gehört jedoch in die Ordnung des nomos (Gesetz, im weiteren Sinne die gesellschaftliche Ordnung), nicht in die Sphäre der physis. Doch diese Kommensurabilität ist nur ein Notbehelf. Denn Aristoteles setzt fort: „In Wahrheit allerdings können Dinge, die so weit voneinander verschieden sind, nicht kommensurabel werden, aber soweit es das Bedürfnis verlangt, ist es möglich.“ [30] Castoriadis meint nun, Marx könne keine klare Einsicht über die „Künstlichkeit“ der Gleichartigkeit und Vergleichbarkeit der wertbildenden Arbeit erlangen. Schuld sei gewissermaßen sein Hegelianismus, der ihn, wider besseres Wissen, immer wieder dazu verführe, in der abstrakten Arbeit die Basis für eine objektive, an sich bestehende Gleichheit der Arbeiten zu erkennen. Doch Arbeit des Schusters bleibt Schusterarbeit, Arbeit des Schneiders bleibt Schneiderarbeit, es gebe keine Grundlage für die Gleichartigkeit dieser Arbeiten, aber „soweit es das Bedürfnis verlangt, ist es möglich.“ Bedürfnis meint hier einmal das Bedürfnis nach Austausch und in Folge das Bedürfnis nach Gesellschaft. Marx würde also zwischen einer Aristotelischen (die Substanz des Wertes ist etwas rein Gesellschaftliches) und einer Hegelianischen Konzeption (die Substanz des Wertes ist an sich Bestehendes, das sich in der Geschichte entfaltet) der abstrakten Arbeit hin und her schwanken. Castoriadis: „Im Verlauf seines Werkes behauptet Marx nebeneinander und nacheinander:

- die kapitalistische Ökonomie verwandelt die Menschen und ihre verschiedenartigen Arbeiten tatsächlich in meßbares Gleichartiges und bringt erstmals dieses Etwas hervor; die <abstrakte einfache Arbeit>, der keine andere Bestimmung zukommt als die (Uhr-)Zeit;

- die kapitalistische Ökonomie läßt endlich erscheinen, was im verborgenen immer schon da war, die substantielle, essentielle Gleichheit der Menschen und ihrer Arbeiten, die bisher unter Phantasievorstellungen vermummt blieb;

- die kapitalistische Ökonomie gibt dem, was in seinem Wesen verschiedenartig ist (den Individuen und ihren Arbeiten) den Anschein des Selben, und zwar mittels der Warenproduktion und der Verwandlung der Arbeitskraft selber in eine Ware, also ihrer Verdinglichung.“[31]

Ich sehe zwar nur zwei wesentliche Definitionen (die ungeschichtliche, physiologische einerseits und jene, die aus den Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise abgeleitet wird), doch diese Frage ist nicht die entscheidende. Wesentlich ist, daß Castoriadis Marx auf eine strikte Geschichtsteleologie festlegt und von daher leicht behaupten kann, Marx könne „innerhalb des konzeptionellen Rahmens“ unmöglich annehmen, „der Kapitalismus könne etwas entstehen lassen, was noch nicht wenigstens potentiell da war.“[32] Der Wert, so Castoriadis, würde gewissermaßen die ewige Wahrheit der Arbeit darstellen, eine Wahrheit, die in vorkapitalistischen Gesellschaften latent vorhanden, im Kapitalismus zur voller Geltung erblühen würde, und auch für die sozialistische Gesellschaft das Organisationsprinzip darstellen würde.[33] Das „müsse“ Marx als Hegelianer notwendig behaupten, auch wenn seine Forschungsergebnisse dagegen sprechen.

 

In Wirklichkeit ist die Auffassung von Marx von jener des Aristoteles nicht so weit entfernt, wie Castoriadis behauptet. Stellen wir den physiologischen Arbeitsbegriff zurück, so sagt ja Marx auch ganz eindeutig, die abstrakte Arbeit ist eine Institution, die nur der „Warenproduktion“ zukommt. Marx nimmt im „Kapital“ explizit zu den Thesen des Aristoteles Stellung und paraphrasiert dessen Aussagen: „Was ist das Gleiche, d.h. die gemeinschaftliche Substanz, die das Haus für den Polster im Wertausdruck des Polsters vorstellt. So etwas kann <in Wahrheit nicht existieren>, sagt Aristoteles.“  In der Antwort auf das Problem des Aristoteles stellt Marx klipp und klar fest, daß die Vergleichbarkeit der menschlichen Arbeiten, das heißt, die gesellschaftliche Gültigkeit der abstrakten, wertbildenden Arbeit, Produkt und Resultat einer Gesellschaft ist, in der die sozialen Beziehungen jene unabhängiger Warenproduzenten sind. Anders gesagt, in Gesellschaften, in der die persönliche Abhängigkeit des Knechts vom Herrn, in der die Beziehungen der Verwandtschaft gesellschaftlich dominieren, „existiert“ die abstrakte Arbeit nicht. „Das Geheimnis des Wertausdrucks, die Gleichheit und gleiche Gültigkeit aller Arbeiten, weil und insofern sie menschliche Arbeit überhaupt sind, kann nur entziffert werden, sobald der Begriff der menschlichen Gleichheit bereits die Festigkeit eines Volksvorurteils besitzt. Das ist aber erst möglich in einer Gesellschaft, worin die Warenform die allgemeine Form des Arbeitsprodukts, also auch das Verhältnis der Menschen zueinander als Warenbesitzer das herrschende gesellschaftliche Verhältnis ist.“[34] (Marx schreibt diese Stelle inmitten der Wertformanalyse, daher der Begriff Wertausdruck. Für das vorliegende Problem, den Status der abstrakten Arbeit, hat dies keinen unmittelbaren Einfluß.) Gibt es also tatsächlich eine unüberwindliche Differenz zwischen Marx und Aristoteles? Marx sagt ja ganz eindeutig: In der griechischen Polis waren die gesellschaftlichen Bedingungen für die abstrakte Arbeit noch nicht herangereift. Aristoteles konnte nichts erkennen, weil es nichts zu erkennen gab. Das Problem läuft auf die Frage hinaus, was man denn unter „in Wahrheit“ (seien die Arbeitsprodukte verschieden und inkommensurabel) verstehen soll. Hält man die wertbildende Potenz der Arbeit für eine Natureigenschaft, die unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen gegeben ist, dann ist die Differenz zu Aristoteles in der Tat unüberwindlich. Beharrt man jedoch auf den rein gesellschaftlichen Charakter der abstrakten Arbeit, die nur für und im Kapitalismus Sinn macht, so sind beide Standpunkte durchaus vereinbar. Es scheint also genau das Gegenteil der Behauptungen von Castoriadis zuzutreffen: Marx ist durchaus in der Lage, das weltgeschichtlich Neue des abstrakten Werts zu erkennen, auch wenn, das soll nicht geleugnet werden, manche Formulierungen unklar und verwirrend sind.

