Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 4, S. 248 - 290
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1972

Friedrich Engels

Die wahren Sozialisten

Geschrieben Januar bis April 1847. Nach der Handschrift


Nach dem Schluß dieses Manuskriptes zu urteilen, ist anzunehmen,daß die Arbeit nicht vollendet wurde. Zum erstenmal wurde sie im Jahre1932 in deutscher Sprache vom Marx-Engels-Lenin-Institut, Moskau, herausgegeben.(nach einer Anmerkung in der Werke-Ausgabe, Dietz Verlag Berlin.)


Seit die obigen Schilderungen wahrer Sozialistengeschrieben wurden, sind mehrere Monate verflossen. Während dieser Zeithat der wahre Sozialismus, der bisher nur vereinzelt, hie und da auftauchte,einen großartigen Aufschwung genommen. Er hat in allen Teilen desGesamtvaterlandes Vertreter gefunden, er hat sich sogar zu einer gewissenliterarischen Parteibedeutung emporgehoben. Noch mehr, er sondert sich bereitsin mehrere Gruppen, die zwar durch das gemeinsame Band deutscher Innigkeitund Wissenschaftlichkeit, durch gemeinsame Bestrebungen und Zwecke eng verbunden,die aber doch durch die besondre Individualität einer jeden bestimmtvoneinander geschieden sind. Auf diese Weise ist "die chaotische Lichtmasse",wie Herr Grün so schön sagt, des wahren Sozialismus mit der Zeitin eine "geordnete Helle" übergegangen; sie hat sich zu Sternen mitSterngruppen konzentriert, bei deren mildem, ruhig strahlendem Schein derdeutsche Bürger seinen Plänen für redliche Erwerbung eineskleinen Vermögens und seinen Hoffnungen für Hebung der niederenVolksklassen sorglos nachhängen kann.

Wir dürfen vom wahren Sozialismus nicht scheiden, ohne vorher wenigstensdie entwickeltsten dieser Gruppen näher beobachtet zu haben. Wir werdensehen, wie jede von ihnen, anfangs in der Milchstraße der allgemeinenMenschenliebe verschwimmend, durch die eintretende saure Gärung, die"wahre Begeisterung für die Menschheit" (wie Herr Dr. Lüning,gewiß eine kompetente Autorität, sich ausdrückt), sich alsbesondre Flocke konstituiert und von den bürgerlich-liberalen Molkenscheidet; wie sie dann eine Zeitlang als Nebelfleck am sozialistischen Himmelfiguriert, wie der Nebelfleck an Größe und Helligkeit zunimmtund schließlich gleich einer Rakete sich in eine blendende Gruppe vonSternen und Sternbildern zerteilt.

Die älteste, am frühsten selbständig entwickelte Gruppe istdie des westfälischen Sozialismus. Dank den überaus wichtigenHändeln dieser Gruppe mit der königlich preußischen Polizei,dank dem Eifer dieser westfälischen Fortschrittsmänner fürÖffentlichkeit, hat das deutsche Publikum den Gewinn gehabt, die ganzeGeschichte dieser Gruppe in der "Kölnischen ....", "Trier'schen ..." und andern Zeitungen lesen zu können. Wir brauchen hier daher nurdas Nötigste zu erwähnen.

Der westfälische Sozialismus ist in der Gegend von Bielefeld, im TeutoburgerWalde zu Hause. Die Zeitungen enthielten ihrer Zeit geheimnisvolle Andeutungenüber den mystischen Charakter seiner frühesten Epoche. Aber baldüberschritt er die Stufe des Nebelflecks; mit dem ersten Hefte des"Westphälischen Dampfboots" erschloß er sich und zeigte dem erstauntenAuge ein Heer schimmernder Sterne. Wir befinden uns im Norden des Äquatorsund, sagt ein alter Reim:

Die Existenz der "Jungfrauen" wurde schon früh von der "gutenPresse" behauptet; der "Leu" war ebenderselbe Hermann der Cherusker,der bald, nachdem der westfälische Nebelfleck sich erschlossen, seinetrauten Freunde verließ und nunmehr als Volkstribun von Amerikaherüber seine blonden Mähnen schüttelt. Nicht gar zu langedarauf ist ihm der Krebs "wegen unangenehmer Wechselgeschichten" gefolgt,wodurch der westfälische Sozialismus zwar Witwe wurde, aber darum nichtminder das Geschäft fortsetzt. Von den Zwillingen ist der eine ebenfallsnach Amerika gegangen, um eine Kolonie zu stiften; während er dort abhandenkam, erfand der zweite "die Volkswirtschaft in ihrer zukünftigen Gestaltung"(vgl. Lüning, "Dies Buch gehört dem Volke", II. Jahrg.) Alle dieseverschiedenen Figuren sind indes verhältnismäßig unbedeutend.Das Gewicht der Gruppe konzentriert sich im Widder und im Stier, diesen echtwestfälischen Gestirnen, unter deren Obhut das "WestphälischeDampfboot" sicher die Wogen durchschneidet.

Das "Westphälische Dampfboot" hielt sich eine lange Zeit auf dem modesimple <einfache Art> des wahren Sozialismus. "Es verging kein Stundin der Nacht", wo es nicht bittre Tränen vergoß über dasElend der leidenden Menschheit. Es predigte das Evangelium vom Menschen,vom wahren Menschen, vom wahren wirklichen Menschen, vom wahren wirklichenleibhaftigen Menschen aus Leibeskräften, und die waren freilich nichtsonderlich groß. Es hatte ein welches Gemüt und liebte Milchreismehr als spanischen Pfeffer. Daher trug seine Kritik einen sehrsanftmütigen Charakter und schloß sich lieber an gleich barmherzige,liebevolle Rezensenten an, als an die neuerdings aufkommende herzlose, kalteSchärfe der Beurteilung. Aber es hatte ein weites Herz bei wenig Courage, und so fand selbst diegefühllose "Heilige Familie" Gnade vor seinen Augen. Mit dergrößten Gewissenhaftigkeit berichtete es über die verschiedenenPhasen der Bielefelder, Münsterschen usw. Lokalvereine zur Hebung derarbeitenden Klassen. Größte Aufmerksamkeit wurde den wichtigenEreignissen im Bielefelder Museum gewidmet. Und damit ja der westfälischeBürger und Landmann erfahre, was die Glocke geschlagen, wurden in demmonatlichen Überblick der "Weltbegebenheiten" am Schluß jederNummer dieselben Liberalen belobt, die in den übrigen Artikeln der Nummerangegriffen worden waren. Nebenbei teilte man dem westfälischen Bürgerund Landmann noch mit, wann die Königin Victoria niedergekommen war,in Ägypten die Pest wütete und die Russen im Kaukasus eine Schlachtverloren hatten.

Man sieht, das "Westphälische Dampfboot" war eine Zeitschrift, die aufden Dank aller Wohlgesinnten und auf das überquellende Lob des HerrnFr. Schnake im "Gesellschaftsspiegel" vollen Anspruch machen durfte. DerStier redigierte mit dem lächelndsten Behagen auf der marschigen Weidedes wahren Sozialismus herum. Wenn ihm auch der Zensor zuweilen ins Fleischschnitt, so brauchte er doch nie zu seufzen: "es war die beste Stelle"; derwestfälische Stier war ein Zugstier und kein Zuchtstier. Selbst der"Rheinische Beobachter" hat nie gewagt, weder dem "Westphälischen Dampfboot"im allgemeinen noch dem Dr. Otto Lüning im besondern ein Attentat aufdie Sittlichkeit vorzuwerfen. Kurz, man konnte wähnen, das "Dampfboot",das, seit ihm die Weser verboten wurde, nur noch auf dem mythisch unter dieSterne versetzten Flusse Eridanus schwimmt (denn bei Bielefeld fließtkein andres Wasser) - das "Dampfboot" habe den höchsten Grad menschlicherVollkommenheit erreicht.

Aber in allen seinen bisherigen Efforts hatte das "Dampfboot" nur die einfachstePhase des wahren Sozialismus entwickelt. Gegen den Sommer des Jahres 1846trat es aus dem Zeichen des Stiers heraus und näherte sich dem des Widders,oder vielmehr, um historisch richtiger zu sprechen, der Widder nähertesich ihm. Der Widder war ein gereister Mann und stand vollständig aufder Höhe der Zeit. Er erklärte dem Stier, wie es jetzt in der Welteigentlich aussehe, daß die "wirklichen Verhältnisse" jetzt dieHauptsache seien, und daß man deshalb eine neue Wendung machen müsse.Der Stier war vollkommen einverstanden, und von diesem Augenblick an bietetdas "Westphälische Dampfboot" ein noch viel erhebenderes Schauspieldar: den mode composé <die zusammengesetzte Art> des wahrenSozialismus.

"Der Widder und der Stier" glaubten diesegraziöse Tour nicht besser ausführen zu können als durch denAbdruck unsrer Kritik des New-Yorker "Volks-Tribunen", die wir diesem Blatteim Manuskript eingeschickt hatten und die von ihm aufgenommen war. Das"Dampfboot", das sich jetzt nicht scheute, auf seinen eignen, weit in Amerikabefindlichen Leuen anzuschlagen (der mode composé des wahren Sozialismusgibt bei weitem mehr Keckheit als der mode simple), das "Dampfboot" warübrigens pfiffig genug, folgende menschenfreundliche Bemerkung an obigeKritik zu knüpfen: "Sollte jemand im obigen Aufsatz eine Selbstkritik(?!) des 'Dampfboots' erblicken wollen, so haben wir nichts dagegen."

Damit ist der mode composé des wahren Sozialismus genügendeingeleitet, und nun geht es im gestreckten Galopp vorwärts auf derneuen Bahn. Der Widder, von Natur ein kriegerisches Geschöpf, kann sichbei der bisherigen gutmütigen Art der Kritik nicht beruhigen; dem neuenLeithammel der westfälischen Lämmerherde zuckt die Kampflust durchalle Glieder, und eh seine zaghafteren Genossen ihn daran hindern können,trabt er mit gesenkten Hörnern auf den Dr. Georg Schirges in Hamburglos. Der Dr. Schirges war früher gar so übel nicht angesehen beiden Lenkern des "Dampfboots", aber jetzt ist das anders geworden. Der armeDr. Schirges repräsentiert den mode simplicissimus <die einfältigeArt> des wahren Sozialismus, und diese jüngst noch geteilte Einfaltverzeiht ihm der mode composé nicht. Darum rennt ihm der Widder imSeptemberheft 1846 des "Dampfboots" pag. 409-414 die unbarmherzigsten Breschenin die Mauern seiner "Werkstatt". Genießen wir einen Augenblick diesSchauspiel.

Einige wahre Sozialisten und soi-disant <sogenannte> Kommunisten habendie brillanten Satiren Fouriers über die Lebensverhältnisse derBourgeoisie, soweit sie etwas davon kennengelernt hatten, in die Spracheder deutschen bürgerlichen Moralität übersetzt. Sie entdecktenbei dieser Gelegenheit die bereits den Aufklärern und Fabeldichterndes vorigen Jahrhunderts bekannte Theorie von dem Unglück der Reichenund bekamen damit Stoff zu den unerschöpflichsten moralischen Tiraden.Der Dr. Georg Schirges, noch nicht tief genug eingeweiht in die Mysteriender wahren Doktrin, ist keineswegs der Meinung, daß "die Reichen ebensounglücklich seien als die Armen". Der westfälische Leithammel versetztihm dafür einen entrüsteten Stoß, wie ihn ein Mensch verdient,den "ein Gewinn in der Lotterie ... zum glücklichsten und zufriedenstenMenschen von der Welt machen könnte".

"Ja, ruft unser stoischer Widder aus, "es ist denn doch trotz Herrn Schirgeswahr, daß der Besitz nicht ausreicht,die Leute glücklich zu machen, daß ein sehr großer Teilunsrer Reichen sich ... nichts weniger als glücklich fühlt." (Duhast recht, biedrer Widder. die Gesundheit ist ein Gut, das mit keinem Goldeaufzuwiegen ist.) "Hat er auch durch Hunger und Kälte nicht zu leiden,so gibt es doch noch andre Übel" (zum Beispiel venerische Krankheiten,anhaltendes Regenwetter, in Deutschland mitunter auch Gewissensbisse), "derenDruck er sich nicht entziehen kann." (Namentlich ist für den Tod keinKraut gewachsen.) "Ein Blick in das Innere der meisten Familien ... faulund morsch Alles ... Der Mann durch Börsen- und Handelsgeschäfteganz absorbiert" (beatus ille qui procul negotiis < glückselig, werdem Treiben der Geschäfte fern (Horaz, "Epodon", Ode II, Vers 1)>- es ist erstaunlich, daß der Arme noch Zeit übrig behält,ein paar Kinder zu machen)... "zum Sklaven des Geldes herabgewürdigt"(der Ärmste!), "die Frau zur inhaltslosen" (außer wenn sie schwangerist), "hohlen Salondame herangebildet oder zur guten Hausfrau erzogen, diefür nichts Sinn hat als für Kochen, Waschen und Kinderwarten" (sprichtder Widder noch von den "Reichen"?) "und höchstens einigeKlatschgesellschaften" (wir sind, sieht man, noch immer auf ausschließlichdeutschem Boden, wo die "gute Hausfrau" die schönste Gelegenheit hat,sich dem zu widmen, wofür "sie Sinn hat"; Grund genug, höchst"unglücklich" zu sein); "dabei beide nicht selten in einem ununterbrochenenKriege miteinander .. , selbst das Band zwischen Eltern und Kindern wirddurch die sozialen Verhältnisse häufig zerrissen" etc. etc.

