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Team Peter Heilbronn
Thema Notizen zu G.Jacob 'Bürgerliches Individuum' ( excerpt )
Original
Autor Günter Jacob
Titel "Zur Theorie des bürgerlichen Individuums bei Marx"
Quelle trend
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Letzte Bearbeitung 02/05
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1. Einleitendes
2. Analyse des bürgerlichen Individuums in einer Kritik der politischen Ökonomie?
3. Die [notwendige] Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Wesen

1. Einleitendes

" Edward P. Thompson hat in seinem Buch, "Die Entstehung der englischen Arbeiterklasse"
...
Wie wenig Armut und Elend automatisch zu revolutionärem Bewußtsein führen, zeigt er am Beispiel des "King and Church"-Mobs, der in den Jahren der französischen Revolution Personen angriff, die mit den Revolutionären in Frankreich sympathisierten. Nicht das absolute Ausmaß der Armut, sondern deren Erfahrung und Interpretation als "moralisches Unrecht" ist nach Thompson die Ursache für den Widerstand. Demnach kann eine Klasse nur in sozialen Kämpfen sichtbar werden. Umgekehrt zeugen soziale Stabilität und fehlende Empörung nicht unbedingt von der Abwesenheit materiellen und psychischen Elends, sondern von der moralisch-politischen Übereinstimmung der Betroffenen mit normativen Vorstellungen von einem sozial adäquaten Leben."
[Herv. v. P.H.]
 
[Thomson: Klasse nur im Kampf sichtbar]
"Die Existenz einer Arbeiterklasse verdankt sich demnach "dem Vorhandensein einer repräsentierten Arbeiterklasse, daß heißt politisch-gewerkschaftlicher Apparate und bestallter Wortführer, Funktionäre, die nicht allein ein vitales Interesse daran haben, an den Bestand dieser Klasse zu glauben wie glauben zu machen, sondern die darüber hinaus imstande sind, die "Arbeiterklasse" zum Sprechen zu bringen." Auch hier gilt dann der umgekehrte Schluß: Nach der Zerschlagung der Arbeiterklasse durch den Faschismus wurde die "Arbeiterklasse" von einer auf Neutralisierung von Klassengegensätzen ausgerichteten Öffentlichkeit und kompromißlerischen Funktionären "derealisiert". "
 
[Bourdieu: Klasse durch Apparate]
" So wie weiße Rassisten Afro-Amerikaner durch Ausgrenzung als "ethnische Gruppe" erst schaffen, also schwarze Menschen verschiedener Herkunft "rassifizieren", so wurde die deutsche "Arbeiterklasse" im Land nach dem Faschismus in der willentlichen Vorstellung der Öffentlichkeit "ent-rassifiziert" und derealisiert. Dieser Zustand von dessen Genesis bürgerliche Soziologen und marxistisch-fundamentalistische Werttheoretiker gleichermaßen nichts wissen wollen, ermöglichte in Deutschland die raschere Durchsetzung von dem Kapitalismus immanenten 'Tendenzen", " [Herv. v. P.H.]
 
[Derealisierung der Arbeiterklasse]

{ Klasse als soziales Konstrukt, negativ ihr nicht Vorhandensein als soziale (Herrschafts)Praxis? (d.V.)}

" Dieser Text versucht demgegenüber zu zeigen, daß für Marx Individualisierungstendenzen in die Bewegung der Kapitalakkumulation eingebunden bleiben. Mehr noch: Es wird der Nachweis versucht, daß sich in Marx' Kritik der politischen Ökonomie die Elemente einer Theorie und Kritik der bürgerlichen Individualität finden, die sich mit einer Klassentheorie nicht nur vereinbaren lassen, sondern ohne die eine Individualitätstheorie gar nicht durchgehalten werden kann. " [Herv. v. P.H.]
 
