DIE KRISE DES TAUSCHWERTS
Produktivkraft Wissenschaft, produktive Arbeit und kapitalistische Reproduktion
von Robert Kurz
11/01
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D-10969 Berlin1. Vorbemerkung: Die Linke und das Wertgesetz
An Veröffentlichungen mit einem mehr oder minder linken oder marxistischen, wenigstens „emanzipatorischen“ Anspruch über die „Krise“ schlechthin, über die Krise der Arbeit, des Marxismus, der Linken, über die neuen Technologien, die „postfordistische“ oder gar „nachindustrielle“ Gesellschaft usw. herrscht wahrlich kein Mangel mehr. Es wäre wenig hilfreich, die Flut dieser Texte durch einen weiteren zu vermehren, wenn nicht der Anspruch auf die Eröffnung eines grundsätzlich neuen oder anderen Aspekts gemacht werden kann. Unter dieser bewußt selbst gewählten Voraussetzung muß der vorliegende Artikel mit einem unbescheidenen, apodiktischen Gestus auftreten. Ich will deshalb gleich eingangs betonen, daß damit keineswegs auf eine besondere Höhe der eigenen theoretischen Ausarbeitung suggestiv verwiesen werden soll, sondern eher auf eine Entfernung der linken Publizistik insgesamt von jedem auch nur einigermaßen erträglichen Niveau in der theoretischen Vergewisserung und Reflexion der eigenen elementaren Kategorien. Die Hilflosigkeit der Linken angesichts der „neuen Erscheinungen“, auch ihre politische Impotenz, scheint nicht zuletzt in dieser „fundamentaltheoretischen“ Unlust begründet zu sein. Diese These ist zu präzisieren.
Es soll nichts geringeres behauptet werden, als daß die heutige Linke in all ihren eingesessenen Fraktionen ein keineswegs authentisches, sondern vielmehr an eine untergehende historische Stufe des Kapitals gebundenes Verständnis der „marxistischen“ Kategorien besitzt. Ironischerweise erscheint so die reifende objektive Krise des Kapitalverhältnisses gleichzeitig als Krise der Marxschen Theorie selbst, so wie sie sich herkömmlich für die Linken wie für ihre Gegner darstellt.
Während die linke Publizistik immer „untheoretischer“ wird, sich immer mehr im grauen Mäntelchen einer zurückweichenden Bescheidenheit der scheinbar unverfänglichen Untersuchung von Teilfragen der Oberfläche zuwendet, schließlich die Kategorien Marxscher Theorie zumindest partiell über Bord wirft und, gelegentlich schon im Büßergewande den Positivisten gegenüber, auf eine theoretische Synthese gesellschaftlicher Totalität explizit Verzicht leistet zugunsten „soziologischer“ Verkürzung, geht sie am Kernproblem ihrer Schwäche blind vorbei. Dem allgemeinen Trend entgegen „theoretisch werden“aber heißt umgekehrt von neuem „grundsätzlich werden“; hinsichtlich der bürgerlichen Gesellschaft grundsätzlich werden jedoch heißt, die eigenen wesentlichen Kategorien in einem erneuten historischen Durchgang aus der Kritik der „Wertgegenständlichkeit“ ableiten, also aus einer konkret-historischen Kritik des Warenfetischs. Wenn es aber richtig ist, und auf nichts anderes will ich hinaus, daß die herkömmliche „marxistische“ Epigonentheorie bis heute, inclusive der „Neuen Linken“, schon am ersten Kapitel des „Kapital“ völlig äußerlich abgleitet, dann muß sie erst recht an einer sozial-ökonomischen Realität abgleiten, die erst heute den Fundamentalkategorien des „Kapital“ wirklich voll zu entsprechen beginnt.
Solange das Wertgesetz nur als das Formgesetz gesellschaftlicher Allokation der Ressourcen begriffen wird, auf das es „politisch“ einzuwirken gelte, nicht aber als historische inhaltliche Wesensbestimmung, deren Vergänglichkeit sich ebenso gewaltsam wie objektiv (d.h. unabhängig von allen darauf bezogenen „politischen“ Willensäußerungen) durchsetzen muß, degeneriert das Verständnis des „Werts“ notwendig zu einer zweiten Naturkategorie und kann nicht mehr als fundamentaler Widerspruch begriffen werden. Die Bestimmung dieses Widerspruchs auf der höchsten Abstraktionsebene aber ist die des Verhältnisses von Stoff und Form, und diese gilt es begrifflich zu entfalten, um die berühmte „Empirie“ oder Oberflächenrealität verstehen zu können. Dieser kapitalistisch in unversöhnlichen Gegensatz tretende Widerspruch von Stoff und Form der gesellschaftlichen Reproduktion kann nur dann adäquat als solcher von „Produktivkräften“ und „Produktionsverhältnissen“ entziffert werden, wenn die Bestimmung letzterer dem Waren- oder Wertverhältnis nicht äußerlich bleibt. Es wäre also begrifflich der Widerspruch von stofflicher Produktivität einerseits und Wert- oder Warencharakter der Produktion andererseits als Wesenskern der Geschichte des Kapitals herauszuarbeiten.
Dies ist der Gegenstand des vorliegenden Textes, und die Aufgabe soll näher sein, anhand einer kategorialen Neubestimmung der kapitalistischen Wertverhältnisse die absolute logische und historische Schranke des Kapitals als Konsequenz der jüngsten und qualitativ neuen Stufe kapitalistischer Vergesellschaftung und Produktivkraftentwicklung in groben Zügen abzuleiten.Es darf dabei auch schon vorab nicht verschwiegen werden, daß im Ergebnis nicht nur die allzu bescheiden gewordene Theorie, sondern auch die beflissene und dringliche „praktische Politik“ einer Linken als Makulatur erscheinen wird, die eine gesellschaftliche Transzendierung illusionär (wenn überhaupt) auf dem Boden und mit den Mitteln der Wert und Geldverhältnisse anstrebt, gerade deswegen aber die neuen vergesellschaftenden Produktivkräfte schaudernd als gewaltige Steigerung der „Macht des Kapitals“ mißverstehen muß.
2. Gebrauchswert und Tauschwert, produktive Arbeit
In den gängigen „marxistischen“ Auffassungen erscheint der Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert als ein statischer, „bloß definitorischer“, der sich auf allen Entwicklungsstufen des Kapitals immer nur starr reproduziert; die Befreiung des Gebrauchswerts von der Diktatur der Wertabstraktion, soweit sie überhaupt noch gedanklich aufscheint, bleibt dann ein äußerliches, subjektives Unterfangen, das sich nicht mehr auf die Entfaltung eines objektiven Widerspruchs in einem konkreten historischen Prozeß stützen kann. Gerade der in der Warenproduktion als solcher bereits angelegte Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert aber ist es, der das Kapital zum „prozessierenden“ Widerspruch macht, weil er sich unter dem Kapitalverhältnis aus einer scheinbar statischen Beziehung in einen realen, zur Auflösung drängenden historischen Prozeß verwandelt.
Um den Prozeßcharakter des Verhältnisses von Gebrauchswert und Tauschwert begreifen zu können, ist es allerdings nötig, diesen Widerspruch im Begriff der Produktivität bzw. der produktiven Arbeit wiederzufinden. Die erstaunliche und ziemlich durchgängige crux der Marxisten besteht in ihrer Unfähigkeit, diesen Schritt zu tun: Der Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Tauschwert bleibt gerade deswegen starr, weil er im Begriff der produktiven Arbeit nicht mehr als Widerspruch festgehalten wird; in diesem Begriff erscheinen vielmehr die stoffliche („gebrauchswertmäßige“) und die wertbestimmte („tauschwertmäßige“) Seite ununterschieden vermengt und nicht mehr analytisch aufgelöst.
Gegen den Strich einer versteinerten historischen Interpretation gelesen, erweist sich aber bei Marx eben diese analytische Differenzierung im Begriff der produktiven Arbeit als wesentlich. Der Begriff der produktiven Arbeit ist unter diesem Gesichtspunkt grundsätzlich als ein doppelter zu fassen: erstens im Hinblick auf den Gebrauchswert, auf die stoffliche Seite des Arbeitsprozesses als Stoffwechselprozeß des Menschen mit der Natur; zweitens aber im Hinblick auf den Tauschwert, auf den „Wertbildungsprozess“ als gesellschaftlichen Stoffwechsel des Menschen mit sich selbst, in dem die Arbeit aber als „entstofflichte“, als abstrakt-menschliche Arbeit erscheint.
Unter der ersten analytischen Bestimmung bezieht sich der Begriff der „Produktivität“ ausschließlich auf das Verhältnis zwischen (natural)stofflicher Tätigkeit und stofflichem „Nutzeffekt“, welches Verhältnis wiederum abhängt von der Form und Qualität der Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände, was man als die gesellschaftliche Höhe des Niveaus von Naturbeherrschung bezeichnen könnte, ferner von der individuellen, wiederum qualitativ bestimmten „Geschicklichkeit“ des Arbeiters im Umgang mit diesen gesellschaftlich vorgegebenen Produktionsmitteln. Insofern ist jede Arbeit eine „produktive Arbeit“, deren Inhalt eingeht in das stoffliche „Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt“; aber nirgends wird in dieser Bestimmung die rein stoffliche, gebrauchswertmäßige Seite des Arbeitsprozesses verlassen.
Unter der zweiten analytischen Bestimmung bezieht sich der Begriff der „Produktivität“ ausschließlich auf den abstrakten Wertbildungsprozeß, auf die Verausgabung abstrakt-menschlicher Arbeit als fiktiver „Substanz“ des Werts, der als Tauschwert verdinglicht an der Oberfläche erscheint. Unter diesem Gesichtspunkt ist nur diejenige Arbeit eine „produktive Arbeit“, die unmittelbar als gesellschaftliche „Realabstraktion“ oder wertbildende „Substanz“, als Verausgabung menschlicher Arbeit schlechthin, in dem jeweiligen Produkt als „vergegenständlichte“ dargestellt wird.
Auf der Stufe der einfachen Warenproduktion macht diese analytische Differenzierung keine Probleme; sie könnte sogar als sinnlos erscheinen, weil hier die produktive Arbeit als stofflich-gebrauchswertmäßige stets unmittelbar identisch ist mit der produktiven Arbeit als gesellschaftlich-fiktionaler „Substanz“ des Wertbildungsprozesses. Denn in das Produkt geht sowohl stofflich als auch wertmäßig nur die Arbeit des individuellen (handwerklichen) Produzenten selbst ein, in dessen persönlicher Identität die logische Trennung von stofflichem Arbeitsprozeß und abstraktem Wertbildungsprozeß aufgehoben ist und als solche gar nicht erscheinen kann. Konkret-qualitative Arbeit und „Wertschöpfung“ erscheinen als ein- und dasselbe, und sie sind es auch, weil die abstrakte Verausgabung von „Nerv, Muskel, Hirn“ als „menschliche Arbeit überhaupt“ aus ein- und derselben persönlichen Leiblichkeit hervorgeht wie der jeweils besondere konkret-stoffliche Arbeitsprozeß des Schmiedens, Schusterns, Schneiderns usw.
Es könnte so erscheinen, als wäre die analytische Trennung von konkreter, qualitativ besonderer Arbeit und „abstrakter Arbeit“ bei Marx einzig und allein eine geniale Denkleistung, die eine bereits seit Jahrtausenden real existierende Logik (nämlich die Logik des Wertes bzw. der Warenproduktion) endlich auf den Begriff bringt. Eine solche Auffassung entspräche jedenfalls dem gängigen „marxistischen“ Verständnis, in dem der Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert und der dahinterliegende Gegensatz von konkreter und abstrakter Arbeit nur als starre definitorische Denkfigur erscheint, insofern aber nicht als Realkategorie, als dieser Widerspruch dann im Begriff der produktiven Arbeit oder „Produktivität“ nicht mehr festgehalten werden kann. Wird dieser Widerspruch aber logisch durchgehalten, dann erweist es sich, daß die Denkleistung von Marx überhaupt erst möglich wurde, als gesellschaftlich die stoffliche und die wertmäßige Produktivität real auseinanderzufallen begannen. Mit der kapitalistischen Produktionsweise wurde ein Prozeß initiiert, der auf wachsender historischer Stufenleiter stofflichen Arbeitsprozeß und Wertschöpfungsprozeß auseinandertreten und in ein wachsendes Mißverhältnis geraten läßt. Motor dieser Entwicklung wird die kapitalistisch betriebene Kooperation der Arbeit, eine höhere gesellschaftliche Arbeitsteilung, die über die engen Grenzen der bis dahin starren und in sich geschlossenen einzelnen Produktionszweige hinausgreift und diese damit ebenso auflöst wie die unmittelbare Identität von stofflich und wertmäßig produktiver Arbeit in der persönlichen Leiblichkeit des individuellen Produzenten.
3. Produktive Gesamtarbeit
Die Verwandlung des konkret-stofflichen Arbeitsprozesses in einen kooperativen, zuerst in Gestalt der Manufaktur, dann auf der Basis des Maschinensystems, scheint zunächst nur die Identität von konkretem Arbeitsprozeß und Wertbildungsprozeß in veränderter Form zu reproduzieren: diese Identität verteilt sich jetzt auf einen „produktiven Gesamtarbeiter“, auf die Gesamtheit der im kooperativen Arbeitsprozeß tätigen Personen, statt wie vorher im individuellen Produzenten vereinigt zu sein.
Aber diese Identität beginnt bei näherem Zusehen schnell brüchig zu werden. Erstens, und dieser Aspekt kann hier nur knapp und kursorisch behandelt werden, spalten sich mit der Kooperation der Arbeit unter dem Kommando eines Geldkapitals verschiedene sowohl stofflich als auch wertmäßig unproduktive Funktionen als besondere Arbeitsprozesse ab, die weder unmittelbar noch mittelbar in das Produkt eingehen, jedoch in der Natur der Produktion als Produktion von Waren enthalten sind: die kommerziellen Funktionen, das Kaufen und Verkaufen als solches etc. Diese in jeder Hinsicht unproduktiven Funktionen existieren auch schon für den individuellen, handwerklichen Produzenten (bzw. sie werden von Familienmitgliedern wahrgenommen, die außerdem noch haus- und subsistenzwirtschaftliche Arbeiten ausführen), aber sie sind nicht als besondere Tätigkeiten abgespalten und bleiben im Gesamtprozeß der einfachen Warenproduktion äußerst marginal und mit kulturellen Formen des gesellschaftlichen Lebens verquickt, die nicht auf die dürren Kategorien ökonomischer Analyse reduziert werden können („Markttag“ als Fest-Tag etc.). Mit der kapitalistischen Kooperation werden diese kommerziellen Funktionen formalisiert, ökonomisiert und gleichzeitig ausgeweitet; sie beschränken sich nicht mehr nur auf Kauf- und Verkaufsakte, sondern entwickeln sich fort zum „Marketing“, zur Marktanalyse, Werbung usw.
Zweitens aber beginnen auch im unmittelbaren Arbeitsprozeß selber „schillernde“ Funktionen aufzutauchen, die im Hinblick auf ihren Charakter als produktive oder unproduktive Arbeit keine eindeutige Identität mehr besitzen: die Funktionen der Leitung und Kontrolle. Der stoffliche Arbeitsprozeß als kooperativer geht nicht auf in der bloßen Summe der einzelnen Teilarbeiten, sondern beinhaltet das Moment des Kombinierens selbst als besondere, notwendige Tätigkeit für den Gesamtprozeß, wie die Tätigkeit des Dirigenten zur „Gesamtarbeit“ eines Orchesters gehört (Marx gebraucht diesen Vergleich mehrfach). Andererseits ist diese Funktion des „Dirigierens“ in der kapitalistischen Form der Kooperation nie bloßes Moment des stofflichen Arbeitsprozesses, sondern immer gleichzeitig besudelt mit dem Charakter des Arbeitsprozesses als Ausbeutungsprozeß, also verquickt mit Funktionen der Kontrolle, Unterdrückung usw. Die „dirigierende“ Funktion ist von den Menschen des unmittelbaren kooperativen Arbeitsprozesses durch Ausschließlichkeit und Äußerlichkeit geschieden, ihnen daher grundsätzlich verhaßt - mehr noch als die Personifikationen des Geldkapitals selber, unter dessen Kommando sie schuften, das ihnen aber niemals so hautnah gegenübertritt wie jene „Offiziere und Unteroffiziere“ (Marx) des Produktionsprozesses.
Diese Funktionen sind ebensowenig starr wie der kapitalistische Produktionsprozeß selbst, sie werden mit jeder Umwälzung der stofflichen Struktur des Arbeitsprozesses zugleich umgewälzt. Teilweise übernimmt der unbarmherzige Takt des Maschinensystems die Aufgabe der primitiven Überwachung und erübrigt jede menschliche Kontrolle; aber der Natur der Produktion als Ausbeutungsprozeß entsprechend werden diese Funktionen nie völlig überflüssig, sie reproduzieren sich auch auf der Ebene der modernsten technologischen Veränderungen durch Mikroelektronik usw. und nehmen nur neue Gestalten an. Dem doppeldeutigen Inhalt dieser Funktionen entspricht ihr doppeldeutiger Bezug zum Begriff der produktiven Arbeit: soweit sie aus dem rein stofflichen Charakter des Arbeitsprozesses als eines kooperativen hervorgehen (Dirigentenfunktion), sind sie Teil der unmittelbare Produktionsarbeit und sowohl stofflich als auch wertmäßig produktiv; soweit sie aber bloß aus dem feindlichen Gegensatz von Kapital und Arbeit als Büttel des kommandierenden Geldkapitals hervorgehen, sind sie, wie die rein kommerziellen Funktionen, weder stofflich noch wertmäßig produktiv: die Spaltung von produktiver und unproduktiver Arbeit geht mitten durch die Personen hindurch.