Das schlimmste Leiden hat unser Autor vergessen. Ein jeder "reiche" deutscheHausvater wird ihm sagen können, daß ehelicher Unfriede mit derZeit ein Bedürfnis werden, daß man ungeratene Kinder nach Bataviaexpedieren und vergessen kann, daß aber diebische und widerspenstigeDienstboten ein unerträgliches und bei der um sich greifenden Demoralisationdes gemeinen Mannes und Weibes nunmehr fast unvermeidliches "Übel" sind.

Wenn die Herren Rothschild, Fulchiron und Decazes in Paris, Samuel JonesLoyd, Baring und Lord Westminster in London diese Schilderung von denTrübsalen der "Reichen" läsen, wie würden sie den gutenwestfälischen Widder bemitleiden!

... "Dabei aber, nachzuweisen" (wie oben geschehen), "daß derDruck unserer Verhältnisse" (namentlich der Druck der Atmosphäremit 15 Pfund pro Quadratzoll) "auch auf dem Reichen, wenn auch nicht ebensostark, wie auf dem Armen laste, kommt das heraus, was bei der Schilderungunsrer Verhältnisse und Zustände überhaupt herauskommt:Aufklärung für jeden, der damit bekannt zu werden sucht." (Es scheintfast, daß bei dem mode composé des wahren Sozialismus noch weniger"herauskommt" als bei dem mode simple.) "Aus der Unzufriedenheit des Reichenwird allerdings keine Umwälzung zugunsten des Proletariershervorgehen, dazu gehören mächtigere Triebfedern" (namentlichSchreibfedern); "auch ist es mit dem: 'Seid umschlungen Millionen,diesen Kuß der ganzen Welt' - nicht abgetan; aber ebensowenig nützt es, sich mit Flickwerk undPalliativmittelchen (etwa Versöhnungsversuchen in der obigenunglücklichen Haushaltung) "abzuquälen und darüber dasGroße, die wirklichen Reformen (wohl die Ehescheidung) "ganz zu vergessen."

Der Zusammenhang des obigen "allerdings" mit den folgenden "auch" und "aberebensowenig" liefert "allerdings" ein beklagenswertes Beispiel von derVerwirrung, welche durch den Übergang vom einfachen zum zusammengesetztenwahren Sozialismus im Kopf eines Westfalen herbeigeführt wird; "auch"wird sich unsre Betrübnis nicht vermindern, wenn wir auf der nächstenSeite (p. 413) lesen, daß "in den politisch entwickelten Ländern... ein Zustand ohne alle Schranke besteht"; "aber ebensowenig" sprichtes für die geschichtlichen Kenntnisse des westfälischen Sozialismus,wenn nach derselben Seite "der Egoismus ... in der glänzendstenZeit der Revolution, in der Zeit des Konventes sogar nicht seltenbestraft wurde" - wahrscheinlich mit Stockprügeln. Doch "wirhaben keinen Grund, von dem ferneren Wirken 'unsres Widders' Besseres zuerwarten, und werden deshalb wohl sobald nicht wieder auf ihnzurückkommen".

Sehen wir uns lieber nach dem Stier um. Dieser beschäftigt sich inzwischenmit den "Weltbegehenheiten", wirft p. 421 (Septemberheft 1846) "lauter wohlaufzuwerfende Fragen" auf und stürzt sich köpflings in diejenigePolitik, welcher nach dem "Charivari" Herr Guizot den Spitznamen der"großen" gegeben hat. Auch hier ist der Fortschritt gegen die früherePeriode des einfachen Sozialismus augenscheinlich. Ein paar Proben:

Es ist das Gerücht nach Westfalen gedrungen, daß die preußischeRegierung durch die Geldnot, in der sie sich befindet, sehr leicht zurOktroyierung einer Konstitution genötigt werden könnte. Zugleichberichten die Zeitungen von der an der Berliner Börse herrschenden Geldnot.Unser westfälischer Zugstier, der in der politischen Ökonomie ebennicht stark ist, identifiziert tout bonnement <ohne weiteres> die Geldnotder Berliner Regierung mit der ganz verschiedenen Geldnot der BerlinerCommerçants <Kaufleute> und entwickelt folgendetiefblickende Hypothese:

" ... als vielleicht noch in diesem Jahre die Provinzialstände alsReichsstände zusammenberufen werden. Denn die Geldnot ist nochimmer dieselbe, die Bank scheint ihr nicht abhelfen zu können.Ja, es könnten sogar die begonnenen und projektierten Eisenbahnbautenernstlich durch den Geldmangel gefährdet werden, in welchem Falledann der Staat leicht (o sancta simplicitas! <o heiligeEinfalt!>) "zur Übernahme einzelner Linien veranlaßt seinkönnte (äußerst scharfsinnig), "was wieder ohne Anleihe nichtmöglich ist."

Letzteres ist sehr wahr. In dem biedern Westfalenglaubt man wirklich noch unter einer väterlichen Regierung zu stehen.Selbst unser extremer Sozialist im mode composé traut derpreußischen Regierung die Naivität zu, eine Konstitution zu geben,bloß um durch eine auswärtige Anleihe der Berliner Börsenklemmeabzuhelfen - glücklicher Köhlerglaube!

Die feine Nase unsres westfälischen Zugstiers zeigt sich aber am feinstenin seinen Glossen über auswärtige Politik. Vor einigen Monatenroch der mode composé des wahren Sozialismus folgende neue Pariserund Londoner Mysterien, die wir zur Erheiterung des Lesers mitteilen wollen:

Septemberheft:

Frankreich. - "Das Ministerium ist siegreich aus dem Wahlkampfe hervorgegangen,wie das nicht anders zu erwarten war" (wo hat wohl je ein Westfale etwas"anders" erwartet, als "zu erwarten war"?). "Mag es immerhin alle Hebel derKorruption in Bewegung gesetzt, mag es das Henrische Attentat ... genug,die alte Opposition (Thiers, Barrot) hat eine bedeutende Niederlageerlitten. Aber auch Herr Guizot wird nicht mehr auf eine so kompakte,konservative und ministeriell quand meme <trotz allem> votierende Parteizählen können; denn auch die konservative Partei ist inzwei Abteilungen zerfallen, in die conservateurs bornés<eingefleischte Konservativen> mit den Journalen 'Débats' und'Époque' und in die conservateurs progressifs <fortschrittlichenKonservativen>, deren Organ die 'Presse' ist. - (Der Stier vergißtnur. daß Herr Guizot höchstselbst in seiner Rede vor seinenWählern zu Lisieux zuerst die Redensart vom progressiven Konservatismusausbeutete.) - "Überhaupt" (hier fängt die oben schon beimWidder bemerkte sonderbare Zusammenhanglosigkeit wieder an, "wie das nichtanders zu erwarten war") werden wohl die abstrakt-politischen Parteifragen,die sich nur darum drehten, ob Thiers Minister sein sollte oder Guizot" (dasnennt man in Westfalen "abstrakt-politische Parteifragen", und dort glaubtman noch, es habe sich bisher in Frankreich "nur darum gedreht"!),"etwas in den Hintergrund gedrängt werden. Die NationalökonomenBlanqui ... sind in die Kammer gewählt, und mit ihnen werden dort auchwohl" (zur Aufklärung der Westfalen) nationalökonomische Fragenaufs Tapet kommen" (was man in Westfalen wohl für eine Vorstellung vonden "Fragen" haben mag, die "bisher dort auf dem Tapet" waren!). - Pag. 426,427.

Frage: Warum besteht die englische Aristokratie auf den Peitschenhieben fürdie Soldaten? Antwort:

"Will man die Prügel abschaffen, so muß man ein andresRekrutierungssystem anordnen, und hat man bessere Soldaten, sobraucht man auch bessere Offiziere (!!), die ihre Stelle dem Verdiensteverdanken und nicht dem Kaufe oder der Gunst. Deshalb ist die Aristokratiegegen 'die Abschaffung der Peitschenhiebe', weil sie dadurch ein neues Bollwerk,die Versorgung ihrer 'jüngeren Söhne', verliert. Die Mittelklasseverfolgt aber ihren Vorteil Schritt vor Schritt und wird auch hier noch denSieg erringen."

(Welche Mythen! Die Feldzüge derEngländer in Indien, Afghanistan etc. beweisen, daß sie vorderhandkeine "besseren Offiziere brauchen", und die englische Mittelklasse wünschtweder bessere Offiziere noch bessere Soldaten, noch ein andresRekrutierungssystem, noch liegt ihr viel an der Abschaffung der Peitsche.Das "Dampfboot" wittert aber seit einiger Zeit in England nichts andres alsKampf der Mittelklasse und der Aristokratie.) Pag. 428.

Oktoherheft:

Frankreich. - "Herr Thiers hat sein langjähriges Organ, den'Constitutionnel' verloren; das Blatt ist von einem konservativen Deputiertengekauft und wird nun langsam und unmerklich" (allerdings nur für denmode composé des wahren Sozialismus "merklich") "ins konservativeLager hinübergeleitet. Herr Thiers, der schon früher gedroht hat,wenn man es ihm gar zu arg machte, so würde er seine alte Feder vom'National' wieder ergreifen, soll jetzt wirklich den 'National' gekauft haben."

(Leider war der "'National' von 1830" ein ganz anderer, konstitutionellerund orleanistischer "National" als der republikanische "'National' von 1834",den Herr Thiers Anno 1846 "wirklich gekauft haben soll". Es ist übrigensein unverantwortlicher Bubenstreich an dem "Dampfboot" verübt worden.Irgendein gewissenloser Bösewicht und Feind der guten Sache hat demRedakteur einige Blätter des "Corsaire-Satan" zugeschoben, und nun drucktdas "Dampfboot" die in diesem für westfälische Leser keineswegshinreichend moralischen Blatte figurierenden Tagesgerüchte bona fide<in gutem Glauben> als Orakel ab. Wie konnte das "Dampfboot" auchbezweifeln, daß ein "Corsaire-Satan" nicht wenigstens ebensoviel sittlichenGehalt und Bewußtsein des erhabenen Berufs der Presse habe, wie esselbst?)

"Ob Herr Thiers durch diesen Schritt zu den Republikanern übergetretenist, wird sich zeigen."

Ehrlicher Cherusker, dies "Ob" verdankst Du nicht dem "Corsaire"; cela sentla forêt teutobourgienne d'une lieue <das riecht meilenweit nachTeutoburger Wald> ! - Dafür aber läßt er sich vom "Corsaire",der für die Handelsfreiheit Partei ergriffen hat, verleiten, der Agitationfür den libre échange <Freihandel> in Frankreich einenErfolg und eine Wichtigkeit zu geben, die sie bei weitem nicht hat.

"Unsre Voraussagungen, daß alle industriellen Länderdenselben Gang gehen und zu demselben Ziele gelangen müssen wie England... scheinen also doch nicht so ganz unrichtig zu sein, da sie jetzt verwirklichtwerden. Und wir 'unpraktischen Theoretiker' scheinen also doch diewirklichen Verhältnisse (hurra!) "ebensogut zu kennen und besser zu beurteilen als die'praktischen Männer', die sich so gerne mit ihrer Erfahrung, mit ihrerKenntnis der praktischen Zustände breitmachen."

Unglückliche teutoburgische "Theoretiker"! Nicht einmal die "wirklichenVerhältnisse" des "Corsaire-Satan" "kennt" ihr! (Diese schönenSachen finden sich p. 479.)

Navemberheft:

Frankreich. - "Vergebens zerbrechen sich die Gelehrten die Köpfedarüber, woher diese so häufig wiederkehrenden Überschwemmungenrühren mögen. Früher wurden durch einen Machtspruch derAkademie die rauschenden Wälder auf den Bergen als Ursachen desÜbels niedergehauen, nachher wurden sie wieder angepflanzt, unddas Übel blieb dasselbe." Pag. 522.

"Vergebens" würden "sich die Gelehrten die Köpfe darüberzerbrechen", wo hier der größte Unsinn steckt: 1. glaubt der Westfale,in Frankreich könne die Akademie Machtsprüche tun und Wälderniederhauen lassen; 2. glaubt er, die Wälder seien niedergehauen nichtum des Holzes und seines Geldertrags, sondern um der Überschwemmungenwillen; 3. glaubt er, die Gelehrten zerbrächen sich die Köpfeüber die Ursachen dieser Überschwemmungen; 4. glaubt er, dieWälder seien jemals für eine Ursache derselben angesehenworden, wo in Frankreich jedes Kind weiß, daß gerade dieAusrottung der Wälder diese Ursache ist, und 5. glaubt er, dieWälder seien wieder angepflanzt, während nirgend so sehr überForstvernachlässigung und immer fortschreitende, um Reproduktionunbekümmerte Entholzung der Forsten geklagt wird als gerade in Frankreich(vgl. außer den Fachzeitschriften die "Réforme", "National","Démocratie pacifique" und andre Oppositionsblätter vom Oktoberund November 1846). Der westfälische Stier hat in jeder BeziehungUnglück. Folgt er dem "Corsaire-Satan", so verwickelt er sich; folgter seinem eignen Genius, so verwickelt er sich ebenfalls.

