Betreff: Kritik der KRISIS Datum: Mon, 16 Apr 2001 15:40:19 EDT Am 12. Maerz bin ich sowohl aus dem KRISIS-Foerderverein wie auch aus der KRISIS-Gruppe Marburg (KGM) - die sich jetzt ganz bescheiden in "Initiative zur Abschaffung der Warengesellschaft" (IAW) umbenannt hat - ausgetreten, und ich moechte im Folgenden begruenden, warum ich das tat. Dabei soll es hier nicht um das Ereignis meines Austritts gehen - dieses besitzt in etwa so viel Bedeutung wie das Umfallen eines Sacks Reis in einer bekannten chinesischen Stadt -, sondern um eine K r i t i k an wesentlichen KRISIS-Positionen. I. Die Absurditaet des Zusammenbruchsgedankens ist schon so haeufig klargelegt worden, dass hier darauf verzichtet sei. Auch die KGM hat die Krisentheorie der KRISIS schon vor geraumer Zeit als unhaltbar erkannt. Wichtig ist mir - im Rahmen meiner vorliegenden Kritik - an dieser Stelle vielmehr, die Frage zu stellen, was es einem Kommunisten eigentlich nutzen soll, die Bedeutung des Themas Krise derartig hoch zu veranschlagen, wie das die KRISIS tut: Wenn die als aktuell unterstellte Endkrise, der angeblich drohende Zusammenbruch der kapitalistischen Oekonomie fuer ein gewichtiges Argument befunden wird, scheint man ausgerechnet das (behauptete) N i c h t-mehr-funktionieren-Koennen des Kapitalismus fuer einen und den einzig schlagenden Einwand gegen diese Produktionsweise zu halten. Anders gesagt: Wer, wenn auch in frohlockender Erwartung, mit solcher Vehemenz wie die KRISIS vor dem angeblich hereinbrechenden E n d e kapitalistischer Oekonomie warnt, muss dem f u n k t i o n i e r e n d e n Kapitalismus immerhin das Funktionieren z u g u t e gehalten haben - ob das der betreffende Kritiker so beabsichtigt hat oder nicht. Ich werde weiter unten versuchen zu zeigen, dass das Beschwoeren der Endkrise des Kapitals sich bei der KRISIS dem Abschied von jedweder kommunistischen Zwecksetzung verdankt. (Dass ein tatsaechlich oder vermeintlich bevorstehender oder sich vollziehender Zusammenbruch des Kapitalismus als Einwand gegen diesen nicht taugt: darin besteht ebenfalls Konsens zwischen mir und den KGM/IAW-Genossen.) II. Das Ansinnen, die Marxsche Kritik um eine "Kritik der Arbeit" ergaenzen zu wollen, ist eine grundverkehrte Angelegenheit: Der dieses Ansinnen hegt, behauptet damit naemlich, dass ihm die Marxsche Kritik der politischen Oekonomie als Einwand gegen den Kapitalismus nicht reicht. Ihm kommt die Arbeit bei Marx zu gut weg: Der hat ja im KAPITAL " b l o s s " die a b s t r a k t e resp. die L o h n - Arbeit kritisiert, nicht die Arbeit u e b e r h a u p t . Stimmt - die Arbeit als solche war ja gar nicht sein Gegenstand. Und? Dass jemandem, der den Kapitalismus kritisiert, ebendies zum Vorwurf gemacht wird, weil er sich damit einem a n d e r e n Gegenstand zugleich n i c h t zuwendet, ist erstmal ziemlich abstrus und bescheuert. Aber so bloed ist die KRISIS nun auch nicht, dass das bei ihr nicht Sinn machen wuerde: Sie behauptet naemlich, dass Arbeit i m m e r auch a b s t r a k t e Arbeit sei - es sich beim Terminus "abstrakte Arbeit" also eigentlich um einen Pleonasmus handle - und Marx daher eine verkehrte Verdopplung der Arbeit in diejenige, die er im KAPITAL kritisiert hat, einerseits und diejenige, die er dabei als ewige Naturnotwendigkeit unterstellt hat, andererseits begangen habe, so dass ihm die Ontologisierung einer spezifisch buergerlichen Formbestimmung von Produktion vorgeworfen werden muesse. Worin aber soll diese Ontologisierung bestehen, wenn Marx die abstrakte Arbeit doch ausdruecklich als die spezifische historisch-gesellschaftliche Form der Produktion in der warenproduzierenden, der buergerlichen Gesellschaft charakterisiert und kritisiert hat? Anders gefragt: Was bleibt von der Kategorie "Arbeit" uebrig, wenn man von dem, was Marx an der kapitalistisch bestimmten Arbeit k r i t i s i e r t hat, also von ihrem Charakter als a b s t r a k t e r und als L o h n - Arbeit, a b sieht? Nur noch eine ueberhistorische theoretische Abstraktion, der man zwar ethymologisch durchaus Schlechtes nachsagen kann - der Terminus "Arbeit" beziehe sich "urspruenglich (!) nur auf die Taetigkeit des unmuendigen Menschen, des Abhaengigen, des Knechts oder des Sklaven" oder bezeichne "die Schufterei eines verwaisten und daher in Leibeigenschaft geratenen Kindes", belehrt