Weder die Abspaltung der kommerziellen Funktionen noch die Verselbständigung der kooperativen Leitungsaufgaben gegenüber den unmittelbaren Produzenten macht aber das eigentliche Kernproblem des kapitalistischen Auseinanderfallens von Stoff und Wert aus. Dieser Wesenskern erscheint vielmehr erst, wenn wir eine dritte, gewöhnlich gar nicht als solche wahrgenommene Kategorie innerhalb des „produktiven Gesamtarbeiters“ behandeln, die aber den Widerspruch von Gebrauchswert und Tauschwert, von stofflichem und wertbildendem Arbeitsprozeß im Kapitalismus erst wirklich manifest macht. Es handelt sich um diejenigen Funktionen, die sich innerhalb des „Gesamtarbeiters“ zwar auf den stofflichen Arbeitsprozeß beziehen, aber nicht unmittelbar, sondern indirekt, mittelbar. Diese Funktionen gehen nicht aus dem kommerziellen Charakter der Produktionsweise hervor und entspringen auch nicht dem formellen Gegensatz von Kapital und Arbeit, sie sind aber auch nicht Glied im kooperativen unmittelbaren Arbeitsprozeß, der sich direkt in einem Produkt vergegenständlicht. Vielmehr handelt es sich um Tätigkeiten „neben“ und „über“ dem unmittelbaren Produktionsprozeß, die zweifellos in den stofflichen Inhalt der Produktion eingehen, aber nicht geradlinig in ein bestimmtes Produkt; also beispielsweise technische (im Unterschied zu sozialen) Kontrollaufgaben, technische Projektplanung, Konstruktion etc.
Solche im technologischen Sinne planenden, kontrollierenden, konstruierenden usw. Tätigkeiten, also „Kopfarbeit“ im weitesten Sinne, waren ursprünglich alle im Kopf des unmittelbaren individuellen Produzenten vereinigt, insofern Teil seiner persönlichen Leiblichkeit und von der unmittelbaren Handarbeit nicht getrennt. Die kapitalistische Kooperation der Arbeit aber hat die historische Tendenz, diese Funktionen aus dem unmittelbaren Produktionsprozeß herauszulösen und sie „neben“ diesem neu zusammenzusetzen.
Hinsichtlich der Wert-Vergegenständlichung dieser Arbeiten stellt sich nun die Frage, ob und wie sie als getrennte, vom unmittelbaren Produktionsprozeß abgelöste Funktionen trotzdem noch als Bestandteile des „produktiven Gesamtarbeiters“ nach wie vor in der Identität von stofflichem Arbeitsprozeß und abstraktem Wertbildungsprozeß aufgehoben sind. Dies trifft sicher zu, soweit sie, wenn auch indirekt und vermittelt, immer noch in die Vergegenständlichung einer bestimmten Gesamtarbeit in einem bestimmten Produkt eingehen; insofern würde es sich auch bei solchen Funktionen letztlich nur, wenn auch in komplizierteren Formen, um die kollektive Reproduktion des früher individuellen Produktionsprozesses in seiner geschlossenen Identität von konkretem Arbeits- und abstraktem Wertbildungsprozeß handeln.
Nicht mehr ganz so eindeutig erscheint die Sache freilich, wenn solche vom unmittelbaren Produktionsprozeß abgespaltenen technologischen „Kopfarbeiten“ überhaupt nicht mehr erkennbar in ein bestimmtes Produkt einfließen, sondern in eine breite Palette von Produkten und dabei womöglich weit über die jeweilige einzelbetriebliche Kooperation bzw. Gesamtarbeit hinausreichen. Zweifellos gehen solche Arbeiten auch dann indirekt und vermittelt in den stofflichen Arbeitsprozeß ein; sie sind insofern im stofflichen Sinne eindeutig als produktive Arbeit zu identifizieren. Im Hinblick auf den Wertbildungsprozess tut sich hier aber eine „Grauzone“ auf; wenn ein- und dieselbe indirekt in den stofflichen Arbeitsprozeß eingehende Tätigkeit, sagen wir: die Konstruktion eines Steuerungsmoduls, sich nicht nur auf ganz verschiedene Produkte erstreckt, sondern auch (z.B. durch Lizenzvergabe) auf Produkte ganz verschiedener Marktteilnehmer, dann wird es fragwürdig, wie diese im stofflichen Sinne produktive Arbeit objektiv noch eine Wertgestalt annehmen kann.
Vergessen wir nicht, daß der Wert, der als Tauschwert erscheinen muß, seinem Wesen nach nicht eine quasi mystische, den Dingen als solchen innewohnende „Substanz“ ausdrückt, wie es die Fetisch-Gestalt des Tauschwerts suggeriert, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis voneinander getrennter Teil- oder Privatproduzenten, deren gesellschaftliche Arbeitsteilung sich nur über die abgespaltene Zirkulationssphäre realisieren kann. Die Konstruktion eines universell verwendbaren Steuerungsmoduls aber ist nicht nur der Form, sondern auch dem Inhalt und Wesen nach eine unmittelbar vergesellschaftete Arbeit; insofern geht sie über die bloße Verwandlung des einfachen Produktionsprozesses aus einem individuellen in einen kollektiv-kooperativen hinaus, ist sie Ausdruck einer höheren Form technisch-stofflicher Vergesellschaftung, die nicht nur die einzelnen Produktionszweige aus individuellen in kooperative Produktionsprozesse verwandelt, sondern auch auf stets wachsender Stufenleiter diese Produktionszweige selber als getrennte aufzuheben beginnt, indem sie die Grenzen zwischen ihnen technologisch verwischt. Natürlich existieren auch weiterhin spezifische Arbeitsgänge für die Produktion spezifischer Produkte, aber diese machen jetzt zunehmend weniger den Hauptinhalt des Produktionsprozesses aus, sondern werden bloßes Anhängsel und Teilfunktion eines hochgradig vergesellschafteten, „vernetzten“ Gesamtaggregats unmittelbar gesellschaftlicher Arbeit. In dem Maße, wie sich zwischen die tatsächlich spezifische Herstellung eines bestimmten Endprodukts und dessen ideelle Konzeption ein anschwellendes unmittelbar gesellschaftliches Aggregat universeller, unspezifischer Technologie schiebt, treten auch nicht mehr verschiedene spezifische Produktionszweige miteinander äußerlich in Beziehung, sondern ein integriertes technologisch-gesellschaftliches Gesamtaggregat bildet beliebig kombinierbare „output“-Systeme spezifischer Produkte als seine nachgeordneten Teilfunktionen aus. Damit aber wird der Tendenz nach die bisherige gesellschaftliche Arbeitsteilung nach voneinander getrennten Produktionszweigen stofflich aufgehoben, folglich aber die Warenproduktion selber obsolet.
Solange die technologisch-stoffliche Aufhebung der getrennten Produktionszweige nicht sehr weit fortgeschritten war, also vielleicht noch das Zeitalter des auf Dampfkraft beruhenden Maschinensystems einschließend, mochte der Gedanke bis zu einem gewissen Grade als sinnvoll erscheinen, den individuellen Warenproduzenten lediglich durch einen kollektiv-kooperativen Warenproduzenten zu ersetzen, d.h. den Widerspruch von Kapital und Arbeit innerhalb des Horizonts der Warenproduktion selber aufzuheben. In der alten Arbeiterbewegung blieb daher der Begriff des Sozialismus zwangsläufig sehr weitgehend im Warenfetisch, damit aber auch im Geld- und Lohnfetisch befangen als die Vorstellung von einer Gemeinschaft kooperativer Warenproduzenten in Genossenschaften etc. Wenn heute solche Gedanken wiederbelebt werden, dann sind sie freilich nur noch reaktionär, denn diese Ideen mußten zusammen mit der alten Arbeiterbewegung vor allem deswegen untergehen, weil die stofflich-technische Vergesellschaftung durch den Kapitalismus längst darüber hinweggeschritten ist. Dies nur in Parenthese.
Waren die vom alten Individualproduzenten abgespaltenen besonderen Tätigkeiten zunächst entweder als produktiv oder unproduktiv im sowohl stofflichen als auch wertmäßigen Sinne zu bestimmen bzw. als „Emulsion“ von produktiven und unproduktiven Funktionen bei den „Offizieren und Unteroffizieren“ des Produktionsprozesses, so haben wir es nun mit einer völlig neuen Kategorie innerhalb der „Gesamtarbeit“ zu tun: mit Funktionen, die zwar in stofflicher Hinsicht produktive Arbeit sind, insofern sie indirekt in den immer höher technisch vergesellschafteten stofflichen Arbeitsprozeß eingehen, gleichzeitig aber im Sinne der Wertschöpfung (und damit des kapitalistischen Verwertungsprozesses) als unproduktiv erscheinen oder zumindest in eine „Grauzone“ eintauchen, die ihrem Wesen nach als unmittelbar gesellschaftliche Arbeit aus den Kategorien der Tauschwert-Vergesellschaftung herausfällt. Diese Zone des Reproduktionsprozesses ist es also, in der stofflich und wertmäßig produktive Arbeit auseinanderzutreten beginnen, die frühere Identität von konkretem und abstraktem Arbeitsprozeß historisch sich auflöst.
Solange die Funktionen unmittelbar gesellschaftlicher Arbeit, die aus dem Tauschwert-Zusammenhang objektiv heraustreten, insgesamt marginal bleiben, d.h. quantitativ wie qualitativ als verschwindend erscheinen gegenüber der Masse lebendiger Arbeit, die im kooperativen unmittelbaren Produktionsprozeß angewendet wird und die sich noch eindeutig in einem bestimmten Produkt vergegenständlicht, das als das Produkt eines (in sich selbst nach kommandierendem Geldkapital und Lohnarbeit gespaltenen) gesellschaftlichen Teilproduzenten auf dem Markt erscheinen kann, solange tritt auch der logische Widerspruch des Wertes noch nicht in seiner wahren und reinen Gestalt hervor. Dies geschieht erst in dem Maße, wie durch die kapitalistische Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft dieses Verhältnis von unmittelbarer (nur indirekt gesellschaftlicher) und mittelbarer (direkt gesellschaftlicher) Arbeit im stofflichen Produktionsprozeß verändert wird und schließlich umschlägt: die lebendige Arbeit wird auf immer höherer Stufenleiter aus dem unmittelbaren, sich direkt in einem bestimmten Produkt vergegenständlichenden Produktionsprozeß herausgenommen; der Anteil menschlicher Arbeit „neben“ diesem unmittelbaren Produktionsprozeß und „über“ ihm, die in diesen als direkt gesellschaftliche nur noch indirekt eingeht, wächst auf derselben Stufenleiter an.
Die Brisanz dieser Entwicklung wird freilich erst dann völlig deutlich, wenn wir über die Schnittstelle oder „Grauzone“ hinaus, an der stofflich und wertmäßig produktive Arbeit auseinanderzutreten beginnen, dieses historische Auseinanderfallen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene weiterverfolgen. Ich habe deswegen zunächst vorsichtig von einer „Grauzone“ gesprochen, weil alle Bestimmungen des „produktiven Gesamtarbeiters“ bis jetzt nur aus der kapitalistischen Kooperation auf der Ebene der Fabrik oder des Einzelbetriebes heraus entwickelt sind, wo sie sich erst an den ausfransenden, zersetzten „Rändern“ der sich als getrennte auflösenden und zu einem Gesamtaggregat verschmelzenden Produktionszweige in Bestimmungen unmittelbar gesellschaftlicher Arbeit verwandeln. Wenn wir nun den Prozeß stofflicher Vergesellschaftung des gesamten gesellschaftlichen Reproduktionsapparats nicht mehr quasi „von unten“, aus der Sicht des kapitalistischen Einzelbetriebes untersuchen, sondern „von oben“, aus der Sicht der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion, dann muß auch der Begriff des „produktiven Gesamtarbeiters“ um diese gesamtgesellschaftliche Dimension erweitert werden. Dann haben wir es mit zwei (einander durchdringenden) Ebenen der „Gesamtarbeit“ zu tun, der einzelbetrieblichen und der gesamtgesellschaftlichen, die sich als miteinander „vernetzte“ darstellen. Auf dieser zweiten, erweiterten Ebene der „Gesamtarbeit“ nun wird das Auseinanderfallen von stofflicher und wertmäßiger Produktivität erst richtig deutlich, kann die bisher nur angedeutete begriffliche Ableitung erst voll entfaltet werden.
In allen vorkapitalistischen Produktionsweisen ist der über die einzelnen Produktionseinheiten (Bauern- und Handwerkerfamilien) hinausgreifende gesellschaftliche Zusammenhang äußerst gering entwickelt; selbst der Staat existiert erst in roher Form, hauptsächlich als die bewaffnete Selbstorganisation der herrschenden Klassen. Der Kapitalismus verwandelt nicht nur die individuellen bzw. familialen Produktionseinheiten in kooperative Großproduzenten, die in sich selbst arbeitsteilig und auf fortgeschrittener Stufenleiter in ein Maschinensystem integriert sind, sondern er setzt damit auch institutionalisierte gesellschaftliche Rahmenbedingungen, ohne die eine solche kooperative Großproduktion für tendenziell weltweite Märkte nicht denkbar ist. Dazu gehört vor allem eine tiefgestaffelte gesellschaftliche Infrastruktur, wie z.B. ein weitreichendes und verzweigtes Transport- und Kommunikationssystem, Energieversorgung, kontrollierte und institutionalisierte Normung und Standardisierung von Maßen, Gewichten, Formaten usw., nicht zuletzt ein umfassendes und gegliedertes Wissenschafts- und Ausbildungssystem. Alle diese in wachsendem Ausmaß notwendig werdenden Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Infrastruktur müssen schon bald von staatlichen oder halbstaatlichen Organisationen übernommen und betrieben werden - ein Hinweis auf ihren wesentlich gesamtgesellschaftlichen Charakter, auf ihr grundsätzliches Hinausgreifen über jeden einzelbetrieblichen Bezug. Diese Infrastruktur als allgemeine Rahmenbedingung geht in die gesellschaftliche Gesamtproduktion ein wie die natürlichen Grundlagen und Voraussetzungen der Produktion; sie wird quasi zu einer stofflichen „zweiten Natur“ (wie andererseits der „Wert“ zu einer ökonomischen „zweiten Natur“ wird). So ist z.B. das allgemeine, durchschnittliche menschliche Arbeitsvermögen jetzt nicht mehr das ursprünglich „natürliche“, sondern ein von Anfang an vor jeder Produktionstätigkeit schon immer gesellschaftlich produziertes, in das Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Grundrechnungsarten etc. mindestens eingehen.
Alle diese Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Infrastruktur kosten Arbeit und absorbieren einen historisch wachsenden Teil der gesellschaftlichen Ressourcen an Arbeitskraft. Hinsichtlich der Produktivität dieser Arbeiten nun wird handgreiflich, was sich an den „Rändern“ der einzelbetrieblichen Kooperation bei Tätigkeiten wie Konstruktion etc. schon angedeutet hat: sie sind produktiv nur in einem gesamtgesellschaftlichen Sinne als unmittelbar gesellschaftliche oder vergesellschaftete Arbeiten; sie sind nicht mehr Ausdruck einer wie auch immer gearteten Getrenntheit gesellschaftlicher Teil-, Einzel- oder Privatproduzenten, sondern vielmehr das genaue Gegenteil davon: diese Arbeiten gehen ihrer Natur nach von vornherein in alle Momente gesellschaftlicher Teilproduktion gleichermaßen auf indirektem Wege ein, sie sind daher immer und ausschließlich auf den gesamten Reproduktionsprozeß der Gesellschaft als Totalität bezogen und nie auf einen einzelbetrieblichen Produktionsprozeß. Zweifellos handelt es sich hier um gesellschaftliche Produktivkräfte, die in Bewegung gesetzt werden, und alle darin eingeschlossenen Arbeiten sind in stofflicher Hinsicht indirekt produktiv. Aber gleichzeitig stehen diese Arbeiten von vornherein ihrer Natur nach außerhalb des Wertgesetzes, sie können gar nicht die Form vergegenständlichter abstrakter Arbeit in der Fetischgestalt des „Werts“ annehmen, weil sie eben als unmittelbar gesellschaftliche in alle Produkte gleichermaßen und gleichzeitig eingehen, somit gar nicht als Moment eines Austauschprozesses getrennter Einheiten erscheinen können. Im Hinblick auf den Wertschöpfungsprozeß müssen sie folglich immer unproduktiv bleiben, weil der Wert eben nichts als der notwendig sich fetischisierende, zur scheinbaren dinglichen Substanz gerinnende Wesenskern des gesellschaftlichen Austauschs getrennter Teilproduzenten ist.
Hier haben wir nun den Prototyp der neuen Arbeit, die der Kapitalismus vielgestaltig erst hervorbringt, mit der er aber der realen Logik nach das Wertgesetz und damit seine eigene Grundlage aufhebt: die unmittelbar gesellschaftliche, stofflich indirekt produktive, wertmäßig ihrem Wesen nach unproduktive Arbeit. Mit der Ausdehnung des Maschinensystems und der Produktion im großen Maßstab wächst aber diese neue, unmittelbar gesellschaftliche Arbeitsform historisch unaufhaltsam an, sowohl absolut als auch relativ, in ihrer Bedeutung für den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß insgesamt. Damit aber muß logischerweise auch das Wertgesetz zunehmend obsolet werden und die auf dem Wert beruhende Produktion sich historisch einem objektiven Zusammenbruch nähern. Die darauf bezogenen Aussagen von Marx, vor allem in den „Grundrissen“, sind also durchaus wörtlich und als konkrete Prognose der objektiven historischen Entwicklungslogik des Kapitals zu nehmen, und keineswegs als das subjektive Programm des Kommunismus, das in irgendeiner fernen Zukunft weit jenseits des Kapitalismus erst zu verwirklichen sei. Die „marxistische“ Linke der verschiedensten Richtungen hat die einschlägigen „Stellen“ bei Marx zwar hundertmal und tausendmal gewälzt und in den widersprechendsten Zusammenhängen zitiert, aber nie deren wirkliche Logik als die des Kapitals selber begrifflich entfaltet anhand der historischen Real-Entfaltung des Kapitals; offensichtlich nicht aus einem grundsätzlichen Mangel an Abstraktionsvermögen, sondern aus einer historisch bedingten und bis heute nicht überwundenen Befangenheit in den Tauschwert-Kategorien heraus.
4. Produktivkraft Wissenschaft
Die wesentlichste inhaltliche Bestimmung der neuen, unmittelbar gesellschaftlichen Arbeit aber ist die der Wissenschaft. Daß Kapitalismus „Verwissenschaftlichung der Produktion“ sei, ist absolut evident und daher unbestritten. Allerdings wird in der „marxistischen“ Theorie auch dieser Begriff der „Verwissenschaftlichung der Produktion“ in einem allzu starren, unhistorischen und abstrakt-definitorischen Sinne verwendet, und wo die reale historische Stufenleiter des Prozesses dieser „Verwissenschaftlichung“ erörtert wird, geschieht dies ohne systematisch-logischen Bezug zur Wertgestalt der Produktion.