Der wahre Sozialismus in seiner zweiten Potenz hat, wie wir sehen, auf demFelde der höheren Politik Großes geleistet. Welcher Scharfblick,welche Kombination gegenüber den früheren Berichten über die"Weltbegebenheiten"! Welche gründliche Kenntnis der "wirklichenVerhältnisse"! Das wichtigste "wirkliche Verhältnis" ist aber fürdas "Dampfboot" die Stellung der königlich preußischen Offiziere.Der seit einiger Zeit in der deutschen periodischen Presse unvermeidlicheLeutnant Anneke, die wichtige Diskussion im Bielefelder Museum wegen desDegentragens, die daraus entstehenden ehrengerichtlichen Prozesse usw. machenden Hauptinhalt des Oktober- und Novemberheftes aus. Auch über die nichtzustande gekommene "Deutsche Zeitung",das im siebzehnten Jahrhundert zugrunde gegangene und von Monteil geschildertefranzösische Bettlerkönigreich und andere gleich "wirkliche"Verhältnisse erhalten wir interessante Aufschlüsse. Dazwischentreibt sich von Zeit zu Zeit ein Multiplikationskreuz herum, das nochvollständig den mode simple des wahren Sozialismus repräsentiertund mit der größten Unbefangenheit alle seine Stichworte haufenweisevon sich gibt: deutsche Theorie und französische Praxis sollen sichvereinigen, der Kommunismus soll durchgesetzt werden, damit der Humanismusdurchsetzbar sei (p. 455-58) usw. Von Zeit zu Zeit entwischt dem Widder oderdem Stier selbst noch eine ähnliche Reminiszenz, ohne indes diegöttliche Harmonie der "wirklichen Verhältnisse im geringsten zustören.

Verlassen wir jetzt das Gros der westfälischen Armee, um den Evolutioneneines detachierten Korps zu folgen, das sich im gesegneten Wuppertal unterdem Unterrock einer massiven Nemesis verschanzt hat. Seit längerer Zeithat ein Herr Fr. Schnake in der Rolle des Perseus dem Publikum denGorgonenschild des "Gesellschaftsspiegels" vorgehalten und zwar mitsolchem Erfolge, daß nicht nur das Publikum über dem"Gesellschaftsspiegel", sondern auch der "Gesellschaftsspiegel" überdem Publikum eingeschlafen ist. Unser Perseus ist aber ein Spaßvogel.Nachdem er dies beneidenswerte Resultat erreicht, zeigt er (letztes Heft,letzte Seite) an: 1. daß der "Gesellschaftsspiegel" entschlafen sei,2. daß man, um Verzögerungen zu vermeiden, ihn künftig ambesten durch die Post beziehe. Womit er, unter Verbesserung seinerletzten Druckfehler, sein Exit nimmt.

Man sieht schon aus dieser Berücksichtigung der "wirklichenVerhältnisse", daß wir es auch hier mit dem mode composédes wahren Sozialismus zu tun haben. Es ist indes ein bedeutender Unterschiedzwischen dem Widder und dem Stier und unsrem Perseus. Man muß dem Widderund dem Stier das Zeugnis geben, daß sie den "wirklichenVerhältnissen", nämlich denen Westfalens und überhauptDeutschlands, möglichst treu bleiben. Beweis die obige Jammerszene desWidders, Beweis die gemütlichen Schilderungen des Stiers - die obenübergangen werden mußten - aus dem deutschen politischen Leben.Sie haben aus dem mode simple besonders die einfache, ungeschminkteKleinbürgerlichkeit, die deutsche Realität auf ihren neuen Standpunktmitgenommen; die Geltendmachung des Menschen, der deutschen Theorie usw.bleibt allerhand Multiplikationskreuzen und sonstigen untergeordneten Sternenüberlassen. Beim "Gesellschaftsspiegel" ist es gerade umgekehrt. Hierentäußert sich der Heerführer Perseus möglichst derkleinbürgerlichen Realität, die er seinem Gefolge auszubeutenüberläßt und schwingt sich, der Mythe getreu, hoch in dieLüfte der deutschen Theorie. Er kann um so eher den "wirklichen Verhältnissen"einige Geringschätzung beweisen, als er auf einem viel bestimmterenStandpunkt steht. Repräsentieren die unmittelbar westfälischenGestirne den mode composé, so ist Perseus tout ce qu'il y a de pluscomposé en Allemagne <alles das, was es in Deutschland an nochZusammengesetzterem gibt>. In seinem kühnsten ideologischen Flugesteht er dennoch stets auf der "materiellen Basis", und dies sichere Untergestellgibt ihm eine Keckheit im Kampf, an die die Herren Gutzkow, Steinmann, Opitzund andere bedeutende Charaktere noch nach Jahren gedenken werden. Die"materielle Basis" unseres Perseus besteht aber hauptsächlich in Folgendem:

1. "Nur mit der Aufhebung der materiellen Basis unsrer Gesellschaft,des Privaterwerbs, wird auch der Mensch ein Andrer." (Heft X, p. 53.)

Hätte der mode simple, der diesen uralten Gedanken so oft aussprach,nur gewußt, daß der Privaterwerb die materielle Basis unsrerGesellschaft sei, so wäre er der mode composé gewesen und hätteunter den Auspizien unsres Perseus fortfahren können, ein ruhiges unddemütiges Leben zu führen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit.So aber hatte er selbst keine materielle Basis, und es erfüllte sichan ihm wie geschrieben steht im Propheten Goethe:

Wie "materiell" diese Basis, der Privaterwerb, ist, geht unter andern ausfolgenden Stellen hervor:

"Der Egoismus, der Privaterwerb" (die also identisch sind, und wonach der"Egoismus" auch eine "materielle Basis" ist) "zerrüttet die Weltmit dem Grundsatz: Jeder für sich" usw. (p. 53.)

Also eine "materielle Basis", die nicht mit "materiellen" Tatsachen,sondern mit ideellen "Grundsätzen" "zerrüttet". - Das Elend istbekanntlich (wem es noch nicht bekannt sein sollte, dem setzt es Perseusam angeführten Ort selbst auseinander) auch eine Seite "unsrerGesellschaft". Aber, erfahren wir, nicht die "materielle Basis, derPrivaterwerb", sondern au contraire <im Gegenteil> - die Transzendenzhat die Menschheit ins Elend gestürzt" (p. 54 ... alle drei Stellensind aus einem Aufsatz).

Möge "die Transzendenz" den unglücklichen Perseus schleunigst "ausdem Elende befreien, in welches" die "materielle Basis" ihn "gestürzthat".

2. "Die wirkliche Masse bringt auch nicht eine Idee, sondern das 'wohlverstandeneInteresse' in Bewegung ... In der sozialen Revolution ... wird dem Egoismusder kon- servativen Partei der edlereEgoismus des erlösungsbedürftigen Volks" (ein"erlösungsbedürftiges" Volk, das eine Revolution macht!)"gegenübertreten ... es kämpft eben für sein 'wohlverstandenesInteresse' gegen das ausschließliche, brutale Interesse der Privaten,gestützt und getragen durch eine sittliche Kraft und rastlosenEifer" (Heft XII, p. 86).

Das "wohlverstandene Interesse" unsres "erlösungsbedürftigen" Perseus,ohne Zweifel "gestützt und getragen durch eine sittliche Kraft und rastlosenEifer", besteht darin, "dem Egoismus der konservativen Partei, den edlerenEgoismus" des Schweigens "gegenübertreten" zu lassen; denn er "bringtauch nicht eine Idee in Bewegung", ohne zugleich den mode composédes wahren Sozialismus zu kompromittieren,

3. "Die Armut ist eine Folge des Eigentums, welches Privateigentum und seinerNatur nach ausschließend ist!!" (XII, 79.)

4. "Welche Assoziationen hier gemeint sind, läßtsich nicht bestimmen; meint der Verfasser aber die egoistischenAssoziationen der Kapitalisten, so hat er die wichtigen Assoziationen derHandwerker gegen die Willkür der Arbeitgeber vergessen"!! (XII, 80).

Perseus ist glücklicher. Welchen Unsinn er hat machen wollen,"läßt sich nicht bestimmen, meinte" er aber den bloßstilistischen, so hat er den ebenso "wichtigen" logischen keineswegs "vergessen".Bei Gelegenheit der Assoziation erwähnen wir noch, daß wir p.84 Aufschluß erhalten über "die Assoziationen im eigentlichenSinne, welche das Bewußtsein des Proletariers heben und die energische(!) proletarische (!!) gesamte (!!!) Opposition gegen die bestehendenZustände ausbilden".

Wir sprachen schon oben bei Gelegenheit des Herrn Grün von der Gewohnheitder wahren Sozialisten, unverstandene Entwicklungen durch Auswendiglerneneinzelner Sätze und Stichwörter sich anzueignen. Der mode composéunterscheidet sich vom mode simple nur durch die Masse solcher, ihm aufSchleichwegen zugeführten und deshalb um so eiliger verschluckten,unverdauten Bissen und durch das ihm dadurch verursachte entsetzlicheLeibschneiden. Wir sahen, wie den Westfalen bei jedem Wort "die wirklichenVerhältnisse", "nationalökonomischen Fragen" usw., aufstießen,wie der unerschrockene Perseus an der "materiellen Basis", dem "wohlverstandenenInteresse", der "proletarischen Opposition" laboriert. Dieser letztereSpiegelritter führt außerdem noch "den Feudalismus des Geldes"zu beliebigem Gebrauch bei sich, den er aber besser seinem Urheber Fourierbelassen hätte. Er denkt sich so wenig bei diesem Stichworte, daßer XII, p. 79 behauptet, dieser Feudalismus"schaffe statt der Feudalaristokratie eine Besitzaristokratie", wonach also1. der "Feudalismus des Geldes", d.h. die "Besitzaristokratie", sich selbst"schafft" und 2. die "Feudalaristokratie" keine "Besitzaristokratie"gewesen ist. Nachher meint er, p. 79, der "Feudalismus des Geldes"(d. h. der Bankiers, der die kleineren Kapitalisten und Industriellenzu Vasallen hat, wenn man im Bilde bleiben will) und der "der Industrie"(der die Proletarier zu Vasallen hat) seien "nur einer".

An die "materielle Basis" knüpft sich noch ungezwungen folgender frommeWunsch des Spiegelritters, der an die freudige Hoffnung der Westfalen erinnert,die französische Deputiertenkammer werde zu ihrer, der TeutoburgerBelehrung, ein nationalökonomisches Kollegium lesen:

"Nur müssen wir bemerken, daß wir in den uns zugesandten Nummerndes (NewYorker) 'Volks-Tribuns' bis jetzt noch fast gar nichts ... überden Handel und die Industrie Amerikas erfahren ... Mangel anbelehrender Mitteilung über die industriellen undnationalökonomischen Verhältnisse Amerikas, von denen doch"(ei?) "immer die soziale Reform ausgeht" usw. (X , p. 56.)

Der "Volks-Tribun", ein Blatt, das in Amerika direkt populäre Propagandamachen will, wird also nicht deshalb getadelt, weil er seine Sache verkehrtanfängt, sondern weil er es unterläßt, dem "Gesellschaftsspiegel""belehrende Mitteilungen" zu machen über Dinge, mit denen er in derhier geforderten Weise allerdings nicht das geringste zu tun hat. SeitdemPerseus die "materielle Basis" erwischt hat, von der er nicht weiß,was er an ihr hat, verlangt er von jedem, daß er ihm Aufschlußdarüber geben soll.

Außerdem erzählt uns Perseus noch, daß die Konkurrenz diekleine Mittelklasse ruiniert, daß "der Luxus in der Kleidertracht ...durch die schweren Stoffe ... sehr lästig ist" (XII, p. 83 -Perseus glaubt wahrscheinlich, ein Atlaskleid wiege ebenso schwer wie einPanzerhemd) und dergleichen mehr.

Und damit dem Leser ja kein Zweifel bleibe, was die "materielle Basis" derVorstellungen unseres Perseus sei, heißt es X, p. 53:

"Herr Gutzkow würde wohl tun, sich erst einmal mit der deutschenWissenschaft der Gesellschaft bekannt zu machen, damit ihm die Erinnerungenan den verpönten französischen Kommunismus, Babeuf, Cabet... nicht in den Weg laufen",

und p. 52:

"der deutsche Kommunismus will eine Gesellschaft zur Darstellung bringen,in welcher Arbeit und Genuß identisch und nicht mehrdurch den äußeren Lohn voneinander getrennt sind".

Wir haben oben gesehn, worin sowohl die "deutscheWissenschaft der Gesellschaft", wie die zur "Darstellung" zu bringendeGesellschaft selbst besteht, und haben uns dabei nicht gerade in der bestenGesellschaft befunden.

Was die Genossen des Spiegelritters betrifft, so "bringen" sie eineäußerst langweilige "Gesellschaft" zur "Darstellung". Eine Zeitlanghatten sie sich vorgenommen, die Vorsehung des deutschen Bürgers undLandmanns zu spielen. Ohne Wissen und Willen des "Gesellschaftsspiegels"fiel kein Dachdecker vom Dach und kein kleines Kind ins Wasser. Zum Glückfür die Dorfzeitung, der diese Konkurrenz anfing, gefährlich zuwerden, gab die Spiegelbruderschaft diese ermüdende Tätigkeit baldauf: einer nach dem anderen schlief vor Ermattung ein. Vergebens wurden alleMittel aufgeboten, um sie aufzurütteln, um dem Journal neues Lebensblutzuzuführen; der versteinernde Einfluß des Gorgonenschildesäußerte sich auch auf die Mitarbeiter; am Ende stand unserPerseus mit seinem Schild und seiner "materiellen Basis" einsam da, "unterLeichen die einzige fühlende Brust", die unmögliche Taille dermassiven Nemesis brach in Trümmer zusammen, und - der "Gesellschaftsspiegel"hatte aufgehört zu existieren.