 

Produktion oder Zirkulation?

 

Wenn nun  Wert und Ware dem gesellschaftlichen Verhältnis unabhängiger Warenproduzenten entspringt, die ihre soziale Beziehungen im Tausch über ihre Arbeitsprodukte herstellen, so scheint der Begriff abstrakte Arbeit eher der Zirkulation, denn der Produktion zu entspringen. Diesen Gedanken haben wir bereits genannt, untersuchen wir ihn nun näher. Als Beleg läßt sich dafür etwa folgende Stelle bei Marx anführen: „Die Gleichheit toto coelo verschiedner Arbeiten kann nur in einer Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehn, in der Reduktion auf den gemeinsamen Charakter, den sie als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, abstrakt menschliche Arbeit besitzen.“[35] Und in der französischsprachigen Ausgabe setzt Marx hinzu: „...und diese Reduktion wird nur durch den Tausch hervorgebracht, der die Produkte verschiedenartiger Arbeit auf die Ebene der Gleichheit stellt.“ [36] Heinrich führt eine Stelle aus MEGA II.6/41 an, in der Marx den selben Gedanken folgendermaßen ausdrückt: „Die Reduction der verschiednen konkreten Privatarbeiten auf dieses Abstractum gleicher menschlicher Arbeit vollzieht sich nur durch den Austausch, welcher Producte verschiedner Arbeiten thatsächlich einander gleichsetzt.“ [37] Hier ergibt sich nun ein völlig anderer Begriff der Abstraktion, als durch die physiologische Definition. Die Abstraktion von der konkreten Arbeit ist nun keine bloße gedankliche Operation mehr, sondern ein gesellschaftlicher Prozeß, der sich unbewußt aber notwendig hinter dem Rücken der Produzenten vollzieht. Und bei diesem Prozeß kann es sich nur um die Gleichsetzung im Tausch handeln. Ist also der Austausch die alleinige Quelle der abstrakten Arbeit?

 

Diese Schlußfolgerung muß dann zu merkwürdigen Konsequenzen führen, wenn man einen magischen Punkt der Verwandlung von Arbeitsprodukt in Ware, von einem Vorher und einem Nachher ausgeht. Würde das Arbeitsprodukt erst durch den Tausch in Ware verwandelt, so könnte man streng genommen nur noch von Gebrauchswertproduktion, nicht aber von Warenproduktion sprechen. Daß die gesamte Sphäre der Produktion jenseits von Wert und Ware anzusiedeln sei, ist wohl eine mehr als eigentümliche Konsequenz. Zudem, konstatiert Marx nicht einen gewissen Vorrang der Produktion? Nachdem er in den „Grundrissen“ das Verhältnis von Produktion, Konsumtion und Distribution analysiert hat, resümiert Marx: „Das Resultat, wozu wir gelangen, ist nicht, daß Produktion, Distribution, Austausch, Konsumtion identisch sind, sondern daß sie alle Glieder einer Totalität bilden, Unterschiede innerhalb einer Einheit. Die Produktion greift über, sowohl über sich in der gegensätzlichen Bestimmung der Produktion, als über die anderen Momente.“[38] Im Produktionsprozeß erfolgt die Aneignung der unbezahlten Mehrarbeit, in der Produktion wird die  Steigerung der Produktivkraft der Arbeit wirksam, in die Produktion fallen die Vorbedingungen für die Akkumulation des Kapitals. Gerade im Hinblick auf die gesellschaftlich bedeutenden Folgen der Steigerung der Produktivkraft der Arbeit kommt zweifellos der Produktion eine Vorrangstellung zu. Daraus kann aber umgekehrt wieder nicht abgeleitet werden, die Zirkulationssphäre sei für Wert und Ware sekundär, bloß der Ort, an dem der bereits latent vorhandene Wert realisiert werde. Dagegen stehen wieder alle Aussagen von Marx, die das gesellschaftliche Verhältnis unabhängiger Warenproduzenten als Bedingung für den Wertcharakter des Arbeitsprodukts betreffen. Da Menschen außerhalb von Gesellschaft noch nicht gesichtet wurden, kann die bloße Verausgabung von Arbeit in gesellschaftlichen Verhältnissen kein zureichender Grund für die abstrakte Arbeit und in Folge von Wert und Kapital sein. Es kommt alles auf den spezifischen Charakter dieses Verhältnisses an. Es kommt letztlich darauf an, daß die Individuen nicht unvermittelt gesellschaftlich produzieren, sondern sich durch Dinge (d.h. ihre Arbeitsprodukte) aufeinander beziehen. Sobald jedoch dieses Verhältnis das gesellschaftlich dominierende geworden ist, läßt sich kein Punkt mehr angeben, an dem das Arbeitsprodukt in Wert umschlägt. Ich sehe meine Auffassung durch folgendes Zitat bestätigt: „Die Spaltung des Arbeitsprodukts in nützliches Ding und Wertding betätigt sich nur praktisch, sobald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit gewonnen hat, damit nützliche Dinge für den Austausch produziert werden, der Wertcharakter der Sachen also schon bei der Produktion selbst in Betracht kommt. Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Produzenten tatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter.“[39]

 

Die Frage scheint sich dahingehend zuzuspitzen, ob man die gesellschaftliche Existenz unabhängiger Warenbesitzer der Produktionssphäre oder der Zirkulationssphäre zuschlägt. Diese Existenzform wird durch die Entwicklung des Kapitalismus nicht nur gefestigt und verallgemeinert, es müssen letztlich zwei grundlegend verschiedene Warenbesitzer entstehen, jene, die Kapital, und jene, die Arbeitskraft besitzen. Man kann also wieder von einem Vorrang der Produktion ausgehen. Daß sich die Existenzform von privaten Warenbesitzern festigt, als auch welche Waren diese besitzen (Arbeitskraft oder Kapital), ist primär Resultat der Produktion. Auch wenn einiges dafür spricht, in der Produktion den dynamischen Teil der gesamten Ökonomie zu erkennen, kann der Begriff der abstrakten Arbeit ohne die Bedingungen der Zirkulation zu bedenken weder entwickelt noch begriffen werden.