Grundsätzlich sind zwei Formen des Prozesses der Verwissenschaftlichung zu unterscheiden, die sich gegenseitig durchdringen und schließlich miteinander verschmelzen in einer gesellschaftlichen Produktionstechnologie, die aus sich heraus notwendig und völlig objektiv das Wertgesetz und damit die Warenproduktion sprengt.
Erstens ist es die technologische Anwendung der Naturwissenschaft, die Wissenschaft überhaupt zur „unmittelbaren Produktivkraft“ (Marx) macht; zweitens aber handelt es sich um die Arbeits- oder Organisationswissenschaft, die auf der Grundlage der kapitalistischen kooperativen Arbeitsteilung erst entsteht. Beide Formen der Verwissenschaftlichung sind zunächst für sich und dann in ihrer gegenseitigen Beziehung zu erörtern.
Die Naturwissenschaft als solche existiert schon seit Jahrtausenden, sie ist entstanden in der antiken Sklavenhalter-Gesellschaft. Aber der ökonomischen Natur dieser Gesellschaft entsprechend blieb die damalige Naturwissenschaft als Teil der „Philosophie“ strikt getrennt von der materiellen Produktionstätigkeit; sie war ein Luxusprodukt der herrschenden Sklavenhalter-Klasse, ein entscheidender Fortschritt in der Geschichte der Menschheit zwar, aber zunächst ohne Rückwirkung auf die Produktion. Die Vorstellung, daß Naturwissenschaft ein Produkt des „Erfindergeistes“ der unmittelbaren Produzenten gewesen sei etc., wie es manchmal in „marxistischen“ Traktaten zu lesen ist, entspringt dagegen naiven Proletkult-Ideen und einem Vulgärmaterialismus, der alle gesellschaftlichen Erscheinungen stets unmittelbar aus „der Produktion“ ableiten will. Historisch vermittelt und weit zurückreichend in die „Urgesellschaft“ der Jäger und Sammler sind die geistige Tätigkeit überhaupt und die Gestalten ihrer Höherentwicklung zwar tatsächlich zunächst ein direktes Resultat der materiellen Produktion; aber je weiter die Geschichte voranschreitet und die Schwelle der Klassengesellschaften als Ergebnis der Produktivkraftentwicklung erreicht, desto mehr spalten sich materielle Produktion und geistig-wissenschaftliche Tätigkeit (bzw. deren Vorformen) voneinander ab und verselbständigen sich relativ gegeneinander. Die allgemeine, auf den gesamten menschlichen Entwicklungsprozeß bezogene Richtigkeit der materialistischen These, daß die Formen geistiger Tätigkeit ihre Wurzeln in der materiellen Produktionstätigkeit haben, hindert nicht die Anerkennung der Tatsache, daß sich konkret-historisch die Naturwissenschaft als ein bestimmtes Moment dieses Entwicklungsprozesses gerade in strikter Trennung von der Produktion herausgebildet hat.
Diese Naturwissenschaft als gesellschaftlich abstrakte „Liebe zur Weisheit“ von luxurierenden Sklavenhaltern hatte daher auch zunächst über lange Zeiträume hinweg nichts zu tun mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit; sie war indirektes Resultat der Produktivkraftentwicklung, wurde aber nicht umgekehrt selber Ursache oder Motor von deren weiterer Entfaltung. Soweit die Produktivkräfte durch Verbesserung der Produktionsinstrumente und -Methoden weiterentwickelt wurden, geschah dies in der Tat durch tüftelnde und grüblerische Naturen unter den unmittelbaren Produzenten (Bauern, Handwerker, Fischer etc.), aber eben gerade nicht auf wissenschaftliche Weise, sondern rein empirisch, zufällig, begriffslos, nicht systematisch abstrahierend und in einer Reihe historisch aufeinander aufbauender logischer Schritte; daher dann auch nur ungeheuer langsam und über sehr große Zeiträume verteilt, sodaß eine Veränderung der Produktionstechnik sich über viele Generationen hinweg kaum feststellen ließ und neue Verfahren sich nur sehr allmählich durchsetzten, soweit sie nicht überhaupt an bestimmte natürliche Bedingungen gebunden blieben (z.B. Wassermühlen).
In der Antike war die entstehende Wissenschaft mit der Naturwissenschaft als integralem, noch nicht zur eigenen Disziplin entwickeltem Bestandteil bereits ein Moment der menschlichen Emanzipation von der Religion gewesen, jedenfalls von der Religion in ihrer ursprünglichen, naiven, unreflektiert-mythologischen Form. Aber dieser Ansatz geistiger Emanzipation entstand gleichzeitig und konnte nur entstehen als das Luxusprodukt einer müßiggängerischen, die materielle Produktion verachtenden Klasse von Sklavenhaltern, mit deren historischem Untergang sie zwar nicht wieder verschwand, aber im Mittelalter erneut und in sehr starrer, mechanischer Form der institutionalisierten Religion in Gestalt der römischen Papstkirche untergeordnet wurde.
Die Geschichte des neuen Aufstiegs der Wissenschaft und ihrer erneuten Verwandlung in eine emanzipatorische Ideologie auf höherer Stufenleiter ist aber seit der Renaissance nichts anderes als die Geschichte der bürgerlichen Emanzipation von den feudalen Fesseln. Die erneute, weitergehende Trennung der Wissenschaft von der Religion, die Abtrennung der Naturerkenntnis vom Gottesglauben hatte zunächst, und dies über Jahrhunderte hinweg, eine rein ideologische, geistige Funktion; sie war eine ideelle Waffe, die sich das städtische Bürgertum gegen die feudalen Gewalten zu schmieden begann. Astronomie und Kosmologie (Galilei, Bruno, Kepler) als Ausgangswissenschaften eines neuen, „säkularisierten“ Weltbildes waren kaum geeignet, als „unmittelbare Produktivkräfte“ zu wirken. Aber die Klasse, die zum sozialökonomischen Träger der neuzeitlichen Emanzipation der Wissenschaft von der Religion werden sollte, unterschied sich ihrer ökonomischen Stellung und daher auch ihrer Denkweise nach fundamental von den alten Sklavenhaltern, von denen die Wissenschaft „erfunden“ worden war. Die Bourgeoisie begriff sich in ihrem historischen Aufstieg und in ihrem Kampf mit dem Feudalismus selber als produktive Klasse, wobei dieser Begriff freilich ideologisch verschwommen blieb und sich ausschließlich vom Gegensatz zu den offenkundig gesellschaftlich parasitären Klassen des feudalen Adels und der feudalen Geistlichkeit nährte. In diesem Selbstverständnis der Bourgeoisie als produktive Klasse lag die historisch-ideologische Voraussetzung für die produktive Anwendung der neuen Wissenschaften; um diese freilich real ins Leben treten zu lassen, mußte erst ein weiter Weg zurückgelegt werden.
Als der Kapitalismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also in der Gesamtentwicklung der Bourgeoisie seit der Renaissance zu einem relativ späten Zeitpunkt, damit begann, sich mittels der auf Dampfkraft beruhenden Maschinerie erst wirklich auf seinen eigenen Grundlagen zu entwickeln, da war dieser historische Sprung in der Produktivkraftentwicklung noch keineswegs das Resultat einer systematischen Beziehung von Wissenschaft und Produktion. Es waren zunächst nicht Wissenschaftler, sondern immer noch empirische „Praktiker“, von denen die entscheidenden Innovationen geschaffen wurden, wie der Techniker-Fabrikant und Spinnmaschinen-Erfinder Arkwright, und sie schufen diese Innovationen nicht auf der Basis vergesellschafteter Wissenschafts- und Technologie-Organisation, sondern individuell. Sicherlich war die Entwicklung der Naturwissenschaften seit dem 16. Jahrhundert eine allgemeine Voraussetzung der neuen Technologien und vor allem der ungeheuren Energiequelle des Dampfes, aber die technologisch-kommerzielle Anwendung ging nicht direkt daraus hervor. So blieb es auch das ganze 19. Jahrhundert hindurch im wesentlichen; nur sehr allmählich kam die systematische gesellschaftliche Organisation des Wissenschaftsprozesses, seiner technologischen Anwendung und des dafür nötigen qualifikatorischen Unterbaus (Schulen, Spezialschulen, Erweiterung der Universitäten, Gründung technischer Hochschulen, Verquickung von Wissenschaft und Großkapital) in Gang. Noch in der „Gründerzeit“ gegen Ende des Jahrhunderts, an der Schwelle zum Imperialismus, waren es individuelle Erfinder-Kapitalisten wie Siemens, Daimler usw., Edison in den USA, von denen die entscheidenden technologischen Grundlagen ganzer Industriezweige gelegt wurden. Die Industrie selber war erst noch im Werden, der überwiegende Teil der Arbeitsbevölkerung war noch nicht in Lohnarbeiter verwandelt, die industriellen Prozesse selbst blieben in sich noch sehr roh und arbeitsintensiv, die „Verwissenschaftlichung der Produktion“ befand sich eigentlich noch im Kindesalter. Es ist vielleicht nötig, sich diese Tatsachen ins Gedächtnis zu rufen, um zu begreifen, wie extrem jung tatsächlich die historische Entfaltung der wirklichen Logik des Kapitals ist, die Karl Marx durch „Abstraktionskraft“ bereits aus den Anfängen heraus ideell antizipiert hatte, freilich auf ein ungeheures Gesamtwerk verteilt, das Torso geblieben ist und immer noch einer Erschließung harrt, die sich von den historischen Verkürzungen des „Marxismus“ emanzipiert.
Die reale, nicht nur die ganze Breite der Produktionszweige erfassende, sondern auch in die Tiefe der einzelnen Arbeitsprozesse greifende „Verwissenschaftlichung“ der Produktion konnte sich erst in unserem, im 20. Jahrhundert, voll entfalten; und wie immer in der bisherigen Geschichte wurde auch hier der Krieg zum Vater aller Dinge: die beiden imperialistischen Weltkriege waren es, die nicht nur wesentliche neue Erfindungen und technologische Innovationen brachten, sondern auch den entscheidenden Durchbruch in der staatlich-gesellschaftlichen Organisierung des Wissenschaftsprozesses und dessen unmittelbarer Verbindung mit der materiellen Produktion. Und die Elektronik als direktes Kind der militarisierten Forschung ist es, auf deren Basis nach dem 2. Weltkrieg nicht nur neue Industrien aus dem Boden gestampft wurden, sondern erstmals die angewandte Naturwissenschaft nicht mehr bloß technologische Grundlage und allgemeine Voraussetzung industrieller Arbeitsprozesse wurde, sondern das übergreifende Moment des unmittelbaren Arbeitsprozesses selbst. Die Tragweite dieser Veränderung wird von Beobachtern aus allen ideologischen Lagern gespürt, wenn sie übereinstimmend von einer neuen „technologischen Revolution“ sprechen.
Die zweite Form der Verwissenschaftlichung der Produktion, die „Arbeitswissenschaft“ als Wissenschaft von der Organisation der Produktionsprozesse, ist noch viel jüngeren Datums als die produktive Anwendung der Naturwissenschaft und überhaupt erst im 20. Jahrhundert entstanden; sie wird für immer mit dem Namen Taylor verbunden bleiben. Zwar fällt die Notwendigkeit der planmäßigen Organisierung des Produktionsprozesses mit der Kooperation selbst zusammen und datiert daher schon seit den Anfängen der Manufaktur; aber diese Organisierung blieb eine unmittelbare, naturwüchsige und vor allem den konkreten Arbeitsprozessen selbst äußerliche, auch noch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch.
Das Industriesystem machte zunächst den Arbeiter nicht nur zum Anhängsel der Maschine, sondern lediglich Teile der Arbeiterklasse (in den Anfängen vor allem Frauen und Kinder), während gleichzeitig auf der Basis der Maschinerie neue qualifizierte Arbeitstätigkeiten entstanden, die dem alten Handwerkertum sehr ähnlich sahen, teilweise sogar aus ihm hervorgingen, teilweise aber auch als Schöpfungen des Maschinensystems selber angesehen werden müssen (Facharbeiter). Diese Facharbeiter besaßen unersetzliches Wissen über den unmittelbaren Produktionsprozeß, durch Praxis erworbene Fähigkeiten und Handfertigkeiten, die ihnen einen gewissen eigenen Handlungsspielraum dem Kapital gegenüber ließen. Aber auch die unqualifizierten Arbeiter besaßen einen gewissen, wenn auch kleineren Spielraum, indem sie sozusagen die „Lücken“ im Maschinensystem auszunutzen lernten, um sich winzige Freiräume, Pausen etc. zu verschaffen, das durchschnittliche Arbeitstempo so niedrig wie möglich zu halten usw. Die Versuche des Kapitals, diese verschiedenen Handlungsspielräume und - von seinem Standpunkt aus - diese „Vergeudung“ wertvoller Zeit unter Kontrolle zu bekommen, sind so alt wie die kapitalistische Produktionsweise selber, sie sind personifiziert in jenen „Offizieren und Unteroffizieren“ des Produktionsprozesses, die mit der Kooperation notwendig als besondere Gestalten erscheinen. Aber diese Kontrolle mußte eine äußerliche, willkürliche und subjektive bleiben, solange sie nicht eine objektivierte, operationalisierbare, kurz: „verwissenschaftlichte“ Form annahm.
Erst die weiterentwickelte Stufe der kapitalistischen Konzentration zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die damit verbundene stoffliche Großproduktion, die selbst die umfassendsten Formen der Kooperation des 19. Jahrhunderts hinter sich ließ (nicht zuletzt in der hochorganisierten und teilweise schon staatlich gelenkten Kriegsproduktion des 1. Weltkriegs), schuf die allgemeine Vorbedingung für die „Arbeitswissenschaft“. Taylor selber, bezeichnenderweise als Aufsteiger aus der qualifizierten Arbeiterklasse hervorgegangen (er war ursprünglich Dreher), verband in seiner Person eine Mischung aus geradezu glühender ideologischer Apologetik des Kapitalismus mit der innovativen Phantasie des tüftelnden Grüblers und einer buchhalterischen Pedanterie, die ihn befähigte, die Organisation des Arbeitsprozessesselbst auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen.
Das elementare Prinzip der Arbeitswissenschaft besteht darin, die in der individuellen Persönlichkeit und Leiblichkeit des Arbeiters enthaltene Kontrolle über den jeweiligen unmittelbaren Arbeitsprozeß zu „entindividualisieren“, zu systematisieren und als Kontrolle außerhalb des individuellen Arbeiters zu institutionalisieren. Was Taylor schuf, kann man insofern als die „zweite Ebene“ der Kooperation bezeichnen: wurde auf der „ersten Ebene“ der Kooperation die individuelle Gesamtarbeit eines Produktionszweiges in individuelle Teilarbeiten aufgespalten, deren Kommando außerhalb des Teilarbeiters beim Repräsentanten des Geldkapitals liegt, so wird nun die Teilarbeit selber wiederum in einzelne standardisierte Arbeitsabläufe aufgespalten, deren Kontrolle ebenfalls außerhalb des individuellen Teilarbeiters liegt.
Im industriellen Arbeitsprozeß, wie Taylor ihn vorfand, mußte sich diese neue Ebene der Kooperation, wie schon die erste, direkt gegen den Arbeiter richten. Für die unqualifizierten Arbeiter war die Wirkung eine verheerende, denn ihnen wurde nun der letzte kleine Spielraum entzogen; das Fließband, technologisch keineswegs eine spezifische Innovation angewandter Naturwissenschaft, sondern simple Mechanik, aber organisatorisch ein entscheidender Schritt im industriellen Produktionsprozeß, wurde zum Symbol der neuen, „wissenschaftlichen“ Arbeitsqual, unübertroffen dargestellt in Charly Chaplins „Modern Times“. Allerdings war das Fließband, prototypisch entwickelt in der avantgardistischen Automobilindustrie, keineswegs leicht übertragbar auf alle beliebigen Industriezweige. Erst recht mußten die Prinzipien der neuen Arbeitswissenschaft scheitern an einem Großteil der Facharbeiter-Tätigkeiten, deren handwerkliche Präzision nicht umstandslos aufzulösen war in standardisierte und äußerlich kontrollierte Arbeitsabläufe. So blieb das Zeitalter des Taylorismus oder „Fordismus“ (benannt nach dem Urbild der Fließband-Produktion) eine Epoche des permanenten Kampfes zwischen „Arbeitswissenschaft“ und Arbeiterklasse, symbolisiert in der verhaßten Stoppuhr des Refa-Mannes, der die einzelnen Arbeitsabläufe inhaltlich und zeitlich optimal standardisieren sollte, bis hin zu absurden Konsequenzen (z.B. Standardisierung des Bewegungsablaufs beim Ablegen einer Akte usw.).
Betrachten wir nun die Verwissenschaftlichung der Produktion unter dem Aspekt des „Zusammenfließens“ von angewandter Naturwissenschaft und Arbeitswissenschaft, ein Prozeß, der erst nach dem 2. Weltkrieg begonnen hat und erst heute, unter unseren Augen, in ein entscheidendes Stadium tritt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren technologisch angewandte Naturwissenschaft und Arbeitswissenschaft noch relativ getrennte Disziplinen; erst mit der Elektronik und den daraus hervorgehenden automatischen Steuerungsprozessen der Produktion verschmelzen sie zu einer Einheit. Das Charakteristikum dieser Entwicklung ist aber gerade die Minimierung und tendenziell die Eliminierung lebendiger menschlicher Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß. Die Lücken zwischen wissenschaftlicher Arbeitsorganisation und Technologie werden gerade dadurch geschlossen, daß die lebendige Arbeit selbst herausgenommen wird, egal welchen Platz sie vorher in der unmittelbaren Produktion eingenommen hat.
Daraus ergeben sich allerdings weitreichende Konsequenzen. Vom Standpunkt des Geld- und Lohnfetischs aus war Taylor ein kapitalistisches Monstrum, weil er die letzten Reste von Autonomie im industriellen Produktionsprozeß aus dem Arbeiter hinausverlagern und zentralisieren wollte; vom Standpunkt des Geld- und Lohnfetischs aus muß die Verschmelzung von naturwissenschaftlicher Technologie und Arbeitswissenschaft noch eine weitaus abscheulichere kapitalistische Monstrosität vorstellen, weil sie die menschliche Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß überhaupt eliminiert. Aber gerade dadurch wird die Genialität von Taylor innerhalb seiner kapitalistischen Beschränktheit deutlich: seine „Arbeitswissenschaft“ schuf die Vorbedingung für die Automatisierung, sobald die angewandte Naturwissenschaft reif dafür geworden war, und damit die Ausgangssituation für die Aufhebung der Warenproduktion selbst. Denn die Vereinigung von technologisch angewandter Naturwissenschaft und Arbeitswissenschaft impliziert die tendenzielle Aufhebung der sich in einem bestimmten Produkt vergegenständlichenden gesellschaftlichen Teilarbeit und die tendenzielle Verallgemeinerung der unmittelbar gesellschaftlichen Arbeit.