einen das MANIFEST GEGEN DIE ARBEIT -; aber eine Kritik der Realitaet auf eines Wortes urspruenglicher Bedeutung aufbauen zu wollen, ist ja eine ziemliche DonQuichotterie. Auf die allerdings scheint's der KRISIS sehr anzukommen - sie haelt naemlich n i c h t das K a p i t a l , s o n d e r n eben die A r b e i t fuer den eigentlichen Witz am Kapitalismus: Die Arbeit naemlich sei nichts anderes als ein allesbeherrschender tautologischer Selbstzweck, eigentlich d a s s e l b e wie das K a p i t a l - dessen a n d e r e Seite zwar, sozusagen, aber einen U n t e r s c h i e d zum Kapital vermag die KRISIS bei der so bestimmten Arbeit gar nicht mehr anzugeben. Und eben genau um diese T i l g u n g des spezifischen Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit aus der Theorie g e h t es der KRISIS - ebendeshalb bestimmt sie Arbeit als tautologischen Selbstzweck, begeht also einen i n t e r e s s i e r t e n F e h l e r : W e n n Arbeit naemlich dieser tautologische Selbstzweck waere, koennte die KRISIS nicht zugleich ein A b s t e r b e n der Arbeit diagnostizieren - denn als tautologischer Selbstzweck, d.h. als Arbeit um der Arbeit willen vollzogen, wuerde die Arbeit so aussehen, dass die Leute sich Tag fuer Tag damit beschaeftigten, z.B. runde Steine eckig- und eckige Steine wieder rundzuklopfen und immer so weiter, und da sie ja alle im "Arbeitsfetisch" befangen waeren, kaeme auch niemand auf die Idee, sie daran zu hindern. Das "Ausbrennen der Arbeit" waere also vom Standpunkt der KRISIS selbst her eine Unmoeglichkeit. Die KRISIS aber ist so scharf darauf, den t a t s a e c h l i c h e n (a u s s e r h a l b der Arbeit liegenden) Selbstzweck, dem die Arbeit im Kapitalismus u n t e r w o r f e n ist - die S e l b s t v e r w e r t u n g d e s K a p i t a l s , der die Arbeit M i t t e l ist - in die Arbeit s e l b s t zu verlegen und damit zu einem S e l b s t z w e c k der A r b e i t zu machen, dass sie sich von dieser kleinen Unstimmigkeit nicht beirren laesst. So ist dann der A n t a g o n i s m u s zwischen Kapital und Lohnarbeit gluecklich in ein reines K o n k u r r e n z verhaeltnis verwandelt, und die e n t t a e u s c h t e L i e b e z u m P r o l e t a r i a t - denn s i e ist es doch wohl, die den Gedanken der KRISIS ihre Orientierung gibt - kann nun endlich zum E k e l vor ihm avancieren und sich mit groesster moralischer Berechtigung elitaer ueber es erheben und von ihm abwenden: Die Proleten, so der Befund der KRISIS, sind genauso vom Fetisch verdorben wie die Kapitalisten, sie sind genauso positiv am Kapitalismus interessiert wie die Unternehmer und die Politiker; nicht aus materiellem Zwang heraus gehen sie lohnarbeiten, und nicht aus falscher Berechnung halten sie an der Lohnarbeit fest - nein, nein, vielmehr sind sie vom Fetisch durchdrungen und zutiefst versaut und k o e n n e n gar nicht anders. Weshalb natuerlich jede agitatorische Kritik an diesen verblendeten Subjekten ueberfluessig, weil notwendig wirkungslos ist, also gefaelligst zu unterbleiben hat, und man als linker Durchblicker mit kommunistischem Anspruch darauf verwiesen ist, die Ueberwindung des Kapitalismus v o n d i e s e m s e l b s t zu erwarten: Wenn der am Zusammenbrechen ist und die Arbeit ab am Sterben, wird auch der Fetischismus immer weniger und schliesslich gar nicht mehr greifen, so dass den Leuten in der Apokalypse des Kapitals die grosse Offenbarung zuteil werden wird ... Wo Marx mit seiner Rede vom Warenfetisch das V e r h a l t e n der Individuen in der kapitalistischen Oekonomie k r i t i s i e r t hat - sie unterwerfen ihr Denken lauter Zwaengen, die sich ihrem, durch dieses Denken vermittelten, gesellschaftlichen Handeln allererst verdanken (und genau diese Kritik ist auch der Sinn des Marxschen Spruches von der Bestimmtheit des Bewusstseins durch das gesellschaftliche Sein) -, sehen die KRISIS-Leute einen allmaechtigen Fetisch am Werk, der alle in ihm Befangenen zu willenlosen Marionetten macht, die nicht ganz dafuer koennen (womit die KRISIS in einem Atemzug eine wunderschoene zynische Einheit aus Beschimpfung und Entschuldigung des ehemaligen Liebesobjektes vom Stapel laesst). III. Dass die KRISIS dennoch ihren Laden nicht schliesst und ihre Zeitschrift nicht einstellt, duerfte folgende Gruende haben: 1. Wenn man schon die (End-)Krise