 

Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, welchen strategischen Nutzen große Teile der Arbeiterbewegung aus dem Vorrang der Produktion zogen. Auf dem Gebiet der Ökonomie wurde die ungerechte Distribution des von der Arbeiterklasse erzeugen Werts und – in noch stärkerem Maße – die Anarchie des Marktes und die Planlosigkeit der Produktion kritisiert. Ja noch mehr. Der Gegensatz von Markt und Plan wurde zum Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus umgedeutet. Im historischen Rückblick ist leicht zu erkennen, wie sehr die hier genannten Elemente der Reduktion sowohl auf die Zweite, wie auch auf die Dritte Internationale zutrafen. Die grundlegenden Institutionen, - oder Formen, wie Marx sagt, - der bürgerlichen Gesellschaft, also Ware, Wert, Kapital wurden niemals als Formen Gegenstand der Kritik. In der Regel wurde die tiefe sozialphilosophische Analyse Marxens zu einem bloßen Interessensgegensatz herabgesetzt, also auf dem Niveau des „Kommunistischen Manifests“ abgehandelt. Die Sphäre der Distribution wurde auf das Feld der Auseinandersetzung um den gesellschaftlich erzeugten Mehrwert reduziert. Das Bewußtsein, daß es sich bei der Wertgegenständlichkeit der Ware um einen verdinglichten Ausdruck von gesellschaftlichen Beziehungen handelt, wird man bei den Hauptströmungen der Arbeiterbewegung vergeblich suchen. Die Reduktion des Revolutionsbegriffs auf Machtergreifung führte letztlich dazu, auch die Produktion aus der Kritik auszuklammern. Letztlich konnte es nur darum gehen, den Produktionsapparat unter Kontrolle zu bekommen.

 

Wertform und abstrakte Arbeit

 

Die Wertformanalyse zählt zweifellos zu den schwierigsten Passagen im „Kapital“. Noch während der Lektüre der Druckfahnen der Erstauflage rieten Kugelmann und Engels Marx, eine weitere, vereinfachte Fassung zu schreiben, die tatsächlich als Anhang auch erschien. Für die 2. Auflage hat Marx diesen Abschnitt nochmals überarbeitet. Im Unterschied zur Erstauflage wird nun sofort das Geld mit der allgemeinen Äquivalentform identifiziert, in der Erstauflage kommt das Geld erst im Abschnitt über den Austauschprozeß ins Spiel. Für unseren Zweck, der Klärung des Begriffs der abstrakten Arbeit, wollen wir das Augenmerk vor allem den Rollen zuwenden, die die beiden Arbeitsformen (konkrete und abstrakte Arbeit) in der Wertformanalyse spielen.

 

Wie Marx explizit feststellt, besteht der Zweck der Wertformanalyse darin, „die Genesis der Geldform nachzuweisen.“[40] Nach der üblichen trivialen Auffassung ist das Geld ein nützliches und notwendiges Mittel, die Warenzirkulation zu erleichtern. Wenn Warenbesitzer A die Ware seines Tauschpartners B begehrt, dieser jedoch den Warenplunder von C erwerben möchte, C wiederum auf die Produkte von A aus ist, so vereinfacht und reduziert das Geld diese Transaktionen. Kurzum, Geld erscheint als „pfiffig ausgedachtes Mittel“ der Zirkulation. Dieser Verweis auf eine der vielen Funktionen des Geldes (Maß der Werte, Zirkulationsmittel, Schatzbildung, Zahlungsmittel usw.) kann jedoch nicht erklären, was Geld nun tatsächlich ist, oder anders gesagt, wieso Geld diese Rollen und Funktionen überhaupt spielen kann. An die Stelle der „Genesis der Geldform“ tritt üblicherweise eine tautologische Erklärung, Geld fungiert eben als Geld, weil es Geld ist. Selbst Ernest Mandel[41] kommt zumindest in der „Marxistischen Wirtschafttheorie“ über dieses Niveau nicht hinaus. „Die Notwendigkeit eines solchen Äquivalents (d.h. des Geldes K.R.) liegt auf der Hand.“, liest man in seinem Text. Und Mandel setzt fort: „Sir Samuel Baker erzählt, wie er auf dem Markt von Nyoroi in Uganda die Marktleute hat rufen hören: Milch für Salz zu verkaufen! Salz gegen Speerspitzen! Billigen Kaffee für rote Perlen! (...) Das allgemeine Äquivalent jedoch ist eine Ware, für die jede andere Ware erworben werden kann. Nehmen wir an, Salz sei das allgemeine Äquivalent. Sofort könnten die drei Geschäfte ohne Schwierigkeiten zustande kommen.“[42] Mandel ist zweifellos ein Beispiel für die von Backhaus so systematisch kritisierte prämonetäre Werttheorie. Nach dieser Auffassung erschöpft sich der Wertbegriff im Nachweis der Wertgegenständlichkeit der Ware und der gesellschaftlichen Wirkung des „Wertgesetzes“. Das Geld tritt bloß funktional zur „ungeheuren Warensammlung“[43] hinzu. Marx hingegen analysiert zwar im dritten Kapitel des „Kapitals“ ausführlich die Funktionen des Geldes, allerdings auf Basis und Grundlage der Wertformanalyse, die wir nun in einigen Grundzügen betrachten wollen.

 

Am Beginn der Wertformanalyse finden wir die uns bereits bekannte Gleichung zweier Warenquanta: x Ware A = y Ware B. Bei der Suche nach der gemeinsamen gesellschaftlichen Substanz des Wertes, also bei der Ableitung der wertbildenden abstrakten Arbeit, untersuchte Marx das Gemeinsame auf beiden Seiten der Gleichung. Anders gesagt, er untersuchte die Gleichung hinsichtlich der Identität beider Glieder. Als Einstieg in die Wertformanalyse untersucht nun Marx die Nichtidentität der zwei Warenquanta. Diese Nichtidentität ergibt sich aus der Tatsache, daß diese Gleichsetzung auch so zu lesen ist: „x Ware A ist y Ware B wert“.[44] Die beiden Waren spielen also verschiedene Rollen. Die erste Ware drückt ihren Wert in der zweiten Ware aus. Damit die Ware A ihre Eigenschaft, Träger von Wert zu sein, ausdrücken kann, benötigt sie dazu eine zweite Ware. Der dahinterliegende Gedanke ist klar und einleuchtend. Der gesellschaftliche Charakter der Ware A, Träger von Wert zu sein, Wert zu verkörpern, kann die Ware nicht an sich selbst zeigen. Sie kann es nur in einem gesellschaftlichen Verhältnis, eben in der Austauschrelation zu einer anderen, von ihr verschiedenen Ware. Und sie kann es wiederum nur in einer dinglichen Form, das heißt sie muß ihr Wertsein in einem anderen Ding, einen bestimmten Quantum eines anderen Gebrauchswerts darstellen. Die Schwierigkeit besteht nun darin, daß die Wertgegenständlichkeit der Ware keine tatsächliche, sondern eine scheinbare ist. Darauf haben wir bereits hingewiesen. Oberflächlich gelesen, könnte der Eindruck entstehen, Marx ginge in der Wertformanalyse von einer tatsächlichen Werteigenschaft der Ware aus. Das Rätsel löst sich jedoch einfach. „Scheinbar“ und „gesellschaftlich“ verwendet Marx synonym. Das Problem bei der Lektüre des ersten Abschnitts des „Kapitals“ besteht unter anderem darin, daß Marx den gesellschaftlichen Scheincharakter der Wertgegenständlichkeit der Ware erst im Fetisch-Kapitel unmißverständlich ableitet. Ich denke, dieses Vergehen läßt sich methodisch folgendermaßen begründen: Das gesellschaftliche Verhältnis scheinbar unabhängiger Warenbesitzer spiegelt sich in der nun wiederum gesellschaftlich erzeugten Wertgegenständlichkeit der Ware. Marx setzt nun bei der Analyse der Ware an, und leitet aus der Warenanalyse das zugrundeliegende gesellschaftliche Verhältnis ab. Er läßt gewissermaßen die Ware selbst sprechen.[45] Marx leitet also nicht von den gesellschaftlichen Verhältnissen die Charaktere der Ware, sondern umgekehrt, aus den Bestimmungen der Ware die   gesellschaftlichen Verhältnisse ab. Daß nun Marx nicht von dem gesellschaftlichen Handeln vergesellschafteter Produzenten ausgeht, sondern die Waren befragt, ja sie oftmals als quasi handelnde Subjekte auftreten läßt, reflektiert die dingliche Verkehrung der gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen. Denn es ist nicht das bewußte Handeln der Produzenten, sondern die scheinbare Werteigenschaft der Dinge, die ihre ökonomischen Beziehungen bestimmen.