Die revolutionäre, das Lohnsystem selber angreifende Arbeiterklasse müßte Taylor ein Denkmal setzen, denn er hat, wenn auch unbewußt, beschränkten und sogar schäbigen, geradezu niederträchtigen Zwecken kapitalistischer Auspressung der lebendigen Arbeit folgend, den Weg gebahnt für die endgültige Aufhebung jener unmittelbar produktiven Arbeit, die gerade dieser direkten, sich in einem bestimmten Produkt vergegenständlichenden Produktivität wegen keine unmittelbar gesellschaftliche Arbeit sein kann und deswegen der Tauschwert-Vergesellschaftung verhaftet bleibt. Im Kapitalismus kann diese Tendenz, deren objektive Reife erst heute unter unseren Augen erreicht wird, nicht zu Ende geführt werden, da er ja auf der Verwertung des Werts und somit auf der Ausbeutung jener unmittelbaren lebendigen Produktionsarbeit beruht, die er gleichzeitig seiner eigenen historischen Logik nach tendenziell abschafft.
Wenn Marx gelegentlich von „Abschaffung der Arbeit“ spricht und doch die Arbeit als „ewige Naturbedingung“ des menschlichen Stoffwechselprozesses mit der Natur bezeichnet, dann läßt sich dieser scheinbare Widerspruch jetzt leicht erklären: was abgeschafft wird, ist die unmittelbare Produktionsarbeit und damit der Tendenz nach die alte Arbeitsqual; was nicht abgeschafft wird und nie ganz abgeschafft werden kann, ist die mittelbare, indirekte Produktionsarbeit „neben“ dem unmittelbaren Produktionsprozeß, „vor“ und „über“ ihm, die sich großenteils als zunehmend unmittelbar gesellschaftliche oder vergesellschaftete Arbeit darstellt und daher aus dem Rahmen des Tauschwerts objektiv herausfällt - eine historische Tendenz, die im Kapitalismus nur als fundamentale und katastrophale Krise erscheinen kann.
Die Logik dieser stets sich weiter in den Gesellschaftskörper hineinarbeitenden Tendenz ist der „marxistischen“ Linken deswegen entgangen, weil sie ihr Verständnis des Kapitalverhältnisses auf starre definitorische Bestimmungen beschränkt hat, mit denen scheinbar alle Bewegungen innerhalb des Kapitals einschließlich des „technischen Fortschritts“ erklärt werden konnten. Aber es zeigt sich, daß die Starrheit dieser Definitionen bloß Ausdruck einer jetzt zu Ende gehenden Epoche der historischen Entwicklung des Kapitals selber war. Im Zusammenfließen von angewandter Naturwissenschaft und Arbeitswissenschaft zur tendenziellen Automatisierung der unmittelbaren Produktion wird erst heute der Widerspruch des Kapitals als eines sich selbst zur Schranke werdenden Verhältnisses auf die Spitze getrieben. Demzufolge stehen wir erst heute am Beginn einer vermutlich bis ins 21. Jahrhundert hineinreichenden neuen Epoche, in der sich erst wirklich der Kern der kapitalistischen Entwicklungs- und Krisenlogik herausschält.
Die Eliminierung der lebendigen Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß kann aufgrund ihrer fortgeschrittenen Reife heute als solche erkannt werden und es ist möglich geworden, aus dieser Erkenntnis grundsätzlichere und weiterreichende Schlußfolgerungen als die bisherige marxistische Theorie zu ziehen. Objektiv durchsetzen wird sich diese Tendenz im Weltmaßstab freilich nicht als punktueller Akt, sondern als eine längere historische Periode, in der die Akkumulation des Kapitals an sich selbst zugrunde geht und ausbrennt. Noch steckt der technologische Verschmelzungsprozeß von Arbeits- und Naturwissenschaft in den Kinderschuhen, auch wenn die Mikroelektronik bereits die entscheidenden Voraussetzungen geliefert hat. Noch sperren sich die stofflichen Produktionsstrukturen in einer ganzen Reihe von Branchen gegen eine allzu rasche und leichte Durchautomatisierung, auch wenn z.B. in der Automobilindustrie, die sich von ihrer Fließband-Struktur her am besten dafür eignet, bereits mit Händen zu greifen ist, wie die Industrieroboter die noch von Menschen ausgefüllten Lücken im Maschinensystem der unmittelbaren Produktion zu schließen beginnen. Noch befinden sich die imperialistischen Industrienationen im globalen Austausch mit den arbeitsintensiv produzierenden Ländern der Dritten Welt, aus dem sie abstrakten Reichtum des Tauschwerts auf sich ziehen, jene gespenstische Vergegenständlichung von menschlicher Arbeit „an sich“ im unmittelbaren Produktionsprozeß. Aber es kann keinen Zweifel geben, daß die Epoche begonnen hat, in der das Geld objektiv untergehen muß, weil die stoffliche Produktivität des Arbeitsprozesses selber auf direkter Vergesellschaftung beruht und damit den Tauschwert zerstört.
Es gehört zur Ironie der Geschichte, daß die „marxistische“ und sonstige Linke sich ausgerechnet zu Beginn dieser historischen Epoche am weitesten von der konkreten Marxschen Kritik des Wertes oder der „Wertgegenständlichkeit“ entfernt hat, daß sie ausgerechnet heute den letzten Rest von Erinnerung an die Objektivität des kapitalistischen Widerspruchs zu verlieren beginnt und sogar die neue technologische Revolution als überwältigende „Machtsteigerung“ und womöglich endgültige Konsolidierung des Kapitals begreift statt als den Beginn seiner objektiven Sprengung. Eine wesentliche theoretische Grundlage dieses grotesken Mißverständnisses ist das Unvermögen, im Begriff der „produktiven Arbeit“ die Differenz von stofflicher und wertmäßiger Produktivität, von unmittelbarer Produktionsarbeit und direkt gesellschaftlicher Arbeit festzuhalten. Wenn die Marx'sche Aussage von der „Wissenschaft als unmittelbarer Produktivkraft“ in dem Sinne mißverstanden wird, daß damit die Wissenschaft selber „wertschöpfend“ sei, ein Mißverständnis, das nur auf einer intellektuellen Befangenheit im Wert-Fetisch beruhen kann, dann muß freilich jede neue Stufe in der „Verwissenschaftlichung der Produktion“ als ein Moment der Verewigung und Konsolidierung des Prozesses der Wertabstraktion erscheinen.
Während der „traditionelle“ Marxismus sich nicht einmal an die Problemstellung herangearbeitet hatte, wurde auf diese Weise die Frage der „Verwissenschaftlichung“ von der „Neuen Linken“ gerade verkehrt herum aufgerollt. So behauptet der in den Anfängen der 68-er Bewegung viel gelesene Mauke: „Die Verlagerung von unmittelbaren zu vermittelnden Tätigkeiten bewirkt, daß technische und wissenschaftliche Arbeit direkt 'Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient', also im kapitalistischen Sinn produktive Arbeit wird“(1).
Noch klarer drückt dieses Mißverständnis Habermas aus, wenn er schreibt: „Mit der Industrieforschung großen Stils wurden Wissenschaft, Technik und Verwertung zu einem System zusammengeschlossen ... So werden Technik und Wissenschaft zur ersten Produktivkraft, womit die Anwendungsbedingungen für Marxens Arbeitswerttheorie entfallen(!). Es ist nicht länger sinnvoll, die Kapitalbeträge für Investitionen in Forschung und Entwicklung auf der Grundlage des Wertes der unqualifizierten (einfachen) Arbeitskraft zu berechnen, wenn der wissenschaftlich-technische Fortschritt zu einer unabhängigen Mehrwertquelle geworden ist(!), gegenüber der die von Marx allein in Betracht gezogene Quelle des Mehrwerts: die Arbeitskraft der unmittelbaren Produzenten, immer weniger ins Gewicht fällt“(2).
Solchen Aussagen steht ins Gesicht geschrieben, daß ihnen der Wert zum Fetischbegriff geronnen ist; aber gerade darüber hat die Linke mit Habermas keine grundsätzliche Auseinandersetzung geführt. Dieser Sachverhalt beweist nur, daß die „Neue Linke“ insgesamt die Fetischisierung des Werts mit Habermas teilt und in ihrer Theoriebildung und politischen Zielsetzung nie darüber hinausgekommen ist, daß also ihre Kritik an der „traditionellen“ Arbeiterbewegung die entscheidende Frage gar nicht berührt hat. Deutlich wird dies spätestens dann, wenn man sieht, daß die einzige Kritik an dem „Produktivkraft Wissenschaft“-Theorem von einigen K-Gruppen kam, deren Begrifflichkeit völlig zurückgefallen war in den versteinerten Proletkult der 3. Internationale; für die wenigen einschlägigen Äußerungen aus dieser Ecke stellt sich das Problem nicht weniger verkehrt dar als bei Mauke und Habermas, bloß andersherum betrachtet: ihr Festhalten daran, daß die „Produktivkraft Wissenschaft“ keinen Wert schafft (was freilich gar nicht theoretisch abgeleitet wird, sondern bloß dogmatische Glaubensbehauptung bleibt), erscheint dann als unmittelbar identisch mit der Feststellung, daß die Wissenschaft folglich auch in stofflicher Hinsicht keine „unmittelbare Produktivkraft“ sein könne, sondern allenfalls eine dem Produktionsprozeß äußerliche Angelegenheit.
Sowohl in dieser als auch in der scheinbar entgegengesetzten Auffassung von Mauke, Habermas und anderen wird begriffslos und ohne jede analytische Differenzierung an jener historischen Identität von stofflicher und wertmäßiger Produktivität festgehalten, die der Kapitalismus gerade in seiner säkularen Bewegung real aufhebt und damit sich selbst ad absurdum führt. Nur die Konsequenzen sind ebenso entgegengesetzt wie die Bewertung. Für Habermas zumindest und den ganzen intellektuellen Dunstkreis der Frankfurter Schule bzw. die linksakademischen Sozialisten kam - teils früher, teils später - ein Obsoletwerden des „revolutionären Subjekts“ Arbeiterklasse heraus statt ein Obsoletwerden des Tauschwerts, damit aber auch ein seichter Reformismus auf dem Boden der vermeintlich mittels „Produktivkraft Wissenschaft“ verewigten Verwertung des Werts. Bei den K-Gruppen umgekehrt kam noch einmal in burlesker intellektueller Verkleidung der stalinistische Proletkult heraus, das Klammern an den naiven „Arbeitsstolz“ des unmittelbaren Produzenten, der sich dessen rühmt, daß er „alle Werte schafft“, statt handgreiflich den Wert abzuschaffen.
5. Relativer Mehrwert und Entwicklungslogik des Kapitals
Es wäre nun darzustellen, wie das Auseinanderfallen von stofflicher und wertmäßiger Produktivität im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß des Kapitals sukzessive erscheint und die historische Entwicklungslogik der kapitalistischen Produktionsweise konstituiert. Der Schlüsselbegriff für das Begreifen dieser Logik ist bekanntlich der des relativen Mehrwerts. Dieser Begriff des relativen Mehrwerts ist eine analytische Kategorie von Marx, gleichzeitig eine Realkategorie der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion des Kapitals, nicht aber eine Oberflächenkategorie, die auch im Bewußtsein der Repräsentanten des Geldkapitals erscheinen würde.
Eine absolute physische Schranke (sowohl hinsichtlich der Länge der Arbeitszeit als auch hinsichtlich der Intensität der Arbeit) und eine relative gesellschaftliche Schranke des Arbeitstages (durch die Arbeiterbewegung bzw. durch staatliche Eingriffe erzwungene Beschränkungen) einmal vorausgesetzt, verwandelt sich die Verwertung des Werts aus einer absoluten und extensiven in eine relative und intensive Bewegung. Grundlage der Verwertung ist und bleibt der Mehrwert als solcher, d.h. die Tatsache, daß der kapitalistische „Ertrag“, scheinbar der wertmäßige „output“ des gesamten Aggregats von toter und lebendiger Arbeit, nichts anderes ist als derjenige Teil des Neuwerts, den die lebendige Arbeit über ihre eigenen Reproduktionskosten hinaus geschaffen hat. Kann der kapitalistische Anteil an diesem Neuwert aber nicht mehr extensiv durch absolute Verlängerung des Arbeitstages vergrößert werden, so wird sein Wachstum abhängig von der intensiven und relativen Vergrößerung der Mehrarbeit, vermittelt durch Produktivkraftentwicklung, d.h. fortschreitende Verwissenschaftlichung des Produktionsprozesses. Was sich beim einzelnen Kapital darstellt als Differenz zwischen dem individuellen Wert und dem gesellschaftlichen Wertniveau, stellt sich bei Verallgemeinerung der neuen Produktivkraft gesamtgesellschaftlich dar als Verminderung der Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft. Die Produktion des relativen Mehrwerts wird so notwendig zum Hauptmittel kapitalistischer Akkumulation. Damit aber sind in der konkurrenzvermittelten Gesamtbewegung des Kapitals drei logisch-historische Konsequenzen gesetzt, deren dritte nicht nur in der bürgerlichen, sondern auch in der marxistischen Theorie kaum behandelt wird.
Die erste Konsequenz besteht darin, daß der vermehrte kapitalistische Anteil am geschaffenen Neuwert eine Eskalation des Ausstoßes an stofflicher Produktenmenge bewirkt, was wiederum zur Erweiterung der Märkte und Beschleunigung der Akkumulation zwingt. Das Kapital „jagt über den Erdball“. Diese Bewegungsgesetzlichkeit, wie sie das Einzelkapital treibt, wird auf der höheren Ebene der staatlichen Organisationsformen nationaler „Gesamtkapitale“ bzw. gesamtkapitalistischer Blocks multipliziert und „politisiert“. Die Konkurrenz um die höhere Produktivkraft und um die Märkte findet auf allen Ebenen statt, auf der Ebene der Einzelkapitale ebenso wie auf der Ebene kapitalistischer Staaten und Bündnisblocks.
Dieser Prozeß konzentriert und zentralisiert das Kapital innerhalb der einzelnen Staaten; gleichzeitig wird der Weltmarkt als ökonomischer Kriegsschauplatz des Kampfes um Märkte für Waren und Kapital, des Kampfes um Rohstoffquellen, „Einflußsphären“ usw. in eine globale politische Arena verwandelt. Die kapitalistische Weltökonomie gebiert die Weltpolitik, die politisch-militärische Macht wird zur Bedingung der ökonomischen Konkurrenzfähigkeit und schlägt auf die ökonomische Basis zurück. Der „heiße“ Krieg, die nackte Gewalt, tendenziell und in diesem Jahrhundert zweimal real der Weltkrieg mit Abermillionen von Opfern wird zur ultima ratio der Konkurrenz. Ganz offensichtlich ist in diesem als Imperialismus bekannten kapitalistischen Weltsystem der Krieg keineswegs die direkte Folge der „ökonomischen Krise“, weder der „Überproduktionskrise“ noch einer anderen, sondern liegt in der Logik der Weltmarkt-Konkurrenz der Kapitalien und der Eigendynamik der darauf aufbauenden Weltpolitik selbst begründet. Die wesentlichsten Revolutionen dieses Jahrhunderts gingen nicht aus ökonomischen Krisen und insofern auch nicht aus einem Ausbrennen der kapitalistischen Logik als solcher hervor, sondern aus politischen Krisen im Zusammenhang mit militärischen Konflikten und Niederlagen der herrschenden Klassen: angefangen bereits mit der Pariser Kommune 1870, dann der Oktoberrevolution, der deutschen Novemberrevolution, der chinesischen Revolution nach dem 2. Weltkrieg (das Spezifikum der antikolonialen Revolutionen, etwa in Algerien oder Südostasien, wäre gesondert zu behandeln).
Wenn auch die kapitalistische Weltökonomie umschlägt in das Phänomen der Weltpolitik, das Eigendynamik gewinnt und Eigengesetzlichkeiten hervortreibt, so bleibt in letzter Instanz die zugrundeliegende ökonomische Akkumulationsbewegung des relativen Mehrwerts bestimmend. Die imperialistische Gewalt, die ultima ratio der militärischen Intervention, beseitigt nicht im geringsten die ökonomische Ausgangslage der Konkurrenz, noch kann sie die daraus entstehenden Konflikte lösen. Die Konkurrenz muß sich, wenn auch in immer neuen Formen, auf allen Ebenen reproduzieren. Der Kampf um die Produktivkraftentwicklung und um die Märkte wird nie durch bloße Gewalt determiniert oder gar endgültig entschieden, wie der fulminante ökonomische Aufstieg der BRD und Japans in der Prosperitätsphase nach dem 2. Weltkrieg zeigt, trotz militärischer Niederlage und lang anhaltender politisch-militärischer Schwäche. Sowohl in der eigendynamischen Logik der politisch-militärischen Konkurrenz ist der Zwang zur Produktivkraftentwicklung enthalten, wie der „Sputnik-Schock“ 1957 und der darauffolgende technologische Schub im Westen zeigen, als auch in der weiterwirkenden rein ökonomischen Konkurrenz, wie sie heute in der BRD und Westeuropa das Signal gibt für das technologische Wettrennen mit Japan und den USA um die Spitzenpositionen in der Mikroelektronik, der Gentechnologie etc.