Friede seiner Asche! Machen wir inzwischen eine Schwenkung und suchen wiran einer benachbarten Stelle der nördlichen Halbkugel ein andres, helleresGestirn auf. Mit leuchtendem Schweife strahlt uns Ursa Major, dergroße Bar oder Bärenmajor Püttmann entgegen, auchdas Siebengestirn genannt, weil er immer selbsiebent auftritt, um diebenötigten zwanzig Bogen zustande zu bringen. Ein wackrer Kriegsheld!Er hat sich, seiner alten vierfüßigen Stellung auf der Himmelskarteüberdrüssig, endlich auf die Hinterbeine gestellt, er hat sichgerüstet, wie geschrieben steht: So ziehet nun an die Uniform des Charaktersund die Schärpe der Gesinnung; heftet auf Eure Achseln die Epaulettendes Bombastes, und setzet auf den Dreimaster der Begeisterung und schmücktEure Mannesbrust mit dem Ordenskreuz der Aufopferung dritter Klasse: seidumgürtet mit dem Krötenspieß des Tyrannenhasses und an Beinengestiefelt, zu treiben die Propaganda mit möglichst wenigenProduktionskosten. Also ausstaffiert tritt unser Major vor die Front seinesBataillons, zieht seinen Degen, kommandiert: Stillgestanden! und hältfolgende Rede:

Soldaten! Von der Höhe jenes Verlegerfensters blicken vierzig Louisd'oreauf Euch! Schaut um Euch, heldenmütige Verteidiger der "gesellschaftlichenTotalreform", seht Ihr die Sonne? Das ist die Sonne von Austerlitz, die unsSieg verkündet, Soldaten!

"Den Mut, die Unerschrockenheit, standzuhaltenbis ans Ende, gibt uns das Bewußtsein, nur für die Armenund Verworfenen, für die Verratenen und dieVerzweifelnden zu kämpfen. Es ist nichts Halbes,was wir verteidigen, es ist nichts Unklares" (sondern vielmehr etwastotal Konfuses), "was wir wollen; und darum sind wir entschieden und bleibentrotz allem dem Volke, dem unterdrückten Volke fürimmer treu!" ("Rheinische Jahrbücher", II. Band, Vorrede.)

Gewehr auf! - Achtung - präsentiert's Gewehr! Es lebe die neueGesellschaftsordnung, welche wir nach Babeuf verbessert in 14 Kapitel und63 Kriegsartikel gebracht haben!

"Es ist freilich zuletzt eins, ob es so kommen wird, als wir angaben, aberes wird anders kommen, als der Feind glaubt, anders als es bisher gewesen!Alle niederträchtigen Institutionen, die mit hundsföttischer Arbeitim Laufe der Jahrhunderte zum Ruin der Völker und Menschen erzeugt wurden,werden untergehen!" ("Rheinische Jahrbücher", II, p. 240.)

Kreuzhimmelsackerment! Achtung - Gewehr in Arm! Links um! Gewehr ab!Rühren! Oben gehn! - Aber der Bär ist von Natur ein echt germanischesTier. Nachdem er mit dieser Rede ein allgemeines stürmendes Hurra erwecktund so eine der kühnsten Taten unsres Jahrhunderts verrichtet, setzter sich zu Hause hin und läßt seinem weichen, liebevollen Herzenfreien Lauf in einer langen, schmelzenden Elegie über "Heuchelei"("Rheinische Jahrbücher", II, p. 129-149). Es gibt in unsrer innerlichverfaulten, an Leib und Seele vom Wurm der Selbstsucht zerfressenen Zeitleider! Individuen, die kein warmes, pochendes Herz im Busen tragen, denennie eine Träne des Mitgefühls im Auge geblinkt, nie ein schallenderBlitz leuchtender Menschheitsbegeisterung durch den öden Schädelgezuckt hat: Leser, findest Du einen solchen, o so laß ihn die "Heuchelei"des großen Bären lesen, und er wird weinen, weinen, weinen! Hierwird er sehen, wie elend, armselig und nackend er ist, denn sei er Theolog,Jurist, Mediziner, Staatsmann, Kaufmann, Besenbinder oder Logenschließer,hier findet er für jeden Stand seine aparte Heuchelei apart aufgedeckt.Hier wird er sehen, wie die Heuchelei sich überall eingenistet und wienamentlich "eine schwere Verdammnis die der Juristen" ist. Wenn ihn diesnicht zur Büße und Bekehrung bringt, so verdient er nicht, imJahrhundert des großen Bären geboren zu sein. In der Tat, manmußte ein ehrlicher, ein, wie die Engländer sagen, "unsophistizierter"Bär sein, um die Heuchelei der bösen Welt so auf jedem Trittund Schritt herauszuwittern. Wohin er sich dreht und wendet, überallstößt der große Bär auf Heuchelei. Es geht ihm wieseinem Vorgänger in "Lilis Park":
Denn ha! steh' ich so an der Ecke
Und hör' von weitem das Geschnatter,
Seh' das Geflitter, das Geflatter,
Kehr' ich mich um
Und brumm',

Und renne rückwärts eine Strecke.
Und seh' mich um
Und brumm',
Und laufe wieder eine Strecke
Und kehr doch endlich wieder um.

Natürlich, denn wie wäre der Heuchelei in unsrer grundverderbtenGesellschaft zu entrinnen! Aber es ist traurig!

"Jedermann darf ja medisant, süffisant, perfid, maliziös<schmähsüchtig, selbstgefällig. hinterlistig, boshaft>und alles Andre sein, weil die schickliche Form aufgefunden ist" (p.145).

Es ist wirklich zum Verzweifeln, namentlich, wenn man Ursa Major ist!

Und "leider! auch die Familie ist besudelt von der Lüge ... undder Lügenfaden zieht sich mitten durch die Familie und vererbt sichvon Glied zu Glied".

Wehe, dreimal wehe über die Hausväter des deutschen Vaterlandes!

und Ursa Major stellt sich wieder auf die Hinterbeine:

"Fluch der Selbstsucht! Wie grausig schwebst du über den Häupternder Menschen! Mit deinen schwarzen Fittichen ... mit deinem schrillenGekrächz ... Fluch der Selbstsucht! ... Millionen und aber Millionenarme Sklaven ... weinend und schluchzend, klagend und jammernd ... Fluchder Selbstsucht!... Fluch der Selbstsucht!... Rotte der Baalspriester ...Pesthauch ... Fluch der Selbstsucht!... Ungeheuer der Selbstsucht ..." (p.146-148.)

Die größte "Heuchelei" in der ganzenJeremiade liegt aber darin, ein solches von platten Literatenphrasen undRomanreminiszenzen zusammengestoppeltes Miserere für eine Schilderungder "Heuchelei" in der heutigen Gesellschaft auszugeben und zu tun, als obman über diesen Popanz im Interesse der leidenden Menschheit gewaltigin Eifer geriete.

Wer auf der Himmelskarte einigermaßen bewandert ist, weiß, daßUrsa Major sich dort in einer intimen Unterhaltung mit einem Individuum vonlangweiligem Äußern befindet, welches mehrere Windhunde an einemStrick führt und Bootes genannt wird. Diese Unterhaltung reproduziertsich am Sternhimmel des wahren Sozialismus auf pag. 241-256 der "RheinischenJahrbücher", II. Band. Die Rolle des Bootes übernimmt derselbeHerr Semmig, dessen Aufsatz über "Socialismus, Communismus, Humanismus"schon oben besprochen wurde. Wir befinden uns bei ihm in dersächsischen Gruppe, deren vornehmstes Gestirn er ist, deshalber auch ein Bändchen über "Sächsische Zustände" geschriebenhat. Über dies Bändchen erläßt Ursa Major an derangeführten Stelle ein wohlgefälliges Gebrumm und rezitiert "miturkräftigem Behagen" ganze Seiten daraus. Diese Zitate reichen hin,das ganze Büchlein zu charakterisieren, und sind um so willkommener,als die Schriften von Bootes sonst im Auslande nicht zu haben sind.

Obwohl Bootes sich in den "Sächsischen Zuständen" aus der Höheseiner Spekulation auf die "wirklichen Verhältnisse" herabgelassen hat,so gehört er doch mit seiner ganzen sächsischen Gruppe, wie auchschon Ursa Major, mit Leib und Seele dem mode simple des wahren Sozialismusan. Der mode composé ist überhaupt mit den Westfalen und derSpiegelbruderschaft, speziell mit Widder, Stier und Perseus erschöpft.Die sächsische und alle folgenden Gruppen bieten uns daher nur weitereEntwicklungen des schon oben charakterisierten einfachen wahrenSozialismus,

Bootes, als Bürger und Beschreiber des deutsch-konstitutionellenMusterstaats, läßt vor allem eines seiner Windspiele gegen dieLiberalen los. Auf diese sprudelnde Philippika brauchen wir um soweniger einzugehen als sie, wie alle ähnlichen Tiraden der wahrenSozialisten, nichts weiter ist als eine platte Verdeutschung der Kritikdesselben Gegenstandes durch die französischen Sozialisten. Es gehtBootes gerade wie den Kapitalisten; er besitzt, um seine eignen Worte zugebrauchen, "die von den Arbeitern" Frankreichs und ihren literarischenRepräsentanten "erzeugten Produkte infolge blinder Erbschaftfremder Kapitalien" ("Rheinische Jahrbücher", II, p. 256). Er hatsie nicht einmal verdeutscht, denn dies war schon vor ihm durch andre (vgl. "Deutsches Bürgerbuch ", "RheinischeJahrbücher", I, usw.) geschehen. Er hat diese "blinde Erbschaft" nurdurch einige nicht bloß deutsche, sondern speziell sächsische"Blindheiten" vergrößert. So meint er ibidem p. 243, die Liberalensprächen "für öffentliches Gerichtsverfahren, um im Gerichtssaalihre rhetorischen Exerzitien zu deklamieren"! Bootes sieht also, trotz seinesEifers gegen die Bourgeoisie, Kapitalisten usw., in den Liberalen nicht sowohldiese, als ihre besoldeten Bedienten, die Advokaten.

Das Resultat der scharfsinnigen Untersuchungen unsres Bootes über denLiberalismus ist bemerkenswert. Noch nie hat der wahre Sozialismus seinepolitisch-reaktionäre Tendenz so entschieden ausgesprochen:

"Ihr ... Proletarier aber ... die ihr euch ehedem von dieser liberalenBourgeoisie in Bewegung setzen und zu Tumulten verleiten ließet (denktan 1830), seid vorsichtig! Unterstützt sie nicht in ihren Bestrebungenund Kämpfen ... laßt sie allein ausfechten, was sie ... nur inihrem Interesse beginnen; vor allem aber nehmt zu keiner Zeit an politischenRevolutionen teil, die stets nur von einer unzufriedenen Minderzahl ausgehen,welche selbst herrschsüchtig die herrschende Gewalt stürzen undsich die Regierung anmaßen möchte!" (p. 245, 246.)

Bootes hat auf den Dank der königlich-sächsischen Regierung diegegründetsten Ansprüche - eine Rautenkrone ist das mindeste, womitsie ihn lohnen kann. Wäre daran zu denken, daß das deutscheProletariat seinem Rate folgte, so wäre die Existenz desfeudalistisch-kleinbürgerlich-bäuerlich-bürokratischenMusterstaats Sachsen auf lange Zeiten gesichert. Bootes träumt, wasfür Frankreich und England, wo die Bourgeoisie herrscht, gutsei, müsse auch für Sachsen gut sein, wo sie noch lange nicht herrscht.Wie wenig übrigens selbst in England und Frankreich das Proletariatgegen Fragen gleichgültig bleiben kann, die zunächst allerdingsnur ein Interesse der Bourgeoisie oder einer Fraktion derselben sind, kannBootes täglich in den dortigen Proletarierjournalen lesen. DergleichenFragen sind u. a. in England die Aufhebung der Staatskirche, das sogenannteequitable adjustment <gerechten Ausgleich> der Nationalschuld, diedirekte Besteuerung, in Frankreich die Ausdehnung des Wahlrechts auf diekleine Bourgeoisie, Aufhebung der städtischen Oktrois usw.

Schließlich ist dann alle sächsische "gerühmte Freisinnigkeiteitel Wind und Schaum ... Wortfechterei", nicht weil nichts damit durchgesetztwird und die Bourgeoisie keinen Schritt weiterkommt, sondern weil "ihr",die Liberalen, "doch damit nicht vermögt, die kranke Gesellschaft vonGrund aus zu heilen". p. 249. Was sie um so weniger vermögen, als siedie Gesellschaft gar nicht einmal für krank halten.

Genug hierüber. Auf pag. 248 läßtBootes ein zweites ökonomisches Windspiel los.

Zu Leipzig ... "sind ganze Stadtteile neu entstanden" (Bootes kenntStadtteile, die nicht "neu", sondern gleich von vornherein alt"entstehen"). "Dabei hat sich aber in den Logis ein drückendesMißverhältnis herausgestellt, indem es an Wohnungen zu einem (!)mittleren Preise fehlt. Jeder Neubauer richtet des hohen Zinses" (! sollheißen des höheren Mietzinses) "wegen sein Haus nur fürgroße Haushaltungen ein; schon aus Mangel an anderweitigen Wohnungenist manche Familie gezwungen, ein größeres Logis zu mieten, alssie braucht und bezahlen kann. So häufen sich Schulden,Pfändungen, Wechselarrest u. dgl.!" (Dies "!" verdient ein zweites (!).)"Kurz, der Mittelstand soll förmlich verdrängt werden."