 

Im Ausdruck x Ware A = y Ware B spielen diese zwei Waren also verschiedene Rollen. Marx verwendet für den ersten Term den Ausdruck „relative Wertform“, für den zweiten den Ausdruck „Äquivalentform“. Natürlich kann man diese Gleichung umdrehen, es vertauschen sich dann die Rollen. Entscheidend ist: „Dieselbe Ware kann also in demselben Wertausdruck nicht gleichzeitig in beiden Formen auftreten. Diese schließen sich vielmehr polarisch aus.“[46] Marx entwickelt nun eine ganze Reihe von Formen um schlußendlich zum Ergebnis zugelangen, daß nur eine einzige Ware die Rolle des allgemeinen Äquivalents spielen kann. Dieses allgemeine Äquivalent muß schließlich gesellschaftlich als Geldware Gestalt annehmen. Die Details dieser Ableitung wollen wir überspringen. Was uns interessiert sind die drei Merkwürdigkeiten der Äquivalentform, also der Ware B, die der Ware A als Wertausdruck dient. Worin bestehen sie, und wie werden sie abgeleitet? Die Ware A drückt also ihr Wertsein in einem bestimmten Quantum Gebrauchswert einer anderen Ware aus. Sie zeigt an dieser anderen Ware, das, was sie selbst ist. Oder wie Marx schreibt: „Die erste Ware spielt eine aktive, die zweite eine passive Rolle.“[47] Die Ware nun besitzt zwieschlächtigen Charakter. Einerseits ist sie Produkt der konkreten Arbeit, ein bestimmtes Quantum Gebrauchswert. Diese Eigenschaft kann die Ware an sich selbst zeigen, sie benötigt dazu keine zweite Ware. Zugleich ist die Ware aber auch „Gallerte“, „Kristall“ „geronnener“ abstrakter Arbeit. Diese Eigenschaft kann sie nur dadurch darstellen, indem sie eine andere Ware als ihren Wertausdruck benützt. Diese andere Ware (die Ware B) repräsentiert nun jene Eigenschaften, die der Ware A zukommt. Welche Eigenschaften besitzt nun die Ware A? Sie ist zugleich Gebrauchswert aber auch Träger von Wert, sie ist gleichzeitig Produkt konkreter Arbeit wie aufgespeicherter abstrakter Arbeit und sie ist gleichzeitig Produkt privater Produzenten als auch Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit. Die ersten Elemente fallen unmittelbar in den Bereich der sinnlichen Wahrnehmung. Private Produzenten erzeugen durch konkrete Arbeit Gebrauchswerte. Die zweiten Aspekte sind rein gesellschaftliche Merkmale. Diese gesellschaftlichen Eigenschaften werden nun durch das allgemeine Äquivalent repräsentiert. Und genau diese Momente nennt Marx die drei Merkwürdigkeiten der Äquivalentform.

 

„Die erste Eigentümlichkeit, die bei der Betrachtung der Äquivalentform auffällt, ist diese: der Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts.“ [48]

 

„Es ist die zweite Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß konkrete Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit wird.“

 

„Es ist also eine dritte Eigentümlichkeit der Äquivalentform, daß Privatarbeit zur Form ihres Gegenteils wird, zur Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form.“ [49]

 

Betrachten wir die zweite Eigentümlichkeit, so wird klar: Erst das allgemeine Äquivalent, salopp gesagt das Geld, repräsentiert und verkörpert die in den Waren enthaltene abstrakte Arbeit. Erst die Verdopplung der Ware in Ware und Geld läßt also die abstrakte Arbeit Form und Gestalt annehmen. „Die Waare ist von Haus aus ein zwieschlächtiges Ding, Gebrauchswerth und Werth. Um sich darzustellen als das was sie ist, muß sie daher ihre Form verdoppeln.“[50] Es ist schon allein sprachlich unmöglich, auf der Ebene der prämonetären Werttheorie zu bleiben. Der Satz: „Die Ware besitzt Wert“ mag noch sinnvoll sein, zu sagen, „Die Waren besitzen Tauschwert“ ist jedoch völlig unsinnig denn: „Beide Formen, relative Werthform der einen Waare, Aequivalentform der anderen, sind Formen des Tauschwerths.“[51] Über Tauschwert zu sprechen, heißt also über Ware und Geld zu sprechen. Es ließe sich also schlußfolgern, daß ohne die beiden Momente des Tauschwerts, nämlich Ware und Geld, die abstrakte, wertbildende Arbeit überhaupt keinen gesellschaftlichen Ausdruck, keine Form und keine Gestalt annehmen kann. Über die abstrakte Arbeit zu diskutieren, ohne die Form des Werts, also den Tauschwert mit einzubeziehen, kann nur zu Fehldeutungen führen.

