Ist die Begeisterung für Deutschland und sein Fußballteam nur Ausdruck eines harmlosen und auch zu begrüßenden "Wir-sind-Deutschland"-Festes?
"Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt"
Dirk Eckert 13.12.2002
Statt Landesverteidigung soll die Bundeswehr im Rahmen einer neuen strategischen Ausrichtung andere Aufgaben erhalten
Landesverteidigung steht
für die Bundeswehr "nicht mehr an der ersten Stelle": "Die Sicherheit
Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt", betonte
Verteidigungsminister Peter Struck (SPD). Zudem will er die
Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) neu fassen. "Wenn solches
Denken Schule macht, landet die Welt über kurz oder lang im Chaos. Mit
demselben Recht könnten Pakistan, Indien, China oder jedes x-beliebige
Land in ihren Militärdoktrinen festlegen, dass deren Verteidigung am
Rhein stattfindet", warnte die Friedensbewegung.
Deutsche Fallschirmjäger unterwegs am Stadtrand von Kabul
Struck will jetzt die in den letzten Jahren immer wieder angekündigte
Neufassung der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) in Angriff
nehmen. Im Frühjahr
sollen die neuen Richtlinien vorgelegt werden. Die momentan gültigen
hatte Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) am 26. November 1992
erlassen. Aufsehen erregte damals besonders Punkt 8 der Richtlinien.
Als "vitale Sicherheitsinteressen" Deutschlands wurden hier auch wirtschaftliche Interessen aufgeführt, für die die Bundeswehr in den Krieg ziehen soll:
"Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs
zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer gerechten
Weltwirtschaftsordnung."
Die schon jetzt als "Struck-Doktrin" in der Presse
gehandelten Ankündigungen des Verteidigungsministers wurden
parteiübergreifend begrüßt. So sprach Angelika Beer
kurz vor ihrer überraschenden Wahl zur grünen Parteivorsitzenden laut
"Frankfurter Rundschau" vom 7. Dezember 2002 von einem "überfälligen
Schritt". "Jeder weiß, dass die Landesverteidigung auf absehbare Zeit
keine Rolle mehr spielt". Jetzt müsse noch die Wehrpflicht abgeschafft
und sollten weitere Bundeswehrstandorte geschlossen werden.
Bei der Union rannte Struck offene Türen ein. In einem Interview mit der "Frankfurter Rundschau" vom 11. Dezember sagte Wolfgang Schäuble,
der in seiner Fraktion für Sicherheits- und Verteidigungspolitik
zuständig ist, auf die Frage "Sicherheitsinteressen bis zum Hindukusch
- können Sie sich damit im Grundsatz anfreunden?": "Es ist ein erster
Schritt in die richtige Richtung. Denn wir brauchen eine realistische,
aktualisierte Bedrohungsanalyse."
Boarding-Team der Deutschen Marine im Golf von Aden
Erst kürzlich hatte sich Schäuble für eine Übernahme der US-amerikanischen Doktrin der Präventivschläge ausgesprochen, um Massenvernichtungswaffen und Terrorismus zu bekämpfen:
"Man kann diese Gefahren aber nur vermeiden, indem man Anschläge und
den Einsatz von Massenvernichtungswaffen verhindert. Mit Vergeltung,
also einem Zweitschlag, schützen Sie unsere Bevölkerung nicht."
Für verfassungswidrig hält dagegen die Internationale Vereinigung von Juristen gegen Atomwaffen (Ialana)
das Vorhaben der Regierung. Die Bundeswehr sei laut Grundgesetz "nicht
als beliebig verwendbares Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik
geschaffen". Art. 87a lege die Bundeswehr auf die Landesverteidigung fest, Ausnahmen bestünden aufgrund von Art. 24
nur im Rahmen der UNO, wie das Bundesverfassungsgericht 1994
entschieden habe. Selbst bei einer Änderung des Grundgesetzes hätte
sich die Bundesrepublik an den Briand-Kellogg-Pakt
von 1928 zu halten, in dem die Parteien auf Krieg "als Werkzeug
nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten".