Man bewundre die primitive Einfalt dieses ökonomischen Windspieles!Bootes sieht, daß die kleine Bourgeoisie der gebildeten Stadt Leipzigauf eine für uns höchst erheiternde Weise ruiniert wird. "In unsernTagen, wo alle Unterschiede sich in der Gattung verwischen" (p. 251),müßte ihm dies Phänomen ebenfalls erfreulich sein; aber esbetrübt ihn vielmehr und veranlaßt ihn, die Ursachen davonaufzusuchen. Er findet diese Ursachen - in der Malice der Bauspekulanten,die es darauf anlegen, jeden Gevatter Schneider und Handschuhmacher gegenBezahlung einer übertriebnen Miete in einen Palast einzuquartieren.Die Leipziger "Neubauer" sind, wie uns Bootes in möglichst unbeholfenemund verworrenem Sächsisch - Deutsch ist es nicht - auseinandersetzt,über alle Gesetze der Konkurrenz erhaben. Sie bauen teurere Wohnungen,als ihre Abnehmer nötig haben, sie richten sich nicht nach dem Standdes Marktes, sondern nach dem "hohen Zins"; und während überallanderswo die Folge davon sein würde, daß sie ihre Wohnungen unterdem Preise vermieten müßten, gelingt es ihnen in Leipzig, denMarkt ihrem eignen bon plaisir <Gutdünken, Willkür> zuunterwerfen und die Mieter zu zwingen, sich selbst durch hohe Miete zu ruinieren!Bootes hat eine Mücke für einen Elefanten, ein momentanesMißverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot im Häusermarktfür einen permanenten Zustand, ja für die Ursache des Ruins derkleinen Bourgeoisie angesehen. Doch dergleichen Bonhomien<Einfältigkeiten> sind dem sächsischen Sozialismus zu verzeihen,solange er noch "ein Werk vollbringt, das des Menschen würdig ist undüber das 'ihn' die Menschen segnen werden" (p. 242).

Wir wissen schon, daß der wahre Sozialismus ein großer Hypochonderist. Man durfte sich indes der Hoffnung hingeben, daß Bootes, der imersten Band der "Rheinischen Jahrbücher" eine so liebenswürdigeKeckheit des Urteils bewiesen, vondieser Krankheit frei sein würde. Keineswegs. Bootes läßtp. 252, 253 folgendes wimmernde Windspiel los und versetzt damit Ursam Majoremin Ekstase:

"Das Dresdner Vogelschießen ... ein Volksfest, und kaum betritt mandie Wiese, so jammern uns die Leierkasten der Blinden entgegen, die dieKonstitution nicht satt macht ... so widern uns schon die Marktschreiereiender 'Künstler' an, die durch die Verrenkungen ihrer Glieder die Gesellschaftergötzen, deren Ordnung selbst fratzenhaft und widerlich verrenkt ist."

(Wenn sich ein Seiltänzer auf den Kopf stellt, so bezeichnet das fürBootes die heutige verkehrte Welt; der mystische Sinn des Radschlagens istder Bankerott; das Geheimnis des Eiertanzes ist die Karriere des wahrhaftsozialistischen Schriftstellers, der trotz aller "Verrenkungen" zuweilenausgleitet und sich die ganze "materielle Basis" mit Eigelb besudelt; einLeierkasten bedeutet eine Konstitution, die nicht satt macht, eine Maultrommeldie Preßfreiheit, die nicht satt macht, eine Trödelbude den wahrenSozialismus, der ebenfalls nicht satt macht. In diese Symbolik vertieft,wandelt Bootes seufzend durchs Gedränge und bringt es so zu dem stolzenGefühl, wie oben schon Perseus, "unter Larven die einzige fühlendeBrust" zu sein.)

"Und dort in den Zelten, da treiben die Bordellwirte ... ihr schamloses Handwerk"(folgt eine lange Tirade über) ... "Prostitution, pestatmendes Scheusal,du bist die letzte Frucht unsrer heutigen Gesellschaft" (nicht immer dieletzte, es kommt vielleicht nachträglich noch ein unehelichesKind) Ich könnte Geschichten erzählen, wie ein Mädchen demfremden Manne zu Füßen" ...(folgt die Geschichte) ... "ichkönnte Geschichten erzählen, aber nein, ich will es nicht" (erhat sie nämlich eben schon erzählt) ... "Nein, nicht sie klagtan, die armen Opfer der Not und Verführung, aber sie zieht vorden Richterstuhl: die frechen Kuppler ... nein, nein, auch sie nicht! Wastun sie anders, als was andre tun, sie treiben Handel, wo alles Handel treibt"usw.

Damit hat der wahre Sozialist alle Schuld von allen Individuen abgewälztund sie der unantastbaren "Gesellschaft" zugeschoben. Cosi fan tutti - eshandelt sich schließlich nur darum, mit aller Welt gut Freund zu bleiben.Die charakteristischste Seite der Prostitution, daß sie nämlichdie handgreiflichste, direkt auf den Leib gehende Exploitation des Proletariatsdurch die Bourgeoisie ist, die Seite, wo der "tatenzeugende Schmerz des Herzens"von p. 253 mit seinen breiten moralischen Bettelsuppen bankerott macht undwo die Leidenschaft, der rachdurstende Klassenhaß anfängt, dieseSeite kennt der wahre Sozialismus nicht. Er bejammert vielmehr in denProstituierten die verlorengegangenen Epicieren <Krämerinnen>und die Kleinmeisterinnen, in denener nun nicht mehr "das Meisterstück der Schöpfung", die "Blumenkelche,durchduftet von den heiligsten und süßesten Gefühlen", bewundernkann. Pauvre petit bonhomme <Armer kleiner Mann>!

Die Blüte des sächsischen Sozialismus ist ein kleinesWochenblättchen, genannt: "Veilchen. Blätter für die harmlosemoderne Kritik", redigiert und verlegt von G. Schlüssel zu Bautzen.Die "Veilchen" sind also im Grunde Schlüsselblumen. Diese sanftenBlümlein werden in der "Trier'schen Zeitung" (12. Januar dieses Jahres)von einem Leipziger Korrespondenten, der auch von der Kompanie ist,folgendermaßen angezeigt:

"Einen Fortschritt, eine Entwicklung in der sächsischen schönenLiteratur können wir in den 'Veilchen' begrüßen; sojung das Blatt ist, so strebsam vermittelt es die alte sächsische politischeHalbheit mit der sozialen Theorie der Gegenwart."

Die "alte sächsische Halbheit" ist diesen Erzsachsen noch nicht halbgenug, sie müssen sie noch einmal halbieren, indem sie sie "vermitteln".Äußerst "harmlos"!

Wir haben nur ein einziges dieser Veilchen zu Gesicht bekommen aber:

Freund Bootes legt in dieser Nummer - der ersten von 1847 - den "harmlosenmodernen" Damen einige zierliche Verslein als Huldigung zu Füßen.Es heißt darin u.a.:

ein Gleichnis, dessen Keckheit inzwischen wohl unsres Bootes "zartes Herz"mit des Gewissensbissens "Dorn" "geschmückt" haben wird.

sollte Bootes, der zwar "Geschichten erzählen könnte", abernicht erzählen "will", weil er sie schon erzählt hat,der von keinem andern "Dorn" als dem "des Tyrannenhasses" spricht, solltedieser anständige und gebildete Mann wirklich imstande sein, die"schönen Wangen" der Frauen und Jungfrauen durch zweideutige "Liebesscherzeglühen" zu machen?

Die Glut des "Freiheitszorns" muß allerdingsdurch eine keuschere, sittlichere, "hellere" Couleur <Färbung>leicht zu unterscheiden sein von der dunkelroten Glut der "Liebesscherze",besonders für einen Mann wie Bootes, der den "Dorn des Tyrannenhassesvon allen andern "Dornen" unterscheiden kann.

Die "Veilchen" geben uns sogleich Gelegenheit, die Bekanntschaft einer jenerSchönen zu machen, deren "zartes Herz des Tyrannenhasses Dornschmückt" und deren "schöne Wangen von hellem Freiheitszornglühn". Die Andromeda des wahrhaft sozialistischen Sternhimmels(Fräulein Louise Otto), das gefesselte, an den Felsen derwidernatürlichen Verhältnisse geschmiedete, von der Brandungverjährter Vorurteile umbrauste moderne Weib liefert nämlich eine"harmlose moderne Kritik" der poetischen Werke von Alfred Meißner.Es ist ein eigentümliches, aber reizendes Schauspiel, wie hier dieüberquellende Begeisterung mit der zarten Verschämtheit der deutschenJungfrau kämpft, die Begeisterung für den "Dichterkönig",der die tiefsten Saiten des weiblichen Herzens in Schwingungen versetzt undihnen Töne der Huldigung entlockt, die an tiefere und zartere Empfindungengrenzen, Töne, die in ihrer unschuldigen Offenherzigkeit des Sängersschönster Lohn sind. Man höre in ihrer ganzen naivenUrsprünglichkeit diese schmeichelhaften Bekenntnisse einerjungfräulichen Seele, der noch so manches in dieser bösen Weltdunkel blieb. Man höre und vergesse nicht, daß dem Reinen allesrein ist:

Ja, "die tiefe Innerlichkeit, die in Meißners Gedichten atmet, kannman nur nachfühlen, aber davon denen keine Rechenschaft geben, die dazuunfähig sind. Diese Lieder sind der goldene Widerschein von den heißenFlammen, welche der Dichter auf dem Altare der Freiheit im Heiligtum seinesHerzens opfernd emporlodern läßt, ein Widerschein, bei dessenGlanz wir an Schulen Worte erinnert werden., den Schriftstellerüberhüpfe die Nachwelt, der nicht mehr war als seine Werke- wir fühlen es heraus, daß dieser Dichter selbst nochmehr ist als seine schönen Lieder" (ganz gewiß, FräuleinAndromeda, ganz gewiß), "daß ein Unaussprechliches inihm ist, Etwas 'über allen Schein', wie Hamlet sagt". (Duahnungsvoller Engel du!) "Dieses Etwas ist, was so vielen neuenFreiheitsdichtern abgeht, z.B. ganz und gar Hoffmann von Fallersleben undPrutz" (sollte dies wirklich der Fall sein?), "zum Teil auch Herwegh undFreiligrath, dieses Etwas - vielleicht ist es der Genius."

Vielleicht ist es der "Dorn" des Bootes, schönes Fräulein!

"Doch", heißt es in demselben Artikel, "hat die Kritik ihre Pflicht- aber die Kritik kommt mir sehr hölzern vor gegenüber einem solchenDichter!"

Wie jungfräulich! Gewiß, eine junge,reine Mädchenseele muß sich "sehr hölzern vorkommen"gegenüber dem Dichter, der im Besitze eines so wundervollen "Etwas"ist.

"Wir lesen fort und fort bis zum letzten Vers, der uns allen treu imGedächtnis bleiben möge:

Hiermit versinkt Fräulein Andromeda in ein vielsagendes Schweigen, "wieein Kind, Hand in Hand verschlungen". Hüten wir uns ja, sie zu stören.

Unsre Leser werden hiernach begierig sein, den "Dichterkönig" AlfredMeißner und sein "Etwas" näher kennenzulernen. Er ist derOrion des wahrhaft sozialistischen Sternhimmels, und wahrlich, ermacht seinem Posten keine Schande. Umgürtet mit dem leuchtenden Schwertder Poesie, "in seines Kummers Mantel" gehüllt (p. 67 und p. 260 der"Gedichte von A. Meißner, 2te Auflage, Leipzig 1846), schwingt er innerviger Faust die Keule der Unverständlichkeit, mit der er alle Gegnerder guten Sache siegreich niederschmettert. Auf den Fersen folgt ihm alskleiner Hund ein gewisser Moritz Hartmann, der ebenfalls zumBesten der guten Sache ein energisches Kläffen unter dem Titel "Kelchund Schwert" (Leipzig 1845) erhebt. Um irdisch zu sprechen, geraten wir mitdiesen Helden in eine Gegend, welche schon seit längerer Zeit dem wahrenSozialismus zahlreiche und kräftige Rekruten lieferte, nämlichin die böhmischen Wälder.

Der erste wahre Sozialist in den böhmischen Wäldern war bekanntlichKarl Moor. Diesem gelang es nicht, das Werk der Regeneration zu Ende zuführen; seine Zeit verstand ihn nicht, und er überlieferte sichselbst der Gerechtigkeit. Orion-Meißner nun hat es übernommen,in die Fußtapfen dieses Edlen zu treten und wenigstens im Geiste seinerhabenes Werk dem Ziele näher zu führen. Ihm, Karl Moor demZweiten, steht hierbei der erwähnte Moritz Hartmann, Canis Minor,als Biedermann Schweizer zur Seite, indem er Gott, König undVaterland in elegischen Weisen feiert und namentlich auf dem Grabe jenesBonhomme, des Kaisers Joseph, Tränen dankbarer Erinnerung vergießt.Von dem Rest der Bande bemerken wir bloß, daß keiner unter ihnenbisher Verstand und Witz genug entwickelt zu haben scheint, um die Rolledes Spiegelberg zu übernehmen.

Man sieht es Karl Moor dem Zweiten auf denersten Blick an, daß er kein gewöhnlicher Mann ist. Er hat inKarl Becks Schule Deutsch gelernt und drückt sich demgemäßmit einer mehr als orientalischen Pracht der Rede aus. Der Glaube ist ihm"ein Falter" (p. 13), das Herz "eine Blume" (p. 16), später ein "öderForst" (p. 24), endlich ein "Geier" (p. 31). Der Abendhimmel ist ihm (p.65)

Das Lächeln seiner Geliebten ist "ein Kind der Erde, das mit den KindernGottes kost" (p. 19).