 

Kleiner Exkurs: Das Problem der Geldware

 

Es ist unmöglich, einen Artikel über die abstrakte Arbeit und die Form des Tauschwerts zu schreiben, ohne auf ein gewichtiges Problem zumindest zu verweisen. Marx leitet im „Kapital“ eindeutig eine Geldware ab. Auch wenn er für bestimmte Funktionen und im nationalen Rahmen die Möglichkeit eines reinen Zettel- oder Symbolgeldes einräumt, für die internationale Ebene beharrt er auf der Notwendigkeit des Warengeldes. [52] Wir müssen aber doch davon ausgehen, daß etwa der EURO keineswegs stellvertretend für eine Goldware zirkuliert, sondern es sich bei dieser Währung eindeutig um reines Zettelgeld handelt. Bezeichnender Weise war und ist der theoretische Beitrag des Staats- und Parteimarxismus zu dieser Frage praktisch gleich null. Michael Heinrich ist einer der wenigen AutorInnen, die versucht haben, dieses Problem einer Lösung zuzuführen. Dabei geht er nicht den „üblichen“ Weg, im Zettelgeld einfach einen weiteren Abstraktionsschritt in der historischen Entwicklung zu vermuten, sondern zielt direkt auf eine Neuinterpretation des Begriffs des „allgemeinen Äquivalents“ ab. Heinrich, so erscheint es mir zumindest, stellt indirekt die Frage, welche gesellschaftlich konstituierte Eigenschaften muß das allgemeine Äquivalent besitzen? Die Antwort findet sich in den drei Merkwürdigkeiten. Das allgemeine Äquivalent muß den Wert an sich verkörpern, es muß die abstrakte Arbeit repräsentieren, es muß, da es Arbeit in unmittelbarer Form repräsentiert, prinzipiell jederzeit austauschbar sein. An diesem Punkt setzt nun seine Überlegung ein, die da lautet: „Auch wenn man zugibt, daß Marx nicht explizit begründet hat, daß das allgemeine Äquivalent selbst eine Ware sein muß, scheint eine solche Folgerung doch recht nahe zu liegen: da das allgemeine Äquivalent den Wert der Waren ausdrücken soll, muß es anscheinend selbst Wert besitzen, also eine Ware sein. Diese Folgerung ist aber nicht zwingend. Das allgemeine Äquivalent gilt nicht einfach als Wertgegenstand wie die ordinären Waren, sondern als die alleinige und unmittelbare Wertgestalt.“[53] Marx, so Heinrich weiter, hätte, geblendet durch die ökonomischen Verhältnisse seiner Zeit, umstandslos das allgemeine Äquivalent mit einer Geldware identifiziert. Das allgemeine Äquivalent kann, aber muß keine Geldware sein, so Heinrich. Sein Ergebnis ist auf den ersten Blick einigermaßen verblüffend. Und es hängt durchaus mit dem Begriff der abstrakten Arbeit zusammen. Aber gehen wir schrittweise vor.

 

Heinrich knüpft allein am Resultat der Wertformanalyse, dem Begriff des allgemeinen Äquivalents, stellt jedoch die Herleitung zurück. Ihn interessieren gewissermaßen nur die Charaktere und die Eigenschaften dieses Begriffs. In den „Grundrissen“ verfolgt Marx einen ähnlichen Weg. Der Kontext, in dem Marx seine Überlegungen zum Geld stellt, ist das Problem der Vermittlung. Was hier Vermittlung bedeutet, läßt sich sehr schön durch folgendes Zitat erhellen, in dem Marx zwei mögliche Formen der gesellschaftlichen Produktion gegenüberstellt: „Im ersteren Fall, der von der selbständigen Produktion der Einzelnen ausgeht – sosehr diese selbständigen Produktionen durch ihre Beziehungen zueinander sich post festum bestimmen, modifizieren -, findet die Vermittlung statt durch den Ausdruck der Waren, den Tauschwert, das Geld, die alle Ausdrücke eines und desselben Verhältnisses sind. Im zweiten Fall ist die Voraussetzung selbst vermittelt; d.h. eine gemeinschaftliche Produktion, die Gemeinschaftlichkeit als Grundlage der Produktion ist vorausgesetzt. Die Arbeit des einzelnen ist von vornherein als gesellschaftliche Arbeit gesetzt.“ [54] Während also in einer sozialistischen Produktion die Arbeit des Einzelnen unmittelbar gesellschaftlich ist, ist sie es in der „Warenproduktion“ eben nicht. [55] Gerade als Ware ist das Produkt der Privatarbeit eben nicht unmittelbar austauschbar, es repräsentiert nicht unmittelbar Arbeit schlechthin, es repräsentiert nicht unmittelbar den gesellschaftlichen Reichtum. Damit die Ware das sein kann, was sie zugleich auch ist, eben reiner Tauschwert, muß sie mit etwas ausgetauscht werden, das nichts anderes als eben diesen Tauschwert repräsentiert. Denn die Ware kann nicht beides gleichzeitig sein, weder besonderes Produkt und reiner Wertgegenstand, noch Resultat konkreter, privater wie allgemein gesellschaftlicher, abstrakter Arbeit. Doch der Wertcharakter der Produktion muß gesellschaftliche Gestalt annehmen: „Die Bestimmung des Produkts im Tauschwert bringt es also notwenig mit sich, daß der Tauschwert eine vom Produkt getrennte, losgelöste Existenz erhält.“[56] Diese „losgelöste Existenz“ bestimmt nun Marx in den Grundrissen noch als „Zeichen“: „Um also die Ware mit einem Schlag als Tauschwert zu realisieren und ihr die allgemeine Wirkung des Tauschwerts zugeben, reicht der Austausch mit einer besondren Ware nicht aus.“ (Anders gesagt, der Tauschwert muß als Tauschwert eine sinnlich wahrnehmbare, gesellschaftliche Existenz annehmen. Auch aus den „Grundrissen“ kann keine prämonetäre Werttheorie abgeleitet werden.) Und Marx setzt fort: „Sie muß mit einem dritten Ding ausgetauscht werden, das nicht selbst wieder eine besondre Ware ist, sondern das Symbol der Ware als Ware, des Tauschwerts der Ware selbst; das als sage die Arbeitszeit als solche repräsentiert, sage ein Stück Papier oder Leder, welches einen aliquoten Teil Arbeitszeit repräsentiert.“ [57]

 

Den aufmerksamen LeserInnen wird sicher nicht entgangen sein, daß in den letzten Absätzen ständig von „Repräsentation“ des abstrakten Werts durch das allgemeine Äquivalent bzw. durch das Geld die Rede war. Diese Ausdrucksweise stellt eine kleine Konzession an die Konzeption von Heinrich dar. Tatsächlich ist die Frage „Repräsentation“ oder „Enthaltensein“ der abstrakten Arbeit im Geld der springende Punkt. Doch diese Frage kann nicht nur auf das Geld, sie muß auf die Ware selbst bezogen werden. Wenn Marx davon spricht, die Substanz des Wertes sei die „aufgehäufte“ abstrakte Arbeit, Ware sei eine „Gallerte“, ein „Kristall“[58] eben dieser abstrakten Arbeit, so können diese Ausdrücke nur gesellschaftlich – metaphorisch verstanden werden. Die abstrakte Arbeit befindet sich ja nicht in der Ware, wie sich Eisenatome in einem Hammer befinden. Heinrich meint nun, wenn ich ihn richtig verstehe, daß sich die Wertgegenständlichkeit der Ware, da es sich um eine rein gesellschaftliche Eigenschaft handle, immer nur repräsentieren lasse. In diesem Zusammenhang kommt folgender Aussage besondere Bedeutung zu: „Abstrakte Arbeit als gesellschaftliches Verhältnis kann überhaupt nicht <verausgabt> werden.“[59] Diesem Satz kann ich voll inhaltlich zustimmen. Verausgabt kann immer nur konkrete Arbeit werden. Diese konkrete Arbeit unterliegt nun sowohl einem Abstraktions- wie einem Bewertungsprozeß. Um als Wertsubstanz (Qualität) zu fungieren, muß gesellschaftlich von ihrer besonderen Form abstrahiert werden, um als Maß (Quantität) fungieren zu können, muß ihre Dauer auf die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Länge reduziert (oder aufgewertet) werden. Die konkrete Arbeit ist die Bedingung für die abstrakte, aber das Umgekehrte gilt keineswegs, sowohl vorkapitalistische wie sozialistische Produktionsformen kennen die abstrakte Arbeit nicht.