[Ziel des Beitrags: Zus. Marxsche Individualitäts- und Klassentheorie]
" Ohne diese Einsicht bleiben nur zwei Alternativen - entweder die heroische Verteidigung eines prinzipienfesten "Klassenstandpunktes", bei der Beurteilung von HipHop, Ikeamöbeln und Scheidungsstatistiken oder aber der lebenslange Zwang zur Orientierung an den "In/ Out"-Listen der Zeitgeistblätter. "
" Die Entfaltung der Kategorien erfolgt in diesem Papier schrittweise und ist m.E. auf jeder Stufe nachvollziehbar und daher kontrollierbar und kritisierbar. "
" Daß der Marxismus allgemein für untauglich gehalten wird, die modernen Verhältnisse zu begreifen, geht in erster Linie auf die vom Kapitalismus selbst produzierten Verkehrungen und Trennungen zurück. Gemeint sind erstens die Verkehrung von Subjekt und Objekt, durch die alle zivilisatorischen Tendenzen als Leistung von Kapital und Staat erscheinen und zweitens die widersprüchliche Weise der Herausbildung von Individualität, die sich im Kapitalismus als schroffe Gegenüberstellung der Lebenspläne des vereinzelten Einzelnen und der Gesellschaft darstellt. " [Herv. v. P.H.]
 
[Verkehrungen aus dem Kapitalverhältnis]
" Es ist richtig, daß Marx alle Geschichte als eine Geschichte von Klassenkämpfen bezeichnete und es ist auch richtig, daß nach Marx der ganze kapitalistische Gesellschaftsaufbau auf der Ausbeutung der Mehrarbeitszeit der produktiven Arbeiter beruht. Damit ist das Ergebnis der Marxschen Untersuchungen jedoch weder verstanden noch erschöpfend wiedergegeben. Die Essentials der Marxschen Theorie sind nämlich, kurz gefaßt, folgende:
  • 1. Beruht alle kapitalistische Zivilisation auf der Abpressung von Mehrarbeitszeit, aber dies vollzieht sich im Rahmen eines Äquivalententausches: "Arbeit" gegen Geldlohn.
  • 2. Der Mehrwert wird kapitalistisch akkumuliert, in Kapital zurückverwandelt und dies ohne Rücksicht auf die Schranken der zahlungsfähigen Bedürfnisse. Deshalb werden periodisch zu viele Produktions- und Lebensmittel produziert: Arbeitskräfte werden überschüssig und Kapital wird entwertet.
  • 3. Der Akkumulationsprozeß stellt sich dar als permanente Steigerung der Produktivkraft der Arbeit und diese als Vertiefung der Arbeitsteilung, folglich als Ausdifferenzierung der Arbeitsarten und Produkte, folglich aus Ausdifferenzierung und Erweiterung der Bedürfnisse. Der Anteil der Lohnarbeiter an der größeren Warenmasse und dem größeren Umfang der gesellschaftlich disponiblen (da eingesparten) Zeit wird normalerweise fallen, obwohl die absolute Verfügung über Lebensmittel und Lebenszeit steigen kann. Die konkrete Entwicklung hängt wesentlich (wenn auch nicht nur) von gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen und Auseinandersetzungen ab.
  • 4. Geht dies alles einher mit einer systematischen Verdunkelung der wirklichen Entstehungsweise des kapitalistisch produzierten Reichtums. Spätestens mit dem Zins erscheint Reichtum als Resultat von geldheckendem Geld. Auf der Oberfläche der Gesellschaft erscheinen die wirklichen Zusammenhänge verkehrt. Die Subjekte des Produktionsprozesses erscheinen als Objekte und das Kapital stellt sich als aktives, alle Verhältnisse stets revolutionierendes Subjekt dar. Das Bewußtsein der Beteiligten ist falsch, weil ihr Sein falsch ist. Diese Umkehrungen sind jedoch analysierbar, daher auch weitgehend durchschaubar[(!) P.H.], obgleich sie erst verschwinden, wenn ihre Ursachen beseitigt sind.
  • 5. Der Kapitalismus ist die erste Produktionsweise, in der die Arbeitskräfte allein Sachzwängen gehorchen und nicht patriarchalischer Willkür unterworfen sind. Da sie Geld erhalten und über den Verkauf ihrer Arbeitskraft ebenso frei bestimmen können wie über die Verausgabung ihrer Revenue, findet historisch erstmals eine Individualisierung der Personen statt. Gründe wie auch Grenzen (bzw. widersprüchliche Verlaufsform) dieser Individualisierung sind einer theoretischen Analyse zugänglich. Beides ist vorzugsweise in der Produktionsweise selbst zu suchen. Die konkreten Formen und die historische Genesis dieser Individualitätsformen sind aber Sache selbständiger materialistischer Untersuchungen. Das sind also - sehr gedrängt - die wohl wichtigsten Entdeckungen von Marx.
"
[Herv. v. P.H.]
 