Die zweite Konsequenz der Akkumulation vermittels der Erhöhung des relativen Mehrwerts besteht in der fortschreitenden Wertminderung jedes einzelnen Produkts, d.h. die Produkte „verwohlfeilern“ sich in diesem unaufhörlichen Prozeß der konkurrenzvermittelten Produktivkraftentwicklung. Diese Tendenz zur „Verwohlfeilerung“ der Produkte läßt immer mehr frühere Luxusgegenstände in den Massenkonsum eingehen, schafft und entwickelt neue, höhere Bedürfnisse, was Marx mit Recht zur „zivilisatorischen Mission des Kapitals“ rechnet. Entgegen manchen theoretischen Behauptungen setzt sich diese Tendenz auch im Imperialismus, „Monopolkapitalismus“ oder „Spätkapitalismus“ dem Wesen nach fort, d.h. auch das Monopol oder Staatsmonopol kann letztlich das Wertgesetz nicht prinzipiell außer Kraft setzen. Auch noch im 20. Jahrhundert sind eine ganze Reihe früherer Luxusprodukte durch Produktivkraftentwicklung und daraus folgende „Verwohlfeilerung“ in den Massenkonsum eingegangen, z.B. Kraftfahrzeuge, elektrische Haushaltsmaschinen etc. erst in der Mitte dieses Jahrhunderts, Elektronenrechner usw. erst in allerjüngster Zeit.
Daß das Kraftfahrzeug in der Form des Automobils und chaotischen Individualverkehrs den Massen zugänglich wurde, mit allen verheerenden Folgen, ist eher der kapitalistischen Bestimmtheit dieses Prozesses geschuldet, denn die öffentlichen, d.h. gemeinschaftlichen Verkehrsmittel wurden keineswegs in derselben Weise entwickelt; aber dennoch steckt prinzipiell ein „zivilisatorisches“ Moment in der Verallgemeinerung des Kraftfahrzeugs: es schafft eine neue Mobilität, ein neues Massenbedürfnis nach Reisen, trägt auf diese Weise zur sprunghaften Erweiterung des Gesichtskreises und zur Herstellung einer „internationalisierten“ Gesellschaft bei usw., auch wenn dieser Prozeß gleichzeitig teilweise groteske Friktionen erzeugt. Richtet sich die Kritik nicht gegen die kapitalistische Formbestimmtheit der Verallgemeinerung des Kraftfahrzeugs, sondern gegen diese selbst, dann schimmert dahinter leicht der konservativ-kulturpessimistische Standpunkt des „Herrenreiters“ durch, der bloß den Privilegien der „Auserwählten“ nachtrauert.
Die dritte Konsequenz aber, und diese ist in der Theorie weitgehend verschüttet, besteht darin, daß das Kapital sich selbst in der Produktion des relativen Mehrwerts zur absoluten logischen und historischen Schranke wird. Das Kapital interessiert nicht und kann nicht interessieren die absolute Wertschöpfung, es ist einzig und allein fixiert auf den Mehrwert in seinen an der Oberfläche erscheinenden Formen, d.h. auf das relative Verhältnis innerhalb des geschaffenen Neuwerts zwischen dem Wert der Arbeitskraft (ihren Reproduktionskosten) und dem kapitalistisch angeeigneten Teil des Neuwerts. Sobald das Kapital die Wertschöpfung nicht mehr absolut ausdehnen kann durch Verlängerung des Arbeitstages, sondern nur noch seinen relativen Anteil innerhalb des geschöpften Neuwerts mittels Produktivkraftentwicklung zu steigern vermag, findet in der Produktion des relativen Mehrwerts eine gegenläufige Bewegung statt, die sich historisch selbst verzehren und auf den totalen Stillstand der Wertschöpfung selbst hinarbeiten und hinauslaufen muß. Mit der Produktivkraftentwicklung steigert das Kapital den Grad der Ausbeutung, aber es unterminiert damit Grundlage und Gegenstand der Ausbeutung, die Produktion des Werts als solchen. Denn die Produktion des relativen Mehrwerts als Verwissenschaftlichung des stofflichen Produktionsprozesses schließt die Tendenz zur Eliminierung lebendiger unmittelbarer Produktionsarbeit als einziger Quelle der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung ein. Dieselbe Bewegung, die den relativen Anteil des Kapitals am Neuwert vermehrt, vermindert durch Eliminierung direkter lebendiger Produktionsarbeit die absolute Basis der Wertproduktion. Das Kapital schafft so ebenso notwendig wie bewußtlos die unmittelbar gesellschaftliche, aus dem Wertverhältnis hinaustretende Arbeit, deren stoffliche Produktivkraft die gesellschaftliche Gesamtarbeitszeit vermindert, aber nur zu dem einzigen Zweck, die Ausbeutungsrate der unmittelbaren Produzenten zu erhöhen. Es entwickelt die gesellschaftliche Produktivkraft für nicht-gesellschaftliche Zwecke und Interessen und verstrickt sich so in einen auf seinen eigenen Grundlagen unlösbaren Widerspruch, dessen finale Logik Marx folgendermaßen skizziert:
„Eine Entwicklung der Produktivkräfte, welche die absolute Anzahl der Arbeiter verminderte, d.h., in der Tat die ganze Nation befähigte, in einem geringern Zeitteil ihre Gesamtproduktion zu vollziehn, würde Revolution herbeiführen, weil sie die Mehrzahl der Bevölkerung außer Kurs setzen würde. Hierin erscheint wieder die spezifische Schranke der kapitalistischen Produktion, und daß sie keineswegs eine absolute Form für die Entwicklung der Produktivkräfte und Erzeugung des Reichtums ist, vielmehr mit dieser auf einem gewissen Punkt in Kollision tritt. Partiell erscheint diese Kollision in periodischen Krisen, die aus der Überflüssigmachung bald dieses, bald jenes Teils der Arbeiterbevölkerung in ihrer alten Beschäftigungsweise hervorgehn. Ihre Schranke ist die überschüssige Zeit der Arbeiter. Die absolute Überschußzeit, die die Gesellschaft gewinnt, geht sie nichts an. Die Entwicklung der Produktivkraft ist ihr nur wichtig, sofern sie die Mehrarbeitszeit der Arbeiterklasse vermehrt, nicht die Arbeitszeit für die materielle Produktion überhaupt vermindert; sie bewegt sich so im Gegensatze“(3).
Es ergeben sich nun aus der hier skizzierten kapitalistischen Entwicklungslogik der Akkumulation durch relative Mehrwertproduktion zwangsläufig drei Fragen.
Erstens: Warum hat der Kapitalismus trotz seiner absoluten immanenten Schranke bis heute überlebt?
Zweitens: Warum ist das Kapital einschließlich seiner theoretischen Repräsentanten blind für diese seine eigene Schranke, für die Tendenz zur Verminderung der absoluten gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung?
Drittens: Warum hat die marxistische Theorie selber diese Thematik fallengelassen und nicht mehr über Marx hinaus weiter konkretisiert und zugespitzt? Diese Fragen sollen nun kurz beantwortet werden.6. Die historische Expansion des Kapitals
Die Produktion des relativen Mehrwerts bezieht sich auf das Verhältnis von kapitalistischem Anteil am Neuwert und Reproduktionskosten der Arbeitskraft bei jedem einzelnen Arbeiter, nicht jedoch auf die absolute Menge der angewendeten Lohnarbeiter und damit auch nicht auf die absolute Masse des Mehrwerts, die mit der Verminderung der absoluten Wertschöpfung notwendig ebenfalls vermindert wird. Es entsteht dadurch die Situation, „daß dieselben Gründe, welche erlauben, den Exploitationsgrad der Arbeit zu erhöhen, es verbieten, mit demselben Gesamtkapital ebensoviel Arbeit wie früher zu exploitieren. Dies sind die widerstreitenden Tendenzen, die, während sie auf eine Steigerung in der Rate des Mehrwerts, gleichzeitig auf einen Fall der von einem gegebnen Kapital erzeugten Masse des Mehrwerts und daher der Rate des Profits hinwirken“(4).
Es ergibt sich daraus für das Kapital die zwingende Notwendigkeit, daß es als Kapital wachsen muß, d.h. die Verminderung der absoluten Mehrwertmasse durch Erhöhung der relativen Mehrwertrate muß dadurch kompensiert werden, daß das Kapital sich nicht auf gleichbleibender, sondern auf erweiterter Stufenleiter reproduziert, wodurch sich erst die Notwendigkeit einer schrankenlosen Akkumulation („Wachstum“) ergibt. Die Entwicklung wird ständig potenziert: während das Kapital lebendige unmittelbare Produktionsarbeit eliminiert auf ein gegebenes Produktionsniveau bezogen, muß es gleichzeitig mehr neue lebendige unmittelbare Produktionsarbeit absorbieren auf ein erweitertes Produktionsniveau bezogen. Dazu benötigt das Kapital allerdings einen gesellschaftlichen „Raum“, ein von ihm noch nicht erfaßtes Terrain, in das es historisch hineinwachsen kann. Stößt dieser Ausdehnungsprozeß auf Hindernisse, kann das Kapital auch nur vorübergehend nicht mehr neue lebendige Produktionsarbeit absorbieren, als es durch technologische Entwicklung eliminiert hat, dann führt diese „Überflüssigmachung bald dieses, bald jenes Teils der Arbeiterbevölkerung in ihrer alten Beschäftigungsweise“ auch zu „periodischen Krisen“. Denn in diesem Falle führt die stofflich-technologisch vermittelte „Steigerung in der Rate des Mehrwerts“ tatsächlich zum Fall der „erzeugten Masse des Mehrwerts und daher der Rate des Profits“, d.h. die Produktion „lohnt sich“ als kapitalistische nicht mehr und kommt tendenziell zum Stillstand, solange sie sich in kapitalistischen Händen befindet. Der „tendenzielle Fall der Profitrate“ wäre also selber nur als Formbestimmung der Krise zu begreifen, deren letzter Inhalt in der stofflichen Produktivkraftentwicklung und deren absolutem Gegensatz zur Wertgestalt der Produktion überhaupt begründet ist. Die Krise ist dann nur eine partielle, periodische und also vorübergehende, wenn es dem Kapital gelingt, das Hindernis seiner Ausdehnung zu überwinden und wieder mehr lebendige Produktionsarbeit zu absorbieren, als es vorher eliminiert hat. Dann wird auch der Fall der Profitrate wieder aufgehoben und zum Stillstand gebracht. Der „tendenzielle“ Charakter dieses Falls ist also nicht als kontinuierlicher Prozeß zu begreifen, sondern als historische Diskontinuität; dieser Fall ist prinzipiell in der Produktivkraftentwicklung des stofflichen Arbeitsprozesses angelegt, kann jedoch immer wieder aufgehoben werden, solange das Kapital wieder in der Lage ist, einen neuen Akkumulationszyklus durch erneute Erweiterung der absoluten Masse angewendeter lebendiger Produktionsarbeit zu beginnen.
Der Begriff dieser erweiterten Reproduktion, Akkumulation oder Ausdehnung des Kapitals bleibt allerdings hohl und unklar, wenn dieser Ausdehnungsprozeß nur in seiner Wertförmigkeit betrachtet und auf die reine Wertgestalt der Produktion bezogen wird, nicht aber systematisch auf den stofflichen Inhalt dieser Ausdehnung. Dann, und nur dann, kann dieser Akkumulationsprozeß auch nicht mehr als endlicher schlüssig begriffen werden, denn der abstrakte Reichtum als Geld ist seinem Wesen nach grenzenlos und unaufhörlich, während der stoffliche Inhalt historisch absolut begrenzt ist. Es gibt aber keine Akkumulation ohne stofflichen Träger, so sehr dies auch das Ideal des Kapitals wäre. Die erweiterte Absorbtion lebendiger unmittelbarer Produktionsarbeit muß sich auf einen solchen stofflichen Inhalt und Träger beziehen, und dieser läßt sich auch historisch konkret in mehrfacher Hinsicht verfolgen.
Zum einen erscheint das Terrain der Ausdehnung des Kapitals in seiner schrittweisen Eroberung aller schon vor und unabhängig von ihm bestehenden Produktionszweige, d.h. in der Verwandlung von Subsistenz- und einfacher Warenproduktion in kapitalistische Produktion. Und wiederum, wie schon in der Frage der „Verwissenschaftlichung“ des Arbeitsprozesses für sich genommen, ist daran zu erinnern, wie jung dieser Prozeß tatsächlich historisch noch ist, welch lange Anläufe er benötigte, um sich langsam, von der Textilproduktion ausgehend, durch alle Produktionszweige hindurchzufressen. Verwissenschaftlichung der Produktion und Verwandlung zunächst nichtkapitalistischer Produktionszweige (Handwerk, Landwirtschaft) in kapitalistische bilden zusammen einen einzigen Gesamtprozeß: die Kapitalisierung nichtkapitalistischer Kleinproduktion zieht deren Verwissenschaftlichung nach sich, und je mehr Produktionszweige vom Kapital erfaßt werden, auf desto größerer Stufenleiter entwickelt sich auch das gesamtgesellschaftliche Aggregat der Verwissenschaftlichung. Wird dieser Prozeß starr definitorisch gefaßt, aus dem Mißverständnis heraus, daß die Marx'sche Abstraktionskraft nicht die historische Logik des Kapitals ideell antizipiert, sondern bloß eine starre strukturelle Reallogik des Kapitals widergespiegelt hätte (ein Mißverständnis, das nur durch eine Befangenheit im Wertfetisch möglich wird), dann verschiebt sich der Zeithorizont, der Prozeß wird nicht mehr als solcher mit objektivem Anfang und ebenso objektivem Ende begriffen, sondern nur noch als „Wiederkehr des Gleichen“ mit diesen oder jenen Modifikationen.
Tatsächlich ging auch in den fortgeschrittensten kapitalistischen Industrieländern der Prozeß der Kapitalisierung der Produktionszweige bis weit ins 20. Jahrhundert fort; in Deutschland erreichte er seinen Kulminationspunkt erst nach dem 2. Weltkrieg. Man kann den Grad der Lohnabhängigkeit innerhalb der Gesamtarbeitsbevölkerung als Indikator für diesen Prozeß nehmen (auch wenn die Lohnarbeit natürlich unproduktive Bereiche einschließt, in die sich der Kapitalismus ausgedehnt oder die er überhaupt erst neu geschaffen hat), und danach wird der Sättigungsgrad der Kapitalisierung in den imperialistischen Kernländern mit 70 bis 90 Prozent Lohnabhängigen erst etwa in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts erreicht.
Zum andern aber wurde im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung die Eliminierung menschlicher Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß durch die gegenläufige Absorbtion lebendiger Arbeit in neuen Produktionszweigen für neue Bedürfnisse stets aufs neue übertroffen. Auch hier sind in der Stufenleiter kapitalistischer Entwicklung verschiedene Phasen zu unterscheiden, auch hier brachten der 2. Weltkrieg und die darauffolgenden Jahrzehnte noch einmal einen neuen Akkumulationsschub des Kapitals hervor. Erst mittels der wissenschaftlich-technologischen Innovationen des Weltkriegs traten bestimmte Produkte, die vorher mehr oder weniger als Luxusgüter für eine schmale Schicht hergestellt wurden, in die Massenproduktion und in den Massenkonsum ein: Automobile, elektrische Haushaltsmaschinen, dann die Unterhaltungselektronik usw. Alle diese Produkte erlebten ihre technologische Reife und die Phase ihrer wirklichen Massenproduktion erst in den fünfziger und sechziger Jahren. Es wird hier eine Stufe der Verwissenschaftlichung sichtbar, in der die Produktivkraftentwicklung zwar einerseits in zahlreichen alten Produktionszweigen lebendige Arbeit eliminiert und damit „bald diesen bald jenen Teil der Arbeitsbevölkerung überflüssig macht in ihrer alten Beschäftigungsweise“, jedoch nur, um neue Produktionszweige zu schaffen oder bisher gering entwickelte reif zu machen für die „Verwohlfeilerung“ und Massenproduktion; dadurch werden erneut große Massen lebendiger Arbeit in die kapitalistische Produktion eingesaugt und die „überflüssig gemachte“ Arbeitsbevölkerung wieder auf einer erweiterten Stufenleiter der Wert- und Mehrwertproduktion einverleibt.
Beide wesentlichen Formen oder Momente des kapitalistischen Ausdehnungsprozesses beginnen heute aber auf absolute stoffliche Grenzen zu stoßen. Der Sättigungsgrad der Kapitalisierung wurde in den sechziger Jahren erreicht; diese Quelle der Absorbtion lebendiger Arbeit ist endgültig zum Stillstand gekommen. Gleichzeitig impliziert das Zusammenfließen von naturwissenschaftlicher Technologie und Arbeitswissenschaft in der Mikroelektronik eine grundsätzlich neue Stufe in der Umwälzung des stofflichen Arbeitsprozesses. Die „mikroelektronische Revolution“ eliminiert nicht nur in dieser oder jener spezifischen Produktionstechnik lebendige Arbeit in der unmittelbaren Produktion, sondern erstmals auf breiter Front und quer durch alle Produktionszweige hindurch, selbst die unproduktiven Bereiche erfassend. Dieser Prozeß hat gerade erst angefangen und wird erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre richtig greifen; vermutlich wird er noch bis zum Ende des Jahrhunderts und darüber hinaus andauern. Soweit in diesem Prozeß neue Produktionszweige geschaffen werden, etwa in der Produktion der Mikroelektronik selbst oder in der Gentechnologie, sind sie ihrem Wesen nach von vornherein wenig arbeitsintensiv in der unmittelbaren Produktion. Damit bricht die bisherige historische Kompensation für die im relativen Mehrwert angelegte absolute immanente Schranke der kapitalistischen Produktionsweise zusammen. Die massenhafte Eliminierung lebendiger Produktionsarbeit als Quelle der Wertschöpfung kann nicht mehr durch neu in die Massenproduktion tretende „verwohlfeilerte“ Produkte aufgefangen werden, weil diese Massenproduktion nicht mehr durch ein Wiedereinsaugen vorher und anderswo „überflüssig gemachter“ Arbeitsbevölkerung in die Produktion vermittelt ist. Damit kippt das Verhältnis von Eliminierung lebendiger Produktionsarbeit durch Verwissenschaftlichung einerseits und Absorbtion lebendiger Produktionsarbeit durch Kapitalisierungsprozesse bzw. Schaffung neuer Produktionszweige andererseits historisch unwiderruflich um: von nun an wird unerbittlich mehr Arbeit eliminiert als absorbiert werden kann. Auch alle noch zu erwartenden technologischen Innovationen werden immer nur in die Richtung weiterer Eliminierung lebendiger Arbeit gehen, alle noch zu erwartenden neuen Produktionszweige werden von vornherein mit immer weniger direkter menschlicher Produktionsarbeit ins Leben treten.