 

Heinrich argumentiert nun, daß im Geld die Gattungseigenschaft der Ware, nämlich Wertgegenständlichkeit zu besitzen, dingliche Form annimmt. Er schreibt: „Das Übersinnliche an der Ware, ist nicht der Inhalt der Wertbestimmung, sondern die Form Wert, die spezifische Gegenständlichkeit des Werts. Dieser übersinnliche Teil der Ware erhält im Geld eine sinnliche Existenz. Das Übersinnliche kann aber gar nicht sinnlich existieren, es kann nur vermittels eines sinnlichen Gegenstands bezeichnet werden. Die unmittelbare Existenz des Werts, Wert als solcher ist eine Abstraktion, ein reales Objekt kann diese Abstraktion immer nur repräsentieren.“[60]  Versuchen wir, diese Stelle etwas zu interpretieren. Unter Inhalt der Wertbestimmung versteht Heinrich offenbar die Tatsache, daß es sich bei der Ware um ein Arbeitsprodukt handelt. Der Ausdruck „übersinnlich“ stammt von Marx selbst, oftmals bezeichnet er den Wert im Gegensatz zum Gebrauchswert als „übersinnlich“. „Übersinnlich“ wird synonym für „gesellschaftlich“ verwendet. Für die Funktion der Repräsentation ist es nun völlig unwichtig, ob der Gegenstand, welcher als Geld fungiert, nun selbst Wert besitzt oder nicht. Heinrichs Überlegungen haben zweifellos einiges für sich. Sein stärkstes Argument ist wohl der spezifisch gesellschaftliche Charakter des Werts, den sowohl die prämonetäre Werttheorie als auch die physiologische Deutung der abstrakten Arbeit nicht klar erkennen lassen. Dieser „übersinnliche“ Charakter des Werts kann im reinen Warentausch nicht dingliche, gesellschaftliche Gestalt annehmen. Ein allgemeines Äquivalent muß nun die Funktion erfüllen, etwas rein Gesellschaftliches zu verkörpern. „Aber nur die gesellschaftliche Tat“ [61] fixiert ein bestimmtes Ding als allgemeines Äquivalent. Geschichtlich war dies, nicht zufällig aber auch nicht streng logisch notwendig, Gold und Silber. Gegenwärtig wird diese Rolle durch Währungen ohne Eigenwert übernommen, so kann man Heinrichs Ausführungen paraphrasieren.

 

In einem Punkt kann ich Heinrich freilich nicht zustimmen. Seine Überlegungen bewegen sich letztlich im Umkreis der Marxschen Thesen der „Grundrisse“ und der Autor knüpft nicht wirklich an die Wertformanalyse an, obwohl dies durchgängig behauptet wird. Sicher, der Begriff „allgemeines Äquivalent“ spielt bei ihm eine herausragende Rolle, doch er benutzt nur das Resultat, nicht die Ableitung. Marx setzt, wie bereits erwähnt,  an den Beginn der Wertformanalyse den Ausdruck „x Ware A ist y Ware B wert“ und konstatiert: „Das Geheimnis aller Wertform steckt in dieser einfachen Wertform. Ihre Analyse bietet daher die eigentliche Schwierigkeit.“ [62] Konsequenterweise müßte Heinrich bereits an diesem Punkt Protest anmelden und behaupten, das von Marx genannte Äquivalent muß nicht notwendig eine Ware sein. Hätte Marx also auch an den Anfang seiner Wertformanalyse schreiben können: „x Ware A ist y Gegenstand wert“? Offensichtlich nicht. Denn in diesem Falle würde die ganze Ableitung in sich zusammenfallen, die ja strikt darauf beruht, daß in beiden Waren „Arbeit gleicher Art“[63] vergegenständlicht ist.[64] Um die Behauptung zu belegen, seine Auffassung des Geldes würde direkt an der Wertformanalyse anknüpfen, müßte Heinrich unter der Voraussetzung, daß nicht mit dem Wertausdruck zweier Waren die Analyse begonnen würde, diese im Sinne von Marx erneut durchführen. Ich halte dies für unmöglich.

 

Zusammenfassung

 

Vorweg gilt es einmal klarzustellen, daß sich dieser Artikel im Kontext des ersten Kapitels des „Kapital“ bewegt. Dort nimmt Marx die grundlegende Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Arbeit vor.[65] Mir ging es darum zu zeigen, daß einige Formulierungen, insbesondere die physiologische Definition der abstrakten Arbeit, die Verausgabung von Muskel, Nerv und Gehirn, zu unsinnigen und widersprüchlichen Konsequenzen führen müssen. Kurz gesagt liquidiert diese Fehldeutung die tiefe Geschichtlichkeit des Marxschen Denkens, sie verwischt die historischen Besonderheiten der sozialen Beziehungen im Kapitalismus und schreibt der Arbeit an sich die geradezu magische Fähigkeit zu, „Wert“ zu produzieren. Damit ist der Weg verbaut, im Wert ein gesellschaftliches Verhältnis zu erkennen, und auch kritisieren zu können.

 

Der Abschnitt über das Problem des Warengeldes weist ein wenig aus dem vorliegenden Thema hinaus. Ich habe ihn auch deshalb eingefügt, weil ich mit einer Untugend brechen wollte, die insbesondere für die Arbeiten aus der ehemaligen DDR typisch war. Texte zum Marxschen Werk waren entweder gigantische Paraphrasierungen oder philologische Kleinarbeit, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen wollte. Probleme und Fragen, die in den Werken der „Klassiker“ nicht gestellt waren, wagte man nicht, eigenständig zu entwickeln. Das Problem der offensichtlich nicht existierenden Geldware wird man nicht bloß durch das „Studium der Klassiker“ lösen können. Auch wenn mich die Lösung Heinrichs nicht wirklich überzeugt, so kommt ihm doch das Verdienst zu, hier Pionierarbeit geleistet zu haben.