Noch weit mehr aber als seine prunkhafte Bildersprache zeichnet ihn seinriesenhafter Weltschmerz vor den gewöhnlichen Sterblichen aus. Erqualifiziert sich durch diesen als echter Sohn und Nachfolger Karl Moorsdes Ersten, wie er denn p. 65 nachweist, daß der "wilde Weltschmerz"eines der ersten Erfordernisse jedes "Welterlösers" ist. In der Tat,was den Weltschmerz angeht, überbietet Orion-Moor alle seine Vorgängeund Konkurrenten. Hören wir ihn selbst:

"Vom Gram gekreuzigt, war ich tot" (p. 7). "Dies Herz dem Todgeweiht" (p. 8). "Mein Sinn ist finster" (p. 10). Ihm "klagt indes Herzens ödem Forst uraltes Leid" (24). "Nie geborenwäre besser, aber gut wär auch der Tod" (p. 29).

p. 100 "blutet" er "aus manch verborgner Wunde" und befindet sich p. 101im Interesse der Menschheit so unwohl, daß er "um die Brust, die zuzerspringen drohte ... fest wie zwei Klammern" die Arme pressen muß,und p. 79 ist er ein angeschossener Kranich, der nicht mit seinen Brüdernim Herbst gen Süden fliegen kann und der "mit bleidurchschoßnenSchwingen" im Gestrüpp zappelt und "ein breites, blutiges Gefiederschlägt" [p. 78]. Und woher all dieser Schmerz? Sind alle diese Klagennur Wertherscher alltäglicher Liebesjammer, vermehrt durch Unzufriedenheitüber Privatleiden unsres Dichters? Keineswegs; - unser Dichter hat zwarviel gelitten, aber er hat allen seinen Leiden eine allgemeine Seite abzugewinnengewußt. Er deutet häufig, z.B. p. 64, an, daß ihm dieFrauenzimmer manchen schlimmen Streich gespielt (gewöhnliches Los derDeutschen, besonders der Poeten), daß er bittre Erfahrungen im Lebengemacht habe; aber alles das beweistfür ihn nur die Schlechtigkeit der Welt und die Notwendigkeit einerVeränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. In ihm hat nichtAlfred Meißner, sondern die Menschheit gelitten, und darum zieht eraus allem seinen Kummer nur das Resultat, daß es ein großesKunststück und ein schweres Leiden ist, ein Mensch zu sein.

Solch edler Schmerz kann in unsrer gefühllosen Welt nur aufGleichgültigkeit, verletzende Zurückstoßung und Spott rechnen.Karl Moor der Zweite macht diese Erfahrung auch. Wir sahen schon oben, daßihn "die kalte Welt vergißt". Es geht ihm wirklich in dieser Beziehungsehr schlecht:

Einmal ermannt er sich noch:

Aber es wird ihm doch zu arg, er zieht sich zurück, geht p. 65 "in dieEinöde" und p. 70 "in die Gebirgswüste". Ganz wie Karl Moor derErste. Hier läßt er sich von einem Bach auseinandersetzen, weilalles leide, z.B. das vom Adler zerfleischte Lamm leide, der Falkeleide, das Rohr leide, das im Winde kreischt - "wie klein da eines MenschenWehe" seien und wie ihm da nichts übrigbleibe, als "jauchzen und untergehn".Da ihm aber das "Jauchzen" nicht recht von Herzen zu kommen, das "Untergehn"ihm vollends nicht zuzusagen scheint, so reitet er aus, um die "Stimmen aufder Heide" zu hören. Hier geht es ihm noch viel schlimmer. Dreigeheimnisvolle Reiter reiten einer nach dem andern zu ihm heran und gebenihm in ziemlich dürren Worten den guten Rat, er solle sich begrabenlassen:

Dies ist die Krone seiner Leiden. Die Menschen stoßen ihn mit seinemJammer zurück, er wendet sich an die Natur, und auch von dieser erhälter nur verdrießliche Gesichter und grobe Antworten. Und nachdem unsso der Schmerz Karl Moers des Zweiten"sein breites, blutiges Gefieder ..." bis zum Ekel vorgeschlagen hat, findenwir p. 211 ein Sonett, wo der Poet sich verteidigen zu müssen glaubt,

Aber nicht nur schmerzlich, sondern auch wild muß der"Welterlöser" sein. Daher "braust durch seine Brust der wilde Drangder Leidenschaft" (p. 24); wenn er liebt, so "lohen seine Sonnen heiß"(p. 17); sein "Lieben ist Gewitterblitzen, ein Sturm ist seinePoesie" (p. 68). Wir werden bald Exempel davon haben, wie wild diese Wildheitist.

Gehen wir rasch einige der sozialistischen Gedichte Orion-Moors durch.

Von p. 100 bis 106 schlägt er sein "breites, blutiges Gefieder", umdie Übelstände der jetzigen Gesellschaft im Fluge zu überschauen.Er rennt in einem wütenden Anfall von "wildem Weltschmerz" durch dieStraßen von Leipzig. Es ist Nacht um ihn und in seinem Herzen. Endlichbleibt er stehen. Ein mysteriöser Dämon tritt an ihn heran undfragt ihn im Ton eines Nachtwächters, was er so spät auf derStraße zu suchen habe. Karl Moor der Zweite, der grade damitbeschäftigt war, die "Klammern" seiner Arme fest an seinen "zu zerspringendrohenden" Brustkasten zu pressen, starrt dem Dämon mit den "heißlohenden Sonnen" seiner Augen wüst ins Gesicht und bricht endlich aus(p. 102):

"Soviel" sieht Karl Moor der Zweite! Bei des Herzens ödem Forst, beiseines Kummers Mantel, bei des Menschseins Schwere, bei denbleidurchschoßnen Schwingen unsres Dichters und bei allem, was KarlMoor dem Zweiten sonst noch heilig ist - es war nicht der Mühe wert,nachts auf die Straße zu rennen, seine Brust der Gefahr des Zerspringensund der Lungenentzündung auszusetzen und einen aparten Dämon zuzitieren, um uns schließlich diese Entdeckung mitzuteilen! Doch hörenwir weiter. Der Dämon will sich dabei nicht beruhigen. Da erzähltKarl Moor der Zweite denn, wie ihn ein prostituiertes Mädchen an derHand gefaßt und dadurch allerlei schmerzliche Reflexionen in ihmhervorgerufen habe, die zuletzt sich in folgender Apostrophe Luft machten:

Der Dämon, der sich jetzt als ein ganz ordinärer Bourgeois entwickelt,geht auf die in diesen Zeilen liegende, wahrhaft sozialistische Theorie derProstitution nicht ein, sondern erwidert ganz einfach: Jeder sei seinesGlückes Schmied, "seiner Schuld ist jeder Einzle schuldig" und andreBourgeoisphrasen: er bemerkt: "die Gesellschaft ist ein leeres Wort" (erhatte wahrscheinlich Stirner gelesen) und fordert Karl Moor den Zweiten auf,weiter zu berichten. Dieser erzählt, wie er die Proletarierwohnungenbetrachtet und das Weinen der Kinder gehört:

Wer dies Wunder gesehen, meint er, brauche nicht zu trauern, wenn er nichtglauben könne, daß Christus Wein aus Wasser gemacht habe. DieGeschichte mit der Hochzeit zu Cana scheint unsren Poeten sehr günstigfür das Christentum eingenommen zu haben. Der Weltschmerz wird hierso gewaltig, daß Karl Moor der Zweite allen Zusammenhang verliert.Der dämonische Bourgeois sucht ihn zu beruhigen und läßtihn weiter berichten:

Was das wohl für eine Fabrik gewesen sein mag, wo Karl Moor der Zweite"Räder in der Glut" und noch dazu "stampfende, einen Tanzstampfende Räder" gesehen hat! Es kann nur dieselbe Fabrik sein,wo die ebenfalls "einen Tanz in schwerem Takte stampfenden" Verse unsresPoeten fabriziert werden. Folgt einiges über die Lage der Fabrikkinder.Das greift dem dämonischen Bourgeois, der ohne Zweifel auch Fabrikantist, an den Geldbeutel. Er wird auch aufgeregt und erwidert, das sei dummesZeug, an dem Lumpenpack von Proletarierkindern sei nichts gelegen, ein Geniesei noch nie an solchen Kleinigkeitenuntergegangen, überhaupt komme es nicht auf die Einzelnen an, sondernnur auf die Menschheit im Ganzen, und die werde sich auch ohne AlfredMeißner durchbeißen. Not und Elend seien einmal das Los der Menschenund im übrigen,

Damit verschwindet er und läßt unsren bedrängten Poeten stehn.Dieser schüttelt sein konfuses Haupt und weiß nichts Beßreszu tun, als nach Hause zu gehen und sich das alles wörtlich zuPapier und unter die Presse zu bringen.

Pag. 109 will sich "ein armer Mann" ersäufen; Karl Moor der Zweitehält ihn edelmütig zurück und fragt ihn um seine Gründe.Der arme Mann erzählt, er sei viel gereist:

Der arme Mann hat in England, wo die Chartisten in jeder einzelnen Fabrikstadtmehr Tätigkeit entwickeln als alle politischen, sozialistischen undreligiösen Parteien in ganz Deutschland zusammen, sonderbare Dinge gesehen.Er muß wohl selbst "stumpf und stumm" gewesen sein,

"Erschrocken und mit Grausen" sah er das, der "arme Mann"! so sieht erüberall den "Kampf der Armen und der Reichen", er selbst "Einer derHeloten", und weil die Reichen nicht hören wollen und "des Volkes Tagesind noch fern", so glaubt er, daß er nichts Beßres tun könneals ins Wasser springen - und Meißner, überführt,läßt ihn los: "Leb wohl, ich kann Dich nicht - mehr halten!"

Unser Poet hat sehr wohl getan, diesen bornierten Feigling, der in Englandgar nichts gesehn, den die proletarische Bewegung in Frankreich "erschrockenund mit Grausen" erfüllt hat, und der zu lâche <feige> ist,um sich dem Kampf seiner Klasse gegen ihre Unterdrücker anzuschließen,sich ruhig ersäufen zu lassen. Der Kerl war ohnehin zu nichts mehr gut.

Pag. 237 richtet Orion-Moor einentyrtäischen Hymnus "an die Frauen". "Jetzt, da die Männer feigesünd'gen", werden Germaniens blonde Töchter aufgefordert, sichzu erheben und "ein Wort der Freiheit zu verkünd'gen". Unsre sanftenBlondinen haben seine Aufforderung nicht erst abgewartet; das Publikum hat"erschrocken und mit Grausen" Exempel davon gesehen, welcher erhabenen TatenDeutschlands Frauenzimmer fähig ist, sobald es erst Hosen trägtund Zigarren rauchen kann.

Suchen wir jetzt, nach dieser Kritik der bestehenden Gesellschaft durch unsernDichter, seine pia desideria <frommen Wünsche> in sozialer Beziehungauf. Wir finden am Schluß eine in zerhackter Prosa abgefaßte"Versöhnung", die die "Auferstehung" am Schluß der gesammeltenGedichte von K. Beck mehr als nachahmt. Dort heißt es u. a.:

"Nicht darum, daß sie den Einzlen gebäre, lebt und ringt dieMenschheit. - Ein Mensch ist die Menschheit." Wonach unser Dichter,"der Einzle" natürlich, "kein Mensch" ist. "Und sie wird kommen,die Zeit ... dann erhebt sich die Menschheit, ein Messias, ein Gott in ihrerEntfaltung ..." Dieser Messias kommt aber erst "in tausend Jahren und tausend,der neue Heiland, der da sprechen wird" (das Durchführenüberläßt er andern) "von der Teilung der Arbeit, derbrüderlich gleichmäßigen für alle Kinder der Erde"...und dann wird die "Pflugschar, Symbol der geistbeschatteten Erde ... einZeichen inniger Verehrung ... sich erheben, strahlend, rosenbekränzt,schöner selbst als das alte christliche Kreuz".

Was nach "tausend Jahren und tausend" kommen wird, kann uns im Grunde ziemlichgleichgültig sein. Wir brauchen daher nicht zu untersuchen, ob die dannexistierenden Menschen durch das "Sprechen" des neuen Heilandes um einenZoll weitergebracht werden, ob sie überhaupt noch einen "Heiland" werdenhören wollen und ob die brüderliche Theorie dieses "Heilandes"ausführbar oder vor den Schrecken des Bankerottes sicher ist. "Sovielsieht" unser Poet diesmal nicht. Interessant ist in dem ganzen Passus nurseine andächtige Kniebeugung vor dem Sakrosanktum <das Unverletzliche,Hochheilige> der Zukunft, der idyllischen "Pflugschar". In den Reihender wahren Sozialisten fanden wir bisher nur den Bürger; wirmerken hier schon, daß Karl Moor der Zweite uns auch den Landmannim Sonntagsstaat vorführen wird. In der Tat sehen wir ihn p. 154vom Berge in ein liebliches, sonntägliches Tal herniederschauen, wodie Bauern und Hirten gar still vergnügt, fröhlich und mitGottvertrauen ihr Tagewerk beschicken; und

Hier ist die Armut "kein Weib, das sich verkauft,sie ist ein Kind, und arglos ihre Blöße!"

Und um uns noch deutlicher zu sagen, was seine ernstliche Meinung ist, schilderter uns p. 159 das Familienglück eines ländlichen Schmiedes undwünscht, daß seine Kinder

Der wahre Sozialismus hatte keine Ruhe, bis neben der bürgerlichen auchdie bäuerliche Idylle, neben Lafontaines Romanen auch GeßnersSchäferszenen rehabilitiert waren. In der Person des Herrn AlfredMeißner hat er sich auf den Boden von Rochows "Kinderfreund"gestellt und proklamiert von diesem erhabnen Standpunkt, daß esdie Bestimmung des Menschen sei, zu verbauern. Wer hätte solche Kindlichkeitvon dem Dichter des "wilden Weltschmerzes", von dem Inhaber "heiß lohenderSonnen", von dem "gewitterblitzenden" Karl Moor dem Jüngeren erwartet?

