Betreff: Einige kritische Anmerkungen zum "Manifest gegen die Arbeit" (K. W. Pörtner) Datum: Fri, 16 Jul 1999 08:15:56 EDT Von: KXX4493553@aol.com An: list@krisis.free.de CC: gerhardkern@gmx.de Einige kritische Anmerkungen zum "Manifest gegen die Arbeit" (Teil I) von Kurt-Werner Pörtner, Juli 1999 Das "Manifest" kam ein Jahr zu spät, der 150. Jahrestag des "Kommunistischen Manifests" war 1998. Offenbar soll das Eine die Fortsetzung des Anderen sein, und da muß sich das "Manifest gegen die Arbeit" an den Ansprüchen und Vorgaben des "Kommunistischen Manifests" messen lassen. Aber geht das überhaupt, oder ist damit das "Manifest gegen die Arbeit" (in der Folge als MgA abgekürzt) hoffnungslos überfordert? Denn daß das "Kommunistische Manifest" nach einer gewissen "Inkubationszeit" in der Tat die Initialzündung für welthistorische Ereignisse war, die insbesondere die (Katastrophen-)Geschichte des 20. Jahrhunderts prägten, dürfte unbestreitbar sein. Aber kann man ernsthaft daran denken, daß dies auch in Zukunft für die MgA gelten könnte, im Positiven wie im Negativen? Denn ich denke, Manifeste und Grundlagentexte erheben für sich den Anspruch, etwas bewirken zu wollen. Hat also das MgA die Chance, zumindest - sagen wir - eine gewisse Breitenwirkung zu erzielen, über den Kreis der Krisis-Gruppe und seiner (zur Zeit noch recht kleinen) "Korona" hinaus? Prüfen wir also den Text auf seinen Inhalt, unterziehen wir ihn einem "Härtetest" und sehen zu, was dabei herauskommt! Es ist in der Tat merkwürdig: so sympathisch es ist, in den Ruf "Proletarier aller Länder, macht Schluß" (MgA, S. 49) auszubrechen, so recht will die Metaforik der "absoluten Schranke" der Kapitalverwertung nicht überzeugen. Schon Michael Heinrich (s. dazu: Untergang des Kapitalismus? Die >Krisis< und die Krise, in Streifzüge 1/1999, Wien, S. 1-5)war verwundert darüber, warum die Krisis-Gruppe zwar so ziemlich alles des alten Arbeiterbewegungs-Marxismus verwirft, gleichzeitig jedoch die Gute Alte Zusammenbruchstheorie wieder aus der Versenkung holt und sich "nun ausgerechnet mit dieser Perle des Aebeiterbewegungsmarxismus schmückt." (Michael Heinrich, S. 2) Wenn der Kapitalismus in einer Art Mechanik der geschichtlichen Entwicklung eh zusammenbricht, warum sich da noch engagieren und auf Demos gehen, Manifeste schreiben, politische Arbeit leisten? Warum nicht gleich im Lehnstuhl hocken und Däumchen drehen, um auf den "richtigen geschichtlichen Augenblick" zu warten? Wenn es eh so naturgesetzlich ist, daß der Kapitalismus untergeht wie abends die Sonne, warum überhaupt irgendwas tun? Es ist allgemein bekannt, daß es eine ziemlich nutzlose Angelegenheit ist, gegen Naturgesetze anzukämpfen. Warum also den Untergang des Realkap noch befördern, wenn er es doch freundlicherweise von selber tut? Das Verführerische an Krisis-Texten bzw. -Statements ist gerade das Gefährliche an ihnen: ich ertappe mich dauernd (auch bei der Lektüre des MgA), daß ich permanent mit dem Kopf nicke und mir sage: Recht haben sie! Es klingt so einsichtig, so vernünftig, es geht, mit einem Wort, so glatt runter wie Öl. Auch ich mache mich lustig über die krampfhaften Versuche der bürgerlichen IdeologInnen, ihr Schlachthaus mit Geranien zu schmücken und jedes lächerliche Geschwafel als Geistesblitz zu verkaufen; auch hier gilt der Benn'sche Satz: "Keine Propaganda kann Exkremente in Maiglöckchen verwandeln" (nebenbei: wenn sich Benn doch bloß selber an diese Maxime gehalten hätte!). Jedoch wenn ich sage: gerade dieses Eingängige ist das Gefährliche am MgA, dann bedeutet dies, daß es gerade der oft geleugnete bzw. versteckte Geschichtsdeterminismus der Krisis-Gruppe ist, der einen üblen Nachgeschmack bereitet. Das gefährlichste Erbe des Marxismus wird hier weitergeschleppt und ist, gleichsam als Subtext, überall vorhanden: eine unausgesprochene Geschichtsteleologie, dieses Alles-oder Nichts, Hopp oder Top, Daumen rauf-Daumen runter. Dieser Glaube, daß die Geschichte ein Ziel habe, ist der Punkt, wo die Mechanisten zu Theologen werden: die "absolute Schranke" des Kapitals liegt dort, wo die Erkenntnis endet. Im Jenseits liegt nur GOTT oder das NICHTS, darüber hinaus sind keine Aussagen möglich. Das Wort "Apokalypse" bedeutet übrigens so viel wie "Offenbarung": die Apokalypse, das Jüngste Gericht, Armaggeddon, die letzte Schlacht zwischen Gut und Böse: jenseits der "absoluten Schranke" gibt es nur geoffenbartes Wissen, kein empirisches, kein wissenschaftlich abgeleitetes. Im