 

Weiters ging es mir darum aufzuzeigen, daß diese Unklarheiten für die entstehende ArbeiterInnenbewegung bis in die Phase des Fordismus durchaus funktional waren. Gerade als MarxistInnen können wir Fehldeutungen nicht bloß auf intellektuelles Unvermögen zurückführen, sondern müssen dahinter gesellschaftliche Bedürfnisse erkennen. Sowohl die Sozialdemokratie als auch der sogenannte Reale Sozialismus hatte Interesse, die Arbeit hoch leben zu lassen, und ihr alle möglichen Tugenden anzudichten. Für die Sozialdemokratie vollzog sich unter dem Banner der Arbeitsmoral die Integration in die bürgerliche Gesellschaft, die Machthaber jenseits des eisernen Vorhangs hatten unter schwierigen Bedingungen die Industrialisierung ihrer Länder durchzuführen, bei der sie vor Zwangsmaßnahmen nicht zurückscheuten. Was fügt sich besser in diese Entwicklungen als die These, der Mensch sei als Arbeitender am höchsten Punkt seiner geschichtlichen Bestimmung angelangt und seine Arbeit würde den Wert schlechthin produzieren?

 

@Literaturangabe10:AUSGEWÄHLTE LITERATUR

 

Backhaus, Hans-Georg; "Zur Dialektik der Wertform", In: "Beiträge zur Marxistischen Erkenntnistheorie", (Hg. A. Schmidt), Seiten 87 bis 127, Frankfurt am Main 1969

- "Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik", Freiburg 1997

 

Castoriadis, Cornelius, "Gesellschaft als imaginäre Institution", Frank­furt am Main 1984

- "Wert, Gleichheit, Gerechtigkeit, Politik. Von Marx zu Aristoteles und von Aristoteles zu uns." In: C. Castoriadis, "Durchs Labyrinth. Seele, Vernunft, Gesellschaft", Frankfurt am Main 1983

 

Heinrich, Michael, "Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition", Überarbeitete und erweiterte Neuauflage, Münster 1999

 

Marx, Karl, "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie", Frankfurt am Main - Wien (ohne Jahresangabe)

- „Das Kapital“, Band I, Berlin 1965 = MEW 23

- „Das Kapital“ Erstauflage, Nachdruck = MEGA II.5

 

Rubin, Isaak Iljitsch, "Studien zur Marxschen Werttheorie", Frankfurt am Main 1973

 


1 MEW 23, S. 56

[2] MEW 23, S. 51

[3] Die Grenznutzentheorie beruht prinzipiell auf der Annahme, daß wir uns bei unseren subjektiven Wertschätzungen an den „Schätzungseinheiten“ orientieren. Wobei, und das ist die Pointe, wir den Wert der gesamten Gütermenge nach der „letzten“ Schätzungseinheit beurteilen. Zur Klärung ein Beispiel. Besitzen wir etwa fünf Semmeln, so werden wir bereitwillig eine abgeben, falls wir nicht mehr als eine oder zwei essen können, und die Semmeln in wenigen Stunden so und so altbacken sind. Besitzen wir jedoch nur eine Semmel, so werden wir zögern, diese zu teilen, falls wir Hunger haben. Im ersten Fall schätzen wir den Wert der Semmeln nach der „fünften“, im zweiten Fall nach der „ersten“ Semmel = „Schätzungseinheit“ ein. Dieses Beispiel habe nicht ich erfunden, sondern findet sich in ähnlicher Form tatsächlich bei Böhm-Bawerk, und zwar in: Eugen von Böhm-Bawerk, „Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts“, London 1886, Seiten 30ff. Dieser Herr ist übrigens auf dem 100-Schilling-Schein abgebildet.

[4] In der Regel verzichtet die bürgerliche Ökonomie gegenwärtig überhaupt darauf, den Begriff „Wert“ zu definieren. Dieser dunkle Begriff der Klassik wird zumeist als philosophischer Rest und Ballast ausgeschieden. Alle Dinge besitzen schließlich einen Preis, liegen also bereits in abstrakt quantifizierbarer Form (Zahlenform) vor. Und wo Zahlen bereits gegeben sind, läßt es sich dann trefflich mit höherer Mathematik rechnen.

[5] MEW 23, S. 52

[6] MarxkritikerInnen wie Böhm-Bawerk ließen es sich natürlich nicht nehmen, ihre Kritik am Umstand hochzuziehen, daß es Waren gibt, die kein Arbeitsprodukt darstellen, z.B. Grund und Boden. Daß Marx hunderte Seiten zur Grundrente verfaßte, wird dabei elegant ignoriert. Tatsächlich ist die Tendenz alles in Ware zu verwandeln eine notwendige Konsequenz der kapitalistischen Vergesellschaftung, die von Marx klar erkannt wird. „Dinge, die an und für sich keine Waren sind, z.B. Gewissen, Ehre usw. können ihren Besitzern für Geld feil sein und so durch ihren Preis die Warenform erhalten.“ MEW 23, S. 117

[7] Alle Passagen auf MEW 23, S. 52

[8] MEW 23, S. 61

[9] MEW 23, S. 58f

[10] MEW 23, S. 88

[11] Michael Heinrich, „Die Wissenschaft vom Wert“, 2. Auflage, Münster 1999, S. 211f

[12] Alfred Sohn-Rethel, „Warenform und Denkform“ Frankfurt am Main Seite 113. Sohn-Rethel ist in dieser Frage allerdings nicht ganz eindeutig. In „Warenform und Denkform“ ist es die Tauschhandlung, in „Geistige und körperliche Arbeit“ die Produktion, durch die Arbeit ihren abstrakten Charakter erhält. Dort heißt es: „Anders gesagt, die Warenabstraktion ist Tauschabstraktion, nicht Arbeitsabstraktion. Die Arbeitsabstraktion, welche in der kapitalistischen Warenproduktion in der tat stattfindet, hat, wie wir später (im 3. Teil dieser Schrift) sehen werden, ihren Ort im Produktionsprozeß, nicht im Austauschprozeß.“ Alfred Sohn-Rethel, „Geistige und körperliche Arbeit“ Frankfurt am Main 1973  Seite 79

[13] Isaak Iljitsch Rubin, "Studien zur Marxschen Werttheorie", Frankfurt am Main 1973, S. 96

[14] Werner Becker, „Kritik der Marxschen Wertlehre“, Hamburg 1972, S. 37 Hervorhebung von mir.

[15] Die gesellschaftlichen Ursachen für dieses Bedürfnis können hier nicht diskutiert werden.