Trotz seiner bäuerlichen Sehnsucht nach dem Frieden des Landlebenserklärt er jedoch, die großen Städte seien sein eigentlichesFeld der Tätigkeit. Demgemäß hat unser Poet sich nach Parisbegeben, um hier ebenfalls

zu sehen. Hélas! il n'en fut rien. <Aber ach! es wurde nichtsdaraus.> In den "Grenzboten" erklärt er sich - in einer Korrespondenzaus Paris - für schrecklich enttäuscht. Der ehrliche Poet hat diesebrausenden Massen der Proletarier überall gesucht, selbst im Cirqueolympique, wo damals die französische Revolution mit Pauken und Kanonenaufgeführt wurde; aber statt den gesuchten finstern Tugendhelden undfarouchen <wilden> Republikaner fand er nur ein lachendes, beweglichesVolk von unverwüstlicher Heiterkeit, das für hübsche Frauenzimmerviel mehr Interesse verriet als für die großen Fragen der Menschheit.Gerade so suchte er in der Deputiertenkammer "die Vertreter desfranzösischen Volks" und fandnur einen Haufen wohlgenährter, durcheinander schwatzender Ventrus<Bäuche>.

Es ist in der Tat unverantwortlich, daß die Pariser Proletarier nichtzu Ehren Karl Moors des Jüngeren so eine kleine Julirevolution exekutierten,um ihm Gelegenheit zugeben, "erschrocken und mit Grausen" eine bessere Meinungvon ihnen sich anzueignen. Über all dieses Unglück erhebt unserehrlicher Poet ein großes Wehgeschrei und weissagt als neuer aus demBauche des wahren Sozialismus gespiener Jonas den Untergang des Seine-Ninive,wie das des breiteren in den "Grenzboten" von 1847 Nr. [14], Korr[espon denz]"Aus Paris", nachzulesen ist, woselbst unser Poet auch höchstergötzlich erzählt, wie er einen bon bourgeois du marais<biederen Spießbürger> für einen Proletarier versehenund was daraus für sonderbare Mißverständnisse entstehen.

Seinen "ZiÆika" wollen wir ihm schenken, denn der ist bloßlangweilig. Da wir gerade von Gedichten sprechen, so wollen wir mit ein paarWorten der sechs Provokationen zur Revolution erwähnen, die unserFreiligrath unter dem Titel: "Ça ira", Herisau 1846, erlassenhat. Die erste derselben ist eine deutsche Marseillaise und besingt einen"kecken Piraten", der "so in Österreich wie in Preußen Revolutionheißt". An dieses Schiff unter eigner Flagge, welche der berühmtendeutschen Flotte in partibus infidelium eine bedeutende Verstärkungzuführt, wird die Aufforderung gerichtet:

Das ganze Lied ist übrigens so gemütlich abgefaßt, daßes trotz des Versmaßes am besten nach der Melodie: "Auf Matrosen, dieAnker gelichtet" zu singen ist.

Am bezeichnendsten ist das Gedicht: "Wie man's macht", das heißt, wieFreiligrath eine Revolution macht. Es sind gerade schlechte Zeiten, das Volkhungert und geht in Lumpen: "Wo kriegt es Brot und Kleider her?" Bei dieserGelegenheit findet sich "ein kecker Bursch", der Rat zu schaffen weiß.Er führt den ganzen Haufen aufs Landwehrzeughaus und verteilt die Uniformen,die sogleich angezogen werden. "Zum Versuch" greift man auch nach den Flintenund findet, daß es "ein Spaß wäre", wenn man sie mitnähme.Bei dieser Gelegenheit fällt es unserm "kecken Burschen" ein, mankönne "diesen Kleiderwitz vielleicht noch gar Rebellerei nennen, Einbruchund Raub", und da müsse man "für seinen Rock die Zähne weisen".Daher wandern Tschako, Säbel undPatronentasche auch mit, und als Fahne wird ein Bettelsack aufgepflanzt.So kommt man auf die Straße. Bei dieser Gelegenheit präsentiertsich dann "die königliche Linie", der General kommandiert Feuer, aberdie Soldaten sinken der kleiderwitzigen Landwehr jubelnd in die Arme. Undda man jetzt einmal im Zuge ist, so zieht man ebenfalls zum "Spaß"nach der Hauptstadt, findet Anhang, und so, bei Gelegenheit eines"Kleiderwitzes":

"Umstürzt der Thron, die Krone fällt, in seinen Angeln bebt dasReich", und "das Volk erhebt sieghaft sein lang zertreten Haupt."

Alles geht so rasch, so flott, daß über der ganzen Prozedurgewiß keinem einzigen Mitgliede des "Proletarier-Bataillons" die Pfeifausgegangen ist. Man muß gestehen, nirgends machen sich die Revolutionenmit größerer Heiterkeit und Ungezwungenheit als im Kopf unsresFreiligrath. Es gehört wirklich die ganze schwarzgallige Hypochondrieder "Allgemeinen preußischen Zeitung" dazu, um in solch einer unschuldigen,idyllischen Landpartie Hochverrat zu wittern.

Die letzte Gruppe wahrer Sozialisten, zu der wir uns wenden, ist dieBerliner. Von dieser Gruppe nehmen wir ebenfalls nur ein bezeichnendesIndividuum heraus, nämlich den Herrn Ernst Dronke, weil er sichdurch Erfindung einer neuen Dichtungsart dauernde Verdienste um die deutscheLiteratur erworben hat. Die Romanschreiber und Novellisten unsres Vaterlandeswaren seit geraumer Zeit um Material verlegen. Noch nie hatte sich eine solcheTeuerung des Rohstoffs für ihre Industrie fühlbar gemacht. Diefranzösischen Fabriken lieferten zwar viel Brauchbares, aber diese Zufuhrreichte um so weniger zur Befriedigung der Nachfrage aus, als manches sogleichin der Gestalt der Übersetzung den Konsumenten offeriert und hierdurchauch den Romanschreibern gefährliche Konkurrenz gemacht wurde. Dabewährte sich das Ingenium des Herrn Dronke: in der Gestalt desOphiuchus, des Schlangenträgers am wahrhaft sozialistischenFirmament, hielt er die ringelnde Riesenschlange der deutschenPolizeigesetzgebung empor, um sie in seinen "Polizei-Geschichten" zueiner Reihe der interessantesten Novellen zu verarbeiten. In der Tatenthält diese verwickelte, schlangenglatte Gesetzgebung den reichhaltigstenStoff für diese Art der Dichtung. In jedem Paragraphen steckt ein Roman,in jedem Reglement eine Tragödie. Herr Dronke, der als Berliner Literatselbst gewaltige Kämpfe mit dem Polizeipräsidio bestanden, konntehier aus eigner Erfahrung sprechen. An Nachfolgern auf der einmal betretenenBahn wird es nicht fehlen; das Feld ist reichhaltig. Das preußischeLandrecht unter andern ist eine unerschöpfliche Fundgrube von spannendenKonflikten und drastischen Effektszenen. An der Eheschei- dungs-, Alimentations- undJungfernkranz-Gesetzgebung allein - von den Kapiteln über unnatürlichePrivatvergnügen gar nicht zu reden - hat die ganze deutsche RomanindustrieRohmaterial für Jahrhunderte. Dazu ist nichts leichter, als solch einenParagraphen poetisch zu verarbeiten; die Kollision und ihre Lösung istschon fertig, man hat nichts hinzuzufügen als das Beiwerk, das man ausdem ersten besten Roman von Bulwer, Dumas oder Sue nimmt und etwas zustutzt,und die Novelle ist fertig. So steht zu hoffen, daß der deutscheBürger und Landmann, ingleichen der Studiosus juris oder cameralium<Student des allgemeinen Rechts oder Verwaltungsrecht> allmählichin den Besitz einer Reihe von Kommentaren über die derzeitige Gesetzgebungkommen wird, die ihm erlauben, sich spielend und mit gänzlicher Beseitigungder Pedanterie mit diesem Fache gründlich bekannt zu machen.

Wir sehen an Herrn Dronke, daß wir uns nicht zuviel versprechen. Ausder Heimatrechtsgesetzgebung allein macht er zwei Novellen. In der einen("Polizeiliche Ehescheidung") heiratet ein kurhessischer Literat (die deutschenLiteraten machen immer Literaten zu ihren Helden) eine Preußin ohnedie gesetzlich vorgeschriebene Zustimmung seines Stadtrats. Seine Frau undKinder verlieren dadurch den Anspruch auf kurhessische Untertanenschaft,und daraus entwickelt sich die Trennung der Gatten vermittelst der Polizei.Der Literat wird wütend, spricht sich mißliebig über dasBestehende aus, wird dafür von einem Leutnant gefordert und erstochen.Die polizeilichen Verwicklungen waren mit Kosten verknüpft, die seinVermögen bereits ruiniert hatten. Madame hat durch ihre Ehe mit einemAusländer ihre Eigenschaft als preußische Untertanin verlorenund fällt nun ins äußerste Elend. - In der zweitenHeimatrechtsnovelle wird ein armer Teufel 14 Jahre lang von Hamburg nachHannover und von Hannover nach Hamburg transportiert, um hier dieSüßigkeiten der Tretmühle, dort die Freuden desGefängnisses zu schmecken und auf beiden Elbufern Stockprügel zugenießen. In derselben Weise wird der Übelstand behandelt, daßman gegen Übergriffe der Polizei nur bei der Polizei selbst klagen kann.Sehr rührend wird geschildert, wie die Polizei in Berlin durch ihr Reglementwegen Ausweisung arbeitsloser Dienstboten der Prostitution unter die Armegreift, und andre ergreifende Kollisionen.

Der wahre Sozialismus hat sich von Herrn Dronke aufs gutmütigstedüpieren lassen. Er hat die "Polizei-Geschichten", weinerliche Schilderungenaus der deutschen Spießbürgermisere im Tone von "Menschenhaßund Reue", für Gemälde von Konflikten aus der modernen Gesellschaftver- sehen; er hat geglaubt, hier werdesozialistische Propaganda gemacht, er hat keinen Augenblick daran gedacht,daß dergleichen Jammerszenen in Frankreich, England und Amerika, wodas Gegenteil von allem Sozialismus herrscht, ganz unmöglich sind, daßalso Herr Dronke keine sozialistische, sondern liberale Propagandamacht. Der wahre Sozialismus ist hier indes um so eher zu entschuldigen,als Herr Dronke selbst an das alles ebenfalls nicht gedacht hat.

Herr Dronke hat auch Geschichten "Aus dem Volke" geschrieben. Hier erlebenwir wieder eine Literatennovelle, in der das Elend der industriellenSchriftsteller dem Mitleiden des Publikums dargelegt wird. Diese Erzählungscheint Freiligrath zu dem rührenden Gedicht begeistert zu haben, woriner um Teilnahme für den Literaten fleht und ausruft: "Er auch ist einProletar!" Wenn es einmal dazu kommt, daß die deutschen Proletariermit der Bourgeoisie und den übrigen besitzenden Klassen die Bilanzabschließen, so werden sie es den Herren Literaten, dieser lumpigstenaller käuflichen Klassen, vermittelst der Laterne beweisen, inwiefernauch sie Proletarier sind. Die übrigen Novellen des Dronkeschen Buchssind mit einem gänzlichen Mangel an Phantasie und ziemlicher Unkenntnisdes wirklichen Lebens zusammengestoppelt und dienen nur dazu, Herrn Dronkessozialistische Gedanken gerade solchen Leuten in den Mund zu legen, bei denensie am allerwenigsten angebracht sind.

Ferner hat Herr Dronke ein Buch über Berlin geschrieben, das auf derHöhe der modernen Wissenschaft steht, d.h., in dem sich Junghegelsche,Bauersche, Feuerbachsche, Stirnersche, wahrhaft sozialistische und kommunistischeAnschauungen bunt durcheinander finden, wie sie in der Literatur der letztenJahre in Zirkulation gekommen sind. Das Endresultat des Ganzen ist, daßBerlin trotz alledem und alledem der Mittelpunkt moderner Bildung, das Zentrumder Intelligenz und eine Weltstadt mit zwei fünftel Millionen Einwohnerbleibt, vor deren Konkurrenz Paris und London sich in acht nehmen mögen.Sogar Grisetten gibt es in Berlin - aber der Himmel weiß es,sie sind auch danach!

Zu der Berliner Couleur des wahren Sozialismus gehört auch Herr FriedrichSaß, der ebenfalls ein Buch über seine geistige Vaterstadt geschriebenhat. Von diesem Herrn ist uns indes nur ein Gedicht vorgekommen, das in demsogleich näher zu besprechenden Püttmannschen "Album" p. 29 zulesen steht. In diesem Gedicht wird "Des alten Europas Zukunft" nach derWeise: "Lenore fuhr ums Morgenrot" mit den ekelhaftesten Ausdrücken,die unser Verfasser in der ganzen deutschen Sprache finden konnte, und mitmöglichst vielen grammatischen Fehlern besungen. Der Sozialismus Herrn Saß' reduziert sich darauf, daßEuropa, das "buhlerische Weib", nächstens untergehen wird:

Man sieht, die Phantasie und die Sprache des Dichters sind nicht minder"geborsten" als seine Geschichtsauffassung.