Das objektive Heraustreten der gesellschaftlichen Produktion aus den Grenzen der fiktiven „Wertgegenständlichkeit“ muß sich früher oder später auch an der erscheinenden Oberfläche mit voller Wucht bemerkbar machen. Daß eine Ware als stoffliches Produkt, wie wir es vor uns sehen, eine „Wertgegenständlichkeit“ sei, diese Vorstellung ist den abstrakten Individuen der Warenproduktion als Fetischbegriff schon derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß selbst die „Marxisten“ gelegentlich vergessen, was der „Wert“ eigentlich ist, nämlich die gesellschaftlich reale Fiktion „vergegenständlichter“ menschlicher Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß. Man braucht auch nur, wie Habermas u.Co., das Attribut „unmittelbar“ wegzulassen und sogar der direkt gesellschaftlichen, nur noch indirekt und ununterschieden in ganze Paletten von Produkten gleichzeitig eingehenden Arbeit eine mystische „Wertschöpfung“ zuschreiben, um bei diesem fetischistischen Resultat anzugelangen und die Brisanz des Problems völlig zu verkennen.
Daß der Inhalt des Werts gesellschaftlich verschwindet, heißt natürlich noch lange nicht, daß die daraus hervorgehenden gesellschaftlichen Verkehrsformen sich ebenfalls in Wohlgefallen auflösen. Denn daran hängen unauflöslich die Ausbeuterinteressen.
Das Kapital, das die „miserable Grundlage“ (Marx) des Reichtums als Ausbeutung lebendiger Arbeit als Wesenskern hat und diese Grundlage gleichzeitig durch seine eigene Bewegung auflöst, wird und muß mit aller Gewalt versuchen, den „Wert als Wert zu erhalten“, d.h. die leer werdende, ihres gesellschaftlichen Inhalts beraubte Form als allgemeine Verkehrsform weiterlaufen zu lassen. Dies muß katastrophale gesellschaftliche Kollisionen zur Folge haben.
Die neue und finale Krise des Kapitalismus unterscheidet sich grundsätzlich von allen früheren Krisen. Alle bisherigen Krisen waren Wachstumskrisen des Kapitals, die den Akkumulationsprozeß nur vorübergehend unterbrechen konnten; die neue Krise aber erweist sich als das Ende des Akkumulationsprozesses von abstraktem Reichtum selbst, weil der konkrete stoffliche Reichtum nicht mehr innerhalb der Grenzen des Wertverhältnisses erzeugt werden kann. Die neue Krise ist daher keine vorübergehende Überakkumulations- bzw. Überproduktionskrise mehr, sondern vielmehr eine Krise der Wertschöpfung selbst, aus der es für das Kapital keinen Ausweg mehr geben kann.
Daß die Krise, die in den siebziger Jahren endgültig die Akkumulations- und allgemeine Prosperitätsphase nach dem 2. Weltkrieg abgelöst hat, ihrem Wesen nach eine solche Endkrise des Kapitals zu werden verspricht und sich in ihren Grundzügen von allen früheren Krisenprozessen unterscheidet, läßt sich heute schon an der Oberfläche in zwei neuartigen Erscheinungen festmachen.
Erstmals beginnt die Krise nicht nur als Marktkrise des Kapitals und der Waren, sondern als Krise des Geldes selbst sichtbar zu werden. Die Inflation, vor dem 1. Weltkrieg selbst als Begriff nahezu unbekannt, als Folge der staatskapitalistischen Kriegswirtschaft nach den Weltkriegen vor allem in Deutschland eruptiv ausbrechend, ist inzwischen zu einer Dauererscheinung in den imperialistischen Ländern ebenso wie in der „Dritten Welt“ geworden. Daß nicht nur die Produkte im Konkurrenzkampf „entwertet“ werden, sondern gesamtgesellschaftlich und weltweit das Geld selbst, dieser erstaunliche Prozeß hat eine sehr einfache Ursache, nämlich die Tatsache, daß der stoffliche Reichtum mit der ungeheuren Entwicklung der technologischen Produktivkraft nicht mehr in der wirklichen Geldware, dem Gold, ausgedrückt werden kann. Bis zum 1. Weltkrieg war der Goldstandard noch allgemein, d.h. die Banknoten aller wichtigen Industrieländer waren direkt mit Gold konvertierbar. Seither hat die stoffliche Produktivität die Geldware als Gold in ständig wachsendem Maße überschritten; die letzte Nabelschnur zum Goldstandard wurde Anfang der siebziger Jahre mit der Preisgabe des Systems von Bretton Woods durchtrennt, d.h. auch der Dollar als Weltgeld wurde endgültig vom Goldstandard entkoppelt. Dies heißt aber nichts anderes als die sukzessive Aufhebung des Geldes als Ware, denn das in Massen emittierte Papiergeld ohne Golddeckung enthält, von der vernachlässigbaren Arbeitsmenge für die Papiergeldherstellung einmal abgesehen, keine reale Wertsubstanz mehr. Dies gilt inzwischen allgemein für das Papiergeld, ebenso für das rein buchungstechnische Giralgeld, erst recht für eine so phantastische und rein juristische Schöpfung aus dem Nichts wie das künstliche Weltgeld „Sonderziehungsrechte“ (SZR) des Internationalen Währungsfonds, das nur zwischen den Notenbanken zirkulieren kann. Das Verschwinden der Wertsubstanz des Geldes widerspiegelt aber nur das tendenzielle Verschwinden des Wertes überhaupt, das Hinaustreten der stofflichen Produktion aus den Grenzen des Wertes.
Dies bedeutet keineswegs, daß die alte, von Marx gegeißelte Ansicht der Vulgärökonomen von der „rein technischen“ Funktion des Geldes Wirklichkeit geworden wäre, sondern vielmehr, daß die auf dem Geld beruhende Produktions- und Verkehrsweise immer mehr ihren Realitätsgehalt verliert, daß die gesellschaftlich reale Fiktion des Werts irreal wird und ihr fiktiver Charakter auch als solcher an der Oberfläche erscheint. Der Wert verwandelt sich in eine leere Hülle, die dem stofflichen Inhalt nicht mehr gewachsen ist. Das Kapital und die kapitalistischen Politiker und Fachleute versuchen natürlich unter allen Umständen den „Wert als Wert zu erhalten“ und die Abstraktion des Geldes als Realabstraktion, koste es was es wolle, über die Runden zu retten: die währungstechnischen und sonstigen monetären Manipulationen werden immer verzwickter, komplizierter und unglaubwürdiger. In den historisch gesehen wenigen Jahren seit der Preisgabe des Bretton-Woods-Systems stand das internationale Währungs- und Kreditsystem schon mehrmals kurz vor dem Zusammenbruch, und dieser Zusammenbruch, in Erscheinung tretend als weltweiter Bankenkrach, als Kollaps des internationalen Kreditsystems und als Welle von „Währungsreformen“ mit faktischer Enteignung großer Volksmassen, wird sich nicht ewig hinausschieben lassen. Die neue Dimension einer historischen Endkrise des Kapitals muß sich gerade von der monetären Seite her, als unlösbare „Krise des Geldes“, letztlich mit voller Wucht durchsetzen, wenn auch durch viele Bremsungsversuche der Währungs- und Kredit-Techniker hindurch.
Die zweite prinzipiell neue Erscheinung aber, in der sich das Ende der kapitalistischen Logik ankündigt, ist das Auftreten einer zyklusunabhängigen Massenarbeitslosigkeit seit etwa Mitte der siebziger Jahre, die sich nahezu unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung unaufhaltsam gesteigert hat und offenbar der Tendenz nach weiter steigern wird. In der bisherigen Entwicklung des Kapitals schien sich ein solcher Prozeß schon mehrfach kurzzeitig anzudeuten, wurde aber jedesmal durch einen neuen Akkumulationsschub wieder aufgefangen. Im großen und ganzen folgte der Stand der Arbeitslosigkeit dem Akkumulationszyklus des Kapitals, der Absorbtion und Repulsion lebendiger Arbeitskraft im unmittelbaren kapitalistischen Produktionsprozeß. Diese bisher gültige Gesetzmäßigkeit ist in allen imperialistischen Kernländern seit mehr als einem Jahrzehnt außer Kraft gesetzt. Selbst ernstzunehmende bürgerliche Ökonomen sehen einen unaufhaltsamen Trend, der bis zur Jahrhundertwende geradezu apokalyptische Arbeitslosenziffern und einen hoffnungslosen Zusammenbruch des „sozialen Netzes“ auf der Basis der Geldwirtschaft hervorbringen muß. Alles Gerede bürgerlicher Politiker über einen herbeigebeteten „Aufschwung“ und eine „weltwirtschaftliche Konsolidierung“ ist an dieser unerbittlichen Logik zu messen.
Der auf wenige Länder mit fortgeschrittenster Produktivität beschränkte „Aufschwung“ Mitte der achtziger Jahre hat die Massenarbeitslosigkeit selbst in diesen Ländern nahezu unberührt gelassen; daß sie gegenwärtig scheinbar stagniert und nicht schon wesentlich höher liegt, ist eher statistischen Tricks und Manipulationen der kapitalistischen Arbeitsverwaltung zuzuschreiben, die der Öffentlichkeit ein möglichst geschminktes Bild der Verhältnisse vorzugaukeln hat, als einer tatsächlichen Stockung im „Freisetzungsprozeß“ lebendiger unmittelbarer Produktionsarbeit. Dabei steht die entscheidende Welle der mikro-elektronischen Umwälzung der Produktion in vielen Produktionszweigen und auch in den meisten unproduktiven Bereichen erst noch bevor. Jeder „Aufschwung“, der für Teile des Kapitals in Zukunft noch denkbar ist, wird grundsätzlich die Steigerung der Massenarbeitslosigkeit nicht mehr stoppen.
Es wäre nun noch dem vermutlich unvermeidlichen Einwand zu begegnen, die hier skizzierte Theorie der „Entwertung des Werts“ sei deswegen falsch, illusorisch und möglicherweise „utopisch“, weil sie die absolute Vollautomation der gesamten Produktion, die „menschenleere Geisterfabrik“ etc. als gesellschaftlichen Durchschnitt voraussetze. Ein solcher Einwand wäre deshalb naiv, weil er nicht mit der Akkumulationslogik des Kapitals rechnet, wie sie durch die Produktion des relativen Mehrwerts bedingt wird, sondern in starren Definitionen hängenbleibt. Der Zusammenbruch des Wertverhältnisses beginnt eben nicht erst, wenn der letzte Arbeiter aus der unmittelbaren Produktion eliminiert ist; er beginnt vielmehr genau an dem historischen Punkt, in dem das allgemeine Verhältnis von Eliminierung und Re-Absorbtion lebendiger unmittelbarer Produktionsarbeit umzukippen beginnt, d.h. bereits in dem Moment (und sukzessive fortschreitend in dem Maße), wo (und wie) mehr lebendige unmittelbare Produktionsarbeit eliminiert als reabsorbiert wird. Vermutlich liegt dieser „Punkt“, soweit man von einem solchen sprechen kann, heute bereits in der Vergangenheit, etwa in der Zeit Anfang bis Mitte der siebziger Jahre: nicht zufällig liegt in diesem Zeitraum sowohl der Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Wodds als auch der Beginn der „technologischen“ Massenarbeitslosigkeit. Auch darf man sich selbstverständlich den Zusammenbruch des Wertverhältnisses nicht als einen plötzlichen und einmaligen Akt vorstellen (obwohl plötzliche Einbrüche und Zusammenbrüche, z.B. Bankenkrachs, Massenpleiten etc. durchaus Bestandteile dieses Zusammenbruchs sein werden), sondern als einen historischen Prozeß, eine ganze Epoche von vielleicht mehreren Jahrzehnten, in denen die kapitalistische Weltökonomie aus dem Strudel von Krise und Entwertungsprozessen, anschwellender Massenarbeitslosigkeit und daraus früher oder später unvermeidlich folgenden schweren Klassenkämpfen nicht mehr herauskommen kann.
Es wird mit dieser Entwicklung auch, dies sei abschließend bemerkt, eine alte Debatte entschieden über die Fähigkeit des Kapitalismus, „die Produktivkräfte weiterzuentwickeln“. Erstaunlicherweise wurde diese Fragestellung meistens darauf bezogen, ob der Kapitalismus die stoffliche Produktivkraft als solche, ob er den Prozeß der Verwissenschaftlichung über eine jeweils bestimmte Stufe hinaus auch in seinem „monopolistischen Stadium“ weitertreiben könne. Je nach der Beantwortung dieser Frage wurde dann die „Überlebenschance“ des Kapitalismus taxiert. Aus der bisher entwickelten begrifflichen Bestimmung ist unschwer zu erkennen, wie grundfalsch schon diese Fragestellung selber ist, wie sehr sie den authentischen Marxismus und die objektive Logik des Kapitals mißversteht. Nicht die Grenze der Produktivkraftentwicklung wird erreicht, sondern die Grenze der Wertgegenständlichkeit. Der Kapitalismus kann die stofflichen Produktivkräfte nicht nur weiterentwickeln, er muß dies sogar unaufhörlich tun seiner eigenen Entwicklungslogik zufolge. „Die Schranke des Kapitals ist das Kapital selbst“ (Marx) - der Wert. Das Kapital scheitert objektiv nicht an der stofflichen Produktivkraftentwicklung als solcher, sondern an dem Zwang, diese ungeheuren gesellschaftlichen Potenzen von Wissenschaft und Technologie in die Grenzen des Werts einbannen zu müssen. So und nur so ist die marxistische Aussage zu begreifen, daß der Kapitalismus an der „Entwicklung der Produktivkräfte“ zugrunde gehen muß.
7. Die Verkehrung durch die Konkurrenz
Warum kann das Kapital nicht erkennen, daß es sich mit der Produktion des relativen Mehrwerts durch Produktivkraftentwicklung historisch das eigene Grab schaufelt? Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß die Kategorie des relativen Mehrwerts (und des Mehrwerts überhaupt) keine Oberflächenkategorie darstellt, die im Bewußtsein der Repräsentanten des sich verwertenden Geldkapitals erscheinen könnte. Der Grund dafür ist letztlich darin zu suchen, daß das Kapital niemals wirklich als Gesamtkapital auftreten kann, sondern immer nur - in welcher Form auch immer - als konkurrierendes Einzelkapital. Die Wertkategorie setzt die Kategorie des Tauschs voraus und damit in dieser oder jener Weise voneinander formell-ökonomisch unabhängige Privatproduzenten. Selbst hochentwickelte Formen des „Staatskapitalismus“, in denen der Staat nicht nur als ideeller, sondern zunehmend als „reeller Gesamtkapitalist“ erscheint, können diese Grundtatsache nicht wirklich aufheben. Solange gesellschaftlich das Wertverhältnis überhaupt existiert und damit die Wertgegenständlichkeit der Produktion, was sich wiederum in der Geldform als allgemeiner Verkehrsform ausdrückt, solange ist auch in der Realität der Standpunkt des Ganzen eine praktische Unmöglichkeit, der Standpunkt der Totalität des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses kann dann vom Staat und seinen Behörden nur formell und äußerlich, nicht aber dem Inhalt nach eingenommen werden (wie überhaupt der Staat als solcher schon Ausdruck der ökonomischen Getrenntheit von gesellschaftlichen Teilproduzenten und ihrer Nicht-Gesellschaftlichkeit in der Produktion ist). Auf allen Ebenen müssen sich daher Momente der Konkurrenz immer von neuem entwickeln und nachwachsen wie die Köpfe der Hydra, auch auf der Ebene des Verkehrs der Staaten untereinander. Für das Einzelkapital stellt sich der Gesamtprozeß nur dar von seinem eigenen Standpunkt als Teilnehmer im Kampf um Märkte, für den kapitalistischen Staat als ideellen (und zunehmend „reellen“ in äußerlich-tauschwertmäßiger Weise) „Gesamtkapitalisten“ von seinem Standpunkt als Repräsentant eines nationalen Gesamtkapitals im Kampf um die Märkte und Einflußsphären, für einen imperialistischen Block wiederum von dessen Standpunkt als Koalition verschiedener nationaler Kapitale im Kampf gegen einen anderen Konkurrenz-Block um Märkte, politische und militärische Einflußzonen.
In diesen Konkurrenzkämpfen auf allen Ebenen der erscheinenden Oberfläche stellt sich nun der Prozeß der Wertproduktion keineswegs so dar wie im theoretischen Begriff der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion, deren Standpunkt praktisch niemand einnimmt. Während aus der Sicht der Gesamtreproduktion die gegenläufige, sich tendenziell selbst aufhebende Bewegung in der Produktion des relativen Mehrwerts sichtbar wird, verschwindet sie aus dem Blickwinkel des konkurrierenden Einzelkapitals spurlos. In der Gesamtreproduktion erscheint die Produktion des relativen Mehrwerts als absurd, weil sie mit der Erhöhung der RATE des Mehrwerts gleichzeitig eine Verminderung der MASSE des Mehrwerts hervorbringt. Dies gilt jedoch nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ausschließlich für den Gesamtprozeß, keineswegs aber so für das jeweilige besondere Kapital, dessen individuelle Erhöhung der Profitrate („Extraprofit“) durch Produktivkraftentwicklung nicht im geringsten mit einer gleichzeitigen Verminderung der Profitmasse bezahlt wird. Die Logik der Produktivkraftentwicklung besteht darin, mit weniger menschlicher Arbeitskraft mehr Produkte im gleichen Zeitraum zu produzieren. Abstrakt betrachtet, d.h. jedes Einzelkapital für sich genommen, würde sich auch auf dieser Ebene des Einzelkapitals die absurde gegenläufige Bewegung des relativen Mehrwerts darstellen, d.h. pro Arbeiter wird mehr Wert angeeignet, während gleichzeitig die absolute Masse des geschöpften Neuwerts sich vermindert, weil insgesamt weniger lebendige Produktionsarbeit angewendet worden ist. Diese Betrachtung bleibt jedoch deswegen abstrakt, weil sich das Einzelkapital natürlich nicht für sich allein reproduziert, sondern in der Konkurrenzbeziehung der vielen Kapitalien aufeinander. Die Produktion des Mehrwerts und ihre Realisierung in der Zirkulation, d.h. in den Tauschprozessen auf dem Markt, fallen auseinander. Es wird also notwendig, zu klären, was sich zwischen Produktion und Realisierung in der Zirkulation durch die Konkurrenzbeziehung abspielt.