Jenseits der "absoluten Schranke" kommen Krisis und Zeugen Jehovas wieder zusammen, wenn ich es einmal hier überspitzt sagen darf: im Paradies, wo Löwe und Schaf friedlich nebeneinander liegen, hat die Geschichte aufgehört, Geschichte zu sein, und wir befinden uns im Gefilde der ERLEUCHTUNG oder des GEOFFENBARTEN WISSENS. Wogegen nichts zu sagen wäre, würden die Krisis-Leute das offen sagen. Aber sie tun's eben nicht, und hier hört der Spaß auf. Die Atheisten sind bekanntlich diejenigen, die am verbissensten an Gott festhalten; ER ist ihr Lebenselexier. Die Ideen bzw. Vorstellungen, die die Krisis-Gruppe hinsichtlich "alternativer" Gesellschaftsentwürfe entwickelt, sind nun weiß Gott nichts Neues, ein Mixtur altbekannter marxistischer, anarchistischer und trotzkistischer Positionen: "An die Stelle der Warenproduktion tritt die direkte Diskussion, Absprache und gemeinsame Entscheidung der Gesellschaftsmitglieder über den sinnvollen Einsatz der Ressourcen... Die entfremdeten Institutionen von Markt und Staat werden abgelöst durch ein gestaffeltes System von Räten, in denen vom Stadtteil bis zur Weltebene die freien Assoziationen nach Gesichtspunkten sinnlicher, sozialer und ökologischer Vernunft über den Fluß der Ressourcen bestimmen." (MGA, S. 42 f.) Klingt wirklich unglaublich konkret, auf die konkreten Kämpfe von Chiapas bis zur Arbeitslosenbewegung wird mit keinem Wort eingegangen, die Existenzgeld-Forderung ins Lächerliche gezogen. Ich bin mir auch darüber im Klaren, daß das Existenzgeld nichts weiter ist als eine umdefinierte Sozialhilfe, aber in vielen Ländern der Erde wären die Ärmsten der Armen froh, wenn es bei ihnen überhaupt so etwas wie Sozialhilfe gäbe. Darüber zu spotten, verrät nur allzu offensichtlich den Elfenbeinturm des Theoretikers. Wenn die Menschen mit praktischen Problemen des nackten Überlebens beschäftigt sind, kommen ihnen Theoretiker, die ihr "arbeitswütiges", kleinbürgerliches etc. Bewußtsein mit Hohn und Spott übergießen, zu Recht als bourgeoise Zyniker vor. Und das wäre ja wohl das Allerletzte, was die Krisis-Gruppe intendiert. Manches findet halt auch "hinter dem Rücken" von Krisis statt, weiß Gott. Noch einmal zurück zur "Zusammenbruchstheorie des Kapitalismus". Diese Theorie hängt aufs Engste mit der These vom tendenziellen Fall der Profitrate zusammen, und hier möchte ich nochmals Michael Heinrich zitieren, der an dieser These folgende Kritik übt (weder das MgA noch Franz Schandl in seiner Replik auf Heinrichs Artikel (s. dazu, F. Schandl, Was Wert ist. Notizen zu Michael Heinrichs "Untergang des Kapitalismus?" Antikritik und Konkretisierung inklusive insistierender Marx-Exegese. Exklusive Gebrauchswert, in: Streifzüge 2/1999, S. 11-13) gehen darauf nur mit einem Sterbenswörtchen ein): "Den langfristigen Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofitrate begründete Marx kurz gesagt damit, daß der Anteil des >variablen Kapitals< (mit dem die Arbeitskraft gekauft wird) am vorgeschossenen Gesamtkapital immer mehr abnehme, da die Steigerung der Produktivkraft eine immer teurere Maschinerie erfordern würde. Mehrwert (und damit auch seine verwandelte Form Profit) entstehe aber nur durch die Verausgabung lebendiger Arbeitskraft, so daß das Kapital im Laufe seiner Entwicklung die Quelle seiner Verwertung untergrabe und daher die Profitrate langfristig sinke. Das Problem bei dieser Argumentation besteht darin, daß der skizzierte Prozeß nicht nur den von Marx hervorgehobenen Aspekt (Vermehrung des konstanten Kapitals gegenüber dem variablen) hat, der allein betrachtet eine Senkung der Profitrate bewirkt, sondern auch noch andere, die Profitrate steigernde Eigenschaften aufweist: die Produktivkraftsteigerung wirkt verbilligend auf das eingesetzte konstante Kapital und außerdem steigert sie die Mehrwertrate (d. h. die gleiche Menge Arbeitskraft liefert in derselben Zeit einen größeren Mehrwert). Die Bewegung der Profitrate ist erst das Resultat aller drei Effekte... Wer einen Fall der Profitrate behauptet (oder darauf gestützt eine Abnahme der produktiven Arbeit), also eine quantitative Aussage macht, muß dafür auch eine quantitative Begründung vorlegen... Der an dieser Stelle oft gehörte Einwand, daß es aber doch nicht um quantitative Größen, sondern um gesellschaftliche Verhältnisse gehe, ist wenig überzeugend, wenn derjenige, der diesen Einwand vorbringt, vorher selbst mit der quantitativen Veränderung bestimmter Größen argumentiert hat." (M. Heinrich, S. 3)