[Progressive Heraustreibung des Individuums und der Verkehrung der Verhältnisse als derselbe Prozess]
" Man sieht nun. daß die Reduktion der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie auf "Klassenkampf" und "Ausbeutung" eine unzulässige Vereinfachung darstellt. Historisch gab es einmal Verhältnisse, die solche Vereinfachungen als plausibler erscheinen ließen, als dies heute der Fall ist.
...
Marx selbst hat sich wiederholt gegen populistische Verkürzungen seiner Theorie aussprechen müssen; seine Kritik des Gothaer Programms der Sozialdemokratischen Partei ist nur der bekannteste Fall. "

2. Analyse des bürgerlichen Individuums in einer Kritik der politischen Ökonomie?

" Marx' Hauptwerk ist das "Kapital". Wenn wir also wissen wollen, was Marx über das bürgerliche Individuum zu sagen hat, dann müssen wir uns in erster Linie an dieses Werk halten und nicht etwa an verschiedene frühere mehr "philosophische" Texte.
...
Das erste Buch des "Kapital" handelt vom Produktionsprozeß des Kapitals, das zweite Buch vom Zirkulationsprozeß und das dritte Buch vom Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion. "
 
['Das Kapital' und das Individuum]
" Marx' Ausgangspunkt ist die für die Menschen bestehende Notwendigkeit der Erhaltung ihres Lebens, die sie zwingt, die äußere Natur entsprechend den eigenen Bedürfnissen zu verändern, was sie nur können, wenn sie sich zueinander verhalten, d. h. gesellschaftliche Beziehungen eingehen. Diese jeweiligen historisch-sozialen Verhältnisse korrespondieren mit bestimmten Niveaus der Produktivkräfte der gemeinschaftlichen Arbeit und beides zusammengenommen stellt eine jeweils spezifische Strukturierung einer Gesellschaft dar, die Marx "Produktionsverhältnisse" nennt und die er für den gesamten Lebensprozeß der darin sich bewegenden Individuen als bestimmend ansieht. "
 
[Produktionsverhältnis]
" Hierbei entscheidend ist die Form der Lohn-Arbeit, die auch die Mehrarbeit als bezahlt erscheinen läßt, in der also das Äquivalenzprinzip der Warenproduktion garantiert ist und die es möglich macht, daß Ausbeutung erstmals an von persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen freien Arbeitern vollzogen werden kann: der Zwang liegt nun allgemein in den Verhältnissen und konkret in der Kontrolle des Kapitalisten über den Produktionsprozeß. " [Herv. v. P.H.]
" Die kapitalistische Weit ist jedoch nicht die erste sich als verzaubert darstellende; sie weist jedoch spezifische Verkehrungen auf, die sich von denen vorangegangener oder anderer (z.B. asiatischer) Welten qualitativ unterscheiden.
...
Die erwähnte Vorstellung der VWL, wonach Kapital Maschinerie oder Geld wäre, bestätigt im übrigen nur die Marxsche Analyse der Verdinglichung: "Kapital ist kein Ding, sowenig wie Geld ein Ding ist. Im Kapital, wie im Geld, stellen sich bestimmte gesellschaftliche Produktionsverhältnisse der Personen als Verhältnis von Dingen zu Personen dar, oder erscheinen bestimmte gesellschaftliche Beziehungen als gesellschaftliche Natureigenschaften von Dingen." (5) Marx handelt also nicht von Dingen, sondern von Verhältnissen zwischen Personen.
...
Um diese Verdinglichung dechiffrieren zu können, mußte Marx seine gefundenen Bestimmungen zu einem spezifischen Kategorien-System verbinden, innerhalb dessen ein "Auf- oder Abstieg" zwischen den abstraktesten und den konkretesten Kategorien möglich bleibt. "
 