Wenn ein einzelnes Kapital die Produktivkraft seines Gesamtaggregats (tote Arbeit in Gestalt von Maschinen und lebendige Arbeit sind aus seiner Sicht nicht unterschieden, sondern stellen sich gleichermaßen als „input“-Kostenfaktoren dar) verdoppelt bei gleichzeitiger Verminderung lebendiger Arbeit, so ist dies zunächst eine Verminderung der „input“-Kosten (die Amortisation der verbesserten Maschinerie schon einkalkuliert), während sich gleichzeitig der Ausstoß an stofflicher Produktenmenge erhöht, nämlich verdoppelt. Auf diese erhöhte stoffliche Produktenmenge entfällt aber wegen der verminderten lebendigen Arbeit eine geringere Wertmasse, damit auch auf jedes einzelne Produkt. Die Verminderung der absoluten Wertmasse stellt sich aber so nur dar bei dem einzelnen Kapital mit der individuell erhöhten Produktivkraft. Jedes einzelne Produkt des produktiveren Kapitals enthält weniger Wert als das entsprechende Produkt im gesellschaftlichen Durchschnitt, aber gültig auf dem Markt ist ja allein dieser gesellschaftliche Durchschnitt. Was den Geldausdruck des Warenwerts angeht, und dieser allein interessiert praktisch, so ist er jetzt auch an sich doppelt so hoch für das produktivere Einzelkapital, da es ja mit einer doppelt so großen stofflichen Produktenmenge auf dem Markt mit dem dort immer noch gültigen gesellschaftlichen Durchschnittswert dieses Produkts erscheint. Freilich ist dieser Geldausdruck zunächst nur der Preis und noch nicht die Realisierung durch den Verkauf, da die doppelte Warenmenge auf einen begrenzten Markt mit begrenzter Kaufkraft trifft. Aber das produktivere Kapital hat jetzt natürlich im Vergleich zu allen anderen Marktteilnehmern einen gewaltigen Spielraum, mit dem Preis herunterzugehen und so die verdoppelte Warenmenge an den Mann zu bringen. Denn selbst wenn dieses Kapital nun seine doppelte Menge von Produkten unter ihrem derzeit gültigen gesellschaftlichen Geldwert verkaufen muß, um den für die doppelte stoffliche Produktmenge nötigen Marktanteil zu erobern, so hat sich doch in jedem Fall das Verhältnis zwischen absoluten „input“-Kosten und absolutem „output“ als „Ertrag“ gewaltig zu seinen Gunsten verschoben.
Es wird hier die Verkehrung des wirklichen gesamtgesellschaftlichen Sachverhalts durch die Bewegung der Konkurrenz deutlich. In der totalen Gesamtreproduktion des Kapitals führt jede Verminderung lebendiger Produktionsarbeit, gleichgültig an welcher Stelle sie stattfindet, selbstverständlich auch zur Verminderung der totalen Wertmasse. Aber gerade das Kapital, das diese Verminderung lebendiger Arbeit bewerkstelligt, eignet sich dadurch individuell einen höheren Profit an. Daß sich der wirkliche Prozeß für das Einzelkapital derart verkehrt an der Marktoberfläche darstellt, ist der „Flüssigkeit“ des abstrakten Tauschwerts, des Geldes, im Vergleich zur Starrheit und Sperrigkeit der stofflichen Produktenmasse geschuldet. Die Masse des in stofflichen Gebrauchswerten dargestellten Werts und die Masse der „flüssigen“ Geldware stehen in einem ständig „oszillierenden“, sich durch Disproportionalitäten hindurch herstellenden Ausgleichsverhältnis, das auf Weltmarktebene ungeheuer komplizierte Formen annimmt. Wenn die deutsche und japanische Automobilindustrie eine höhere Arbeitsproduktivität entwickeln als z.B. die englische, so bedeutet dies an sich, daß in jedem in Deutschland und Japan produzierten Auto eine geringere Menge an abstrakt menschlicher Arbeit, eine geringere Wertmasse also, enthalten ist, wenn wir die reale gesellschaftliche Fiktion der „Wertgegenständlichkeit“ der Dinge zugrundelegen. Ferner bedeutet dies, daß in der Automobilindustrie Japans und Deutschlands auch insgesamt absolut eine geringere Wertmasse erzeugt wird als in der englischen, jedenfalls solange nicht zusätzliche Produktionskapazitäten aufgebaut werden. An der Marktoberfläche aber stellt sich dieser Sachverhalt ganz anders dar: gerade ihrer höheren Produktivität wegen, ihrer geringeren Anwendung von lebendiger Arbeit, produzieren die deutschen und japanischen Automobilkapitalisten „kostengünstiger“ als die englischen, das einzige den vulgär-abstrakten bürgerlichen „Wirtschaftsverstand“ interessierende Kriterium, und können daher auch auf dem Markt „günstiger“ anbieten, können die englischen Anbieter aus dem Markt werfen und trotzdem in ihrer Gesamtbilanz noch einen Extraprofit verbuchen.
Tatsächlich ist folgendes geschehen: trotz faktisch geringerer Wertschöpfung haben die deutschen und japanischen Automobilkapitalisten auf dem Markt, im Realisierungsprozeß des Mehrwerts, eine größere Masse der „flüssigen“ Geldware auf sich ziehen können als die englischen, d.h. sie haben sich tatsächlich einen Teil des in England produzierten Mehrwerts durch Umverteilung auf dem Weltmarkt angeeignet. An der Marktoberfläche stellt sich die Verkehrung der wirklichen Bewegung also in der Form dar, daß dasjenige Kapital, das durch höhere Produktivität und Eliminierung unmittelbarer lebendiger Produktionsarbeit die absolute gesamtkapitalistische Wertmasse (die als solche kein partikulares Kapital etwas angeht) vermindert, also am Ast des Kapitalismus überhaupt sägt, dafür „belohnt“ wird durch Extraprofit und größere Marktanteile, während umgekehrt dasjenige Kapital, das mehr lebendige Produktionsarbeit anwendet (pro Ware) und dadurch die Gesamtmasse des Werts und den Wert als Wert erhält, dafür „bestraft“ wird durch Verlust von Marktanteilen und Nicht-Realisierung des von ihm produzierten Mehrwerts.
In der Totalität dieses Umverteilungsprozesses wird dem unerbittlichen Wertgesetz dadurch Rechnung getragen, daß die englische Automobilindustrie auf einem Teil ihrer Produkte „sitzenbleibt“, daß diese Produkte also „nur“ noch stoffliche Gebrauchswerte darstellen, aber nicht mehr als Tauschwerte gelten können. Was mit diesen „entwerteten“ Gebrauchswerten geschieht, ist klar: sie werden natürlich nicht den Armen geschenkt, sondern zuerst gelagert, dann je nach ihrer stofflichen Beschaffenheit entweder ganz vernichtet oder zu Rohmaterialien und Halbfabrikaten zurückverarbeitet: eingestampft, zerschmolzen, verbrannt, ins Meer geschüttet usw., auf jeden Fall als Gebrauchswerte vernichtet, weil sie vor der Warenkönigin, der Geldware, keine Gnade gefunden haben. Auf der ganzen Erde werden so täglich und stündlich auf immer weiter wachsender Stufenleiter Gebrauchswerte aller Art mutwillig zerstört. Die Menschheit opfert dem dunklen, unbegriffenen Gott ihrer eigenen Vergesellschaftung, dem Gesetz des Tauschwerts, in immer rasenderer Verrücktheit Hekatomben von vergegenständlichter Arbeitsqual; die antiken Götterfamilien müßten vor Neid erblassen. Diese Verrücktheit wird nur möglich durch das Auseinanderfallen von Produktion und Zirkulation, durch die „Flüssigkeit“ des Geldes und die konkurrenzvermittelte ständige Umverteilung des Mehrwerts auf dem Weltmarkt.
Diese Verkehrung durch die Konkurrenz ist es also, die dem Kapital den Blick verstellt auf die für seine eigene Produktionsweise fatalen Konsequenzen dieses Prozesses auf der Ebene der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion. Dadurch wird erst deutlich, was Marx über das Kapital als Prozeß seiner objektiven Selbstaufhebung schreibt:
„In demselben Maße wie die Arbeitszeit - das bloße Quantum Arbeit - durch das Kapital als einzig bestimmendes Element gesetzt wird, in demselben Maße verschwindet die unmittelbare Arbeit und ihre Quantität als das bestimmende Prinzip der Produktion - der Schöpfung von Gebrauchswerten - und wird sowohl quantitativ zu einer geringen Proportion herabgesetzt, wie qualitativ als ein zwar unentbehrliches, aber subalternes Moment gegen die allgemeine wissenschaftliche Arbeit, technologische Anwendung der Naturwissenschaften nach der einen Seite, wie gegen die aus der gesellschaftlichen Gliederung in der Gesamtproduktion hervorgehende allgemeine Produktivkraft - die als Naturgabe der gesellschaftlichen Arbeit (obgleich historisches Produkt) erscheint. Das Kapital arbeitet so an seiner eignen Auflösung als die Produktion beherrschende Form“(5).
Die Logik der Selbstaufhebung des Kapitals blieb in einem historisch kurzen Zeitraum von knapp hundert Jahren verdunkelt, solange der Expansionsprozeß des Kapitals in der Kapitalisierung nichtkapitalistischer Produktionszweige und in der Schaffung neuer arbeitsintensiver Industrien noch ein Terrain vorfand. Wenn dieser Expansionsprozeß heute auf absolute Grenzen zu stoßen beginnt, so wird damit die Verkehrung durch die Konkurrenz natürlich nicht aufgehoben, sondern im Gegenteil die Konkurrenz verschärft und damit der Prozeß der Verwissenschaftlichung mit allen gesamtgesellschaftlichen Folgen noch mehr beschleunigt. Schon seit Beginn der siebziger Jahre, d.h. wiederum seit jener bis jetzt unbegriffenen Phase des „Umkippens“ der historischen Logik des Kapitals, ist die Tendenz absehbar, daß der Spielraum des Weltmarkts unerbittlich zu schrumpfen beginnt, daß eine neue (und wie ich aufgrund der bisherigen Ableitung behaupte: finale) Etappe des „Kampfes um die Märkte“ eingetreten ist, die weder mit ökonomischen noch mit politischen und militärischen Mitteln bewältigt werden kann. An der Peripherie der kapitalistischen Industriegesellschaften, in Ländern wie Spanien, Portugal, Griechenland etc., teilweise selbst schon in imperialistischen Kernländern wie Frankreich, Italien und Großbritannien, hat der gnadenlose Umverteilungsprozeß des in seiner Masse durch die neue stoffliche Vergesellschaftungsstufe weltweit schrumpfenden Mehrwerts bereits zur Agonie ganzer Industriezweige geführt; auch die BRD ist davon inzwischen nicht mehr unberührt (Stahl- und Werftkrise etc.).
Die Spitzenreiter und „Krisengewinnler“ in diesem immer enger werdenden Umverteilungsprozeß, hauptsächlich Japan, die BRD und (mit Abstrichen) die USA, versuchen den „Aufschwung“ zu beschwören und die „job-killende“ Konsequenz der neuen vergesellschaftenden Technologien zu leugnen. Tatsächlich läßt die Verkehrung durch die Konkurrenz es an der Oberfläche so erscheinen, daß die „Sieger“ des konkurrenzvermittelten Realisierungs- und Umverteilungsprozesses des Welt-Mehrwerts nicht nur ihre Positionen behaupten, sondern vorübergehend sogar ihre Produktionskapazitäten erweitern, damit „neue Arbeitsplätze schaffen“ und die in ihrem Land erzeugte absolute Mehrwertmasse wieder etwas erhöhen können. Diese Expansion, für die betreffenden Länder und Einzelkapitale durchaus eine tatsächliche, ist aber im Gesamt-Reproduktionsprozeß des Weltkapitals nur eine Schein-Expansion. Sie beruht nicht auf einem Expansionsprozeß des Kapitals insgesamt, dessen historische Grenzen erreicht sind, sondern beruht ausschließlich auf der Vernichtung anderer Kapitale. Die „zusätzlichen Arbeitsplätze“ werden nicht durch die Mikroelektronik geschaffen, sondern durch die Vernichtung von Arbeitsplätzen, Kapital und Waren in anderen Ländern und bei anderen Kapitalien. Die Situation, daß ein Kapital nur noch auf Kosten anderer Kapitalien wachsen kann und nicht mehr durch Expansion in ein historisch „freies Terrain“, in den vergangenen Perioden der kapitalistischen Entwicklung auf die periodische Krise beschränkt, wird nun zum dauernden und nicht mehr aufhebbaren Normalzustand. Die Verkehrung durch die Konkurrenz führt also in der letzten Epoche des Kapitalverhältnisses notwendig zu einer Spirale sich immer mehr verschärfender „Handelskriege“. Die vorläufigen Siege der BRD und Japans auf dem Kriegsschauplatz des Weltmarkts müssen sich so früher oder später als Pyrrhussiege erweisen, und zwar in demselben Maße, wie der Weltmarkt durch den politischen „eisernen Vorhang“ des Protektionismus (der sich allen gegenteiligen rein ideologischen Beteuerungen zum Trotz ebenfalls seit jenen ominösen frühen siebziger Jahren ständig ausgeweitet hat) tendenziell zusammenbricht und damit die Exportkonjunktur erdrosselt, den eigentlichen Motor der wirtschaftlichen Entwicklung Japans und der BRD.
Da sich die Charaktermasken des Kapitals (einschließlich einer wert- und lohnfetischistischen Gewerkschaftsbewegung als Charaktermaske des variablen Kapitals) aber nur an der Oberfläche der Erscheinungen orientieren und sich so nur innerhalb der Verkehrungen des wirklichen Prozesses durch die Weltmarkt-Konkurrenz bewegen können, sehen sie alle nur einen einzigen „Lösungsweg“ und blasen alle ins gleiche Horn: Noch mehr Rationalisierung! Noch mehr Verwissenschaftlichung! Bloß nicht zurückbleiben im technologischen Wettlauf! Und recht haben sie, nur daß sie mit jedem kleinen Vorteil, der auf dem Weltmarkt errungen wird, ironischerweise dem Gesamtsystem der Verwertung des Werts, dieser Welt, außerhalb der sie keine andere denken können noch wollen, selber ein wenig mehr das Grab schaufeln. Als Charaktermasken der Selbstverwertung des Werts werden die Völker so in den letzten Jahrzehnten des 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts das Bild einer wahnwitzigen Wolfsmeute bieten, die sich um immer kleinerer (Wert-) Brocken willen selber zerfleischt. Alle politischen und möglicherweise militärischen Konflikte dieser neuen Epoche werden (zunehmend) nicht mehr bloße Begleiterscheinungen des kapitalistischen Akkumulationsprozesses sein, sondern unmittelbar Ausdruck des historischen Endes dieser Akkumulation, d.h. des Ausbrennens der kapitalistischen Logik als solcher. Das Verhältnis von Ökonomie und Politik gewinnt so eine neue Qualität.
8. Krise und Krisentheorien
Abschließend will ich nun noch kurz die Frage erörtern, warum die marxistische Theorie bisher die im Werk von Marx zumindest implizit enthaltene wirkliche Dimension der kapitalistischen Logik und ihrer Krise nicht herausgearbeitet hat. In diesem Zusammenhang sind zunächst die historischen Ansätze marxistischer Krisentheorie von Interesse. Bekanntlich hat Marx keine geschlossene Krisentheorie hinterlassen, dem insgesamt fragmentarischen Charakter seines ungeheuren Gesamtwerks entsprechend. Der dritte Band des „Kapital“ und die „Theorien über den Mehrwert“, worin sich wesentliche Aussagen zur Krisentheorie finden, bestehen durchwegs aus solchen nicht endgültig ausgearbeiteten Fragmenten. Schon allein diese „editorische“ Ausgangslage hat historisch dazu geführt, daß in der marxistischen Debatte einzelne Aspekte der von Marx hinterlassenen, nicht vollständig systematisierten Krisentheorie gegeneinander verselbständigt wurden.
Die älteste Schicht der Interpretation marxistischer Krisentheorie in der 2. Internationale stellt sich dar als reine Überproduktions- bzw. Unterkonsumtionstheorie (Engels, Kautsky, Luxemburg). Für diese Überproduktionstheorie resultierte die Krise als solche eigentlich sehr einfach aus dem Widerspruch von Produktivkraftentwicklung der Arbeit einerseits und mangelnder Kaufkraft der auf den Wert der Ware Arbeitskraft in ihrer Reproduktion beschränkten Massen andererseits. Die Schwäche dieser zunächst evidenten Interpretation ist aber eine doppelte. Zum einen leitet sie die Krise als reines Zirkulationsphänomen ab und nicht aus der Produktion des Mehrwerts selbst, woher denn auch bis zum heutigen Tag die Illusionen einer „politischen“ Einwirkung auf den kapitalistischen Reproduktionsprozeß („Massenkaufkraft stärken“) als vermeintliches Heilmittel stammen. Zum zweiten aber geht sie im Grunde genommen von einer einfachen Reproduktion des Gesamtkapitals und nicht von der historischen Tatsache der durch die Produktion des relativen Mehrwerts vermittelten Expansion des Kapitals als Produktionsverhältnis aus. Bei einer einfachen Reproduktion würde die Evidenz des Widerspruchs zwischen beschränktem Massenkonsum und Produktivkraftentwicklung sofort ans Licht treten; allerdings wäre auch dieser dann manifeste Widerspruch ein abgeleitetes Oberflächenphänomen, das selber erst auf die zugrundeliegende tendenzielle Aufhebung des Werts in der unmittelbaren Produktion zurückzuführen wäre. Durch die tatsächliche Expansion und ständig erweiterte Reproduktion des Kapitals als historischen Kompensationsmechanismus wurde aber der Zugang zur wirklichen Logik der Entfaltung des Kapitals erst einmal ganz zugeschüttet und blieb somit den krisentheoretisch auf die Zirkulation fixierten Theoretikern weiter verborgen und unzugänglich. Nur Rosa Luxemburg versuchte, der Krisentheorie ein systematisches historisches Moment einzuverleiben und sie als Entwicklungslogik des Kapitals mit absoluten Schranken darzustellen; allerdings leider, dem auf die Zirkulation beschränkten Ansatz entsprechend, gerade verkehrt herum als angebliche Alimentierung der kapitalistischen Mehrwert-Realisierung durch nicht- und vorkapitalistische Produzenten (bzw. Konsumenten) statt als kompensatorische Expansion der Mehrwertmasse durch das Einsaugen lebendiger Produktionsarbeit auf ständig erweiterter Stufenleiter.