des Kapitalismus zum Lieblingsobjekt erklaert hat (so dass sogar die eigene Zeitschrift und der eigene Club dieses Objekt im Namen tragen), moechte man der Entwicklung derselben auch theoretisch beiwohnen, d.h. den "Verfall" der kapitalistischen Oekonomie beobachtend und theoretisierend begleiten. Und die Resultate der eigenen Reflexionen moechte man dann natuerlich auch der Oeffentlichkeit, der linken zumal, mitteilen, damit moeglichst vielen Leuten klar werde, dass der Zusammenbruch des Kapitalismus sich nicht aufhalten laesst, und die Linken einsehen, dass jedes Tun, welches irgendwie auf Veraenderung zielen will, gar nichts bewirken k a n n und womoeglich letztendlich nur zu systemstabilisierender Scheisse fuehrt. Dies die Seite der notorischen B e s s e r w i s s e r e i . 2. Auf das durch den Prozess des (- wenn man Robert Kurz glauben wollte - eigentlich schon lange in Gang befindlichen) Zusammenbruchs des Kapitals hervorgerufene Aufsprengen der fetischistischen Bewusstseinsformen in den Koepfen der Leute allein moechte sich die KRISIS lieber doch nicht verlassen. Sie selbst verwahrt sich vehement gegen das Missverstaendnis, dass sie den Zusammenbruch des Kapitalismus als quasi-automatischen Uebergang zu einer kommunistischen Gesellschaftsform naehme. Also gehoeren diejenigen, bei denen die Fetischformen im Kopf zu broeckeln beginnen, anstaendig b e t r e u t , damit sie auch den noch verbliebenen Rest an fetischistischem Gedankengut schnell loswerden und sich die Betrachtungsweise der KRISIS zueigen machen - andernfalls liefen die Betreffenden ja womoeglich den Falschen in die Arme, trieben sich vielleicht gar auf GEGENSTANDPUNKT-Veranstaltungen rum usw. 3. Da im Weltbild der KRISIS keines der durch Kapital und Staat geschaedigten Interessen als Grund fuer die Abschaffung des Kapitalismus taugt, kann die kommunistische Gesellschaft, an deren Notwendigkeit die KRISIS immerhin festhaelt, ihrer Auffassung nach nur durch eine aus lauter A u s s t e i g e r n bestehenden "Aneignungsbewegung" in die Welt kommen statt durch Klassenkampf, dem die Freunde der Krise notwendige Systemimmanenz attestieren. Man weiss gar nicht, was man hier eigentlich mehr bewundern soll: die Unverfrorenheit, mit der die KRISIS den Widerspruch am Arbeiterinteresse: es muss sich notwendigerweise der Lohnarbeit als Mittel bedienen, kommt aber grade deswegen nie auf einen gruenen Zweig - ignoriert, also die durch die Lohnarbeit (und deshalb natuerlich u.a. auch durch Arbeitslosigkeit) notwendig anfallende Schaedigung des Arbeiterinteresses als fetischistische E i n b i l d u n g nimmt; oder eher die kindlich-naive Auffassung, die die KRISIS von einer praktischen kommunistischen Bewegung hat, wenn sie die als eine Bewegung vernetzter Alternativbetriebe und Selbsthilfeprojekte, gewuerzt mit ein bisschen Haeuserkampf und Nachbarschaftshilfe, betrachtet, also die mit einer Revolution zwangslaeufig gestellte M a c h t frage gar nicht beantworten, sondern ihr aus dem Wege gehen (und sie damit weiterhin Kapital und Staat, genauer: deren automatischem Zusammenbruch ueberlassen) will. Solche peinlichen Gebilde wie die Sozialistische Selbsthilfe Muelheim (SSM) stellen keine auf Missverstaendnis des KRISIS-Standpunktes gruendende Abweichung von diesem dar, sondern sind die r a d i k a l e p r a k t i s c h e K o n s e q u e n z ebendieses Standpunktes - wie sollte die denn auch anders aussehen?! So, damit will ich's erstmal bewenden lassen. Die in meiner e r s t e n (nicht hier in der Liste erschienenen) "Austrittserklaerung" angesprochenen Punkte 'Gebrauchswertkritik' und 'Wertabspaltung' moechte ich hier aussen vor lassen, da sie fuer den KRISIS-Standpunkt m.E. nicht so konstitutiv sind und im Vorstehenden genuegend Gruende zusammengetragen sind, der KRISIS den Ruecken zu kehren. Von Punkt I abgesehen, trifft meine Kritik, in der einen oder anderen Hinsicht vielleicht modifiziert, auch auf die KGM/IAW zu - auch wenn dieses Grueppchen, wie auch im Wechsel des Gruppennamens zum Ausdruck kommt, eine gewisse Distanz zur KRISIS pflegt. Auf die IAW will ich hier aber nicht naeher eingehen, weil von den Listenteilnehmern wahrscheinlich eh kaum jemand diese Gruppe kennt. Wer mit mir ueber meine KRISIS-Kritik debattieren moechte, kann mich gerne anmailen. Berthold (Casablanca215679@aol.com)