[Kapital als verdinglichtes Verhältnis zwischen Personen]

3. Die [notwendige] Unterscheidung zwischen Erscheinungen und Wesen

" "Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen." (7) Diese bekannte Marxsche Formulierung steht nicht zufällig im Zusammenhang mit der Analyse der sogenannten "trinitarischen Formel" am Ende des dritten Bandes des "Kapital". Sie richtet sich dort speziell gegen Marx' Lieblingsfeinde - die "Vulgärökonomen"- die nach seiner Auffassung einen Teil der 'lebensweltlichen Erfahrungen" der bürgerlichen Individuen doktrinär verdolmetschen, systematisieren und apologetisieren. Sie tun das - so Marx -, weil sie sich selbst in den "entfremdeten Erscheinungsformen der ökonomischen Verhältnisse ... vollkommen bei sich" fühlen."
 
[Alle Wissenschaft wäre überflüssig, ...]
" Demgegenüber existieren für Marx und Engels nicht nur in der Natur wesentliche und mit den Erscheinungen nicht identische Zusammenhänge, sondern auch in der Gesellschaft.
...
Diese Menschen wirken jedoch unter bestimmten Bedingungen so aufeinander ein, daß dabei etwas Ungewolltes herauskomme. Unter diesem Resultat steckten daher "innere verborgene Gesetze", die es zu erforschen gälte (8). Wie sollen diese Gesetze aber herausgefunden werden? Die Marxsche Methode besteht darin, das "Konkrete" schrittweise und ideel (also nicht zu verwechseln mit dem wirklichen Entstehungsprozeß) zu rekonstruieren, wobei stets von den einfachsten, abstraktesten (Abstraktion heißt Trennung) Bestimmungen auszugehen sei, bis man dann wieder beim "Konkreten" ankommt, was natürlich nur gelingt, wenn die Rekonstruktionsschritte zutreffend waren. "
[Herv. v. P.H.]
 
[Wesen in Natur UND Gesellschaft]
" Marx beginnt mit der Kritik der Grundlagen der Abstraktionen der bürgerlichen Ökonomie, d. h. mit ihrer immanenten Kritik, um so zur Unterscheidung von Wesen und Erscheinung, von Logik und Empirie, von Kapital im allgemeinen und Konkurrenz vorzudringen. In der kritischen Aufarbeitung von Adam Smith unterscheidet Marx einen esoterischen und exoterischen Teil seines Werks, d. h. den Teil, der wissenschaftliche Analyse darstellt und den, der nur die Erscheinungen der Oberfläche des Kapitals systematisiert (welcher Teil sich später als Vulgärökonomie von der klassischen trennt) (10). Marx' Vorwurf gegen Smith besteht also darin, daß dieser zwischen empirischer und logischer Ebene nicht unterschieden habe. Diesen Gedanken verfolgt Marx auch in der Kritik an Ricardo. Ricardo nämlich ist der erste, der mit dem Durcheinander zwischen esoterischer (Logik) und exoterischer Betrachtungsweise (Empirie) Schluß macht."
" Marx selbst entwickelt aus der Kritik an Ricardos Methode, die Erscheinungsformen unvermittelt mit ihrem Wesen zu konfrontieren, sie auf ihr Wesen zu reduzieren, die Forderung, die Erscheinungsformen aus dem Wesen als notwendige und notwendig "verkehrt" auftretende zu entwickeln. "
 
[Notwendige Verkerhrung der Erscheinung]
" Bei der Analyse der grundlegenden Gesetze ist deshalb von der Handlungsebene, der Ebene der Konkurrenz, zu abstrahieren. Diese Ebene mit ihrer eigenen Formenvielfalt ist getrennt (aber als Form von etwas) zu untersuchen. Bei dieser Handlungsebene kann es sich allerdings nur um eine idealisierte Ebene handeln, um - wie Marx sagt -"idealen Durchschnitt" (11). "
" "
" "
" "
" "
" "
" "
" "
" "

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last update : Fri Feb 18 02:18:51 CET 2005 Heilbronn
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