Mit diesem Blick in die Zukunft beschließen wir die Übersichtder verschiednen Sterngruppen des wahren Sozialismus. In der Tat, es wareine glänzende Reihe von Konstellationen, die vor unsrem Teleskopvorübergezogen sind, es ist die strahlendste Hälfte des Himmels,die der wahre Sozialismus mit seiner Armee besetzt hält! Und um allediese lichten Gestirne zieht sich mit dem sanften Glanz bürgerlicherPhilanthropie als Milchstraße die "Trier'sche Zeitung",ein Blatt, das sich mit Leib und Seele dem wahren Sozialismus angeschlossenhat. Es ist kein Ereignis vorgefallen, das den wahren Sozialismus auch nurim entferntesten berührte, ohne daß die "Trier'sche Zeitung" mitBegeisterung in die Schranken trat. Von dem Lieutenant Anneke bis zurGräfin Hatzfeld, vom Bielefelder Museum bis zur Madame Aston hat die"Trier'sche Zeitung" mit einer Energie für die Interessen des wahrenSozialismus gekämpft, die ihrer Stirn den Schweiß der Edlen entlockte.Sie ist im wörtlichsten Sinne eine Milchstraße der Sanftmut,Barmherzigkeit und Menschenliebe und pflegt nur in sehr wenigen Fällenmit saurer Milch aufzuwarten. Möge sie still und ungetrübt, wiees einer rechten Milchstraße geziemt, ihres Weges weiterfließenund fortfahren, Deutschlands wackere Bürger mit der Butter derWeichherzigkeit und dem Käse der Spießbürgerei zu versorgen!Daß ihr jemand den Rahm abschöpfe, braucht sie nicht zu besorgen,da sie zu wässerig ist, um welchen anzusetzen.

Damit wir aber in ungetrübter Heiterkeit von ihm scheiden, hat uns derwahre Sozialismus ein schließliches Fest bereitet in dem "Album", heraus- gegeben von H. Püttmann, Borna,bei Reiche, 1847. Unter der Ägide des großen Bären wird hiereine Girandola abgefeuert, wie man sie am Osterfest in Rom nicht glänzendersehen kann. Alle sozialistischen Poeten haben, freiwillig oder gezwungen,Raketen dazu geliefert, die in zischenden, funkelnden Garben gen Himmel steigen,in den Lüften knallend zu Millionen Sternen verstieben und ringsumTageshelle in die Nacht unsrer Verhältnisse zaubern. Aber ach, dasschöne Schauspiel dauert nur einen Augenblick - das Feuerwerk brenntaus und hinterläßt nur einen qualmenden Rauch, der die Nacht nochdunkler erscheinen läßt, als sie wirklich ist, einen Rauch, durchden als unveränderlich helle Sterne nur die sieben Gedichte von Heinehindurchschimmern, die sich zu unserem großen Erstaunen und zunicht geringer Verlegenheit des großen Bären in dieser Gesellschaftbefinden. Lassen wir uns das indes nicht stören, nehmen wir ebensowenigAnstoß daran, daß auch mehrere hier wieder abgedruckte Sachenvon Weerth sich in solcher Kompanie unbehaglich fühlen müssen,und genießen wir den vollen Eindruck des Feuerwerks.

Wir finden hier sehr interessante Themata behandelt. Der Frühling wirddrei oder viermal mit allem Aufwande besungen, dessen der wahre Sozialismusfähig ist. Nicht weniger als acht verführte Mädchen werdenuns [unter] allen möglichen Gesichtspunkten vorgeführt. Wir bekommenhier nicht nur den Aktus der Verführung zu sehen, sondern auch seineFolgen; jede Hauptepoche der Schwangerschaft ist durch mindestens ein Subjektvertreten, nachher kommt dann die Niederkunft, wie billig, und in ihrem GefolgeKindesmord oder Selbstmord. Es ist nur zu bedauern, daß Schillers"Kindesmörderin" nicht auch aufgenommen ist; aber der Herausgeber mochtedenken, es sei schon hinreichend, wenn der bekannte Ausruf: "Joseph, Joseph"usw. durch das ganze Buch klinge. Wie diese Verführungslieder beschaffensind, davon möge eine Strophe - nach einer bekannten Wiegenmelodie -Zeugnis ablegen. Herr Ludwig Köhler singt p. 299:

Überhaupt ist das "Album eine wahre Apotheose des Verbrechens. Außerden erwähnten zahlreichen Kindesmorden wird noch ein "Waldfrevel" -von Herrn Karl Eck besungen, und der Schwabe Hiller, der seine fünfKinder ermordete, von Herrn Johannes Scherr in einem kurzen und von Ursa Major höchstselbst in einemendlosen Gedicht gefeiert. Man meint, man wäre auf einem deutschenJahrmarkt, wo die Orgeldreher ihre Mordgeschichten ableiern:

Es fällt schwer, unter diesen jugendkräftigen Dichtern und ihrenlebenswarmen Produktionen eine Auswahl zu treffen; denn es ist im Grundeeinerlei, ob man Theodor Opitz oder Karl Eck, Johannes Scherr oder JosephSchweitzer heißt, die Sachen sind alle gleich schön. Greifen wiraufs Geratewohl hinein.

Da finden wir zuerst unsern Freund Bootes - Semmig wieder, wie erdamit beschäftigt ist, den Frühling auf die spekulative Höhedes wahren Sozialismus zu erheben (p. 35):

Was das für eine Freiheit ist, erfahren wir gleich darauf:

also die Freiheit der germanischen Urwälder, in deren Schatten Bootesruhig über "Socialismus, Communismus, Humanismus" nachdenken und nachBelieben "des Tyrannenhasses Dorn" pflegen kann. Über letzteren erfahrenwir:

wonach also zu hoffen steht, daß auch die knospende "Rose" Andromedabald einen geeigneten "Dorn" finden und sich dann nicht mehr so "hölzernvorkommen" möge wie oben. Auch im Interesse der "Veilchen", die damalsfreilich noch nicht existierten, operiert Bootes, indem er hier ein apartes Gedicht erläßt, dessen Titelund Refrain lauten: "Kauft Veilchen? Kauft Veilchen! Kauft Veilchen!" (p.38.)

Herr N..h..s <Neuhaus> bemüht sich mit lobenswertem Eifer, 32Seiten breitzeiliger Verse zustande zu bringen, ohne auch nur einen einzigenGedanken darin zutage zu fördern. Da ist zum Beispiel ein "Proletarierlied"(p.166). Die Proletarier treten hervor an die freie Natur - wenn wir sagenwollten, woraus sie hervortreten, so würden wir gar nicht zuEnde kommen - und entschließen sich nach langen Präambeln endlichzu folgender Apostrophe:

Damit ist ein neues Thema gewonnen, und nun geht es eine ganze Weile in diesemTone fort. Schließlich erfahren wir in der Vierzehnten Strophe,was die Leute eigentlich wollen, und das ist nicht der Mühe wert, eshieher zu setzen.

Auch Herr Joseph Schweitzer ist eine interessante Bekanntschaft:

woran sich ungezwungen knüpft, was Herr J Schweitzer will, nämlich:

Prasseln will ich, flammen will ich, Freiheitslicht
in Wald und Plan,
Bis der große Wassereimer, Tod genannt,
erlöscht den Span. (p. 213.)

Sein Wunsch ist erfüllt. In diesen Gedichten "prasselt" es bereits nachHerzenslust, und ein "Span" ist er auch, das sieht man auf den ersten Blick.Aber ein ergötzlicher Span:

Hoch das Haupt, die Hand geschlossen,
steh ich da, beseligt, frei. (p. 216.)

Er muß in dieser Stellung unbezahlbar gewesen sein. Leider reißtihn der Leipziger Augustkrawall auf die Straße, und dort sieht erergreifende Dinge:

Vor mir saugt in gier'gen Zügen,blutgetränkt,
O Schmach, O Greul!
Eine zarte Menschenknospe behend ihren Todestau (p. 217).

Hermann Ewerbeck macht seinem Vornamen auch keine Schande. Er beginntp. 227 ein "Schlachtlied", das ohne Zweifel schon von den Cheruskern imTeutoburger Walde gebrüllt wurde:

Sollte dies ein Schlachtlied für schwangere Frauenzimmer sein?

In einem zweiten Gedicht [p. 229] erfahren wir:

Ebensogut wie "Sinn und Sinne" uns vor solchen Versen "hinschwinden".

und dies Feld lohnt unsre Arbeit mit einer Ernte gesinnungsvoller Knittelverse,wie sie selbst Ludwig der Baier nicht hervorbringen konnte.

Ein stiller und gesetzter junger Mann ist Herr Richard Reinhardt. Er "gehtin leiser Ruhe lange der stillen Selbstentfaltung Schritt" und liefert einGeburtstagsgedicht "An die junge Menschheit", in welchem er sich damitbegnügt:

zu besingen. Auf diesen sechs Seiten wird uns wohl zumute. Die "Liebe" kommtsechzehnmal, das "Licht" siebenmal, die "Sonne" fünfmal, die "Freiheit"achtmal vor, von den "Sternen", "Klarheiten", "Tagen", "Wonnen", "Freuden","Frieden", "Rosen", "Gluten", "Wahrheiten" und sonstigen untergeordnetenWürzen des Daseins gar nicht zu sprechen. Wenn man das Glück gehabt hat, so besungenzu werden, so kann man wahrlich in Frieden in die Grube fahren.

Doch was halten wir uns bei Stümpern auf, sobald wir Meister wie HerrRudolf Schwerdtlein und Ursa Major betrachten können! Überlassenwir alle jene zwar liebenswürdigen, aber doch noch sehr unvollkommnenVersuche ihrem Schicksal und wenden wir uns der Vollendung der sozialistischenPoesie zu!

Herr Rudolf Schwerdtlein singt:

O weh, du armer Trompeter! - Man sieht, der Reiter des Lebens reitet nichtnur mit lachendem Mut in den Tod, er reitet auch ebenso kecklich in den dickstenUnsinn hinein, in dem er sich so wohl befindet wie die Laus in der Schafwolle.Ein paar Seiten weiter gibt der Reiter des Lebens "Feuer":

Es ist zu wünschen, daß dem Reiter des Lebens recht bald einmöglichst handfester Körper "um die Ohren säuseln"möge, um ihm die Geistersäuselei zu vertreiben.

dem Reiter des Lebens "bäumt" sich auchetwas zu beiden Seiten des Kopfes, aber es ist nicht "des Hengstes Ohr" -

Es geht dem Reiter des Lebens wie andern tapfern Kriegshelden. Den Todfürchtet er nicht, aber "Geister", "Gespenster" und besonders "Gedanken"machen ihn zittern wie Espenlaub. Um sich vor ihnen zu retten, beschließter, die Welt in Brand zu stecken, "den allgemeinen Weltbrand zu wagen":

Der Reiter des Lebens hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Zwiespaltder einz'gen Schlichtung in der großen Zeitparole gründlicherNatur- und Wesenssichtung ist eben, daß das Erz im Tiegel zum Körperund zum Geist verkohle, d.h., das Zertrümmern der neuen Weltgeschichteist die Neuverdichtung des Feuer-Weltgerichtes oder mit andern Worten, derDämon hole die Welt im Feuer des Beginns.

Nun zu unserm alten Freunde Ursa Major. Wir erwähnten die Hilleriadeschon. Diese beginnt mit einer großen Wahrheit:

Nachdem wir dann die ganze Jammerhistorie mit den kleinsten Details habenanhören müssen, bricht Ursa Major abermals in "Heuchelei" aus:

Sollte man nicht meinen, Ursa Major begehehier die erschreklichste Tollkühnheit, indem er den Leuten "Wahrheitenaus seinem Dichtermunde ins Gesicht schleudert"? Aber man beruhige sich,man zittere nicht für seine Leber und seine Sicherheit. Die Reichentun dem großen Bären ebensowenig etwas, als der große Bärihnen etwas tut. Aber, meint dieser, man hätte den alten Hiller entwederköpfen lassen müssen oder:

Das ist, in der Tat, die Bonhomie aller Bonhomien, die Wahrheit des wahrenSozialismus! "Euch zum Segen!" "Gewissensruh!" Ursa Major wird kindisch underzählt Ammenmärchen. Daß er noch immer "auf den Schlag derRachestunde harrt", ist bekannt.

Aber noch viel heiterer als die Hilleriade sind die "Friedhofsidyllen". Erstsieht er einen armen Mann begraben und hört die Klagen seiner Witwe,dann einen jungen im Kriege gefallenen Soldaten, seines greisen Vaters einzigeStütze, dann ein von seiner Mutter ermordetes Kind und schließlicheinen reichen Mann. Als er das alles gesehen hat, fängt er an zu "denken",und siehe

leider wurden sie nicht "klar", um "tief in" seine Verse zu dringen.

Dafür blieb ihm das, was aller Welt "offenbar" ist, nämlich dieerschreckliche Nichtswürdigkeit seiner Verse, vollkommen "geheimnisvoll".Und der klarsehende Bär sah, "wie im Fluge schier die größtenWunder sich begaben". Die Finger des armen Mannes werden Korallen, seineHaare Seide, und dadurch kommt seine Witwe zu großem Reichtum. Ausdem Grabe des Soldaten entspringen Flammen, die den Palast des Königsverschlingen. Aus dem Grabe des Kindesentsprießt eine Rose, deren Duft bis in den Kerker der Mutter dringt- und der reiche Mann wird vermöge der Seelenwanderung zu einer Natter,welche Ursa Major sich das Privatvergnügen vorbehält, durch seinenjüngsten Sohn zertreten zu lassen! Und so, meint Ursa Major, "wird unsallen doch Unsterblichkeit".

Übrigens hat unser Bär doch Courage. p. 273 fordert er "seinUnglück" mit Donnerstimme heraus; er trotzt ihm, denn:

Ja, Ursa Major "fühlt Kampfeslust", "fürchtet Wunden nicht".