Es existierte so zwar in der 2. Internationale eine weitverbreitete Vorstellung über den (womöglich baldigen) „Zusammenbruch des Kapitalismus“, aber eher als vage Idee ohne adäquate begriffliche Ableitung, schon gar nicht aus der Spaltung im Begriff der produktiven Arbeit und der Aufhebung der Wertgegenständlichkeit als solcher; mit Ausnahme der verkehrten Form bei Rosa Luxemburg wurde die „Zusammenbruchs“-Idee überhaupt kaum explizit als Theorie formuliert. Sie wurde somit eine leichte Beute des bernstein'schen Revisionismus, der sich platt auf die Oberflächenentwicklung einer sich abzeichnenden höheren Stufe der Expansion des Kapitals um die Jahrhundertwende berufen konnte. Das orthodoxe Beharren des Kautskyanismus blieb demgegenüber hölzern-dogmatisch und defensiv, ganz besonders in der „Zusammenbruchs“-Frage. Während Bernstein Marx eine „Zusammenbruchstheorie“ vorgeworfen hatte, ohne diese freilich begrifflich konkretisieren zu können, und auf die entgegenstehende Empirie des (expandierenden) Kapitals verwies, entgegnete Kautsky darauf lahm mit der Behauptung, daß es eine solche „Zusammenbruchstheorie“ gar nicht gebe. Sowohl Bernstein als auch Kautsky sahen also schließlich die Überwindung des Kapitalismus allein in der gesellschaftspolitischen Aktion des Proletariats angelegt, nicht in einem zugrundeliegenden objektiven Zusammenbruch der Verhältnisse selbst. Ihre Positionen unterschieden sich also tatsächlich nur in Nuancen. Die Zusammenbruchs-Idee erschien so in der aufsteigenden imperialistischen Expansion des Kapitals als eine Art naive Glaubensvorstellung, wie etwa bei den frühen Christen der Glaube an die baldige Wiederkunft des Messias inclusive Weltende und Weltgericht; ihre wenigen theoretischen und politischen Vertreter wie Rosa Luxemburg wurden an den Rand gedrückt. Man könnte seit damals von einem reformistischen Subjektivismus sprechen, der später durch einen revolutionären Subjektivismus der „westlichen Marxisten“ und teilweise im Gefolge der „Frankfurter Schule“ ergänzt wurde.
Der russische Bolschewismus konnte aus leicht erklärlichen Gründen in dieser Frage keinen Umschwung bringen. Lenin verteidigte zwar die Objektivität als solche „philosophisch“ und politisch gegen den reformistischen und „linksradikal“-revoltistischen Subjektivismus, aber er war von einer objektiven Krisen- und Zusammenbruchstheorie mindesten ebensoweit entfernt wie die westlichen Sozialdemokraten und Revolutionäre. In seiner Imperialismus-Schrift wird die Krisentheorie kaum flüchtig gestreift, und dies keineswegs zufällig. Denn natürlich war das noch nicht einmal kapitalistisch entwickelte Rußland von einem Ausbrennen der kapitalistischen Akkumulationslogik himmelweit entfernt, noch viel weiter als der westliche Kapitalismus (eine Tatsache, die bis heute gültig geblieben sein dürfte). Lenin fand also überhaupt keinen gesellschaftlichen Boden vor für eine begriffliche Ableitung und Weiterentwicklung ausgerechnet der marxistischen Krisentheorie. Weder im Osten noch im Westen, darauf habe ich weiter oben bereits hingewiesen, stützten sich die Revolutionen und revolutionären Bewegungen am Ende des 1. Weltkriegs auf irgendwelche grundsätzliche ökonomische Krisen, sondern auf eine Erschütterung der Verhältnisse in erster Linie durch den Krieg selbst, durch die relativ verselbständigten politischen Zusammenstöße eines insgesamt historisch noch expandierenden Kapitals.
Lenin konnte und mußte es daher theoretisch in erster Linie darum gehen, eine bestimmte, tatsächlich erreichte Stufe, eben diejenige des imperialistischen, hochkonzentrierten, mit „staatskapitalistischen“ Elementen versetzten Kapitals, dessen historische Expansion als Ganzes noch keineswegs an absolute stoffliche Grenzen gestoßen war, zu analysieren und darzustellen als die objektive Grundlage - nicht eines Zusammenbruchs der historischen Akkumulation als solcher und überhaupt, sondern des politischen Zusammenstoßes der nationalen imperialistischen Kapitale und der daraus möglichen bewußten politischen Aktion der Arbeiterklasse, die weltweit den Prozeß der kapitalistischen Entwicklung zum Stillstand bringen könnte. Nur insofern durfte er vom Imperialismus als dem „letzten und höchsten Stadium“ des Kapitalismus sprechen. Und insofern war die bolschewistische Revolution, war das spezifisch sozialistische an ihr in erster Linie politisch bestimmt, sowohl hinsichtlich der geringen kapitalistischen Entwicklung der russischen Gesellschaft unmittelbar als auch, in größerer Dimension, hinsichtlich der weltweiten, internationalen Situation der Entfaltung kapitalistischer Logik insgesamt. Daß allerdings auf dieser theoretischen Basis des Leninismus keine zureichende Krisentheorie zu entfalten war, ist evident. Dieser Mangel rächte sich auch sofort dadurch, daß Lenin sich in der Reife der westlichen Revolution erkennbar grundsätzlich geirrt hat. Es wäre freilich geradezu schäbig, ihm heute im nachhinein diesen (von seinen gegebenen Grundlagen aus schwer vermeidbaren) Irrtum vorzuwerfen; als Revolutionär mußte er zu Recht alle Möglichkeiten der Theorie für die wirklich gegebene revolutionäre Situation ausschöpfen.
Das Schwergewicht der marxistischen Debatte und Polemik verlegte sich so auf die Politik, deren relative Selbständigkeit dabei immer mehr überstrapaziert wurde bis zur dogmatischen Verdinglichung der politischen Sphäre und einem völligen begrifflichen Auseinanderfallen von Ökonomie und Politik. Die Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre fand die marxistische Krisentheorie daher schwächlicher denn je und mit verrosteten und schartigen Waffen vor. Henryk Grossmann, der die Debatte um Rosa Luxemburgs Zusammenbruchstheorie wieder aufgriff und diese Theorie kritisch neu zu begründen suchte, blieb ebenso wie der an ihn anschließende Paul Mattick ziemlich einsam und ohne wirkliche Vermittlung zu den theoretischen Hauptströmungen. In der Kritik an Rosa Luxemburg gingen Grossmann und Mattick richtigerweise von der Zirkulation zurück auf die Produktion des Mehrwerts selbst und bestimmten das Wesen der Krise als Überakkumulation des Kapitals, die in der Zirkulationssphäre als Überproduktion erscheinen kann, aber dadurch nicht wesensmäßig bestimmt ist. Dieser Fortschritt in der Krisentheorie wurde freilich damit erkauft, daß mit der verkehrten, auf die Zirkulation fixierten Form der Theorie Rosa Luxemburgs auch ihr fruchtbarer Ansatz einer historisch absolut endlichen Entwicklungslogik des Kapitals gleich mit dieser Form zusammen beiseitegelegt wurde. Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß Grossmann und Mattick zwar wohl auf die Produktion zurückgingen, aber nicht auf den Widerspruch von stofflicher Produktivkraftentfaltung und Wertgegenständlichkeit der Produktion. Sie blieben also insofern wie alle Krisentheorie vorher „wertimmanent“ beschränkt und so in letzter Instanz unfähig, den Widerspruch im Begriff der produktiven Arbeit selbst ausfindig zu machen. Grossmanns Versuch, dennoch an der Zusammenbruchstheorie festzuhalten, blieb so auf ein höchst fragwürdiges „wertimmanentes“ Rechenexempel beschränkt, das seinen Ausgangspunkt (wie schon die frühere Krisendebatte) nicht in der begrifflichen Ableitung des Werts und der produktiven Arbeit hat, sondern in den „Reproduktionsschemata“ des zweiten Bandes des „Kapital“ und damit von vornherein den Marktvermittlungen der Oberfläche verhaftet bleibt. Paul Mattick hat daher auch schließlich nicht mehr explizit an einer konkret ableitbaren Zusammenbruchstheorie festgehalten wie Grossmann.
Es zeigt sich somit, daß alle bisherige marxistische Krisentheorie tatsächlich nicht über eine „wertimmanente“ Betrachtungsweise hinausgekommen ist und die im marxschen Werk enthaltenen Elemente einer logisch-historischen Sprengung des Wertverhältnisses als solchen nicht aufgegriffen hat. Die Frage der Krise, sowohl in den auf die Realisierung wie in den auf die Produktion des Mehrwerts bezogenen Theorien, wird nur innerhalb des Horizonts der quantitativen Wertverhältnisse und deren Analyse behandelt, die Disproportionalität nur innerhalb der quantitativen Logik des Werts und nicht als qualitative im Verhältnis von Stoff und Wert begriffen. Mit anderen Worten: nicht das Wertverhältnis als solches wird durch die Krise obsolet, sondern nur der „blinde“ Regelungsmechanismus über den Markt; nicht das Wertverhältnis als solches bricht zusammen, sondern bloß das relative Gleichgewicht des Tauschwerts. Theoretisch erscheint hier wieder in der Krisendebatte das eingangs ausgeführte verkürzte Verständnis des Wertgesetzes. Es wäre freilich verfehlt, hier nur einen abstrakten, weil unhistorischen Vorwurf zu erheben. Denn diese theoretische Verkürzung ist nur (auf dem Boden des Marxismus) ideeller Ausdruck einer Epoche, in der das Kapitalverhältnis die Krise auch real nur innerhalb der Schranken des Wertverhältnisses durchlebt und die Schwelle noch nicht erreicht ist, jenseits derer das Wertverhältnis als solches an der Produktivkraftentwicklung zuschanden werden muß und zusammenzubrechen beginnt. Diese Schwelle wird erst heute erreicht mit den neuen vergesellschaftenden Technologien, in denen angewandte Naturwissenschaft und Arbeitswissenschaft zusammenfließen und damit erst das Industriesystem aus seinen groben, embryonalen Formen heraustreten lassen. Die verunglückte Begriffsbestimmung des „Postindustrialismus“ verkennt insofern die wirkliche Entwicklung völlig. Historisch kann der Kapitalismus heute entziffert werden als identisch mit der groben, unbeholfenen, unreifen und in jeder Hinsicht schmutzigen Vorform der wirklich unmittelbar gesellschaftlichen Industrie, die aus dem kapitalistischen Keim erst heute hervorwächst und ihn damit unwiderruflich sprengt.
Die sozialistische und kommunistische Linke allerdings ist auf die kommende und teilweise schon manifeste Krise des Kapitalverhältnisses noch weniger vorbereitet als zu Beginn der dreißiger Jahre. Die neue Akkumulations- und Prosperitätsepoche nach dem zweiten Weltkrieg hat ihre logische Kraft gänzlich erlahmen lassen, wie sie ja auch die praktisch-politische alte Arbeiterbewegung verstümmelt und entmannt zurückließ. Der Gedanke einer Zusammenbruchstheorie ruft selbst bei angeblichen Radikalen nur noch ein besserwisserisches Abwinken hervor, obwohl das Problem nie begrifflich-theoretisch geklärt wurde, sondern bloß im Sumpf der Oberflächen-Empirie versackte. Ebenso löst die Frage nach den Bestimmungen einer nicht mehr auf dem Wert beruhenden, somit geldlosen gesellschaftlichen Reproduktion im Werk von Marx und Engels bei den Linken bestenfalls noch ein verlegenes Lächeln aus. Sowohl die am westlichen als auch die am östlichen Strang der alten Arbeiterbewegung orientierten marxistischen Theoretiker haben die Fundamentalkritik des Wertverhältnisses längst verdrängt, vergessen und begraben; der Wert als solcher wird als zweites Naturverhältnis bewußtlos hingenommen. Alle sozialistische Programmatik, Strategie und Praxis bezieht sich damit nicht auf die Aufhebung des Wertverhältnisses (und so der Lohnarbeit), sondern einzig und allein auf die Form des gesellschaftlichen Allokationsmechanismus durch das Wertgesetz. Was dabei herauskommt ist der absolut flache Gegensatz von „Plan“ und „Markt“, wobei der Begriff gesellschaftlicher Planung dem Wertfetisch unterworfen bleibt. Die dabei logischerweise ausbleibende Aufhebung des abstrakten Individuums der Warenproduktion, wie es besonders abstoßend der „reale“ Polizei-Sozialismus des Ostens vorführt, muß dann begriffslos ins Subjekt zurückverlegt werden; nicht zufällig mündet die Entfremdungs-Debatte der Neuen Linken in Neoreligiosität und Spiritualismus. Aber auch der radikale Frühling der subjektiv-politischen Linken seit 1968 ist schon wieder sang- und klanglos vorbeigegangen. Alle Theorien und Vorschläge der Linken im weitesten Sinne, die sich auf die neuen gesellschaftlichen Erscheinungen beziehen, gleichgültig ob „orthodox“-marxistisch oder linkssozialistisch bzw. grün-alternativ (Gorz usw.) haben jedenfalls das eine gemeinsam, daß sie sich um die Frage der objektiven und subjektiven Aufhebung des Wertverhältnisses herumdrücken. Aber die neue Krise des Kapitals, die eine wertaufhebende Produktivkraftentwicklung zum Inhalt hat, kann weder durch äußerliche politische Staatseingriffe (Keynesianismus, Staatskapitalismus) noch durch naive gesellschaftspolitische Basteleien wie in den „dualwirtschaftlichen“ Modellen (Gorz, Huber etc.) gelöst oder auch nur aufgehalten werden.
Ich will damit keineswegs grundsätzlich die Rolle des Subjekts schmälern; alle wirkliche Umwälzung muß durch das gesellschaftliche Klassen-Subjekt und seine politischen Vermittlungen hindurch. Erst recht wäre es ein großes Mißverständnis, aus der konkreten Ableitung einer objektiven und historisch aktuell werdenden Zusammenbruchslogik des Kapitals irgendeinen mechanischen Automatismus des „Übergangs zum Sozialismus“ zu schlußfolgern. Eher das Gegenteil ist der Fall. Die marxsche Alternative, die den Übergang zur „Barbarei“ als Möglichkeit einschließt, wird erst heute wirklich aktuell und auch erst wirklich verstehbar. Ein Zusammenbruch ist eben nichts anderes als ein Zusammenbruch; welche realen Verhältnisse sich daraus entwickeln, hängt immer und weiterhin vom tatsächlichen Handeln der Menschen und ihrem Willen ab. Aber dieser Wille konnte und kann nicht über die objektiven Verhältnisse hinaus, die er in ihrer Objektivität begriffen haben muß, um bewusst wirksam werden zu können.
Es hat sich hier allerdings eine grundsätzliche historische Änderung vollzogen, die ihren Grund in der tatsächlichen Reife des Kapitalverhältnisses hat. Auch für die alte Arbeiterbewegung, die ihren historischen Kulminationspunkt und ihre Chance am Ende des ersten Weltkriegs hatte, war die Objektivität des Kapitals und seiner Entwicklung Grundlage und Voraussetzung der politischen Willenshandlungen, aber in einem allgemeineren Sinne als heute. Die Logik des Kapitals war noch nicht an ihm selber ausgebrannt, sondern konnte nur durch eine von hohem Bewußtsein über diese Logik getragene gesellschaftliche Aktion gestoppt und überwunden werden. Die Möglichkeit dazu hat durchaus bestanden, aber die westliche Arbeiterbewegung, die allein für diesen Akt in Frage gekommen wäre, hat diese Höhe des Bewußtseins nicht aufgebracht. Aber die Geschichte ist deswegen nicht stehengeblieben. Auch die nicht begriffene Logik bleibt objektiv, wirklich und wird erfahrbar und schließlich erlitten, bis sich Bewußtsein und Wille zur Objektivität hinbequemen, weil es nicht mehr anders geht. In dem Maße, wie heute die kapitalistische Logik an sich selber ausbrennt und zugrunde geht, beginnt dieser Zwang auch in Erscheinung zu treten. Da der Prophet nicht zum Berg gekommen ist, setzt sich der Berg in Bewegung und kommt fürchterlich zum Propheten, dem auch kein Davonlaufen helfen wird.
Man muß also zugeben, daß es durchaus einen Unterschied macht, ob die proletarische Aktion bewußt das Ende der an sich selber noch nicht ausgeschöpften kapitalistischen Akkumulation herbeiführt, oder ob gerade umgekehrt Bewußtsein und Aktion der Arbeiterklasse durch das objektiv in Erscheinung tretende, vom Willen der Beteiligten unabhängige historische Ende der Akkumulationsmöglichkeit erzwungen wird. Im ersten Fall nützt die organisierte Klasse bewußt vorübergehende Disproportionalitäten und politisch-militärische Friktionen der bestehenden Ordnung aus, um diese zu stürzen. Diese Möglichkeiten sind historisch ungenutzt vorübergegangen, es führt zu dieser Situation kein Weg zurück. Im zweiten Fall, und das ist der historisch aktuelle, noch großenteils vor uns liegende, „stürzt“ diese Ordnung an ihren eigenen, bis zu Ende getriebenen Widersprüchen in sich selbst zusammen, ohne eine neue Gesellschaftsformation gleichzeitig hervorzubringen; weder die Rolle des Subjekts noch die relative Selbständigkeit der politischen Form des Widerspruchs ist damit aufgehoben, aber der Ausgangspunkt ist ein anderer geworden. Das vielzitierte „Hic Rhodus, hic salta!“ wird unwiderruflich Wirklichkeit für die Linke, aber anders als sie gedacht hat.
Anmerkungen
(1) Michael Mauke, Die Klassentheorie von Marx und Engels, Frankfurt/Main 1970, Seite 156.
(2) Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt/Main 1968, Seite 79f.
(3) Karl Marx, Das Kapital, Dritter Band, Berlin (Ost) 1965, Seite 274.
(4) Karl Marx, Das Kapital, Dritter Band, Berlin (Ost) 1965, Seite 243.
(5) Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin (Ost) 1974, Seite 587f. (Hervorhebung R.K.).
Editoriale Anmerkung:
Der Text erschien erstmals in Marxistische Kritik Nr. 1, März 1986, dem Vorläufer der theoretischen Zeitschrift Krisis. Der Text ist eine Spiegelung von
http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_krise-des-tauschwerts_mk1_1986.html