Die veränderte strategische Ausrichtung der Bundeswehr nutzt Struck zu Einsparungen.
Die Organisationsstruktur der Bundeswehr soll schlanker werden, da
aufwendige Mobilmachungsvorbereitungen wegen der fehlenden direkten
Bedrohung des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr
nötig sind. Um die Betriebskosten zu senken, soll altes Gerät schneller
ausgemustert werden. Außerdem will Struck weniger Exemplare vom
Militärtransporter Airbus angeschaffen, und auch bei der Bewaffnung des
Eurofighter wird gespart. Von der Rakete "Meteor" (Noch mal 1,7 Mrd. Euro für die Rüstung?)
werden statt 1.488 nur 600 Exemplare , von der Rakete "Iris-T", die
Standardbewaffnung für Eurofighter und Tornado, nur 1.250 Stück statt
wie bisher beabsichtigt 1.812. "Die Reduzierung ist verantwortbar, da
wir im unwahrscheinlichen Fall der Landesverteidigung zeitgerecht
weitere Flugkörper beschaffen können", so Struck.
Deutsche und amerikanische ABC-Abwehrsoldaten in Kuwait
Das schafft Spielraum für Neuanschaffungen, die für
die neue Hauptaufgabe "internationale Einsätze" gebraucht werden, wie
zum Beispiel für die Beschaffung eines neuen Schützenpanzers als
Nachfolger für den "Marder". "Die Bundeswehr muss und wird das Material
bekommen, welches sie für ihre Hauptaufgaben benötigt", versicherte
Struck. Er legte ausdrücklich Wert auf die Feststellung, dass "entgegen
den häufig auch in der Presse angekündigten drastischen Streichungen
die schon in der vergangenen Legislaturperiode eingeleitete
Verstetigung des Verteidigungshaushalts uneingeschränkt erhalten werden
konnte".
Transportpanzer "Fuchs" der deutschen ABC-Abwehrkräfte in der Wüste von Kuwait. Alle Bilder: Bundeswehr
Einen gefährlichen Präzedenzfall für die
bundesdeutsche Rüstungsexportpolitik setzt die Bundesregierung momentan
mit ihrer Behandlung der Anfragen aus Israel. Das Land, das bei einem
US-Krieg gegen Irak mit irakischem Beschuss rechnen muss, hat um
Patriot-Raketen und Fuchs-Transportpanzer gebeten. Letztere können aber
auch in der Westbank und im Gaza-Streifen gegen Palästinenser eingesetzt werden. Zumindest für diesen Fall sprechen die von der Bundesregierung selbst ausgearbeiteten Rüstungsexportrichtlinien vom Januar 2000 eine eindeutige Sprache. Dort heißt es:
"Genehmigungen für Exporte (...) kommen nicht in Betracht, wenn die
innere Lage eines Landes dem entgegensteht, z.B. bei bewaffneten
internen Auseinandersetzungen oder bei hinreichendem Verdacht des
Missbrauchs zu innerer Repression."
Ausnahmen gibt es nur für den Fall, dass "besondere
außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik
Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen für eine
ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen". Kriterium ist also
nicht die Lage im Empfängerland, sondern das eigene Interesse.
Da die Entscheidung aber politisch brisant und zwischen SPD und Grünen umstritten ist, weigerte
sich Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Entscheidung in der
Öffentlichkeit zu diskutieren, und verwies auf den letztlich
zuständigen Bundessicherheitsrat. Politisch schwierige Entscheidungen
trifft die Regierung also lieber am Parlament vorbei, unter Ausschluss
der Öffentlichkeit und ohne Rücksprache mit den Parteien. Und die
Rüstungsexportrichtlinien gelten plötzlich nur eingeschränkt.