[16] Der anthropologische Arbeitsbegriff findet sich vor allem in den Marxschen Frühschriften. Marx will dort zeigen, daß durch die Bearbeitung der Natur der Mensch historisch seine eigenen „Wesenskräfte“ entwickelt hat. Dieser Arbeitsbegriff muß als geschichtsphilosophisches Konzept verstanden werden. Die praktische, sinnlich erfahrbare, „materielle“ Bearbeitung der Natur, so Marx,  ist die eigentliche Basis der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Das Verhältnis dieses Arbeitsbegriffes, zu den zwei Grundkategorien des Kapitals – konkrete und abstrakte Arbeit – kann in einer Fußnote nicht diskutiert werden. Für ein Verständnis des „Kapitals“ erscheint mir der anthropologische Arbeitsbegriff, der sich dort nur noch in Spuren findet, redundant.

[17] Das erste Kapitel des „Kapitals“ ist in der Erstauflage strenger logisch konzipiert als die späteren Auflagen, in der einige Passagen durchaus im „historischen“ Sinne interpretierbar sind.

[18] Karl Marx, „Das Kapital“ Nachdruck der Erstauflage, S. 6, = MEGA II.5/21

[19] MEW 23, S. 53

[20] MEW 23, S. 89

[21] Die gesellschaftliche Dimension der Nachfrage (bzw. der Produktion) führte manche Autoren dazu, eine zweifache Bestimmung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit bei Marx anzunehmen. Die erste Bestimmung wäre von der technisch notwendigen Produktionszeit abzuleiten, die zweite aus der gesamtgesellschaftlichen zahlungsfähigen Nachfrage. Als Beleg dient meistens folgende Stelle aus dem dritten Band des „Kapitals“: „Z.b. es sei proportionell zuviel Baumwolle produziert, obgleich in diesem Gesamtprodukt von Gewebe zur die unter den gegebenen Bedingungen dafür notwendige Arbeitszeit realisiert. Aber es ist überhaupt zuviel gesellschaftliche Arbeitszeit in diesem besondren Zweig verausgabt; d.h. ein Teil des Produkts ist nutzlos. Das Ganze verkauft sich daher nur, als ob es in der notwendigen Proportion produziert wäre. Diese quantitative Schranke der auf die verschiednen besondren Produktionssphären verwendbaren Quoten der gesellschaftlichen Arbeitszeit ist nur ein weiterentwickelter Ausdruck des Wertgesetzes überhaupt; obgleich die notwendige Arbeitszeit hier einen andren Sinn erhält.“ (MEW 25, S. 649) Wie Rubin gezeigt hat, kann davon nicht eine doppelte, also von Kern her verschiedene Bestimmung der gesellschaftlich durchschnittlichen Arbeitszeit abgeleitet werden. Rubin bringt den Standpunkt jener, die von zwei verschiedenen Bestimmungen ausgehen, klar auf den Punkt: „Das bedeutet, daß der Warenwert nicht nur durch die Produktivität der Arbeit bestimmt ist (die das unter gegebenen, durchschnittlich technischen Bedingungen zur Warenproduktion notwendige Arbeitsquantum ausdrückt), sondern durch den Umfang der gesellschaftlichen Bedürfnisse oder der Nachfrage.“ (Rubin, S. 152) Während Rosdolsky nur von „zwei verschiedenen Stufen“ (Roman Rosdolsky, „Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen Kapital“, Band I, Frankfurt am Main 1974, S. 123) spricht, auf denen Marx das Problem der gesellschaftlich notwendigen Arbeitsmenge behandelt haben soll, tendiert Reichelt offenbar zur Annahme, man müsse von zwei verschiedenen Bestimmungen der notwendigen Arbeitszeit ausgehen, wobei das Verhältnis beider Bestimmungen offen bleibt. Es ist klar, daß “die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit unter doppeltem Aspekt zu betrachten ist“, sie „in ihrer konkreten Verausgabung je schon als gesellschaftlich notwendig im doppelten Sinne bestimmt“, sie „unter doppeltem Aspekt zu betrachten ist“. (Helmut Reichelt, „Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx“, Frankfurt am Main, Wien 1970, S. 175ff) Reichelt, ebenso wie Rosdolsky, läßt jedoch die Frage, ob es eine doppelte Bestimmung der durchschnittlich gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit bei Marx gibt, letztlich offen: „Das Problem selbst wird im Kapital ebenfalls nicht abschlußhaft beantwortet,...“; „Daß dieser Begriff (der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit K.R.) unter doppeltem Aspekt zu betrachten ist, hat Marx explizit konstatiert und kommt wiederholt darauf zurück, wenngleich in einer Form, aus der nicht zweifelsfrei zu entnehmen ist, wie die Vermittlung beider Aspekte zu denken ist.“ (Helmut Reichelt, „Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx“, Frankfurt am Main, Wien 1970, Seiten 179, 181)

[22] Die Nichtübereinstimmung zwischen tatsächlich geleisteter Arbeitszeit und wertbestimmender Zeit wird u.a. auch von Ernest Mandel unterschlagen, der oftmals simple und irreführende Vergleiche verwendet. „Das allein macht also die Waren vergleichbar; die allgemein menschliche Arbeit also – abstrakt ausgedrückt, weil man von ihren spezifischen Merkmalen absieht, wie man bei der Addition von 3 Äpfeln, 4 Birnen und 5 Bananen von deren spezifischen Qualitäten abstrahieren muß, um einfach 12 Früchte zu erhalten – ist die Grundlage des Tauschwerts.“ belehrt uns Ernest Mandel und schreibt das Wort „Früchte“ betont kursiv. Abstraktion meint hier schlichte Gedankenabstraktion, nicht Realabstraktion. Ernest Mandel, Marxistische Wirtschaftstheorie, Frankfurt am Main 1970, S. 70

[23].Hans Georg Backhaus, „Dialektik der Wertform“, S. 95, Freiburg 1997

[24] MEW 23, S. 87

[25] MEW 23, S. 87

[26] Michael Heinrich, „Untergang des Kapitalismus? Die „Krisis und die Krise“, In Streifzüge 1/1999, S. 2

[27] MEW 23, S. 88

[28]Das Imaginäre, von dem ich spreche, ist kein Bild von. Es ist unaufhörliche und (gesellschaftlich-geschichtlich und psychisch) wesentlich indeterminierte Schöpfung von Gestalten/Formen/Bildern, die jeder Rede von etwas zugrundeliegen. Was wir <Realität> und <Rationalität> nennen, verdankt sich überhaupt erst ihnen.“ Castoriadis, Cornelius, "Gesellschaft als imaginäre Institution", Frank­furt am Main 1984, S. 12

[29] "Wert, Gleichheit, Gerechtigkeit, Politik. Von Marx zu Aristoteles und von Aristoteles zu uns." In: C. Castoriadis, "Durchs Labyrinth. Seele, Vernunft, Gesellschaft", Frankfurt am Main 1983, S. 234

[30] Aristoteles, „Nikomachische Ethik“, 1133 b 17